“man den Zoll, wie es Seitens des Hrn. Abg. Biebl vorges{kagen wird, beschränkt auf land- und flußwärts eingehenden Cement.
Wenn man überbaupt einen Zoll auf Cement einführen will, was na Arsicht der verbündeten Regierungen nit im dringenden Bedürfnifse Jiegt, so würde es doc, glaube i, vorzuziehen sein, daß cin allgemeiner
oll eingeführt wird, daß man nit den Weg einshläâgt, den der Hr.
bg. Bichl empfohlen hat, nämli einen Zoll auf den land- und flußwärts eingebenden Cement zu legen, den seewärts eingehenden aber frei zu laffen. Gs ift ein ähß-liher Weg im Jahre 1879 cinmal Hetreten worden bezügli des Salzzolls, Damals bandelte es sich um sebr erheblih andere BVerkbältnifse; es handelte fi darum, den Offtseeprovinzen das Salz nicht zu vertheuern, die wenigstens glaubten auf den ergliswen Import angewiesen zu seia; Salz ift ja cin all- gemeines Nahrungsmittel, cs {ien also wünschenswertb, auch nur den Anschein zu vermeiden, als ob man dieses Nahrungêémittel ver-
n wollte. Z e Bee. Herren, formell ift es jo zulässig, diesen Weg zu geben, formcl Ffönnen aus unseren Handelsverträgen Bedenken dagegen nicht abgeleitet werden, daß man für eine gewisse Trausportrichtung den Zoll böher normirt als für cine andere ; aber materiell ist es do sehr in Frage zu ziehen, ob nit dadur gewissen Staaten nach der einen oder anderen Richtung hin ihr Meist- begünstigungsrewt thatsächlih verkümmert wird. Diejenigen, welche für den landeinwärts gehenden Cement den höheren Zoll zu zahlen haben, als die seewärts einführenden, find natürli durch die Zoll- maßregeln s{chärfer getroffen als diejenigen, die ihre Tranéporte zur See einführen, Es ift, wie gcsagt, formell zulässig, aber man wird diesen Weg do nur dann gehen können, wenn es sib um ganz er- beblihe Interessen handelt, und wird es thunlihst vermeiden müssen, dem Auslande die Berufung in die Hand zu geben, daß Deutschland in vielen Beziehungen ganz Aehnliches thut. Deshalb möchte ich davor warnen, auf diesem Wege ohne dringende Nöthigung weiter zu geben, und das, was für Salz damals unter ganz exorbitanten Verhältnissen geschehen ist, nun auch für Cement einzuführen.
Ich möchte Sie aber prinzipiell bitten, von Einführung eines Cementzolles gerade mit Rücksiht auf die Begründung, die vor- gebracht ist, und mit MREREE auf die Mißverständaisse, die daraus bergeleitet werden könnten, abzusehen.
Der Abg. Dr. Frege erklärte, er stehe mit einem Theile seiner politishen Freunde dem Antrag Biehl sympatisch gegen- über, der Antrag bezwecke, einen Nothstand der bayerischen Cementindustriellen abzustelen. Wenn aus dem Widerspruch der Cementindustriellen anderer Gegenden der Schluß gezogen sei, als ob die Jndustrie eine Freundin des Freihandels sei und als ob sie sih unter der Herrschaft desselben besser ent- widelt habe als jeßt, so müsse er dagegen Verwahrung ein- legen, Die deutsche Fndustrie habe in den Jahren unmittelbar vor Einführung der Schußzollpolitik die traurigsten Rük- \chritte gemaht. Er glaube daher, daß es das NRichtigste sei, wenn das Haus den Antrag Biehl annehmen würde. .
Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, daß der Abg. Frege, der schon einmal einen partikularen Nothstand durch einen Schieferzoll zu beseitigen versucht habe, jeßt auch den par- tikularen Nothstand der Cementindustriellen durch einen Zoll beseitigen wolle, wundere ihn nicht. Wenn der Abg. ¿Frege aber meine, daß die Fndustrie für Schußzölle enthusiasmirt fei, so glaube er, daß das Gegentheil der Fall sei. Wenn die Jndustrie überhaupt je dieser Auffassung gehuldigt habe, fo sci sie davon mehr und mehr kurirt worden, und wenn jeßt die Lebensmittel der Arbciter weiter vertheuert würden, so würde das noh mehr geschehen. Bringe die Rechte noch ein halb Dutzend ähnlicher Zölle, und die Fudustriellen würden sehr bald sagen: wenn sie das gewußt hätten, hätten sie sih nie auf eine solche Schußzollpolitik eingelassen! Der Abg. Biehl sage offen: Er sei ein Partikularist, aber die anderen Herren ‘seien es auch! Wäre das wahre, ständen andere Patrtikularinteressen dem bayerischen entgegen, weshalb lasse man dann die Sache nicht einfa, wie sie sei? Am bedenklihsten erscheine ihm (dem Redner), daß der Zoll nah dem eingebrachten Antrage auf die Land- einfuhr beschränkt sein solle; das könne zu den shliminsten Folgen Anlaß geben, Auf diesem Wege gelange man [ließlich zu einer Umgehung der Meistbegünstigungsklausel. Das sei gegen deutsche Vertragstreue, das sei unehrliche Zollpolitik; mit einem solhen Lande könne kein anderer Staat einen Handels- vertrag abschließen. Jn den nätsten Jahren seien die meisten der deutschen Handelsverträge abgelaufen; glaube die Rechte nun, daß, wenn man jeßt eine solhe Bestimmung einführe, auch nur ein Staat sich einlassen werde, Deutschland in einem neuen Handelsvertrag die Meistbegünstigungsklausel einzuräu- men? Was folle dann aber aus der deutschen Jndustrie werden ? Er müsse sagen, ein so gemeinschädliher und so s{chlecht sub- stantiirter Antrag wie dieser sei ihm noch nit vorgekommen. Und einen folhen Antrag empfehle man Angesichts des Ver- hältnisses Deutschlands zu Oesterceih. Der Abg. Viel habe gesagt, Retorsion sei der eigentlihe Grund seines Antrages. Man fkônne niht schärfer den Retorsionsgedanken zum Aus- dru bringen, als das hier geschehen sei. Ec sei mit dem Staatssekretär einverstanden, der das Haus gewarnt habe, Retorsionszöôlle einzuführen; er wolle nur, daß der Staats- sekretär auch seinen Kommissar besser instruirt hätte, der dem Hause anheimgegeben habe, diesen Zoll abzulehnen oder anzunehmen. Deutshland habe gegen Oesterreich durch die Korn- und die Holzzöle {on hohe Barrièren errihtet, und nun komme man in diesem Augenblicke noch mit diesem Zolle. Der Reichskanzler, der bier gesagt habe, daß die österreichishe Zollnovelle nicht den Charakter der Retorsion gegen Deutshland trage, sei durch die Rede der Minister und durch die Aktenstüce vollständig desavouirt worden. Zwar sei die Berathung der Novelle in Oesterreih noch vershoben worden, aber das beweise nur, daß noch eine freundlihe Stimmung in Desterreih:-Ungarn für Deutschland vorhanden sei. Solle man nun Oel ins Feuer gießen, wo Desterreih seine freundliche Stellung dur die Verschiebung der Berathung bekundet habe? Wenn es dem Hause in der That an der Echaltung der freundlichen Beziehungen zu Oesterreich liege, so sollte man diesen Antrag ablehnen.
