1885 / 102 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 02 May 1885 18:00:01 GMT) scan diff

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Wuns, verschiedene vom Unfallversiherungêëwescn nochþ nit erfafite Betriebszweige in die Unfallversiherung aufgenommen zu sehen, läßt mi darauf s{ließen, daß meine Ueberzeugung nit grundlos ist. Wer von uns Beiden Recht behalten wird, wird ja die Zukunft lehren. Jb kann nach wie vor die Hoffnung nicht aufaeben, daß wir mit dem Unfallversiherungägesez ein gutes Werk geschaffen haken und daß es gute Früchte tragen roird.

Wenn nun der Herr Vorredner zu §. 1 {on die Frage gestreift hat, ob es nit zweckmäßig sei, die Beamten, welbe au außerhalb der versiderungépflihtigen Betriebe im öffentlichen Dienste beschäftigt sind, von der Urfallversicherung erfaßt zu sehen, so weise ih hier darauf hin, daß der Bundesrath gegenwä-tig mit einem Gesetzentwurf bes@äftigt ist, welcher die Versicherung dieser Beamten in Aussicht nimmt, und daß, wenn diefer Geseßentwarf demnächst an das Haus gelangen wird, es an der Zeit sein wird, diese Frage zu diskutiren. Was die bishcr von der Unfallversiherungepflidt ausgerommenen Betriebsbeamten anlongt, die im Reichs-, Staatt- und Kommunal- dienst beschäftigt sind, so strebt der Hr. Abg. Schrader das Ziel an, daß shon in diesem Entwurfe, abweichend von der Vorschrift des 8.4 des Unfallversiherungsgeseßes, aub diese Beamten in den Kreis der Unfallversiherung eingeschlossen werden. Er DaÎ ganz Nest. wen er saqt, daß diese Frage sib demnäcbft bei einem späteren Paragraphen, bei §8. 4, zweckmäßiger zur Diskussion \tellen lassen wird, vnd ich beschränke mich jetzt hier darauf, den Vorbehalt zu machen, daß ic dann dic Gründe ent- wickeln werde, welche die verbündeten Regierungen bestimmt haben, davon abzusehen, auf die Reihs-, Staats- und Kommunalbeamten das Unfallversiherungsgesez auszudehnen, soweit sie mit festem Gehalt und Pensionsberebtiaung angestellt sind, und welche Grünte dafür sprechen, die Frage der Fürsorge für dieselben ausschließlich auf dienst- pragmatishem Wege zu regeln.

Der Herr Vorredner hat sodann bezüglih der Nr. 1 des §8. 1 den Zweifel wiederbolt aufgestellt, was unter dem „gesammten Be- triebe der Post-, Telegraphen- und Eisenbahnverwaltung“ zu ver- stehen sci, und namentlich gemcint, es sei nicht klar, welcher Kreis von Beamten von der Fürsorge nav Maßgabe dieser Vorschrift er- faßt werde. Der Herr Vorredner ist der Meinung, daß zu dem „gesammten Betriebe der Eisenbahn- und Postverwaltung“ der ganze Kreis der im Eifenbahn- und Postdienste beschäftigten Beamten gehöre, etwa mit Ausnahme wie er sib ausdrückt der in der Centralinstanz fungirenden Beamten. Meine Herrer, ich habe bereits in der Kom- mission zu dieser Frage die Erklärung abgegeben, daß die verbündeten Regierungen den Kreis der versicherten Beamten nicht so weit ziehen, wie der Herr Borredner, daß vielmehr beisyielsweise beim Postdienst der Kreis der versicherten Beamten sich af diejentgen Beamten be- schränkt, welbe im Beförderunge- und Bestellungödienste beschäftigt werden, daß aber nicht darunter begriffen sind die Beamten, welche lediglich in den Bureaur der Postanstalten zu fungiren haben. Aehn- lih liegt auch die S ache bei der Eisenbahnverwalturg, und, meire Herren, jeder Cisenbahntecniker, den ih darüber gehört habe, hat m Ot Lal œŒ n cam dar niht zweifelhaft sei, welche Beamten als fol%e anzusfeben sind, die im Eiserbahnbetriebe besbäftigt sind, Der Begriff des CEisenkahnbetriebs is ein ganz feststehender unv darum werden auch im Einzelfalle entweder garnicht oder doc bhécbst selten Zweifel darüber entstehen, ob ein im Eisen- bahzdienst thätiger und dort verunglückter Beamter als ein im Betriebe beschäftigter anzusehen ift oder nicht.

Was nun, meine Herren, den Antrag des Hrn. Abg. Kayser an- langt, so bedauere ih sehr, daß dieser Antrag, wozu Hr. Kayser ja als Mitglied der Kommission Gelegenheit gehabt hätte, nicht bereits M derx Kommission von ihm vorgebrab! worden i,

babe überhaupt meinem Bedauern Ausdruck zu geben, dcß die

Herren, welt N vorzugsweise als die Vertreter der Arbeiter bezeichnen, so wenig den jeßt der Unfallversicherungs- Kommission vorliegenden Entwürfen ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben. P babe es namentli@ bellagt daß neuli® bei der sehr wichtigen Frage der Vertretung der landwirtb- \baftlihen Arbeiter bei dem Unfallversicher !na8wesen das Mit- lied der Kommission welcbes der soztaldemotkratischen Partei angehört, dur seine Abwesenheit glänzte. Was nun diesen Antrag anlangt, so würde ih in der Kommission sehr begierig gewesen sein, die näheren Gründe desselben kennen zu lernen, und so weit diese Gründe mi on Uberzeuat hälten daß der Antrag G auf der Linie der Grundgedanken unserer Unfallversicberungs- QCICBGeoUN Veo wmuoe (0 uo gar nat Gbtenaiat

gewesen sein, thm das Wort zu reden. Nun s\cheint mir aber, daß dieier Antrag füundamentale Äbweihung von jenem Grund- gedanken der Unfaliversiherungs-Gesetzgebunz enthält, we!che cs ganz unmöglich macht, daß wir urs dafür ertscheiden können. Bisher nämlich, meine Herren, sind wir davon cuêgegangen, zu untersuchen, welche Industriezweige und welhe Beirtebe mit einer Unfall- aefadr verknüpft sind, und danach haben nir diese Betriebe in das Urfallversiczerung®çeseß eingereiht, in der Absicht, daß im weiteren Ausbau dieser Geseßgebung alle diejenigen Betriebe, die wir noch nit cingereiht haben, von denen wir aber glei{wohl später entdecken, daß sie ebenso würdig sind, unter die Unfallver\icherung gevracbt zu werden, demnächst auß ncch von der UnfaUversicherungs- gesetzgebung erfaßt werden sollen.

