ie L Ey E E e R Lor E * BRSA E N n E E V e L B E E E s E E P R O En E D e S5 M S2 F E O E E E e E a EN A LS: CRERE n M LT EE + E E E D m la à E E A ck N s
bulgarishen Müllerei, wie es seine, mehr berücksichtigt als die Interessen des heimischen Mühlenbetricbes. Das ist nit der Fall. Aber so zu verfahren, wie geschehen, waren wir technisch geradezu gezwungen. Denn im Vertrage mit Italien war der Zoll für Teig- ware herabgesetzt; Grieß aber, und zwar Grieß, der aus Hartweizen hergestellt ist, und den wir für unsere Teigfabrikation dringend brauchen, ist ein Halbprodukt und stand im Zollsay höher als dem Nendement für die Teigwaren entsprach. Wir mußten des- halb diese Unstimmigkeit beseitigen, indem wir das Halbfabrikat in ein rihtiges Verhältnis zum Ganzfabrikat brachten.
Meine Herren, eine Reihe weiterer Einzelheiten, die hier noch berührt find, wird mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten mein Herr Kommissarius zum Gegenstand seiner Erörterungen machen. Jch kann Ihnen versichern, daß die verbündeten Regierungen einstimmig der Ansicht waren, daß, wie die Verhältnisse in Bulgarien liegen, und wie sie sih jetzt weiter zu entwickeln s{heinen, dieser Tarifvertrag ein durchaus segensreihes wirtshaftlihes Werk für unseren eigenen Handel bedeutet.
Wenn \chließlih einer der Herren Vorredner den Verkehr der Handlungsreisenden mit Mustern bemängelt hat, so gestatte ich mir darauf hinzuweisen, daß das eine Vorschrift is, die wir in Deutschland ganz ebenso handhaben. Wenn ein Handlungs- reisender mit Mustern nach einem andern Staate geht, muß er eben ein Verzeichnis vorlegen, welche Waren er zollfrei als Muster einführen will. Darauf erhält er einen Musterp2ß, und selbstverständliß muß der Paß auch die Möglichkeit der Aufsicht bieten dafür, daß der Reisende diese zollfrei eingeführten Waren auch wieder ausführt, und daß er nicht unverzollte Waren in das fremde Land ¿zum Verkauf, statt nur zur Ansicht einführt. Das ist die Grundlage der Einigung mit Bulgarien, und dieses Verfahren entsyriht durchaus dem Verfahren, das wir selbst üben.
Meine Herren, ich kann Sic deshalb nur dringend bitten, dem Vertrage alsbald Ihre Zustimmung zu erteilen.
Unterstaatssekretär im Reichsamt des Innern Wermuth: Wenn ein Handlungsreisender nah Bulgarien entsandt ist und wegen Krank- beit durch einen anderen erseßt werden muß, fo läust die Legitimations- karte für diesen weiter. Ebenso liegt es, wenn mehrere Reisende ent- E worden sind. Hinsichtlich der Graupe, Grieß und Grüge hält
ch der neue Zoll vollkommen im Einklang mit dem alten, ja er über- steigt ihn sogar bis zu einem gewissen Grade noch. Es ist natürli schwer, im einzelnen auf die Konzessionen einzugehen, die uns von Bulgarien gemacht worden sind. Dies kann fehr leiht mißverstanden werden. Sehr wihtig ist die neue Bestimmung über die Ein- und Durchfuhr, nicht unbedeutend die Festlegung der Nebengebühr für die Waren, die auf dem Land- oder Seewrege eingehen, und die Be- stimmung über die Zollauskunft. Aber auch was die Zölle selbst an- betrifft, find wir niht ungünstig gestellt worden. Die zahlreichen An- merkungen über die Abgrenzung der Waren sind vtelleiht noch wichtiger als die Zollsäze selbst. Es sind zahlreihe Herabsegungen des Zolles erfolgt nicht nur gegenüber dem autonomen Tarif, fondern
auch gegenüber dem gegenwärtigen Zustande, u. a. auch für Leder und
Pelzwaren und für Maschinen. Hiernah ist der Vertrag do mit etwas günstigeren Augen anzushauen, als es nah den bisherigen Be- mängelungen der Fall zu sein schien. Ich bitte um möglichste Er- [ledigung des Vertrages noch vor Weihnachten, damit die Ratifikation rechtzeitig erfolgen kann. : : f Abg. Bernstein (Soz.): Die Klage über die verspätete Eröffnung des Hauses und seine Uebershüttung mit Vorlagen müssen wir auh als berechtigt anerkennen, aber volenti non“ fit injuria, der
Reichstag will es ja nicht anders. Im Prinzip sind ja auch wir für 0e aber der vorgelegte Vertrag steht ganz auf der cundlage der 7 bereits abgeschlossenen Verträge mit ihren fest-
gelegten Mindestzöllen auf Getreide. Da wir aber ganz besonders unter den heutigen Verhältnissen gegen Mindestzölle find, ‘ift schon aus diesem Grunde der bulgarische Verlrag für uns unannehmbar. Die Ermäßigung, die man für Graupe, Grieß und Grüye zuge- standen hat, find natürlich zu begrüßen: daß wir aber im allgemeinen nicht befsere Bedingungen für unsere Ausfuhr nach Bulgarien er- reichen konnten, liegt eben an unserer Bindung durch die Mindest- ôlle. Unter diesen Umständen haben wir auch an ciner Kommissions- eratung kaum ein Interesse, zumal wir finden, daß eine große Anzahl von Artikeln gegenüber dem zur Zeit gültigen türkfischen Tarif von 8 9% Wertzoll eine zwei- oder dreifahe Zollerhöhung erfahren haben, die deutsche Ausfuhr nach Bulgarien aljo sehr erschwert wird. Wir werden daher gegen den Vertrag stimmen.
