Kaiserliche Schutßtruppenu.
Berlin, 4. Januar. Von der Schußtruppe - für Südwest» afrifa: van Semmern, Oberstlt., von der Stellung als Kom- mandeur des 2. Feldregts: enthoben. v. Estorff, Major und Bats. Kommandeur im 1. Feldregt., zum Kommandeur des 2. Feldregts. ernannt. v. Lettow-Vorbeck, Hauptm. und Adjutant des Kom- mandos, als Komp. Chef in das 2. Feldregt. verseßt.
Nichtamtliches. Deutsches Reich.
Preußen. Berlin, 9. Januar.
Seine Majestät der Kaiser und König hörten heute im hiesigen Königlihen Schlosse den Vortrag des Chefs des Militärkabinetts, Generalleutnants Grafen von Hülsen-Haeseler.
Jm Jahre 1905 wurden ‘ von Jhrer Majestät der Kaiserin und Königin an Hebammen nah vierzig- jähriger Tätigkeit in ihrem Beruf goldene Broschen ver- liehen: in der Provinz Brandenburg 22, darunter 5 in Berlin, in der Provinz Westfalen 21, in der Provinz Hannover 20, in der Rheinprovinz 20, in der Provinz Schlesien 20, in der Provinz Sachsen 16, in der Provinz Ostpreußen 11, în den NReichslanden Elsaß-Lothringen 9, in der Provinz Hessen-Naff} au7, in der Provinz Pommern 4, in der Provinz Schle8wig- Holstein 4, in der Provinz Westpreußen 3, inden Hohen- zollernshen Landen 2, in der Provinz Posen 1, Summa 160.
Im Jahre 1905 wurden von Jhrer Mazestät der Kaiserin und Königin ferner an weibliche Dienst- boten für 40 jährige Dienstzeit in derselben Familie goldene Dienstbotenkreuze nebst Alerhöchstselbst vollzogenen Diplomen verliehen: in der Provinz Brandenburg 59, darunter 8 in Berlin, in der Provinz Schlesien 43, in der Rhein- provinz 30, in der Provinz Sachsen 25, in der S West- falen 19, in der Provinz Ostpreußen 18, in der Provinz Hannover 16, in der Provinz Hessen-Nassau 12, in der Pro- vinz Pommern 12, in der Provinz Posen 11, in den Reichs- landen Elsaß-Lothringen 9, in der Provinz Schleswig-Hoistein 6, in der Provinz Westpreußen 6, Summa 266.
Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Char- lotte“ am 6. Januar in Syrakus eingetroffen und geht am 19. Januar von dort nah Palermo in See. /
S. M. S. „Panther“ ist am 6. Januar in Buenos Aires eingetroffen. i
. M. S. „Bremen“ ist am 6. Januar in Santa Cruz (Westindien) eingetroffen und gestern von dort nah St. Thomas in See gegangen. : E
S. M. S. „Thetis“ ist am 6. Januar in Sadani ein- getroffen und vorgestern von dort nah Daresfalam in See gegangen. ; .
S. M. S. „Luchs “ ist gestern von Saigon nah Haiphong in See gegangen.
Deutsche Kolonien.
Ein. Telegramm aus Windhuk in Deutsch-Südwest- afrifa meldet „W. T. B.“ zufolge: ,
Wie nacträglih berihtet wird, ist der Reiter Clemens Sizy- mansfi, geboren am 16. 10. 1882 zu Pofen, früher im Pionier- bataillon Nr. 5, am 23. Mai im Feldlazarett zu Kalkfontein-Süd und der Reiter Emil Kaiser, geboren am 9. 6. 1883 zu Leistenau, früber im Husarenregiment Nr. 2, am 25. Juli in der Kranken“ fammelstelle zu Dawignab an Typhus ge storben.
Großbritannien und Frland.
Der König Eduard hat gestern nahmittag in einer Kronraissißung die Proklamation unterzeichnet, dur die das Parlament aufgelöst wird. Jm Anschluß daran wurden, wie „W. T. B.“ berichtet, die Parla mentswahlbefehle an die Wahlvorsteher ausgegeben.
Frankreich.
Nach der offiziellen Zusammenstellung der vorgestrigen Senatswahlen entfallen 71 Kandidaten auf den Block (Republikaner und Linken) und 32 auf die Opposition, die 12 gemäßigte Republikaner, 15 Monarchisten und 5 Nationalisten umfaßt. Der Block hat nach Angabe seiner Parteiorgane 3 Mandate gewonnen. VBemerkens- wert ist, daß die sozialistishe gfartei , die im Senat bisher niht vertreten war, den Radikalen 2 Mandate abgenommen hat, und zwar Marseille, wo der frühere Bürger- meister Flessières, und das Departement Hérault, wo der Generalrat Delhon gewählt wurde. Die Senatoren, die für die Trennungsvorlage gestimmt haben, darunter der Vor- sizende und der Berichterstatter der betreffenden Kommission Vallé und Lecomte, sind fast ohne Ausnahme wiedergewählt
worden. Rußland.
Die „St. Petersburger Telegraphenagentur“ meldet:
Um die öffentliche Meinung zu erregeu, berichten gewisse links- stehende Zeitungen über Verhaftungen einer sehr roßen Anzahl von Revolutionären und über die Grausamkeit der Truppen bei Zusammenstößen mit den-Aufständishen. Wir können versichern, daß die Ver- haftungen nur den nes hatten, von den Revolutionären geplante Attentate auf die friedlihe Bevölkerung zu verhüten. Bei den Verhaftungen sind Waffen und Sprengjtoffe in solhen Mengen gefunden worden, daß sie hingereiht hätten, Tausende von Personen zu töten und ganze Städte zu zerstören. Was die sogenannte Grausamkeit der Truppen betrifft, so mußten in- Ee des unmenschlihen Vorgehens der Revolutionäre gegen
o Le treuen Diener der Monarchie strenge Maßregeln ergriffen werden. Die Regierung is überzeugt, daß die Bevölkerung die Haltung der Truppen gutheißt.