Der Staatssekretär -von Burchard erwiderte, er möchte den Vorredner do darauf aufmerksam machen, daß auch Vesterreih-Ungarn und Rußland eine differentielle Zollbehand- lung kennten. Von einer Zlloyalität deutscherseits könne also nit wohl die Rede sein, wenn man jeßt die Landein- fuhr von Eement anders behandeln wolle, als die Sceein- fuhr. Fn Oesterreih-Ungarn möge man anfangs die deutsche Zollnovelle als einen Zollkrieg aufgefaßt haben. Aber diese Auffassung sei geschwunden. Es sei dort Stimmung dafür vorhanden, von jeder Retorsion abzusehen, weil man wisse, daß Deutschland nicht aggressiv vorgehen wolle, sondern seine Zölle nur na den inländischen Bedürfnissen eingerichtet habe. Das sei die Sachlage. Die Zollnovelle habe nur den Zweck gehabt, Schäden zu heilen, die sih in Deutschland her- ausgestellt hätten.
__Der Abg. Sedlmayer erklärte, er habe ni®t behauptet, Daß der Antrag Biehl ein Retorsionszoll sei, Es fei doc etwas
Anderes, eine Jndusirie in ihrem Bestand zu {ühÿen, und einen Nachbarn zu ärgern. Der Abänderung, welche der Abg. Biehl seinem Antrag gegeben habe, könne er sich anschließen, weil so die partifulariste Spiße desseiben abgebrochen werde.
Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, der Abg. Sedlmayer leugne, daß derselbe den Zoll auf Cement als Retorfionszoll begründet habe. Der Abg. Sedlmayr habe aber ausdrüdlih ausgeführt, daß Deutschland die Konkurrenz Desterreihs wegen der Güte des Materials nicht zu scheuen habe; nur weil Oesierreich Deutschland mit einem Zoll belaste, deswegen solle das Lettere Oesterreih auch mit einem Zoll belasten. Der Staats)ekretär von Burchard habe dagegen sreilih ausgeführt, daß Netorsionszölle handelspolitish äußerst bedenklich seien, wenn man einen Zoll einführen wolle, dann müsse man ihn an allen Grenzen einführen. Er sei dem Staatssekretär in diefer Richtung voll- ständig beigetreten, aber stätt ihm (dem Redner) dafür dank- bar zu sein, wende der Staatssckretär sih nun gegen ihn und greife ihn an. Die Herren vom Bundesrathe hätten wahr- scheinlih die allgemeine Fnstruktion, sich gegen alle neuen Vorschläge von Zollerhöhungen freundlih zu zeigen. So komme es, daß sie zuerst zwar die Bedenken dagegen mit- theilten, sobald aber Jemand gegen den höheren Zoll spreche, falle ihnen wieder die allgemeine Jnsiruktion ein. Die öster- reihishe Zolltarifnovelle sei n den Motiven _und den befürwortenden Reden der Minister als Retorsions- zoll - Novelle begründet worden. Man habe allerdings vorläufig ihre Berathung auegeseßt, aber mit dem aus- drücklihen Vorbehalt, sofort beim nächsten Zusammen- treten des Parlaments die Vorlage wieder aufzunehmen. Man wolle eben erst abwarten, was der Reichstag jeßt be- ließen werde. Deswegen habe er davor gewarnt, Dester- reih gegenüber noch weitere Maßregeln zu ergreifen. Es handele sich hier nur um den Schuß eines bayerischen JIn- teresses gegen ODesterreih. Das sei eine Beeinträchtigung der Meistbvegünstigungsklausel, wie sie noch niemals vorgekom- men fei.
Der Staatssekretär von Burchard entgegnete, der Abg. Richter verwecsele Netorsionszölle mit einer differentiellen Be- handlung der See-Einfuhr, die auch in Desterreich mehrfach an- gewendet werde. Aus dem Umsiand, daß man die öster- reichische Zolltarifnovelle niht weiter verfolge, {ließe er, daß man in der deutschen Zolltarisnovelle nicht einen Angriff gegen Oesterreich sehe. Í i
i Ae Broemel wies darauf hin, daß, während im Jahre 1884 der Import von Cement von Oesterreich nach Deutschland 193 000 Doppelcentner ketrazen habe, der Export von Deutschland nah Oesterreih sich auf 348 000 Doppel- centner belaufen habe. Dieses Handelsverkeh:sverhältniß mache bei Einführung neuer Zölle die größte Borsicht noth- wendig. S Der Abg. Richter (Hagen) machte noch darauf aufmerk- sam, daß nicht blos aus Bayern, sondern auh ous Sclesien Cement nah Oesterreih importirt werde. Schlesien verliere aber den Jmport, wenn Desterreih den Zoll erhöhe. Stim- mung für diese Zollerhöhung sei in Desterreiw schon vor- handen. Wolle man diese Stimmung noch verstärken, dann müsse man allerdings für den Cementzoll sih erklären.