Staatsminister, Staatssekretär des Jnnern Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:
Meine Herren! Es ift gegen die verbündeten Regierungen der Bor- wurf erhoben worden, fie hätten diesen deuts{-bulgarishen Vertrag nicht rechtzeitig vorgelegt und so dem hoben Hause keine Zeit ge- lassen, si eingehend über den Fnhalt dieses Vertrages zu unterrichten. Meine Herren, in internationalen Verhandlungen ist man sehr oft aud durch den Willen ciner fremden Regierung gebunden, wein man überhaupt zu einem Erfolge gelangen will, und die bulgarishe Regierung legte einen hohen Wert darauf, daß dieser Ver- trag von uns niht vorgelegt und überhaupt nicht veröffentlicht würde, bevor fie in der Lage wäre, ihn ihrer eigenen parlamenta- rishen Versammlung, der Sobranje, vorzulegen. Infolgedessen konnten auch wir Ihnen den Vertrag niht eher zugänglich machen. Aber mit dem Vertrage bing ferner zusammen daß in Bulgarien der Vertrag für die deutsche Einfuhr bereits mit dem 14. Januar, dem bulgarishen Neujahr, in Kraft tritt, während für die bulgarishe Einfuhr der deutsche Vertrag erst mit dem 1. März Gültigkeit erlangt. Wir haben darin einen gewissen Vorteil für die deutsche Einfuhr nach Bulgarien gesehen und haben uns infolgedessen auch diesen Verhältnissen gefügt. Also wenn den Herren erst vor kürzer Zeit dieser Vertrag vorgelegt ist, so war das nit ein Aus- fluß mangelnder Nücksicht scitens der verbündeten Regierungen gegen- über dem hohen Hause, sondern die Folge dringender politisher Not- wendigkeit.
Abg. Paasche (nl.): Wir sehen die Sache als geklärt an, werden aber dem Antrag auf Kommissionëberatung nit entgegen sein, weil dieser heute vielleicht das einzige Mittel ist, einem vorzeitigen Slß der Sißung vorzubeugen. Wir hoffen, daß durch Kom- missionsberatung die leßten Zweifel beseitigt werden. Der Vertrag, wie er vorliegt, ist mir von Anfang an sywmpathish gewesen. Bul- garien hat von seinem Recht, den autonomen Tarif zu erhöhen, in recht umfafsendem Umfange Gebrauch gemaht; aber es wäre unfklug, daran Anstoß zu nehmen. (Es muß dringend gewünsht werden, daß die Verabschiedung des Vertrages so schleunig wie mögli erfolgt, eme nicht etwa eine Rechtsunsicherbeit vom 13. Januar ab eintritt.
Abg. Dr. Potthoff (fr. Vag.): AuŸÿ wir haben nihts gegen Kommissiontberatung einzuwenden, wünschen aber auch, daß die Kommission recht {nell arbeitet, denn es ist für die deutsche Kaufs mannschaft notwendig, daß sie recht bald erfährt, woran sie ist. Wenn es nicht angänglich war, den Tarif zu veröffentlichen, so hätte do der Zeitpunkt des Inkrafitretens bekannt gegeben werden Tôznen, da nunmehr cine Anzahl Exporteure und ein Teil der Ge-
häftswelt überhaupt fich auf die Sache niht einrihten konnte. Insoweit is der Reichsregierung ein Vorwurf niht zu ersparen. Was den Vertrag felbst betrifft, 1o begrüße ih es mit Freuden, daß jeßt eine oj feste Regelung mit Bulgarien an die Stelle des bisherigen Verhältnisses treten foll. Sehr erfreulih ist es namentlich auch, daß Vorsorge für amtlihe Auskünfte aus Bulgarien getroffen ift. eniger erfreulich ist die Regelung der Behandlung der Handelsreisenden und die Behandlung der Handelsagenten, die geradezu lächerlihe Beschränkungen aufweist. Leider ist es uns nicht elungen, diese Beschränkungen zu beseitigen. No ungünstiger ist der indruck, den die neuen Zollsäge machen. Die deutshen Kon-
zessionen halten sih fast vollständig im Rahmen der früheren Ver- träge, die von uns sehr lebhaft bekämpft worden sind. Die Gerste- einfuhr kann allerdings nicht anders behandelt werden gegenüber Bulgarien als gegenüber anderen Staaten. Wie gedenkt denn die Regierung die Malzgerste von der anderen Gerste künftig praktisch zu untersheiden? Einzelne Zollsätze sind ja ermäßigt worden, die Er- böhungen fallen aber viel \chwerer ins Gewicht, z. B. die Zölle auf fast alle Erzeugnisse aus Baumwolle und Wolle. Zu bedauern ist, daß einige wichtige Artikel überhaupt nicht gebunden sind. Ziebt man das Fazit des Vertrages, so kann man fagen: eiwas ist besser als nichts. Aber gegenüber dem heutigen Zustande bringt er eine wesent- lie Verschlechterung, eine Ershwerung des deutschen Ausfuhrhandels. Die Sqhuld liegt weniger auf Seite des bulgarishen Vertrages als der früheren Verträge und des neuen Zolltarifs. Wir haben keine Beranlassung, gegen den Vertrag zu stimmen.
Ein Negierungskommis sar sucht die Bedenken des Vorredners bezügli der Handelsreisenden und Agenten zu zerstreuen. |
Abg. Wolff (wirtsch. Vgg.): Der Vertrag enthält so viele verschiedene Unstimmigkeiten, daß wir eine Kommissionsberatung für notwendig halten. - 5
Abg. Gothein (fr. Vgg.) ist durch die Erklärung des Re- gierungskommissars wenig befriedigt. Es sei sehr zu bedauern, daß jene V-stimmungen die Handelsrcifenden den Schikanen der bulgarishen Regierung preisgeben. Seine Freunde stimmen dem Vertrage zu, da die Sahlage jeyt eine andere sei als gegen- über den übrigen Verträgen ; aber sie täten es {weren Herzens, weil der Vertrag nit so viel biete als die deutsche Industrie erwartet babe. Die Nachteile seien arscheinend viel größer, als bei einer flüchtigen Lektüre in den paar Tagen festzustellen gewesen wäre. Der Verfasser der Denkschrift fei offenbar selber über manches nicht im klaren gewesen. : : L
Der Vertrag wird der Budgetkommission überwiesen.
Es folgt die erste Beratung des Geseßentwurfs, betreffend die Handelsbeziehungen zum britishen Reich.
