1906 / 13 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 16 Jan 1906 18:00:01 GMT) scan diff

Die Grundstücke, Baulichkeiten und das gesamte Wirtschafts- inventar find vorbe haltlich der Zustimmung des Land- tages der Gestütsoerwaltung seitens der Domänenverwaltung ohne Gegenentschädigung überwiesen worden.

Die entsprechende Position zur Ausgestaltung des Gestütsetats finden Sie, meine Herren, in den Etatsentwurf eingestellt; das hohe Haus ist also in der Lage, die Position anzunehmen oder abzulehnen.

Endlich darf ih noch auf eine Frage des Herrn Abg. Dr. Fried- berg antworten binsihtlich der Orte der neu einzurihtenden Kanal- behörden ; der Herr Abg. Friedberg bemängelte, daß diese Orte nicht in dem Etat angegeben wären. Ich gestatte mir, auf den Etat des Finanzministeriums hinzuweisen, in dem der Herr Abgeordnete finden wird die nähere Begründung für die beiden Kanalverwaltüngen und auc, daß Essen und Hannover als Sitze gewählt worden find.

Nun, meine Herren, wende ih mi mit einigen Worten zu den Ausführungen des Herrn Abg. Herold. Herr Abg. Herold hat gegen meine gelegentliße Anführung, daß das außerordentlihe Steigen der Ausgaben in nicht zu ferner Zeit eine Erhöhung der Einkommen- steuer erforderlih machen würde, angeführt, daß wir in dem Etat noch sehr bedeutende Reserven hätten, namentlich im Extraordinarium, Reserven, die er auf nicht weniger als 300 Millionen bemessen hat. Nun beträgt aber das ganze Extraordinarium des Staatshaushalts- etats für 1906 ni&i 300 Millionen, sondern 236 Millionen, und darunter beziffern sich die Erxtraordinarien der etgentlien Staatsverwaltungen auf 76 Millionen, und ich halte es doch für ganz ausges{lofen, etwa au die extraordinären Aufwendungen auf dem Gebiete der Staatêverwaltungen als werbendes Vermögen, als Reserven, anzusehen. Im Etat der geistlihzn Verealtung finden Sie beispieleweise niht weniger als 244 Millionen eingestellt, und man wird nit behauvten können, daß die Seminare und die Präparanden- anstalten, die von diesen 243 Millionen gebaut werden können, in der Tat eine slille Reserve des Staatskaushaltéetats darstellen. Ebenso wird man bei der Justiz;venraltung die Errichtung von Gefängnissen gewiß nickt als eine Kapitalansammlung, also als eine Inreservestellung betraten könren. Und so geht es dur die Staats- verwaltungen tur. Das größte Extraordinarium hat ja, wie ih

mir darzulegen erlaubt habe, die Eisenbahnverwaltung mit 146 Millionen; aber auch hier, meine Herren, wage ih zu bestreiten, daß das ganze Extraordinarium als werbendes Vermözen anzusehen is. Ob ein beschränkter, unbequemer Babnbof durch einen weiträumigerer, bcquemeren Bahnkof

ersezt wird, das beweist an sih noch feinz Steigerung des Verkehrs, führt an sfih dem Staate noch keine erhöhten Einnahmen zu, und fo gilt es von vielen Maßnahmen auf dem Gebiete der Eisenbahnver- waltung. Ich glaube, man wird ungefähr das Richtige treffen, wenn man annimmt, daß von dem Etat der Eisenbahnverwaltung von 146 Millionen etwa die Hälfte als werbendes Vermögen, werbende Anlagen ju betraten find.

Nun, meine Herren, balte ih aber cine solhe, wenigstens teilweise Inreservestellung im Hinblick auf die jehr geringe Tilgung unserer Staatts{ulden für absolut notwendig. Bekanntlih haben wir nur eine Tilgung von ?/; °%/%. Das halte ih gegenüber dem enormen Risiko, das in unseren Staatsbetrieben, namentlih in der Staats- eisenbabnverwaltung, liegt, für eine sehr geringe Tilgung. Die Herren, die die Kommunaletats kennen, wiffen, daß man sonst bei gewerblihen Anlagen der Städte eine Amortisation von 1, und 2 %/ fordert. Wir baben nur *'; 9%

Nun, meine Herren, fassen Sie gütigst ins Auge, welhe Anforde- rungen in dieser Beziehung die Zukunft, der kolofsale Fortschritt der Technik an uns ftellen kann. Bereits klopft die Elektrizität an unsere Tür, es liegen eine ganze Anzahl von Projekten für elektrische Bahnen vor, furzum, der Saß von ?/; ®%/% würde viel zu gering, meiner An- ficht nah kaum vertreibar sein, wenn wir niht in der Tat, wenigstens in beshräzktem Mafe, einz außero:dentlihe Tilgung durch solde nuß- bringenden Investitionen im Etat hätten. Es kommt dcech immer au das Moment entscheidend binzu, das mit Naturnotwendigkeit, wie ih schon hon früber ausgeführt babe, die ungünstigen Jahre wieder den günftigen folgen werden, und daß wir dann die Reserven haben müfsen, um überßaupyt in den ungünftigen Jahren unsere ganze Verwaltung au nur einigermaßen inftand balten zu föônner. Ich erinnere, meine Herren, an den jähen Umschlag, der noch ror gar niht langer Zeit er- folgte, als wir im Jahre 1900/1901 noch mit einem Uebershuß von

71 Millionen, und im nä&éften Etat, 1991/1902, bereits mit 37,5 Mil- |

lionen Defizit abshlofsen, also eine Differenz von niht weniger als 108 Millionen. Meine Herren, au dieser Umstand macht es absolut notwendig, in guten Zeiten wenigstens einige au nur bescheidene ¡u legen.

Wenn der Herr Abg. Herold dann weiter gegen den Gedanken einer eventuellen Grböbung der Einkommenfieuer polemifierte, so muß ih sagen, daf er mir eigentlih das beste Berreismaterial dafür er-

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rat hat; denn er bat eine folde Fülle von Wünschen ausgesprochen, Di

eispielsmeise die Autgleihung der Kommunallasten, daß, wenn man all den Wünschen des Herrn Abg. Herold entsprähe, eine Verdoppelung

der Eirkommenfieuer noch lange niht bhinreihen würde.

