1906 / 33 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 07 Feb 1906 18:00:01 GMT) scan diff

dee edugeluen Kaufmann feststellen,

walhe Munde Süderg bad der Mann, wel(des « BVetriitapital hatte er, a er sein Geschäft aufing, und war Use Eruiidiuitg eines weuen Ges@ts in der Stadt oder in der Stadtgegend eder in der Stadtstraße überhaupt ein Bedürfnis ? (Sade cidtig®® Geben Sie doe einmal dur Berlin! Da ist ja eira Konlurrenz von Gesdäüften, daß man fich mit Recht fragt: war dier mili das Bedürfnis der Keufumenten maßgebend, einen neuen Srdere zw erriten, oder war das Bedürfnis der Hausdbesiger maß- gebend, die neue Häufer aufführen und das Parterrestokwerk durch neue iden autnuzen wollen? Und immer finden \ich ja zuS fr abgelegenen SGtadtgegenden und Straßen unternehmungs- luftice unge Leute, die neue Wden einrichten; häufig aber man ann F davon überzeugen if na drei Monaten {on wieder ein neuer Inhaber da. Wenn dem leinen und mittleren Kaufmanns- Fand geholfen werden fell, muß man au die Frage des Bedürfnisses des Gesüfts und des Betriebskapitals eingehender prüfen, als bisher geschehen. E

Es war gestern aud von den christlichen Gewerkschaften die Rede, es fo angebli erflärt worden sein, die christlihen Gewerkschaften fein noch \{limmer als die Sozialdemokraten. Meine Herren, es {eint Kreise zu geben, die sich der Hoffnung hingeben, daß troy unserer großen industriellen Entwilung die Arbeiterbewegung geseßlih ganz beseitigt werden fönnte, daß die Arbeiterbewegung troß dieser industriellen Enatwiflung in Deutschland von selb|t aufhören könnte cder aufhören follte. Wer das glaubt, daß in unserer modernen Zeit die Arbeiterbewegung verschwinden könnte, die dahin geht, die Lebenélage der Arbeiter zu verbessern und sie in höherem Maße als biéßer an den öôffentlihen Angelegenheiten zu beteiligen, wer da glaubt, daß bei unferer gegenwärtigen, großen industriellen Entwi&Llung, solange diese Entwicklung besteht, jede Arbeiterbewegung jemals aufhören würde, der, glaube ich, befindet sich in cinem ftarken Irrtum. (Sehr richtig!) Man kann diese Ans s\hauung nur haben, wenn man von einem nicht quantitativ, sondern aualîtativ ziemli engbegrenzten Jnteressenstandpunkt solhe Fragen betrachtet. (Sehr gut!) Nun komme ih auf die Sozialdemokratie zu spreen. Das ift eben der Unterschied zwischen einer berechtigten Arbeiterbewegung und einer unberechtigten, daß die Sozialdemokraten Forderungen stellen - im Interesse der Arbeiter, die weder im Gegenmwartéstaat noch im Zukunstsflaat noch in irgend einem Staate der Welt jemals zu erfüllen sein werden. Denn die Erfüllung dieser Forderungen würde zum Zu- fsammenbruchß des gesamten wirtschaftlihen Lebens und mit ihm des Staates führen. Weil die Sozialdemokratie hiervon überzeugt ist, erflärt fie: der ganze bestehende Staat muß be» seitigt werden, es muß ein Zukunftsstaat begründet werden. Wie dieser Zukunfs\taat aussehen würde, davon habe ih wenigstens keinen Begriff. (Sehr gut !)

Deshalb muß man es do begrüßen, wenn eine Arbeiterbewegung besteht und fih weiter entwickelt, die erklärt: ja, wir sind auch dafür, daß die materielle Lage der Arbeiter dem wachsenden Wohlstand des ge- samten Volkes entfprechend eine bessere wird, daß die Löhne der Arbeitex den gestiegenen Lebensbedürfnissen und gestiegenen Lebens- mittelpreisen folgen, daß der Arbeiter in größerem Maße als bisher auch an öffentlichen Angelegenheiten beteiligt ist, aber wir wollen dies Ziel mit gefeßlihen Mitteln verfolgen in dem bestehenden mon- arhishen Staat, innerhalb dex bürgerlichen Gesellshaft. (Sehr gut !)

Wenn wir gegenüber den 3 Millionen sozialdemokratischen Stimmen Fortschritte machen wollen in der Bekämpfung der Sozial- demokratle, wenn wir eine Arbeiterpartei {hafen wollen, die innerhalb des gegebenen Staats, innerhalb des bürger- lihen, des monarchishen Staats, innerhalb möglicher . wirt- s{haftliher Grenzen ihre Wünsche verfolgen will, tann baben wir do den allerdringendsten Grund, solhe Arbeiterbewegung wie die cchristlihe Arbeiterbewegung zu unterstüßen. Jch halte deshalb die Nichtung, die behauptet : die christliche Arbeiterbewegung i} ja noch viel gefährlicher als die sozialdemokratishe, für fals. Das ift der Standpunkt von Männern, denen jede Forderung des Atbeiters, au wenn sie noch so berechtigt ist, an ih unsympathish ist. (Sehr gut !)

Meine Herren, es erinnert mich die Stellung mancher Herren gegenüber diesèn christlißen Gewerkschaften an die Stellung manckcher Minister in konstitutionellen Staaten. Es gibt ja vielleicht Minister, die, wenn fie täaliÞh vom Parlamente gesholten werden, wenn täglich Kritik an ihren sorg- fältig vorbereiteten Gesegentwünfen geübt wird, dann im ftillen an die seligen Zeiten der Minifter zurückdenken, die noch in absoluten Staaten regterten, an cinen Mazarin, Richelieu, Kauniß, Metternich. Aber die Zeiten sind vorbei? (Sehr richtig!) Diese Zeiten kehren nie wieder. Von diesen Gottheiten ist nur noch der Schatten übrig geblieben. (Sehr gut!) Ganz ebenso gibt es Sozialpolitiker, wenn fie so nennen darf, denen jede Ardeiterbewegung unsympathif ist, gerade so wie eincm Fonstitutioncllen Minifter, der, wenn ihm ctwas auf die Nerven ällt, rein theorctisch das Schisal eines allmähhticen Ministers im absoluten Staat bcneiden mag.