Abg. Graf Kani (dkons.): Auch dieser Gegenstand scheint mir eine Kommissionsberatung zu erfordern. Ih beantrage, ihn der- selben Kommission zu überweisen wie den Vertrag mit Bulgarien. Sie wissen, daß 1897 von der englishen Regierung unser Vertrag von 1865 gekündigt worden ist. 1898 suhten die verbündeten Regierungen die Vollmacht nah, England die Meistbegünstigung zu gewähren, vorläufig auf ein Jahr. In den Kolonien sollte Deutschland niht ungünstiger behandelt wecden als im Mutterlande. Es stellte fih aber sehr bald, nahdem wir jene Voll- macht erteilt hatten, heraus, daß diese Hoffnung sich nicht realisieren ließ. Die englishen Kolonien dachten nicht daran, den a» F Waren die gleihe Begünstigung einzuräumen. Daraus haben sich nun die Verhältnisse entwickelt, die wir vor uns haben, und deren Beendigung wir wohl alle wünshen müssen. Ein großer Teil der englishen Kolonien hat jeßt eine Art von Autonomie gegenüber dem Mutterlande erlangt und treibt eine eigene Zollpolitik. Canada gewährte 1897 den britishen Waren einen Vorzugstarif, eine Zollermäßigung vou: 33F %/o. Wir haben infol edessen den General- tarif gegenüber Canada zur Anwendung gebraht, und Canada ant- wortete durch einen Zusclagszoll. Es if geradezu auffällig, in welcher Weise dieser auf die deutshe Einfuhr nach Canada eingewirkt hat. 1902 bezifferte fich unsere Ausfuhr nach Canada noch auf 38 Millionen, 1904 ging sie auf 23 Millionen zurück. Daran partizipierte insbesondere der deutsche Zucker. Der Wert des aus- geführten Zuckers ging von 34 Millionen Doll. auf 600 C00 Doll. herab. Eine möglihsstt günstige Lösung dieser Differenzen wäre sehr erwüniht. Dasselbe gilt hinsihtlich des Kaplandes. Alle britishen Waren genießen dort eine Zollermäßigung von 25 9/0, und die Differenzierung der deutschen Waren hat einen beträht- lihen Einfluß auf unsere Ein- und Ausfuhrziffer geübt. 1903 war unsere Ausfuhr nach dem Kaplande gestiegen auf 41,7 Millionen, {on im nächsten Jahre ging sie auf 264 Millionen herab. Jch würde es auch in diesem Falle schr gecn sehen, wenn man mit allèém Nachdruck dahin wirkte, daß dieser Differenzierunz der deutshen Waren in Südafrika ein Ende gemaht würde. Wie dies zu geschehen hat, ob durch einen Druck durch die englishe Regierung, lafse ih dahingestellt; jedenfalls dürfen wir diese Differenzierung nicht ohne weiteres hinnehmen. Jch erinnere in dieser Beziehung an die Rede des Reichskanzlers vom 6. März, wo er bei der Besprehung der tmarokfkanishen Angelegenheit sagte: „Wenn wir unsere wirtshaft- lihen Interessen in Marokko \tillschweigend preisgeben, so ermuntern wir die übrigen Länder zu etner ähnlichen Nüdsichtslosigkeit bei anderen, vielleiht größeren Fragen.“ Wir dürfen uns auch hier eine derartige Differenzierung nicht gefallen laffen. Im übrigen bin ih bereit, der Regierung die nahgesuhte Vollmacht zu erteilen, aber nicht auf zwei Jabre, sondern bloß auf ein Jahr. Ih habe nur das Wort er- griffen, nahdem ih erfahren, daß sich andere Redner gemeldet hatten.
Abg. Bernstein Bas: Von allen großen Staaten, mit deaen wir in Handelsbeziehungen stehen, ist das britishe Reich das einzige, in welches unsere Industrieerzeugnisse frei eingehen; das Deutsche Reich hat also alle Ursache, Beziehungen zum britischen Reiche auf- recht zu erhalten, die uns. für die Fortdauer diefes Zustandes Ge- währ leisten. Von Jahr zu Jahr - ist unser Handel und Waren- austausch mit dem britischen Königreih gewachsen ; es kommt hier der sechste Teil unseres ganzen Ausfuhrhandels in Frage. Nehmen wir den Außenhandel mit dem vereinigten Königreiche allein, so be- trägt dessen Wert über 14 Milliarde, wovon nahezu 1 Milliarde auf die Erzeugnisse unserer heimishen Industrie kommt. Wenn nun der Handelsyertrag auf zwei Fahre nah dem Antrag der verbündeten Regierungen verlängert werden foll, fo verstehe ih niht, wie man dem gegenüber diese Frist auf 1 Jahr verkürz-n will; ih würde ein entgegengeseßtes Verfahren für das richtige halten und kann nicht absehen, auf welchen Grund sich diese Veikürzungsanregurg f}tüßt. Der Graf Kaniy führt uns allerdings vor, welhe Erfahrung Deutsch} land seit 1897 mit einigen englischen Kolonien gemacht hat. Gewiß stehen wir einer starken Verselbständigung eines Teiles der englischen Kolonien gegenüber, und andererseits den auf ein Greater Britain gerichteten Bestrebungen. Der Graf Kaniß beziehungsweise unsere Industrien aber ernten damit nur, was sie gesät haben; denn erst seit der Zeit unseres Uebergarges zu dem Hochschutz- zolle und den hohen Agrarzöllen sind diefe Erscheinungen aufgetreten. Die Landwirtschaft hat keinen Grund, hier darüber zu klagen, daß sie das Opfer sei. Die Verselbständigung der Kolonien nah der zoll- politischen Seite und die Bewegung în der Richtung des Greater Britain können wir vielleiht bedauern, aber nicht verbindern. Wir können England niht vorschreiben, daß es mit feinen Kolonien keine anderen Verträge als mit den unsrigen gleihlautende abschließen soll ; wir würden dadurch höchstens in einen Zollfrieg geraten, der unseren blühenden Handel mit England schwer beeinträchtigen müßte. Der deutscke Handel nah England hat Jahr für Jahr zugenommen; er zeigt fürdas letzte Jahr allerdings nach der britishen, aber niht nach der deutschen Statisuk eine Abnahme. Man foll also niht wie der Graf Kanig eine Wa: nung nach England hineinrufen. Engkand ist doch das einzige aroße Land, das unfere Waren ohne Zoll hineinläßt ; wir haben doch alle Ursach-, zu verhindern, daß die zollwüligen Pläne Chamberlains drüben Boden gewinnen. Die Kapkolonie ist ja mit ihrer Zollgeseßgebung durchaus unabhängig. Wir haben kein Interesse, die Vorlage in eine Kommiision wandern zu sehen, fondèrn das Interesse, sie so rasch wie mögli zu verabshieden. Ih weise abér nochmals anf die Tat-
sache hin, wie {wer unsere Industrie und ihre Arbeiter durch die neuen Handelsverträge geshädigt werden. Sie haben das heute wieder an dem bulgarishen Vertrag gesehen. Sie können die Fleishteuerung, die Verteuerung der Lebensmittel niht abstreiten. Die Arbeiter haben zu erwarten, daß si ihre Lebensbedingungen noch weiter vershlehtern werden, wenn die Handelsverträge in Kraft treten. Es wird dann ferner eine Abnahme des Konsums fowie des Absatzes eintreten und die Industrie wird auf erschwerte Ausfuhrbedingungen stoßen. Darum Deren wir gegen jeden Versuh der Obstruktion gegen diese orlage.