B r, meine Herren, veranlafsen mi die Ausführung?zn erold binsihtlih des Verbältnifses zum Reih noch nehmen. Der Herr Abg. Herold führte au

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daf: cine sparsame Finarzmwirctshaît schon im Bundesrat getrieben wird. Meine Herren, ih glaube, daf es dieses Appells nicht bedurft bâtte; denn wenn Sie die ganzen Verhar.dlungen im Reich in den leßten Jahren Steigerungen der Ausgaben tar des Reichs bedingt worden; sie find

verfolgen, so find die

rit Lebertbeckurfnife

tur die Mebranforderungen der Flotte, durch die Mehranforde- j

rungen des Heer?2s notwendig geworten, Mehranforderungen, die

erfüllt werden muften, wean anders wir den Frieden erhalten wollten, i ganzz Voltswirtsha2ft unseres Vaterlandes gedeiht. Es | waren alío Lebenébetürfnifie unseres Vaterlandes, denen man fih nicht |

untor % ck, unter! Dem Ie

ertitzzen tounte eniziegen Toxntc.

ige S e E T Auf der anderen Seite ift doch auch gerate ron seiten des Abg.

Herold und sciner Freunde zu mannigfahea Autgaben gedrängt worden. | obwohl sich das Reich |

in ter größten Finanzmisere befindet, etwa 50 Millionen der Dedurgs- !

Ih erianere nur an die lex Trimborn, die,

g L T L S l .- 2. 9. , ver) +7 mitiel vormegrabm (szhr ridtig!) unxd ju ciner Witwen- und Wai*en- versorzung der Arbeiter aufspeih:rie. (Sehr rihtig!) Ih will mih _ Z Pa T nrr mi 2 Trg - 5 D “e Î L, Ss - über die Sade selbst gar nit ¿ußern; aber tas wind mic der Herr

Arg. Herold iug:ben müßen, dai auch seine Partei, vielleiht aus

ie Matrikularbeiträge in der biéberigen Höhe | ufen, um die Einzelstaaten daran zu interessieren, !

wohlerwogenen Gründen, in der Nichtung der Steigerung der Aus- gaben tâtig gewesen ist.

Nun aber weise ich nochmals darauf hin, daß wir Martikular- beiträge bis zur Höhe von 40 § auf den Kopf der Bevölkerung, also gegenwärtig 24 Millionen, daß wir die Erbschaftssteuer bis zu zwei Drittel, im Betrage von 48 Millionen, angeboten haben. Es bleibt also ein variabler Faktor von 72 Millionen, und ich meine, das genügt vollkommen, um die Staaten au an einer sparsamen Finanzwirtshaft zu interessieren; denn nur dann, wenn fie sparsam wirtshaften, können sie hoffen, daß das Reih niht die ganzen Zwei- drittel in Anspru nimmt, können sie hoffen, daß die Matrikular- beiträge sih unter 40 4 pro Kopf der Bevölkerung belaufen. Also das Kompelle, sparsam zu wirtshaften, bleibt auch nach den Vor- {lägen der verbündeten Regierungen.

Und nun möhhte ih den Herrn Abg. Herold, den ih zu meinem Bedauern heute niht anwesend sehe, bitten, einen Punkt in Erwägung zu ziehen. Der Herr Abg. von Erffa hat einen gewissen Vorwurf | dagegen erhoben, daß wir die Erbschaftssteuer zu zwei Drittel dem Reich ! zu überweisen uns bereit erklärt haben. Ia, meine Herren, ih kann erklären, taß dieser Entschluß der preußishen Regierung sehr {wer geworden ist; aber wenn in einer so wichtigen und fo großen Frage, wie die Reichéfinanzreform es ist, jede einzelne Partei und jeder einzelne Staat nur das tun wollte, was nach den besonderen und einzelnen Verbältnissen der betreffenden Partei oder dem betreffenden Staat angenehm und erwünst ist, dana würden wir niemals zu einer Ver- fländigung in dieser Frage kommen. (Sehr richtig!) Deshalb haben wir schweren Herzens dieses große Opfer gebracht in der sicheren Er- wartung, daß dann auf der anderen Seite auh der Reichstag ent- gegenkommen und uns die Konzession mahen wird, die Matrikular- | beiträge angemessen zu gestalten, und daß endlich die indireften Steuern so ausgebaut werden, wie sie ausgebaut werden können, ohne damit einen nennenswerten Druck auf die breiten Massen der Bevölkerung auszuüben. Wenn der Herr Abg. Herold uns diese Abgrenzung der Matrikularbeiträge nicht bewilligen wollte dann bitte ich ibn, zu beantworten, wie wir * nacher in Preußen und in den übrigen Bundesstaaten etwa erhöhte Anforderungen an Matrikularbeiträgen befriedigen wollten. Die Erb- \haftsfteuer, die in Preußen wenigstens so gering ausgebaut ift, baben wir im wesentlihen aus der Hand gegeben. Gegen eine Er- böbung der Einkommensteuer wendet er sich. Bleibt dem Reich also überlassen, Matrikularbeiträge in ungemessener Höhe auszuschreiben- dann wird der Herr Abg. Herold die Antwort wohl \{uldig bleiben, wie wir die erhöhten Matrikularbeiträge aufbringen sollen.

Der Herr Abg. Herold hat dann seinerseits einen Vorschlag ge- macht, tem er bereits früher Auëdruck gegeben hat, man solle die Matrifularbeiträge anderweit umlegen nah der Leistungsfähigkeit der Bevölkerung. In der Theorie ist das vollkommen rihtig; denn es ist zuzugeben, daß der Kopf dec Bevölkerung beispielsweise in den thüriagishen Staaten viel weniger leistungéfähig ist als der Kopf der Bevölkerung in Hamburg. Aber auch hier hat der Herr Abg. Herold nur die Krankheit bezeihnet, das Rezevt jedoch in keiner Weise ange-

geben. Er sagt, die Matrikularbeiträge sollten nach dem Einkommen umgelegt werden; wie das Einkommen aber er- mittelt werden soll, hat er au nit mit einem Wort

angedeutet. Meine Herren, es hat ein französisher Finanzminister das Wort ausgesprochen: Steuern erheben und beliebt sein, das ist ebenso unmöglich, wie verliebi und verständig sein. (Heiterkeit.) Eine Steuer, die populär ift, eine Steuer, die ein allgemeines Lust- gefühbl bervorriefe, gibt (s eben nicht, und ich will an jeder Steuer- vorlage, die mir unterbreitet wird, noch eine \{härfere Kcitik üben, als sie seitens des Reichstags an den Steuervorlagea geübt worden ift, die ihm von den verbündeten Regierungen unterbreitet worden siand. Das möhte ih aber sagen: ift eine Steuer an fih für jeden un- erwünscht, so mat eins sie unerträglich, das ift eine Ungleihmäßigkeit in der Veranlagung und eine Ungleichmäßigkeit in der Handhabung. Das würde der Fall sein, wenn diese Matrikularbeiträge, wie der Herr Abg. Herold es andeutete, nah dem Einkommen umgelegt würden. Es feblt eben im ganzen Deutschen Reih pvolllommen an einer Instanz, die das Einkommen gleihmäßig für alle Staaten ver- | anlagt. Die Veraxlagung erfolgt seitens der Gènzelstaaten nah ganz verschiedenen Grundsäßen; diese sind bei einigen ftrenger und bei andern weniger streng. Ja, wir baben Staaten, wie z. B. Bayern, die eine allgemeine Ermittlung des Einkommens überhaupt nicht | fennen, weil sie feine allgemeine Einkommensteuer haben. Entweder müßte also das Reich die Ermittlung des Einkommens vornehmen und dagegen würden sih alle Bundesftaaten und auch dieses hohe Haus | mit Ret sträuben, weil das eine direkte Beshlagnahme der Ein-

fkommenfteuer seitens des Reichs ift —, oder es würde bei der Ver- anlagung szitens der Einzelstaaten bleiben mit allen Mißständen, die | ih eten geschildert habe.

