1905 / 289 p. 8 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 08 Dec 1905 18:00:01 GMT) scan diff

niŸYt \s{euen, diè unerläflich sind, wenn anders die Größe und die Zukunft unseres Vaterlandes sichergeftellt bleiben soll. (Lebhaftes Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)

_ Abg. Freiherr von Richthofen-Damsdorf (d. konf.): Es tut mir leid, daß ih jett in so später Stunde noch sprehen muß; ih bätte gewünscht, daß erst vom Reichskanzler die Ausführungen dzs Abg. Bebel zurückzewtesen werden, boffe aber, daß es noch an anderer Stelle ge- \hehen wird. Der Abz. Bebel ist selbstverständlich ein ganz vorzüg- licher Nedner. Ich will es dagegen mit Goethe halten : es trägt Ver- ftand und rechter Sinn mit wenig Kunst sich selber vor. Wenn ih aber au das oratorishe Talent des Abg. Bebel anerkenne, fo wird es mir doch immer mehr zweifelhaft, ob wir beide noch dieselbe Sprache reden, oder der Abg. Bebel nit vielmehr mit fremden Zungen spricht. Wer ausés\prehen kann, daß seine Partei niht unter allen Umftänden, sondern nur dann an einem Kriege teilnehmen wolle, wenn das patriotische und das proletarische Interefse zusammenfallen, der if wvater- Iländishen Gesichtspunkten unzugänglich, ms er reden, was er will. Wir haben vor den Engländern immer besondere Hochachtung ge- habt, und noch heute bewundern wir die Eigenschasten der Eng- länder; aber wir müssen von ihnen dieselbe Achtung verlangen, die wir ibnen zollen. Es liegt mir fern, Oel ins Feuer zu gießen ; aber wir fürchten weder England noch andere Mächte, sind jedo bereit, jedem anderen Volke die Ueberzeugung zu verschaffen, daß das deutsche Volk wie ein Mann binter seinem Kaiser steht. Was den Inter- essen des Vaterlandes, was dem notwendigen Schuß unserer nationalen und Kulturinterefsen dient, muß bewilligt werden, und werden wir bewilligen, auch wenn es sfich um neue Steuern bandelt. Dann verlangen wir aber nicht nur Schuß gegen das Ausland, sondern auch Schuß im Inland zur Wahrung des Friedens. In allen Fragen hat die Sozialdemokratie in leßter Zeit ihr wahres Gesi&t mit er- \hreckender Deutlichkeit gezeigt. Ich denke weniger an den leßten Parteitag und an die Behandlung der NRedakteure des Vorwärts und dergleichen, denn das ist nebensählich, sondern ih denke an die gewifsen- lose Vorbereitung von Mafsenstreiks. Die Sozialdemokraten wollen e ne Friedenépartei sein“ und begeistern sich für die russishen Ar- beiter, aus ibren Zeitungen und Reden klingt es heraus, daß überall die Regierungen vor der Macht des Proletariats zittern werden. Diese Verhäitnifse sollten nicht geduldet werden. Es kommt darauf an, daß die Regierung vorbeugt. Wir müssen gerüstet sein nah außen und innen, niht nur gegen den äußeren, fondern auch gegen den inneren Feind. Wir dürfen nicht Maßregeln fordern, die geeignet sind, Organisationen zu hafen, die der Arbeiter- \haft die Vorherrschaft in Deutschland sichern. Was den Etat bes trifft, so hat der Abg. Fritzen theoretisch gewiß recht mit seinem Vor- \{lage, alles aus demselben zu entfernen, was auf die neuen noch niht bewilligten Steuervorlagen Bezug hat, damit der Etat recht- zeitig fertig wird; aber praftisch würde ein solher Scritt nicht sein. Die Finanznot des Reichs ist ja nicht zu leugnen. (Die Aus- führungen des Redners über den Etat im einzelnen sind bei der Un- rube des Hauses auf der Journalistentribüne sehr s{hwer verftändlih.) Ob einzelne Abstriche rom Etat zu maten sind, wird in der Kommission zu überlegen sein. Zur Marineverwaltung können wir nach den ge- machten Erfahrungen volles Vertrauen baben. Einer Besprehung des Flottengeseßes möchte ih mih aber zur Zeit enthalten. Ich sage nur : die Nationen sind am besten für den YUEeR gerüstet, die zu kämpfen verstehen. Wir werden das Flottengeseß in der Kommission gewissen- haft prüfen. Dem Tabaksteuergeset steben wir sympathisch gegenüber, durchaus unsympathisch aber ist uns die Erbschaftssteuer. Wir erblicken darin eine Bedrobung der Finanzen der Einzelstaaten. Der Vorschlag des Abg. Fritzen ist vollends für uns unannehmbar. Wir wollen mit- arbeiten an der Sanierung der Reichsfinanzen und die neuen Steuern D soweit es die Ehre und die Woblfahrt der Nation ver- angt.

ierauf wird um 6 Uhr die Fortsezung der Beratung auf Sonnabend 1 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Herrenhaus. 3. Sizung vom 7. Dezember 1905, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Das Haus nimmt zunächst in einmaliger Schlußberatung den Geseßentwurf über die uenderung der Landes- grenze gegen das Großherzogtum Hessen zwischen den Gemarkungen Hüttengesäß:Neuwiedermus und Altwiedermus einem Antrag des Berichterstatters Grafen von Hutten- Czapsfi gemäß ohne Debatte an und geht dann zur allge- meinen Besprehung des Geseßentwurfs über die Be- fähigung für den höheren Verwaltungsdienst über.