Abg. Bachem (Zentr.): Der Kommifsionsberatung, die be- antragt ist, können wir zustimmen. (Widerspruch bei den Sozial- demokraten.) Ein stabiles Verhältnis für zwei Jahre ist jedenfalls besser als ein einjähriges Provisorium; es wäre denn, daß in- zwishen ein definitiver Handelsvertrag abgeshlossen würde. Auch wir erkennen an, daß die Handelsbeziehungen Deutschlands zu England die wichtigsten von allen sind; sie haben bisher stetig und rg entwidelt, und wir follten alles tun, fie zu fördern. Diejenigen Kreise, welche in England die Antipathie gegen Deutschland nähren, find siher ebensowenig zahlreih wie die entsprehenden deutschen Kreise, die die Abneigung gegen England zu fördern suchen. : j
Abg. Kaempf (fr. Volksp.): Den Ausführungen des Grafen Kaniß stimme ih insoweit zu, als au ih es für das beste gehalten hätte, die Vorlage wäre ohne jede Debatte glatt angenommen worden. Aber bôse Beispiele verderben gute Sitten. Wenn nun der Graf Kanitz jedoh felbst den Antrag auf Kommissionsberatung stellt, fo seßt er fich mit ih selbst in Widerspru; denn nun wird noch viel mehr über die Frage gesprohen werden, als ihm erwünscht ist. Wir werden gegen jeden Abänderungsantrag und gegen Kommissionsberaturg stimmen. Die verbündeten Regierungen erhalten ja nur eine Ermächtigung, je nach Lage der Dinge zu handeln, sie find niht verpflichtet, die Be- handlung auf dem Fuß der Meistbegünfstigung fortzuseßen. Jeden- falls muß der Regierung auc für die Negelung der Handelsbeziehungen mit England der weiteite Spielraum gelassen werden.
Abg. Graf zu Reventlow (wirtsch. Vgg.): Wir werden für Kommissionéberatung stimmen und dort oder in zweiter Lesung den Antrag Kaniß jedenfalls unterstüßen, desgleihen den Bundes- rat zu ermächtigen, nur denjenigen Kolonien gegenüber die Meistbegünstigung eintreten zu lassen, von denen wir ent- \prehend behandelt werden. Ich hatte neulich prophezeit, daß
‘uns kurz vor den Weihnachtsferien ein Antrag auf Verlängerung
des Handelsprovisoriums mit England kommen würde, und bis auf wenige Tage hat sih diese Prophezeiung erfüllt. Die Vor- lage besagt: das Provisorium ift tot, es lebe das Provisorium! Es ist notwendig, auf die Vorgeschichte dieses Provisoriums einen Nükblick zu werfen. Es fing an mit unserer Differenzierung durch Canada; da kam das erste Provisorium. Canada hat inzwishen lustig weiter differenziert, ohne daß unserseits etwas dagegen unter- nommen worden it; jedenfalls hat man niht- gehört, daß insbesondere#gegen die Differenzierung des uders irgend welche Maßnahmen getroffen worden find. Unsere Ausfuhr nach Canada hat einen ganz beträchtlichen Rüdcktgang erfahren. Wir müssen gegen alle diejenigen Länder mit Maßnahmen vorgeben, die uns differenzieren. Jch frage die Regierung, waxnn sind Ver- handlungen über die Schaffung eines Handelsvertrages mit England gepflogen worden, und durch wen ? Ein Teil der Schuld trifft wohl unseren Botschafter in London. Wenn der nihts ausrihten kann, so muß -cin anderer hingesendet werden. Die ganze Paumacerey die von London nah Berlin kommt, wird durch feine Person hindur(- filtriert. Daß wir uns mit einem Notbehelf in Deutschland begnügen, ist eben auf die Flaumacherei zurückzuführen, die durch ihn Hindurh- filtriert wird. Das ist namentli in seinen Wirkungen bei der Flotten- vorlage hervorgetreten. Damit, daß wir überall nachgeben und uns zurückzichen, wo wir vorgehen sollten, gewinnen wir uns gewiß niemanden zum Freunde. Wenn jeßt der Reichstag so s{chwach ift, die Vollmacht, die der Bundesrat zu s{chwach ift, richtig anzuwenden, zu verlängern, dann können sich andere Länder sagen: denen können wir alles bieten. Wir werden nit in der Lage sein, für die Vor- lage zu flimmen, wenn solche Wünsche niht erfüllt werden. Geschieht
dies nicht, so werden wir unter Anwendung der parlamentarish zu-
lässigen Mittel die Verabschiedung der Vorlage zu verhindern suchen. Darin liegt keineswegs eine Obstruktion, denn diese besteht in der Anwendung von Kniffen. Wir leisten nur Widerstand, soweit wir ihn leisten fönnen, aus wirtshaftlihen und nationalen Gründen, weil wir uns gegenüber England nichts vergeben wollen.
Abg. Büsing (al.): Meine politishen Freunde sind der An- sidht, daß es nicht geboten erscheint, bei dieser Frage auf die politische Seite einzugehen. Wir find mit dem vorliegenden Entwurf einver- stanten und halten eine Kommissionsberatung nicht für nôtig. Viel- leiht wäre eine Verlängerung der Vellmacht nur für 1 Jahr ge- nügend gewesen. Nachtem aber die Regierung nah vorangegangener Verständigung mit England die Ermächtigung auf 2 Jahre nach- gesucht hat, fo wäre es ein Akt der Urfreundlichkeit gegen England, wenn wir jeßt der Regierung eine geringere Konzession machen, als sie beanspruzt. Wir wollen alles vermeiden, was uns als folche Un- freundlihkeit ausgelegt werden könnte.