Der Antrag des Hrn. Abg. Kayser bringt nun einen çanz neuen Gedanken herein z er sagt nicht: die in den gefährlichen Betrieben der Feuerwehrleute, der Straßentehrer, der Gartenarbeiter beschäftigten Personen sollen unter das Unfallversicherungs8gesetz fallen, sondern er sagt: alle im Gemeindedtienst beschäftigten Personen sollen gegen die Folgen der Unfälle ges{üßt werden, also er ftellt bler nicht die Gefährlihkeit des Betriebes, sondecn die

uar des Arbeitsgevers in den Bovdergrund Das, meine Herren, ist grundfalsh, und is meines Erachtens

nicht zu accevtiren, denn eben so gut wie ich sage „alle im Gemeinde- dienst bescäftigten Sträßenkehrer sollen unter das Unfallversicherungs- gesetz fallen“, eben fo gut fann ih sagen „alle Straßenkehrer follen unter das Unfallversicherung3gesey fallen“ und ib sehe nit ab, wie zwishen dem Straßenk-:hrer, der im Gemeindedienst teschäftigt ist und dem Straßenkehrer, der im Privatdienst beschäftigt ist, rück- sichtlid der Fürsorge, die ihm etwa durch das Gesetz zugewentet werden foll, irgend ein Unterschied gemacht werden kann.

Am meisten könrte ih mich roch interessiren für die Feuerwehr- mävner und ih würde gar nicht abgeneiat sein, bei ihnen mi dafür auszusprechen, daß ihre sebr gefährliche Beschäftigung nilt einer Fürs- sorge bedacht werde, soweit füc sie eine solche nicht bereits besteh:. Inzwischen glaube ih aber, daß gerade für die im GVemeindedienst

beschäftigten Feuerwehrmänner wenigstens für Berlin ift mir das bekannt bereits gesorgt ist. Soweit sie Beamte sind, is durch

die Kommunalstatuten über die Pensionsverhältnisse dec Gemeindebeam- ten gesorgt; und soweit sie Arbeiter fat, 10 bestehen ich will nit tehcuy- ten überall avec doch an vielen Orten, in denen organisirte Gerneinde- Feuerwehren bestehen, aub zur Fürsorge *ür diese Feuerwehrleute Kassen.

Ich glaube also, meine Herren, daß man unmöglich diesen An- trag annehmen kann, der lediglih das Kriterium des Gemeindedienstes zu Grunde legt; denn Sie werden mir zugeben, ia dieser Bezichung besteht kein zwingender Grund, alle diejenigen Tkätigkeitszweige, welche sih auf derselben Linie bewegen, welche aber nicht unter der Autorität einer Gemeinde geübt werden, von der Unfallfürsorae aus- zuschließen.

Weiter bemerke ic, daß die Frage, soweit es ih dabei um Ge- meindeheamte handelt, im weitezen Ausbau der Unfallversicherungs- gesezgebung auch ihre Erledigung finden wird. Allerdings beziebt sih das Gesetz, von dem ic oorhin gesprochen habe, nur cu? Reichs- beamte; aLter es besteht die aegründete Erwartung, daß, wenn man u die Beamten des Meivs einmal cit Une geregelte Mirlorge auf diesem Gebiete getroffen haben wird, daß dann die

inzelstaaten sowie die Kommunen genöthigt ‘ein werden zu folgen.

Ich mêchte also diesem Antrage nicht das Wort reden, bitte viel- mehr, ihn abzulehnen, und werde im Uebrigen erroarten, was gegen den §. 1, der die Annahme Ihrer Kommission gefunden hat, aus

O

dem Hause noch weiter etwa für Einwendungen werden gemacht werden.

Der Abg. Kayser erklärte, der Minister habe ge- glaubt, seiner Partei Vorwürfe macen zu können wegen ihrer Thätigkeit in der Kommission. Er sei erst später in die Kom- mission eingetreien, nahdem schon der §. 1 berathen gewesen sei. Auch bei seiner Partei könne es vorkommen, daß sie einmal verhindert sei, in einer Kommission zu erscheinen, da die Sozialdemokraten in mehreren Kommissionen gleichzeitig und niht Geheimräthe mit hohem Gehalt seien. Wegen der leßtern komme es oft vor, daß eine Kommissionssißzung ver- tagt werde, wenn sie am Erscheinen verhindert seien. Der Minister habe darauf hingewiesen, daß für die Leute, welche er (Redner) in die Unfallversicherung einbeziehen wolle, ja bereits Kassen vorhanden seien. Das habe ihn über- rasht, denn das hätten ja sonst die Feeisinnigen geltend gemacht. Es sei übrigens Thatsache, daß in einer ganzen Reihe von Städten, in Leipzig, in Dresden z. B., für die Personen, welche er jeßt unter die Unfallversiherung zu stellen deantrage, freie Kassen nicht existirten. Wie würden also namentlich bie Feuerwchrleute geschüßt, deren Thätigkeit Niemand für gefahrlos halten werde? Sein Vorschlag ver- stoße auch nicht gegen den Grundgedanken dis Unfallversiche- rungsgeseßzes. Der Minister stelle sich mit dieser Be- hauptung in Widerspruh mit den Grundsäßen des Reichs- fanzlers. Es komme gar nit darauf an, in wessen Diensten die betreffende Person stehe, sondern ob sie im Dienst gefähr- det sei oder niht. Wenn er jeßt der Gemeinde die Ver- pflihtung auferlegen wolle, ihre Bediensteten gegen Unfälle zu versichern, so passe das durchaus in den Rahmen des Ge- seßes. Weshalb sollte man mit diesem Schritte warten ? ¿Freilih, bei den Zöllen habe man größere Eile. Es fehle der Vorlage der große Zug, man wolle den Mißständen nur stück- weise abbelfen. Er würde die Unfallversiherung çern auf alle Straßenkehrer ausdehnen, aber vorläufig wolle er nur die der Gemeinden versichern, um zu konstatiren, daß, wer im Dienste einer Gemeinde stehe, auch ein Recht auf ihre Unter- stüßung habe. Wer eine feste Anstellung besitze, wie das bei der Feuerwehr der Fall sei, der solle auch unter das Unfall- versicherungsgeseß gestellt cin.