Die Herren Sozialdemokraten Haben aber auf ihr Konto zu \{reiben, daß im Lande die Neigung fozialpolitisch tätig zu scin, auf abfsteigender Unie ift. Darüber kann gar kein Zweifel scin. Das beruht darauf, meine Herren, daß Sie erfiens mit der Revolution spielen (sehr gut! in der Mitte), und zweitens darauf, daß Sie nicht objektiv genug sind, das anzuerkennen, was der Staat und die bürger- lihe Gesellschaft für die arbeitenden Klasen bisher son getan haben. (Sehr wahr! rechts, in der Mitte und links.) Auch in der Politik ist die strengste Wahrhcitsliebe und die strengste ScreHhtigkeit dic beste Taktik. (Sehr gut ! in der Mitte und links.)

Nun komme i zum S&Ivß noch auf einen Vorgang. Jh habe hier s{hon über die Sintrückc gesprohen, die cine Abgesandtschaft der Birminghamer “Mefsingwerle von den deutshen Arbeiterverhältnifsen gehabt hat, und wenn Sie diefes {hr But Lesen, firiden Sie, welchen günstigen Eindruck fie von der Lage der Arbeiter in Deutschland ge- habt haben. Jh habe den Herren Ferner erzählt, daß eine Deputation englis{her Arbeiter bei mir gewesen wäre, und daß dicse Herren geradezu erfiamt waren über das, was in Deutschland för vie Arbeïter auf sozialpolitishem Gebiet gesehen if. Der Vertreter ver Sozialtemokratie erklärte darauf, man hätte ven Arbeitern „Potewikinshe Dörfer“ vorgematht.

mut iat out

bemerke i will deu Herzen jetzt vie ganze Geschihte dieses '

Empfangs erklären —, daß der Führer der Deputation bei mir war und mich bat, i follte ibm doch meine Unterstühung dazu leihen, daß diese englis@e Arbeiterdeputation, die während elnes Monats Deutsch- land bereisen wollte, um deutsche Arbeiterverhältnisse kennen zu lernen, von den Bebörden in ihrem Unternehmen freundlih unterstüßt würde. Dieser Herr hatte {h einen genauen Plan gemacht über das, was sie sehen und prüfen wollten, und ich war überrascht, mit welher Gründ- lidhkeit dieser Plan ausgearbeitet war. Also darauf, was diese englisen Arbeiter sehen wollten, habe ih auch nicht die Spur eines Einflusses geübt, und au nicht ein anderes Mitglied der Regierung ! Darauf sind diese Arbeiter gekommen, haben durch vier Wochen Deutschland bereist, und der Führer der Deputation bat mich am Ende der Reise, die Arbeiter zu empfangen, weil sie mir danken wollten für die Unterstüßung, die ih ihnen zu teil werden ließ, indem ih an sämtliche Regierungen die Bitte gerichtet hatte, den Arbeitern die amilihen Organe zur Verfügung zu stellen, um ihnen die Besichtigung der Institute zu erleihtern, die sie sehen wollten. Als die englishen Arbeiter bei mir waren, war ih über- rast, welche positiven, eingehenden Fragen dieselben an mich stellten, mit wel? offenen Augen sie gesehen hatten, und welch? nühternes Urteil sie be- saßen. Dieses Urteil klang dahin aus, daß sie erstaunt seien über das, was Deutschland für die Arbeiter auf sozialpolitischem Gebiet ge- tan habe. (Hört, hört! rechts, in der Mitte und links.) Hier im Reichstag hören wir immer : die Arbeiter werden diéparitätish behandelt, die sozialdemokratishe Bewegung hat ihre Wurzeln darin,

werden. Jet kommen fremde Arbeiter nach Deutschland, um deutsche Einrichtungen zu sehen! Schon die völkerrehtliche Höf- lihkeit gebot es, denselben zu erleihtern, das zu sehen, was sie zu sehen wünschten. Da tritt hier ein Redner der sozialdemokratisdhen Partei auf und wirft der Regierung vor, sogar ein Bürger- meister hätte die Arbeiter empfangen! (Heiterkeit.) Ja, ist das nicht ein Akt der Höflichkeit, wenn sogar das Haupt einer Kommunalbehörde sich dafür interessiert, daß die fremden Arbeiter das an deutshen Einrichtungen kennen lernen, was sie zu kennen wünschen? (Sehr gut! rechts und in der Mitte.)

Meine Herren, Sie machen aber damit einen taktischen Fehler, Sie erkennen nicht an, was auf sozialpolitishem Gebiete bisher gesehen ist, uad weil Sie sih nicht dazu entschließen können, so ver- stimmen Ste die Regierung, verbittern die bürgerlichen Parteien und täuschen Jhre Anhänger. (Lebhaftes Bravo! rets, in der Mitte, bei den Nationalliberalen und links.)

Abg. Dahlem (Zentr.) ist bei der nah der Rede des Staal18- sekretärs eintretenden Bewegung und Unruhe zunächst nur teilweise verständlih. Er pflichtet den Klagen und Beschwerden bei, welche über die mangelhafte Fürsorge für die Binnenschiffer erhoben worden sind. Es handle sich um eine zahlreiche Bevölkerungéklafse, die jeder geregelten Ruhepause in ihrer Arbeit entbehrten, die weder Sonntag noch Feiertag hätten. Einen großen Prozentsaß stelle die Dampfschiff- fahrt auf dem Rhein. Zur Verteidigung eines solchen Ausnahmezustandes habe man im Interesse der Unternehmer Ausnahmegründe konstrutert ; man habe die Wesel der Wasserstandsböhe und anderseits die Gefahr, daß der Anschluß an die Scedampfer verpaßt werden könnte, gegen die ge enes Regelung ins Feld geführt. Alles das feien nur Vorwände. Ver wahre Grund sei in dem Widerstand eines kleinen, aber mächtigen Kreises von Großrceedern und Aktiengesellschaften, der auh auf das Kohlensyndikat seinen Einfluß übe, zu fuchen. Die Negierung sollte nicht mehr auf diese Stimmen hören, sondern endlich den Klagen jener armen Binnenschiffer entgegenkommen. Die Mietoerträge, durch welhe die Schiffer ihre Schiffs- gefäße den Großreedern verpahten, seien wahre Muster von Ver- trägen, wie sie nicht sein sollten. In die Gewerbeordnung müßten au für diesen BinnenfraWhtschiffverkehr Bestimmungen aufgenommen werden, die solche Vertragswillkür unmöglich machen und den VBinnenschiffern zu ihrem Rechte verhelfen. Die Verhältnisse bezüglih der Nachtrube der Leute lägen womöglih noch s{limmer als bezüglih der Sonntagsruhe. Die Fahrt beginne im Sommer um 3, ja um 2 Uhr Morgens und ende erst Abends um 7 Uhr oder noch später, ja bis 8 Uhr; und dabei warde sie zuweilen ununterbrochen fortgeseßt! Die Leute seien todmüde, der Schweiß stehe ihnen auf der Brust, sie legten e auf die Bohlen, um etwas Schlaf zu finden ; denn nah wenigen Stunden müsse die Fahrt weiter geten. Dies Verschiedene Reeder hielten sich ja doppeltes Personal ; aber die kleinen Schlepp- s&iffreeder scien dazu gar nit in der Lage, müßten aber ihre Schiffe genau so lange fahren lassen wie die Großreeder. Cine Abhilfe wäre villciht in der Richtung zu suchen, daß die Fahrt nur bis Sonnrenuntergang fortgeseßt werden dürfe. Jedenfalls müsse rasche Arbeit gemacht werten. |

