Deutscher Reichstag.
33. Sigßung vom 1. Februar 1906, Nachmittags 1 Uhr : 20 Minuten.
(Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)
Tagesordnung: Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Feststellung des Reichshaushalts- etats für das Rechnungsjahr 1906, und zwar die Spezialetats: Reichstag und Reichsamt des Jnnern.
Ueber den Beginn der Verhandlung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Abg. Dr. Müller - Sagan (fr. Volksp.) fortfahrend : Der Wunsch nah einem Generalsachregister wird siherlich vom Hause sehr lebhaft geteilt. Jch fürhte nur, es wird eine große Shwierig- keit haben, ein solhes Sachregister aufzustellen. Es müßte auf einen bestimmten Zeitpunkt begrenzt werden; man müßte etwa das Jahr 1900 oder 1905 als Endpunkt segen. Ich hatte mich aber zum Wort gemeldet, gerade im Vertrauen auf das Entgegenkommen der Verwaltung des Reichstags und des Bureaus im besonderen, um eine Anregung aus der vorigen Session zu wiederholen. Sie betrifft die Anlage von Ferndruckern hier in diesem Hause. Jn anderen Parlamenten is es üblih, daß die Mitglieder unter- rihtet werden über die Neuigkeiten, die aus aller Welt in der Volksvertretung einlaufen. Wir find nicht in der Lage, uns prompt eine solhe Kenntnis zu verschaffen, wir müssen abwarten, bis die Wolffshen Depeschen hier ausgelegt werden, und das ge- \{ieht cine Stunde später, als sie in Berlin einlaufen. or einigen Jahren mochte das noch leidlih fein, heute aber, wo die NRedaktionen jedes größeren Blattes die Nachrickten sofort dur die Ferndrucker erhalten, wäre es an der Zeit, daß auch der Deutshe Reichstag — es heißt ja, Deutshland voran — diesen Kulturfortshritt mitmahte, und daß der Präsident oder das Bureau dafür sorgte, daß wir in den Besiß einer Anzahl von Ferns druckern gelangen. Ferner wünsche ich, daß uns ein Primavista- Sigzungsbericht, also nicht ein wörtliher, sondern zusammengefaßter Bericht hier hon im Verlauf jeder Sizung in ähnlicher Weise zu- gängig gemacht wird, wie er bei)piel8weise in der französishen Kammer in der Salle des pas perdus veröffentliht wird. Die Einrichtung wäre ja fur{htbar leiht zu treffen, es bedarf dazu bloß eines Abkommens der Reichstagsverwaltung mit einem der Bureaus, wie des Oldenberg- hen Bureaus. Ich hoffe, daß der Präsident dieser Anregung Folge geben wird. Es müssen hier und im Abgeordnetenhause die beider- seitigen Verhandlungen successive während der Sißung ausgelegt werden.
Abg. Arendt (Rp.): In der Anerkennung der Geschäftsführung unseres Bureaus stimme ih mit dem Vorredner vollkommen überein. Fch freue mi, den Anregungen des Vorredners, namentli bezüglih des Ferndruckers, zustimmen zu können. Heute haben wir nur zwei Exemplare der Depeschen des „Wolffshen Bureaus“ in unserem Lese- zimmer, und diese beiden Exemplare sind fast regelmäßig von den Kollegen beseßt. Was die Anregung der Sißungéberichte betrifft, fo würde ich eine solhe Einrihtung au für sehr wünschenswert, aber für sehr schwer durhführbar halten. Die Vereinigung mit einem parlamentarischen Bureau würde nur zu Beschwerden der anderen Bureaus führen. Es würde ein offizieller Sizungsbericht hergestellt werden müssen. Das Verlangen einer Voranzeige über die mut- maßlihen Sißzungsverhältnisse des Reichstages ist der Ausdru einer nur zu berechtigten Klage. Es wäre sehr wünschenswert, wenn eine engere Beziehung zwishen Regierung und Reichstag einträte, sodaß die Mitglieder über Anfang und Schluß der Tagung rechtzeitig unter- rihtet würden. Die Ueberweisung des „Reichsanzeigers*“ würde an dem bisherigen Zustande niht viel ändern, und ih bekomme tatsählich {hon so viel Papier zu eshickt, daß mir davor graut. Etwas anderes wäre es mit der Seseusammlimig, einer Publikation von bleibendem Werte, deren Zusendung an die Reichstagsmitglieder ih mit Freuden begrüßen würde. Auh die Anregung des Kollegen Erzberger kann ih gutheißen. Ich selbst erneuere den Wunsch des Abg. Gamp aus dem vorigen Jahre, den Zugang zum Portal 11 bei den gärtnerishen Anlagen mehr berücksictigt zu sehen. Auch die Klagen über das Restaurant haben wieder sehr zugenommen, nit nur bezügli der Qualität, sondern auch deshalb, weil es für die Gesundheit mancher Mitglieder des Hauses, so für die meine, zuträg- liher ist, ihre Mahlzeiten außerhalb der Reichstagsrestaurants einzunehmen. Gewisse Bilder zur Ausf{chmüdckung des Hauses, die im Neichstagegebäude ausgestellt werden, fanden nicht den allgemeinen Beifall ; es stellte sih aber nahher heraus, daß die Be- stellung schon erfolgt war. In Zukunft würde es ih empfehlen, die Ausstellung vor der Bestellung stattfinden zu lassen. In dem so schönen Lesesaale des Hauses befindet ih ein Bild, das allge- mein t das ist das Bild der „Wartburg.“ Diese ist als solche absolut nit zu erkennen, und im Vordergrunde stehen miß- gestaltete Bäume, die in Deutschland niht vorkommen; im Hinter- grunde steht etwas, was größtenteils nicht als die „Wartburg“ erkannt wird, die es darstellen soll. Die Perle Mitteldeutshlands darzustellen, diesen Zweck hat das Bild nicht erreicht. Der Reichstag würde nur gewinnen, wenn wir dieses Bild im Lesesaal niht mehr zu schen genötigt sind. j :
Abg. Schrader (fr. Vgg): Wir können für die gegebene Anregungen nur dankbar sein, ih bin überzeugt, daß der Präsident sih die größte Mühe geben wird, ihnen zu entsprechen. Was den „Reichsanzeiger“ betrifft, so kann die Ueberschwemmung mit Papier kein Grund sein, diesem Wunsche sih entgegenzustellen; in ge- bundenem Zustande wird er sehr gut aufbewahrt werden können. Für die Ausarbeitung des General iges wird es einer Anzahl fahkundiger Leute bedürfen; es ift aber selbstverständlich, daß eine Erneuerung von Zeit zu Zeit stattfindet. Der Redner äußert dann ncch Wünsche bezüglich der Herstellung der Stenogramme des Reichstags und bezüglih der Stellung der amtlichen Stenographen; vielleicht könnte dem amtlihen Stenographenbureau die Herstellung des gewünschten Primavistaberihts übertragen werden. Diese An- regung werde vertrauensvoll dem Wohlwollen des Präsidenten anheim- gegeben.
