1906 / 21 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 24 Jan 1906 18:00:01 GMT) scan diff

Sie werden aber auch ohne dies dazu bereit sein in ihrem eigenen Interesse, nachdem sie hon formell eine Erklärung abgegeben haben, die sie rah meiner Meinung moralisch bindet. Auf diese Erklärung hat {hon mein Herr Vorredner Bezug genommen, nur, wie mir scheint, nicht in vollständig ausreihender Weise. Es war im Jahre 1803, als die Vereinigung der öffentlichen Feuerversiherungsanstalten in Deutschland zusammentrat, um den damals vorliegenden ersten Gesetz- entwurf zu beraten, und in demselben Jahre war es, daß der Vorstand des Verbandes der öffentlihen Feuerversiherungsgesellshaften die gleihen Fragen in die Beratung zog. Bei dieser Gelegenheit haben die Verhandlungen der öffentlichen Feuerversiherungsanstalten der Oeffentlichkeit und der Regierung gegenüber formell ausgesprochen, daß die öffentlichen Anstalten {hon wegen des für se bestehenden Wettbewerbes nicht umhin können würden, ebestens dur ihre Grundsätze und ihre Vorschriften den Versicherungsnehmern mindestens dasselbe zu gewähren, was die abänderungsfähigen Vorschriften des Gesetzentwurfs enthalten. Also so weit gehen sie unbedingt. Die al änderungsfähigen Vorschriftcn des Gesetzes, deren Annahme den Privatversicherungsgesellshaften gleihfalls freigegeben is und von denen wir nicht wissen, wie weit die Privatgesellshaften sie sämtlich annehmen werden, wollen tie öffentlißen Anstalten in vollem Umfange zur Grundlage ihrer neuen Organisation machen, freilih nit unter Einbeziehung und das wird jeder verstehen, der die Einrichtungen der öffentlichen Anstalten kennt der zwingenden Vorschriften, die gegenüber den Privatversicherungsgesellshaften gelten sollen; die Organisation der öffentlihen Anstalten {ließt das eben ¿rm größten Teil aus. Jh glaube nit, daß es von dem Herrn Vorredner richtig war, wenn ih ihn recht verstanden habe, die Zusage der öffentlißen Feuerversicherungsanstalten so leiht zu nehmen, wie es anseinend von sciner Seite geshehen sollte. Der Herr Abg. Dove hat dann am Sghluß seiner Ausführungen gesagt: mit diesen Bestimmungen, wie sie von seiten der Regierung, ih will nicht sagen, zu Gunsten der öffentlihen Versicherungeanstalten, ih will lieber sagen zu Gunsten der Versicherten bei den öffentlichen Versicherungsanstalten, vorgeschlagen sind, könnte er den Entwurf nit annehmen und er wolle dann lieber auf das Gesetz verzihten. In dieser Beziehung möchte ich mir nur eine Bemerkung gestatten. Der Umfang der Versicherungen innerhalb der öffentlichen Anstalten ist höôchfiens der zehnte Teil aller Versicherungen, deren Rechtsverhältnisse durch das Gese geregelt werden follen. Wir stimmen überrin, wie mir \{heint, mit allen Seiten des hohen Hauses darin, daß der Entwurf eine erhebliGe Anzahl Verbesserungen zu Gunsten der Versierten enthält, soweit diese Versicherten außer- halb des Kreises der öffentlißen Anstalten stehen, also zu Gunsten von wenigstens neun Zehntel aller in Deutschland versicherten Personen. Wir differieren nur in dem cinen Punkte, ob auf das leßte Zehntel der Versicherten die zwingenden Bestimmungen des Ent- wurfs, von denen die Herren dort drüben \o viel erwarten, ausgedehnt werden soll oder nicht. Wollen Sie, meine Herren, einen Entwurf, welcher eine Erweiterung nach Ihren Wünschen nit erfährt, ganz fallen laffen, was würde dann die Folge scin? Neun Zehntel des ganzen Kreises der Versicherten würde von der Wohltat einer reihs- gesegli&en Ordnung ausgeschlossen bleiben. Deshalb, weil entgegen Ihrer Auffassung eine kleine Minderzahl den zwingenden Bestim- mungen nit unterstellt wird, von denen Sie freilich glauben, daß sie allen Versicherten nüßlih sein würden, bezügliß deren wir aber eine andere Arsicht haben, soll zum Nachteil der großen Mehrzahl der Versicherten die Vorlage sheitern? Was würden dann wohl die unter der Majorität befindlihen, in ihren Hoffnungen getäushten Versicherten sagen? Sie, meine Herren, könnten Ihnen nur erwidern. Ihr müßt zunächst auf die Vorteile, die der Geseßentwurf Euch bieten wollte, verzihten, denn wir müssen mit einem Geseg bis dahin warten, daß auch der leßte Nest der Versicherten an den Vorteilen des Gesetzes teilnehmen kann. Ich glaube nicht, daß der cinfahe gesunde Verstand der interessierten Kreise eine \solche Beruhigung anerkennen würde. Wenn Sie, meine Herren, bei der Gelegenheit auf eine Ihren Wünschen günstigere Zukunft verweisen wollten, so glaube ih: sollte dieser mit großer Mübe von uns und unter vielem Entgegenkommen der einzelnen Bundesregierungen aufgestellte Entwurf wirkli scheitern, dann würden wir für lange Zeit den Versuch einer geseßlichen Regelung nicht wieder erleben. _ Abg. Kaempf (fr. Volksp.): Jh freue mih außerordentli der Wendung, welche die hier zur Verbandlung stehende Frage genommen bat; diese Wendung ist in der Hauptsahe zu verdanken, daß das Reichsjustizamt es nicht verschmäht hat, vor 3 Jahren den Entrourf zu veröffentliden und dann in einer Versammlung der Interessenten fich an der Erörterung des Entwurfs eingehend zu beteiligen. Es wäre nur zu wünschen, daß andere Ressorts au so verführen; bätte das Reichsjustizamt die Steuervorlage auch der öffentlihen Kritik unterbreitet, anstatt Geheimniskrämereti zu treiben, so hätten wir ganz andere Vorlagen erhalten. Die Vorlage stellt ein Kompromiß zwischen den Forderungen der Versicherten und den Versicherungsgeseli haften dar, die weitestgehenden Forderungen beider sind abgelehnt worden. Das Verlangen besonderer Gesete für jeden einzelnen Versiche:ungs- zweig ist niht erfüllt worden; ih finde, daß mit dem Entwu:f und seinem logishen juristishen Aufbau auch die Gesellschaften si ein- verstanden erklären fönnen. Eine Hauptsache ist, daß an einer be- stimmten Stelle des Gesetzes die Vorschristen zwingender Natur ver- einigt sind, damit der Versicherungsnehmer sofort orientiert ist; es handelt sich um 35 Millionen Versicherungsverträge, die alle erneuert werden müssen. Wenn gar alle zwingenden Vorschriften rückwirkende Kraft haben follen, was aus dem Einführungsgescß nicht deutlich hervorgeht, so ist es doppelt nötig, diese Vereinigungen aller zwingenden Vorschriften an einer bestimmten Stelle vorzunehmen. Die Auss(hließung der Haftpflichtversicherungen der Berufs- genofsenschaften und der eingeschriebenen Hilfskassen von dem Reichsrecht können wir nicht billigen. Cine dem Hause gemachte Vorlage sieht die Unterstellung der Hilfskassen unter die Aufsicht des REE C nor t vor; gerade die in der Begründung zu diesem eseßentwurf gemachten Ausführungen, die gegen die Hilfskassen sharfe Vorwürfe erheben, macht die Unterstellung dieser Kassen unter das Neichsrecht zur unbedingten Notwendigkeit. Den Ausführungen des Staatésekretärs bezüglich der öffentlihen Anstalten und der Sozietäten kann ich nit folgen; die {on erwähnte Zusage des Grafen Posadowsky ist durchaus flar und unzweideutig, sodaß nur die Annahme übrig bleibt, daß die verbündeten Regierungen jetzt anderer Ansiht geworden sind. Da haben wjr also nah den Gründen zu fragen, warum diese Meinungéänderung ein- getreten ist. Der Fürst Bismarck sagte einmal : grundsäßlih etwas zugeben, heißt praktish etwas verneinen; und so verfährt die Regierung auch hier: grundsäßlih, heißt es in den Motiven, halte die Regierung an dieser Auffassung fest, aber tatsäh- lich wird in allen wesentlißen Punkten das Gebiet der öffentlichen Anstalten von dem Geltungsbereich des Gesetzes ausges{lossen. Tatsächlich ist jemand, der gezwungen ist, sich an einer bestimmten Stelle zu versichern, \{lechter gestellt als derjenige, der sich die Vèr- ficherungsgesellschaft aussuhen fann. Die Reglements der Sozietät