Mehrere russische jozialistishe Blätter behaupten unter
Bezugnahme auf die Schwierigkeiten in den Verbindungen mit dem Kaukasus, die infolge des Post-, Eisenbahn- und Telegraphenausstandes eingetreten sind, daß der Kaukasus vollständig von dem übrigen Reiche
‘und dori der volle Aufstand
Pn warden g E über-
D Petersburger Telegraphenagentur“ er-
fährt aus absolut sicherer Quelle, daß die Lage im Kaukasus so ist, wie sie inige Monaten war, daß die Verbindungen, obwohl mit Sd iten, gegenwärtig aufrehterhalten werden. Im Kaukasus olt fi, was sih einige Jahre vorher in
den asiatischen Teilen der Türkei unter dem Namen armenische Meygeleien zuget! hat.
Rußland gewährte damals edel- mütig den Massen armenishen Flüchtlinge eine Zufluchts- stätte. Jeh bringen diese selben Armenier nah dem Kaukasus ihre revolutionäre Organisation und regierungsfeindlihe Agitation, ne Bu m an und bringen die Mohammedaner gegen sih auf, wie der Grund der C 1 4 Kaukasus zugetragen . Die Regierung hat energische Maßnahmen ergriffen, um die Bewegung zu bekämpfen.
Ein Telegramm des Generalgouverneurs Sollohub aus Niga vom gestrigen Tage an das Ministerkomitee besagt: Eine Abteilung Truppen, die nah Windau geschickt wurde, verhaftete das do sozialdemokratishe Lokalkomitee. Von den 16 Haup [sfü wurden bei dem Versuche zu fliehen drei getotet und einer schwer verwundet.
În Nosftow a. Don flüchteten, nah Meldung der „St. Petersburger T ap denagen tue infolge energischen Vorgehens der Truppen die Aufständischen in der vorgestrigen Nacht unter Zurülassung der Waffen aus ihren befestigten Stellungen. Das t in der Stadt beginnt wieder normal zu werden.
die sich an mehreren Punkten des
Niederlande.
Der „Nieuwe Rotterdamshe Courant“ meldet aus Batavia, daß ein Hauptmann mit 29 Mann bei Sawie tto auf Celebes eine von 300 Eingeborenen besegte befestigte Stellung genommen hat. Der Hauptmann ist gefallen. Die Eingeborenen hatten 33 Tote, darunter drei Häuptlinge, und eine große Anzahl Verwundete.
Asien.
gvincfishe Regierun
Waiwupu, Tong, be fommens über“ die nördlihe Mandschurei und be sonders über die Einschränkung der Eisenbahnwachen zu ver-
handeln. U Wie das genannte Bureau ferner meldet, berihten Kauf- leute, die aus Charbin in Peking eingetroffen sind, daß die russischen xden die Truppen so schnell wie mögli in die t zurücsenden. Die Reisenden schildern die Truppen als unmittelbar vor der Meuterei stehend, da sie gedroht hätten, wie in Wladiwostok zu brennen und zu plündern, wenn fie niht nah der Heimat eschaft würden! Jn leßter Zeit seien wiederholt Brand- tiftungen vorgekommen. Die Eisenbahnangestellten weigern Ì u verrichten, joweit nicht Militärzüge- in
Betracht kommen.
sih, ihren Dienst
Nach einer Depesche des „W. T. B.“ aus Tokio wird amilih innt gegeben, daß die Kaiserlich japanische Gesandtschaft in-Verlin zum Rang einer Botschaft erhoben und daß se*bisherige Gesandte Jnouye zum Bot- schafter erüánnt worderr ift.
Das deutsche Marokko-Weißbuch.
Das deutsche Marokko-Weißbuch is gestern ver- öffentliht worden. Es beginnt, „W. T. B.“ zufolge, mit der Wiedergabe einer englishen und einiger französishen Stich- proben von Zeitungéäußerungen aus der Zeit von Januar bis April 1905, die einerseits die in französischen Kreisen gegenüber Marokko gehegten Monopolwünsche beleuchten, andererseits befunden, daß der französishe Gesandte in Fez sich auf ein Mandat Europas zur Durchführung der Reformen berufen habe. Auch das erste amtliche Schriftjtück, das mit- geteilt wird, ein Bericht des deutshen Konsuls Vas ls in Fez vom 21. Februar 1905, handelt von der Mandats frage.
Der Sultan kam gegenüber dem Konsul in einer Unterredung vom gleihen Tage auf die allaemeine Lage zu sprehen und sagte: „Er balte daran fest, „drei, nein vier Nationen“ gleich zu behandeln: Deutschland und England wegen ihres Handels mit Marokko, Frank- reih und Spanien auch wegen der Nachbarschaft. Er fragte, ob sich der französishe Gesandte auf ein allgemeines Mandat berufen könne. Der Konsul erwiderte: „Solhes Mandat sei deutscerseits nicht erteilt.“ Der Sultan gab seiner Freude darüber Ausdruck, daß Deutschland si der französishen Aktion niht aageshlossen habe.
Am 21. April berichtet der Konsul über den Eindruck der vom Minister Delcassé am 31. ir im französishen Senat abgegebenen Erklärung in der Marokkofrage.