Der Abg. Frhr. von Malzahn-Güly beme-kte, der Abg. Kayser werfe seiner Partei vor, die allgemeine Negelung der Arbeiterunfallversicherung verzögert zu haben; aber auch der Antrag des Abg. Kayser beziehe sich nur auf einzelne Kategorien, auf die im Gemeindedienst stehenden Arbeiter. Derselbe behaupte, daß die Mitglieder der sozialdemckratischen ezraktion in der Kommission keine Gelegenheit zu sachlicher Diskussion gehabt, weil sie sih einer Koalition gegenüber he- funden hätten; aber das Gegentheil davon sei die Wahrheit. Er konstatire, daß gerade bei den entscheidenden Berathungen Uber en GOéseb, das so mie Ms im VJIntexesse Ver arbeitenden Klassen liege oie WViitalieder der partei, wel@e der Wahrheit entgegen für sch die

Vertretung jener Klassen in Anspruch genommen, gefehlt |

hätten und daß sie, wenn sie zugegen gewesen seien, niht an der Berathung theilgenommen hätten. Der Abg. Kayser sage, derselbe sei niht Mitglied der Kommission g?- wesen, als §8. 1 berathen worden sei. Es sei richtig, daß die sozialdemokratishen Mitglieder dieser Kommission zweimal gewechselt hätten. Warum hätten das die Mitglieder der anderen Parteien nicht gethan? Die Sozialdemokreten hätten deutlih gezeigt, daß sie wohl reden, aber nicht handeln wolten. Jn einem unbewachten Augenblick, wo der Abg. Kayser seine Worte nicht sorgfältig überwacht habe, habe der- selbe gesagt, er verhandle diese Dinge lieber im Plenum. Ueberteßt heiße das, die Sozialdemokraten wollten nit arbeiten, sondern nur Lärm schlagen. Was seien das für Grüpyde, die die Sozialdemokraten für ihr Verhalten an- geführt hätten. Der Abg. Kayser habe angedeutet, daß der Grund darin liege, weil die Sozialdemokraten keine Diäten erhielten. Seine Partei erhalte auc keine Diäten und arbeite doch. Die sozialdemokratishe Part:i scheine nur arbeiten zu wollen, wenn sie bezahlt werde. Der Abg. Kaiser wende ein, daß gerade, als entsheidende Beschlüsse in der Koinnission gefaßt worden seien, gleichzeitig andere Kommissionen getagt hätten, in denen die sozialdemokratishen Mitglicder der Unfal!- versicherungs-Kommission vertreten gewesen seien, Aber a!s über die Bildung der Arbeiteraus\{chüsse und über die 2e- theiligung der Arbeiter an den Schicdsgerichten bera*‘hen worden jei, habe cine andere Kommission überhaupt niczt getagt. Aber selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, {o hätten die Fraktionsgenossen des “bg. Kaiser doch vor Allem die Pflicht gehabt, au der Berathung über die Unfallversiherung theilzunehmen. A einem Abend hebe eine entscheidende Berathung der Kommission deshc.lb Veran werden muhen, e nale Situng habe am folgenden Tage nach der Plenorsißung festgeseßt werden jollen. Aber auch diese Plenarsißung sei ven den Fraftiori2genossen niht besuht. Seine Vartei wolle fort- arbziten an einer weiteren Ausdehnunz dex Unsallversiche- runa. Aber fomme nun auch die sozialdemokratishe Pactei un» vetheilige sih an. den Arbeiten ¿er Kommission und thue nicht immer, als ob die sozialdemokrati’che Partei verhindert würde, mit seiner (des Nedners) Partei zu arbeiten.

Der Abn. Kayser erwiderte, es könne wohl einmal vor- fommen, daß ein Kommissionsmitglied abgehalten werde, einer Kommissionssißung beizuwohner. Das komme ht nur bei seiner Partei, jondern aud auf der Rechten vor. D'e Nechte zeihne sich gerade nit durch zahlreihen Besuch der Plenuar- und Kommissionssizungen aus, namentlich komme das Schwönzen der Pilenarsißung bei der Nechten sehr häufig vor. Es hänge auch sehr otel von dem Vorsißzenden einer Kom- mission ab. Er habe beispielsweise beantragt, die Rommissions- sißangen zu einer anderen Zeit abzuhalten, um denselben bei- wohnen zu können, «s sei auf seine Anträge keine Rückfsicht genommen. Den Vor1ourf, daß seine Partei nicht arbeite, weise er entschieden zurück, ebenso, daß sie niht den Mund avfgethan hätte. Arbeitersreundlichkeit bestehe nit darin, daß man bestimmte Vocschläge fertig bring», sondern, daß die Vorschläge, dic zu Stande gekommen seien, auch den Arbeitern nügen würden. Gerade seine Partei lasse sih lediglich daoon leiten, was den Jnteressen der Arbeiter zugute komme, während bei der Rechten zahlreihe andere Fnteressen mitgesprohen hätten. Bei der Berathung des Unjallgeseßes für landwirthschaftlihck Arveiter in der Kommission habe die Rechte so viel agrarishe und kapitalistishe Fnteressen hineingebraht, daß ihm ordentlich übel dabei geworden sei. Die deutschen Arbeiter, welche seiner Partei ihr Vertrauen schenkten, würden sich durch die Censur des Abg. ven Malyzahn nicht beircren lassen. Die Jntcressen

der Arbeiter würden besser aufgehoben sein, wenn seine Partei die Mehrheit hätte, dann würden die Arbeiter Nutzen vön der Geseßgebung haben und nicht blos die Grundbesißer und Kapitalisten.

