1906 / 43 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 19 Feb 1906 18:00:01 GMT) scan diff

gehoben wird. Dadurh wird natürlich die Tatkraft der Kreise, die diesen Krebsshaden an unserem Volkskörper heilen wollen, gelähmt. Deshalb möchte ih den Min'ster dringend bitten, in dieser Be- ziehung die Bestrebungen der Polizeiorgane zu unterstüßen. Schon 1903 ift «von dem Abg. Jürgensen auf den Mißstand der häufigen

Verseßungen der Amtsrichter in kleinen Orten hingewiesen worden. Seitdem hat sich in dieser Bezichung noch wenig oder gar nichts ge- bessert. Wenn ein junger Amtsrichter nah zwei bis drei Jahren bereits scine Verseßung in eine größere Stadt beantragt, so werden diese Gesuche sehr häufig bewilligt. Es ift hon früher von den ver- schiedensten Seiten he1vorgehoben worden, daß die Amtsrichter etwa zehn Jahre in dem kleinen Orte bleiben müssen, um diejenigen Be- ziehungen zur Bevölkerung zu finden, die für ihr Amt notwendig find. Die Gesuhe werden in erster Linie begründet mit dem Mangel an geeigneten Wohnungen. Allerdings muß die Justizverwaltung noch manches tun. Ich bitte den Minister, gerade für die Erbauung von Dienstwohnungen in kleineren Orten unausgeseßt tätig zu sein. Es wird dann auf den Schulbesuh der Kinder hingewiesen. Ich glaube, ein jung verheirateter Amtsrichter kann es ruhig 10 Jahre in etnem kleinen Orte aushalten, ehe diese Frage des Schulbesuches seiner Kinder für ihn eine brennende wird. Dann werden sehr oft die Wünsche der Frauen der Amtsrichter geltend gemaht, daß sie das Klima nicht vertragen können. So schlimm ist cs wohl niht, und deshalb bitte ih den Minister, Gesuchen, die mit den Wünschen der besseren Hälfte der Amtsrichter motiviert werden, unzugänglicher zu sein. Cs wird von meinen politishen Freunden Klage darüber geführt, daß solchen Richtern, welhe verseßt oder befördert werden, die Verpflichtung auferlegt werde, unter keinen Umständen für die nächste Legislaturperiode wieder ein Mandat anzunehmen. So ift es dreien meiner politischen Freunde in der vorigen Session er- gangen. Der Vorgänger des Ministers hat sich nicht einmal mit der mündlichen Versicherung begnügt, fondern eine shriftlihe Verpflichtung verlangt, unter keinen Umständen wieder ein Mandat für die nächste Session anzunehmen. Mitgliedern anderer Fraktionen if aber diese Verpflihtung in keiner Weise auferlegt worden. Wir haben hier eine ganze Anzahl von lebenden Beispielen, die das bezeugen können, und jüngst ist noch ein Mitglied des Zentrums hier zu einer hohen Stellung, zum Dberlandeêgerihtspräsidenten, befördert worden, und doch ist er Mitglied des Abgeordnetenhauses und des Reichstags. Ich bitte den Minister, uns gütigst Aufshluß zu geben, wie er dazu fteht, damit die betreffenden Richter, die Mitglieder dieses Hauses sind, künftig wissen, woran sie eigentlich sind. Es ift mir überhaupt zweifelhaft, ob dieses Vorgehen in Uebers einstimmung mit der Verfassung steht. Wenn überhaupt eine solche Maßregel notwendig is, dann sollte sie wenigstens gegen alle Parteien dieses Hauses gleihmäßig angewendet werden. Schließlih möchte ich noch eine Angelegenheit zur Sprache bringen, die fich in meinem Wahlkreise Breslau zugetragen hat, und die bereits in der Budgetkommission zur Sprache gekommen und vom Minister erörtert worden ist. Sie betrifft den Verein ristliher Re- ferendare in Breslau. Dieser Verein feierte kürzlih sein 25 jähriges Stiftungsfest. In einem Restaurant fand zu diesem Zweck ein Essen in einem vollständig geschlofsenen Naume statt. Bei dieser Gelegen- heit ist nun ein Tischlied mit antisemitischer Tendenz gesungen worden. Ich will dieses Tischlied in keiner Weise verteidigen, auch meine poli- tischen Freunde tun das nicht. Jch will auh nit entscheiden, ob es gut oder s{lecht ist. Es ist nun dieses Tischlied auf unerklärliche Weise in die Hände eines israelitishen Nehtsanwalts Mamrot ge- langt, und dieses Lied ist mit einer Beshwerde an den Minister oder den Oberlandesgerichtspräsidenten weitergegeben worden. Mir ift heute ein Brief aus Breslau zugegangen, in dem es beißt, daß dem Rechtsanwalt ein Kellner das Lied gegeben hat. Jedenfalls ist dieses Tischlied nur durch einen groben Vertrauensbruch in andere Hände gelangt. In der Budgetkommission hat der Abg. Peltasohn den Minister gefragt, ob er bereit sei, Untersuhungen an- ¿ustellen, inwieweit auch in anderen Städten die Referendarvereine prinzipiell den jüdishen Referendaren den Eintritt verweigern, und ob er dagegen vorgehen wolle. Der Minister hat darauf erwidert, daß er in dem speziell angeregten Falle das Disziplinar- verfahren veranlaßt habe, da dieses Gediht niht von einem Referendar, sondern von „cinem Richter verfaßt worden sei. Es sei bereits in der ersten Instanz die Entscheidung ergangen, er werde erforderlihenfalls im einzelnen Falle einschreiten, er sei aber nicht in der Lage, im allgemeinen Unterfuhungen anzustellen, um die Referendare in der Art ihres Umganges zu beschränken, Nach neueren Nachrichten ist das Verfahren sowohl gegen den Verfasser des Liedes, einen Landgerichtsrat Hoffmann in Breslau, eingeleitet worden als au gegen den Referendar, welcher bei dieser Tischgesell schaft den Vorsiy führte. Das Disziplinarverfahren ist eingeleitet worden, und Landgerihtsrat Hoffmann wird einen Verweis bekommen, der betreffende Referendar eine dienstlihe Mahnung. Ih möchte fragen, ob die Behandlung dieses Falles eine solche ist, die wir, sagen wir einmal, für eine richtige halten können. Es ist bereits ein ähnlicher Fall in Oildesheim vorgekommen. Damals wollte ein Tisch von Referendaren jüdishe Kollegen niht aufnehmen, und die Folge davon war, daß von seiten des Oberlandesgerihispräsidenten sämtliche Neferendare, die an dieser geschlossenen Tischgesell- haft beteiligt waren, ftrafverseckt wurden. Damals wurde aief. Fall hier zur Sprache gebraht, und damals stellte man sih fast allseitig auf den Standpunkt, daß es in keiner Weise Sache der Behörde sei, sich irgendwie darum zu bekümmern, welhen Umgang der Referendar haben will oder niht. Ih heide jede antisemitishe Tendenz bei der Sahe aus. Ich e nur, ab die Referendare das Recht haben, ih in Kreisen zu- ammenzuschließen, die ihm gefallen. Ein Mitglied der national-