enthalten vielfah weniger günstige Besiimmungen für die Ver- cherten hinsichtlih der Böhe und der Frist der Entschädigung bei

ränden und hinsihtlich. der Verjährung. Es kommt gerade darauf

an, ob die öffentlihen Anstalten die zwingenden Vorschriften des Gesetzes, die den Versicherten günstig sind, ihren Interessenten au zuteil werden lassen wollen.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Nieberding:

Die leßte Frage des geehrten Herrn Vorredners, warum die öffcntlihen Versicherungsanstalten, statt eine Erklärung außerhalb des Rahmens der geseßlihen Aktion abzugeben, niht lieber bündig und formell fich uyter das Geseß stellen wollten, fann id dahin be- antworten, daß es eben nah der inneren Verfassung, nah der ganzen Organisation vieler Anstalten niht mögli fein würde. Wollte man ¿. B. die bayerishe Brant versiherungsanstalt unter die zwingenden Bestimmungen des Entwurfs stellen, so würde die Folge die sein, daß diese ganze, große, leistungsfähige Organisation einer vollständigen, ihr Wesen absolut ändernden Umgestaltung unterworfen werden müßte. Das ließe sich gar nit erreichen, selb wenn man es wollte, in der kurzen Zeit bis zum Eintritt der Geltung des voraussihtlichen Geseßes.

Meine Herren, ih mêchte noch cinen Punkt berühren, den der Herr Abg. Kaempf soeben diskutiert hat im Anschluß an die Be- merkungen, die gestern der Herr Abg.- Heine machte: Das betrifft die rechtlihe Stellung der eingeschriebenen Hilfskassen. Es kann ja auf den ersten Blick verwunderlih erscheinen, daß wir in dem Entwurf über den Versicherungsvertrag den eingeschriebenen Hilfskassen eine besondere Behandlung haben zuteil werden laser, die nicht im Einklang steht mit derjenigen, die in einem zweiten Geseßentwurf über die zukünftige Organisation der Hilfskassen vorgeshlagen wird. Die Sache liegt aber doch einfa. Solange das Gese von 1876, welches die Verfassung, die Rechte und Pflichten der eingeshrieberen Hilfskassen regelt, besteht, müssen wir nach meiner Meinung kei unserer gesetzgeberishen Behandlung des Versicherungs- rechts von dem geltenden Geseß ausgeben. Dieses Geseg berührt nit nur die öffentlih rechtlihe, sondern auch die privatrehtliche Seite des Hilfskassenweséns. Solange dieses Gefey besteht, haben wir eben deshalb keine Veranlassung, in den gegenwärtigen Entwurf über den Versihherungsvertrag Bestimmungen privatrechtliGer Natur für die eingeshriebenen Hilfskassen aufzunehmen. Sobald aber der Geseßentwu1f über die Hilfskassen die Zustimmung des hohen Hauses gefunden haben wird und damit die privatrechtli&en Vorschriften des alten Gesctes fallen, scheiden die eingeschriebenen Hilfskassen als folWe überhaupt aus; sie werden dann Versicherungékafsen allgemeiner Natur, und dann ist Raum gegeben für ihre Behandlung nach Mafgabe des allgemeinen Versicherungs- rechts, für ihre privatrechtliGen Beziehungen gelangen fie dann von felbst unter das Gese über den Versicherungsvertrag. Die Bestimmung unseres Entwurfs über die eingeschriebenen Hilfekassen wird dann eben erledigt sein, ein inhaltleeres Wort, das die Stellung der Hilfékassen nicht mehr berührt. Ih glaube, eine \sol{e Lösung liegt auch ganz im Sinne der Herren Abgeordneten, die diese Frage erörtert haben. :