Minister des Jnnern Dr. von Bethmann-Hollweg:

Meine Herren! Mit der Vorlage des Gesetzentwurfs über die Befähigung für den höheren Verwaltung®dienst stellt \sich die König- lihe Staatsregierung auf den Boden der Vorlage vom Jahre 1903, welche seinerzeit nicht zustande gekommen ift, daß heißt, fie unterzieht die geltenden Bestimmungen über die Vorbildung der höheren Ver- waltungsbeamten nur in demjenigen Stadium einer Reform, welches mit der Ablegung der ersten juristishen Prüfung beginnt. Unberührt bleiben die davor liegenden Abschnitte, insonderheit das juristische Studium und das Referendareramen. Diese Selbstbeshränkung hat ibren vornehmlihen Grund in der durch die Verhandlungen der früheren Jahre wobl vollbegründeten Besorgnis, daß eine Reform, welche jene beiden Abschnitte mit umfaßte, gegenwärtig kaum Auss- ficht hätte, durchgeführt zu werden. Die Ansichten darüber, ob und wie insonderheit das juristishe Studium umzugestalten sein würde, find fo geteilt und berühren vielfa Fragen, welche für den Deutschen zum Teil von so delikater Natur find, daß eine s{hleunige Einigung kaum erhofft werden könnte. Ich glaube auch, daß die Reform, welchz gegenwärtig geplant ift, an \fich völlig unabhängig ist von einer eiwaigen Reform des juristishen Studiums. Denn selbst wenn die Umgestaltung des juristischen Studiums dazu führen sollte, daß der Referendar aus der ersten Prüfung mit einem reiheren Schaß an Kennts nifsen des Verwaltungs- und Staatsrechts und der Volkswirtsaftslehre hervorginge, so würden diese Kenntnisse sich bestenfalls auf allgemein theoretishe und leiht zu Mißverftändnifsen führende Anschauungen beschränken und es nit entbehrlich machen, daß diese Anschauungen in einem reiferen Alter und in Anlehnung an die Praxis geläutert und vertieft werden.

Die Mängel des: gegenwärtigen Systems sind meiner Ansicht nah besonders darauf zurückzuführen, daß der vierjährige Vorbereitungédienft in zwei glei langen Abschnitten von je zwei Jahren auf die Gerichte und Verwaltungsbehörden verteilt ist. Die Folge ift, daß weder in den Disziplinen der Justiz noch in denen des Verwaltung8rechts eine einigermaßen abges{lofsene Bildung erzielt wird und eine weitere Folge ist die, daß die Referendare während der zweijährigen Vor- bereitung8zeit bei den Verwaltungsbehörden garniht im stande find- fih diejenigen theoretishen Kenntnisse anzueignen, welche in der iweiten großen Staatsprüfung verlangt werden. So kommt es, daß die Referendare zum großen Teil die spezielle Vorbereitung für die Prüfung auf die Zeit nach Absolvierung des Vorbereitungsdienstes

bei der Regierung verlegen, und ein drittes Vorbereitung?ftadium ent- steht: das der Prüfung, das bis zu einem Jahre und darüber hinaus dauert; hiermit find meiner Ueberzeugung nah Mängel \{chwerster Art verbunden, auf die ih in späterem Verlaufe noch zurückommen werde.

Nun besteht ja in vielen Orten die Ansiht, daß die Mängel, welhe aus der Zweiteilung des Vorbereitungédienstes auf Ge- rihten und Verwaltungs8behßörten bervorgehen, am zweckmäßigften beseitigt werden könnten, wenn man auf eine besondere Vorbereitung bei den Verwaltungsbehörden überhaupt verzihtete und die jungen Verwaltungébeamten aus\{ließlich aus Juristen rekrutierte, welche die ¿weite juriftishe Prüfung abgelegt haben. Die Königliche Staats- regierung vermag sich dieser Anshauung ebensowenig jeßt anzuschließen wie sie es îim Jahre 1903 gekonnt hat. Ih möchte es niht für an- geieigt halten, diefe Frage gegenwärtig von Grund aus zu erörtern, da sih das Herrenhaus im Jahre 1903 mit einem solchen Prinzip niht einverstanden erflärt hat. Nur das eine möchte ih bemerken, wenn vielfa, und vielleiht nit mit Unrecht, darüber geklagt wird, daß ein Teil der Verwaltungsbeamten zu sehr der Theorie zuneigt und Schwierigkeiten hat, seirce Tätigkeit den Forderungen dezs praktishen Lebens anzupafsen, dann soll man doch die Verwaltungs- beamten {hon in dem erften Vorbereitungéftadium mit den praktischen Verbältnifsen in Verbindung bringen und dann kann man nicht ungestraft auf einen Vorbeitungsdienft verzihten, der die Be- rührurg mit der Praxis des Lebens in sehr viel höherem Grade er- msgliht, als dies bei dem juriftishen Vorbereitungsdienst der Fall ift.

Es gibt des weiteren eine Ansickt, die ih als wohl beachtenswert binstellen möchte, welche eine einbeitlihe Vorbereitung der Juristen- und Verwaltungébeamten in dem Sinne anftrebt, daß auch die Jus risten in das Verwaltungsrecht praktisch eingeführt werden, wie dies in anderen deutshen Staaten, beispielsmeise in Bayern, der Fall ift. Ich habe mich nit entshließen können, diefen Weg im gegenwärtigen Moment zu verfolgen aus einem praktishen Grunde: ih glaube, daß eine derartige Reform eine so große Umwälzung aller Bestimmungen über den gesamten Justizvorbereitungsdiens und Verwaltungêvorberei- tungédienst herbeiführen würde, daß Jahre darüber vergehen würden, ehe wir zu dem Abs{luß irgend ciner Reform kämen.

Ich habe bereits eingangs gesagt, daß meiner Ansi&t nah unsere Verhältnisse der Vorbildung der Regierungsreferendare so dringend eine Abänderung erheischen, daß man damit niht warten soll, fondern daß man dasjenige, was man für erreihbar und gleibzeitig für zwed- mäßig hält, auch s{leunigft durhzuseßen suht. Der Entwurf kommt deshalb unter Beibehaltung der Zweiteilung des Vorbereitungsdienftes zwischen Gerihts- und. Verwaltungsbehörden und da einz Verlänge- rung der gesamten Vorbereitungszeit niht in Frage kommen kann, folgerihtig zum Schlusse, den Vorkereitungsdienst bei den Gerichten zu verkürzen. Der Entwurf {lägt Ihnen vor, ihn auf neun Monate zu bemessen, während die Häuser des Landtages im Jahre 1903 fi auf ein Jahr geeinigt hatten.