Staatsminister, Staatssekretär des Jnnern Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:
Meine Herren! Ich kann zunächst dem Herrn Abg. Grafen zu Reventlow als Eideshelfer bestätigen, daß er allerdings die Prophezeiung seinerzeit ausgesprochen hat, auf die er si heute berief, aber besonders \{wierig war diese Prophezeiung niht. (Sehr richtig ! links.) Ebenso hätte man propbezeien können, daß ih auch nah zwei Jahren noch die Erde um ihre eigzne Achse drehen würde! (Heiterkzit.) Wer die innere Entwicklung Englands, die politishen und wirtschaftlichen Gegensäße, die sich dort unter dem früheren Kabinett geltend machten, verfolgt hat, konnte die Handlungsweise der deutschen Negierung meines Erachtens nur als eine kluge bezeihnen, bei Lage der Sache sich fill abwartend und außerordentlih vorsichtig zu verhalten. Meine Herren, jede Aktion nah der einen oder anderen Richtung im Hinblick auf die einmal bestehenden englischen Verhältnisse wäre wahrs(einlich unseren Interessen wenig vorteilhaft gewesen. Wenn heute wiederum darauf Bezug genommen worden ist, daß uns einzelne englishe Kolonien differenziert haben, so bemerke ih, daß diese Differenzierung {on vorlag, als wir das leßte Handels- proviforium im Jahre 1903 verlängert haben, und daß fich fseit- dem in der rechtlichen Lage der Sache nichts geändert hat.
Die Lage ist in der Tat eine derartige, daß es von mir äußerst unvorsihtig sein würde, wenn ih mich jeßt über die ganze Angelegen- heit des näheren äußern wollte. Jh hätte dringend gewünscht, im Interesse des Landes und wichtiger wirlshaftliher Fnteressen, daß diese Vorlage ohne jede Debatte feitens des hohen Hauses bes{lofsen wäre. (Sehr richtig! links.)
Meine Herren, follte aber entgegen diesem dringenden Wunsche der Negierung troßdem eine Beratung in dec Kcemmission stattfinden, fo behalte ich mir vor, au jede einzelne der Behauptungen, die heute aus ter Mitte des Hauses aufgestellt worden sind, als unrihtig nah- zuweisen.
Staatsminister, Staatssekretär des Auswärtigen Amis, Dr. Freiherr von Richthofen:
Meine Herren! Der Herr Abg. Graf zu Neventlow verfolgt — das kann man wohl sagen — eigene Wege, um zu seinen Zielen zu ge- langen. Er will, daß die Regierung nah auß-n hin möglichst stark erscheine. Dazu trägt er selber gewiß nicht bei mit der Andeutung
daß man uns alles bieten . könne, und daß wir uns alles gefallen ließen. Er fügt noch hinzu, daß wir überall nachgäben. Es is ganz merkwürdig, daß diese Anschauung in der Welt sonst sehr wenig geteilt wird; im Auslande macht man uns gerade das Gegenteil zum Vorwurf, daß wir nämlih nirgends oder nicht genug nachgäben. Ih weiß nit, ob die Mei- nung des Auslands oder die Meinung des Herrn Grafen zu Reventlow mehr zutrifft. Wahrsheinlichß halten wir die rihtige Mitte inne: wir geben da na, wo wir im Interesse des Deutshen Reichs glauben nachgeben zu sollen, und wir halten unsere Meinung da aufrecht — und zwar stramm und fest aufrecht —, wo wir das im Interesse des Deutschen Reichs tun müssen.
Ferner hat der Herr Abg. Graf zu Reventlow hier ausgesprochen, daß er gute Beziehungen zwischen England und uns als Ideal betrachte. Als rihtigen Weg, um dahin zu gelangen, wird es schwerlih zu betraten fein, daß der Herr Abgeordnete. den Bo!schafter des Deutschen Reichs in London deshalb angreift, weil er sein möglistes tut, um gute Be- ziehungen zwischen den beiden Ländern herbeizuführen. Ih glaube im Gegenteil der Zustimmung der großen Mehrheit dieses Hauses ficher zu sein, indem ich die Wirksamkeit des Kaiserlißhen Bot- schafters in London in diesem Sinne anerkenne. Wir können nur im allgemeinen Interesse beider Länder hoffen, daß diese ! seine Wirksamkeit nah Möglichkeit von Erfolg begleitet werde. (Bravo!!)
Endlich hat der Herr Abg. Graf zu Reventlow behauptet, der Bot- schafter habe durch seine Flaumacherei die jetzige Gestaltung der Flotten- vorlage herbeigeführt. Ih weiß nicht, ob der Herc Graf zu Reventlow von der Berichterstattung des Kaiserlihen Bot- \chafters derart unterrihtet is, daß er eine solche Be- hauptung überhaupt aufstellen kann. Jedenfalls ist sie unbegründet. Die Flottenvorlage ist nicht nach den Berichten eines Botschafters, fondern von den verbündeten Regierungen nah Maßgabe der Bedürf- nisse des Deutschen Neichs entworfen worden. Die verbündeten Ne- gierungen können nur hoffen, daß diese Bedürfnisse ebenfo eingeschäßt werden von dem Reichstag wie von ihnen selbs, und daß die Vor- \chläge / zur Verstärkung unserer Seewehr in der vorliegenden Form von Ihnen gutgeheißen werden. -
Was- die Vorlage wegen Verlängerung des Handelsproviforiums mit England selbst anbetrifft, so kann ih mich nur dem anschließen, was der Herr Staatssekretär des Innern soeben gesagt hat.
Abg. Got hein (fr. Vgg.): Wenn die gesamte Linke der Kommissions- beratung widerspriht, so hat das seine guten Gründe. Jn der Kom- mission sind keine anderen Auskünfte zu erwarten, die nit ebenso gut im Plenum gegeben werden könnten. Wir haben in unserem Parlament nit das System der Tagesordnung, die eine Regierung einbringt, und für die sie die Vertrauen®frage stellt; aber ist es nit tatsählich eine Vertrauensfrage der verbündeten Regierungen, wenn sie die Er- mächtigung für eia derartiges Abkommen verlangt? Nun ist es Et, pa ias S den verbündeten Regierungen m algemeinen von der Linken am wenigsten bezügli ibrer Wirtschaftéepolitik entgegengebracht wird, E E N wahrhaftig au keine Veranlassung habzn, ihr ein folches Vertrauen entgegenzubringen. Da hat die Regierung © viel- mehr den Anspru darauf, das Vertrauen von der rechten Seite und vom Zentrum zu beanspruhen. Und nun tritt das Merkwürdige ein, daß gerade von dieser Seite der Regierung dieses Vertrauen pure verweigert wird! Man matt der Regierung die schwersten Vorwürfe, wirft dem Botschafter, der die Politik der Negierung in England vertritt, Flaumacherei vor usw. JIch muß sagen, ein der- artiger Angriff auf eine Regierung in Fragen der auswärtigen Politik ist doh etwas, was im allgemeinen in diesem-Hause bieher nicht üblih gewesen ist. Ih wollte einmal sehen, was geschehen würde, wenn die linke Seite derartige Angriffe auf die Regierung und ihre auéwärtige Politik machte, dann würde der Reichékanzler \{leunigst ersheinen und erklären, daß das gegen jeden Patriotismus sei. Die Kommissionéberatung wird nit aus irgendwelchen sachlihen Gründen beantragt, fondern lediglih um die Partei des Grafen Neventlow zufrieden zu stellen, damit sie hier keine Obstruktion mate. Graf Reventlow und seine Partei ma§ht der Neagierung in ihrem Verhalten gegenüber England bier eine Oppvosition, wie sie in diesem Hause unerhört ist. Wenn Sie der Kommissionsberatung zustimmen, so vertreten Sie tatsählich dasjenige, was Graf MNeventlow hier ausgefübört hat, dann sind Sie mitshuldig an dem, was er hier gesagt hat. Jch bedauere, daß der Staatsfekretär gee bon Richthofen das nicht seinerseits vollständig klargemact at. Das Ausland muß so die Ueberzeugung gewinnen, daß das, was Graf Reventlow gesagt hat, für das Haus bestimmend war, daß er die Majorität des Hauses zu diesen seinen Ausführungen hinter ih Wi Ich stimme für die sofortige Annahme der Vorlage n diesem Haufe.