Kürzli hatten wir eine interessante Frage, wo die Erbschafts- steuer zu erheben wäre, ob in Preußea oder in einem anderen Staate, und die Betreffenden plädierien aufs lebhafteste dafür, in dem anderen Staate veranlagt ju werden, obglei die Erbschaftssteuer dort doppelt so bo ift wie tn Preußen. (Hört, Hört! rehis.) Sie wußten ganz genau, daß wir in Preußen forrekt und sahgemäß veranlagen, und in | den anderen Staaten nit überall mit derselben Strenge verfahren | wird. Ohne daß man die feste Grundlage für eine gleihmäßige Er- | mittlung des Eiakommens hat, würde man zu ganz bedauerlihen | Resultaten kommea, zu einer vollfommenzn Verschiedenheit in Deutsch- land. Denken Sie sih die Aufgaben, die den einzelnen Steuer- | behörden erwahsen würden. Sie sollen das Einkommen ermitteln, | weil danach die Matrikularbeiträge bemessen werden. Die Versuchung, j

mit dieser Perspektive das Einkommen möglichst niedrig zu bemessen, ist allzu groß, als daß mana ihr nit ia weiten Kreisen unterliegen sollte. Wenn ih auch dem Abg. Herold darin recht gebe, daß es erwünsht wäre, die Matrikularbziträge nach anderen Grundsäßen umzulegen, so muß ih leider fonfiatieren, daß es irgend einen zu- treffenden Maßstab nicht gibt, nah dem die Umlage erfolgen kann. ¡ Vielleiht wird die Grbschaftssteuer einmal die Handgabe geben, | gegenwärtig ift das niht der Fall.

Ih mêchte nochmals an den Herrn Abg. Herold und seine Freunde die Bitte richten, diese Frage niht auf die leite Achsel zu nehmen, sondern ten ganzen Ernst diefer Frage zu berücksihtigen. Jch spreche ¡ hier absolut nidt vom preußishen Standpunkt allein, sondern vom | Standpunkt der einzelnen Bundesstaaten. Wenn alle einmütig mit Energie unter dem Nachweis, daß fie einfah am Ende ihrer Kräfte angefommen find, daß sie größtenteils den Anleihew?-g betreten müssen,

wenn ungedeckte Matrikularbeiträge von ihnen erhoben werden, an den Reichstag und das Reich herantreten, dann sollte der Reichstag diesem einmütigen Votum der Einzelstaaten eine große Bedeutung senken. Diese Einmütigkeit der einzelnen Bundesftaaten beweist, wie {were Mißstände hier vorhanden sind, wie dringend notwendig deren Abhilfe ift. Diese tatsählich in den Bundesstaaten empfundenen Mißstände zu beseitigen, hat das Reich das erste und evidenteste Interesse. Die Wohifahrt der Einzelstaaten macht in fine finali die Wohlfahrt des Reiches aus. (Lebhaftes Bravo rechts und bei den Nationalliberalen.)

Abg. Freiherr von Zedlig und Neukirch (freikons.) : Ih gebe dem Abg. Wiemer zu, daß eine bestimmte Tendenz einer Reihe von Gnadenaften der Krone der parlamentarishen Kritik unterliegen kann, aber bei einem einzelnen Begnadizungsfall ist diese Kritik nicht zuläsfig. Anerkennen müssen wir, daß die Regierung berechtigten Wünschen des Hauses bei der Etatsaufstellung Rehnung getragen hat. Die Finanz- lage ift günstig;