Abg. Hue (Soz.): Ih werde Ihnen den Nachweis führen, warum die Gewerkshafttbewegung der Sozialdemokratie niht feindlich gegenüberfteht, sondern ibr naturnotwendig zugeführt werden muß. Von der Deputation englischer Arbeiter, die beim Grafen Posadowsky war, hat keiner ein Wort Deuts verstanden; ihe Informationen haben sie also nur mittelbar erhalten. Richtig ift, daß die englischen Arbeiter, mit denen i auf wiederholten internationalen Konferenzen zusammen- gekommen bin, die deuts@e Versicherungs„esezgebung, die auf dem Zwangsprinzip aufgebaut if, anerkannt haben; diese Anerkenrung baben fie aber keineswegs ausgedehnt auf den Arbeiterschuß, für den in England ganz bedeutend besser vorgescrgt ift als bei uns. Auth wir selbst haben die mancherlei Vorzüge unserer sozialen Gescy- gebung willig anerkannt, nahdem Bebel {hon vor 25 Jahren die Grundlirien dieser Verficherung - gezogen hat; um so weniger können wir an den Einzelheiten ohne Kritik vorübergehen. Uns ift eine gute Atbeitershutzgesczebung lieber als die befte Verficherung gegen Un- fälle und Erkrantungen. Wenn man nach Gründen suht, um unscre Unzufriedenheit zu verstehen, so bravcht man ja bloß on die jüngste Verhandlung im preußischen Abgeordnetenhauïe zu denken, wo man id, au von seiten des Zentrums, wunderbarerweise, krampfhaft dafür ins Zeug legte, daß die kleinen Unfallrenten bis zu 29 % in Wegfall kommen sollen. Ih halte es für Pfliht; unter allen Umständen in der Politik die Wahrheit zu fagen. Ih bin befannt als Vertreter der neutralen Gewerkschaften; denno werde ih als Vertreter dieser Neutralität in den ver){hiedensten Lagern gehaßt. Wir sollen die Leistungen der Regierungspolitik für die Arbeiter anerkennen, das wird von uns verlangt. Hat man son je gehört, daß die Agrarier die Leistungen der Regierungspolitik an- erkennen? Sand Sie nicht immer wieder unzufrieden, und machen Sie das der Regierung niht immer wieder bemerkli(? Wir hoben dasselbe Net zur Unzufriédênheit wie die Agrarier. Ih kenne keinen Gewerkshaftskollegen, wenigstens keinen bekannten, der nitt jede Art von Terrorismus verurteilt. Gewerkshaftler, die fih terroriftish gegen Andersgesinnte vergehen, haben bei uns auf Gnade nit zu hoffen, weil fie der Ehre des Verbandes damit zu nahe treten. Aber wic steht es denn mit ven chriftlihen Gewerkschaften und ven Geiftlihen? Darüber könnte ih Ihnen ftunden erzählen. Einige meiner Gewerkshaftskollegen wollen die christlihen Gewerk- shafien niht anerkennen; bas joll ein großes Berbrethen sein, und der Abg. Bruhn hat ja direkt von der Notwendigkeit eines neuen Zulht- bausgejeges gesprohen. JI@ führe dagegen an, ‘baß vie fatholishen Fahabteilungen von den intertonfeffionellen chriftliwen Gewerkschaften au niá;t anerfanrt werben ; in einem Spezialfalle haben erft unsere

ustände seien Pa RONe aber wahr.