Der Abg. Frhr. von Malzahn-Gültz erklärte, der Vor- wurf, daß seine Partei das Arbeiterinteresse hinter ihr eigenes zurücfkgeseßt hätte, sei durhaus unbegründet, und dieser Vor- wurf beweise wieder, daß der Abg. Kayser den Kommissions- berathungen nit beigewohnt habe, denn sonst würde derselbe nicht gerade ihm (dem Redner) diese Vorwürfe machen. Er empfinde tiefe Trauer darüber, daß große und ehrenwerthe Schichten des deutschen Volks mit ibren heiligsten Jnteressen so leihtfinnig umgingen, sih dermaßen hätten bethören lassen, daß sie Abgeordnete hierher gesendet hätten, die nachher fo verfahren wären wie die Sozialdemokraten.

Der Abg. Schroeder bemerkte, eine Lehre würden vielleicht die Herren aus der Debatte entnehmen, daß nämlich diese ganze sozialpolitishe Geseßgebung nicht zur Versöh- nung, sondern zur Verschärfung der Gegensäße führe. Was den Antrag Kayser betreffe, so ständen dem- selben so große formale und materielle Schwierigkeiten entgegen, daß er dem Antrag nicht zustimmen könne.

Der Abg. Auer erklärte, wenn eine Partei wie die seinige, die aus nur 24 Mitaliedern bestehe, in fast allen 18 Kom- missionen dieses Hauses vertreten sei, so könne es wohl vor- kommen, daß dieses oder jenes Mitglied einmal in einer Kom- missionésißzung fehle. Uebrigens habe seine Partei erst gestern einen Fraftionsbeschluß dahin gefaßt, daß ein solches Fehlen namentlich in mehreren Sißungen hintereinander mögli zu vermeiden sei. Die Behauptung des Abg. von Maltzahn, seine Partei arbeitete nur, wenn sie bezahlt werde, sei eine arge Verdrehung des Thatbestandes. Seine Partei arbeite hier troß des himmelshreienden Zustandes, daß die Sozial- demokraten, obwohl sie sür ihren Unterhalt selbst zu orgen hätten, ein halbes Jahr ohne Diäten in Berlin sein müßten. Die Herren der Rechten hätten ja auch keine Diäten, aber sie hätten ihr Hiersein zu einem Raubzuge am Volke benußt. (Der Präsident ruft den Redner wegen der leßten Aeußerung zur Ordnung.)

Der Staats-Minister von Boetticher entgegnete, er möchte nur konstatiren, daß er diese Debatte niht habe pro- voziren wollen ; seine Absicht sei nur gewesen, klar zu legen, wie die Sozialdemokraten nicht nur ihre Äcbeiten in der Kom- mission mangelhaft geleistet, sondern wie fie auch die Geseße raangelhaft studirt hätten. Wenn sie mehr mit den anderen Mitgliedern des Reichstages arbeiten und die Gesetze besser studiren wollten, fo würde das der Regierung eine werthvolle Unterstüßung sein, die sie bisher habe ertbehren müßsen.

___ Der Abg. Kagser bemerkte, daß er gerade diese Art von Ge)eßen recht gut kenne. S 5. 1 wurde der uxrsprünglihen Fassung unverändert an-

genommen, der: Antrag Kayser abgelehnt. Die S. 2 und 3 wurden ohne Debatte angenonmen. I lautet :

„Die Erstreckung der Versieherungspfliht auf Betriebébeamte mit einem zweitausend Mark übersteigenden Jahresarbeitsverdienst (S. 2 Absay 1 des Unfallversicherungsgesetzes) kann durch die Aus- fübrungsvorscbriften erfolgen, soweit diese Beamten nicht nach S. 4 a. a. D. von der Anwendung des Gesezes autgeschlossen find.

Die Kommission hat dem §8. 4 folgenden Zusaß gegebcu:

„Personen des Soldaterstandes sind von dec Versicherung

ausaescbloffen.“ E Die Abgg. Schrader und Gen. beantragten: Jm §8. 4 der Vorlage die Worte „soweit diese Beamten niht nach §. 4 n

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a. a. D. von der Anwendung des Geseßes ausgeschlo}e sind“ zu streichen und folgenden zweiten Absatz dem 8. 4 hinzu- zufügen :

„Auf Beamte, ckvelhe mit festem Gehalt und Pensionsberech« tigung angestellt sind, finder dieses Geseß mit der Maßgabe An- wendung, daß denselben und ihren Hinterbliebenen die in den 8.5 und 6 des Unfollversficherung3-Gese8es bestimmten Renten und der in dem crsten Absate des §. d a. a. O. festgeseßte Zuschuß zum Krankergelde erst vom Tage des Aufbörens der Cehaltäzahlung an und nur in so weit zu gewähren sind, als dadurch die ihnen zu- kommende Pension Üüberschriiten wird.“

Der Staats-Minister von Boetticher erwiderte, die Jieihs- regierung sei bereits mit der Ausarbeitung eines Gesetß- entwurfs beschäftigt, welher die Neihèbeamten der Unfall- fücsorge unterwerse. Darin seien zwar Staats- und Kom- munalbcamte noh nicht einbegriffen, indessen würden dieselben bald nachfolgen können. Den Antrag Schrader bitte er aber entschieden abzulehnen, es sei darin niht auf die besonderen Verhältnisse der Bea!rten Nücksiht genommen. Es müßte nach dem Antrage beispielsweise ein Eisenbahnbeamter, weun der- selbe durch sein grobes Verschulden einen Eisenbahnunfall herbeigeführt habe und dabei verleßt worden sei, selbst dann die geseßliche Unfallfürsorge erhalten, wenn demselben dis- ziplinarish die Pensionsberehtigung aberkannt sei. Der- gleichen vertrage sih weder mit der Disziplinargeseßgebung, roh mit dei besonderen Anforderungen, welche mit der Ver- antwortlichkeit der Beamten für ihre Dienstangelegenheiten verbunden fei.

Der Antrag Schrader wurde abgelehnt; 8. 4 in der Kommissionsfassung unverändert angenommen, ebenso die folgenden Paragraphen bis 8. 8.

Q 9 laute!