Abg. Graf Oriola (nl.): Auch wir sind mit den Anregungen, welche die Abgg. Erzberger und Müller-Sagan gegeben haben, ein- verstanden und \chließen uns auch dem Wunsch des Abg. Arendt an, daß man versuchen möcbte, etwas bessere Küchenverhältnifse im Hause zu schaffen. Namentlich diejenigen, die in Kommissionen zu a1beiten haben, müssen unter den gegenwärtigen Verhältnissen sehr leiden. Ein Teil unjerer Kollegen, besonders solche, die auf die äußere Körper- pflege großen Wert legen, fragt erstaunt: Warum hat das preußische Abgeordnetenhaus einen Friseur und wir nicht? Auch damit sind wir einverstanden, daß möglihst dem gesamten Reichstag Ge- legenheit gegeben wird, sfih ein Urteil zu bilden über Bilder, die zur Ausshmückung des Hauses durch die Reichstagsbaukommission bestimmt werden. Die Methode, die jeßt für die Auss{hmüdckung unserer Räume befolgt wird, ist niht die richtige. In der Aus- \{müdckung unseres \{chsnen Lesezimmers herrscht kein einheitliher Geist. Man hâtte zuerst die Künstler sich verständigen lassen sollen, dann würde, man nicht so shreiende Gegensäge bekommen. Die Wariburg paßt allerdings gar nit zu den anderen Bildern des Lesefaales, wenn ih es auch nit so beurteile wie Herr Arendt. Es ist ein großer Mangel im Deutschen N-ichstag, daß wir bei dec Ausschmückung des Hauses çar niht den Eindruck gewinnen, daß wir uns in dem Naum befinden, wo das deutsche Parlament tagt. Es follten doch auch Darstellungen aus dem Lebea desselben zum Auëdruck kommen. In anderen Staaten würde man nit unterlafsen haben, den Moment tarzufstellen, wo der Reichstag nah Verfailles kam, um Wilbelm 1. den Wunsch auszuspreben, die deutihe Kaiserkrone anzu- nehmen. Im übrigen {ließe ich mich auch der warmen Anerkennung der Leistungen unseres Bureaus an. i
Präsident Graf von Ballestrem: Die Anregungen, die voa den verehrten Herren Kollegen nah den verschiedenstnn Rich- tunzen hin gegeben werden sind, werden gewiß eine sehr
aufmerksame Prüfung und in vielen Fällen gewiß auch eine Berücksichtigung finden. Natürlich bin ih nit in der Lage, hier leih alles möglihe aus den Aermeln zu {hütteln und zu ver- Pax sondern das muß erwogen werden. Was insbesondere die Stellung unserer Hilfskanzleidiener anbelangt, so ist im vorigen Jahre eine größ nämlich die älteren, d N 7 ( ihre Besoldung bezieben. Die jüngeren rücken allmählich in diese Stellungen-auf, und sie sind auch eher in der Lags in der sigungs- freien einen anderen Verdiefft zu suchen. Natürlich wird es auch weiter immer mein besonderes Bestreben sein, sehr pflihttreuen und tüchtigen Beamten alles das zu gute kommen zu lassen, was irgendwie in meinen Kräften steht und was ih innerhalb des Etats des Reichstags tun kann. Der Reichstag ist ja auch mit sehr {höônen Unterstüßungsfonds gerade für diese Kategorie von Beamten dotiert, und ich kann Ihnen sagen, diese werden bis auf den leßten Heller ausgegeben ; es fließt nie etwas an die Reichskasse zurück. Dann ist angeregt, worden, daß ein Generalsachregister angelegt werde. J kann nicht verkennen, daß dies ein außerordentli nüßlihes Werk wäre. Es ist aber ‘au ein sehr \{chwieriges Werk... Jh glaube, daß auch ein sehr gut ausgebildeter Mann dieses Werk kaum in einem Jahre bewältigen könnte. Das „Reich8geseßblatt" und den „Reichsanzeiger“ den Abgeordneten zugehen zu lassen, ließe sih ermöglihen. Jh weiß nur nicht, ob dies zu den Wünschen aller Abgeordneten gehört. Ih will mich darauf be- schränken , sie denjenigen zugehen zu lassen, die einen Antrag stellen. Ebenso ist es mit der Zuschickung der Akten vom Bureau. Ich weiß von. mir bekannten Abgeordneten, daß sie mit Schrecken so cin Paket ankommen sehen, das ihnen diese ganze Literatur des Reichstags von einer ganzen Session zuführt. Es ibt au Abgeordnete, die beshränkte Wohnungsverhältnisse haben, wo wirkli der Plaß fehlt, um dieses sonst sehr wertvolle Akten- material unterzubringen. Jch würde mich also auch hier auf diejenigen Herren beschränken, die einen Antrag stellen. Was das Bestellgeld anbelangt für die Pakete, die den Abgeordneten ge- \chickt werden, so müßte diese Frage, glaube ih, nicht beim Etat des Reichstags, sondern beim Postetat . angeregt werden. Was die Einrichtung «eines Ferndruckers betrifft, so war es heute das erste Mal, daß ich von so einem Institut überhaupt hörte. Ich d mich erst informieren, was dieses Ding eigentlih be- zwet. ie Herausgabe rue Sizzungsberichte wird in Erwägung ge- zogen werden, aber ih glaube, sie wird mit Schwierigkeiten verknüpft sein. Wir müßten dazu einen mit der Abfassung von solhen Be- ridten vertrauten Herrn anstellen und fortlaufend hiermit beschäftigen. Leicht wird es nit sein, au nit, es allen Mitgliedern des Reichs- tags recht zu machen; aber man kann es ja erwägen. Was die Aus- \{müdckung des Reichstags anbelangt, so hat ja der Reichstag die Entscheidung hierüber. einer Kommission überwiesen. Es war mir außerordentlich licb, daß ich niht mehr allein die Verantwortung dafür zu tragen habe. Es ist mit der Ausschmückung ebenso wie mit dem Restaurant. Dem einen s{chmeckt das Essen, dem anderen nit. Die Kommission is nun eingeseßt, und sie entscheidet darüber. Ich glaube, der Reichstag hat auch ziemlih weise gehandelt, daß er diese Kommission eingeseßt und sich nicht die Entscheidung im Plenum vorbehalten hat, denn ih glaube, ein Plenum von üker 400 Mitgliedern würde in einer folhen Frage kaum zu ciner Ent- schließung gelangen. Aber, wie gesagt, ih werde das alles wohl er- wägen und prüfen.
Der Etat des Reichstags wird ohne weitere Debatte ge- nehmigt.