Damit {loß die Debatte. E
Der Abg. von Köller bezweifelte, ob das Haus beshluß- fähig fei, Das Bureau war ebenfalls zweifelhajt. Es wurde deshalb der Namensaufruf vorgenommen, welcher die An- wesenheit von nur 156 Abgeordneten ergab. Das Haus war also nicht bes{chlußsähig. Die Sizung wurde abgebrochen,
Hierauf seßte der Präsident um 41/4 Uhr die nähste Sißung auf Mittwoch 1 Uhr an. ;
— Im weiteren Verlauf der gestrigen (51.) Sißung des Hauses der Abgeordneten erklärte bei fortgeschter zweiter Berathung des Gesetzentwurfs, be- treffend die Pensionirung der Volksschullehrer, der Abg. von Schenckendorff, die Nationalliberalen hätten einer geseßlihen Regelung der Unterrichtsverhältnisse stets das Wort geredet; er erinnere nur an Harkort, Gneist, von Bennigsen u. A. Seine politischen Freunde und er begrüßten daher auch den vorliegenden Geseßentwurf auf das Beste und wür- den thr Möglichstes thun, um ein Zustandekommen des Ge- seßes herbeizuführen, Der Entwurf erfülle leider nur einen Theil der Dotationsgesezgebung — von der Unterricht8geseß- gebung gar nicht zu reden — aber doch einen sehr wesent- lihen Theil, denn er schaffe endli rechtliche Verhältnisse auf diesem Gebiet. Er hoffe, daß dies Geseg den ÄUnfang zu einer schrittweisen Weiterbewegung der Schul- geseßgebung führen werde. Er bedaure, daß das Pen- sionsminimum gefallen sei, exr habe darin keine Be- vorzugung des Lehrerstandes erblickt, da die Pensions- regelung vor der Dotationsregelung in Angriff genommen werde. Nachdem aber die Regierung definitiv erklärt habe, daß ihr das Pensionsminimum unannehmbar sei, müsse er nunmehr, wenn er das Geseg nicht gefährden wolle, den An- trag Beisert und Genossen bekämpfen, Daß die Alters- zulage, die an si revokabel sei, zum Einkommen gerechnet werden solle, freue ihn, auch bemerke er, daß der Regierungs- kommissar ausdrücklih erklärt habe, wie der Fall undenkbar sei, daß die Alterszulage kurz vor der Pensionirung zurücck- gezogen werden könnte. Daß der Amtsnachfolger künftig frei bleiben solle, werde gewiß von allen Seiten begrüßt werden. Die Möglichkeit, daß eine Gehaltsverminderung durch die Ge- meinden etwa eintreten könnte, halte er für aus- geshlossen, da die Regierungen die Genehmigung zur Feststellung der Gehälter in der Hand hätten, Die Antheil- nahme des Staates an den einzelnen Pensionen halte er für diskutabel. Jedenfalls dürfe mindestens keine Mehr- belastung der Gemeinden eintreten. Statt einer fixirten Summe halte er aber eine Quote des Staates für vortheil- hafter. Es werde damit überall gleiches Recht geshaffen, denn die Emeritenzahl könne sonst leiht eine zu große werden, wenn ein großer Theil der Gemeinden künstig nicht mehr an den Pensionssäßen betheiligt bleibe. Er werde für die zweite Berathung daher auch für den zum 8. 9b vorlie- genden Antrag Beisert stimmen, der die Staatsquote auf ?/z festgestelt sehen wolle. Er neige zu einer Quote von ?/4 und habe dies in der Kommission auch verfohten. Die Resolution, die auf die Petitionen hin @efaßt sei, stehe im engsten Zusammenhange mit dem Gesez. Wenn auch einzelne Petenten zuweitgehende Wünsche gestellt hätten, so treffe dies doch nicht die Lehrerschaft als solche. Die hervor- ragendsten pädagogischen Zeitungen wiesen diese übertriebenen Forderungen auch selbst mit Entschiedenheit zurück, Er er- warte mit den Kommissionsmitgliedern, daß der Staat mit dem ihm jeßi dauernd zur Verfügung gestellten Dispositions-
fonds den vorhandenen Emeriten eine entschiedene Aufbesserung zu Theil werden lassen werde, daß man also eine neue Enquete in dieser Richtung anstelle. Da aber das Pensionsminimum ge- fallen sei, fo sei der Dispositionsfonds eine unbedingte Noth: wendigkeit. Er \prehe die Erwartung aus, daß die Staats. regierung mit mildernder Hand eingreifen werde, wo die Ver- hältnisse einer Abhülfe bedürften. Nachdem die Regierung heute eine günstige Stellung zum Gesetz genommen habe, sg bitte er nur ne das hohe Haus, thunlichst einmüthig für das Zustandekommen des Gesetzes einzutreten.
Der Abg. Dr. Windthorst bemerkte, die Debatte zeige, wie shwierig es sei, derartige Materien, welche tief in organisas torishe Fragen eingriffen, aus dem Hause heraus zu regeln. (Zuruf : Antrag Huene!) Der Antrag Huene greife nicht in solche Organisationsfragen ein. Daß die Regierung \ich nit früher erklärt habe, könne er nicht tadeln; sie müsse erst feste Beschlüsse vor sich sehen. Er vermisse in der Debatte au eine Erörterung darüber, wo denn die Scullast eigentlich liege, und wie fie durch diesen Entwurf vecshoben werde. Ex glaube, daß derselbe dem Art. 25 widerspreche. Vielleicht fónne ja eine Atänderung desselben in der Weise herbeigeführt werden, daß für die Pensionen statt der Gemeinden der Staat eintrete. Daß eine Aenderung des Pensionswesens der Volksschullehrer nothwendig sei, wolle er nit bestreiten. Aber durch die Vorlage werde der Westen belastet zu Gunsten des Ostens. Deshalb seien au wohl die Konservativen, die sonst Neuerungen nicht gerade sehr hold seien, so schnell für den Antrag eingetreten. Der Artikel 25 der Verfassung bestimme mit dürren Worten, daß die Ge- meinden die Träger der Schullasten seien; der Staat dürfe nur eintreten, wenn ein Bedürfniß nahgewiesen würde. Eine solche generelle Nachweisung der Bedürstigkeit der Gemeinden habe die Verfassung niht im Auge, sie verlange eine Nahh- weisung für jeden einzelnen Fall. Eine Staatsanstalt solle die Schule nicht sein; wolle man sie dazu machen, dann komme man zu einem System, das in keinem civilisirten Staat bestehe. Eine Aenderung der Verfassung sür diesen einzelnen Fall sei bedenklih. Hoffentlich würden au die sonst so eifrigen Vertheidiger der Verfassung, die National- liberalen, hier auf seiner Seite stehen. Am Besten wäre es, die ganze Vorlage nach den heutigen Erklärungen der Negie- rung an die Kommission zurückzuverweisen. Ohne eine Anerkennung der lediglich subsidiären Verpflichtung des Staates, für die Lehrerpensionen einzutreten, könne er der Vorlage nicht zustimmen. Auh der Antrag Nichter verdiene eine genaue Prüfung; erx erscheine besser als die Vorschläge der Kommission. Wenn der Finanz-Minister zur Deckung der finanziellen Belastung des Slaates etwa auf neue Steuern hoffe, so irre er sih; von neuen Steuern auf Taback 2c. werde nichts erreiht werden. Die Mittel könnten nur durch Sparsamkeit in sonstigen Aus- gaben aufgebraht werden. (Zuruf: Getreidezölle!) Die Ge- treidezölle sollten dem Reiche keine neuen Einnahmen bringen, sondern lediglih die Landwirthschaft {hüten und leistungs- fähig erhalten; der Antrag Huene solle diese Einnahmen den Kommunen zuwenden. Er wünsche \chließlich, daß die An- tragsteller einmal die finanzielle Tragweite des Entwurfes darlegten.