Borschriften der Ausführungsbehörden über das in den Be- trieben von den Versicherten zur Verhütung von Unfällen zu beobachtende Verhalten find, ssfern fie Strafbestimmungen ent- halten sollen, vor dem Erlaß mindestens drei Vertretern der Ar- beiter zur Beräthung und gutachtlichen Aeußerung vorzulegen. Die Berathung findet unter Leitung eines Beauftragten der Aus- führunzsbehörde ftatt. Die auf Grund solcher Lorsccriften ver- häângten Geldstrafen fließen in die Krarkenkasse, welcher der zu ihrer Zahlunz Verpflichtete zur Zeit der Zuwiderhandlung angehört.

Der YBNbg. Schrader beantragte, die Worte „sofern die Strafbestimmungen“ bis zu Ende zu erseßen durch folgende Worte:

„Den auf Grund des 8. 5 des Geseßes gewählten Vertretern der Arbeiter vor dem Eriaß zur Berathvng und gutachtlichen Aeußerung durch Vermittel2rg der Unter-Verwaltungsbehörde vor- zulegen. Die Unter-Verwaltungsbebörde beruft die Bertretergruxpe zu einer Berathung über die Vorschriften und leitet die Verhand- lungen. Das über die Verhandlungen aufzunehmende Peotokoll ist binnen 6 Wocben nah erfolgter Mittheilung an die Aufsichts- behörde zurükzusenden. Die Protokolle sind, sofern sie rechtzeitig O dem Antrage auf Genebmigung der Vorschriften beizu- geben.“

Der Abg. Dr. Buhl beantragte, den Paragraphen dahin abzuändern, daß der mit der Leitung der Berathung Beauf- tragte der Verwaltungsbehörde nicht der unmittelbare Vorge- seßte der Arbeiter sein dürfe.

Der Abg. Schrader führte zur Begründung seines An- trages aus, daß durch denselben eine größere Unabhängigkeit

ter Arbeiter ihren Arbeitgebern gegenüber ges{afen und zu- gleih den Arbeitern die Mö-lichkeit gegeben werde, ihre Mei- nung unbefangen darzulegen. Auch das große Unfallver- siherungègeseß enthalte eine ähnlihe Bestimmung.

Der Ahg. von Helldorff erklärte, er könne in dem An- trag nur den Ausdruck des Mißtrauens gegen die höheren Verwaltungsbeamten erblicken. Die unteren Verwaltungs- behörden nit der Leitung der Berathung zu befassen, sei nit empfebhlenswerth, weil dieselben nicht die nöthigen tehniscen Kenntnisse für derartige Verhandlungen besißen würden.

Der Staats-Minister von Boetticher hob hervor, daß die vorjährige Vorlage der Regierung die Arbeiteraues{chüste gleich- falls enthalten habe, jedo sei dieser Vorshlag vom Reichstag abgelehnt. Der Antrag Schrader befinde sich also in Harmonie mit dem früheren Vorschlag der Regierung, seße sich aber in Disharmonie mit den Beschüssen der Majorität des Reichstags. E

Der Abg. Kayser erklärte sih für den Antrag Schrader.

Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, der Antrag stehe durchaus nicht in Disharmonie mit den früheren Beschlüsjen. Es handele si hier um einen Staatsbetrieb, während in den übrigen Ausschüssen sich Arbeiter und Arbeitgeber gegenüber- ständen. Aber cs seien nicht die eigenen Arbeitgeber, welche die Arbeiter sih gegenüber hätten, während das hier der Fall sein solle. Dazu komme noch, daß das Verhältniß der staatlihen Arbeiter gegenüber ihren Vorgeseßten ein viel strafseres sei. Wenn man die Sache so ließe, wie sie hier vorge- shlagen sei, so werde dre Zuziehung der Arbeiter nur eine dekorative sein. Auf Grund praktisher Erfahrungen und um wirklih die ungeshminkte Meinungeäußerung zu sichern, habe er den Abänderungsantrag eingebracht.

Der Abg. Dr. Windthorst empfahl den Antrag Buhl. Das Centrum habe sich früher gegen die Arbeiteraus\chüsse erklärt, niht um die Arbeitec unter die Knute der Arbeit- geber zu bringen, wie in fozialdemokratishen Versammlungen behauptet worden sei, sondern um durh die gemeinsame Arbeit ein friedlihes Verhältniß zwischen Arbeitgevern und Arbeitern zu befördern.

Nachdem sich noch der Abg. Frhr. von Malgahn-Gülßt gegen den Antrag Schrader erklärt hatte, wurde derjelbe ab- gelehnt, und hierauf §8. 9 mit dem Antrag Buhl mit großer Majorität angenommen, die §8. 10—12 wurden un- verändert genehmigi.

Ueber den Vorschlag des Präsidenten, auf die morgende Tagesordnung die noch restirenden Paragcaphen der Zoll: tarifnovelle, außerdem die zweite Berathung des Zuckersteuer- und des UnfaUversicherungsgeseßes zu seßen, entstand eine längere Geschäftsordnunas-Debatte.

Der Bbg. Dr. Bamberger machte dara daß der Bericht der Kommission vetreffs der Bescimmungen Uber vas Jnkrafttreten der Zolltarisnovelle noch nit vorliege und daß zwischen der Vertheilung und der Berathung des- selben geschästsordnungemäßig eine Frist von zwei Tagen liegen müsse.

Der Präsident erwiderte, der Bericht sei im Druck und werde noch heute vertheilt werden. Es handele sih übrigens nicht um einen christlichen, sondern nur um einen münd- lichen Bericht. Bei der Geschästélage müsse es allseitig er- wünscht seir, die zweite Lesung hon morgen vorzunehmen.

Der Abg. Dr. Bamberger erklärte, er sei von vornherein immer geneigt, den Vorshlägen des Präsidiums und anderer Parteien entgegenzukommen, wenn es sich darum handele, die Geschäste zu fördern. Da ex aber den Jnhalt des Berichts noc nicht kenne, so behalte er sih vor, wenn morgen die

4+

Tragweite der Kommissionsbesczlüsse niht Üübersichtlih sein

darauf aufmerksam,

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sollte, die Abseßung von der Tagesordnung zu beantragen, |

und hoffe in diesem Falle auf Berücksichtigung seizes Antrages.

Der Abg. Frhr. zu Franckenstein erklärte, daß er morgen beantragen werde, für Montag die zweite Berathung des Börsensteuergesees (Antrag von Wedell-Malhow) auf die Tagesordnung zu seßen.