liberalen Partei verwies darauf, daß die Behörde in solche Dinge

nicht hineinzureden habe. Eine geschlossene Gesellshaft müsse das Recht haben, Mitglieder aufzunehmen, wie sie wolle. ae d frei- finnige Abg. Munckel wies es ab, daß jüdische Referendare irgend ein Vorrecht haben sollten, in Gesellshaften einzutreten, die sie niht aufnehmen wollen. Der vorliegende Fall liegt ganz ähnlich. Es wurde früher mit Recht gesagt, man folle die Referendare nit behandeln wie Tertianer auf den Schulbänken, sie seien freie Männer, die sich zusammenschließen können, wie sie wollen. Nun sagt man zwar, die Herren können \ich zusammenschließen, aber ein solhes Lied fingen dürfen sie nicht. Ja, was hinter verschlossenen Türen gesungen wird, darum follte sch keine Staatsbehörde überhaupt kümmern. Wenn junge Leute in übershäumendem Jugendmut einmal ein Lied singen, so frage ih: Wer hat nicht von uns einmal ein solhes Lied gesungen, das er Heute nicht wieder fingen würde? Man sollte so etwas doch niht so tragish nehmen. Es wäre deshalb besser gewesen, man hätte die Reférendare vollständig unbehelligt gelaffen. Ift denn dieser Verein ein so gefährliher antisemitisher Verein? Na 1 der Statuten verfolgt der Verein gesellige Zwecke. Der Verein ift begründet worden mit der Beslimmung, nur folche Glemente aufzunehmen, die in jeder Beziehung in die Vereinigung pafsen. Er hat deshalb für die Aufnahme die allerschwersten Be- dingungen geftellt. Nach dem § 14 der Statuten ist zur Aufnahme Ein- stimmigkeit erforderlih, also fann bei einem einzelnen Widerspru ohne weiteres die Aufnahme abgelehnt werden. Der § 15 der Statuten besagt: „Jedes Vereinsmitzlied hat die Pflicht, au - nah außen das Wohl des Vereins zu fördern und die Interessen seiner Mitglieder zu wahren. Zwistigkeiten sind tunlihs| nur innerhalb des Vereins zum Mustragg zu bringen, es ift insbesondere keinem Vereinsmitglied gestattet, bei Ehren- ndeln im Verein eine Forderung zu stellen oder zu über- ringen.“ Der Verein ift also tatsählich ein ganz harmloser und verfolgt ledigli grleage Zwecke. Es ist auch Sache der Referendare, ihre Privatfeste in FelAlossenen Räumen so zu feiern, wie sie es für richtig halten. an sollte deshalb nit glei aus einer solch:n vielleiht nicht ganz taftvollen Art bei irgend einer einzelnen Gelegenheit ein crimen laesae majestatis machen. Das Verfähren gegen den Landgerihtsrat Hoffmann if noch

war, in der sharfen Form, wie man es- getan hat, gegen ihn vorzu- gehen. Ist aber Landgerihtsrat Hoffmann wirklich ein so gefähr- lihér Mann, wie es nah all den Zeitungsnotizen und dem Lärm, der A ist, scheinen könnte ?. Hoffmann besißt die Nettungs- medaille, weil er mit eigener Lebensgefahr jemanden aus der O