Das Haus geht über zum Etat des Reichs8amts des Jnnern. Die allgemeine Besprehung beim Gehalt des Staatssekretärs 50 000 6 eröffnet
Abg. Trimborn (Zentr.): Der grandiose Anshauungsunterricht, der in den letzten - Jahren im fernen Osten für Fürsten und Völker erteilt wurde, hat allen Kulturstaaten ernste Lehren gegeben, aus denen zu entnehmen ist, daß nit der Kriegsminister, niht der Staats- sekretär des Auswärtigen Amts in einem Kulturstaat die erste Rolle spielen, sondern daß ihnen der Verwalter des Ressorts des Innern mindestens gleihwertig zur Seite steht. „Graf im Bart, Ihr seid der Erste.“ Die sozialpolitishe Rückschau, mit der ih auch diesmal diese Debatte zu eröffnen die große Ehre habe, ist nicht be- sonders erfreulih; es sind nur wenige Verordnungen auf dem Ge- biete des Arbeitershußes erschienen, anderseits muß der Entwurf über die Hilfskassen wohl auch hierher gerechnet werden. Aus- geblieben ist aber, und das stelle ih mit einer gewissen Besorgnis fest, die Vorlage wegen der Berufsvereine; ih hoffe, daß sie recht bald vor uns erscheinen wird. Anderseits erwarte ih, daß eine Reihe Vorarbeiten des Reichéamts des Innern sich bald zu Geseßentwürfen verdichten möge. Da handelt es fih zunähst um die Vorlage wegen Regelung der Heimarbeit. Die Ausstellung Unter den Linden läßt feinen Zweifel darüber, daß die Dinge niht fo bleiben können. Es ist die hôchste Zeit, daß etwas geschieht auf diesem Gebiet. Am erwünschtesten wäre uns eine großzügige, einheitlihe Gesetzgebung, die das gesamte Heimarbeitsgebiet, auch die Heimarkbeiter- versicherung umfaßt. Zunächst und bald müßte wenigstens ein Geseß über die Krankenversiherung der Heimarbeiter gebracht werden. Ich frage den Staatssekretär direkt, haben wir in Bälte auf ein folhes Gese zu rechnen? Ein weiterer Wuns ist die Ausdehnung der Krankenversiherung auf die landwirtschaftliGen Arbeiter und das Gesinde, die der Staatssekretär selbst für notwendig erklärt hat. Wie weit sind die geseßgeberischen Vorarbeiten gediehen für die in Ausficht genommene Witwen- und Waisenversicherung ? Wie steht es um die Busiuimenlequit der Kassen? In welhem Stadium befindet si diese Angelegenheit, für die fich weite Kreise interessieren ? Voa der größten Wichtigkeit ist dann die Einführung des zehn- stündigen Arbeitstages für Fabrikarbeiterinnen. Seit dem Vorjahre haben die süddeutschen Textilindustriellen sib für diesen Vorschlag erflärt; das ist ein hohbedeutsamer Fortschritt. Sämtliche Fraktionen, bis auf die reten, haben fi auf einen Antrag gleih bei Beginn der Session auf Einführung des zehnstündigen Arbeits- tages vereinigt. Diese Tatsahen müßten cuch auf das Reichsamt des Innern Cindruck machen. So etwas muß man sih eigentlich nicht abringen lassen. Neben der Kontrolle der Zuverlässigkeit oder Be- fähigung der bauausführenden Meister und Unternehmer müssen wir nach wie vor dringen auf eine retchsrechtlihe Regelung des Bau- arbeitershutzes. Die Zahl der Unfälle hat sich sehr erheblih vermehrt. Der Zentralverband der christlihen Bauhandwerker hat in einer Petition ein ganz genaues Programm dieser Bestimmungen aufgestellt, das ih Ihrer Beachtung empfeble. Hinsichtlich der Sonntagsruhe hatte der Staatssekretär eine Revision dec in Fragz kommenden bundesrätlihen Verordnungen in Aussicht gestellt. Wie weit ist die Sache gediehen? Besonders “dringend int die Sache hinsichtlich der Binnenschiffahrt. Vor zwei Jahren crfolate die Zusage des Staatssekretärs, Arbeitekammera einzuführen. Inzwischen ist t iese Frage sehr eingehend in den beteiligten Kreisen disfutiert worden, namentlich in der Richtung, ob selbständige Arbeitskammern oder ob sie im Anschluß an de Gewerbegerichte errihtet werden sollen. Wie denkt das Reichsamt des Innern heute über die Sache? Sie hat ja ihre Schwierigkeiten, aber der große gewaltige Arbeiterstand, der nah Millionen zählt, wartet {hon 16 Jahre auf die Schaffung einer Intercssenvertretung, die andere Stände {on längst besigen. Es muß Verstimmung hervorrufen, wenn in dieser Beziehung nits ge- schieht. Die aroße Bedeutung der Tarifgemeinschaften Tat Kollege Gröber schon bei der ersten Lesung des Etats hervorgehoten Der Swwerpunkt liegt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, in der Preisgab? des Nichtverhandlunge standpunktes. Die schroff Ablehnuyg der Arbeit- geber, wit den Arbeitern zu verhandeln, Arbeiter ungemein aufreizend. Die Tauifverträge müssen rechtlid sichergestellt werden. Heute sieht es damit {limm aus, auch nah der höchstgerihtlihen Entscheidung. Die Gerichte müßten er- kennen föônnen, daß in einem anderen Streitfalle, wo keine auvs- drücklide Lohnverabrevbung getroffen ift, der Tarifvertrag der
# Nerbesserung eingeführt worden, daß “nit angestellt sind, das ganze Jahr.
i wünshen wir eine in der Anerkennung der Gleichberehtigung |
l { gehört. wirkt auf die
Organisation maßgebend sein mus der die Streitenden angehören. Inzwischen sollten die Tarifgémeinshaften und -verträge von Reichs und Staats wegen Ene werden. Die Behörden follten darüber wachen, und au bei ihren eigenen Aufträgen immer solche Arbeiter beschäftigt werdén, die auf Grund der Tarifverträge bezahlt werden. Die ‘Thronrede hat leider in diefem Jahre au niht einen Say ent- halten über Maßregeln zu Gunsten des Mittelstandes. Das führt zu der Meinung, als ob die soziale Fürsorge fich nur auf den Arbeiterstand erstrecken soll. Ueber eine solche Anschauung sollte do auch das Reichsamt des Innern hinaus sein. In der Frage des allgemeinen Befähigungsnahweises stehe ih auf dem Stand- punkt des Abg. Erzberger, man braucht \ih in dieser Frage nach keiner Richtung hin zu präjudizieren. Die Frage des kleinen Befähigungs- nahweises dagegen ist spruchreif, und ih hätte erwartet, daß die Thronrede eine Vorlage für wbiese Session versprochen bätte. Wer einen Lehrling übernimmt, übernimmt gewissermaßen ein“ öffent- lihes Lehramt, er muß also seine Befähigung dazu nachweisen, wie jeder andere Lehrer. Das Ausberkaufswesen sollte der polizeilichen Kontrolle entzogen und einer fahmännischen Kontrolle unter- stellt werden. Die Forderung einer geseßgeberishen Aktion gegen das Schmiergelderwesen müssen wir nah wie vor im Auge be- halten. Besonderes Gewicht legen wir darauf, daß die wirtschaft- lihen Verhältnisse des kleinen und mittleren Handelsstandes durh eine Statistik fklargestelt werden. Durh eine große Enquete könnten wir uns ein unparteiishes Urteil verschaffen darüber, was berehtigt ist an Klagen über die großen Warenhäuser, und wie eventuell abgeholfen werden kann. Eine große Rolle spielt auf diesem Gebiete auch die mangelhafte kaufmännische Ausbildung. Wie bei den Maßregeln zur Heburtg des Handwerks wird au zur Abstellung der berechtigten E des kleinen und mittleren Kauf- mannsstandes-dié Reform der Lehrlingsausbildung die Grundlage zu bilden haben, und darum hat die gesamte Oeffentlichkeit ein aroßes Inter-
esse daran, nachzusehen, ob auf diesem Gebiete alles in Ordnung ist.