Verktand#führer für vie Respektierung der Parität gesorgt. In

daß die Arbeiter nicht als gleihberehtigte Staatsbürger angesehen -

Berlin exlstieren Blätter, die sich in der Besudlung der fceien Gewerkschaften, in der Erfindung von Schauermärhen über sie tat, sählich überbleten. Wenn irgend jemand Ursache hat, üßer Terroriómus keine Klage zu erheben, sondern hübsch zu shweigen, so sind es die Nationalliberalen und die Frei, konseroatlven. ie ersteren treiben ja den Terrorismus in ihrer Syndikatspolitik bis zum Ruin der Konsumenten, und ih brauche ja nur das Wort „Saarabien“ ju nennen, um die richtige Bewertung der Angriffe der Wortführer dieser Parteien herbei, zuführen. Der Abg. Mugdan zog gegen uns zu Felde, als ob wir die Ver, quickung der Gewerkschaften mit der Sozialdemokratie anstrebten, und die Neutralität nur vorgeschoben sei. Ich gebe zu, es sind auch bej uns verschiedene Strömungen dieser Frage gegenüber vorhanden aber das ist in allen Parteilagern, auh im Zentrum und bei den Freisinnigen, der Fall. Es ist {on klargestellt worden, was es mit der Abwehr des Abg. Mugdan gegen die Berufung des Bergmeisterg Engel auf sein Zeugnis auf halte; es gerihtlich festgestellt, daß in leichtfertiger Weise Unwahres behauptet worden ist, daß in keiner Weise der Beweis erbrackt worden ist, daß der Bergarbeiterverband fozialdemokratisch sei, Nach meiner Ueberzeugung follen die Gewerksch2sten \sih von jeder parteipolitishen, aber au von jeder religiösen Agitation freihalten, Die Gewerkschaften haben, weil fie Berufsorganisationen find, Berufs- interessen zu vertreten, und da wir keine christlihen Stahlwerke und keine christlihen Kohlenbergwoerke haben, so haben wir auch feine christlihen Gewerkschaften nötig. Ich glaube, bei den heutigen Zu- ständen kann sich jeder Gewerk\chaftler, dec fich in seinem Beruf um- gesehen hat, und der eine wirtshaftspolitiscke Bildung erlangt hat, frei entscheiden, wen er wählt. Wo ater zwei oder drei Bergarbeiter versammelt sind, da ist der Sozialismus mitten untec ihnen. Auch die christlihe Gewerkshaftsbewegung, wie jede überhaupt auf dem Boden einer selbständigen 1 a chd as stehende Arbeiterorganisation, führt naturgemäß zur Sozialdemokratie. Der Graf Posadowsky fand es anz unbegreiflid, warum die Arbeiters{haft keine Anerkennun für die Großtaten der Regierung in der Sozialpolitik zollt. J meine, wer nur die sozialpolitishen Debatten dcr leßten Tage gehört bat, wer gehört hat, unter welchen Umständen die Arbeiter im Schiffahrtsgewerbe, in der Müßblen-, in der Heimarbeiterindustrie arbeiten müssen, der kann sfich nicht wundern, daß eine ganze Menge deutsher Arbeiter von dem, was man heute sfoztialpolitishe Gesey- gere nennt, absolut nihts weiß. Es sind in der Tat nur erft nsäte vorhanden, gerade in den wichtigsten Industrien ist so gut wie nichts zum Schutze der Arbeiter geschehen. Ich bedauere, daß es meinem Freunde Bömelburg niht möglich gewesen ift, die heutige Interpellation zu begründen, um zu zeigen, wie im Grubenbetrieb Berbrehen auf Verbrehen fich bäuft, ih bedauere, daß wir nit Gelegenheit batten, “an einer Reibe von Fällen zu zeigen, wie die Bergbehörden von den Grubenbesißzern in der unvershämtesten Weise beschwindelt werden. Aber die „Borussia“- Affffäre bleibt den Herren niht geschenkt. Wir sind dies {hon der Arbeiterschaft, wir sind es den Hinterbliebenen der Verunglückten \{uldig. In der ganzen Bevölkerung ist die Meinung verbreitet, daß bei diesem Grubenunglück das Sprihwort wahr ge- mat werden sollte, daß man die kleinen Spißbuben bängt und den großen laufen läßt, daß man einen kleinen Shächzr nimmt, und daß die großen, die eigentlihen Verbrecher unbebelligt bleiben. Der Graf Posadowéky sprach so s{chön von dem Vorzug einer geistig gut entwidelten Arbeitershaft. Unser Volkswoblstand berubt in erfter Linie auf dem Arbeiterftande. Ih begreife darunter Kopf- arbeiter und Handarbeiter. Aber wie steht es denn eigentlih mit den Verbältnifsen der Arbeiter in den Hütten, an den Hocöfen, in den Stabl- und Eisenbetrieben? In der ganzen Debatte, auth in der vorjährigen, ist nit mit einem Worte der Lage diefer Arbeiter, intbesondere der Feuerarbeiter, gedaht worden. Man seht also, wo 15 Millionen Menschen arbeiten, findet sih ein ungebeures, gänzli unbekanntes Land, dessen Beackerung zunächst vorgenommen werden muß, bevor von sozialpolitishen Fortschritten überhaupt gesprochen werden darf. Zu meinen engeren Berufsgenoffen, deren soziale Besserstelung mir jeve am Herzen liegt, gehören die Feuecrarbeiter in den Hütten, Stabl- und Eisenwerken, die jeden Tag in unerbört quälerisher Arbeit zubringen müfsen. Es bestehen da überbaupt keine Vorschriften über die geseuliche Arbeitszeit, inbbesondere au niht über das Verdingunzs- und Pensiontwesen. Einzelne Ver- ordnungen find ja eriassen, aber wie werten sie befolgt! Eisen und Koble sind die Grundelemente unserer Industrie. Infolgedessen befteht dort sozusagen eine unbeshränkte Arbeitszeit. Es kommen Arbeitszeiten von 13 und 15 Stunden vor. An den S{hweiß- und Puddelöfen arbeiten die Arbeiter in der reinsten Hölle bci 40 Grad Hize 13, 15, au 17 Stunden. Die Reichsregierung hätte alle Veranlaffung, solde Shmußkonkurrenz zu unterbinden, damit diejenigen Arbeit- geber. die Humanität bcfißen, nit durh sie ges{ädigt werden. Es fehlt sogar an cinem Verbot für die Unternehmer, Ueberftunden maden zu lafsen. In einigen Stahbl- und Eisenwerken werden täg- lih 2 bis 3 Stunden überzearbeitet. Die Sonnabendschicht dauert în manchen Betrieben 24 Stunden in dieser Gluthitze ohne Beshränkung. Beim Dillinaer Hüttenwerk werden 24, 36 Stunden hintereinander gearbeitet. Besonders in den Zinkhütten find diese langen Schichten besonders gesundheits\{ädlich. Von einer Sonntagsruhe ist auf den Werken fast gar nit die Rede, und da wundert sih-der Abg. Stöter, daß das religiöse Gefühl in seinem Sinne erschüttert ist. Die Gewerbcinspektorenberihte geben zu, daß falsche Buchungen vor- genommen wurden, um die Sonntagsarbeit zu vertushen. Von regel- mäßigen Pausen ist in Feuerbetricben niht die Rede, das Essen wird so im Vorübergehen berunterges{luckt. Wenn der Abg. Beumer von den vizlen Pausen \priht. so weiß ih niht, wie lange er n cinem folhen Betriebe gearbeitet hat. Es kommt sogar vor, daß das Cffen den Arbeitern von Ratten gefressen wird, wenn fie cs stehen lassen. Der Arbeiter, der ni&ts zu essen bekommt, greift zu dew elenden Fusel. In diesen Betrieben werden in Deutihland fogar Frauen und Kinder auSgebeutet. Und da soll man A§htung vor der deutschen Sozialpolitik bekommen! In einem Be- triebe wurden, allerdings verboi8widrig, Frauen und Kinder 16 bis 17 Stunden tägli4 ausgebeutet. Frauen und Mädhen werden sogar in den gefährliden Zinkhütten beshäftigt, Obers&lesien, wo die alletpatriotishsten und christlihiten Werk- befizer figen. Wel’ cin Nahwuchs muß von Arbeitern entitehen, die in Cisenwerken, Walzwerken und Zinkhütten beschäftigt werden ? Sraf Posadowsky persönlich würde eine solche Ausnüzung der Kinderarbeit niht billigen, aber darauf fommt es nicht an; df Beshäftigung der Frauen und Kinder muß in den Eisen- und Stahlwerken überhaupt verboten werden. Ueber die Firma Krupp werde i bei einer anderen Gelegenheit, bei der Marineverwaltung, iprehen. Bei dieser Firma wüfen die Feuerarbeiter 12 Stunden ohne Pause arbeiten, im Schmelzbau sogar 13 bis 14 Stunden, im Marienwcrk 1 gibt es viele Ueberstunden. Eine Sonntagsruhe e es saft gar nit. In den nit eigentlichen Feuerbetrieben wird ogar bis 36 Stunden gearbeitet. Gegen tie Sonntagéarbeit und daf Ucbers@ichtwesen Haben die Arbeiter in öffentlichen Versammlung! protestiert. Weigern fie fi, Ueberfturden zu maten, so riéfieren fi, entlafen zu werden. Allerdings nit in allen Betrieben. Jn eine Betriebe hat zu meiner Freude der SektionsGef Körner ciner putation erklärt, daß er einsche, daß hier ein Mißstand vorhanden s Eine wirkliche Abhilfe auf diesem Gebiet ist allerdings nur mögli dur eine Erhöhung der Löbne. In den Eisen- und Stahlwerkes fehlt es an ber notwendigen Ventilaîion. Die Leute werden vom Rauh ohrmähtig. Im Kruppsen Preßbau, wo die Panzerplatten gearbitt werden, ficht das Oel 1m Oelbofsin jahrelang und verbreitet einen ung! heuren Gestank und Qualm, sodaß wiederholt die Leute umgclaliea find- Es fehlt ten ollermeiften an Wash- uxrd B alten, namentli in Obershlesien. Rühalihe Ausnahmen sind ja vorhanden: man(he Besizer haben aus humanitären und auch aus wirtshaftliher Gründen solche Hbygienishen Einrichtungen geschaffen. Man Betriebe bieten nicht cinmal Woschwasser zur Reinigung der Hündt-