Es blieb beim Vorschlag des NVräsidenten.

Hierauf vertagte sih das Haus um 5 Uhr auf Sonnabend 12 O:

Jm weiteren Verlauf der gestrigen (62.) Sigung des Hauses der Abgeordneten erklärte bet fortgeseßter (2) Berathung des Q 2 des Nntraaes Les 200

Frhrn von QUene, verre eno die Berwendund | der landwirthschaftlihen Zölle, der Abg. Büchtemann, |

die Nationalliberalen hätten in der Komniission bis zum leßten Augenblick die Ansicht vertreten, daß eine Ueberweisung an Reichs- einna)ymen bei der gegenwärtigen Finanzlage unthunlid und zweckwidrig, ja verhängnißvoll sei; ob damit die Ausführungen des Aba. Enneccerus übereinstimmten, müsse man dem Ur- theil des Hauses überlassen. Die Rede des Abg. von Nauch- haupt dürste ihrem sahlihen Jnhaïte nah und abs gesehen von dem Selbstbewußtsein, das den Führer der Konservativen auszeihne, selbst seine politischen Freunde enttäusht haben. AUY Qus den Jeryen der Anhänger der neuen Wirthschaftspolitik werde jeßi zu- aegeben, daß von den Getreide- und Viehzöilen fast nur der Großgrundvesiß Vortheil habe, jüngst habe Prof. Schmoller in einer besonderen St&rist das nachgewiesen, und die von dem Abg. Wagner neulih angerufene Autorität des Hrn. Kühn dürste damit wohl abgethan sein. Die Verwendung der an Preußen gelangenden Summen, wenn sie dur die Kreise er- folge, bedeute also eine Ungerechtigkeit gegenüber allen Klassen der steuerzahlenden Bevölkerung, die nicht zu den Großgrund- besitzern gehörten. Die Kreislasten feien nur sehr beshränfierNatur, sie háiten mit den Armen- und Schullasten recht wenig Gemein- sames und ihre Erleichterung bringe keine Erleichterung für Diejenigen, die ihrer am meisten bedürsten. Die Kreise würden von neuen Ausgaben keineswegs durch den Umstand zurüdck- geshreckt werden, daß die vestehenden Kreissteuern nit ver- mindert worden seien. Seine Parici hose von der nächsten Zeit sreilich eine Aenderung ebenso wenig auf diesem wie auf dea übrigen Staateverwaltungsgebicten; sie erhoffe eine Besserung erst dann, wenn die Begehr- lichkeit, die sich heute leider überall hervordränge, wieder in den Hintergrund getreten fein und einer unbe- fangenen Würdigung der Thatsachen Plaß gemacht haben würde.

Der Abg. oon Eynern polemisirte gegen die Deutsch- freisinnigen und namentli gegen die fortgeseßte unmotivirte Hereinziehung des Tabackmonopolprojekts in die Debatten; er könne nit begreifen, wie ein Gegner der Getreide- und Vieh- zölle nicht mit Freuden auf das Verwendungsgesch eingehen wolle, welches doch die Erträge dieser Zölle, deren Bewilligung durch die Rechte und das Centrum nach der gestrigen Ab-

stimmung sicher erfolgen würde, den Steuerzahblern indirekt wieder zuführen wolle.

Der Abg. Dr. Enneccerus zog seinen Antrag als aus- fihtslos zurück; nah Schluß der Diskussion wurde §. 2 der Kommissionsvorschläge mit großer Majorität genehmigt.

S. 3 bestimmt nach dem Kommissionsvorschlag, daß die Vertheilung der überwiesenen Summe auf die einzelnen Kreise zu 2/3 nach dem Maßstab der in den einzelnen Kreisen auf- kommenden Grund- und Gebäutesteuer, zu !/2 nach der Civil- bevölkerung erfolgen soll.

Der Abg. Dr. Wehr beantragte folgende Fassung :

„Den Stadtkreisen im Ganzen wird ein rab dem Maßstabe der Gioilbevölkerung bemessener Betrag überwiesen und auf sie nah dem glei&cn Maßstabe vertheilt.

Der Rest des Ueberweisungsbetragcs wird auf die Kreise zu # nach dem Maßstabe der Civilbevölkerung, zu è nah dem Maßstabe der Fläche vertbeilt.“

Eventuell beantragte der Abg. Dr. Wehr im Verein mit dem Abg. Frhr. von Minnigerode, den Rest des Ueber- weisungsbetrages auf die Kreise zu 1/, nach dem Maßstabe der Grund- und Gebäudesteuer, zu '/4 nah dem Maßstabe der Civilbevölkerung, zu !/; nah dem Maßstabe der Fläche zu vertheilen.

Die Abgg. Frhr. von Huene und von Rauchhaupt bean- tragten, im §8. 3 hinter den Worten : „in den einzelnen Kreisen auffommenden Grund- und Gebäudesteuer“ hinzuzufügen die Worte: „unter Hinzurehnung der fingirten Grund: und Ge- bäudesteuer vom fisfalishen Besitz“.

Der Abg. von Meyec (Ürnswalde) beharrte dabei, daß das Geseß unannehmbar sei.

Der Abg. Dr. Wehr führte aus, daß kein Maßstab ge- eignet sei, den östlihen Provinzen gerecht zu werden und ihre Bedürsuntsse zu besriedigen. Der Osten sei ja stets das Stief- find der Regierung. Wenn das Haus seinen Antrag nicht annehmen wolle, dann bitte er, den eventuellen Antrag, den er mit Frhrn. von “‘Minnigerode gemeinsam gestellt habe, anzu- nehmen. Sollte es bei der Vorlage bleiben, dann werde hoffentlih das Herrenhaus eine Korrektur {hafen.