Ich spreche die Bitte aus, daß Sie fih mit diesen neun Monaten befreunden möchten. Neun Monate arbeitet der Gerihtsreferendar beim Amtsgeriht und mat in dieser Zeit einen Dienst dur, der immerhin in sich einbeiilich und abgeschloffen ist. Will man den Referendar, der ents{chlofsen is, zur Verwaltung überzutreten, zwingen, über diese neun Monate hinaus noch weitere drei Monate beim - Landgeriht:“ oder bei der Staatsanwalt- haft zu arbeiten, so werden diese übershüssigen drei Monate, wie ih besorge, in der großen Mebrzahl der Fälle eine ver- lorene Zeit sein. Son äußerlihe Umstände erschweren es, diese Spanne Zeit fru@tbringend zu benußen. Vielfah wird mit dem Uebertritt vom Amtsgeriht zum Landgeriht ein Wechsel des Auf- enthalts8orts verbunden sein, der im Zusammenhang mit dem drei Monate später erfolgenden Umzug an den Siß der Regierung so viel Unruhe in das Leben des Referendars bineinträgt, daß von einer ge- sammelten Arbeit nicht wobl die Rede scin kann. Daß im übrigen die Auétsiht, der Justiz binnen kurzem den Nücken zu kehren, leiter gestimmte Seelen niht gerade zu besonders intenfiver Arbeit anreizt, das liegt meiner Ansicht nach nahe und ift verständliß; ohne eine angestrengte und gesammelte Arbeit werden aber auch die begabten Elemente in einer Zeit von nur drei Monaten in die komplizierten Verhältnisse der Land- gerihte nit so tief eindringen können, daß sie von dort einen wirklihen davernden Nußen für das Leben mit hinwegnehmen. Wir müfsen eben meiner Ansicht nach auf das Verlançen verzihten, die dem- näâchstigen Verwaltungsbeamten in alle einzelnen Fächer des Gerichts- dienstes einzuführen, uns vielmehr dabin bescheiden, sie mit den un- entbebrlihen Grundlagen bekannt zu mahen. Theoretisch ift es gewiß kaum mögli, bierfür eine allgemein“ gültige Spanne Zeit festzuseßen : niemand wird rahweisen können, daß neun Monate an sich dafür genügen, niemand, daß neun Monate zwar zu kurz seien, wohl aber ¡zwölf Monate ausreihten. Es bleibt somit nichts anderes übrig, als sih den Forderungen anzupassen, die die Justiz an die Jünger, die ihr auf die Dauer treu bleiben, rücksi{tlich ibrer grundlegenden Ausbildung stellt, und das if tie Vorbildung beim Amits- geriht. So is der Entwurf zu den neun Monaten gekommen. Mit dem Uebertritt des Referendars vom Gericht zur Verwaltungs- behörde gelangt der Entwurf án die Klippe, an der die Vorlage des Jahres 1903 gescheitert ist: an die Frage, von wem der Regierungs- referendar anzunehmen ist. Der Entwurf weist diese Funktion dem Regierungépräsidenten zu, bleibt damit in Uebereinstimmung mit dem geltenden Recht und stebt auf demselben Standpunkt, den das Herren- haus im Jahre 1903 eingenommen hat. Ih glaube deshalb, an dieser Stelle niht näher auf diese Frage eingehen zu sollen, möchte aber auch hier die Hoffnung aussprehen, daß das Abgeordnetenhaus den Erwägungen beitreten wird, welche zur Löfung der Frage in dieser Form geführt bab-n. Für mich ist die Frage eine reine Zweckmäßig- keitsfrage, aber eine Zweckmäßigkeitsfrage allerdings von großer praktischer Bedeutung. Wenn nach dex Absicht des Entwurfs für den Vor- bereitungsdienst bei den Verwaltungsbehörden drei Jahre und drei Monate frei werden, so wird es, wie ih hoffe, möglich scin, den Vorbereitungédienst bei den Verwaltungebehörden auf gesündere Grundlagen zu stellen, als es die heutigen find.

Zunächst wird es mögli sein, die Dauer der Beshäftigung des Referendars beim Landrat von 6 Monaten auf mindestens 12 Monate zu verlängern. Hierauf lege ih einen ganz besonderen Wert. Warum ih es tue, und weshalb ich wünsche, daß der Referendar gerade beim Landrat intensiv und andauernd arbeitet, daß, glaube i, brauhe ih vor diesem hohen Hause nicht näher zu begründen

Aber au die Vorbereitungszeit, welhe bei der Kegierung einschlie lid des Bezirksausshusses zurückzulegen ift, verlängert sih niht unwesent- lih, im Dur(schnitt um 2} Jahr, und errciht damit die Zeit von Jahr. Meine Wünsche gehen nit dahin, daß diese verlängerte Zeit mit der Entwerfung von mehr oder minder instruktiven Ver- fügungen durch die ganze Kette der großen und fkleiren Dezernate auëgefüllt werde. Es wird die Tätigkeit vielmehr meiner Absicht na auf die wihtigeren Dezernate zu konzentrieren sein, und neben und während der ganzen Dauer der Beschäftigungszeit sollen meinen Ab- sichten nah die Referendare unter der Leitung eines geeigneten Regierung8mitgliedes in einem seminaristisch zu geftaltenden Kurfus vereinigt werden und es foll ihre theoretische Ausbildung in Anlehnung an die Praxis systematisch gefördert werten. Son gegenwärtig haben die Negierungépräsidenten vielfach ähnlihe Einrihtungen mit gutem Erfolg getroffen. Aber die entsprehenden Einrichtungen leiden darunter, daf die verfügbare Zeit zu kurz und die Anzabl der zusammenzufaffenden Referendare, namentlich an den fleineren Regierungen, zu gering if. Dem ersteren Mangel werten die allgemeinen Bestimmungen des

Entwurfs, wie ih hoffe, abhelfen. Dem zweiten beabsichtige ih damit

zu begegnen, daß die Referendare mehr wie bisher bei den größeren Regierungen zusammengezogen werden. Die Vorteile, die ih von allen diesen Einrichtungen erwarte, sind doppelter Art. Zunächst wind es in dieser verlängerten Zeit, wie ih hboffe, möglich sein, die Referendare auch nach der Richtung ihres theoretishen Wifsens während der Vorbereitung2zeit bei den Regierungen fix und fertig für die Prüfung vorzubereiten, und in zweiter Linie werden die Regierungs- präsidenten in die Lage verseßt werden, die Qualifikation der Referen- dare viel besser als biéher und so eingehend zu beurteilen, daß das von ibnen auégeftelte Zeugnis von entsheidendenm Sewitht bei der Prüfung sein kann. Damit komme ich ¡u dem Prüfungéstadium, defsen gegenrärtige Mängel ih eingangs gefheift habe. Die Sache vollzieht fih gegenwärtig in der Regel so, daß die Neferendare nach Abs{hluß des Vorbereitungsdienstes bei den Re- gierungen hierher nach Berlin übersiedeln. Hier machen fie pwei größere wissenshaftlihe Arbciten, für deren Anfertigung ibnen je fechSs Wochen zur Verfügung stehen, die auf aht Wochen verlängert werden können. Mit dem Zeitraum, der vor der Erteilung der Themata ver- streicht, erfordert dieser scriftlihe Teil der Prüfung im ganzen wohI fünf Monate. Schon während diefer Zeit, vornehmlich aber hinterher, vereinigen \ih die meisten Refcerendare bei einem Repetitor, um in möglichft gedrängter Weise sih denjenigen Wissensftof gedähtniëmäßig anzueignen, der für die zweite Prúfung für erforderlih erahtet roird..