Der Sultan sei besonders über die Stelle aufgebracht, wo Delcafsé sagt, daß die marokkanishe Regierung die Ratsläge Frank- reis erbeten und nahdem diese erteilt worten, die Erklärung ab- gegeben habe, di:se Ratschläge befolgen zu wollen. Der Konsul berichtet weiter : „In einer Audienz, die ih heute bei dem Sultan hatte, kam diefer ebenfalls darauf zu sprechen und verftieg sih dabei zu dem Au?rufe : „Aber das sind ja reine Unwahrbeiten!“ Ich erzählte ihm dann auch, daß die Franzosen die Nah dementierten, daß der Gesandte Saint René Taillandier \sih hierauf ein europäisches Mandat en bâtte.“ Der Sultan bemerkte dazu: „Mir selbst gegenüber haben ih die Franzosen in diesem Sinne ausgesprochen.“ Auf meine Frage, wer es gewesen sei, erwiderte der Sultan : - „Herr Saint Rens selbst!“ und fügte hinzu: „Ih habe dann gefragt: Wer find denn die Nationen ? da ich wußte, daß Deutschland und Italien solches Mandat niht erteilt haben.“ Der ESesandte Saint René hat darauf nichts erwidert und id habe daraus meine S{lüsse gezogen, die der Verfolg mir bestätigt hat.“
Am 15. Mai meldet dann der deutsche Gesandte Graf Tattenbach folgende Erklärung des Sultans:
Die Aeußerung, die der Minister Delcassé nah dem Kaiserbesuh in der Deputiertenkammer gemacht habe, die marokkanishe Regierung habe die französischen Reformvorshläge im Prinzip angenowmen, entspreche ebenscwenig der Wahrheit, wie die Bebauptung des französishen Gesandten, daß er im Auftrage Europas spreche. Von vornherein habe er die Nichtigkeit der leyteren An- gabe bezweifelt und habe lebhafte Freude empfunden, daß die Sahlage inzwischen klargestellt sei. Er habe den Franzosen bisher nit das geringste Zugeständnis gemacht, sondern die Ankunft des deutshen Gesandten abgewartet, um die Verbältnifse eingehend zu besprechen. Der Graf Tattenbah fügt hinzu: „Der Sultan ist augen- \cheinlich von dem Bewußtsein durchdrungen, daß es fih gegenwärtig für ihn und sein Reih um Sein oder Nichtsein handelt und daß die Verantwortung und Entscheidung bei ihm allein liegt.“ i
Zwei Taze später berihtet der deutshe Gesandte, daß unmittelbar nah seiner Ankunft in Fez dort der französische Gesandte im Auf- trage des Ministers Delcafsé erklärt habe, die französische Regierung
es in der Türkei geschehen ist. Dies ist | ändern.
würde es als eine Beeinträchtigung ihrer Interessen an- sehen, wenn die französishen Reformvorshläge den Signatar- mähten zur Kenntnisnahme und Aeußerung unterbreitet würden. Das Recht, in marokkanishen Angelegenheiten zu intervenieren, ftehe feiner anderen Macht zu. Der Annahme der franzöfishen Vorschläge müsse sih die marokkanishe Regierung fügen, da fie nicht ia der Lage sei, Ruhe und Ordnung im Lande zu schaffen. Die französishe Regierung behalte si vor, je nah den Umständen zu handeln und die Dinge in Marokko scharf ¡zu überwachen.
Ein Erlaß des Reichskanzlers an den Botschafter in Paris vom 22. Mai faßt den Jnhalt und den Eindruck dieser Meldungen dahin zusammen, daß sie niht geeignet seien, die Ansicht von dem stürmishen Charakter der bisherigen Marokkopolitik des Ministers Delcassé zu Der Vertreter Frankreihs wolle ohne weiteres Beschlag auf Marokko legen und dem *Sultan den Verkehr mit den übrigen Vertragsstaaten verbieten. Nah des Ministerpräsidenten Rouvier bisherigen Penriiaes halte sich der Reichskanzler zu der Annahme berehtigt, aß jener diese Art des Vorgehens mißbillige.
Eine weitere Reihe von Schriftstücken bezieht sih auf die Unterlassung der offiziellen Mitteilung des französis ch- englishen Abkommens durch den Minister Delcass é.
Am 12. April erzeht ein Erlaß des Reichskanzlers an mehrere Missionen, in dem zu dieser Fraze, wie folgt, Stellung genommen wird: Es ist falsch, daß das französish-englisch2 Maro o-Abkommen der deutsch¿n Regierung \{riftlich oder mündlich zur Kenntnis ge- braht worden sein soll. Der Minister Delcassé hat zwar wiederholt dem Kaiserlichen Botschafter hier und da Andeutungen allgemeiner Art gemacht über unhaltbare Zustände in Marokko und die Nots wendigkeit, die sih daraus für Frankreih ergebe, auf die Sicherung seiner algerishen Grenze bedacht zu sein. Als aber im vorigen Sommer bereits längere Zeit nach der englis - französischen Konvention ter deutsche Botschafter an Delc2fsé eine Frage richtete, die si auf den Inhalt jenes Abkommens bezog, erwiderte der Minister nur: „Sie finden das alles im Gelbbuch.“ D
Am nächsten Tage suht der Minister Delcafsé Gelegenheit, fih über dieselbe Frage gegenüber dem deutschen Botschafter zu äußern. Er kam auf das vor dem Abshluß des Abkommens mit dem Fürsten MRadolin stattgehabte Gespräh zurück und bemerkte wie der Botschafter am 14. April be- rihlet, spontan, diese damalige vertraulihe R babe keineswegs den Charafter einer amtlihen Mitteilung gehabt noch haben sollen. Der Botschafter erwiderte hierauf: Gern nähme er Aft von dieser seiner Erklärung; denn zu seinem höchsten Erstaunen hâtte die Pariser offizióse Preffe die Tatsache verdreht und ein amt- lihes Communiqué aus einem gélegentlihen Gespräh heraus- konstruieren wollen, was er niht ohne weiteres hinnehmen fönnte. Dies bestätigte der Minister Delcassé. i
Zur Motivierung ‘der unterlafsenen amtlichen Mitteilung des Abkommens führte Delcassé an, daß es in London abges{lofsen und daselbst zu gleicher Zeit veröffentlicht worden sei. Der Gedanke sei ihm nicht gekommen, der Kaiserlihen Regierung dieses Schriftstück mitzuteilen, das sofort der Oeffentlichkeit übergeben worden sei. Da- gegen habe er den spanisch-französishen Vertrag in Paris unterzeihnet und ihm vor der Veröffentlihung dem Freiherrn von Richtbofen dur den Botschafter Bihourd mitteilen lassen. Der Minister Delcafsó fuhr fort, er habe geglaubt, durch die Mitteilung dieses aus dem english-französishen Abkommen entspringenden Vertrages für alles gesorgt zu haben.