Der Abg. Graf Clairon d’Haufsonville drüdckte seine Freude darüber aus, daß die Temperatur für das Geseyz eine günsti- gere geworden sei; er stelle sih auf den Boden der Kommissions- beschlüsse, denn um den Preis, daß die Gemeinden mehr be- lastet werden sollten, wolle er die Zuwendungen an die Lehrer niht erkaufen. Da er die Fertigstellung des Gefeßes wünsche, so werde er mit seinen Freunden nach einer Verständigung mit der Negierung streben.
Der Abg. Zaruba war insofern mit dem Geseh einver- standen, als cs an die Stelle willkürlicher Bestimmungen der einzelnen Behörden geseßliche Vorschriften setze.
Der Abg. Rickert bemerkte, der Abg. Windthorst wolle das Gesez zu Stande bringen; aber nat seiner Nede scheine cr cher ein Feind als ein Freund desselben zu sein. Derselbe frage troß der vielfahen Ausführungen in der Kommission und im Hause nach dem sinanziellen Effekt der Vorlage, während do feststehe, daß die Ersparniß aus dem Konverti- rungsgeseß bis auf eine kleine Summe die Ausgabe decken werde. Solche Bedenken habe der Redner, der für den Antrag Huene eintrete, Wo wolle er denn die Dußtende von Millionen hernehimen, die dadurch den Staatsfinanzen entzogen würden? Dafür würde man im Reichstage noch große Summen zu bewilligen haben, auf diesen Hinweis aber antworte der Abg. Windt- horst: „Das fällt uns gar niqzt ein, das wollen wir alles dur Ersparnisse erreichen !“ Er (Redner) sei gewiß ein Freund von Ersparnissen, aber diese kühne Erfparnißpolitik, die 24 Millionen aufbringen wolle, habe er doch noch nit durchführen sehen ! Wo wolle man denn im preußischen Staatshaushalte diese Ersparnisse mahen? So lange man ihm das nicht darlege, könne er diesen Ausführungen kein großes Ge- wicht beimessen. Er bitte übrigens auch, die Sache hier im Plenum jezt zum Abschluß zu bringen; gelänge die Verständigung nit, dann bleibe die Kommission immer noch. Auch sci über die Pensionsfrage eine Verständigung viel leichter als im Reichstage, wo doch der Abg. Windthorst und seine Genossen oft bei viel {chwierigeren Dingen gegen kom- missarishe Berathung stimmten. Dem Abg. Windthorst zufolge verleße oder unterminire die Quotisirung den Art. 25 der Verfassung. Er könne das absolut nicht finden; wäre dem so, dann würde auch er den Entwurf bekämpfen. Bleibe also nur die Frage wegen des Minimums. Sei dieses Minimum von 450 s für die Regierurg s{chlechthin unannehnbar, dann würde er daran für seine Person die Vorlage nicht scheitern lassen. Diskutiren könne man dic?e Frage aber doch um so mehr, als auch in dem Antrage von Zedliß ein solches Minimum sih befinde. Der Finanz-Minister wolle kein neues Recht ein- seitig für die Lehrer schaffen; aber vergesse er dabei niht den Charakter des Nothgeseßes, dem zu Liebe er doch das viel wichtigere Prinzip der Quotenvertheilung aufgeben wolle ? Vei der endgültigen Regelung der Dotationsfrage könne ja diesem Bedenken abgeholfen werden; vorläufig aber seien die Lehrer in einer ganz abnormen Lage und entbehrten der sihe- ren Rechtsgrundlage für ihre Pensionsverhältnisse vollständig : zudem habe 1868 die Regierung selbst ganz genau denselben Vorschlag gemaht. Jm Ganzen köane er si nur herzlich freuen, daß endlih einmal durch diese Vorlage Beschwerden aus dem Wege geräumt würden, die in Preußen stets sehr unanaenehm hätten, berühren müssen.
_ Der Abg. Dr, Enneccerus bemerkte, er könne dem Abg. Windthorst die gewünschte Belehrung dahin ertheilen, daß nach Art, 112 der Verfassung es bis zum Erlaß eines Unter- richlsgeseßes hinsihtlih des Shul- und Unterrihtswesens bei
den jeßt geltenden Bestimmungen bewende, Der Art, 26, welcher den Erlaß des Unterrichtsgeseßes verheiße, sei also noch suspendirt, und au Art. 25 könne aus demselben Grunde dem vorliegenden Entwurf nicht entgegengehalten werden. Er siehe in dieser Beziehung durhaus auf dem Boden, den Rönne in seinem preußischen Staatsrecht betreten habe. Bezüglich der Maximal- fumme seien au die Nationalliberalen zu einer Verständigung mit der Regierung bereit, vorausgeseßt, daß einerseits den berech: tigten Jnteressen des Elementarlehrerstandes, andererseits der Nothlage der überlasteten Kommunen wirklich entgegen- gekommen werde. i z
Der Abg. Frhr. Kunish von Richthofen fand gleichfalls, daß der subsidiäre Charakter der Schulunterhaltungspflicht des Staates hinsichtlich der Pensionsverhältnisse durch den Ent- wurf zu sehr in den Hintergrund gedrängt werde, und wünschte im Uebrigen vor Allem eine genaue Prüfung der Bedürfniß- frage und sah die zweckmäßigste Abgrenzung in einer Marimal- summe von 750 M
Der Abg. Frhr. von Zedliß und Neukirch polemisirte gegen den Abg. Dr. Windthorst, der zwar schr Schönes für den Entwurf gesagt, materiell aber alles gethan habe, um das Zustandekommen desselben zu verhindern, und führte gegenüber den auch von ihm im Wesentlichen als zutreffend bezeichneten Argumenten des Abg. Richter sür die Quotenvertheilung die Verschiedenheit der Emeritirungsverhältnisse in den Städten und auf dem platten Lande vor. Die Quotisirung der Pen- sionslaft leiste nur der formalen Geretigkeit genüge. Auch die freikonservative Partci hoffe auf eine Verständigung der Regierung, halte aber tas Maximum von 600 M für allzu niedrig. Das Gewicht der Gründe für eine höher gegriffene Maximalsumme sei \o stark, daß die Regierung mindestens den Vorschlag des Abg. von Richthofen acceptiren sollte.
Der Abg. Dr. Windthorst bemerkte dagegen, seine Partei wolle ebenso wie die übrigen Parteien den Lehrern geben, was sie längsl bedürften ; aber die Beweisführung gegen seine Verfassungsbedenken Seitens des Hrn. Dr. Enneccerus sei absolut verfehlt. Wenigstens de lege ferenda sei Art. 25 der Verfassung unbedingt in Geltung. Was die Frage der Be- schaffung der Mittel betreffe, so werde das Haus sich ja darüber noch zu unterhalten haben; für jeßt wiederhole er nur: entweder den Antrag Huene oder keine Zölle !