Und dann kommt diese zweite Prüfung, für viele ein Tag der ernsten Besorgnis, der wie fast alle Prüfungen von Zufällen ni&t frei ift. Ich glaube, man kann über den Wert dieser Einrichtung sehr vershiedener Ansicht sein. Wifsenschaftlihe Arbeiten, für deren Anfertigung zwei Monate zur Verfügung gestellt werden, stellen, wenn sie etwas anderes sein sollen als eine Kompilation aus der einschlägigen Literatur, an das Wissen und vor allem an die Urteilékraft der Prüflinge Anforderungen, welckhe vielfah über das Vermögen eines Referendars weit birausgehen. Das System der Einpaukerei {aft keine dauern- den Werte und der Druck, den eine fih über ein Jahr erfireckende Prüfungszeit auf die Lebensfrishe des Menschen ausüben kann, ist vielfack äußerst verderblich. Die mündlihe Prüfung selber räumt Zufällen, meiner Ueberzeugung nach, unverantwortliße Rechte ein. Diese Miß- stände unter dem gegenwärtigen System zu beseitigen, bält äuferft s{wer. Die Zeit von zwei Jahren bei den Verwaltungsbehörden ift eben zu kurz, als daß sih innerhalb dieser die Neferendare neben ihrer prak- tishen Tätigkeit das erforderlide Maß des theoretischen Wissens an- eignen könnten. Sie ist auch zu kurz, um die Regierungspräfidenten in die Lage zu verschßen, aus der gesamten Tätigkeit des NReferendars diejenigen Schlüfsfe zu ziehen, welhe gegenwärtig, der Hauptsaße nah aus der Prüfung gezogen werden müfsen. Wird die Ihnen vorgescklagene Reform Geseß, so wird auch an eine Reform der Prüfungen im allgemeinen berangetreten werden können. Ich bin nicht in der Lage, Ihnen zur Stunde abshließende Vorschläge in dieser Beziehung mitzuteilen, glaube aber ich fpreche zunächft von meinem perfönlihen Standpunkt aus das in Aussicht ftellen zu können, daß der \riftlihe Teil der Prüfung so weit abgekürzt wird, daß der Referendar eine geringe Anzahl von Wochen, nahdem er die Regierung verlaffen hat, in die mündliche Prüfung eintreten kann, und tiese mündliche Prüfung wird so gestaltet werden fönnen, daß der Referendar, der seine Zeit bei der Regierung mit Flei! und Ausdauer ausgenußt hat, fie bestehen kann, otne fic dem QDrill des Einpaukers hingeben zu müssen. So hoffe ih, daß der Entwurf niht nur eine gränd- [lichere, immer mit der Praxis Füblung behaltende Ausbildung der Negierungsreferendare in Verwaltung®êrecht und Verwaltungépraxis berbeiführen wird, sondern es wird auch der Vorteil erreiht werden, daß die Referendare in etwas jüngerem Lebensalter als gegenwärtig die Affsefsorenprüfung ablegen. Gegenwärtig wird diese Prüfung mit 29+ bis 30 Jahren absfolviert; das ist unendlih spät. Das Lernen soll ja gewiß nie aufhören; aber am meisten lernt man doch, nit nur nah der Seite des Wissens, sondern auch nah der Seite des Charakters bin, wenn man in einec selbständigen und verantwortungsvollen Arbeit stebt, und da glaube ih, werden Sie alle, meine Herren, es mit mir beklagen, daß bei uns die jungen Verwaltungëbeamten in einem so späten Alter aus ter Unselbfständigkeit und Ver- antwortungélosfigkeit berauétreten. In anderen, doch auch tatkräftigen Nationen ftebt der junge Mann mit dreißig Jahren mitten im Leben, und auch bei uns in Deutschland blickt er im gleichen Alter in anderen Berufen auf Jahre zurück, in denen die Frische, die Entshluß- fähigkeit und die Tatkraft des jugendlihen Alters vielfah die besien Leistungen des ganzen Lebens bereits vollbraht haben (Sehr rihtig?) Der Entwurf ist von dem Bestreben diktiert, die Frishe und Leistungsfähigkeit unseres Verwaltungskörpers auß nach dieser Rihtung bin zu erhôten. Ich bitte Sie, meine Herren, unterziehen Sie seine Bestimmungen, die ich einstweilen nur in einigen Haupt- rihtungen furz anzudeuten mir erlaubt habe, einer wohlwollenden Prüfung. (Bravo!)

Oberbürgermeister F u ß - Kiel: Meine Freunde find auch davon durdrungen, daß der Entwurf durchaus wichtig ift, aber leïder Find meine Freunde zu der Ueberzeugung gelangt, daß die Wichtigkeit des Gegenstandes durch den Entwurf niht erschêpft ift. Wir tr- bliden in der faft unveränderten Wiedervorlegung des früherez Entwurfs eine {were Enttäushung. Wir wollen ihn aber nit von vornherein ablehnen, sondern erkennen die Notwendigkeit einer Prüfurg in einer Kommission an, aber wir meinen, daß die Komw-

missionéverhandlungen die Regierung überzeugen werden, daß es befser wäre, unter diesen Umftänden noch eine Zeitlang die jehige?