Abg. von Damm (wirtisch. Vgg.): Auch ih bin der Meinung, daß der Entwurf weitgehende Anerkennung verdient. Schwierig ist, an einzelnen Stellen zu unterscheiden, ob eine Bestimmung zwingendes Recht ift oder nicht. Es wird“ sih vielleicht Cle am Schlusse einen Paragraphen einzufügen, in dem die Vorschriften ¿wingenden Rechtes zusammengefaßt sind. Entgegen dem Abg. Trimborn, der der Vorschrift des § 166 wegen des Selbstmordes zwingende Kraft bei- legen will, gebe ih der Fassung der Vorlage den Vorzug. Die Er- klärungen des Staatésekretärs über die Hilféfassen werden wohl allseitig befriedigt haben ; dagegen kann ih feinen Grund sehen, weshalb die von den Berufsgenossenshaften gegründeten Haftpflichtversiherungen nit dem Gesege unterstellt werden follen, und noch weniger, wes- balb die Regierung diesem Wuns einen so hartnäckigen Widerstand en igegensept. Alles übrige wird der Kommissionsbzratung vorbe-

alten fein.

Abg. O sel (Zentr.): Eine Anzahl von Rednern haben versucht, seaeubter den Interessen der Versicherten die Interessen der Gesfell- chaften mögli zu wahren und die öffentlihen Anstalten als so- zusagen minderwertig hinzuftellen. Diese leßteren sind aber doch im Interesse der Versiherungsnehmer begründet. Sehen wir die Gewinnziffern der Aktiengesellihasten an, beobadhten wir, was der Abg. Beumer mit größerer ffenbeit als die anderen ausgesprochen hat, daß die Aktiengesellschaften Anspruch auf Verzinsung ihres Kapitals haben, fo tritt der Gegensaß deutlich hervor. Nah meiner Meinung is in dem Entwurf nit genügend berüdcksihtigt, daß die meisten Versiherungsnehmer die Versicherungsbedingungen gar nicht verstehen. Die Privat- versicherungen haben es heute in der Hand, die {lechten Nisiken von sich abzuschieben und die guten zu behalten. Die offentlihen Ver- sicherungsanftalten werden in der Regel erst dann ins Leben gerufen, wenn die privaten versagt haben. Die öffentlih:n Anstalten können kaum hintec den privaten zurücbleiben, selbs dann nit, wenn sie Monopolanstalten sind. Jh kann den Avsführungen des Staats- sekcetärs des Reichéjustizamts über den Aus\{chluß der öffentlichen Anstalten nur beitreten. § 189 muß aufrechterhalten bleiben.

Abg. Lenzmann (fr. Volksp.): Mir würde die Aufrecht- erhaltung des § 189 das Gefeß unannehmbar machen. Die Ver- staatlihung der Versicherung würde uns immer mehr in den Sozialis- mus hineinbringen und eine ganze Menge neuer abhängiger Existenzen schaffen. In Preußen haben sich die öffentlihen Anstalten längst überlebt. In Preußen will man s\ich allerdings {wer ent- s{ließen, die Macht des Staates irgendwie einshränken zu laffen. Es ift nicht richtig, daß Graf Posadowéky sein Versprehen ein- gelöst hat. Die Sprache des Entwurfs ist gut und präzise und untersheidet sich vorteilhaft von der der bisherigen Gesetze. Auf Einzelheiten gehe ih nichi ein.“ Eine präzise Feststellung der Befugnisse der Agenten wäre erwünsht. Viele Agenten, namentli viele Versilerunasagenten, chwindeln den Versiherungsnebmern etwas vor. (Es muß Vorsorge getroffen werden, daß die Versicherten davor ge[chüt werden, übers Ohr gehauen zu werden.

Abg. Dr: Müller - Meiningen (fr. Volksp.) : Jh muß dagegen Verwahrung einlegen, daß ih dem Staatssekretär Grafen Posadowsky falsche Pläne in den Mund gelegt habe. Der Wortlaut jener Rede gibt mir recht. (Nedner zitiert die betreffende Stelle.)

__ Der Gesezentwurf geht an eine Kommission von 21 Mit- gliedern.

Es folgt die erste Lesung des Entwurfs einer Ma ß- und Gewichtsordnung.

Abg. Dr. Porzig (kons.): Dieser Entwurf hat shon dem vorigen Reichstag vorgelegen und konnte nit verabschiedet werden. In dem vorliegenden Entwurfe sind die damals geäußerten Wünsche im wesent- lihen berücksihtigt worden. Die Verstaatlißung der Eichämter bringt allerdings für eine ganze Reibe von Kommunen Nachteile mit sih, und es wird Sache der Kommission sein, den Weg zu finden, die beiden entgegenstehenden Interessen auszugleihen, nämli die Be- seitigung der im Eihwesen unleugbar vorhandenen Mißstände und die Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Kommunen. Auf den Wuns, viertel und ahtel Pfunde im Interesse des Kleinhandels zuzulassen, ist die Regierung leider niht eingegangen, obwohl das ganze Haus bis auf die Sozialdemokraten einig war.