Abg. von Kardorff (Np.): Der Vorredner hält Kommisfions- beratung für ganz überflüssig; ich nicht. Diz2 Amerikaner bia aus dem Verkalten des Deutschen Reihs ihre Kon- sequenzen ziehen. Diese und andere Fragen werden nur in der Kommission richtig behandelt werden können, und deswegen ist eine Kommissionsberatung durhaus am Platze. Wie anders ständen wir mit unseren ganzen Handelsvertragsverhandlungen, en e ay Var Teres E E und Minimaltarif gemacht und alle anderen Staaten aufgefordert bätten, mi y s vertiäzge abzuschließen! A E R
Abg. Graf zu Reventlow (wirts{. Vzg.): Ich stelle fes von seiten der verbündeten Regierungen auf Meins S s uns wann man überhaupt versfuht hat, mit England zum Abschluß definitiver Handelsbeziehungen zu gelangen, keine Antwort gegeben ift.
Hiermit schließt die Debatte.
Vor der Abstimmung über den Antrag auf Verweisung de Vorlage an _ die Budgetkommission bezweifelt Ua Sin as (Sox) die Beschlußfähigkeit des Hauses.
Vüepräsident Graf zu Stolberg: Das Bureau ift einstimmi der Ansicht, daß dec Reichétag nicht beschlußfähtg ift, die Sitzung muß abgebrochen werden.
Schluß 4 Uhr. Nächste Sißung Dienstag, 1 Uhr (Fort- seßung der eben unterbrohenen Beratung; Fortsezung der
Generaldebatte über den Etat).
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 4. Sißung vom 11. Dezember 1905, Vormittags 11 Uhr. (Berit von Wolffs Telegraphishem Bureau.)
Das Haus nimmt zunächst in erster und zweiter Beratung den Gesezentwurf über die Abänderung der Landes- grenze gegen das Großherzogtum Hessen zwischen den (Gemarkungen Hüttengesäß - Neuwiedermus und Altwiedermus ohne Debâtte an und geht dann zur ersten Beratung des Geseßentwurfs, betreffend die Unterhaltung der ôffentlihen Volksschulen, über.
Minister der geistlihen, Unterrihts - und Medizinal- angelegenheiten Dr. Studt:
Meine Herren, der Entwurf eines Gesetzes über die Unterhaltung der öffentlihen Volksshule, welcher zufolge Allerhöchster Ermächtigung Ihnen zur Beschlußfassung vorgelegt worden ist, löft die Zusage ein, welche ih namens der Königlichen Staatsregierung abgegeben habe- Die Zusage ist erfolgt bei Gelegenheit der vorjährigen und der dies- jährigen Etattberatung aus Anlaß der wiederholt und in immer dringenderer Form in diesem hohen Hause geäußerten Wünsche.
Meine Herren, lange Zeit hat die Königliche Staatsregierung Bedenken tragen müssen, einen folhen Gesetzentwurf einzubringen. Aber die inzwischen in immer erhöhtem Maße hervorgetretenen Un- gleihheiten und Härten auf dem Gebiete der Schulunterhaltung bedeuteten {ließli eine Gefahr für die Ziele der Volksschule selbst und für deren gedeihlihe Fortentwicklung. Diese allseitig geteilte Auf- fassung führte weiter auf Grund der früheren Erfahrungen zu der Ueberzeugung, daß eine Vereinbarung über das in erster Reibe zu erstrebende Ziel einer einheitlihen Regelung der Unterhaltungs- pfliht sich in einem möglihst engen Raxhmen zu halten und nur folche Fragen einzubeziehen haben würde, welhe mit der Hauptaufgabe in notwendigem Zusammenhang stehen. Auf diesem Boden haben sich die großen Parteien dieses hohen Hauses in anerkennenswerter Weise unter weitgehender Selbst- beshränkung am 13. Mai vorigen Jahres nahezu einmütig über das sogenannte Shulkompromiß geeinigt. Ich war in der Lage, dieseg leßtere als den geeigneten Ausgangspunkt für die Beseitigung der vorhandenen Schwierigkeiten mit Genugtuung zu begrüßen, und bin bereitwilligst an die Aufgabe hberangetreten, die Vorschläge jenes SAO als Grundlage eines geseßgeberischen Vorgehens autzuge- stalten,
Wenn sich die Königlihße Staatsregierung nunmehr entshlofsen hat, aus ihrer bisherigen Zurückhaltung berauszutreten, so geschah dies unter der {on in meiner Rede vom 25. Januar d. J. bei Gelegen- heit der Etatsberatung betonten Voraussetzung, daß die erfreuliche Einmütigkeit der Parteien, die sich bei der Beratung des Kompromiß- antrages in dankens8werter Weise kundgegeben habe, auch bei den weiteren Verhandlungen aufrecht erhalten bleiben würde.