Dieser Auffassung tritt ein Erlaß des Reichskanzlers nah Paris vom 1. Mai énigege. Darin heißt es :
Daß ein diplomatisches stud von folher Tragweite wie das Marokfko-Abkommen nit auf Grund mündlicher und fragmentarisher Wiedergabe beurteilt werden kann, bedarf keines Beweises. Für Eröffnungen von folcher Wichtigkeit ist die sriftlihe Form die dur den diplomatishen Gebrauch fkonsefrierte. Die formelle und materielle Insuffizienz der im Laufe des vorigen Jahres von dem Minister Delcafsé durch Eure Durchlaucht und durch den Botschafter Bibourd bierher übermittelten Andeutungen nnd Finger- zeige ift eine Tatsache, über die keiner der beiden Teile fih naGträglih hinwegsezen kann. Ob bei diesen Andeutungen ein Wink mehr oder weniger gegeben wurde, ist ein unerheblißer Umstand, der keine Remedur saft für den von Grund aus unvollständigen Charakter des Ganzen. Die Veröffentlihung im „Journal officiel“ könne die direkte Mitteilung nicht ersezen, denn beide Arten der Bekanntgabe hätten einen grundvershiedenen Charakter: die direkte Mitteilung i niht ein bloßer Akt der Courtoifie, sondern die französishe Regierung bätte sich dadurch implizite den Adressaten gegenüber bereit erklärt, über deren Interessen, falls sie dieselben berührt glaubten, in Erörterungen einzutreten. Die Ver- öffentlihung im französischen Amtsblatt hingegen stellt die unbefragten Mitinteressenten einfah vor die vollendete Tatsache. i
Die Anerkennung des deutschen Standpunkts erfolgte durch den Ministerpräfidenten Rouvier in dem Exposé vom 21. Juni, dem der Text des französish-englischen Marokko- Abkommens beigefügt ist.
Ueber das in Fez von dem Gesandten Saint René Taillandier entwickelte Reformprogramm bringen zwei Berichte aus Fez vom 7. März und 30. Mai reichhalti es Material bei. În dem ersteren meldet der Konsul Vassel über das der Notabelnversammlung vorgetragene französische Militärprogramm:
Die Gesamtstärke des Heeres habe der französishe Ge- sandte niht genau beziffert. Er fordere für jedes Bataillon 500 Mann marofkfanischer Soldaten unter einem franzôfischen Kommandeur und einem französishen Vizekommandeur, fünf französishe Offiziere und zehn algerische Unteroffiziere. Das Bataillon solle in zwei Einheiten zerfallen. Er verlange für Tanger, Ujda, Ayun-.Sidi-Melluk je 3 Bataillone, für die Küstenstädte je 2 Bataillone und In Ed und Marrakesh eine „binlänglihe“ Anzabl. Ferner fordere er Artillerie mit einer großen Anzahl Jrstrukteure. L .
Zur finanziellen Lage habe der Gesandte ausgeführt: Marokko habe die Anleihe bis auf einen kleinen Rest aufgebraucht. Seine laufenden Einkünfte seien beshränkt cuf 40/9 Zolleinnahmen und die Mustafadat. Es werde niht vermeiden können, eine neue Anleike aufzunehmen.
Ferner schlage der Gesandte vor: Organisierung eines O I Tee Veltees in den Häfen und an der Küste, Ver-
olgung der Kontrebande auh innerhalb des Zollgebiets.
Dann habe der Gesandte gesagt, die Landungs- und Lade- verhältnisse der Häfen bedürften der Reform. Eine fremde Gesellsckcaft bearbeite das Projekt, den Leichterdienst in eigene Hand zu nehmen. Darauf solle der Maghjien niht hineinfallen. Das Geschäft pflegten Regierungen selber in der Hand zu bebalten. Nur müfse man dann Kais und Krâne anlegen. Dafür veclange der Se- sandte Konzessionen an Franzosen. Auch deutete er an, daß die Hafenkapitäne Fachleute, und zwar nur Franzosen fein dürften.
In einer seiner Audienzen beim Sultan habe der Gesandte auh die innere Verwaltung zum Gegenstand scharfer Forderungen
emaht. Unter anderem habe er gerügt, daß in Casablanca in einem
Fahre der Gouverneur dreimal gewechselt habe. Endlich habe der
aue die Notwendigkeit der Anlegung eines Küstentelegraphen rgelegt.
Zum Schluß meldet der Konsul noch: Es gilt als wahrs{heinlich,. daß die Franzosen alljährlich mehrere Monate hier residieren wollen, um Hof und Maghzen an ihre dauernde Intervention zu gewöhnen.
Ausführlicher gibt der Bericht des Grafen Tattenbach aa 30. Mai den Jnhalt der Vorträge des französischen Ge- andten an:
Als nôtige ormen seien in erster Linie bezeihnet worden pie i. Militär: und Finanzreorganisation unter Erstrebung einer Vermehrung - der Einkünfte. An der algerishen Grenze sei die Geduld der französishen Bes hörden, an der ganzen Nord- und Westküste die Geduld der Fremden überhaupt erschöpft. Trete die Regierung niht mit der Tat an eine Besserung der Zustände heran, und müsse der französishe Gesandte, ohne Erfolg abreisen, |o werde ih ranfreich gedrängt sehen, - diese Reformen auf eigene Hand zu telligen, und werde Dinge tun müssen, die ibm heute niht lieb seien. Der Graf Tattenbah berichtet weiter: „Das Gewicht diefer Drohung ist vershärft durch den Hinweis darauf, daß die mit für Algerien unerträglihen Bebelligungen ver- knüpften Kämpfe bei Ujda die Gefahr des Aufstandes von Fez zwar abgezogen hätten, der Aufstand aber bei gewaltsamem französischen Vorgehen wieder auf Fei zurückgeworfen werden würde. Vor diesem intergrunde erscheint der Rat zu den Reformen tats\ächlich als ein wang zu denselben.“ :
Für - die Heeresreform habe der franzôsishe Gesandte die Hilfe erfahrener Leute, wie Frankreich folche zur Verfügung halte, als unumgänglich bezeihnet. Man müsse \sih auf ein Mindestmaß be- schränken, das heißt, auf je 100 Mann drei Algerier und auf jedes Bataillon einen franzöfishen Offizier als Inftrukteur anstellen. Bei der Artillerie sollten auf je 100 Mann 4 Algerier kommen. „Die vor den Notabeln geforderten Bataillonsstärken find in den nah dem Kaiserbesuch. geführten Verhandlungen er- heblich reduziert. Es wird in Ausficht genommen: fur Ujda 3 Bataillone, je eines Infanterie, Kavallerie und Kanoniere, in Ge- samtstärke von 933 Mann, mit je 1 französishen Hauptmann, 1 alge- rishen moslemishen und 2 französishen Subalternoffizieren, 15 alge- rishen motlemishen Sergeanten, für Tanger ebenfalls je ein Bataillon Infanterie, Kavallerie und Kanoniere, in Gefamtftärke von 927 Mann mit je 1 franzöfishen Hauptmann, _ 2 fran- zösischen nud 1 algerisen Subalternoffizier, 10 Sergeanten, — für Rabat je ein Bataillon Infanterie und Kanoniere, ¡usammen 485 Mann, mit 2 französischen Offizieren und 6 algerishen Sergeanten, — für Casablanca je 1 Bataillon Infanterie und Kavallerie, zusammen 546 Mann, mit 1 französishen Hauptmann, 1 algerishen und 1 französishen Subalternoffizier und 5 algerischen Sergeanten. Bei dem \{erifishen Hofe sollen 1 französischer Major, 2 französishe Subalternoffiziere, 1 französischer Stabsarzt und d algerische Sergeanten Verwendung finden. Dabei vorausgeseßt, daß die Askar-nicht na der alten Art, sondern in wirklich ordentlicher ise inftruiert würden. Zu diesem Zwedcke solle die Aufficht an jedem Orte der oberste lokale Instrukteur haben, dessen Funktionen im einzelnen aufge- führt werden. Zusammenfafsend sagt der Graf Tattenbah: „Es sollen also nach den Vorschlägen des Gesandten, sämtliche Bataillonéchefs Cme sämtlihe Kompagniehefs und Unteroffiziere Algerier sein.