Bestimmungen aufrecht zu erhalten und die Reform weiter hinaus- sieben. Erft vor drei Jahren schien die Regierung über- eugt, daß eine Reform der Vorbereitung zum böheren Verwaltungs- dienst nicht ma sei obne eine Reform des akademis{en Studiums der Juristen. e vorhandenen Schwierigkeiten follten nicht davon abhalten, abermals einen Versu zur Ln Os Frage ¡zu machen. Der neue Entwurf will die Dauer der Vorbereitungszeit bei den Ge- rihten auf neun Monate reduzieren, während der Entwurf vor zwei Fahren eine Vorbereitung von einem Jahr vorsah, aber schon die Minister des Innern und der Finanzen ermächtigte, die Zeit auf neun Monate abjukürzen. Da die Minister von dieser Ermächtigung fiberlih Gebrauch gematht hätten, ift diese jeßige Aenderung nicht von aroßer Wichtigkeit. Aber die zweite Aenderung liegt darin, daß das Abgeordnetenbaus die Referendare durch die Minister angenommen wissen wollte, während den Regierungspräsidenten nur die mehr formale Ernennung überlaffen blieb. Die Regierung und das Herren- haus ftanden damals jedech auf dem Standpunkt, daß die Referendare allein von den Regierungépräfidenten angenommen werden sollten. Im ábrigen unterscheidet fich der jeßige Entwurf von demjenigen vor zwei Jahren nur redaftionell, der Entwurf scheiterte damals [lediglih an der Bestimmung des § 4, wer die Regierungsreferendare annehmen sollte. I wollte damals für eine vermittelnde Lösung eintreten, entsprehend dem Vorshlage des Abg. von Savigny. Ich bätte nicht gedacht, daß an dieser Frage ein solcher Geseßentwurf s{heitern könnte. Ist die Regierung in der Notlage, daß die Vorbereitung der Regierungs- referendare geändert werden muß, dann follte diese Frage zurücktreten. Andernfalls müßte man den Gefeßentwurf ablehnen und die Reform auf eine günstigere Zeit vershieben. Die Vorlage regelt nur die Vor- bereitung der aus der Iustiz bervorgegangenen höberen Beamten, während doch ncch die Teilnahme vieler anderer Kreise, z. B. der Techniker, an der Verwaltung wünsbenswert ist. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß eine juristis&e Durchbildung für den höberen Verwaltungédienst unerläßlich ist. Es streiten jeßt humanistische und realistische Bildung, und eine neue Bewegung ist auf die Reformshule gerihtet. Sollten wir mit Rücksicht hierauf die vorgeschlagene Reform nicht aufshieben, bis sie praktisch un- erläßlih geworden ,„ ist? Jch halte noch immer die bis zum Jahre 1879 bestehende Einrichtung für das allein Rationelle und Richtige, daß die Trennung der Juristen und Verwaltungébeamten erst nah der ¡weiten Prüfung eintritt. Die Refolution unserer Fraktion, welhe vor zwei Jahren zugleih eine Reform des juristishen Studiums vor- s{lug, wurde damals von diesem Hause abgelehnt; man meinte, daß fie mit der Annahme des damaligen Entwurfes in Widerspruch stände. Wir wollten aber den Entwurf als ein Notgeseß gleihwobl an- nehmen. Durch die Beschäftigung beim Amtsgericht soll der Referendar vor allen Dingen lernen, daß die Staatsinstitutionen ter Menschen wegen da find und nickt umgekehrt. Dann aber können Sie die 9 Monate der Beschäftigung beim Amtsgericht ganz streichen, denn das lernt der Verwaltungsbeamte in jedem Stadium seiner Vorbereitung. Ih würde statt dessen noch die Beschäftigung beim Landgeriht für besser halten. Will wan eine frübzeitige Trennung, so mag man lieber gleih nah dem Referendarexamen damit beginnen. Jh beantrage die Ueberweisung der Vorlage an eine Kommission von 15 Mitgliedern und äußere noch den persönliten Wuns, daß ih aud Kommissare des Justizministers an der Kommissionéberatung beteiligen mögen.

Herr Dr. von Dziembowski: Ih kann mih auf den Stand- punkt des Vorredners nicht stellen. Ich erkenne in der Vorlage erhebliche Vorzüge und Fortschritte. Sie bezweckt die Beseitigung einer gewissen Halbbeit. Ießt ift weder eine volllommen juristishe noch eine vollfommen administrative Ausbildung möglih. Zwei Hälften maten nicht immer ein Ganzes. Ein weiterer Vorzug der Vorlage ist, daß fie den Vorbereitungs- dienst auf den Verwaltungsdienst zuspißf, und daß fie es ermög- lit, das zweite Examen früher abzulegen als bisher. Allerdings wurden früber in Preußen die Verwaltungsbeamten erft nach dem Afsefsorexamen ausgewählt, aber seitdem haben die Verkbältnifse fich doh wejentlich geändert. Die Sozialpolitik, die Steuerpolitik, die WVirtschaftspolitik, die kommunale Verwaltung haben sich inzwischen ganz anders entwickelt, deshalb vergeht für die Vorbereitung im öffentlichen Recht eine geraume Zeit. Wollte man beute Lo erst aus den Afefsoren die BVerwaltungsbeamten nehmen, so müßte man an ein Nachexamen denken, um ihre Befähigung dafür zu prüfen, und vor einem solcken Schritte würde ich dech warnen. Für die juristische C, ift gerade die Tätigkeit beim Amtsgericht geeignet. Diese juristische Ausbildung ganz fallen zu lafsen, davon würde ich ent- schieden abraten. Dabei lernen die Referendare zunächst einmal die auf der Universität erworbenen wissenshaftlihen Kenntnisse praktis verwerten. Ich halte es für praktish, diese juristishe Vorbereitung nah 9 Monaten abzubrechen und die prafktishe Verwaltungs- ausbildung fester als Ziel ins Auge zu fafsen. Wer anerkennt, daß die Vorlage dieses Gute bringt, darf fie niht ablehnen, um ein vermeintlich Besseres zu wollen, das nit zu erreichen ift.