Meine Herren, wir leben in einer êrnsten Zeit, in der es einen sehr schweren Schaden nicht nur für unsere Schule, sondern auch für unfer Vaterland hedeuten würde, wenn aufs neue ein leidenschaftlicher Streit um innere Shulfragen die bürgerlihen Parteien unter ein- ander entfremden sollte. Die Königlihe Staatsregierung hat ih deshalb, wie ih wiederholt betone, zur Einbringung der Vorlage nur in dem sicheren Vertrauen verstanden, daß solhe Kämpfe vermieden werden und die Beratung der Vorlage bei forgsamster Prüfung zu einer Einigung führt.
Der Entwurf hält sih völlig in dem Rahmen des Kompromisses vom 13. Mai 1904. Die Staatsregierung hat es absichtlih ver- mieden, weitere Materien der Schule in die Vorlage einzubeziehen, obglei es ihre Ueberzeugung ist, daß noch eine Rethe weiterer Fragen wie die der Shulpfliht, der Schulversäumnis, der Dezentralisation der Schülbehörden usw. einer geseßlihen Regelung bedürfen.
Die Königliche Staatsregierung hält in Nebereinstimmung mit diesem hohen Hause von allen geseglih noch nicht gelösten Fragen des Schulre{ts die Neuordnung der Schulunterhaltung für die weitaus dringendste und hat den lebhaften Wuns, die auf diesem Gebiete in dem Kompromiß erzielte grundsäßlihe Einigung niht dur das Hineinbeziehen der vorbezeihneten Materien irgendwie zu erschüttern.
Ich will an dieser Stelle mit einigen wenigen Worten auf die Geßaltsaufbesserung der Volksshullehrer eingehen. Auch dies ist entfprehend dem von der Königlihen Staatsregierung wiederholt dargelegten Standpunkte in dem Entwurfe nit berührt. Aber ih stehe niht an zu eiflären, daß ich in Ausfiht genommen habe, sobald der Entwurf eines Volks\{hulunterhaltungtgesezes verab- s{hiedet sein wird, der Frage einer Revision des Lehrerbesoldungs3- geseßes näher zu treten. (Bravo!) Die Erwägungen hierüber sind noch nicht abgeshlossen. und haben noch niht abge- {loffen werden können. Bei der Regelung dieses Gegenstandes muß neben der Lösung der sonstigen s{chwierigen Fragen, entsprechend der in der Sigzung der Unterrichtskommission des Abgeordnetenbauses vom 15. März 1905 von meinem Kommissar abgegebenen Erklärung, auf die Belastung der Gemeinden und des Staates sowie auf die Verschiebungen Rücksi®t genommen werden, die hinsihtliG der Leistungéfähigkeit der Schulunterhaltungspflihtigen dur das vors- gelegte Schulunterhaltungsgeseß cintreten werden. Auch wird bei der Regelung die Nückwirkung auf die in Vergleich zu stellenden Kategorien von staatlihen und Kommunalbeamten nicht außzr acht gelassen werden dürfen. Erst nach Abschluß des Shulunterhaltungsgesetzes wird die Möglichkeit gegeben fein, den vorbezeihneten Fragen näher zu treten. Schon jet aber möhte ih mitteilen, daß der Entwurf des Staatshauskhaltsetats für 1906 den Betrag von 22 Millionen Mark vorsieht behufs Erhöhung der im laufenden Jahre bewilligten und noch niht verwendeten 250000 4, um die auf dem Gebiete des Lehrerbefoldung8wesens, insbesondere auf dem Lande, bestehenden {chlimmsten Härten und Ungleichheiten zu beseitigen und der Abwanderung der Lehrer und Lehrerinnea vom Lande in die Städte und aus dem Dften in den Westen der Monarchie entgegenzutreten. Es ist zu diesem Zwecke in Aussicht genommen, tunlihst eine Er- höhung des Mindestgrundgehalts der ersten und der allein stehenden Lehrer auf 1100 4, der übrigen Lehrer auf 1000 46, der Lehrerinnen auf 809 „6 und des Mindestsaßes der Alterszulage sämtlicher Lehrer auf 120 #, der Lehrerinnen auf 100 # herbeizuführen. Diese im Verwaltungswege durdzuführenden vorläufigen Maßnahmen foll der künftigen organishen Neuregelung des Befoldungêwesens nicht vor- greifen, nur eine vorläufige Abhilfe schaffen.
Meine Herren, ih gehe nunmehr über zu dem Inhalt des Gesetz- entwurfs selbst. Entsprehend dem Art. 25 der Verfassung und dem seit 1870 bei allen geseßgeberischen Versuchen festgehaltenen Gedanken, der auch im .Kompromißantrag zur Geltung gebracht ist, legt der Entwurf die Pflicht der Unterhaltung der Volksschule den polilishen Gemeinden einschließlich der Guts- bezirke auf. Daneben können mehrere Gemeinden und Gutsbezirke zur Unterhaltung der Volkéshulen zu Gesamtverbänden vereinigt werden. Die Frage der Heranziehung der Gutébezirke gehört zu den wichtigsten und s{wierigsten Materien des Entwurfes, Die Staatsregierung hat sih dahin ents{lossen, daß der Gutsbesißer als solcher die auf den Gutsbezirk entfallende Last tragen, daß eine Unterverteilung der
Beitraglasten nur auf Antrag des Gütsbesigers erfolgen soll. Wird
eine Unterverteilung vorgenommen, so entsvxiht es der Natur der Sache, daß dann eine Gutsvertretung gebildet. wird, welche bei der Steuerbewilligung mitzuwirken hat. Hat der Gutsbezirk eine eigene Gutsshule, so gestalten sch diese Verhältnisse natürli einfaher. Soll ein Gutsbezirk mit einer Gemeinde eine Schule gemeinsam unterhalten, so wird ein Gesamtshulverband g:bildet und für ihn in dem Verbandsausshufse ein geeignetes Vertretungsorgan geschaffen.