Hierauf ergriff der Staats-Minister Dr. von Goßler das Wort:
Meine Herren! Wenn ich in so später Stunde nod das Wort ergreife, so kann es nur geschehen, um dem Gefühl der Freude und des Dankes Ausdruck zu geben, daß wir endlich in einer so wichtigen Materie des Volkéschulwesens in ein Stadium eingetreten sind, ia dem wir hoffen Tônnen, etwas Nüßliches zu Stande zu bringen. Wenn ih an meine Verwalturg zutücdenke, an die Zeit vor drei Jahren, wo i {on hoffte, das ersehnte Ziel zu erreihen, dann werden Sie es dem verantwortlichen Chef der Unterrichtsverwaltung naGfühlen, wenn er gern dankbar vor allen Dingen konstatirt, daß in den maßgebenden Parteien dieses Hauses so viel Vereinigungé punkte in der Diskussion si gezeigt habe, daß wir mit Sicherheit hoffen D zu cinem gedeihlihen Atsc{hluß des geseßgeberishen Werkes zu gelaugen.
Die Ausführungen, die ih jeßt machen werde, werden sich der gegenwärtigen Lage entsprech¿nd auf Punkte beschränken, die einer Er- ärung noch bedürfen, indem ich es vor allen Dingen für nothwendig erachte, einige Abshwäcbungen, welhe den Erklärungen des Herrn Finanz-Ministers gegenüber cingetreten sind, richtig zu stellen. Zwei Punkte kommen hierbei vornehmlich in Frage. Der eine betrifft das Amendement zum §. 2 auf Festsetzung eines Pensionsminimums. Ich glaube, die Herren, welche diesen Antrag mebr oder minder warm vertreten haben, und namentlich der Hr. Abg. Rickert, haben die Be- deutung der Ausführungen des Herrn Finanz-Ministers unters{äßt. Der Herr Finanz-Minister hat mit voller Bestimmtheit ausgesprocben, daß, soweit wir überhaupt in der Lage sind, eine absolut definitive Erklärung im gegenwärtigen Momente abzugeben, der Gesetzentwurf die größte Aussicht hat, an der Einführung eines derartigen Minimums zu sheitern. Die Gründe dafür hat der Herr Finanz-Minister bereits angegeben, aber ih möchte den Bemerkungen des Hrn. Abg. Rickert gegen- über doch darauf aufmerksam machen, daß er meines Erachtens nicht gerecht dem Herrn Finanz-Minister geworden ist, wenn ec ihm die Meinung imputirt hat, — imputiren aber nit in verleßzendem Sinne gebraucht — daß es si bei dem ganzen Gesetzentwurf nur um eín Proviforium handle. Die Ausführungen des Herrn Finanz- Ministers gingen vielmehr tahin und konnten au nur dahin geben, daß, soweit es sich um die Necbte der Lehrer handelt, wir es mit einem festen, organischen Gesetze zu thun haben, und daß von einer pro- visorisden Natur des Gesetzentwurfs nur die Ncde ist und nur die Rede sein kann, insoweit es ih um das Antheilsverhältniß zwischen Staat und Gemeinde handelt, um die Abmessung der Beitragspflicht des Staates, vor Allem also um den §8. 96. Jn dieser Bestimmung ist der provisorishe Charakter des Gesetzes festgelegt.
Nicht minder erheblich ist der andere Punkt, Der Herr Finanz- Minister — und aus dieser Ausführung hat denn auc der Hr. Abg. Rickert ein unterstüßzendes Moment für seine eigene Auffassung ent- nommen — hat seiner persönlichen Ueberzeugung dahin Ausdruck ge“ geben, daß es ihm an und für sih erwünsht gewesen wäre, wenn man au bei diesem Spezialgescß zu einer Quotisirung, zu ciner Halbirung der Leistungspflicht hätte gelangen können. Denn die voll- ständige Regelung der Schuldotation denke er sich so, daß die Unter- stüßung der öffentlichen Volksschule zwishen Staat und Ge- meinde gleichmäßig getheilt werden müsse. Der Herr Finanz- Minister hat auf die Durchführung dieses Prinzips bei dem vorliegenden Spezialgeseße aber verzichtet, indem er ausdrüd- lih anerkannt hat, daß bei der Quotisirung um die Hälfte in Ansehung der Lehrerpensionen die große Gefahr vorliege, daß die Ge- meinden, wenn ihnen die Hälfte ter Pensionen auferlegt würde, erheblich höher belastet werden könnten, als das gegen- wärtig der Fall sei, wo sie im Großen und Ganzen nur cin Drittel des Lehrergehalts als Pension zahlen. Meine Herren, eine ganz einfahe Rechnung wird das klar maden. Wenn gegenwärtig cine Scbulgemeinde bei der Emeritirung ein Drittel des Lehrergehalts als Pension zahlt, so würde diesem Drittel gleichstehen die Hälfte derjenigen Pension, welche si ein Lehrer nah 35jähriger Dienstzeit erworben hat. Denn nach 35jähriger Dienstzeit erbält nach dem Gesetz- entwurfe ein Lehrer 4%o \cines Gehalts als Pension; die Hälfte dieser Pension, welbe auf die Gemeinde entfiele, beträgt also 20/60 oder ein Drittel, Wenn Sie aber die Tabelle am Schlusse des Kommissionsberichts nachsehen, fo werden Sie finden, daß eine sehr große Zahl der Emeriten eine längere Dienstzeit Hinter sich hat, als eine 35jährige. Mit jedem Jahre Dienstzeit mehr würde die Last der Gemeinde entsprebend wachsen, um die Hälfte von 1/60, glei 1/120, und könnte fih steigern, wenn der Emeritus eine 40jährige
lenstzeit zurückgelegt hat, im Maximum um 5/120, Aber in dieser
teigerung findet die Möglichkeit einer flärkeren Belastung der Ge- meinden noch nit ihren voliftändigen Ausdruck. Erinnern Sie ich vor allen Dingen daran, daß nach dem Gesetzentwurfe in das pen- sionsfêhige Diensteinkommen eingercchnet werden die Alterszulagen und daß weiter verboten werden soll die theilweise Entnahme der Pension aus dem Stelleneinkommen. Wenn aber diese beiden Fak- toren noch hinzutreten, fo ergiebt fich in der That nahezu die Noth- wendigkeit, daß die Gemeinden bei der Halbirung der Pensionslast n höherem Maße belastet werden, als bei dem gegenwärtigen Zu- stande. Die Alterszulagen bitte ich niht gering zu verans{lagen, sie betragen heute 35 Millionen Mark unv kommen zu Gute etwa 89 °% sämmtlicher Lehrer und Lehrerinnen,
Die stärkere Bedrückung der Gemeinden bei der Harbirung Haben au die Herren Artragsteller Beisert und Genossen offenbar richtig erkannt, indem fie ihren Vorschlag darauf geribtet haben, auf eine Theilung von F und 4 zwischen Stoat und Gemeinde über- zugehen. Aber aub bei dieser Ouotisirung is die Nechoung zu Gunsten der Gemeinden nicht sicher, wenigstens nit dem Vor- iclage der Staatsregierung aegenüber, dem Staat einen festen Beitrag ron 600 M aufzuerlegen. Nehmen Sie beispielsweise an — ih greife ganz einfahe Zahlen heraus, denen aber eine gewiffse Dur- s{nittsbedeutung nicht abgesprohen werden kann —, daß das anrec- nungspflihtige und fähige Einkommen eines Lebrers 1000 (4 beträgt, so berechnet sich die Maximalpension auf 750 A Wenn 750 M4 ge- theilt werden im Verhältniß von F zu 2, so fallen auf den Staat 506 M und auf die Gemeinte 250 M4, also die Gemeinde zahlt immer noch mebr, als sie zahlen würde, wenn der Staat 600 4 fixen Beitrag zu leisten hätte. Eine Gleichstellung tritt erst ein bei dem für kleine Städte in Betracht kommenden Durch{bscbni1it8gehalt von 1200 M; hierbei beträgt die böste Pension 900 A und der Staat und die Gemeinde würden \ih in dieselbe zu theilen haben mit 600 und 300 «4 Das Diensteinkommen von 1200 4 ist aber bereits ein so hohes, daß es izn Großen und Ganzen für die Schulen des platten Landes nicht in Frage kommen kann.