was aber die angeblide Kapitalserböhung von 300 Millionen in verschiedenen Posten des Etats betrifft, so ift ¿u be- denken, daß unsere Betriebsverwaltungen gewerblihe Betriebe darstellen, daß wir aber keinerlei Abschreibungen vornehmen. Wir müssen deshalb aus [laufenden Mitteln Ausgaben machen, die eine Vermehrung des werbenden Kapitals darstellen. Die Zentrumspartei hat einen tief realistishen Untergrund, wir fönnen vom Zentrum bei der Finanzreform im Meiche keine ganze Arbeit erwarten. Das Reich muß aber auf eine feste finanzielle Basis geftellt werden. Im Reih haben wir eben feinen Finanzminister mit starkem Rüdck- grat, der kei neuen Ausgaben sagen kann, bis hierher und nicht weiter, oder es müssen neue Einnahmen beshaft werden. Der preußishe Etat hängt mit dem wirtschaftlihen Leben eng zusammen. Industrie und Verkehr befinden si in rashem Aufs{hwunge. Die Lebendigkeit des wirtschaftlichen Lebens ift in den lezten Monaten fast noch stärker gewesen als in den Zeiten der Hohkonjunktur im Jahre 1900. Das hat dazu geführt, daß unsere Verkehrseimich- tungen in den leßten Monaten dem Bedürfnis nit mehr entsprochen haben. Die Kaufkcaft des Inlands8marktes ist in der legten Zeit erfreuliherwezise erbeblih gestiegen; die Preiserhöhungen bedeuten das feste Vertrauen ter Industrie in eine. dauernde Stärkung der inländishen Kauffraft. Das ift zurückzuführen auf eine beffere Lage der Landwirisaft infolge guter Ernten, und für die Zukunft bietet uns der flärfere Zollshuß eine Garantie für die Besserung der Lage der Landwirtichaft, und das wird naturgemäß auch der Industrie nügen. Das vergeffen die Herren auf ter Linken immer, wenn iz von ihren großstädtishen Anshauungen ausgehen, daß niht allein der Inlandsmarkt für uns maßgebend ist. Das Ausland kann wokl unseren Ueberfluß aufnehmen, aber der Kernpunkt bleibt der heimische Makt, und wenn wir eine Wirtschaftepolitik treiben, die diesen fkauffräftig erbält, so nügen. wir dem Ganzen. Ich fann es nur mit Freude begrüßen, daß für die Vermehrung der Betriebsmittel in diesem Jahre geforgt wertea soll mit einem Be- trage von fast 4+ Milliarde. Damit werden wir den Bedürfnissen des Verkehrs besser Rechnung tragen tönnen als in der lezten Zeit. Ich teile niht die Ansicht des Abg. Hercid, daß der Staat den Aus- bau des Eisentahnnetes verlangsamt habe; er fieht die Sache von dem Standpunkt einer Gegend an, wo es sih mehr um den Nab- verkehr handelt. Der Staat muß allerdings die Nebenbahnen weiter auébauen, und wo er dies felbst nit tun will, muß er bereitwilligst die Konzession von Privatbahnen erteilen. Wenn Herr old meint, daß es vielleicht besser wäre, wenn wir noch ein Privatbahnsystem hätten, so steht das im Widerspruch mit seiner Klage über die Monopolisierung der rheinish-westfälishen Elektrizitätswerke. Denn ohne die Eisenbahnverstaat- lihung bâtten wir jeßt einen großea Trust von Privatbahnen, die den ganzen Verkehr monopolisiert hätten. Die Fahrkarten- steuer könnte für die böhern Klafsfen noch erhöht werden, diese Klassen können etwas für die Allgemeinheit beitragen. Die Güter- tarife müfsen für wichtige Erzeugnisse unseres Landes dagegen ermäßigt werden. Der Bankdiskont hat in der legten Zeit jehr h:mmend auf die Industrie gewirkt. Es ist fraglich, ob der Geldvorrat unserec Banken noŸÿ dazu ausêreibt, den gesteigerten Bedikrfnissen des Verkehrs gerecht zu werden; es müssen Maßregeln erwogen werden, den Status unserer Banken kräftiger zu machen. Erhöhungen des Reichsbankdiskonts sollten nur da vorgenommen werden, wo wirklich außerordentlie Verhältnisse sie bedingen. Der deutihe Grundbesiß muß in deutshen Händen erbalten werden, selbst mit Hilfe von Staatsmitteln. Bei der Spezialberatung über die Landerwerbungen werden wir uns zu fragen haben, ob der bisher eingeshlagene Weg auch wirklich zum Ziele führen wird. Es _ift darauf hingewiesen, daß bei dem jeßigen System in den Ost- provinzen immer mebr eine Polonisiecung des Grund und Bodens stattfindet, und daß, wenn wir so fortfahren wie bisher, der polnise Grundbesiy immer mehr wachsen wird, wi2z es in den lezten Jahren tatsählich der Fall gewesen ist. Man hat behauptet, daß dur die Ansiedlungskommission die Preise der Güter fehr geiteigert worden seien. Früher fausten die Ansiedlungs- fommissionen nur geringwertigere Güter, jeßt aber nur hohkultivierten Boden. Man hat verschiedene Mittel zur Behebung dieser Mißstände vorgeschlagen, insbesondere empfabl man die Gewährung von Amortisationsdarlehen. Wir müssen mit allen Kräften für eine Ver- teilung des Grundbesitzes in den Oftmarken eintreten, die das Deutsch- tum dort stärkt. Der Abg. Broemel brachte einen Staatsstreich im Sinne des Napoleonishen von 1851 in Vorschlag. Aber das Ge- \hick der Napoleonishen Dynastie dürfte uns doch wobl vor einem jolhen Staatsstreih bewahren. Dann ift der Abg Wiemer mit der Emphase, die ihm eigen ist und die mich immer an das Wort von der küngenden Schelle und dem tönenden Erze ecinnert, für eine Beseitigung unseres verrotteten Wahlrechts eingetreten. Aber ih glaube niht, daß eine solche Aenderung wirflich beabsihtigt wird. Wenn man in der Minorität ist, fann man fehr gut folhe tônenden Reden halten. Wir wollen die notwendigen Aenderungen a1 unserm Wahlrechte vornehmen. Aber die Vorschläge des Abg. Broemel laffen sih nur in den großen Städten durchführen, niht aber auf dem flachen Lande. Die Herren von der Linken haben sih in Konsequenz ihrer platonishen Verurteilung der Sozialdemokratie gegen die Wablreh*sdemonstration dieser Partei ausgesprohen. Aber ih bin der Meinung, nichts fann der sozialdemokratishen Bewegung einen größeren Ansporn und einen grevens Antrieb geben, als wenn wir jeßt unter dem Eindrucke der

emonftration irgend eine eins{hneidende Aenderung an unserm Waßhl- recht vornehmen wollten. Ich glaube, daß au der Abg. Herold in diesem Augeablick für eine solhe Aenderung nicht eintreten würde. Ich be- daure, daßer in diesem Zeitpunkt Aeußerungen getan hat, die zweifellos in der sozialdemokratishen Presse so werden gedeutet werden, daß er und seine Freund? sih fürhteten vor dem Mafsensch-itt der Arbeiterbataillone. Die Politik der Furht ist immer die dümmste Politik; sie führt dabin, daß man gerade immer das tut, was man eigentlih vermeiden wollte. Hinsichtlich der Entwicklung der Sozialdemokratie hat der Graf Posadowsky vor kurzer Zeit im Reichstage die Gründe an- geführt, die zu der heutigen Machtstelung der Sozialdemokratie ge- führt haben. Ec hat diese Entwicklung auch motivieit mit der zu- nehmenden Herrshaft der materialiitishen Weltanshauung ia den höheren Ständen. Jh bestreite, daß bei uns der Materialismus in den gebildeten Ständen mebr hberrscht als in unjeren Nahbarländern. Vor allem muß ih aber einen Vergleich mit dem Jahre 1806 auf das allerentshiedenste zurückweisen. Unsere Arbeiterschaft ist durhaus tüchtig, aber sie hat auch ein großes Selbstgefühl. Wenn die Handarbeiter glauben, daß fie allein es seien, die erwerben, und deshalb allein Anrecht auf das Erworbene hätten, so ist erkflärlih, daß fie den sozialdemokratischen Lehren zugänglich sind. Worauf \tügt sich die Hoffnung, daß das Proletariat einmal in den Parlamenten die Mehrheit haben werde und das sozialdemokra- tische Zukunftsprogramm auf geseßlihem Wege werde durhführen können? Allein auf das allgemeine, gleihe Wahlrecht. Wir müssen mindestens mit der Möglichkeit rehnen, daß die Sozial- demokraten im Reich und in Preußen einmal die Mehrheit bilden könnten. Der frühere Abz. Dr. Barth, der ein

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großer Freund der Sozialdemokraten ist uad auch die größten Mißhandlungen mit Liebe erwidert, hat im Wahlkampf von 1903 in einer öffentlihen Versammlung gesagt: „Ein U iegen der