Es ist nicht zu verkennen, daß das vorliegende Gesetz von den Grundbesißgern zum Teil recht erbeblißhe Mehr- [eistungen erfordert. Die Staatsregierung hat es für rihtig gehalten, dem Verteilung8maßstabe für die Gesamtshulverbände nicht etne gleihmäßige Belastung aller Staatssteuern zu Grunde zu legen, sondern die Grundsteuern nur zur Hälfte heranzuziehen. Das ent- spricht der Eigenart der Grundsteuer, die ohne Berücksichtigung der vorhandenen Schulden veranlagt ist. Es erscheint daher zur Verhütung von Ueberbürdungen richtig, diese Steuer mit einer geringeren Quote zu belasten. Vorbehalten bleibt dabei, daß durch statutarishe Bestim- mungen den befonderen Verhältnissen Nechnung getragen wicd. Aus der Uebertragung der Schulunterhaltung auf die Kommunen ergibt sich die Folge, daß das vorhandene Schulvermögen mit allen Nechten und Pflichten auf die Kommunen überzugehen hat. Die entsprechende Bestimmung ist in den bisherigen Erörterungen in den Hintergrund getreten, wird aber in der Ausführung voraussihtliß noch mannigfache Schwierig- keiten bielen. Es ist dabei hervorzuheben, daß den fkirchliden Instanzen ihre Rechte an den vereinigten Kirhen- und Schulstellen gewahrt werden sollen. Von dem VersuŸe einer Neuregelung der Baulasten bei den vereinigten Kirchen- und Shulstellen is \{chließlich abgesehen worden, da durch eine stückweise Regelung nur neue Schwierigkeiten geschaffen würden. Die näheren Erörterungen dürfen der Kommissions- beratung wohl vorbehalten bleiben.
Was die konfessionellen Verhältnisse der Volksschule anlangt, so hat sih die Vorlage in den Bestimmungen der 88 18 bis 25 genau an den Rahmen des Kompromißantrages anges{lossen. Dabei ist hinsichtlich der Fassung absichtlih vermieden, die Auëdrücke Konfessions\{ule und Simultanschule in das Geseß aufzunehmen, da die Definition dieser Begriffe keineëwegs festzustellen ist. Im Anschlusse an die Bestimmungen des Kompromißantrages, wonach in der Regel die Schüler einer Schule derselben Konfession angehören und von Lehrern ibrer Kon- fession unterrihtet werden sollen, spricht die Gesezeêsvorlage vielmehr nur von Schulen mit nur evangelishen und nur katholishen Lehr- kräften und Schülern, und von Volksschulen, an denen gleichzeitig evangelische und katholische Lehrkräfte wirken, und die von evangelischen und katholishen Schülern besuht werden. Jh weiß, daß durch diese Formulierung die Fassung \chwerfälliger geworden ist; troydem ist die Faffung im Interesse der Sache zur Anwendung gebraht. Dies war um fo mehr angezeigt, als alle aus dem früheren Entwurf mit dem Begriff der Konfessions- und Simultansule in Verbindung ge- brahten und befonders heiß umstrittenen Fragen betreffs der Leitung und Erteilung des Religionsunterrihtes, der Mitwirkung der kirh- lichen Instanzen bei Genehmigung von Lehcbüchern usw. eatsprehend der Absicht des Kompromißantrages aus dem Rahmen der Vorlage völlig ausgeschieden find. Es handelt si ledigli ura die Frage, ob und inwieweit ein evangelishes Kind durch einen evangelischen, katholishen oder jüdishen Lehrer und umgekehrt unterritet werden sol. Ich hoffe, daß, wenn die Frage so gestellt wird, eine Ver- ständigung leiter zu erreihen fein wird.
Entsprehend der vorhergehenden Bestimmung des Kompromiß- antrages, fieht der Gefegentwurf vor, daß die öffentlihe Volksschule in der Regel so einzurichten ist, daß der Unterricht evangelisher Kinder durch evangelische, katholischer Kinder durch katholische Lehrkräfte erteilt wird. Im übrigen sollen die Vorschriften der §8 18 bis 25 in erster Linie den bestehenden Zustand geseßlih festlegen. Die Provinzen Posen und Westpreußen {eiden aus, da auf sie das Gese überhaupt niht Anwendung finden foll.
Meine Herren, bei der gegenwärtigen nationalen Spannung in jenen Provinzen würde die Beunruhigung, welHe dur die Verschiebung der Lasten notgedrungen verursacht wird, ungünstig wirken; auch würden die zu treffenden Verwaltungseinrihtungen, z¿. B. der Ueber- gang der Verwaltung evangelisch-deutsher Schulen auf polnisch gesinnte Gemeindevorstände, erheblihen Bedenken unterliegen. Die Staatsregierung hat daher beschlossen, vorläufig die Pro- vinzen Westpreußen und Posen überhaupt von der Anwendung des Gesetzes auszuschließen. Damit entfallen dort au die Vor- schriften über die konfessionellen Verhältnisse, und es bewendet dort bei dem bestehenden Reht. Eberso bleibt binsi{tlih der Simultanschulen in dem ehemaligen Herzogtum Nassau das bestehende Recht aufrecht erhalten.
Was die übrigen Teile der Monarchie anbetrifft, so soll die Simultanschule va, wo sie besteht, erhalten bleiben und weiter ent- wickelt werden können. Auf der anderen Seite soll ebenso die Kon- fessionéschule, wo sie besteht, erhalten bleiben und weiter entwidelt werden. Wo Konfessions- und Simultanschulen nebeneinander bestehen, wie z. B. in Frankfurt a. M., soll das bisherige Verhältnis für die Errichtung beider Schularten maßgebend fein. Für eine konfessionelle Minderheit an Konfessions\Fulen soll ein Lehrer der eigenen Konfession an- gestellt werden dürfen, der dann mit dem Unterricht in anderen Gegenständen nit nur betraut werden darf, fondern betraut werden muß, da es sih aus technischen Gründen nicht empfiehlt, einen Volksschullehrer lediglih mit Religions\tunden zu bes{chäftigen.
Nach Nr. 2 b des Kompromisses war vorgesehen, daß Simultan- \hulen aus besonderen Gründen au da - eingerihtet werden dürfen, wo sie bisher niht bestanden; es mußte daher in § 20 Abs. 4 der Vorlage eine Vorschrift aufgenommen werden, wona diese Aus- nahmen von der Regel in § 18 zulässig sein sollen. Um diese Ent- sheidung nit lediglich der Aussichtsbehörde zu übertragen, soll die Beurteilung der besonderen Gründe der Beshlußfassung der Selbst- verwaltungsbehörden, in leßter Instanz dem Provinzialrate über- wiesen werden.
Von Bedeutung ift sodann die Vorschrift in § 23, daß bei dem Vorhandensein vón 60 Schulkindern auf dem Lande und 120 in der Stadt für die Minderheit auf deren Antrag, und wenn dieser Zustand mindestens 5 Jahre lang bestanden bat, eine besondere Schule eingerihtet werden muß. Die Mino- ritätsbestimmung würde nach einer im Jahre 1903 aufge- nommenen Statistik gegenwärtig in einer Stadt und in 28 Lands bezirken Anwendung finden; eine große Vermehrung dieser Zahl ift nach den tatsählihen Ermittelungen nicht zu erwarten. Wenn man