Aber, meine Herren, wollen Sie noch weiter meinen Ausführun- gen folgen. Die angeführten Beijpiele bezogen si ja nur auf die Maximalpensionen. Nehmen Sie die unterhalb der Marima liegen- den Pensionen, dann kommen Sie zu einer noch viel \chwereren Be- lastung der Gemeinden, wenn Sie das Ancrbieten der Staat®êregie- rung zurückweisen. Es läßt sich das sehr leiht autrechnen — wenn bei 1000 oder 1209 A Einkommen eine Pension von 600 4 er- dient worden ist. In ersterem Falle in 31 Fahren (36/60), in letztes rem in 25 Jahren (30/60). Bis zu diesen Zeitpunkten würde also der Staat bei den gewählten Beispielen die volle Penfion allein zu tragen haben, erst darüber hinaus würde eine Konkurrenz der Ge- meinden eintreten. Sie schädigen also mit ibrem Antrage — ich glaube in bester Absiht — um das Prinzip der Quotisirung zu retten, die Gemeinden.
Die Erwähnurg der Gemeinden führt mich zu einem weiteren Gesichtspunkt in Bezug auf die Bedürfnißfrage. Sicerlich ist es ein \{öner Saß, wenn wir hier das Prinzip ausspreben: die Ge- meinden sollen insoweit, aber auch nur insoweit unterstüßt werden, als sie ihr Bedürfniß nachgewiesen haben, aber bei der Betrach- tung dieses Satzes in seiner praktischen Anwendung komme ih zu einem Punkt, der heute noch nit berührt ift. Es ift vom Herrn Finanz-Minister meines Erachtens erschöpfcud — ich könnte nur wenige Züge, die gegenwärtig niht von Bedeutung sind, hinzufügen — aus- geführt worden, daß auf Seiten der zu emeritirenden Lehrer und der Gemeinden dieser Gesetzentwurf mit großer Freude begrüßt werden müßte, indem er ihre Lage erheblich zu verbessern bestrebt ist. Jch kann noch ergänzend bemerken, daß auch von dem Nachfolger des emeritirten Lehrers mit Dank dieses Geschz empfangen werden wird; denn die Beiträge aus den Lehrerstellen fallen fort, der Nach- folger erhält das volle Einkommen der Stelle und hat kein Jn- teresse, die Pension seines Vorgängers niedriger bemessen zu schen, An der Hand dieses Gesetzes entgehen wir einer unbequemen Art von Streitigkeiten, der Streitigkeiten zwischen den ab- und anziehenden Lehrern; denn, wie der, Hr. Abg. von Richthofen, wie ih glaube, ribtig ausgeführt hat, in einem gewissen Stadium liegt es im Interesse der Lehrer, ihre Stellen so niedrig wie mögli zu veranschlagen, in einem andern sie so gut wie mögli darzustellen ; das giebt unerquidtlihe Verhältnisse, wie wir si: au auf dem Ge- biet der Emeritirung der Geistlichen zur Genüge kennen gelernt haben. Wenn jeßt dur diese unerwünschten Verhältnisse ein Strich gezogen ite kann, so bin ich gern bereit, dankbar diese Gelegenheit zu er- greifen.
Was ic aber im Besonderen noch betonen möchte, das ist die Stellung der Schulverwaltungsbehörden zu diesem Gesetzentwourfe. Meine Herren, die Stellung der Swulverwaltungsbehörden ist chon in thesì eine ungemcin \{wierige, indem sie einerseits die Schulver- waltung an und für sch zu führen, andererseits das fiskalische IÎIn- teresse in gewifsem Umfange wahrzunehmen hat. Schon hieraus er- geben sid oft unbequeme Komplikationen, welche durch den Mangel einer sicheren gescßlißen Basis noch vermehrt werden. Auch in dieser Richtung ist der Gesehentwurf mit Fceuden zu begrüßen, denn er stellt die Schulverwaltungsbehörden auf einen festen, geseßlichen Boden und gewährt ihnen die Möglichkeit, mit bestimmten Zahlen zu renen und das Äbwägen des Bedürfnisses der Gemeinden zu unterlassen. Wenn, wie ich Ihnen an der Hand der Etatsberechnungen ausgeführt zu haben glaube, gegenwärtig die S{ul- verwaltungen oft genöthigt find, Bedürfnißzusbüsse — und wir zahlen deren gegen 15 Millionen jährli — zurückzuziehen, so erhebt sich regelmäßig cine laute Beschwerde, weil jeder, dem ein Zuschuß entzogen ist, sich benachtheiligt glaubt, und kein Verständniß hat für den Einwand der Regierung, wenn diese sagt: Dein Nach- bar ift noch bedürftiger als Du; diesem muß ih eine Unterstüßung gewähren, denn ih kann das Geld nit \chafen. um alle Bedürfnisse zu befriedigen, der Herr Minister überweist nicht mehr Mittel, ich muß mit meinen Fonds auskommen. Es handelt fih heutzutage nicht darum, daß jedes Bedürfniß, welbes si geltend mat, be- friedigt werden kann, sondern darum, daß die Bedürfnisse, welche vorliegen, nur nah Maßgabe ihrer Schwere befriedigt werden. Wenn, wie ich nachgewiesen habe, in den leßten 10 Jahren entsprechend der Bevölkerung die Bedürfaisse der Shulunterhaltung gestiegen sind, und zwar um 11,8 %/o, und die staatliben Bedürfnißzuschüjsse nur um 2 bis 3 %%o, daun werden Sie es erklärlih finden, daß bei diesem Hiatus zwisden Soll und Haben die Unzufriedenheit der Schulunterhaltungs- pflibtigen si steigern muß. Und wenn Sie nun abermals die Ver- pslihtung der Schulverwaltung auferlegen wollten, die Bedürfnißfrage bei der Gewährung von Staatszuschüssen für Zwecke der Emeritirung zu prüfen, dann würden Sie, meine Herren, nur eine Quelle von reuen Verlegenheiten und Konflikten \{affen. Wir müssen doc daran festhalten, daß die Regierung auf der einen Seite die Pflicht hat, das Wohl der Schule an und für sih zu pflegen und zu fördern, aber auf der andern auch die ernste Verpflichtung, die Kräfte der Gemeinden möglichst zu s{onen. Zwischen diesen beiden Polen, wie ih das schon öfter ausgeführt babe, bewegt sich die Schulverwaltung, nur jene unter sehr erschwerten Verhältnissen, da ohne Zusicherung neuer erhetlibher Staatsmittel die Entfernung zwischen beiden Polen wachsen muß. Also ih begrüße cs mit großer Freude aub vom Standpunkt der Schulverwaltung, wenn das hohe Haus den Boden, den der Finanz-Minister bier gelegt hat, betritt.