. Sozialdemokratie in den geseßgebenden Körperschaften wäre gleih-

bedeutend mit dem s{wersten fulturfeindlichen Ereignisse.“ Die Ursache der Stärkung der Sozialdemokratie liegt darin, daß fie in der Agitation für das Wablreht den breiten Massen die Hoffnung ein- flößen kann, einmal auf friedlihem Wege die Alleinherrschaft der Massen erreichen zu fönnen. Wenn wir heute eine umfassende Aenderung unseres Wahlrechts vornehmen wollten, so würde jede, auch die gzringste Konzession in der Richtung des Reichswablrechts von den Sozial- demokraten als ein Erfolg ihrer Demonstrationen angesehen werden. Wenn jeßt solchz verkehrten Schritte unternommen würden, s würde die Z1bl der Sozialdemokraten emporschnellen wie damals, als man das Sozialistengeseß fallen ließ, und als man unmittelbar vor den Wahlen von 1903 die bekannte Kniebeuge vor den Sozialdemokraten bei dem Krankenkafsengeseß machte. Wenn wir das Wakblrecht jet auch nur in der vom Abg. Herold angedeuteten Richtung ändern wollten, würden wir gerade tun, was wir vermeiden müfsen; wir würden die Sozialdemokratie in einer unheilvollen Weise stärken. Wenn die Reform eine SUUIRLE Yorvering der * Gerechtigkeit wäre, so würde ih allerdings dafür sein, ih bestreite, daß eine Aenderung unseres Wahlrechts eine Forderung der Gerechtigkeit gegenüber den breiten Maffen ist. Unser Wablrecht gibt allerdings den Besitenden ein großes, den Besißlosea ein geringes Wahlrecht, und es unterliegt nah dieser Richtung berechtigten Einwendungen. Aber wir müssen in Erwägung ziehen, ok die staatlihen Funktionen zwishen dem Reich und Preußen geteilt find, und man beide zusammen betrahten muß. Da fommt man zu dem Schlu1ß, daß. da der Schwerpunkt der Politik im Reiche liegt, die preußishea Massen ein größeres MWablrecht haben, als ihnen berehtigterweise zukommt. Nicht eine absolute Vermehrung des Wahlrechts der Befißlosen ift cine Forderung der R sondern ein zwishen dem Reih und Preußen in der Art ausgleihendes Wahlrecht, daß wir Zug um Zug den Besißlosen in Preußen ein breiteres Wahl- recht einräumen, zugleich aber das Wahlrecht im Reihe so ändern, daß auch die geiitige Arbeit befser zu ihrem Rechte kommt. Eine solhe Aenderung würde dann nicht zu einer unheilvollen Stärkung der Sozialdemokratie führen, sondern wir würden die Urquelle, aus der die Sozialdemokratie ihre Stärkung s{öpft, das Reichswahlreht, in sahgemäßer Weise ändern. Und dann wird au der rihtige Zeitpunkt gekommen fein, in Preußen eine durchgreifende Aenderung des Wahlrehts vorzunehmen. Wenn Herr Hzrold bald zu einer Aenderung des preußishen Wahlrehts kommen will, so müssen seine Freunde au die Hand zur Aenderung des Reichstagswahlrechts bieten. Wenn die Sozialdemokratie jeßt in ibrem Andringen gegen das Wahlrecht keinen Erfolg hat, wird ein Rückschlag auf die Gesinnung der Arbeiter niht ausbleiben. Wahrscheinlih aber ift es, daß die Sozialdemokratie durch den inneren Unfrieden dazu gedrängt worden ift, aus der tatenlofen Zit der leßten Jahre heraus- zutreten, zunähft durch den Jenenser Parteitag, der den politishen Massenstreik proklamierte, und dann durch die jeßige Wahlrehts- demonftration, damit doch die großen Maffen sehen, daß etwas geswieht, und fiz werden auch wohl weiter getrieben werden und werden es mit Straßendemonstrationen versuhen müssen. Wenn ih mir unter dem Gesihtépunkt der Pflichterfüllung durch den Staat den Etat ansehz, so muß ib anerkennen, daß in der Tat manderlei geschieht, namenilich in der Richtung, daß der Staat seinen Beamten gegenüber seine Pflicht erfüllt. Ih möchte ersuhen, an diesen Grundsäßen festzuhalten und mit eiserner Hand die Dis- ziplin aufrecht zu erbalten gegenüber allen Versuchen der Sozial- demokratie. Ihr wird es nit gelingen, Einfluß zu gewinnen, wenn die Beamten das Bewußtsein haben, daß der Staat ein Herz für sie bat und ihnen ihre Wünsche erfüllt, die sie berechtigterweise haben fönnen. Insbesondere begrüße ih es mit Genugtuung, daß an eine Erböbung der Cinkommen der Eisenbahnbeamten gedaht ist. Auch in der Folge solle in der Richtung weitergegangen und der Betriebsdienst gegznüber dem Bureaudienst sowohl hHinsicht- li der Geldentlohnung wie der Arbeitsbedingungen besser gestellt werden als bisher. Nachdem die Städte dazu übergegangen find, ihren Unterbeamten Teuerung8zulagen zu geben, wäre die Bewilligung folcher Zulagen auch staatlicherseits zu erwägen. Unter dem Gesichtspunkte einer wirklich volksdienliden BOS bedauere ih, daß der Antrag meines Freundes, des Grafen Douglas, auf Errichtung einer Zental- woblfahrtsstelle keine Berücksihtigung gefunden hat. Ih habe mich gefreut, daß der Abg. Herold eine Reihe von Gedanken, die ih in früherer Zeit hon entwickelt babe, hier so lebhaft befürwortet hat. Auch ih bin der Meinung, daß die Höbe d-r Kommunallasten not- wendig einen Ausgleich erbeisch. Wir werden den Finanzs minister bei Gelegenheit der Beschlußfaffung über das Volksshul- unterbaltungsgeseß veranlafsen müssen, eine ganz erbeblihe Anzahl bon Millionen mehr bereit zu stellen, damit wirklich alle Forde- rungen, die wir im Schulkompromiß niedergelegt baben, erfüllt werden. Mir scheint, das Beste, was der preußishe Staat der frohen Masse seiner Bevölkerung überhaupt gewähren kann, ist eine Volks\{ule, in der die Jugend niht bloß die Kenntnisse lernt, die wir im Leben brauhen, sondern zu igten Chriften, zu guten Bürgern, zu guten Anhängern der Monarchie erzogen wird. Dazu bedarf es aber noch vieler anderer Mittel. Das Volkss{ulunterhaltung®-

geïses, das wir verabshieden werden, bestimmt deren Grund- lagen. Die Selbstverwaltung der Städte werden wir berücksichtigen, soweit es sich bei fortgesezter und unbefangener Prüfung