Herr Dr. Hamm: Am besten hat mir die Aeußerung des Ministers gefallen, daß er frish-, junge Beamte in die Verwaltung bineinbringen will, aber die richtige Konsequenz bat der Minifter nicht gezogen. Das Beste lernt der Beamte im praktishen Dienst selbft. Er darf niht immerfort auf der Schulbank fißen, und deshalb sollte die Vorbereiturgszeit nicht allzu sehr ausgedehnt werden. Der junge Beamte braucht nicht in allen Dezernaten praktis gearbeitet ¡u baben ; auf das eigene Judicium, die Entschlußfähigkeit und die Frishe des Beamten sollte es bei der Prüfung hauptsächlih ankommen. Wir alle freuten uns über den großen Stil der beiden Vorlagen vor drei Jahren, als zuglei die Vorbereitung zum Verwaltungédienft und das juristishe Studium reformiert werden sollten. Was ist davon übrig geblieben? Wenn wir dieses Not- gesez annehmen, kommen wir erst recht nicht zu einer Reform des juristischen Studiums. Für die Verwaltung geschieht hier alles, für die Justiz nihts. Die Justiz ist jezt durhaus einseitig, fie muß aber für die Verwaltung Verständnis bekommen, denn sie joll doch die Verwaltung unterstüßen. Dazu müßten auch die Juristen im Verwaltungsédienst beschäftigt werden, damit niht mehr ein doftrinärer Richter die Verwaltung hindern kann, ftatt fie zu fördern. Die Tätigkeit von neun Monaten beim Amtsgericht ist gar nichts wert, denn was brauht der Verwaltungsbeamte Protokolle und dergleichen schreiben zu lernen? Ih würde lieber vorschlagen, daß der Referendar sechs8 Monate beim Amtsgeriht und drei Monate beim Landgericht beschäftigt werde, damit er wenigstens das Referieren lerne. Dur ein solches kleines Not- und Flidgese wird die große Reform auf Jahre hinaus verschoben. Meine Ansicht ist, daß die Trennung der Juristen und Verwaltungsbeamten möglichst spät, nämli erst nah dem Affsessorexamen eintreten sollte. Wir sollten versuchen, eine weitgebendere Reform zu erreihen, wie die Regierung vor drei Jahren vorschlug. Mit einer Kommissionsberatung bin ih einver- landen, dcch fönnen wir ter Regierung dazu Mut machen und ihr andeuten, wie wir die Reform wünschen.

Minister des Fnnern von Bethmann-Hollweg:

Meine Herren! Jch bitte um die Erlaubnis, nur auf einige wenige Punkte zu erwidern, die der erste und der leßte Herr Vor- redner berührt hat. Die Hauptarbeit wird der Kommifssion- vorbe- balten bleiben müssen. Ih fürchte, ih bin namentlich von Herrn Hamm in meinen Ausführungen mißverstanden worden. Seine Aus- fübrungen schienen mir dahin zu gehen, als beabsichtigte id, den Vor- bereitungsdienst zu verlängern. Davon ist keine Rede. Im Gegen- teil. Der Vorbereitungsdienst soll 4 Jahre dauern, wie bisher, aber das Prüfungsstadium, das gegenwärtig häufig ein Iahr erfordern foll, auf wenige Wochen ermäßigt werden. Dadurch können § Jahre gewonnen werden. Ich habe also sehr wohl die Konsequenzen meiner S gezogen, welhe dahin gingen, daß wir jüngere Beamte

Es is mir weiter vorgeworfen, ich wäre bei der Reform zu resigniert vorgegangen, und Herr Fuß hat mir speziell vorgeworfen, der Entwurf enthi-lte weiter nihts als der Entwurf vom Jahre 1903. Zunächst weiß i niht, was daran tadelnêwert ist. Der Ent- wurf vom Jahre 1903 hat die Billigung des Herrenhauses und des Abgeordnetenhauses gefunden bis auf die eine Bestimmung wegen der Annahme der Referendare. Ift es da von vornherein ein testimonium paupertatis, wenn ih auf diesen selben Entwurf zurückgreife und wenn ih bezüglich der Wirkung, die er ausüben soll, ibn so aus- gestalte, daß, wovon damals nicht die Rede war, eine Reform des Examens herbeigeführt wird, welche uns È Jahre einbringt? Ich meine, die Kritik ift nah dieser Rihtung hin etwas scharf gewesen. Soviel ih verstanden babe, r ünschen die Herren Fuß und Hamm eine einheitlihe Ausbildung sowohl für die Juftizbeamten wie für die Nerwaltungsbeamten, und zwar in der Form, daß auch die Justiz- beamten bei Verwaltung8behörden beschäftigt werden. Allerdincs führten einzelne Ausführungen des Herrn Fuß zu der Annahme, als ob er im Resultat darauf hinau8wollte, die Verwaltungsbeamten aus der Justiz in der Weise zu entnehmen, wie es früher bis zum- Jahre 1879 geschehen ift.

Dabei ift gesagt worden, die Tätigkeit beim Amtsgericht sei nußlos und diejerige beim Landgeriht notwendig. Ih bin andrer Ansicht; nußlos ist meines Erachtens die Tätigkeit beim Amtsgericht vit; es kommt auf den Amtsrihter an, dem die Ausbildung des Referendars obliegt. Uebricens aber kann man einen jungen Mann, der von der Universität kommt, nicht sofort beim Landgericht bes \chäftigen. Ein Vorbereitungéestadium beim Amtsgerihi muß voran- gehen, und wenn dann die Tätigkeit beim Landgericht nüßlich sein soll, dann wird eben doch der gesamte Vorbereitungsdienst bei der Justiz zurückgzelegt werden müssen. Es is ferner behauptet worden, die gemeinshaftlize Vorbildung der Justiz- und Ver- waltungsbeamten in dem Sinne, daß au die Juftizbeamten in Ver- waltungsfächern beschäftigt werden, sei praktish durchführbar. Herr Hamm hat hieran Ausführungen über die unglüdcklihe Absonderung der Justiz von der Verwaltung geknüpft, die mir ganz aus der Seele gesprochen waren. Ih muß indes meine Worte in dieser Beziehung vorsihtig wählen, weil fie in das Justizrefsort hinübergreifen. Ich bin deshalb selbftverständlih auch niht in der Lage, zu erklären, ob der Herr Justizminister und das Staatsministerium auf den Gedanken der Be- schäftigung au der Gerichtsreferendare in der Verwaltung eingehen können. Daß dieser G@danke praktish so leiht dur{führbar sei, wie angenommen wurde, muß ih entschieden bezweifeln. Bei der Justiz wurden im Jahre 1904 6154 Referendare beshäftigt. Die Anzabl der Regierung8referendare wird ungefähr 250 betragen. Nun, meine Herren, wir haben {hon gegenwärtig bi2weilen S{hwierigkeifen, diese 250 Regierungéreferendare immer bei solchen Landräten unter- zubringen, die nah den gesamten Verbältniffen in der Lage find, die Herren wirklich gut zu unterweisen. Sollen und können die Justiz- referendare nur eine relativ kurze Zeit bei Verwaltungébehörden be- \chäftigt werden, dann werden auh fie jedenfalls die Landratéftation durhmaden müssen, denn eine Beschäftigung nur bei den Regierungen würde ungenügend sein. Nun frage ih fie, wie soll ich gegen mehr als sechstausend Referendare überhaupt nur bei Verwaltungsbehörden, ges{hweige denn bei den Landräten unter- bringen! Die praktishen Schwierigkeiten, die dabei zu überwinden wären, find so große, daß ih wobl nit so ganz unrecht habe, wenn ih behaupte, daß das Stellen der Reform auf eine so breite Grunds lage fie ad calendas Graecas vertagen beißt. Das aber, meine Herren, würde ih, wie ih wiederbole, aufs tiefste beklagen. Aus den Ausführungen des Herrn von Dziembowski habe ih die Bestätigung einer Anerkennung bekommen, daß es so, wie es gegenwärtig bergebt, niht weiter gehen kann, und au die Kritik, die die Herren Fuß und Hamm vielleicht ungewollt an den gegenwärtigen Einrichtungen geübt baben, führt zu demselben Ergebnis. Sie können es mir darum wirklich nicht verargen, meine Herren, wenn ih den dringenden Wunsch habe, daß die gegenwärtigen Verbältnifse bald gebessert werden. Die Vorschläge, die ih Ihnen unterbreitet habe, werden aber Ver- befserungen herbeiführen, wenn auch niht in der Form die Ihnen vors{webt in einer Form, die ih eben zunähst praktish niht für durchführbar halten kann.