[iegt auf der Hand, daß in der vorges#lagenen Organisation die GRO rein französisher Interessen ihren unverblümten Ausdruck
ndet. Dasselbe gilt bezüglich der Gründung von Polizeitruppen in den Küstenstädten, die der Gesandte kurz s\kizziert hat. An jedem Ort sollen ein Franzose und ein Algerier als „Instrukteure* an die Spiße der Truppe gestellt werden. Da der französishe Polizeiinftrukteur sich binnen furzem zur obersten und leitenden städtishen Behörde ent- wideln und damit der Chef des gesamten zur Stadt gravitierenden Distrikts werden würde, so ift hier der erste Ansaß zum „contrôleur civil“ nah tunesishem Muster gegeben.
„Bei den Vorschlägen für die Finanzreform und die Hafen- anlagen tritt gleichfalls die Absicht klar zutage, die marokkanische
inanzverwaltung stufenweise unter französishe Kontrolle zu bringen.
eit dem Anleibevertrage besteht bereits ein bedingtes Recht zu solhem Eingreifen, indem man si vorbehalten hat, eine feste Quote von den Zöllen als ständige marofkanische Subfidie für die Ausübung solcher algerish-französisher Staatthobeitsrechte in Marokko zu ver- wenden. Die 60 9/6, die beute an den Kontrolldienft abgeführt werten, und die also nach Erlegung der Jahreëquote für die Anleihe in Fortfali kommen, sollen andauernd an Franfreih für die sogenannten Reformen gezahlt werden. Damit würde erstens eine Ablösung der Anleihe durh ein fremdes Syndikat unmöglih gemacht, und zweitens graues finanzielle Freiheit gegeben sein, die „Reformen“, d. h. taatlihea Funktionen zu versehen, die es in Marokko ausüben will. Da man damit rechnet, daß eine \chärfere Zollkontrolle die Einnahmen erheblih steigern würde, so dürfte ein recht ansehnliher Reformfonds zur französishen Verfügung stehen.“
„In geschickter Weise wird der Anschein vermieden, als fallen jene
60/6 direkt an Frankreih. Unter dem Vorwand. die den leitenden einbeimishen Kreisen angebli sehr am Herzen liegende Kurêreform durchzufübren, shiebt man eine „marokkanishe Staatsbank“ vor. Sie foll Banknoten aus8geben, also weitere Kapitalien für französische Zwette flüssig machen, von deren Nußbarkeit der biefige Hof kaum eine Ahnung hat ; fie soll Generalstaatsfaf werden und das Privileg erhalten, alles vorzushießen, was die nach Marokko übergesprungene französishe Staat3hoheit für die Zwecke, die fie sfi und ihren Reformen hier reserviert, benöôtigt.“ „Im Laufe dieser Verhandlungen erklärte der französishe Ge- sandte: die französishe Regierung sei bestrebt, die Souveränetät und Freiheit des Maghzen zu achten, fie könne aber nit erlauben, daß eine fremde Macht \ih zwischen Marokko und Frankreich stelle. Frank- reih habe ein scharses Ohr und klares Auge für alle Worte und Handlungen des Maghzen. Der Maghzen müfje sih der {weren Ver- antwortung bewußt werden, die er auf sih lade, wenn er fortfahre, die in den Verträgen und Abmachungen begründeten Rechte Frank- reis zu mißachten.“
Die weiteren Mitteilungen beziehen sih auf den Hafen- betrieb. Es wird vorgeschlagen, die Kontrolle „über alle Hafenangelegenheiten im allgemeinen“ mit der Kontrolle des Anleihedienstes zu vereinigen, d. h. also, sie den Vertretern der französishen Banken zu übertragen. Ferner auf Neu- anlagen der Häfen, auf einen Telegraphen längs der Küste, auf Ce ALLE Speicher nah Warrantsystem. Dazu die Erteilung eines TLUNeS an das französische Bankkonsortium far eine „Kaiserlih marokfanische PaGergae ian auf 30 Jahre. Endlich sollten sich die Banken, die unter der Führung der Banque de Paris et des Pays-Bas die leßte Anleihe úüber- nommen hatten, zum Betriebe einer marokkanischen Staatsbank zusammentun.
weck der Bank soll der Betrieb sämtliher bankmäßiger Finanj-, Industrie-, Handels- und Landwirtshaftsunternehmungen sein. Ferner soll die Bank im allgemeinen und speziell für die Finanzwirtschaft dem marokkanischen Staat bei Reformen bebilflich sein. Insbesondere : Regulierung des Kurses der Landesmünze, dessen weitere Vershlehterung wegen der \chlechten Ernten zu erwarten sei. Der Hafsani fönne auf den Wert der \panishen Pesete gehoben und darüber binaus an den Wert des Franken angenähert werden. Dies könne geschehen durch allmählihe Einziehung der umlaufenden Landesmünze bei sinkendem Kurs durch die Bank. Das erfordere erhebliche Mittel und die Festlegung von Kapitalien. Um diese Kapitalien auf- zubringen, solle der Bank das Notenausgabe-Privileg gewährt werden. Die Noten könnten in dreifaher Höbe des baren Geld- und Metall- bestandes ausgegeben werden. Die Erteilung eines solchen Privilegs entspreche der kontinentalen Praxis. Die Monopolifierung sei nôtig, um eine Ueberflutung des Marktes mit Noten zu verhüten.