dieser Gelegenheit ge-

als berechtiat erweist, aber was bei etwas Wind

schehen ift, um einen Sturm zu erregen, um in die schlafen Segel des Freifinns zu bringen, davon werden wir uns nicht beirren laffen. Wir werden aber weiter zu einer Neuregelung des Besoldungswesens für die Lebrer übergehen müssen, damit -auch die Lehrer auf dem Lande und in den kleineren Städten niht Lehrer zweiten Ranges sind, sondern annähernd denen in größeren Städten gleichgestellt werden. Wir haben eine Reihe großer Kulturaufgaben vor uns liegen; ihre Lösung darf nicht aus Mangel an Mitteln zurückbleiben. Wir werden einen Weg zu finden haben, daß die Gesellschaften mit bes{ränkter Haftung în ausreihender Weise zur Einkommensteuer berangezogen werden und dabei die Doppelbesteuerung der Teilnehmer vermieden wird. Vies aber is nur als ein erster Schritt zu einer Heranziehung der großen Afktiengesellshaften gedacht, aus der wir einen erheblich größeren Ertrag erzielen wollen, als es jeßt der Fall it. Ferner werden wir die ganz großen Einkommen mit böberen Saten besteuern nre, um auf diese Weise die Mittel zur Erfüllung unserer Kulturaufgaben zu gewinnen, ohne den Mittelstand zu be» rühren, lTediglich dur stärkere Belastung der Leistungsfäbigsten. Wenn die Regierung eine solche volfkstümlichz E nah allen Richtungen treibt, wird sie in Wirklichkeit zum Besten unseres Vater- landes wirken. . Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole): Wir batten gehofft, daß der jeßige Minister des Innern von ter Politik der Nadelstiche, auf deren Mißstände wir Herrn von Hammerstein so oft aufmerksam gemacht haben, abgehen werde. Aber auch jeßt noch ist die Staatsregierung bemüht, alles, was der polnishen Bevölkerung bei ihrer Aufnahme in den preußischen Staat zugesichert ift, hinfällig zu machen. In der leßten Zeit hat sich wieder ein fizberhaftes Bestreben geltend gemat, Namensänderungen von einer großen Anzahl von Ortschaften in meiner Heimatprovinz, die ihre Entstehung historishen Vorgängen berdankea, ohne jeden Grund vorzunehmen. Die- so konservative preußisde Regierung möge do au den Polen genüber ih etwas konservativ verhalten und diese Aenderungen aufbhôren lafsen. Auch ersammlungen, die polizeilich angemeldet sind, werden nicht zugelassen aus dem Grunde, weil es dort zur Erörterung von politischen Fragen fommen fönnte, die aufreizend wirken würde. Also chon die Voraussicht ist für die Polizei ein Grund, das Ver- fammlungsverbot herbeizuführen. Hinsithtlih des Ansiedlungsgeseßtzes bon 1904 is vom Ministertishe ausdrücklich die Versicherung ge- geben, daß das Gese sih niht gegen die Polen richte. Wenn man aber die Ausführung beobachtet, so bemerkt man, daß einem polnischen

Staatsangehbörigen die i zu einer Ansiedlung unter keinen ä man das Gefes in einer Art und

Umständen gegeben wird, und ?

Weise auslegt, deren Möglichkeit bei der Beratung des Gesctzs aus- drücklih in Abrede gestellt ward. Ih möhte ferner die Regierung fragen, was es für eine Bewandtais mit dem Paffus der Thronrede hat, worin diz deutihen Großgrundbesizer in den Oftmarkezn auf- efordert werden, nicht an die P: zu verkaufen, wo also ein Pler Verkauf geradezu als ein nationales Verbrehen hingestellt wird. Die Beaufsichtigung des Unterrichts der Kinder in unseren Bezirken kommt geradezu einer Spionage glei, die wir aufs schärfste miß- billigen müssen. Wenn der Finanzminister beute gemeint hat, der Abg. Herold würde mit seiner Prophezeiung, die Polenpolitif der preußischen Staatéregierung würde keinen Beftand haben, unrecht behalten, fo bedarf es einer soléßen Propyezens überhaupt gar nichti. Es ver- ftebt \sich ganz von selbst, daß eine solhe Politik gegenüber dem rubigen, königstreuen, fleißigen, vorwärtsftrebenden Volke für die Za- kunft unhaltbar ist. Wenn wir einen Vergleth zwishen den Polen und den Ruthenen zieben, so ift gewiß anzuerkennen, daß auch in Galizien Zwistigkeiten innerhalb der Bevölkerung bestehen ; fiherlih aker werden die Rutheaen innerbalb Galiziens nit in einer solhen Weise behandelt wie die Polen innerhalb und seitens des preußisden Staates. Der Minister behauptet, daß die deutshen Katholiken in Posen und Westpreußen s{lecht behandelt würden, das ift unrihtig. Wer das behauptet, muß es beweisen. Vergleichen Sie nur die Behandlung der deutshen Katholiken bei uns mîit derjenigen der polnischen Katholiken in anderen Landesteilen. Es hat über die Grundsäße der Behandlung der deutschen Katholiken bei uns eine Umfrage statt- gefunden, dabei hat aber fein deutsh-katholisch:r Geistlicher gewagt, an den bisherigen Grundsäßen etwas zu ändern. (Rufe rets: Gewagt!) Ja, fie haben es niht gewagt, weil sie nihts ändern konnten. Die einzige Beshwerde, die die deutschen Katholiken viel- leiht erheben könnten, fann fi nur auf die Predigt beziehen, wobei allerdings Schwierigkeiten bestehen. Wir nehmen die deutshe Kultur auch für uns in Arfpruh, das if doHŸ ein ganz rihtiger Grundsaß. Als die Polen zu Preußen kamen, sagte ihnea der damalige Statt- halter von Posen, daß den Polen ihre Gig?entümlichkeiten, d. h. ihre Sprahe und ibze Gewohnheiten, erbalten bleiben sollten. Auch einer der preußischen Kultusminifter hat den Gcundsay pro- flamiert, daß Religion und Sprache erbalten werden müßten. Wenn dieser Gcundsaß im Kultusministerium noch befolgt würde, brauchten wir kein Wort zu verlieren. Die Tendenz der Unterriht8verwaltung geht aber jeßt dahin, die polnische Muttersprache einzuschränken. Diese Politik steht im Widerspruch mit den Grundsägen, zu denen sih die größten Männer Preußens bekannt haben. Wir werden es mit Gottes Hilfe aushalten, die polnishe Bevölkerung wird mit aller Energie ihre Nationalität shüßen. Ein großer Staat wie Preußen fann sib dem Vorwurf niht ausfeßzn, daß er diz eigene Be- völkerung s{ädigt. Die polnische Bevölkerung wird ader geshädigt dur die Beschränkung ihrer verfassungsmäßigen Rechte. Wir stellen uns nicht dem Deutshtum entgegen, das wäre ja Torhbeit von einer Minderheit gegenüber der Mehrheit, aber unsere Nationalität muß anerfannt werden. Und wenn die Regierung sie anerkennt, muß fie ihre Maßnahmen ändern. Im großen ganzen ist das polnische Volk sehr rubig und verständig, sehc gehorsam dem Gefeß und der Ver- waltung, es ist arbeitsam, treu und redlich. Wir wollen Frieden, aber auf gerechter Grundlaze. Wir wollen nit zu Sklaven gemacht werden, fondern freie Männer bleiben. Die Regierung müßte zur Erkenntnis kommen, daß mit Ausnahmemaßregeln unser Volk nicht vorwärts kommen fann. Ich bitte den Minifter des Innern, daß er mit seinen Mitminiftern darauf fiebt, daß die polnish: Bevölkerung von den Fefseln der Ausnahmemakßregeln befreit werde.