Der Staats-Minister Dr, von Scholz bat, bei der Beur- theilung des §. 3 nit von Anschauungen auszugchen, welche zwischen den einzelnen Provinzen unterschieden und die Ost- provinzen als die Stieskinder der Regierung hinstellten, von einer Vergewaltigunç; des Ostens sprächen und dergleichen. Ein solcher Gebankengang sei durch und durch un- berehtigt. Für di? Regierung gebe es absolut keine Sltestinder Unter den Provinzen er wee das dan entshieden zurück. Wäre die Regierung, wie unter Umständen Eltern gegen das jüngste Kind, zu nahnichtiz gegen eine neue Provinz, jo könnte das auch unter Umständen ein Bebot der Politik sein, aber von einer gewollten bewußten Zurückseßung Der olen Provinzen ber der Negterung zu roden, davon bitte er, sih nicht leiten zu lassen. Er wiederhole, daß am besten die Vertheilung im Sinne des nationalliberalen Antraas vorzunehmen gewesen wäre; es sei ja Absicht und Ziel der Regierung, die ganze Grund- und Gebäudesteuer an die Gemeinden und Kreise zu überweisen, und man müsse im Uebrigen dahin kommen, dem Druck der Armen- und Schulluasten durch direkte antheilige Uebernahme auf die Staat2kasse abzuhelfen. Er habe sich. schon vorx einiger Zeit für die Uebernahme der Hälfte der Schullast ausgesprochen, er würde selbst auh gar kein Bedenken tragen, dasselbe Verhältniß auch für die Armeula} einzuführen. Dann wurde man in natur Welse dahin gelangen, den Gemeinden erstens die Steuern zu überweisen, welche ihnen von Natur çgebührten, und im Uebrigen an den großen Lasten, von denen der DruX hauptsäch herrühre, sich quoten- iveise vor Staatswegen betheiligen. Wer in dieser Weise ernsilih die Erleihterung wolle, könne cs Hier, wo erft ein kleiner Anfang zu diesen Neuordnungen gemacht würde, nicht schwierig fiuden, zu einem angemessenen Vertheilungsmaßstab zu kommen, wenn nur die Grund- und Gebäudesteuer aus dem Maßstabe nicht ganz hinausfalle.

Der Abg. von Tiedemaun (Bomst) konstatirte, daß die speziell ländlichen Freise bei allen Veriheilunasmaßstäben ¿u kurz fämen ; cinen Maßstab, der allen gereht werde, gebe es niht. Wolle man die Kommunen entlasten, dann müsse man nit ihre Leistungssähigkeit, sondern ihre Belastung zur Grund- lage der Vertheilung nehmen, Die besten Kriterien seien die Bevölkerung und die Fläche. Die Einnahmen aus den Koruzölleri, welche doh wesentlih als Kornsteuern wirkten, müßten nach der Kopfzohl vertheilt werden, hon um einer Agitation gegen die Kornzölle entgegenzuarbeiten. Man scheine allerdings seine Xbscimmung ledigli danach einzurihten, ob der Wahl- kreis bei dem einen oder anderen Modus recht viel erhalte. Bei dieser Frage müße die Staatsregierung ein „bis hierher vnd nicht weiter“ sprechen.

Der Abg. Freiherr von Minnigerode gestand zu, daß es sich hier um einen Fnteresserkampf handle. Bei dem Dotations- gesez habe nian die Fläch2z in Betracht gezogen, das sollte man im Fnteresse der armen Kreise mit dünn gesäter Bevölkerung auch diesmal thun. Da aber dabei die Städte benachtheiligt würden, so möge man die Städte nah der Bevölkerung vorab berücfsichtigen.

Der Abg. Dr, Meyer (Breslau) erklärte, seine Partei stehe mit ihren Grundanschauungen doch nicht so isolict, wie der Abg. von Tiedemann (Bomst) glauben machen wolle. Fett stehe man vor der schwierigsten Frage: wie sol] verthe;lt werden? Den eigentlichen Vertheilungsmodus, den man gern haben möchte, habe man verkramt. Man wolle gereht vertheilen, das wolle seine Partei auch. Jm gemeinen Leben fümmere man sch gar nch um die Definition der Philosophen, sondern jeder finde das gerecht, wobei er am meisten bekomme; es sei unmöglih, eine Alle befric- digende Bertheilungsweise zu finden. Die Kalkulatur des Reichstagsbureaus kônne sich der Aufgabe unter- ziehen, zu untersuchen, bei welhem Modus die Alge- meinheit am besten fahre. Wenn er in seine heimath- liche Tabelle blicke, so sei er hier für jede Moral einer ge- rechten Vertheilung unrettbar verloren. Wenn der Finanz- Minister sage, er wolle die Hälfte der Armenlasten auf den Staat übernehmen, so könne die Armenpflege nicht {limmer bestellt sein, als wenn dies geshähe. Es handele \ich hier nicht darum, die Nothlage der Gemeinden zu

beseitigen, sondern ihre Selbständigkeit zu vernich- ten Man wolle die Gemeinden zu Päppelkindern

des Staates herabwürdigen; man solle lieber erft den Gemein- den das Necht auf Almosen zusprechen, dann werde man es dem Einzelnen nicht lange mehr vorenthalten können. Was eine Grundsteuer im Allgemeinen betreffe, so sei er der Ansicht, daß sie einerseits unentbehrlih sei und andere rseits den

Gebe es niht Leistungen der Ein- zelnen, die nict- und nagelfest in ein Grundstück eingesteckt seien? Deshalb würde eine fogerannte Jmmobiliariteuer höchst ungerecht sein. Was sei nun eine fingirte Grundsteuer, von welcher der Aba. von Rauchhaupt sprehe. Es würden hier Steuern aufgestellt, niht um erhoben zu werden, sondern um als Grundlage für andere fünftlihe Steuern und Erhebun-

Gemeinden gehöre.

gen zu dienen. Das Ganze sei cin fo gekünstelt.s, aeschnör- feltes Gebäude, daß es bald zu Falle kommen werde.