(S&bluß in der Zweiten Beilage.)

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußishen Staatsanzeiger.

M 33.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Jn einer ganzen Reibe von Hüttenwerken, wo mit Stoffen um- gegangen wird, die dem Blei an ESiftigkeit niht3 nahgeben, wird nihts an, um Vergiftungen vorzubeugen, es ift da die Schweinerei an der Tageëordnung; die Arbeiter faffen ibr Brot, ihre Speisen mit den verunreinigten Händen an, denn es aett einfa nit anders. Das find die Ursachen, warum die Arbeiter troy all der shônen Reden von der Sozialpolitif vor diesec keine be- sondere Hochachtung haben. Trinkwasser gehört einfach zu den Seltenheiten; und von der Beschaffenheit der Aborte könnte man Wunderdinge erzählen, namentlich von den Vorridtungen, die verhindern sollen, daß die Arbeiter fich auch nur einen Augenblick zu lange dort aufhalten. Es gibt nun faum eine Industrie, die chemische vielleicht ausgenommen, die eine so bohe Dividende abwirft, wie die Eisen- und Stahlindustrie. Die Dividenden weisen Zahlen auf, die nah ciner unerträglihen Belastung durch die sozialpolitische Gesezgebung niht ausfehen, die çegenteilige Behauptung, auch wenn sie von dieser Tribüne herab verkündet wird, ist direkt unwahr. Die Dornersmarckhütte, die S(blesishe Zinkhütte, Rote Erde in Aadtea, tie Ilseder Hütte und andere mehr baben alle in den letzten 10 Jahren über 100 9/9 Dividende verteilt. Da kann au der Arbeiter etwas mehr ver- [angzn, aber der Durhschnittslohn hat 1904 noch nit einmal 4 #4 betragen! In Schlesien mit seiner Frauenarbeit beträgt der Durch- shaittélobn nur 858 A Ih möchte wünschen, daß diese Aus- führungen diejenigen, die es angeht, veranlaßten, gegen die Frauen- nd Kinderarbeit _hier endli einzuschreiten. In der Walzwerk- industrie Oberschlesiens ist die Arbeitsleiftung gestiegen, die Höbe der Belegschaft und die gezahlten Löhne sind dagegen gefallen. Bei Krupp ist die Sdichtzeit 24 Stunden lang, die Ueberschihtean werden als Nomalschihtzabl feftgestellt; bei Krupp gibt es Hunderte und Tausende erwachbsene Arbeiter, verheiratete, allerdings ungelernte Arbeiter, Hilfsarbeiter, die unter 3 bekommen. Haben diese un- gelernten Arbeiter niht dasselbe Recht zum Sattessen wie die ge- lernten? Und wenn es irgendwo in Deutshland eine teure Gegead zibt, so ist es Essen und sein Bezirk. Auch an gelernte Sthlosser usw. werden pro Schicht in vielen Werken nur 2 bis 220 Æ Lohn gezahlt; und das sind dieselben Werke, die 10, 20, 2 9% Dividende verteilen! Bei Krupvy haben die Arbeiter in den lezten Jahren zu wefentlih niedrigeren Akkordsäßgen arbeiten müssen und die frühere Lohnböbe nur dur entsprehend stärkere Anspannung ihrer Kräfte herauëshlagen können. Die Leute dürfen unmögzlich weiter in dieser Weise auëgenußt werden. Die Entlohnung der Arbeiter ist um so unzureihender, als die neue Wirtschafte#politik die ganze Er- nâhrung und Unterhaltung des Arbeiters und seiner Familie außer- ordentlih verteuert bat. vom Bochumer Verein den Mindestsaß zur Ernährung eines Arkeiters und sejner Familie auf 803 Æ; heute berechnet Shmieding-Dortmund denselben auf 1024 4 Der Lobn ift aber nur auf 864 M gestiegen ! Die Whne sind also in keiner Weise mehr für den Unterhalt einer Arbeiterfamilie ausreihend Bei Krupp ist der Prozentsaß der Kranken seit 1902 auf 1904 wieder ganz erbeblih gestiegen; und dabei ist die Kcuppshe Krankenziffer noch nit einmal die höchste; auf der Zinkhütte Borbeck und bei Schulz-Knaudt in Essen waren die Krankenzahlen noch höber, ja die Krankheitsfälle überstiegen die Zakl der Belegschaft. Da muß doch eingegriffen werden. Und die Ünfallziffern find in der Eisen- und Stablindustrie böher als selbit im Bergbau. Nun kenne ih meine Pappenheimer; si? werden wieder sagen, die Unfälle rührten -von dem starken Arbeiterwechsel her. Baare aber hat auch hierzu {on in den siebziger Jahren erklärt, der starke Arbeiterwechsel komme nur her von der Reduzierung der Löhne. Jh fordere also die Reithsregierung auf, s mit den Verhältnissen der Arbeitec in den Eisen- und Stahl- werken gründlih zu beschäftigen; zu den früheren fontradifktorishen Verhandlungen über diese Materie ist kein einziger Arbeiter zugezogen gewesen, und infolgedefsen sind die unsinnigsten Be- bauptungen in dieser Verhandlung aufgestellt worden. Auch die Behauptung, daß die Preiserhöbhung der Unternebmersyndikate die Folge von Lobnerböbungen fei, ist unwahr; man hat im Gegenteil gelegentlih einer Preiserbößung für Roheisen und Halbzeug die Löhne beruntergeseßt. Die Gewerbeinspektion muß weiter ausgebaut werden. Ts sollten zu dieser Inspektion auch Arbeiter als Hilfsinspektoren binzugezogen werden. Die Zahl der Beamten ist zu gering, auch werden ihnen vielfah Schwierigkeiten von den Betrieben in den Weg flegt, wenn fie objektiv berihten. Die Besfoldungsverhältnisse der nspektoren sind ibren Leistungen entsprehend auch nicht gerade glänzend. Eine Arbeiter-Inspektionskommission hat bei einem Werke tine ganze Neibe von Vorschlägen gemacht, von denen die Mehriahl ak;epti-rt wurde. Dies Beispiel verdient Nahahmung. Der englische Bergbau hat 30 9/6 weniger Todesfälle als bei uns, weil es dort Arbeiterinspektoren gibt. Die gleihe Maßregel würde nicht nur für unsere Arbeiter, sondern auch für die Arbeitgeber von dem größten E sein. Man hat behauptet, unsere Organisationen seien rein frafse Kampforganisationen. Wir s{chürten nur den Haß. Den Herren, die das behaupten, muß ih den guten Glauben absprechen. Die Metallarbeiterorganisation hat sich mit dem Arbeitershuß wiederholt beschäftigt und an die Arbeitgeber der Eisen- und Stahlindustrie eine Eingabe gerihtet, worin diese aufgefordert werden, mit dem Verband in Unterhandlungen einzutreten über Regelung der täglichen Arbeit8zeit, Ueberzeit usw., Feslsegung eines Llilumimten Mindest- lobnes, bestimmter Normen über das Afkordsystem usw., Einsezung einer Schlichtungskommission, einer Zentralinstanz der Sttecenea Vereinbarung zwischen Arbeitern und Arbeitgebern. Sie sehen daraus, daß der Verband ein vollständiges Programm vorgelegt hat, um in sriedlihem Sinne zu wirken durch Einigungs- und Tarifkommission. Das war 1904. Dem Vorstand war es bitterer Ecnst mit der PDerbeiführung geordneter Zustände. Die Behauptung, daß der Ver- band den Éleftrizitätsstreikf geschürt hat, is hiernah unrichtig. Die Industriellen haben aber an ihre Zweigvereine die Anweisung ergeben lassen, mit den Metallarbeitern in Verhandlungen nit inzutreten. Daraus ergibt \ich, daß bder Wunsh nah Fcieden niht auf seiten ver Metallindustriellen, sondern der Arbeiter yor- anden war. Es wäre nun Sache der Reichsregierung, sich der Arbeiter anzunehmen. Es kann ihr nit gleichzültig sein, daß die rbeiter gesundheitlich immer mehr degenerteren, biejenigen Arbelter, le die Industrie zur Blúte gebracht haben. Die Arbeiterstatistische mmission sollte eine Enxguete yeranstalten über alle die Beshwerde- punkte, die ih a efübrt habe, Wollten Sie uns wirklich bekämpfen, 9 mahzen Sie keine Husarenrilte gegen die Sozialdemokratie, sondern graben Sie uns das Wasser ah dur einen größeren Shuh vor allem der Hüttenarbeiter,