Minister des Jnnern Dr. von Bethmann-Hollweg:

Der Herr Vorredner hat seine Rede mit der Erklärung begonnen, daß er zu der Polenfrage das Wort nehme, um Frieden zu stiften, und er hat sie ges{lofsen mit einem Lobe auf die guten Gigenschaften des polnischen Volkes. Ih wünsche von Herzen, daß das, was der Herr Vorredner beute gesagt hat, zum Frieden dient. Kein Mensch,

auch wir niht, bat ein Interesse daran, daß die Spannung der Geister in der Oftmark, die besteht, aufrecht erhalten bleibt oder zunimmt. Aber ich möhte an den Herrn

Vorredner die Bitte rihten, daß er niht nur in diesem boben Haufe zum Frieden redet, sondern au anderwärts. (Sehr wahr! rechts und bei den Natioaalliberalen.) Wenn dies nicht geschieht, wenn im Gegenteil in aufreizender Weise von polnisher Seite aus geredet und geschrieben wird, dann werden Sie es selbst dazu bringen, daß die guten Eigenschaften des polnishen Volkes, die der Herr Vorredner gelobt hat, und die ih auch anerkenne, untergraben werden.

Mir liezt hier der Wortlaut der Nede vor, die der Herr Vor- redner bei dem Begräbnis des Dekans Bolislaus Antoniewicz in Brin gehalten hat. Dieser Wortlaut ift entnommen aus dem „Kurier Podznanski*; da er auch in einer anderen Zeitung gleihlautend er- schienen ist, darf ih annehmen, daß er zutreffend ist. So wenig angenehm es mir ist, Worte zu zitieren, die ein Mitglied außerhalb des Hauses geredet hat, so halte ih mich doch, um die Berechtigung dessen, was ic eingangs gesagt habe, darzutun, dazu für verpflichtet. Es heißt in der Rede:

Und die Seelsorge is in unserer Nation doch so wihtig. Mit ibr ift nämlich unsere nationale Vergangenheit verknüvyft. Der polnishe Priester soll seine Parochialen auf ehrenvolle Beispiele unserer Vorfahren hinweisen; der volnishe Priester soll niht nur ein Hirte in kirhlihezr Beziehung sein, sondern er soll für die Zu- kunft vorbereiten, an die wir alle glauben.

Meine Herren, das, sind Worte bei dem Begräbnis eines Mannes, der an dem Aufstande im Jahre 1863 persönlih beteiligt war (Zuruf des Abg. Dr. von Jazdzewski: in Rußland !) und infolgedessen mit dem Strafgeseß in einen argen Konflikt geraten war.

Also, meine Herren (zu den Polen), die Sie auf dem Stand- punkt des Herrn Vorredners stehen, ih kann nur die Bitte an Sie rihten: regen Sie das ruhige, das fkönigstreue, das fleißige, das vorwärts strebende polnishe Volk niht auf gegen Staat und Auto- rität, dann werden wir zu dem Frieden kommen, den Sie wünschen und den ih ebenso gut wünsche wie Sie. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Auf die allgemeinen Angriffe des Herrn Vorredners gegen die Politik der Königlichen Staatsregierung will ih niht näher eingehen. Ueber alle diese Dinge wird viel zu viel gesprochen und ges{hrieben. (Sehr wahr! rechts.) Wir kommen nur vorwärts mit einer ruhigen und stetigen Arbeit, die getragen wird von dem festen Willen, das Deutschtum zu stärken. Mit Worten und Reden rufen wir nur Er- regungen hervor, und das will ih auch niht tun.

Was die Einzelheiten anlangt, die der Herr Vorredner angeführt hat, so hat er sih zunächst darüber beklagt, daß eine kleinliche Politik der Nadelstihe geführt werde. Er habe gehofft, daß ih mih mit dieser Politik nicht einverstanden erklären würde, aber seit meinem Amtseintritt sei eine Wandlung niht eingetreten. Meine Herren, eine kleinliche Politik der Nadelstihe ift mir im äußersten unsympathisch, das erkläre ih ganz ofen. Aber ebenso ofen und ebenso ruhig muß ich dem Herrn Vorredner erklären, daß an den Grundzügen der bisherigen Politik der Königlihen Staatsregierung

selbstverständlih nihts geändert werden fann. (Bravo! rechts und b-i den Nationalliberalen.)

Des weiteren hat der Herr Vorredner die Veränderungen pols nisher Namen in deute bemängelt. Meine Herren, alle diese Namens- änderungen erfolgen auf den Antrag der Gemeinden und Güter, ohne daß auf diese eingewirkt wird. Treten sie mit dem Wunsche hervor, ibrer Ortschaft einen anderen Namen, einen deuten Namen ju geben, so werden diese Wünsche erfüllt. Das ist bisher gesehen und wird auch in Zukunft geshehen. Wenn in den beiden Veröffent- lihungen, die der Herr Vorredrer zitiert bat, eine groß: Anzabl der- artiger Namenéänderungen zusammengefiellt worden ift, so bat dies seinen Grund nur darin gehabt, daß eine größere Reibe von An- trägen, in einer Nahweisung z¡usammengefaßt, gleihieitig Seiner Majestät vorgelegt worden ift.

Postalishe Schwizrigkeiten befürchtet der Herr Vorredner von diesen Namensänderungen. Ob fie eintreten wzrden, weis ih nicht ; treten fie ein, so wird, des bin ich völlig fiher, die Reich#postver- waltung ibrer mit Leichtigkeit Herr werden.