Meine sozialpolitishe Umschau und Rückfschau wäre unvollständig, wenn fie niht auch der fortschreitenden Organisation der Privatbeamten ge- dächte. Diese Kategorie erstrebt jeßt u. a. bessere Bestimmungen über den Dienstvertrag und die Schaffung einer Interessenvertretung nach Art der Handwerkskammern. Meine Partei freut si T richtig dieser Bewegung und wird sich die Latersttuna der Dur führung ihres Programms angelegen sein lassen, ohne daß wir uns natürlich auf jeden einzelnen Punkt desselben festlegen. Auch die Angestellten der Nehtsanwälte haben \ich eiùe festere Organisation gegeben. Der große Bergarbeiterstreik, an dem mehr als 2C0 000 Arbeiter beteiligt waren, veranlaßt mich, die Erklärung zu wieder- holen, daß wir die reih8geseßlihe Regelung des Bergretes nah wie vor als Ziel erstreben; das is für uns ein festes Cd Der Zusammentritt der internationalen Arbeiter- chußkonferenz in Bern zeitigte erfolgreitere Ergebnisse als die erste, die auf Anregung des Deutschen Kaisers 1890 in Berlin statt- gefunden hat. Man hat si endlich überzeugt, daß die Sozialpolitik zu ibrer erfolgreihen Durchführung der internationalen Mitwirkung bedarf. Wir danken dem Staatssekretär für die vorzügliche Vertretung, die Deutschland auf diesem Berner Kongreß gefunden hat; ich stelle fest, daß speziell der Direktor Caspar, wie ih, und nicht aus deutschem Munde, bestätigen gehört habe, dur sein geshicktes und sahkundiges Auftreten allgemein imponiert hat. Gedenken müssen wir noch in diesem Zusammenhange der Verdienste ‘des im lezten Jahre dahin- geschiedenen Unterstaatssekretärs Lohmann. Zur Förderung der fozial- politishen Arbeiten des Reichsamts des Innern sind wir bereit, jede gewünschte Vermehrung der Kräfte zu bewilligen; vor allem wünschen wir die Ausgestaltung der betreffenden Abteilung zu einem NReichs- arbeits8am Die Beihilfe für die internationale Vereinigung für geseßlichen" Arbeitershuß zur Unterhaltung des internationalen Arbeits- amtes sollte von 8000 auf 10 000 M erhöht werden.
Abg. Fischer - Berlin (Soz.): Der Zustand, in dem der Vor- redner den Staatssekretär des Innern an der Spiye aller Minister und Staatssekcetäre gesehen hat, kann nur eine Vision gewesen sein, denn in wahem Zustande kann er solche Vorstellung nit haben. Auch wir fragen: Wo bleiben die Berufsvereine, wo bleiben die A1beitskammern, wo bleibt das Neichsarbeitsamt, wo bleibt die Regelung der Heimarbeit ? Der Abg. Trimborn macht sich ebenfalls zum Sprachrohr dieser Wünsche und Beschwerden , aber dann gibt er sich e:nem unbegreiflichen Optimismus hin. Er entrollte eine unendlihe Liste seiner Spezial- wünsche, mit denen er wie das Mädchen aus der Fremde jedem eine Gabe austeilte; wie kann er im Ernste glauben, daß das Reichsamt des Innern in der nächsten Zeit alle diese riesigen Aufgaben lösen und er- füllen soll ? Und wie kann der Abg. Trimborn bei der gegenwärtigen Zu- sammenseßung der Regierung nur einen Augenblick glauben, daß es nur an dem guten Willen des Ressorts liege, daß diese Aufgaben gelöst werden ? Der Abg. Trimborn redet hier von der reihsgeseßliden Regelung des Bergwesens, und um preußischen Landtage treten seine Partei- genossen mit dem größten Cifer für die partikulare preußische Regelung ein, um dem Reichstage diese Materie nicht zu überlassen. Maßgebend i doch für die heutige Situation das Wort von der gefüllten Kowpottshüssel. Dieses Wort kennzeihnet die Situation so flar, daß es beinahe wie die Worte, unter denen die Bestallung des neuen Generalstabshefs Moltke erfolgte, aus dem „Simvplicissimus“ bätte stammen können. Die „Soziale Praxis“ hat {jüngst bei Eröffnung des Reichstags festgestellt, daß wieder einmal in der deutshen Politik die Sozialpolitik das Aschenbrödel sei; „ja, wenn es mit guten Worten getan wäre !* In 5 Jahren ist blutwenig an Sozialreform geschaffen worden. Die gut bürge1:lihen Münchner Neuesten Nachrichten haben anerkannt, daß alle wirtschaftlichen Vorteile den besigenden Klassen zugute ges kommen find. Vor einigen Jahren sagte der Abg. Hitze oder Trimborn, daß in der Zeit des Niedergangs der wirtshaftlihen Konjunktur die Sozialreform , nicht durhgeführt werden könnte (Widerspruch des Abg. Hitze) — dann sagte es der Abg. Trimborn — (Abg. Trimborn: Jch erst reht nicht!) Der Minister von Rheinbaben wies auf die Lasten hin, die die Unternehmer für die soziale Fürsorge zu tragen haben. Im Verhältnis zu der Profitsumme der Unternehmer kommen die Beiträge der Arbeitgeber nicht in Betracht. Graf Posadowsky hat in einer Denkschrift anerkannt, daß diese Beiträge niht aus dem Kapitalsteck bezahlt werden, sondern daß sie zu den Produktionskosten gebören und nur ausgelegt werden. Die Arbeitgeber zahlen höchstens 5—5& S pro Tag und Arbeiter. Der Finanzminister brüstete sch mit der hohen Ziffzr der direkten Steuern der Be- sißendin. Es ist doch s{limm genug, daß der größte Teil des Volkes nicht einmal 900 G jährlihes Einkommen hat. Es gibt in der deutshen Sozialdemokratie nicht einen einzigen, der nicht jeden Schritt zur Sozialreform mit Freude begrüßte. Durch bloße Versprechungen und Wassersuppen freilih lassen wir uns nit abspzisen. Wir verlangen eine ernsthafte Sozialreform. Haben die Herren denn {on vergessen, wie die bürgerlihen Parteien bei dem ersten Unfallversiherungs- gese \ih verhalten haben? Damals wurde dem Füsten Bismarck vorgehalten, er wäre im Grunde eigentlich ein Sozialdemokrat. Erst auf unser Drängen is der Reichstag in der Sozialreform vor- geschritten. In der Verkürzung der Arbeitszeit sind uns einzelne Staaten noch voran. Wir haben nidt einmal den Zehnstundentag, geshw:ige den Achtstundentag. Die Negierung erklärte sich früher gegen den Zehnsiundentag, und nun haben wir es erlebt, daß die Baumwollindustriellen den Z:haftundentag felbst cingeführt haben.