Darauf wird Vertagung beschlossen,

Präsident Graf von Ballestrem s{chlägt vor, bie mitte Sihung Mittwoch 1 Uhr abzuhalten mit der Tagesordnung: Zweite Be- talung des Toleranzantrages des Zentrums, erste Oerquung des Un- 1496 Albrecht wegen der Volksyeitretungen in hen Bundesstaaten und in Elsaß-Lothringen, und des Antrags Nißler, belresfend die Ge-

kung von Beihilfen an Kriegstetlnehmer,

Abg. Graf Hompesch (Zentr.): Im Namen melner Freunde be- antrage ih, ben ersten Gegenstand von der morglgen Tagesordnung

Ende der 70er Jahre berechnete Baare

Berlin, Mittwoch, den 7. Februar

sprechung der einzelnen Artikel unseres A es beabsihtigen ; das würde aber noch mebrere Shwerinstage in Anspruch und anderen Parteizn die Möglichkeit nehmen, ihre Anträge zur Besprehung zu bringen. Wir behalten uns aber die Priorität unseres Antrages aus- drüdlih vor, um ihn bei der erften passenden Gelegenheit wieder auf die TagSordnung zu bringen.

__ Der Gegenstand wird darauf von der Tagesordnung ab- gejeßt; im übrigen verbleibt es bei den Vorshlägen des Präsidenten. Shluß 61/, Uhr.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. Sigßung vom 6. Februar 1906, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sihung, in der die zweite Be- ratung des Staatshaushaltsetats für das Etatsjahr 1906 im Etat des Ministeriums des Jnnern bei dem Titel der Ausgaben „Gehalt des Ministers“ fortgeseßt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Auf die daselbst im Auszuge wiedergegebenen Ausführungen der Abgg. Hansen (Däne), Goldschmidt (fr. Volksp.) und de Witt (Zentr.) erwidert der

Minister des Jnnern Dr. von Bethmann-Hollweg:

Meine Herren! Auf die Frage, die der Herr Abg. de Witt soeben an mi gestellt bat, bemerke ih, daß von Plänen der Teilung der Nheinprovinz weder mir noch dem Staatsministerium das mindeste bekannt ift.