Es würde zwedlos sein, daß die Bank si bestrebe, den Kurs des arabishen Geldes zu bessern, wenn gleichzeitig die Regierung fort- fahre, Münzen zu prägen. Die Bank müsse daher notwendig die Kontrolle des gesammten Geldwesens erhalten. Die Prägungen müßten durch die Bank für Rehnung der marokkanischen Regierung veranlaßt werden. Erforderlich wäre, der Bank Einsicht in die der- ¿eitigen Barbestände des Fiskus zu geben, und die Bank müßte ihrer-
nah § 12 des Anleihevertrages ein Vo
seits dahin arbeiten, die noch bestehenden Münzverträge im Wege
tlicher Verftändigung abzulösen.
gs S Reformwerk Vebinae gewisse Ausgaben, zu deren Aufbringung die marokfanisGe Negierung bei dem derzeitigen Steuerauéstand nicht imstande sei. solle die Bank eintreten. Es müsse der Regierung ein Kredit von 12 Millionen eröffnet werden gegen 6 /% Zins und eine geringe Kommission, gesichert dur die Zolleinnahmen, rückzahlbar in 15 Jahren. Dieser Kredit folle, falls die Bank dies wünscht, bei Ausnahme einer etwaigen neuen Anleihe, für welhe tie Banken e t hätten, in Abzug gebraht werden. Die Bank würde in allen Orten, wo dies wünschen8wert wäre, Zweigstellen zu errihten baben, und Zahlungen egen etwa 2°/6 Kommission vermitteln. Diese Stellen würden Regierungszablstellen werden und die Regierung der Bargeldversendung überheben. Ferner sollte die Bank eine laufende Rehnung für die Regierung eröffnen. Endlich wird die Aufficht dur einen Regierungs-
kommifsar vorgeseben. Abschließend bemerkt der Graf Tattenbach zu diesem
Programm:
„Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Durhführung dieser Vorschläge, die wirtschaftliche Angliederrng Marokkos an Frankreich zur Folge hätte. Besonders charakteristisch in dieser Hinsicht ist das Bestreben, das gesamte Finanzwesen durch eine privilegierte Noten- bank, das gesamte Erportgeschäft durch ein Warrantspeiterunternehmen und — durch die mit diesem Unternehmen in eine lose Verbindung gebrahte generelle Erlaubnis zum Landerwerb — die gesamte Ansiedlungépolitik in französische Hände zu brirgen. Die dürftigen Brocken, die für den nichtfranzösishen Handel oder nicht- Fam tiee Unternehmungen abfallen sollen, find nicht geeignet, die Besorgnisse zu zerstreuen, daß ein in eine derartige Abhängigkeit von Frankreih3 weltwirtshaftl Sphäre gebrachtes Marokko nur kümmerlihe Möglichkeiten für - den freien Wettbewerb der auf dem Weltmarkt fkonkurrierenden Mächte zu bieten vermöchte.“
Aus einem Berichti vom 6. Juni geht hervor, daß der französische Gesandte die Reformvorshläge nur mündli vor- getragen E wiederholte Bitten um s{riftlihe Einbringung abgelehnt hat.
Am 28. Mai übersendet die marokkanische Regierung dem französishen Gefandten eine Note, welhe die franzosishen Vor- {läge ablehnt und - die Einladung zu einer Konferenz an- fündigt. In den vorbergebenden Tagen wurden, wie der deutsche Gesandte am 27. Mai berichtet, französisherseits die stärksten Anstrengungen gemacht, um die Absendung der Note zu verbindern. Insbesondere hat der Gesandte Saint René dem Sultan sagen lassen, Frankreich werde an einer Konferenz nicht teilnehmen, sollte es aber doch zu einer Konferenz kommen, so würden die an dèer Konferenz beteiligten Mächte jedenfalls Frankrei das Mandat erteilen, die französishen Reformpläne allein dur{zuführen.
Auf eine Frage des Sultans erklärte hierzu der deutsche
Gesandte:
Der Gesandte Saint René habe keinerlei Berechtigung, über die Haltung der anderen Mächte auf einer künftigen Konferenz Erklärungen abzugeben. Insbesondere fehle ihm diese echtigung bezügli der Haltung der Kaiserlichen Regierung.