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Wir Sozialdemokraten wollen den Arbeiter vor den Folgen der
fapitalistishen Produltionsweise s{chüßen, und zu diesem Zwedke nsche Verkürzung der Arbeitszeit, wir wollen die Widerstandskraft der Arbeiter durch Organisationen s{üßen. Des- wegen treten wir für die Koalitionsfreibeit der Arbeiter ein. Von diescm Gedanken haben wir heute vom Abg. Trimborn nichts Das Zentrum ist die ausshlaggebende Partei; es liegt an dieser, wenn wir auf diesem Gebiete niht weiter kommen. Die ganze Sozialreform steht auf dem Pavier, wenn die Arbeiter nicht die Möglichkeit haber, durch ihre Organisaticnen sich bessere Lohn-
| verhältnisse uud bessere Arbeitsbedingungen zu \{haffen. Heute gehen ! die Unternehmer ia den meisten Fällen “ Arbeitershutzvor schriften fa ohne
bei Uebertretung der trafe aus. Die Gewerbes
ftoren erkennen allerdings an, daß die Arbeiter durch ihre ie risationen fih in eine bessere Lage gebraht haben. Wie stellt
nun die Regierung, speziell die preußische Regierung, zu den Arbeiterorganisationen ? Der Minister von Rheinbaben spra neulich von frivolen Streiks. War etwa der Berliner Elektrizitätsstreik ein frivoler? Frivol war vielmehr die Aussperrung durch Arbeitgeber wegen einer solhen Bagatelle, wie die, daß die Ar- beiter mehr Lohn verlangten. Wer die Versippung der Industrie mit den Regierungsleuten kennt, kann si über solche Urteile nidt wundern. Wie stellt \sich die Regierung zu den Tarifverträgen? Der Direktor der Reichsdruckerei erkennt den Buchdruckertarif nicht an. Der Direktor der Neichsdruckerei hat den ursprünglih verweigerten Lohn für den zweiten Osterfeiertag zwar gezahlt, aber die Ar- beiter hinterher entlassen, angeblich wegen Arbeitsmangels ! Die Arbeitszeit wurde um zehn Minuten verlängert. Von Aushilfs- arbeitern hat man sogar ein polizeilihes Führungs8attest verlangt, als handelte es sih um etrüger und Gauner. Die _Gewerbeinspektoren find einig in der Anerkennung der segensreihen Tätigkeit der Arbeiter- organisationen. Die Behörden aber, wie eine Werftdirektion, wollen mit dieser Organisation nit verhandeln. Die Arbeiter am Nord- ostseekanal baten, daß ihnen niht nach 4 Wochen, sondern nah 14 Tagen der Lohn ausgezahlt werde. Das wurde ihnen vom Kanal- amt versagt, auch ein Vorshuß. Wenn so Reichsbehörden handeln, dann kann man sich über das Benehmen von Stadtverwaltungen wie der Breslauer niht wundern, wo der freisinnige“ Oberbürger- meister die Arbeiter în der ihnen gewährten Audienz in der Hrutalsten Weise anshnauzte und dem Führer sogar seine Vorstrafe vorhielt. Eigentümlih ist auch die Haltung, die ein ostpreußisher Gewerbeinspektor in seinem Bericht über einen Maurerstreik eingenommen hat. Er erwähnt zwar, daß in 43 Fällen wegen Bedrohung Arbeitswilliger Strafanzeige erstattet fei, aber nit, daß nur in wenigen Fällen eine Verurteilung erfolgt ist. Das kann man do von einem Gewerbeinspektor verlangen, daß er über einen Streik, wenn er sich über ihn ausläßt, rihtig berichtet. Aber vergessen darf auch nicht werden , wie die Gewerbeaufsichts- beamten von oben drangsaliert worden sind, ihrer Amtspflicht in den denkbar engsten Bahnen zu genügen ; . der verflossene Handels- minister Möller, verbat \ich direkt in ihren Berichten jedes „Räsonement“. Unter diesen Umständen ist es fast zu verwundern, daß wir noch so viel von den tatsächlichen Zuständen auf dem Gebiete der Gewerbehygiene erfahren. Unser ftetes Verlangen, die Gewerbeaufsiht durch Zuziehung von Frauen auszugestalten, ist zur Stunde noch ein frommer Wunsch ; nur eine ganz winzige Zahl weibliher Assistenten ist angestellt. Auf 436 Betriebe entfiel 1903 ein Aufsichtsbeamter, 1904 einer erst auf 508! - Allein in Preußen fehlen mindestens 40 Aufsihts8beamte. Einmal im Jahre wenigstens follte do jeder Betrieb eine Revision erfahren; aber selbst diese be- \cheidene Forderung kann das gegenwärtige Personal nicht erfüllen. Und wie ungenügend sind die Revisionen selbst. Jn Berlin wurden
bloß 35 9/9, in Wiesbaden gar nur 29 %% aller Betriebe revidiert.