Aber ih glaube, weitere Ausführungen find auf die Kommisfion zu vershieben. Nur eins muß ih noch erwähnen: Herr Fuß hat ih mit der persönlichen Bitte an mid gewandt, dafür zu sorgen, daß ein Kommissar des Herrn Justizministers an den Kommissioneverhand- lungen teilnehme. Diese Bitte zu erfüllen, bin ih niht kompetent. Wenn das Herrenhaus den Wursh ausëspriht, daß ein Kommifsar des Herrn Justizministers an den Kommissionsverhandlungen teilnehme, so bin ih nicht zweifelhaft, daß der Herr Justizminister dem Wunsche Rechnung tragen wird.

Herr von Wedel-Piesdorf verzichtet auf das Wort.

Darauf wird die Vorlage einer Kommission von 15 Mit- gliedern überwiesen. Auf die Frage des Präsidenten {ließt ich das Haus dem Wunsche einer Teilnahme eines Kommissars des Justizministeriums an der Kommissionsberatung an.

Séluß 3 Uhr. Nächste Sißzung unbestimmt, vorausfiht- lich am 20. Januar 1906.

Handel und Gewerbe.

Schon wiederholt ist an dieser Stelle vor einem Schwindler ewarnt worden, der von London aus unter den verschiedensten amen Stellung suchenden Personen feine Vermittlung an-

bietet und sie, falls fie diese in Anspruch nehmen, ausbeutet. Seit Ls Zeit betreibt dieser Schwindler au ein Heirats- vermittlungsbureau und sucht besonders Personen, die in Deutschland aus irgend einem Grunde die Ehe nicht eingehen können, dadurch anzulocken, daß er sich anheischig macht, ihnen zum Eheabshluß in England zu verhelfen. Diejenigen, die sih hierauf einlassen, haben dem Vermitiler Ane isa hohe Gebühren zu zahlen, und segen si, selbst wenn die Ehe in England der Form nah ordnungs- gemäß zum Abschlusse gelangt, der Gefahr aus, daß ihre Bu in Deutschland nicht anerkannt wird.

achdem sih der Schwindler eine Zeit lang der Firmen- bezeihnung E. Theobald 58 Glouceïter Road Pimlics

London SW. bedient hat, verbirgt er fich neuerdings unter leiher Wohnungsangabe hinter dem Namen eines anscheinend Uberhaupt nicht existierenden „Vereins deutsher Gastwirte“.

Er erläßt in gelesenen deutshen Zeitungen Anzeigen, in denen der Verein, angeblich auf Veranlassung englisher Behörden auf Bestimmungen der englischen Gesehe über die Vermittlung von Eheshließungen und auf die Kosten der Eheschließung in England hinweist und fi zur fkostenfreien Auskunft über die den Aufenthalt Deutscher daselbst betreffenden Geseßesvor- schriften bereit erklärt. Da es dabei allem Anscheine nah wiederum lediglich auf eine Ausbeutung derer, die sich mit dem „Verein“ in Verbindung seßen, abgesehen if, kann davor nur auf das Dringendfte gewarnt werden.

(Aus den im Reih38amt des Innern zusammengestellten

„Nachrichten für Handel und Industrie.) Großbritannien und Rumänien. Handelsvertrag zwishen beiden Ländern. Am 31. Ok- tober d. I. ift in Bukarest von den rumänishen und den britischen Vertretern ein neuer britis{-rumänisher Handelsvertrag unterzeihnet, der neben der Meistbegünftigungsklausel einen rumänischen Vertrags8- tarif zugunsten verschiedener britischer Waren enthälk. Die Möglich- keit des Anschlusses der britishen Kolonien und Besitzungen ift im Vertrage vorgesehen. Die Vertragsbeftimmungen und insbesondere die Vertragszôlle sollen der Verabredung gemäß nicht eher, als bis der Vertrag der rumänishen Kammer vorgelegt ift, und keinesfalls vor Ende des laufenden Jahres veröffentliht werden. (Das Handel®- Museum.)

Außenhandel Großbritanniens im Jahre 1904.

Das Jahr 1904 hat, wie das Vorjahr, im allgemeinen noch unter den Folgen des induftriellen und finanziellen Druckes gestanden, den der südafrikanishe Krieg herbeigeführt batte, d machten fh in den Teten Monaten des Jahres Anzei#en einer Besserung der all- gemeinen Lage bemerkbar, die die Hoffnung auf günstigere Verbält- nisse für die näbste Zukunft rechtfertigen. Fabrikanten, Kaufleute und Gewerbetreibende bliden zumeist auf ein wenig geschäftêreihes und wenig gewinnbringendes Jahr zurück, und wie die Kaufkraft im Lande durch die infolge des südafrikanishen Krieges gestiegenen Laiten geshmälert war, fo baben auch der ruffis{-japanisch Krieg und die Ungewißheit über die Gestaltung der inneren Wirtichafts- politik vielfa dazu beigeiragen, Unsicherheit zu schafffen und Handel und Industrie zu bemmen und zu ershweren. Mögen au Handel und Industrie, namentlich was den Absatz und den Verbrauch im Inlande anlangt, in den leßten Jahren schwere Zeiten durchgemaht baben, im großen und ganzen zeigen die wihtigeren Induftrien und Erwerb2zweige doch eine rege Tätigkeit. Während denn auch der Außenhandel, sowobl in der Einfubr als in der Aus- fubr, eine Zunabme gegen das Vorjahr aufweist, bat, wie aus ver- schiedenen Anzeichen zu schließen, ter einheimishe Handel allerdings einen Rückgang gegen das Vorjahr zu verzeihnen. Statiftishe An- gaben über Produkticn und einbeimishen Verbrauch liegen nicht vor ; es fkfarn taber nur von anderen wirtschaftlihen Verbältnifsen; die von dem einheimischen Handel beeinflußt werden, ein Nückschluß auf die Geftaltung des leßteren gezogen werden. So weist in erster Linie der Eisenbahnverkehr, troß des vermehrten Außenhandels, beim Warentran£port noch einen Rückgang der Einnahmen - auf. Es betrugen îim Jahre 1904 die Einnahmen vom Warentran8port 24 039 400 Pfd. Sterl. gegen 24 141 300 Pfd. Sterl. im Jahre 1903. Ein weiteres Anzeichen dafür, daß der einbeimishe Handel kein günstiges Ergebnis aufzuweisen hatte, bildet der Geshäftsumfang des Clearing House, der niht eine der Zunahme des Außenhandels ent- sprechende Zunahme zeigt. ;