vom Tode gerettet hat. Er hat sih also als braver Mann E

zeihnet, und ih füge hinzu, er hat die Rettungsmedaille dafür be-

kommen, daß er einen jüdischen jungen Mann aus der Oder rettete. Da muß man erst recht fragen, ob man ihm wegen eines solchen an- geblihen Vergehens an den Kragen gehen mußte. Unsere jüdischen Mitbürger könnten nur dankbar sein, daß er einen der Jhrigen aus Lebensgefahr gerettet hat. Justizminister Dr. Besfeler: Meine Herren! Ich möchte auf die zinzelnen Punkte, die der Herr Abg. Strofsser soeben berührt hat, nah einander eingehen. Der erste Punkt waren die Klagen über die Zunahme unsittlicher Literatur, Klagen, die eine große Bedeutung haben und von der Justizverwaltung selbsiverständlih mit dem größten Ernft beachtet werden. Ich bemerke vorweg, daß von meinem Amtsvorgänger in Vebereinstimmung mit dem Minister des Innern eine Anweisung an die Staatsanwaltschaften bezw. Polizeibehörden ergangen ist, wona mit dem größten Eifer darauf geachtet werden soll, daß alle un- ¿zühtigen Schriften rechtzeitig beschlagnahmt werden, und daß demnächst diejenigen, welche wegen Verbreitung terselben zu irgend einer strafrehts- lihen Verfolgung Anlaß geben, in der Tat auch verfolgt werden. Wir können zur Zeit kediglich vorgehen auf Grund des § 184 des Strafgeseßbuches, den der Herr Abgeordnete bereits hervorgehoben hat. Ob die Bestimmungen dieses Paragraphen so gefaßt sind, daß man alles das, was man treffen möchte, au dur die Rechtsprechung treffen- kann, das ist eine Frage der Gesezesauslegung in jedem einzelnen Falle, und diese Interpretationen werden in erster Linie die Gerichte zu geben haben. Die staatsanwalts{aftlihen Behörden aber werden, sobald ihnen die Möglichkeit erfolgreichen Einschreitens vorzuliegen s{heint, dann die der Gerichte hervorzurufen haben. Jedenfalls werden sie ihr Augenmerk darauf zu rihten haben, dah alles, was strafrechtlich verfolgt werden kann, nachher auch zur Bestrafung gebraht wird. Bei einer etwaigen Revision des Straf- geseßbuchs werden selbftverständlih diese Punkte auch eingehend und sorgfältig erwogen werden, und wenn sich eine bessere und \{ärfere Fassung des Gesezes ermöglihen läßt, werde ih das mit Freuden be- grüßen. (Bravo!) Weiter kann ih über diesen Punkt nichts sagen, da eben die Gerichte entscheiden werden und müssen und; wie ich hoffe, streng entscheiden werden. Dann ist der Herr Abg. Strofsser auf die Seßhaftigkeit der Amts- rihter eingegangen und hat erwähnt, daß dieser Gegenstand vor einigen Jahren hier auf Anregung des Herrn Abg. Jürgensen be- handelt worden ist. Es liegt allerdings im Interesse der Justizver- waltung, daß die Amtsrichter möglichst lange auf ihrem Plate aus- harren, und es entspriht dies auch dem Sinne unserer Geseßz- gebung. Ich persönlich habe ftets darauf gehalten, daß die Verseßungen nicht in zu kurzer Zeit erfolgen, sondern daß die Nichter tunlihs lange an den Orten bleiben, an die sie meist auf ihren eigenen Wuns verseßt werden. Die Gründe, welche angeführt werden, um etwa shnelleren Ortswechsel zu erreichen, hat der Abgeordnete bercits erwähnt. Mir sind diese Gründe sehr wohl bekannt, ih stehe auch nit an, zu sagen, daß“ih sie oft nit für stihhaltig halten kann. Es wird meinerseits stets sorgfältig ge- prüft