Und obwohl die Beamten heute son äußerst überlastet sind, denkt die preußische Regierung nit an die Vermehrung der Beamten. Daß man von den Gewerbeaufsihtisbeamten verlangt, siz follten über die sittlichen Zustände unter der Arbeitershaft berihten, halte ‘ih für zwecklos, wenn sie niht gleichzeitig den Bericht erstatten über die sittlihen Zustände bei den Unternehmern. Nach einer Ausführung des preußischen Finanzministers von Nheinbaben,
‘die die Rechte mit lautem Hört, bört ! aufnahm, haben die Unter-
nehmer für die Arbeiter geradezu Ungeheures getan; denn der Durch- \hnittslohn, eingeshlossen die jugendlichen Arbeiter und die Frauen, follte von 1888 bis 1903 von 612 auf 819 Æ, also um 33°/o ges itiegen sein. Diese statistishen Zahlen find uns: es ist von einer solchen Steigerung der Löhne gar nicht die Rede. er Finarzminister war vordem Polizeiminister in Preußen, und er wird vielleicht wissen, daß sein Vorgänger von Puttkamer vor dem Neichstage bei der Bekämpfung der Sozialdemokratie regelmäßig mit gefälschten Zitaten arbeitete Und Herc Möller hatte ‘für die Klagen über die Fleisch- not nichts übrig als das Bedauern, daß die Arbeiter — dieses unvershämte Gesindel — auch noch tägli Fleisch essen wollten, da es do genüge, wenn sie zwei Tage .in der Woche Fleis bekämen ! Ein Mann, so bar alles sozialen Empfindens, hat felbst auf der preußi- {hen Ministerbank wohl kaum je gesessen. Und wie steht es denn mit den Eisenbahnuntecbeamten? Die Hülfsbremser und Betriebsarbeiter baben Tagelöhne von 2,80 bis 2,40 M! Das sind die Löhne, die der Ciseabahnminister zahlt; die Steigerung beträgt in zwei Jahren ganze 10 4; der Finanzminister stellt \chlankweg die Behauptung auf, die Löhne seien um 33/3 %/ gestiegen! Dabei bestehen noch immer Arbeitszeiten von 12 bis 15 Stunden. NRüdsichten auf die Privatunternehmer halten die Eisenbahnverwaltung ab, die Arbeitszeit zu verkürzen und die Löhne zu erhöhen. So ist es auh in staatlihen Bergwerksbetrieben. Die Gewerbeinspektoren erkennen an, daß, soweit in diesem Jahre Lohnsteigerungen für die Arbeiter eingetreten sind, sie durch die teueren Leberêmittel-, ins- besondere Fleishpreise wieder wett gemaht worden find. Wer die Sozialreform niht als Phrase und Lockmittel im Munde führen will, muß dahin wirken, taß die_Regierung auf dem Wege der Sozialreform fortschreitet, daß die Sozialgeseßgebung ins Marschieren kommt. Sie haben die Macht (zum Zentrum), Ihren Einfluß auf die Regierung geltend zu machen, damit au die Zahl der Gewerbe- inspektoren vermehrt wird. Y
Abg. Paul i - Potstam (d. kons.): Der Staatssekretär hat im vorigen Jahre eine VYevision des Krankenkassengeseßes in Aussicht ge- telt. Davon haben wir hier heute nihts gehört. Die Thron- rede und der Neichskanzler haben ein Witwen- und Waisengesez ver- \prohen. Auch davon haben wir nichts gemerkt. Wir sind der Meinung, daß ohne eine fundamentale Reform der sozialen Geseßz- gebung alles andere Flickwerk ist. Die Verwaltungskosten betragen allein jährlih 36 Millionen Mark; es muß also cin Febler in der Geleßgebuna liegen. Aus den Zöllen sollen für die Witwen und Waisen 50 Millionen verwendet werden. Glauben Sie, daß diese Summe ausreiht? Es würden dazu 125 Millionen notwendig sein. Sollen etwa die Arbeitgeber allein die Lasten tragen und nicht etwa au die L:ute mit dem großen Einkommen im Volke? Wir sind ja gern für ein solhes Gescß, aber die Kosten dürfen nicht der ärmeren Bevölkerung, dem* Mittelstande und den Arbeitern auferlegt wérden. Deshalb it, wie gesagt, eine fundamentale Aenderung dieser Geseßz- gebung notwendig. Der kleine Handwerksmeister kann doch nit Dee bezahlen als der reiche Bankier, darum müssea die Lasten gerehter verteilt werden. Auch der kleine Handwerker müßte bis zu einer ge- wisse Höhe des Einkommers der Vorteile der sozialen Gesetzgebung teilhaftig werden. In diesem Sinne hat si ja auh der Reichstag in einer Resolution ausgesvrochen. Die Peiition des Zentralverbandes der Bauhandweriker zum Schutz der Bauhandwerker ist akzeptal ; eine ändere Petition aus Hamburg scheint dagegen weit übertrieben, nament- lich in der Angabe der Zahl der Unfälle. Die Lafarrträgs von denen der Abg. Trimborn sprach, haben günstig gewirkt niht nur für die Arbeiter, sondern auch für die Arbeitgeber. Ich kann das aus meiner eicenen Branche bestätigen. Allerdings hat es im Mittelstande Mißmut erweckt, taß in der Thronrede von ihm gar keine Rede ge- wesen ist. Der Reichsregierung können doch die Klagen des Mittel- standes niht unbekannt sein. Die Hauptsache ist, p man den Miitel- stand niht vcch mehr belastet; das ist jetenfals wichtiger als eine einzelstaatlihe Förderung dur Gründung von Genoffenschaften, Dienstbarmachung der Elektrizität usw. Wenn Industrie und Hand- werk noch mehr belastet werden, so entsteht die Gefahr, taß wir mit dem Auslande nit mehr konkurrieren können. Das ift auch für die Arbeiter gefährlich; denn mit dem Arheitgeber wird auch der Arbeiter brotlos. Als ih im vorigen Jahre für den Befähigungsnachweis für das gesamte deutsche Handwerk eintrat, tat ih dies in dem Glauben, daß die große Majorität des Handwerks hinter mir stände. Das ist aver niht der Fall. Sclange sih das Handwerk nicht eines Besseren belehren läßt, muß ih von meinem früheren Verlangen abkommen. Ein andetcs ist die vom Kölner Handwerker- und Gewerbe- tag vorgeshlagene Einführung der obligatorishen Gesellenprüfung. Vielleicht kann dadur eine Befserstellung herbeigeführt werden.
Dasselbe gilt von dem sogenannten kleinen Befähigungsnahweis, von dem wir Meilich nicht olften, ob ihn die Regierung annehmen wird. Im Baugewerbe ist ja allerdings eine Wandlung in Vorbereitung. Vielleicht kann der - betreffende Gesegentwurf noch verbessert werden. Der Abg. Fischer sprach von fcivolen Streiks und be- hauptete, daß beim Berliner Elektrizitätsstreik einzelne Arbeiter nur dasselbe gefordert hätten, was Arbeiter derselben Kategorie bei den anderen Fabriken bekommen. Dem muß ih entgegentreten. Ein polizeilihes Führungsattest, wie es in der Reichödrukerei gefordert wird, wird auch in privaten Betrieben verlangt, und das ist gegenüber manhen Elementen durchaus berechtigt. Wenn wirklich in der Eisenbahnverwaltung so geringe Löhne gezahlt werden, wie fommt es denn, daß Handwerksgesellen, die 4 4 bis 4,50 M Lohn bekommen, \sich in den Eisenbahnwerkstätten melden ? Mane von ihnen warten fogar jahrelang auf ihre Einberufung. Der Abg. Fischer hat vielleiht übersehen, daß zu dem Lohne von 2,80 4 Lo in manqhjen Fällen ein Lohn von 1,49 4 tritt, das wären au 4,20 A In der Eisenbahnverwaltung besteht eben eine eigen- artige Lohnzahlung. Im ge E haben sih die Löhne gebessert und die Lebensweise des Arbeiters durch die sozialpolitisch2 Geseß- gebung gehoben. Das soll ‘uns aber nicht hindern, die Lage der Arbeiter noch weiter zu verbessern. Jch bedauece, daß die Cisenbahn- verwaltungs niht auch wie einzelne Kommunen und Private ihren Arbeitern Teuerungszulagen bewilligt hat. Ebenso wie der Abg. Trim- born kann auch ih im Namen meiner Freunde erklären, daß es uns
mit der Förderung der sozialpolitishen Gesetzgebung Ernst ift ; aber die Mittelklassen und Arbeiter dürfen dadur werden.