Die Begründung der Regierung is sehr mangelhaft. JIch ba im vorigen Jahre gesagt, daß die ablehnende Stellung A ée fen mich an die Haltung eines Parvenus erinnert, der absolut an sein Vergangenheit nicht erinnert sein will, indem sie einen Vorschlag e lehnt, der mit dem Dezimalsystem gar nichts zu tun hat. Es ist nig Aufgabe des Geseßgebers, in die natürlihen Grundlagen des Verkehrs d solche einseitigen reglementarishen Bestimmungen einzugreifen Man braucht nicht zu einem Fanatiker des dekadischen Systems y werden. Ih hoffe, dáß, wenn das Haus seinen Beschluß wiederholt die Negierung endlih ihren Widerstand gegen jenen Vors(blag aufgiht. Abg. Stolle (Soz.): Ich bedauere sehr, daß die Wünsche deg Arbeiterstandes in diesem Geley nicht berücksihtigt worden sind. Di Berga1beiter vermissen in § 6 eine Bestimmung, wona auch die Förderwagen geeiht werden müssen, denn die hne werden im all, gemeinen nah den Förderwagen bemessen. Das neue preußische Berge geseß {ütt in dieser Beziehung die Bergarbeiter niht vor der Uéber- vorteilung. In der Textilindustrie find die Gemäße fo verschieden,

daß die Arbeiter um Tausende betrogen werden; die Vorlage dens

aber nur an die Wünsche der Unternehmer, nicht an die der Arbeiter, Wo bleibt da die „Fürsorge für den armen Mann?“ Wer jst hier im Hause nicht für die Einbeitlichkeit! Es ist nicht bewiesen, daß die Kommunaleihungébeamten s{chlechter seien als die Staatsbeamten, Viele Kommunen haben Tausende dafür aufgewendet, Eichungsämter zu s{chafen. Es ist ihnen nur eine kleine karge Frist im Geseh ge; währt worden. Die Rechte der Gemeinden fönnten gewahrt werden, ohne die Rechte des Staats und die Einheitlichkeit zu gefährden. Wie tief die beabsichtigte Verstaatlichung der Eichämter in die kommunalen Interessen eingreift, zeigt das Beispiel der Stadt Frei- berg in Sachsen. Durch das Eingehen des Bergbaues, namentli des Silberbergbaues dort, sind Tausende von Arbeitern brotlos geworden, und die Gemeindeverwaltung war in der Zwangslage, andere Gewerbe

und Industrieen heranzuziehen, um den Arbeitern Brot zu schaffen,

Aus denselben Gründen wurde auch ein sädtishes Eichungsamt gegründet, und dies soll nun der Gemeinde genommen werden. Besonders bedenklih ersheint uns, daß dem Bundesrat die Befugnis vorbehalten fein soll, die Cichungsgebühren festzuseßen. Der Staatssekretär hat zwar ge- sagt, die Cichgebühren sollten keine Eianahmequelle für den Staat sein, aber wir müssen doch nah den Erfahrungen der leßten Zeit vor- fichtig sein. Die Gebühren dürfen die Selbstkosten nit übersteigen, und es wid nicht {wer sein, die betreffenden Vorschriften zu finden, Ich beantrage, die Vorlage einer Kommission von 21 Mitgliedern zu überweisen.

_ Abg. E ngelen (Zentr.): Die Forderung ‘der Arbeiter, die Sörderwägen dem Eichzwange zu unterwerfen, hätte sehr wohl erüdsihtigt werden können. Dem Antrag des Vorredners, tie Vorlage einer Kommission zu überweisen, {ließen wir uns an, Einverstanden sind wir damit, daß der Gebührentarif möglichst ein- heitlih geregelt und die periodishe zwangsweise Nacheichung ein- geführt wird. Von der Notwendigkeit dcr Verstaatlihung der Ei(- ämter habe ih mich bisher nicht überzeugen können. Es ist bin- gewiesen worden auf die Uebershüfse, die viele Gemeinden aus ihren Eichung*ämtern erzielt haben. Diese Gemeinden werden also durch die Verstaatlihung ges{chädigt werden. Graf Posadowsky hat demgegenüber in Anspruch - genommen, daß diese Kommunen ihre Eichämter nur errichten konnten auf Grund der Uebertragung eines ftaatlihen Rechts, das der Staat jederzeit zurückziehen könne. Aber troßdem isi der Wunsch der betreffenden Kommunen, entshädigt zu werden, nit beiseite zu stellcn; das preußishe Gese bezeihnet die Eichämter ausdrüdcklich als Gemeindeanstalten; die Genehmigung kann Ge- meinden, die über die erforderlichen Räume und Persönlichkeiten versügen, nit vorenthalten werden. Es ist auch nicht zu verstehen, weéhalb gerade das Reich diese Verstaatlihung vornehmen muß; es wäre denn, daß nachher den Kommunen erklärt würde, das Reih habe die Verstaatlichung beshlossen, die Einzelstaaten seien zu keiner Dn Papiaung verpflihtet. Ih gebe die Hoffnung noch nicht auf, a in Frage wird herbeifübren lassen.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Jnnern, *

Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky- Wehner:

Meine Herren! Jch habe mich über die Stellung der verbündeten

Regierungen zu diejem Gesegentwurf sowohl im Plenum des hohen Hauses wie in der Kommission in der vorigen Tagung {on eingehend geäußert. Jch glaube, ih kann mi deskalb heute auf einzelne ganz kurze Bemerkungen beshränken, ohne irgendwie der Sache Zwang anzutun.

Es ist moniert worden, daß die Fördergefäße in den Berg- werken nicht dem allgemeinen -Eichzwange unterliegen follen, und es ist dabei bekauptet, daß in der Kommission des vorigen Jahres ein dahingehbender Abänterungsantrag zum Gesetzentwurf an- genommen worden sei. Leßteres beruht auf einem Irrtum ; ein folWer Antrag ist in der Kommission nicht angenommen worden, Die verbündeten Regierungen glauben, soweit Preußen in Frage kommt, daß die Bestimmungen des § 80k des preußischen Berggeseßes {on autreichende Vorsorge zum Schutze der Ar- beiter treffen; denn dort ist auédrücklih vorgeschrieben, daß da, wo nah dem Inhalt der Gefäße die Ablohuung der Bergleute er- folgt, die Fördergefäße mit der Bezeihnung des Rauminhalts zu ver- sehen find, und daß die Bergbehörden darauf zu achten haben, deß diese Vorschrift durchgeführt wird. Ich kann nodh hinzufügen, daß nach der Auskunft der preußischen Bergbebörde der Eichzwang für alle Fördergefäße so ungeheure Bestände an Reservegefäßen er- fordern würde, daß damit ganz unverhältnismäßige Kosten verbunden wären.