werden, ob eine Verseßung aus dienstlihem Interesse erfolgen muß, und, wenn kein besonderes dienstlihes Interesse vorliegt, ob die persönlihen Gründe fo bedeutsam sind, daß man einem Versezungs- gesuhe ftattgeben muß. Im großen und ganzen glaube ih in voll- kommener Uebereinstimmung zu sein mit dem, was der Abg. Strofser bemerkt hat. Was die Frage wegen der Niederlegung von Mandaten anlangt, so habe ih bereits auf mehrere Anfragen, die an mich von einzelnen Herren ergangen find, erwidert, daß ih keineswegs den Standpunkt vertrete, daß eine Verseßung oder Rangerhöhung dahin führen müsse, fortan dem parlamentarishen Leben ganz fernzubleiben. Im Gegen- teil, ih halte es für erwünscht, daß die Herren, die in parlamen- tarischen Dingen - bewährt find und von den Wählern als Vertreter gewünsht werden, Gelegenheit haben, weiter im Parlament tätig zu sein. (Bravo!) Mir ift nicht bekannt, ob diese Angelegenheit früher irgendwie verschieden gehandhabt worden if. Jch für meine Person habe niemals eine derartige Absicht zu erkennen gegeben, es würde das auch mit meiner Auffassung durhaus niht im Einklang stehen. Der Vorfall in Breslau hat sich in mancher Hinsicht etwas anders zugetragen, als man dem Herrn Abg. Strosser berichtet hat. (Hört, hört! links.) Zunächst bin ih als Oberlandesgerihts- präsident bei der Sache niht beteiligt gewesen, sondern babe davon erst amtlich Kenntnis bekommen, als ih mich in meiner gegenwärtigen Beruféstellung befand, und ih möhte nur furz wiederholen, was ih in der Kommission gesagt habe, und was sich im wesentlichen mit dem deckt, was der Herr Ab- geordnete als den richtigen Standpunkt hingestellt hat. JIch habe gesagt und ich bleibe dabei —, daß ich garnicht daran denke, den Justizbeamten irgendwelhe Vorschriften zu machen, wie sie si ihren außeramtlichen Verkehr wählen sollen. Ich würde es ‘für verkehrt halten, wollte man einen Zwang ausüben. Was sollte daraus werden ? (Sehr rihtig!) Dadurch würde kein freundshaftliher Verkehr, leiht aber Zwiespalt und Unheil hervorgerufen werden. (Sehr richtig !) Etwas anderes ist es, wenn einzelne Beamte diejenige Rücksiht außer at laffen, die sie ihren Mitarbeitern und denen, mit denen sie in amtlihe Berührung kommen, \{chuldig sind. Jener Verein er nennt \sich Verein ristlicher Referendare; ich habe bisher keine Veranlaffung gehabt, mich mit ihm zu beschäftigen feierte cin Fest, an dem, wie mir gesagt ist, etwa 90 Herren teil- genommen haben; es waren großenteils niht Referendare, sondern ältere Herren. Das Lied, das man gesungen hat, wird von keiner Seite gebilligt. Man hat es gesungen auf Veranlafsung des Land- gerihtsrats Hoffmann, eines etwa 50 jährigen Mannes, der es gedichtet hat, soviel ih weiß, der es einem. der Referendare gegeben hat, damit es gesungen werde. Dieser Referendar hat zunähst Bedenken ge- äußert; aber er hat sie fallen lassen, weil der Landgerichtsrat Hoff- mann ihm sagte, es werde gehen. Das Lied ift gedruckt verteilt und von den 90 Herren gesungen wörden. ; Mit der Abgeshlofsenheit if es bei einem derartigen Vorgehen niht so einfach. Wenn in einem Wirtshaussaale 90 Herren etwas singen, nahdem die Lieder unter sie verteilt sind, da ist es mit der Geheimhaltung etwas bedenklih. (Sehr richtig!)) Nun war eine