Gegen 5/, Uhr wird die weitere Beratung auf Sonnabend 1 Uhr vertagt.
niht höher belastet
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Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 14. Sigzung vom 31. Januar 1906, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung is in der vorgestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Das Haus seßt die zweite Lg, des Entwurfs des Staatshaushaltsetats für das Rehnungsjahr 1906 im Etat der landwirtshaftlihen Verwaltung fort.
Bei den ordentlihen Ausgaben zur Förderung der Fischerei beshwert sih
- Abg. Wolgast (fr. Volksy.), wie hier kurz wiederholt sei, darüber, daß den Fischern im Kieler Hafen durch Polizeiverordnung verboten worden sei, vom 1. Mai bis zum 15. September mit engmaschigen Neßen zu fischen. Diese Verordnung habe den Zweck gehabt, die Kieler Sprotten zu s{chüßen; den Fischern liege aber absolut nichts an dem Sprottenfang während dieser warmen Jahreszeit, denn die Preise seien so gering, daß sie die Ware in dieser Zeit niht los würden. Der Redner weist noch darauf hin, daß innerhalb der Grenzen der preußishen Fischerei das Fangen mit Schleppneßzen verboten sei. Die Oberfishmeister seien aber meist gar niht in der Lage, diese Verfügung auszuführen, denn die fremden Zeesen- fischer nähmen, wenn der Polizeidampfer komme, ihre Neße auf und entflöhen. Es handle sich hier um eine nationale Frage; tenn wenn bei uns nicht genügend Fische gefangen werden dürften, so würden sie von Schweden usw. zu uns eingeführt. Diese Ware sei aber nit so gut wie die unserige, weil sie dur den Transport leide.
Minister für Landwirtschaft 2c. von Podbielski:
Ih bitte zunähst die Herren Vorredner, die zu dem vorigen Titel gesprochen haben, um Entschuldigung, daß ih es übersehen habe, ihnen vor Schluß der Debatte auf- ihre Anfragen und An- regungen zu antworten; ich werde bei einem späteren Titel Gelegen- beit nehmen, dies nachzuholen.
Was die letzte Anfrage anlangt, so habe ih bereits in der Budgetkommission die Erklärung abgegeben, daß ein. besseres Fahrzeug für den Oberfishmeister beshafft werden soll. Das Bedürfnis hierfür wird von seiten der Landwirtschaftéverwaltung anerkannt. Wie das Fahr- zeug auszugestalten ist, kann ih heute noch nit sagen; das hängt ab von dem Ergebnis der Verhandlungen, besonders auh mit dem Herrn Finanzminister. Ih möhte hierbei aber hervorheben, daß die Ver- stärkung der Aufsicht des Oberfishmeisters nit die Folge haben kann, daß die Aufsicht nun über die Hoheitsgrenze hinaus ausgeübt werden darf, dies ist sür die Ostsee bei dem Mangel eines internationalen Ab- kommens nah dieser Nichtung niht möglich.
Was die Frage der Fischerei in der Kieler Bucht anlangt, so erkläre ih mich bereit, in eine Ermittlung der Sache einzutreten, da sie bis jet in die Instanz des Ministeriums nicht gekommen ist; ih bin bereit, durh meine Kommissare untersuchen zu lassen, ob den Fischereiinteressenten nah der einen oder anderen Richtung hin geholfen werden fann.
Bei den Ausgaben für Landesmeliorationen, Moor-, Deich-, Ufer- und Dünenwesen richtet
Abg. von Klitzing (kons.) an den Minister die Bitte, für eine Beschleunigung der Revision der Meliorationsprojekte in der Zentralinstanz zu sorgen. Die Hauptshuld an den Marisgeiiigen trage die Bauverwaltung. Es solle deshalb lieber die Revision der Meliorationsprojekte in der Provinzialinstanz stattfinden. In die Provinzen seien allerhand neue Beamte gekommen, aber troßdem gehe alles an die Zentralinstanz.
Abg. Löscher (fr. kons.) bittet? den Minister um Begünstigung des Meliorationéprojekts für das Friesacker Luch.
Minister für Landwirtschaft 2c. von Podbielski:
Auf diese Anfrage habe ih kurz folgendes zu erwidern: Ich gebe Herrn von Kliging vollständig zu, daß vielfa jet die Aufarbeitung kleinerer Meliorationsprojekte lange Zeit erfordert und manhmal die Leute darüber mißmutig werden. Ich bitte aber, auf der anderen Seite bedenken zu wollen, daß in früheren Jahren erheblihe Klagen gegen die landwirtshaftlißhe Verwaltung erhoben wurden, daß Meliorationsprojekte in Angriff genommen würden, die noch nicht genügend durhgearbeitet wären. Ich kann eine ganze Reihe solcher Sagen anführen, die niht so geglúckt sind, wie ih es im Interesse der Betreffenden wohl gewünsht bätte. Jch bitte, auch ferner bedenken zu wollen, daß wir, wenn die Projekte aufgestellt sind, mit der Provinz verhandeln müssen wegen der Be- teiligurg und Beschaffung von Provinzialbeihilfen. Alles das trägt zu meinem großen Leidwesen zu einer Verlangsamung bei. Prinzipiell stehe ich als Vertreter der Landwirtschaft auf dem Standpunkt, daß nah dieser Richtung eine gewisse Dezentralisation erforderli ist. Aber wieweit sie durchführbar ist, wieweit die anderen Ressorts, die hierbei mitzuwirken haben, bereit sind, darauf einzugehen, darüber kann ih augenblicklich feine Erklärung abgeben. Ich stehe aber, wie ih wiederholen will, auf dem Standpunkt, daß die Dezentralisation vielfah zu einer Verbesserung der Verßältnisse führen würde. .
Betreffs des Friesacker Luhs möchte ih erklären, daß ih hoffe, daß im nälhsten Etat die erforderlihen Summen hierfür werden ein- gestellt werden, und daß damit dies bedeutsame Kulturwerk in Angriff genommen werden kann. Jh möhte auch den Herrn Vorredner darauf hinweisen, daß bei diesen großen Meliorationen es erst immer die Folgeeinrihtungen sind, die ein solhes Projekt für den einzelnen wirksam machen (sehr rihtig!), unb daß bet der augenblicklihen Lage der Landwirtschaft ih Hoffe, daß die Interessenten auch die Mittel befißen werden, um die Folgeeinrihtungen in vollem Umfang durh- zuführen; denn damit wird zweifellos ein großes Gebiet in der Nähe von Berlin ershlossen, das dann landwirtshaftlich höher auszunußen sein wird, als es leider heute geschieht. ;
Abg. Dr. Jäne cke (nl.) bittet um eine Besserstellung der Deich- vôgte in der Provinz Hannover und befürwortet namentli, daß die Tagegelder und Reisekosten pensionsfähig gemacht würden. Diese An- gelegenheit möge umsomehr mit Wohlwollen geprüft werden, als auch ein politisches Moment dabei in Frage komme.