Auch die Arbeitsstatifstik ergibt für 1904 etwas ungünstigere Ver- bältnifse als im Vorjabre. Ein größerer Prozentsaß von au8ge- bildeten Arbeitern war beshäftigungslos, und die Zabl der von den Arbeitervereinigungen unterstüßten Arbeiter etwas größer als im Vor- jahre. Die seit 1901 eingetretene weihende Bewegung îin den Whnen matte fih auh im Jahre 1904 ziemlich in gleihem Maße geltend wie im Vorjabre, wenn auch weniger ftark als 1901 und 1902. Immerhin ift der Rückgang der Löbne niht so bedeutend ge- wesen, daß die vorausgegangene, bedeutende Steigerung ganz auf- gehoben wäre. Günstig zeihnete sich das Jahr aus dur den voll- ständigen Mangel größerer Arbeitseinftellungen infolge von Streiken. Im großen und ganzen war die Lage der Arbeiter wobl nicht ganz fo s{limm, als die wahsende Zabl der Unbeshäftigten in einzelnen größeren Städten sie wobl erscheinen laffen könnte, wurde aber da, wo sie bestand, durch mannigfade Verteuerungen notwendiger Lebens- mittel, wie Tee, Zucker und Tabak, vers{limmert. Für weniger günstige Ergebnifse des einheimischen Handels spricht endlih auch die Zunahme der Falliten, die für das Jahr 1904 auf 5388 angegeben wird gegen 5094 im Jahre 1903.

Die Geschäftslage der wihtigeren Industrien gestaltete fih im wesentlichen folgendermaßen: Die Baumwollenindustrie Sroßbritanniens, die dur den amerifanishen Baumwollenring umso s{werer gelitten hat, als sie sh nicht rechtzeitig mit dem r.êtigen Rohmaterial ber- sehen hatte, war während eines großen Teils des Jahres 1904 ge- nôtigt, ihren Betrieb zu vermindern oder ganz einzustellen. Gegen Ende des Jahres 1904 trat infolce der guten Aussichten der neuen Ernte der langersehnte Umshwung ein. Mit den zunehmenden Zufuhren von Baumwolle stellten fich auch umfangreihe Be- stellungen bei guten Preisen ein, und am Schlufse des Jahres waren überall infolge der verbrauhten Lager und guten Nachfrage seitens der östlihen Absaßzgebiete die Fabriken voll beshäftigt. Die in den leßten Jahren bereits {wer gedrückte Wolleninduftrie Groß- britanniens batte aub im Jahre 1904 unter einer Neibe widriger Umstände zu leiden. Die allgemeine wirtschaftliche Depression, die die Kaufkraft der Verbraucher {wächte, wurde durch die Krifis in der Baumwollenindustrie verschärft, die hauptsächlich die als Abnehmer für Wollenwaren stark in Betracht kommende Bevölkerung in Lancasbire shwer bedrüdte. Die Trockenbeit in Auftralien, die großen Schlach- tungen von Schafen in Neuseeland und Südamerika für den Handel in gefrorenem Fleisch und verminderte Schuren in Nordamerika, in Großbritannien selbst und anderwärts erschwerten Wollhandel und «industrie. Der Krieg zwishen Rußland und Japan brachte zwar reihlihe Aufträge für Decken und Armeetuhe; während aber hier- von die Fabrikation {hwerer Wollenftoffe profitierte, ftiegen die Preise für die ordinäre Kreuzzuhtwolle derart, daß die übrigen Fabrikanten nit mehr mitgehen konnten, sodaß die Wolleninduftrie im ganzen von dem Kriege ansheinend mehr Schaden als Nußen hatte. Auch sind zunächst keine Aussichten auf Befserung der Lage vorhanden, da eine reichlihere Wollenzufuhr nicht zu erwarten ift. Die Juteindustrie war namentlich in der zweiten Hälfte des Jahres gut beschäftigt und weist im ganzen ein ziemlich günstiges Ergebnis auf, wenn auch die gesteigerten Jutepreise in einzelnen Zweigen nahteilig empfunden wurden. Die Leineninduftrie klagt mit wenig Ausnahmen über s{hwierige Verbältnifse, namentlich infolge der durch Spekulation in die Höhe getriebenen Preise des Nohmaterials. Der Koblenbhandel erfuhr im Jahre 1904 eine weitere Ausdehnun woraus andere Geshäftézweige, wie das Tranéëportgeschäft und inaite Nebeninduftrien, ebenfalls Nutzen gezogen haben. Die Eisens induftrie hatte während des größten Teiles des Jahres mit shleppenden Marktverbältnifssen zu rechnen. Erst in den leßten Monaten des Jahres zeigte sich einige Befserung infolge besserer - hâltnifse in den Vereinigten Staaten, die mehr und mebr den Welt- markt in Eisen und Stabl beeinflufsen. Die Maschinenindustrie ift im allgemeinen gut beshäftigt gewesen, wenn auch zu wenig lobnenden Preisen. Doch war es verhältnismäßig mehr der Außenhandek als der einheimishe Markt, der die L dustrie beschäftigte und namentli in der leßten Monaten des Jahres einen Aufshwung be- wirkte. Der Schiffsbau wurde auch im Jahre 1904 ebenso wie in den beiden Vorjahren {wer beeinträhtigt durch den Ueberfluß von

Schiffsraum, der seit dem Abschluß des südafrikanishen Krieges auf