Die preußische Bergbehörde ift deshalb der Ansicht, daß, wenn der«allgemeine Eichzwaug der Fördergefäße eingeführt werden sollte, das Geseß nit durchführbar und deshalb abzulehnen sei. Jh muß mi bei so s{chwierig:n tehnischen Fragen selbslverständlih auf die maßzgebendste technische Behörde in dieser Beziehung verlassen, und das ist hier die preußishe Bergbehörde. Aber abgesehen davon ist mix rein sachlich eingewandt worden, daß Kohlen ein so sperriges Gut seien, daß die geringen Abweichungen des Nauminhalts, die etwa durch den Gebrauh der Fördergefäße im Laufe der Zeit entstehen, in der Tat. für die Ablohnung ohne jede wesentliche Bedeutung wären. Ergänzend möchte ih noch hinzufügen, daß, wie mir mitgeteilt wird, jeßt nah den meisten Arbeitsordnungen in West“ falen tie Minder- oder Mehrfüllung eines Gefäßes nicht mehr ein Grund des Nullens fein soll. Wir werden uns ja über diese Frage in der Kommission noch des näheren unterhalten.

Der Herr Vorredner hat auch wieder die fommunalen Eichämter angeshnitten. Ih muß au heute io die Ansicht festhalten, daß die Städte cin geseyliches Recht auf die Eichämter nicht haben, daß cs si hier vielmehr ledigli um ein vom Staat übertragenes Hoheitsrecht handelt, das der Staat jederzeit selbst wieder für \ih in Anspruch nehmen kann. Wenn ih speziell auf die Verhältnisse der Stadt Osnabrück eingehen darf, so soll dieselbe fast die Hälfte ihrer kommunalen Einnahmen aus Eichgebühren ziehen, und zwar aus der Eihung von Gasmessern- Die Eichung von Gasmessern ist aber unzweifelhaft auf die Kom- munen nur delegiert worden.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Frage der

der Kommission eine befriedigende Lösung auch in dieser

0 21.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Meine Herren, ih glaube uicht, daß das Interesse der Städte an er Beibehaltung ihrer Etichämter so sehr aus dem allgemeinen Bedarf an Selbstverwaltung hervorgeht, sondern daß überwiegend finanzielle Gründe maßgebend find. Sie haben aber selbst in den Gesepentwurf der vorigen Tagung etne Bestimmung aufgenommen, meines Er- ahtens mit Recht, daß die Gebühren der Eichung niht böber fein sollen als ihre Kosten. Hierdurch würden aber sofort die großen Nebershüsse, " die einzelne Kommunen aus den Eich- gebühren ziehen, fortfallen. Ich glaube in der Tat, wenn die Eichämter in Zukunft ohne diese Mitgift bestehen sollten, würde auch die Liebe ter Städte zu ihren eigenen Cichämtern {nell erkalten. Ote fortdauernde finanzielle Einnahme für die Stadtkasse ist aber unvereinbar mit dem Grundsaß, daß die Eichgebühren nichts darstellen sollen als die Selbstkosten. Wenn dieser Besluß budstäblih durhgeführt werden foll, muß man natürlich von Zeit zu Zeit den Eichtarif nahprüfen, und wenn hierbei jener Gundsaß des Gleichgewichts zwischen Einnahmen und Ausgaben auf jede Gemeinde oder für den Durchschnitt der Einnahmen und Aus- gaben an Eichgebühren in den Einzelstaaten oder im ganzen Reich durchgeführt wird, dann dürfte der Hauptgrund fortfallen, aus dem sich die Gemeinden gegen die Verstaatlihung ihrer Eichämter aus- sprechen, nämli die bisherizen Mehreinnahmen für ihre Kassen.

Ob man, um den Gemeinden den Uebergang zu den neuen Vers hältnissen zu erleihtern, eine geräumige geseßliche Uebergangßfrist haft oder cine gewisse Entschädigung gewährt, darüber läßt fich vielleicht in der Kommission eine Einigung erzielen. i

Fch wünschte dringend, meine Herren, daß es uns mögli wäre, über dieses Geseß, das hon fo lange Gegenstand der Wünsche des hohen Hauses gewesen ist und welches bereits in der vorigen Kommissicn so gründlih erörtert ift, ret bald zu verhandeln, damit eine \{leunige Einigung statifindet.

Wenn sich der Herr Vorredner auf ein Neskript des Herrn Handelsministers berufen hat, so möchte ih doH daran erinnern, daß in dieser Frage der Gebühren auch der preußische Herr Finanzminister ein schr gewichtiges und entscheidendes Wort mitzusprehen hat. Für mi und für die Neich3regierung, die finanziell an den Ecträgen dieses Gesetzes gar nicht beteiligt ist, wäre es ja sehr leiht, den bon prince zu spielen und zu sagen: gewiß, wir wollen uns finanziell einigen, wir wollen eine ausreichende Entshädigung feststellen für die Gemeinden. Aber das entshcidende Wort in dieser Frage haben die Re- gierungen und haben namentlich die Finanzminister der Einzel- staaten. Wenn deshalb bei den Beratungen der - Kommission eine Einigung gefunden werden s\oll, die den Interessen der Gemeinden für die Uebergangszeit Rechnung trägt, so kann ich Sie nur bitten, diese Anträge so zu fassen, daß auch einige Ausfiht ift, daß sie die Zustimmung der verbündeten Regierungen im Buntdesrate urd vor allem der hier entscheidenden Herren Finanztninister ers langen.

Darauf wird die Vertagung beschlossen.