Der Abg. Frhr. von Huene entgegnete, alle grundsteuer- freien Grundstüde seien sämmtlich zum Grundsteuerreinertrag veranlagt, daher komme der Ausdruck „fingirte“ Grundsteuer. Dem Ava. Dr. Wehr erwidere er: Der 8. 4 sci kein Raff- paragraph, sondern sein (des Abg. Wehr) Antrag sei ein Raff- antrag. Man dürfe niht, wenn man nah einem Vertheilungsmaßstabe suhe, nur einfah die Tabelle sprechen lassen. Man müsse das Bedürfniß in Rechnung ziehen und dieses scheine ihm durch die Bevölke- rung repräsentirt zu werden. Sein Antrag fasse ins Auge die demrägßstige Ueberweisung der Grund- und Gebäudesteuer an die Gemeinden, sobald dies möglich sein werde; darauf könne man die Leute heute nicht vertrösten, daß der Staat die Hälfte der Armenlasten übernehmen werde. Es würden durch seinen Antrag die ärmeren und industriellen Bezirke, sowie die kleineren Städte einen größeren Zu- {uß bekommen, wie die reiczeren landwirth[Gaftlien Bezirke und größeren Städte. Vian wolle doch hier kein Almosen- geses schaffen. Der Antrag Minniaerode nehme die Stadt- kreise auf, damit werte doh aber niht das Mißverhältniß be seitigt. Seine Freuntc vom Nhein würden ihm sagen: wenn es nicht gelingt, einen relativ vernünftigen Bertheilungsmaß- stab zu finden, wie die Kommission vorschläat, so ist für uns das ganze Geseg unanrehmbar. Wenn man -an diesen Nebensahen das ganze Gescy scheitern lassen wolle, dann möge man das vor den Wählern ver- antworten. Der Abg. Rickert habe im Reichstage gesagt, man gehe jeßt damit um, immer neue Zöle zu schaffen und einen großen Theil des Erirages an die Kommunen zu überweisen, und zwar in der Art und Weise, daß der arme Mann noch dop- pelt dadurh geschädigt werde. Da scheine er ihm (dein Redner) doch die Statistik völlig außer Acht zu lassen. (Redner verlas cin ausführlihes Material über die Verwendung der Erträge aus den landwirthschaftlihen Zöllen.) Er bitte also, den An- trag der Kommission anzunehmen,

Darauf wurde die Diskussion geschlossen.

Persönlich verwahrte sih der Abg. Dr. Wehr gegen die Behauptung des Abg. Frhrn. von Huene, daß er gegen das ganze Geseß stimmen wolle, er habe dur seinen Antrag nur das Gese fo rationell wie möglih gacstalten wollen.

I _RRANM 200 CUVOAUNIIT 400

er feinen speziellen Antrag zurück, hielt dagegen seinen Antrag in Gemeinschaft mit den des Abg. Frhrn, von Minnigerod( aufrecht. Dieser, sowie der Antrag des Abz. Frhrn. von Zedlitz wurden abgelehnt und die Kommisionsfassung nebst Amen-

dement Hucne-Rauchhaupt angenommen.

Darauf vertagte sih das Haus um 33// Uhr auf Sonn d A L

n¿tnen Schulpflicht

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Jerschulen lementar«) Lehrer an Mittel- STaanspruhnahme cines Weges 3 Bewcisthema für den Kläger. Frledigung eines Amts8geschäfts deren als der an fic zuständigen

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Behörde (Umtsvorsteher) übertragen wordea it, Persönliche Be- j 1+ N V nt p45 - & Lot (Gyl ode n "11956 M x Uf theiligung des Ämtéveorstehers bei Erledigung eines Amt3geschäfts, 1peziel bei wegepolizetlihen Änordrungen. Beartworctung von

Anfragen.

Debet zum Militar-Wowenblatt, 4 Gt Inhalt Der russishe Kriegsschauplay in seinem Einflusse auf die dort operirenden Armeen im Feldzuge 1812 und dem Polnischen Insurrektionskriege 1830/31, Eine Siudie von Krahmer, Major im Großen Generalstabe, kommandirt zur Kommandantur von Köntgs- berg i. Pr.

Deutsche Landwirthschaftlihe Presse. Nr. 34. In- halt: Konferenz der Direktoren und ordentlichen Lehrer der deutschen Nckerbau- und landwirthscwaftliwen Wintershulen. Schau- fragen. IIL. Von H von Nathusius-Althaldensleben. Feuilleton. Lebensdauer der Béevslkerung. I. Wirthscvaftsplaudereien für Landwirthsfrauen. Anhbauversuche mit {wedishem Saatgut V. Von Prof. Dr. Tlex, Müller. Correspondenzen. Literatur. Miscellen, Patentliste, Landwirthschaftlibe Lehranstalten. Deutscher Reich8tag und preußischer Landtag. Sprechsaal. Handel und Verkehr.

DlalleL U Obere Swulvelen N 5 Sibaltt Dr, Aly, Unsere Petitionen im Abgeordnetenhause. Gilles (Essen), Was kann der höhere Leh-erstand selbt zur Hebung sciner Interessen thun? (Schluß folgt.) Dr. Hilmer (Goëlar), Berechtigungen des Realaymnasiums. (Schluf,.) Dr, Bauder (Homburg), Gedanken uad Vorschläze, betcesfend den Arbeitstag. Vogrinz (Brünn), Die wissensaftlide Bethätigung der Gymnasiallehrer und die Lehrer- hibliothclen. Dr. Aly, Ein ncuer Angciff auf das bumanistische (Bymnasium. —- Schlesische Waisenkafse, Kleine Mittheilungen. Bücherschau: Sander (Maadeburg), Deutsch und philo. Provädeutik. Personalta (vom 16. März bis 10, April 1885). (Schluß folgt.)

Sllu rie Berliner Wobei! Der Bit Nr. 30. -— Inhalt: Gedenktage. Jheale. Novelle von K. Rinkart. Hande! und Gewerbe unter Friedrih !. Die Memoiren cines Kaisers von Madagaskar, herausgegeben von Os Schwebel, Feuilleton; Aus der Entwickelung Berlins in: den lezten fünsund- zwanzig Jahren. Miscellen: Erinnerung an Louis Schnetder (von Dr, Beringuier). Das Knobelsdorff\che Haus in der Leipzigerscraße Gehalt der Brantenburgishen Militärärzte im 17. Jahrhundert. Edikt wegen Adschaffung des Maitenseßens. Der \chwarze Graben Jubiläutns - Ausstellung. Korrespondenzblatt der Ge\hichtsvereine. Kleine Chronik, Das Kriegs-Ministerium (Abbildung, Geheimer Medizinal-Rath Barez (Portrait). Theaterfriseur Warrecke (Abbil- dung). Ehreahumpen in Silber (Abbildung).

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