Nun is in ter Diskussion ganz rihtig darauf hingewiesen worden, ich glaube von dem Hrn. Abg. Frhrn. von Zedliß, daß, wenn Seitens des Staates nur fixe Beiträge gezahlt werden, allerdings nit alle Gemeinden eleihmäßig, in gleichem prozentualen Verhältniß berücksihtigt werden. Von meinem Standpunkte kann ich das auch nicht besonders bedauern, ih begrüße vielmehr in gewissem Sinne diese theoretishe Ungleibheit aus praktischen Gesichtspunkten. Ob Berlin 600 6 bekommt oder ein Flecken, wie Heidekrug, so sind das allerdings sehr verschiedene Dinge. Aber die Wirkung wird doch sein, daß die, die nichts haben, mehr bekommen, als die. welche bereits viel besitzen.
Dann noch ein Gesichtspunkt, der no nicht angeführt ist, der aber {on für sih allein von erheblicher Bedeutung ist: Verkennen Sie doch nit, daß, wenn die Sculverwaltungsbehörden genöthigt sind, zwishen Staat und Gemeinde die Emeritirungen zu quotisiren, Sie ihnen naturgemäß auch cine gewisse Ingerenz auferlegen bei der Aufstellung der Prinzipalsäße und bei der Bemessung der Gehälter. Wir haben allerdings zu konstatiren, daß seit der Mitte der 70er Jahre eine generelle Gehaltsteigerung Seitens der Schulverwaltungs- behörden nit angeordnet ift und, wo ich in einzelnen Fällen in der Lage gewesen bin, Einkommenössteigungen zu inhibiren, so habe ih es au gethan. Aber den größeren und mittleren, den wohlhabenderen Kommunen wird es do nicht beshränkt werden können, wenn sie nament- lih in neuerer Zeit dazu übergegangen sind, die Gehälter der älteren Lehrer zu verbessern, In diesem Beftreben hade ih siein der Richtung unterstützt
— und das wird Herr von Ricbthofen, glaube ib, auch erfreuen — daß i den Städten gesagt habe: rermindert die Anfangsgehälter und er- böht die Endgebâlter, dann fommen wir zu gercchteren und besseren Verhältnissen. Aber wenn eine potentz Kommune, wie beispielsweise Berlin, deren Durchscvittégehälter einschließlich der Lehrerinnen bereits die Ziffer von 2000 4 übersteigen, wenn cine solde Kom- mune die Lebrergehälter in irgend einer Beziehung erhöhen will, dann wird es wohl meift für die Shulbehörden an einem Anlaß fehlen, einer solden Gemeinde bei Erböhung allzu rasch Zügel anzulegen, und doch müßte es bei der Ouotisirung die Sculoerwaltungsbehörde unter Umständen thun, da ihr die Verpflichtung obliegt, das Interesse des Staats\äckels wahrzunehmen. Bei diesem Spezialgeseß implicite für die Sckulaufsichtébehörde den Anlaß zu steigern, in die Lehrer- gehaltéfestsezung unter Umständen kräftig und energisch, vielleicht zu Ungunsten der Lehrer, einzugreifen, das ist meines Erachtens bedenk- li, und Sie werden cs verstehen, wern ih Sie bitte, auch in dieser Richtung durch Annahme des festen Staatsbudgets möglichs klare Verhältnisse zu {hafen und die Sculverwaltungsbehörde im Inter- esse des Schulwesens und im Interesse des Friedens in der Bevölke» rung mit der Lösung einer so shwierigen Aufgabe zu verschonen.
Hierauf wurde §8. 1 der Kommisfionsbeschlüsse mit sehr großer Mehrheit angenommen (dagegen nur vereinzelte Kon- jervative und Centrumsmitalieder) und um 3 Uhr die Fort- seßung der Berathung auf Mittwoch 10 Uhr vertagt.
Statiftische Nachrichten.
Die „Mittheilungen der Großherzoglih Hessischen Centralstelle für die Landesftatistik“ bringen in Nr. 330 Daten aus der Berufszählung vom 5. Juni 1882 im Groß- berzoathum Hessen. Danach betragen die unter die Abtheilung: Militär-, Hof-, bürgerlicher und fkir&li{er Dienst, auch fogenannte freie Berufsarten, ferner unter die Abtheilung: Ohne Beruf und Berufs8angabe fallenden Theile der Bevölkerung, die nicht gewerbe- treibende Bevölkerung, mit Angehörigen und häuslihen Dierstboten im Großherzoathum die Zahl von 96,9 auf 1000 der Gesammt- bevölkerung. (Im Reich 98,8). In den einzelnen Provinzen weichen die entsprehenden Zahlen bedeutend von einander ab. Bei den fünf größeren Städten ist dics in noch bervorragenderem Maße der Fall.