Schluß gegen 6 Uhr. Nächste Sißung Mittwoch, 1 Uhr. (Dritte Mer gegen bes! Difltnantraga: erste Beratung des Toleranzantrages, erste eventuell zweite Beratung des sozial- demokratischen Antrages, betreffend die Volksvertretungen in den Bundesstaaten und in Elsaß-Lothringen.)

Preußischer Landtag. Herrenhaus. 4. Sigung vom 23, Januar 1906, Nachmittags 2 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.) __ Der Präsident Fürst zu Jnn- und. Knyphausen er- öffnet die Sizung mit folgenden Worten ;

Ich eröffne die erste Sitzung im neuen Jahre mit den besten Wünschen für unfer aller Wohlergehen und hoffe, daß es Ihnen allen ein reih gesegnetes Jahr sein môge. Der Präsident gibt sodann Kenntnis von den Audienzen, die er als Präsident des Hauses bei Ihren Majestäten gehabt hat, und von der Einladung der Berliner Handel:kammer zur beutsh-englishen Freundsaftskundgebung, der er Folge geleistet habe.

,_ Zu Ehren der seit der leßten Sißung verstorbenen Mit- fie Graf Finck von Finckenstein und Bishof von Vildesheim Dr. So mmerwerck fowie des verstorbenen Staats- ministers Freiherrn von Richthofen erheben sih die Mit- glieder von den Pläßen. Z

Neu eingetreten sind die Herrens Professor, Geheimer guiigra! Dr. NornaBonn und Oberbürgermeister Dr. Tetten-

orn- Altona.

Erster Gegenstand der Tagesordnung ist die Beratung und Beschlußfassung über den Entwurf eines Gesetzes, betreffend Anlegung von Sparkassenbeständen in

nhaberpapieren.

Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Die Vorlage, die die Staatsregierung die Ehre gehabt hat, dem hohen Hause zu unterbreiten, wird dur die Rücksicht auf die Sparkassen und auf den Staatskredit gebieterish diktiert, zwei Rüksichten, die genau auf derselben Linie fih bewegen. Wenn Sie die Entwicklung der Sparkassen in den lchten Jahren und Jahrzehnten verfolgen, fo is im allgemeinen die Entwicklung nur eine durchaus erfreuliche zu nennen. In erster Linie steht die außerordentlihße Zu- nahme der Einlagen in die Sparkassen, und zwar gerade au der Einlagen des kleinen Mannes, der minder bemittelten Stände. Während im Jahre 1875 die Einlagen der preußishen Spar- kassen sih auf die Summe von rund einer Millarde Mark beliefen, sind die Einlagen seit 1903 auf nicht weniger als sieben Milliarden Mark gestiegen; in der Periote von

Zweite Beilage | i zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußischen Staalsanzeiger.

Berlin, Mittwoch, den 24. Januar

on ekten anführte, haben daran namentlich auch die Fleineren und itz Ne ihren großen Anteil gehabt. Die Zahl der Bücher bis 60 (6, die im Jahre 1875 530 000 betrug, bat sfi im Jahre 1903 auf 2727 000 & gehoben, in dieser Periode also mehr als ver- fünffaht, und die Bücher über mittlere Beträge, zwischen 600 und 3000 A Einlage, beliefen sich im Jahre 1875 auf 443 000 Stück und stiegen im Jahre 1903 auf 2421 000 , Haben sih also mehr als verfünsfadßzt. Diese außerordentlihe Entwicklung unferer Spar- kassen und namentlich die Zunahme der kleinen und mittleren Ein- lagen ift der beredteste Beweis, was es auf sich hat mit der Bes hauptung von der Verelendung des kleinen Mannes, diese außer- ordentlite Zunahme der Sparkasseneinlagen bildet vielmehr den besten Beweis für die steigende Wohlhabenheit, die steigenten Lohnverbältnisse der Arbeiterbebölkerung. In ganz derselben Richtung is beweitkräftig die Entwicklung unserer Ein- kommensteuer. Auch bei unserer Einkommensteuer sehen wir er- freuliherweise die unteren Stufen in ganz besonderem Maße steigen. Auch dort ergibt si, daß aus dem Gros der bisher nicht einkommen- steuerpflihtigen Kreise unserer Bevölkerung in jedem Jahre neue Elemente emporsteigen in die Kreise der Einkommensteuerpflihtigen. Auch da ergibt si eine Zunahme der Wohlhabenheit, eine Zunahme der ganzen Lebenshaltung; auch dies ist ein Beweis für die auf- - steigende Richtung in der ganzen Lebenéthaltung unserer arbeitenden Klassen. i | Aber, meine Herren, wenn man \o viel Licht auf der einen Seite ¡u konstatieren hat, darf auch ein gewisser Schatten auf der anderen Seite nit geleugnet werden. Und dieser Schatten liegt in der Art der Anlage der Sparkassenbestände. In dieser Richtung läßt das Sparkafsenreglement den Sparkassen ziemli freie Hand, und es hat sich die Entwicklung der Sparkassen außerordentlich verschieden gestaltet. Während in einzelnen Teilen unserer Monarchie das Ver- hâlinis der liquiden Anlagen, also des baren Geldes und der Inhaber- papiere, zu ten nichtliquiden Anlagen, also zu den Anlagen in Hypo- theken, ein durhaus richtiges ist, kann man dies von anderen Teilen unseres Vaterlandes oder von einem anderen Teile ur.ferer Sparkassen nicht sagen. Im Gegenteil, sie haben die Rülsicht auf ihre Liquidität hintangeseßt gegenüber den Rücksichten auf Erzielung eines etwas höheren Sewinnes, wie dies durch Anlegung in Hypotheken möglich ist. Bei der ganzen Frage der Anlage der Sparkassenbestände muß meines Erachtens in allererster Linie stehen die Rücksicht der Liquidität; denn der Einleger, namentlich der kleine Mann, hat einen gerechten Anspruch darauf, daß er die Einlage, die er gemacht hat, jederzeit zurück- bekommen kann, wenn er fie zurückhaben will. Der zweite Gesichts- punkt ist zwar auch noch von großer Bedeutung: daß nämlich die Sparkassen dazu beitragen sollen, den Hypothekarkredit in Stadt und Land, namentli au auf dem Lanké, zu befriedigen. Aber er tritt hinter dem ersten zurück. Jch komme auf diesen fundamentalen

Gesichtspunkt der Hypotheken noch zurück.