Was die Besoldung der Polizeikommissare in den Provinzen be- trifft, meine Herren, so ist es eine unrihtige Auffassung, eine capitis deminutio darin zu erbliÆen, daß die Polizeikommissare in den Pro- vinzen geringer befoldet sind, als ähnlihe oder gleihstehende Beamte in Berlin. Davon kann gar keine Rede sein. Es hat weder durch die entsvrehenden Bemerkungen meines Herrn Kommissars in der Budget- kommission die Tätigkeit der Polizeikommissare in den Provinzen be- mängelt, noch hat aus8gedrückt werden sollen, daß die Anforderungen an die dienstlihe Tüchtigkeit in den Provinzen so sehr viel geringer seien als in Berlin. Aber ih bitte Sie, zu bedenken, daß die Verbältnisse in den Provinzen und in Berlin doch sehr ver- schieden liegen. In Berlin werden an die Polizeileutnants sowobl rüdtsiGtlich der Annahmebedingungen als auch der Ansftellungsbedingungen ganz andere Anforderungen gestellt. Jn der Provinz kommt der Kommissar in der Regel nah einer sechs- monatigen Vorbereitungs8zeit in den Dienst; es wird von thm eine geringere Qualifikation verlangt als in Berlin. Diese Anforderungen bestehen in Berlin darin, daß die Herren Referveoffiziere sein, eine ganz andere Vorbildung genossen haben müssen, sie bedürfen 18 Monate bis zur interimistishen Anstellung und haben eine nicht leichte Prüfung abzulegen. Da ift es doch gerehtfertigt, daß die fragliden Beamten hier eine etwas höhere Besoldung beziehen als in der Provinz, wobei Sie immerhin ih glaube, der Herr Vorredner hat das zugegeben berüdsihtigen müssen, daß in Berlin ganz be- sonders hohe Anforderungen an dén Dienst der Herren gestellt werden,

Der Herr Vorredner hat gesagt, es schiene ihm vollkommen aus- ge\{lossen, daß solhe Anforderungen, wenn ih sie bei der Finanz- verwaltung stellte, dot nicht ohne jede Schwierigkeit angenommen werden würden. Ich hoffe, daß mih meine weitere Dienstzeit zu der- selben Ueberzeugung führen wird, wie sie dér Herr Abgeordnete aus9- gesprochen hat. (Heiterkeit.)

Zu den Klagen über die Behandlung von Optantenkindern in der Provinz Schleswig-Holstein gestatte ich mir folgendes zu be- merken. Wie der Herr Abg. Hanssen wenigstens teilweise anerkannt hat, werden die Bestimmungen in einem wohlwollenden Sinne ge- bandhabt, wenn auch niht in dem Umfange, den er für wünschens- wert hält. Tatsache ist aber diese wohlwollende Behandlung. Es bedarf deshalb von meiner Seite einer neuen Anweisung an die ört- lichen Behörden niht. Naturalisationsgesuchße von Optanten und von Optantenkindern, namentlih wenn sie im Heere gedient haben, werden durchaus entgegenkommend behandelt; aber, meine Herren, unter ciner selbstverständlihen Vorausseßung. Wer naturalisiert werden will, der muß seine Treue zum Deutshtum niht nur mit dem Munde, sondern auch mit dem Herzen bekennen. (Lebhaftes Bravo rets.) Dies allein ist die Grenze, welhe für dle Handhabung dieser Bestimmungen maßgebend ist.

Der Herr Abg. Goldschmidt hat si{ch über die ober- \{chlesische Schankverordnung mißbilligend geäußert. Jm wesent- lihen habe ih scine Gründe bereits in einer Petition der oberschlesischen Gastwirte gefunden, weldhe kurz nah Erlaß der Polizeiverordnung an mich gerihtet wurde und die um sofortige Wiederaufhebung dieser Verordnung bat, well sie nihts wirke und nichts wirken könne. Gewiß ist es richtig, daß ich kein übergroßer Freunh yon Polizelverordnungen lm allgemeinen bin; aber nicht richtig ist es, wenn ver Herr Abg. Goldschmidt meint, ich hätte im vorigen Fahre im Herrenhause ganz generell erklärt, auf diesem Gebiete erachte ich Pollzeivérorbnungen nicht für wirksam, Jch habe diese Bemeilung im Herrenhause in ganz bestimmter Beschränkung auf elnen Fall gemacht; es handelte ch, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, um das Verbot der Verabrelhung von Spirituosen an Leule unter elnem gewissen Lebensalter, Jh bin aber nlcht so welt gegangea, melne Abneigung gegen Polizel« yerorbnungen auch für Fälle, wle den vorliegenden auszu« sprechen, Jch glaube im Gegensay zum Herrn Abg. Goldschmidt, das elne Bestimmung, welhe einen frübzeitigeren Schluß dex Schankstätten an VPLohnzahlungötagen ausspricht, güustig wirkên kann, und daß sle durchaus nicht illiberal ist, Nach don Bes richlen, welche mir aus Oberschlesien aus den verschledeusten Kreisen, allerdings nicht aus denjenigen der Gastwirte, zugegangen sind, be« währt sh s{hon gegenwärtig die Polizeiverordnung gut. Es ist wix

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abjuse n, Wenn wir pu! die Beratung füc morgen vyerzlchten, so un wir es mit RNücksicht darauf, daß wir etne sehr gründliche Be-

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Ich bin der Ansicht, wir warten dort zuerst einmal, wie diese Polizei- verordnung wirklich wirkt. Jst sie gut, dann halten wir sie aufrecht ; ift fie unhaltbar, dann wird es leiht sein, sie wieder aufzuheben. Bedenken Sie doch, meine Herren, daß wir in diesen Beziehunçcen sehr freibeitlihen Ländern, wie Shweden, wie Norwegen, wie Nord- amerika noh lange nihi nahgekommen sind (sehr rihtig! rechts), und daß es auf diesem Gebiet vielleiht ganz gut ist, die sittliche Kraft des ppa auch durch gewisse Verordnungen zu stüßen. (Sehr gut“ rechts.)