Es fallen von 1000 der Gesammtbevölkerung auf die oben ge- nannten Abtheilungen: Staatsdienst 2c. und Berufsorten zusammen in Rheinhefsen 115,4, in Starkenburg 98,9 und in Oberhessen 73,9. Die hohe Zahl in Rheinhessen ist Folge der starken Militärbevölke- rung zu Mainz und Kastel. Die entsprechenden Zablen betragen für Darmstadt 362,2, Gießen 305,2, Mainz 285,4, Worms 155,8 und Offenba 102,2; ferrer für Starkenburg ohne Darmstadt und Offenbach 66,3, Rheinhessen ohne Mainz und Worms 58,7 und Ober- bessen ohne Gießen 57,9. Die Zahl für Darmstadt, mehr als 5 der ges sammten Einwohnerzahl dieser Stadt, überragt di: entsprechenden Zahlen der anderen 4 Städte nit blos im Ganzen, sondern auch in den zu jeder der genannten Abtheilungen çehörenden Theilen. Die unter die Ab- theilung Militär-, Hof-, bürgerlicher Dienst :c. fallenden Zahlen der Städte Gießen (199.6) und Mainz (200,9) sind nicht viel von ein- ander verschieden. Die Abweichung in beiden Städten ist hauptsäch- lich Folge der Zahlen der unter die Abtheilung „ohne Beruf 2c.“ fallenden Theile der Bevölkerung, Gießen mit 1062 und Mainz mit nur 84,5, Worms überragt Offenba nit blos im Ganzen, sondern auch in jeder der beiden Abtheilungen. Die einzel- nen Provinzen ohne die fünf größeren Städte enthalten in den beiden Abtheilungen zusammen nit sehr viel von ein- ander verschiedene verhältnißmäßige Theile der Bevölkerung, nämlich Starkenburg 66,3, Rheinhefsen 58,7 und Oberhessen 57,5 auf Tausend der Gesammtbevölkerung. Die hierunter enthaltenen, untec die Abtheilung Offizierdienst 2c. fallenden verhältnißmäßigen Zahlen find in den drei Provinzen obne die fünf größten Städte nahezu etn- ander gleich (Starkenburg 36,2, Oberhessen 35.5 und Rheinhessen 35,2), während die unter die Abtheilung ohne Beruf 2c. fallenden ent- sprechenden Zahlen etwas mehr von einander abweichen. Es belaufen fi die Zahlen in Starkenburg auf 30,1, Rheinhessen 23,5 und Oberbessen 22,0 von Tausend der Gefammtbevölkerung.
Bringt man die Anzahl der dem Hauptberuf na erwerbsthätigen
Personen mit Hinzurechbnung ihrer Angehörigen und bäuslichen Dienft- boten in der Landwirthschaft, Thierzubt und Gärtnerei, in der Jn- dustrie ohne Bergbau und Torfgräbverei sowohl mit der Gesammt- bevöikerung als auch mit der Gefammtbevölkerung unter Aus\{luß der zu den Abtheilungen Offiziers- und Beamtendienft 2c. sowie ohne Beruf 2c. gehörenden Theile in Vergkeich, so ergiebt sich: _ Von 1000 der Gefammtbevölkerung kommen auf die Landwirth- saft 2. in Worms 46,7. in Gießen 44,7, in Offenbach 30,1, in Darmstadt 26,7 und in Mainz 6,2; auf die Industrie in Offenbach 708,4, in Worms 538,4, in Mainz 447,7, in Darmstadt 382,5 und in Gießen 372,7 und auf Handel, und Verkebr in Gießen 241,3, in Mainz 233,1, in Worms 218,5, in Darmstadt 194,4 und in Offen- bach 135,9,
Von 1000 der Gesammtbevölkerung unter Ausschluß der zu den Berufsabtheilungen E und F gehörenden Einwohnern kommen auf die Landwirthschaft 2c. in Gießen 64,3, in Worms 55,3, in Darm- stadt 41,8, in Offenbach 33,6 und in Mainz 8,7; auf die Industrie in Offenbach 789,0, in Worms 637,8, in Mainz 626,4, in Darm- stadt 599,7 und în Gießen 536,5, und auf Handel und Verkehr in Gießen 347,2, in Mainz 326,3, in Darmstadt 304,8, in Worms 298,8 und in Offenbach 151,4.
Von 1000 der Gesammtdöevölkerung kommen auf die Landwirth- \caft 2x. in Oberhessen ohne Gießen 556,8, in Rheinhessen ohne Mainz und Worms 502,5 und in Starkenburg ohne Darmstadt und Offenbach 443,8; auf die Industrie in Starkenburg ohne Darmstadt und Offenbach 385,0, in Rheinhefsen 315,6 und in Oberhessen ohne Gießen 287,3; und auf Handel und Verkehr in Nheinhessen ohne Mainz und Worms 106,8, in Starkenburg ohre Darmstadt und Offenbach 84,1 und in Oberhessen ohne Gießen 65,9.
Von 1000 der Gesammtbevölkerung unter Aus\ch{luß der zu den Berufsabtheilungen E und ® gehörenden Einwohnern kommen auf die Landwirthschaft 2c. in Oberhessen ohne Gießen 990,8, in Rhein- beffen ohne Mainz und Worms 533,8 und in Starkenburg ohne Darmstadt und Offenba 475,3, auf dke Industrie in Starkenburg ohne Darmstadt und Offenbach 412,3, in Rheinhessen ohne Mainz und Worms 335,3 und in Oberhessen ohne Gießen 304,8, und auf Handel und Verkehr in Rheinhessen ohne Mainz und Worms 113,9, in Starkenburg ohne Darmstadt und Offenba 90,1 und in Ober- hessen ohne Gießen 70,0.
Kunst, Wissenschaft und Literatur.
Swleswig-Holstein-Lauenburgishe Regesten und Urkunden. Im Auftrage der Gesellschaft für Schleswig-Holstein- Lauenburgishe Geschichte bearbeitet und herauêgegeben von Dr. P: Hasse, Professor an der Untversität Kiel. I. Band, 786—1250. 1, bis 3. Lieferung. — Ja diesem Regestenwerk gelangt das gesammte, auf die älteste Geschichte der im Titel genannten drei Herzogthümer bezügliche Urkundenmaterial zur erstmaligen Veröffentlihung. Die publizirten Aktenstücke sind in mehreren deutsen und dänischen Arciven verstreut, und es bedurfte daher ciner mehrjährigen Durcforschung derselben, namentlich aud der Archive und Bibliotheken in Kopen- hagen, für welhe die Gesellshaft für Schleswig: Holftein-Lauen- burgishe Gescbidte Sorge trug. Der 1. Band wird die Urkunden vom Jahre 786 bis 1250 enthalten, und zwar diejenigen, welce big- her unzuverlässig oder an {wer zugänglihem Orie publizirt waren, in ganzer Ausdehnung des Tertes, diejenigen aber, welche in guten neueren Abdrücken, z, B. im eMecklenburgischen Urfundenbuch*, in dem des Bisthums und der Stadt Lübeck u. \. w, vorlicgen, in einem den Inhalt ershöpvfenden und die Form der Ueberlieferung kennzeichnenden Negest. Die frühere, seit 1839 von der genannten GefeUschaft veröftentlibte Urkundensammlung wird in ibren ältellen Theilen durch diese neue Publikation vollfiändig antiquirt; dieselbe