Der- dritte Gesichtspurkt ift der der Erzielung eines mäßigen Uebershusses namentlich ta, wo die Sparkassen von den Gemeinden und Kreisen betrieben werden. Aber ih meine, der erste und not- wendigste Gesichtspunkt ift und bleibt die Nücksiht auf die Liguidität. Fn dieser Beziehung hat sih nun, wie ih eben angedeutet habe, {hon ergeben, daß ein Teil unserer Sparkassen seine Bestände allzusehr in Hypotheken festgelegt hat. Und dabei hat sich wiederum auch die merkwürdige Erscheinung ergeben, daß nicht etwa die länd- liGen Hypotheken zugenommen habcn, fondern daß auch ein Teil der ländlihen Sparkassen in immer fteigendem Maße seine Bestände in städtishen Hypotheken angelegt bat. Sie finden in dieser Beziehung einige Daten in der Begründung angegeben. Ich darf nur kurz daraus rekapitulieren, daß während die städtishen Hypotheken im Jahre 1891 noch 28 9/9 der Anlage der Sparkassen ausmachten, sie gestiegen find im Jahre 1903 auf 35 9/6 daß dagegen die ländliGen Hypotheken, die im Jahre 1891 noch 27 9/9 auêmachten, im Jahre 1903 auf 239%/ gefallen sind. Jns- gesamt machen die ländlichen und städtishen Hypotheken nahezu 60 9/0 der ganzen Anlage aus, genau 580/96 und etwas. Meine Herren, namentlich dieses Aufsuen von städtifchen Hypotheken in weit ent- fernten Städten, wo die betreffenden Sparkassen gar nicht in der Lage sind, die Krediiwürdigkeit des einzelnen Gebäudes auf die Dauer zu beobaten und zu kontrollieren, halte ih für eine niht glüd- lile und für cine Entwicklung, der entgegengetreten werden muß. Es wurde bei der Beratung einer ähnlihen Frage im anderen Hause sogar mitgeteilt, daß einzelne Sparkassen geradezu Agenten herumreisen lasen, um si in ganz weit entfernten Städten \tädtishe Hypotheken zu beshaffen, obgleich sie doch gar niht in der Lage sind, die wirkliche Kreditwürdigkeit dieser Hypotheken zu kontrollieren.

Dagegen ist, wie ih eben hon erwähnte, die Anlegung in In-

Ansicht nach in einer durchaus unerwünschten* Weise zurückgeblieben. Es ift dahin gekommen, daß 5%/ unserer Sparkassen überhaupt gar keine Inhaberpapiere besißen und fast cin Drittel unserer ganzen Sparkassen nur bis 100%/% ihrer Bestände in Inhaberpapieren an- gelegt haben, und wenn man davon ausgeht, daß alle Sparkassen um si liquide zu erhalten, etwa ein Drittel ihrer Anlagen in In- haberpapieren anlegen müssen, so entsprehen 77 9/6 unserer ganzen Sparkassen dieser Forderung der Liquidität nit, bleiben viel- mehr zum Teil sehr wesentli dahinter zurück. Ein solcher Minder- besiy an liquiden Mitteln muß meines Erachtens auf die Dauer dder kann wenigstens für die betreffenden Sparkassen zu einer sehr ernsten Störung führen. An liquiden Mitteln, an Barmitteln hatten die Sparkassen nach der Statistik im Jahre 1903 nur etwa 100 Millionen Mak glei 1,44 %/ threr gesamten Anlagen; sie waren überwiegend angewiesen auf die Hypotheken. Nun ist über- haupt eine Hypothek im Fall cincs Runs auf die Sparkassen nicht oder nur außerordentlich \chwer realisierbar, wie ih tas hier nicht näher autzuführen brauche. Zunächst muß die Kündigungsfrist inne-

hgþerpapieren, in liquiden Mitteln in einzelnen Sparkassen meiner |

1906.

Einziehung von Hypotheken gerade im Falle eines wirtshaftlihen Niedergangs die wirtschoftlihe Krisis aufs äußerste verschärfen und viele Leute in die größte Notlage bringen. Sind dagegen die Spar- kassen mit Znhaberpapieren in der nötigen Höhe ausgestattet, so find

_fie in der Lage, diese Inhaberpapiere, namentlich die siets sicheren

Reichs- und Staatspapiere, entweder zu verkaufen oder was si in höherem Maße empfiehlt zu lombardieren. Nun find bisher das muß ih zugeben Erscheinurgen bedenkliher Art nur ganz ver- einzelt hervorgetreten ; im allgemeinen sind bei den Sparkassen {were Mißstände noech nicht akut geworden. Aber, meine Herren, wir haben uns auch gottlob ciner durchaus günstigen wirtshaftlißen Entwicklung zu erfreuen gehabt; unser Vaterland is von jeder ernsten Krisis eine Reibe von Jahrzehnten bewahrt geblieben, und als vorsichtige und vorausschauende Leute müssen wir doch auch einmal mit der Möglichkeit rechnen, daß minder günstige Iahre kommen, daß auch einmal sehr {were Anforderungen an die Spa1kafsen gestellt werden, und dann würden die Sparkassen diesen Anforderungen zum Teil zu genügen außerstande sein. Haben sie nur Hypotheken, die fie nicht liquidieren können, entbehren fie der nötigen Inbaber papiere, die fie

„Tombardieren können, fo sind sie einfach nicht in der Lage, den An-

forderungen der Einleger, die auf sie anstürmen, zu genügen, und das würde: zum \{chwersten Schaden der Sparkassen, zum {chwersten Schaden der Einleger selbst führen. Ich meine daher, im Interesse der Gesund- erhaltung unserer Sparkassen muß entscheidender Wert darauf gelegt werden, daß die Sparkassen in dem Maße liquide Mittel haben, daß fe au bei ungünstigen wirtschaftlichen Zeiten alsbald die Mittel liquide mahen können, alsbald die Anfordzrungen der Ein- leger befriedigen können, und dazu bedarf es eben der Vorschrift, daß die Sparkassen einen bestimmten Prozentsaß in Inhaberpapieren an- legen müssen.