Weiter wurde behauptet, das VersammlungsreŸt werde in der Provinz Posen und in Wesipreußen niht rechtmäßig gehandhabt. Einzelne Fälle find weder vorher, roch in der Rede des Herrn Vor- redners ausdrü&lih mitzeteilt worden; ih kann also niht prüfen, ob im einzelnen Falle berechtigte Beshwerden vorliegen. Im allgemzinen ist es selbftverständlih und jweifellos, daß ein preußisher Beamter nah Ret und Gese verfährt. Wird das Gegenteil behauptet, so muß es im einzelnen f\pezifiziert werden. Wo Fehler vorkommen, werde ich Remedur eintreten laffen.

Der Herr Vorredner hat demnächst das G:sez vom 19. März 1904 mit dem Hinweise darauf angezogen, daß ein andzrer Herr ders selben Fraktion diese Sathe bei der zweiten Beratung des Giats gründlih besprehen werde. Ih kann es mir daber versagen, jeßt auf diese Angelegenheit einzugehen.

Der Herr Vorredner hat weiterhin die Behauptung des Herrn Finanzministers beftrittzn, daß die Deutshkatholiken in den Ostmarken eine Leiden8zeit binter fih bätten und hat im Anschluß daran weitere spezielle Anfragen an den Herrn Kultusminister gerihtet. Jh nehme biernah an, daß die Angelegenheit beim Kultu2etat noch einmal erörtert werden wird. Jedenfalls aber war die Behauptung des Herrn Finanzj- ministers wobl gut fundiert. Die Klagen der Deutsh-Katboliken find nit neuen Datums. So hat die Posener NRegiz-rung im Jahre 1863 und ff. auf Grund dringender Bitten der Beteiligten die Ver- mehrung der deutschen Gottesdienfte in 88 Parohien mit Rückficht auf die in diesen Gemeinden im Jahre 1861 gezäblten 17 342 deuten Katholiken beantragt. Von diesen Anträgen sind 69 rundweg abge- lehnt worden, und in 19 Fällen ift den Anträgen in geringem Mate entsprohen worden. Das ift doch ¡um mindesten keine entgegen- fommende Haltung gewzsen.

Im Jahre 1861 waren in der Provinz Posen 764 000 polnische Katholiken und rund 100 000 dzutihe Katholiken immerhin eine ganz beträhtlihe Minorität. Dabei fand in 457 von 546 fatbolishen Kirhen ausf{ließlich polnister GottzSdienst ftatt, und nur in 52 aus\{ließlich in deutsher Sprache; in 37 Kirchen wurde auSnahmeweise der Gotteëdienst in deutsher Sprache versehen.

Alïo, meine Herren, es war doch wobl eiw2s gewagt, zu be» baupten, der Herr Finanzæinifter habe für seine Behauptung eine Grundlage niht gehabt. Aber, ih wizderbole, da die Sachz beim Kultu?etat noch einmal zur Sprache kommen soll, will ih bier niht näber auf fie eingeben.

vorhanden Ta GOL Ai T Ly C

daß in ibm ein Boykott der Polen au8gesprochen fei. Jh bin der Ansicht, d ie f faîáung ein Mißverständnis der Thronarede zu bandelt fih niht um einen Boykott gegen diz Polen, sondern um den Appell an das Nationalgefühl der deutshen Grundbesitzer, die ihren deutshen Grundbesiß verteidigen sollen. Und, meine Herren, dieser Appell ist durchaus notwendig. (Sehr richtig! rechts.) Auf Einzjel- beitzn will ih niht eingehen.

Zum Schluß noch eine Bemerkung. In der Oeffentlichkeit ift in leßter Zeit auch von deutshen Stimmen vielfach eine scharfe Kritik gegen die Polenpolitik der Königlißen Staatsregierung erhoben. Gewiß, meine Herren, jede Kritik, wel: Fehler aufdelt und befsere Weg2 weist, erwirbt fih gerade in dieser so auferordentlih \chwierigen Frage unbestreitbar Verdienste. Aber ih kann mih dem Eindruck niht entziehen, als ob sich in dieser Kritik bäufiz eine gewisse nervöse Ungeduld ausspräthe, die Frücte von einer Saat erwartet, die der Natur der SaHe nah niht von beute auf morgen reifen fann. (Sebr rihtig!) Und, meine Herren, diese Zweifelsuht ershwert es, daß fih die gesamte Nation in dem festen und allgemeinen Ents{hluß zusammenfindet, das Deutschtum in den Ostmarken unter allen Umständen und mit allen Mitteln zu stärken. Obne diesen moralishen Untergrund aber können selbft die besten materiellen Einrichtungen niht gedeihen. Darum wird es gut sein, wenn die ganze Frage in Rube und, soweit es geht, ohne Erregung der Gemüter behandelt wird, mit dem Hinblick auf den Frieden, allerdings niht auf einen Frieden, der, wie der Herr Vor- redner es zum Schluß wüns{te, auf einer Unterwerfung der Deutschen beruht, wenn wir weiterarbeiten ohne Schwanken, ohne die bisherigen Grundsäße zu verlaffen, aber getragen von dem einbeitliden Willen, das Deutihtum in den Ostmarken zu halten. (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte.)

Abg. Gl at el (nl.): Durch die Worte des Herrn von Jazdzewski werden wir uns in unserer Politik nicht wankend machen lassen. Seine Worte find durhaus unberehtigt. Die Taktik der Polen ift, daß sie kleinlihz Beshwerden vorbringen, aber von dem großen Kamvf des Deutshtums im Osten niemals etwas wissen. An den Grundzügen der Politik unserer Regierung darf nihts geändert werden. Allerdings kommt es niht auf vieles Reden an, Toabétn darauf, in rubiger Arbeit das Deutshtum zu stärken. Aber doch müssen wir unter Umständen bier das Wort ergreifen, damit die Deutschen im Osten ih nicht etwa verlafsen fühlen. In der Thronrede lag kein Vorwurf, kein Boykotit gegen die Polen, sondern na meiner Emvfindung vielmehr ein {chwerer Vorwurf gegen die Deutshen. Um Ausnahmegesetze bandelt es ih niht, aber Spezialgeseze für die Ostmark sind unbedingt notwendig gewesen. Dak den Polen Schonung zu teil werde in Religion, Sprache, Gewohnheit und Sittzn, dafür sind wir alle; von Jazdzewski hat aber nicht be- wiesen, worin in dieser Hinsicht gefehlt worden sei. Wir verteidigen nur unser Deutschtum gegen polnishe Angriffe. Wenn der Pole sehr

viel ruhiger geworden is, wer weiß, ob das niht ]chon ein Erfolg unserer Polenpolitik if! Wenn wir diese Politik ent-

schieden fortseßen, werden wir boffentlich weitere Erfolge erzielen. ollten wir feine Erfole erzielen, dann ist die Haltung des Zentrums

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