Die prinzipiellen Gesichtspunkte der deutschen Marofkkopolitik find zunäh elegt in dem vom Reichs- kanzler bereits im Reichstage verlesenen Erlaß nah London vom 11. April. Jn gleichem Gedankengang bewegt sih ein Erlaß des Reichskanzlers vom folgenden Tage an eine Reihe von Missionen. Als neues Moment tritt hier hinzu, daß die deutsche Regierung direkt eine neue Konferenz der Vertrags- staaten als das gegebene Mittel Lux friedlihen Lösung des je an JInteressenkonjflikts bezeihnet. Dazu wird u. a. aus- geführt: |
__ „Der Einwand der französischen e, daß es sich bei den früheren Konferenzen niht um eine politishe Umgestaltung gehandelt habe, sondern um privatre{tlihe Intereffen, ist nicht ftihhaltig. Denn da. jezt mit der Möglichkeit eines französischen Protektorats über Marokko, d. h. wit einer gänzli Verdrängung nicht- französischer wirtshaftliher Unternehmungen n dem Vorgange von Tunis zu rehnen iît, fo sind die fremden Privatinterefsen in ibrer Gesamthbeit bedroht, und eine Konferenz wäre mehr als je am Plaße. Es ist das ein Ausweg, der keine berechtigte Empfindlich- keit verlegen kann, da es ih lediglich um die Anwendung eines bereits mehrfach erprobten Auskunftsmittels handelt. Indem wir hierbei naturgemäß zunächst für die eigenen deutshen Interessen eintreten, handeln wir in dem Bewußtsein, daß diese identisch find mit den wirtshaftlihen Interessen aller nihtfranzösishen Ver- tragsstaaten.* Auch der schon erwähnte Erlaß vom 1. Mai an den Kaiserlichen Botschafter in Paris enthält einen den Konferenz- gedanken vorbereitenden Pafsus: „Es beweist die fkonzilianten An- shauungen der- deutschen Regierung, wenn sie im Hinblick auf den Artikel des Abkommens, der die Erhaltung des status quo stipuliert, sich zunähst an der Vermutung genügen ließ, daß in absebbarer Zeit Veränderungen, die \{ädlich auf die fremden Interessen wirken könnten, niht beabsihtigt seien. Indessen wurde nah dem Auftreten des französischen Gesandten in Fez und nach ver- schiedenen anderen Anzeichen diese Vermutung unhaltbar, vielmehr zeihnet sih jeßt mit zunehmender Deutlichkeit eine Lage, welche die Gesamtkeit der nihtfranzösishen Interessen in Marokko bedroht. Unter diesen Umständen fieht die deuts Regierung si aenötigt, darauf hinzuweisen, daß deuts Interessen in Marokko berührt werden können, daß diese Interessen auf DEORS Eger Erundlage beruhen und daß daher über dieselben ohne Mitwirkung Deutschlands niht verfügt werden kann. Ih will gern annehmen, daß dem Minster Delcafss der Gedanke an eine einseitige und gewaltsame Lösung der Interessenfrage heute ebenfo fern liegt wie der Regierung Seiner Majestät des Kaisers, welche leßtere fich überdies bewußt ift, daß ihre Interefsen in dieser Frage identisch find mit denen einer Anzahl anderer Staaten. Wir hoffen, daß die jeßige Spannung ih in befriedigender Weise erledigen lassen wird und find gern bereit, zu unserem Teile dabei mitzuwirken, sobald wir E gegenwärtig in Fez geshaffene Lage genügend orientiert fein
rden.
Nachdem dann die marokkanishe Regierung die Kon- [ereus vorgeschlagen hat, ergeht am 5. Juni ein Runderlaß es Reichskanzlers, der für den onferenzgedanken nahdrüdlich C Der deutshe Rechtsstandpunkt wird, wie folgt, dar- gelegt :
„Da die Reformen voraussichtlich nur unter Anlehnung an die Signatarmähte erfolgen können, so ist die Möglichkeit ibrer Durh- führung beshränkt durh die Bestimmungen der rider Konvention, insbesondere durch den Artikel 17, wonach jeder Signatarmacht in Marokko das Recht auf Behandlung als m ünstigte Nation zu- steht und somit keiner Macht etne bevorzugte eräumt werden darf. Das geplante Reformwerk würde daher nur mit ung aller Signatarmähhte zustande kommen können. Aus diesen ungen hat die Kaiserliche Regierung die Einladung Marokkos angenommen. Sollte die Konferenz an der Weigerung einzelner Signatarmächte scheitern, so würde die Folge sein, daß der bisherige Vertragszustand unverändert aufrecht erhalten bliebe. Hieran würde auch nichts ge- ändert werden, wenn einige Signatarmähte erklären sollten, daß sie mit den für Marokko in Aussicht us Maßregeln ein- verstanden seien oder daß sie daran fein Interesse nähmen. Denn es würde nah den obigen Ausführungen der Widerspru einer einzigen Signatarmaht genügen, um der Einräumung irgend welcher Sonderrehte, die mit dem Meistbegünstigungsr Mächte unvereinbar sind, den Rechtsboden zu entz .* Die Kon» ferenz sei aber au, abgesehen von der Rehtsfrage, shon deshalb nüßz- lid, weil ganz nao bine von der Rechtsfrage die henden poli- tischen und handelépolitif
te der anderen
n Interessen der Signatarmächte durch die
Gewährung von Sonderrechten an einzelne Mächte beeinträchtigt werden fönnten und die Konferenz ein geeignetes Mittel zur Herbeis führung eines Ausgleihs bieten würde.
Nach weiterer Begründung des deutshen Standpunkts {ließt der Erlaß: :
„Ein Gewährenlafsen der franzöfischen Aktion gegen Marokko hieße also nihts anderes, als die den Signatarmächten durhch die Madrider Konvention perbérglen Rechte prei8geben, während ein Ein- \pruch gegen diese Aktion sih lediglih als eine Verteidigung des be- stehenden Reht8zuftandes darstellt.“
wei Erlasse nah Paris vom 12. und 16. Juni geben die Ansichten der deutshen Regierung über die Aufgaben der Konferenz in der Form objektiver Deduktionen, nicht als positive Vorschläge, an, halten aber fest, daß eine Aussprache über die Aus- dehnung der Reformen erst erfolgen könne, wenn Frankrei zuvor die Einladung zur MEEre annimmt. Die auf dem Gebiete der Polizei notwendigen Reformen seien international fest: zustellen und isi zu beschränken, die Finanzreformen müßten gleichfalls international behandelt werden, die wirt- \hafilihe Ershließung Marokkos habe unter voller Beachtung des Grundsaßes der open door zu erfolgen.