Wir kaben vorgeschlagen, daß die Sparkassen nur von ihrem künftigen Zuwachse zwei Fünftel, also noch nicht die Kälfte, in Inkbaberpapieren anlegen sollen und davon ein Fünftel in Papieren des Deutschen Reichs beziehentlich des preußischen Staats. Mit der Notwendigkeit der Herstellung einer größeren Liquidität bei den Spar- fassen geht also vollkommen varallel die Rücksicht auf die Hebung des Staatskredits, die darin liegen würde, daß die Sparkaffen einen wenn auch nur bescheidenen Teil ihrer Anlagen in Papieren des Deutschen Reichs beziehentlich des preußischen Staats investieren müßten. Meine Herren, der meiner Ansicht nach völlig unbefriedigende Zustand des Kredits und des Kurswerts unserer Staatspapiere ift vom Tage meines Amtsantritis an Gegenstand meiner besonderen Sorge und nach vielen Richtungen darf ich fagen Fürsorge gewesen. Unsere Staatspapiere erfreuen \sich nicht entfernt in dem Maße wenn ih so sagen soll der öffentlichen Werts{äßung, nicht des Kursstandes, der ihnen nach ihrem inneren Werte absolut zukommt. Während beispiels-veise die dreiprozentige NReichs- anleihe im Jahre 1896 noch auf 99,22 stand, is sie im Fahre 1900 auf 86,77 gefallen. In der kurzen Periode von 1896 bis 1900 ift alfo die Reich3anleihe um fast 13 9% gefallen, ohne daß wir einen Krieg gehabt haben, ohne daß wir eine wirt- schaftliche Krisis gehabt haben, im Gegenteil, wir haben Frieden ge- habt und im allgemeinen glückliche wirtschaftliche Zustände. Es ist bei früßkeren Erörterungen tn diesem hohen Hause darauf hingewiesen worden, daß die ausländishen Papiere auh sehr großen Shwankungen nach unten unterworfen gewesen sind. Das ist vollkommen zuzugeben, aber in England ist ein zweimaliges Herabsegen des Zinsfußes von 3 0/0 auf 2} 9/6 und von 23 9/6 auf 24 %/ ciner der Gründe gewesen und vor allem der Burenkrieg, dec die englishen Mittel in außer- ordentlihem Maße in Anspru genommen hat. Von alledem ist bei uns nihts der Fall gewesen, und troßdem fanken die Staatspapiere um niht weniger als 13 9%. Abgesehen von diesen Schwankungen ist weiter zu konstatieren, daß unsere Papiere im Durchschnitt weit hinter den gleihwertigen englishen und französishen Papieren zurückstehen. Die 3 %/ igeReich2anleihe pendelt um 90 9% herum, dagegen hat die 3 9% ige französische Rente sich um 100 gehalten, steht also ungefähr um 10 9/0 höher als die deutsche Neich3anleihe, und selbst die 25 °/oigen englishen Konsols stehen nohch 88, obwohl sie 12 9/6 weniger geben als die 3 %/oigen Papiere des

Deutschen Reichs.

Nun, meine Herren, wie ist in dieser Beziehung Besserung zu schaffen? Es is vor einiger Zeit von dem hohen Hause ein Geseßz- entwurf akzeptiert worden, der darauf hinzielte, das Staatsshuldbuh noch in höherem Maße bequem benußbar zu machen, als es bisher der Fall ist. Es gibt ja keine siherere und bequemere Anlage als die Benußung des Staats\{huldbuhs. Losgelöst von jeder Gefahr, daß die Papiere verbrennen oder gestohlen werden, erhält bder Inhaber die Zinsen - an den Ort zugeshickt, den er bestimmt hat ; aber die Benußung war noch mit mannigfahen Schwierigkeiten und Weiterungen verknüpft. Es ist jeßt ein neuer Gefeßentwurf in der Ausarbeitung begriffen, der demnähst dem hohen Hause zugehen wird. Derselbe soll die Mögli&keit {hafffen, Zahlungen in barem Gelde direkt eintragen zu lassen und niht erst den Umweg zu machen, daß Konsols anzuschaffen und in das Shhuldbuch einzutragen sind. Es ist auch auf die Erhöhung des Kapitals der Seehandlung hin- gewiesen worden. Aber wie ih {hon damals ausgesprochen habe, ist es ganz unmögli, für eine noch fo hoh dotierte Staatsbank gewisser- maßen willkürlichß und maßgebend in das Geseß von Angebot und Nachfrage einzugreifen. Die Sechandlung kann nur willfürlihen Störungen des Kurses Einhalt tun, und das hat sie nach Möglichkeit getan. Die Seehandlung hat im Jahre 1905 niht weniger als 50 Millionen Konsols aufgenommen ; sonst wäre der Kurs noch weiter gewihen, als es tatsählih der Fall ge- wesen ist, Die Hauptgründe des unbefriedigenden Standes unserer Staatspapiere sind einmal die Ueberlastung des Markts mit alljährlihen Anleihen. Das Neih und die Bundesstaaten treten alljährlih mit Forderungen an den Geldmarkt heran, und ist die eine

1875 bis 1903 hat si also eine Vermehrung des Vermögens der Sparkassen um nahezu sechs Milliarden Mark ergeben, und, wie ih

gehalten werden. Aber abgesehen davon würde eine rücksihtslose

Anleihe untergebracht, so tritt eine neue Anleihe an den Markt und

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