Minister für Landwirtschaft 2c. von Podbielski:
UVeker die Stellung der Deichvögte in Hannover ist bereits in früheren Fahren in der Budgetkommission verhandelt worden. Wie {hon der Herr Vorredner angedeutet hat, würden wir auf ein ganz \{wieriges Gebiet kommen, wenn entgegen den allgemeinen Grund- sätzen die Einnahmen an Reisekosten und Tagegeldern bei diesen Beamten für pensionsfähig erklärt würden, und es wird wohl \{chwerlich möglich sein, diesen Vorschlägen des Vorredners zu folgen.
Wenn der Herr Vorredner eine gewisse Berehtigung der Ansprüche aus den Anstellungsverhältnissen der Deichvögte zu hannöversGer Zeit herleiten will, so möchte ich mir erlauben, darauf hinzuweisen, daß von den zur Zeit angestellten 12 Deichvögten — soweit mir erinnerlih is — keiner auf Grund der alten hannöverschen Penfions- ordnung zur Anstellung gelangt ist. Bei diesen müßte ih zweifellos eine gewisse Billigkeit anerkennen; aber die jeßigen Stelleninhaber suchen die alte Ordnung heraus, obgleich sie erft später als Militär- anwärter in die Stellung gekommen sind und — das muß ih auch hervorheben — wesentlich befser dotiert sind als nah der alten hannövershen Ordnung. Die Bezüge dieser Beamten sind gestiegen; ih habe die Zahlen nicht zur Hand, da ih von der Anfrage nichts wußte, und kann nur konstatieren, daß ihre Bezüge beute beser find als früher. Sie bekommen rund 1200 bis 1600 (4 an festen direkten Bezügen nebst den Wohnungsgeldzushüssen der mittleren Beamten und außerdem Tagegelder für auswärtige Beschäftigung in beträcht- licher Höhe; sie haben hiernach ein durchschnittlihes Einkommen von etwa 2500 bis 3000 A Es sind sehr umworbene Stellen (Abg. Dr. Jänecke: sehr richtig!), die auss{ließlich Militäranwärtern vor- behalten sind, die also gleich vom ersten Tage derartige niht un- bedeutende Bezüge haben. z
Meine Herren, in der prinzipiellen Fcage wird das hohe Haus im vollen Einverstänbnis mit der Budgetkommission daran festhalten, daß Reisekosten und Tagegelder nicht als pensionsfähig angesehen werden. Das würde weitgehende Folgerungen für alle Beamtenklassen haben, und es ist zur Zeit niht denkbar, solche Wünsche zu erfüllen. x will aber die allgemeinen Anstellungsverhältnisse nohmals prüfen und völlig flar legen, und die Herren dürfen sich überzeugt halten, daß ich auch nah dieser Richtung hin volles Wohlwollen walten laffen werde. (Bravo! rechts.)
Bei dem Titel „Unterhaltung von Deichen, Dünen, Ufern und fiskalischen Ertl ecunaganlagen sowie nichtshiffbaren Flüssen (129 850 46)“ trägt
Abg. Graf von Moltke (freikons.) eine Reihe von Spezial- wünschen für die Provinz Schleswig-Holstein vor, bleibt aber auf der Tribüne völlig unverständlich.
Bei dem Titel „Vorarbeits- und Verwaltungs- kosten in Landesmeliorations- und Deichbau- angelegenheiten und Subventionen für Wiesenbau- tehniker, ferner für das Moorwesen usw.“, der gegen das Vorjahr im Ordinarium um 30000 A erhöht worden ist, verbreitet sich
Abg. Mooren (Zentr.) über das gegenwärtige, nah seiner An- sit zum Teil noch recht mangelhafte System der Abführung der Abwässer der großen Fabriken.
Minister für Landwirtschaft 2c. von Podbielski:
Ih möchte dem Herrn Abgoordneten folgendes antworten. Zu {eiden find zwet Fragen. Die erste Frage ist die allgemeine Frage der Verunreinigung der Flüsse. Ich habe bereits Gelegenheit gehabt, dem hohen Hause gegenübec mi dahin auszusprechen, daß zweifellos wir auf diesem Gebiete energisher vorgehen müssen. Aber ih kann nur anerkennen, daß die Städte -— Rheydt und Gladbach, glaube ih — die hier in erster Linie in Frage kommen, eine Reihe von Kläranlagen geschaffen haben, die meiner Ansicht nah dazu beitragen werden, das Wasser wieder zu verbessern.
Die zweite Frage betrifft die alten Meliorationsgenossenschaften. Da sind zur Zeit — wenn der Herr Abgeordnete \sih erkundigen will — Verkandlungen im Gange, bei denen wir leider noŸ niht das Entgegenkommen gefunden haben, das zu finden ih gewünscht hätte. Meine Herren, das sind sehr schwierige Fragen. Sowohl der Herr Finanzminister wie die Landwirtschaftlihe Verwal- tung sind bereit gewesen, auf gewisse ältere Staatédarlehen ganz oder zum Teil zu verzihten, aber nur unter der Bedingung, daß das betreffende Meliorationswerk besser ausgebaut wird. Dazu wollen \sih die Beteiliglen noch nit ganz verstehen. Aber ih bin bereit, mit vollem Wohlwollen an die Sache beranzugehen, und hoffe immer, au das Verständnis bei den Anliecern zu finden, daß sie nun bereit sind, an eine neue bessere. Melioration heranzugehen, die natürli nicht ganz auf Staat und Provirz übernommen werden kann, sondern an der sich die Anlieger auch mit entsprehendem Kapital beteiligen müssen.
Bei dem Dispositionsfonds zur Unterstüßung der landwirtshaftlihen Vereine und zur Förderung der Landkultur im allgemeinen, der 640000 s beträgt, bedauert
Abg. Dr. Be ck er (Zentr.), daß dieser Fonds keine Erhöhung er- fabren habe. Die Zuschüsse für die landwirtschaftlihen Vereine müßten bei deren großer Bedeutung für die Landwirtschaft erhöht werden. Namentlih bleibe den Vereinen für Prämiierungszwecke in der Pferdezucht viel zu wenig E Die Staatsgelder follten weniger für die Einfuhr- zweifelhaften Durchschaittsmaterials verwendet werden. Der Staat solle niht bloß die Renn- vercine unterstützen, sondern auch die landwirtshaftlihen Vereine, welch2 die Kaltblutzuht auf ihre Fahne geschrieben haben. Die [kleineren Züchter, die sich der Kaltblutzuht widmen, müßten den Ausstellungen fern bleiben, während belgische
Pferde auf den Ausstellungen aus Staatsmitteln prämiiert würden. Ts sei von sachverständiger Seite, auch vom Oberlandstallmeister an-