Der Ausdruck „international“ wird dahin erläutert:
„Heerwesen und Polizei würden ¡unächst insofern international ¡u ordnen seiñ, als die Konferenz, wie der Ministerpräsident Rouvier tis hervorgehoben hat, ein Mandat zur Durchführung der erforder- lichen Reformen erteilen müßte. Diese Aufgabe würde, soweit es ih um die Distrikte an der algerishen Grenze handelt, naturgemäß O allein zufallen können, womit, soweit ih aus den Aus-
ührungen Rouviers entnehmen läßt, der Hauptwunsh Frankreihs erfüllt sein würde. Dagegen würde kein Grund vorliegen, das Mandat auch für die entfernter liegenden Plätze, insbesondere die am Atlantishen Ozean, allein an Frankreih zu übertragen. Hier würde es vielmehr der Sachlage entsprechen, daß die Polizeis reformen, soweit etforderlih, in den einzelnen Distrikten verschiedenen Mähten zugeteilt würden. Die Finanzreformen würden vor allem dadur international zu gestalten sein, daß die nah dem französishen Reformprojekt zu gründende marokkanishe Staatsbank niht lediglich von einer franzöfishen Bänkgruppe, sondern von Bankgruppen ver- schiedener Mächte ins Leben gerufen würde. Dabei würden die zu beseßenden leitenden Stellen wie das einzushießende Kapital möglichst gleich ju verteilen sein.“
Es folgt nunmehr das aus dem französishen Gelbbuch bekannte Exposé des Ministerpräsidenten Rouvier vom 21. Juni, das die französishen Gesichtspunkte zusammenfaßt und die Bedenken gegen die Konferenz hervorhebt. Eine endgültige Zustimmung wird noch nit egeben, jedoch die Konferenz au nicht abgelehnt. Die beute Antwortnote vom 24. Juni geht ausführlih auf den Jnhalt des Exposés ein. Sie führt zunächst aus:
„Wenn Frankrei die Lösung der Reformen allein in die Hand nehme, so sei zu besorgen, daß es aub gegen seinen Wunsch durch die Macht der Verhältniffe zu einer mit der Unabhängigkeit Marokkos und den Rehten der Signatarmächte nicht zu vereinbarenden Sonder- stellung gelangen würde. Die Durchführung von Reformen in Ma- rokko, wenigstens soweit dazu die Einräumung von Sonderrechten zu Gunsten einzelner Signatarmäte erforderli ist, fee die Zustimmung der übrigen Mächte voraus. „Eine folhe Zustimmung aber dürfte am leihtesten auf einer Konferenz zu erzielen ]ein, die ganz unabbängig von den dafür sprehenden rehtlihen Erwägungen ein geeignetes Mittel zur Herbeiführung cines Aus8gleichs zwischen den bestehenden politischen und handelspolitishen Interessen der Signatarmächte bieten würde. Die Konferenz würde überdies dem Sultan, defsen Zustim- mung die erste Vorausseßung der Reformen bildet, ein Eingehen auf die Vorschläge wesentlih erleichtern, da das Reformwerk alsdann die Sanktion aller beteiligten Mächte erhalten würde. Wenn das franzöfische Exposé ausführt, daß Frankreich infolge der Nahbarsthaft Algeriens und der Ausdehnung der gemeinsamen Grenze zu dem Reformwerk in erster Linie berufen sei, so ist ohne weiteres zuzugeben, daß Frankrei ein sehr legitimes Interesse daran hat, die Ordnung im Grenzgebiet aufrecht erhalten zu sehen. Dagegen werde es nicht wobl beanspruchen Ffönnen, andere Mächte von der Teil- nahme an dem maroffanischen Reformwerke von vornherein aus- zuschließen. i h
Indem das auf der Konferenz zu vereinbarende Reformwerk der Unabhängigkeit des Sultans eine größere Garantie gewährt, würde es auh den Absichten entsprehen, von denen der Sultan bei der Ein- ladung zu der Konferenz auêgegangen ist. In diesem Sinne hat die Kaiserliche Regierung die Einladung angenommen, und dieser Charakter wird au dadur nit geändert, daß fie sih selbst die Wahrung ihrer vertragsmäßigen Rechte vorbebält. Sie betrachtet es nit, wie das franzöfis@e Exposé autführt, als Zweck oter gar als Hauptzweck der Konferenz, die Rechte der Signatarmächte aus der Madrider Kon- vention von neuem sier zu stellen; fie laubt aber allerdings, daß, wenn diese vertrag?mäßigen Rechte im Snteresse der Reformen eine
Einschränkung erfabren sollen, dies nur dur den einstimmigen Bes {luß aller dieser Mächte geshehen kann. Dementsprebend hat auh der Sultan anderweit zu erkennen gegeben, daß er das Reformwerk von dem einstimmigen Beschlusse der Signatarmächte abhängig mache.“
Ein vollständiges Programm zu entwerfen, lehnt die deuishe Regierung aus formalen und sahlihen Gründen ab.
_ „Die Kaiserliche Regierung“, heißt es zum Schluß, „gibt ih der Hoffaung hin, daß die Regierung der Französishen Republik ihre gegenwärtigen Bedenken gegen eine Konferenz den dauernden Vorteilen unterordnen wird, die das Zustandekommen des Reformwerks für Marokko wie für die Rube der Welt mit sich brächte.“
Es folgen darauf die die französishe Zustimmung zur Konferenz enthaltenden Erklärungen vom 8. Juli und Welte die Vereinbarung vom 28. September über die dem Sultan zu erteilenden Ratschläge hinsichtlich des Konferenzprogramms.
Schließlich teilt das Weißbuch Aktenstücke über die Frage des Molenbaus in Tanger mit, die das Verfahren der deutshen Regierung in dieser Angelegenheit klarstellen.
Parlamentarische Nachrichten.
Die heutige (15.) Sißung des Reichstags, welcher der Staatssekretär des Reichsschaßamts Freiherr von Stengel beiwohnte, eröffnete der Präsident Graf von Ballestrem mit einem Neujahrsgruß an die Mitglieder.
Das Haus begann darauf die Generaldiskussion des Geseßzentwurfs, betreffend die Ordnung des Reichshaus- halts und die Tilgung der Reihs\chuld mit den An- lagen: Novelle zum Brau- und Tabaksteuergesez, Zigaretten- e ed Novelle zum Reichsstempelgesez, Erbschaftssteuer- geseß.
Die Beratung wurde eingeleitet durh den Staatssekretär des Reichsshaßamts Freiherrn von Stengel, über dessen Rede morgen berichtet werden wird.
— Jn der heutigen (7.) Sißung des Hauses der Abgeordneten, welher der Finanzminister ee ta von Rheinbaben und der Minister der öffentlihen Arbeiten von Budde beiwohnten, gab zunächst der Prâsident von Kröcher einige Eingänge bekannt, worauf der Finanzminister