Ich komme schließlich noch auf zwei Anregungen des Herrn Abg. Dr. Friedberg von gestern zurück. Herr Dr. Friedberg hat meine Aufmerksamkeit darauf gerichtet, daß in dem Schulgeseßzentwurf an- scheinend Lücken und Inkongruenzen vorhanden seien rücksihtlich der . Zuständigkeitsverhältnisse in denjenigen Fällen, wo die Stadt Berlin beteiligt sei. Na dem Entwurf trete für Berliner Verhältnisse der Oberpräsident an die Stelle des Provinzialrats; das sei doch aber eigentlich untunlich, da derselbe Oberpräsident als Vorsißender des Provinzialshulkollegiums Vorsißender der Schulaufsichtsbehörde sei. Die tatsählihe Rechtslage im allgemeinen i} bekannt- lih gegenwärtig folgende: Für Berlin tritt der Ober- präsident erstens an die Stelle des Bezirksausschufses in ganz bestimmten, vom Gese vorgesehenen Fällen, zweitens an die Stelle des Provinzialrats, wo dieser in erster Instanz entscheidet, während für alle Fälle, wo der Provinzialrat in zweiter Jnstanz zu- ständig ist, er für Berlin dur den zuständigen Minister erseßt wird. Nun fieht der Shulgeseßentwurf, wenn ih recht orientiert bin, Ent- \cheidungen des Provinztalrats nur in zwetter Instanz vor. Es würde also in diesen Fällen niht der Oberpräsident, sondern der zuständige Minister die Entscheidung zu treffen haben. Pr1ma vista glaube ich deshalb nicht, daß eine Notwendigkeit vorliegt, für den Bereich des Schulgeseßentwurfs eine andere Ordnung der Zuständigkeitsverhältniffe herbeizuführen, als sie für alle übrigen Nechtsgebiete besteht.

Dann ift der Herr Abg. Dr. Friedberg noch auf einen anderen Gegenstand, wie ih glaube, von größerer Bedeutung, gekommen. Er hat auch für den Bereih des Schulgeseßentwurfs, wenn ih ihn ret verstanden habe, einen weiteren Ausbau des Verwaltungsftreit- verfahrens an Stelle des Beschlußverfahrens gewünscht. Das ist eine Sache von durhaus prinzipieller Bedeutung. Im allgemeinen gilt ja nah der ganzen Richtung der Ausbildung des Rechtsstaats das Verwaltungsstreitverfahren als das vollkommenere gegenüber dem Be- \{lußverfahren, und wir alle werden anerkennen, daß durch die Arbeit der Verwaliungsgerichte, insonderheit der obersten Instanz, des Ober- verwaltungsgerihts, unser öffentlißes Recht eine Feinheit der Aus- bildung erlangt hat, um die uns manche Länder beneiden können. Aber ih lege mir doch wiederholt ernsthaft die Frage vor, ob wir nicht mit der Ausbildung des Verwaltungéftreitverfahrens schon jzgt etwas zu weit gegangen sind. Man kann nit verkennen, daß das Verwaltungsftreitverfahren seiner Natur nah ein umftändlihes und langwieriges ist, und daß €s infolgedessen auf die praktische Erledigung der Verwaltungstätigkeit in einzelnen Fällen hemniend einwirkt, und vor allem, daß es bisweilen auch die Entshlußfähigkeit der Verwaltungs8- beamten lähmt.

Wir können das Verwaltungsstreitverfahren unter keinen Unm- ständen entbehren für diejenigen Fälle, wo cs darauf ankommt, das öffentlihe Recht in seinen Grundlagen zu erfors@en und klarzustelles : aber ob es notwendig ist, auch die kleinen Bagatellsahen bis în die oberste Instanz in einem Monate lang dauernden Verfahren hinein« zutreiben, das ift mir zweifelhaft. Jch fürchte, wir kommen scließlid einmal auf einen toten Punkt, bei dem die Mafcinerie fo künstlich und verschränkt ausgebildet ift, daß sie niht mebr bedient werder kann und daß sie keine praktishe Arbeit mehr leistet. Es scheint mir doh ein gewisser Widerspruch darin zu liegen, wenn au hier von diesem hohen Hause aus wiederholt das Verlangen gestellt wird, zu dezentralisieren, überflüfsiges Schreibwerk abzuschaffen, die Verwaltung zu beschleunigen, und wenn man in demselben Atenm verlangt, das Verwaltungsstreitverfahren noch weiter auszubilden. Jh bin weit entfernt davon, niht ein Bewunderer zu sein der Einrichtungen, welhe durch unsere Kreisordnung, durch das Landesyverwaltungs- geseß usw. geschaffen find. Aber ihren Hauptwert erblicke ich in der Heranziehung des Laienelements, des praktischen Elements zur Ver» waltung nicht in manchen Formen, die dadur geschaffen worden find. Wenn ich nah dieser Richtung hin Ihrer Zustimmung sicher sein dürfte, dann würde ich wenigftens bei der Ausarbeitung neuer Geseßesvorlagen meines Nefsorts immer s{harf prüfen, od wirkli das Verwaltungsstreitverfahren an der betreffenden Stelle notwendig ist, oder ob es nicht, selbstverständlid ohne Schädigung der Garantien des Nechts, durh das Beschlußverfahren erseßt werden kann. Und ih werde weiter bestrebt sein, durch eine möôglichste Fernhaltung kasuistischer Bestimmungen in den Gesegen die Grundlagen zu der- einfachen, auf denen das Verwaltungsftreitverfahren in denjenigen Fällen aufgebaut ist, für die wir cs nicht entbehren können. (Lehe hafter Beifall.)

Abg. Deser (reif. Vollvp.) zur Geschäftsordnung: Ich lege Went darauf, festzustellen, daß unter den wiederholt erwähnten Antrag verschiedener Parteien über die Wahlreform mein Name nur durch ein Beorsehen und ohue mein Wissen und meine Zustimmung gekommen ijt. Ich bin der Ansicht, daß auf diesex Grundlage das Wahlrecht uicht zu verbessern ist.

Davauf wird die Debatte geschlossen.

Persönlich bemerkt

Abg. Goldschmidt (freis. Volksp.), daß erx sein Materigk nicht uur aus Oberschlesien bekommen habe, soadern guch. selbst aua Ort und Stelle die Verhältuisse kennen gelernt hade. Auch die Pe« titiou euthalte Grüude für seine Stellungnahme. (Präsident vou Krö chor unterbricht den Reduecr mid dex Bemerkung, daß: ex- la eiue gauz sachliche Rede halte.) Daun eiu audeunal.

Abg. Br oomel (freis. Vgg): Der Minister machte mir dea Vorwurf der Belcheideudelt. Durch. den Schluß dex BViétussioa ift

dies auch namentlich aus Kreisen dex Geistlichkeit mitgeteilt worden,

ed mix unmöglich, diesen Vorwurf, den ich. für elnen sehr schwere halte, zurückzuwceu,