niht abgeschlofsen, ich will es daher unerörtert laffen, ob es richtig

ist, hat cin Kellner naher cinem Herrn eins davon gegeben. So ist es allgemein bekannt geworden. Daß es so kommen konnte, lag doch nahe. Daraufhin hat man keineswegs das betone ih hier besonders dem Herrn Abg. Strosser gegenüber dem Verein der Referendare irgendwie zu nahe. treten wollen. Er ift heutigen Tages gerade fo unbehelligt wie früher. Es ift auch nit richtig, wenn gesagt ist: man wäre disziplinarisch gegen die Referendare eingescritten, Ich glaube, das ganze Einschreiten gegen die Referendare hat ih darauf beschränkt, daß man dem, der den Vorsiß hatte und auch das Lied singen ließ, gesagt hat : sein Verhalten wäre nit richtig gewesen. Wenn gesagt isi, daß früher, ih glaube in Celle, ähnlihes vor, gekommen wäre, daß man dort eine disziplinarishe Untersuchung ein- geleitet hätte, so bemeike id, daß ih nicht weiß, was damals ge- shehen ist. Jedenfalls ist von einem disziplinarishen Einschrelten gegen die Referendare in Breslau weiter keine Rede. Der Land- gerihtsrat Hoffmann aber hatte Anlaß zu großer Verstimmung in

bloß von Herren jüdisWen Glaubens geteilt, sondern auch von vielen anderen, Was liegt näher, als daß man die Sache unter- suhen läßt; und dazu eignet sich ein Verfahren im Dienst- auffihtswege wenig! Dabei erfahren wir nicht alles, was vor- gekommen ist in dem Maße, als wenn man die Aufklärung in den bestimmten Formen eines geseßlihen Verfahrens sucht. Der einzige Weg, um nah jeder Seite die Sahhe klar zu stellen, war der, daß man den Landgericht?rat Hoffmann vor seinen Standes- genossen, die zur Entscheidung berufen sind, die Sache aufklären ließ und das Ergebnis abwartete. (Sehr richtig!) Jeßt {webt die Untersuhung. Anders konnte von der Justizverwaltung nicht ver- fahren werden.

Ich kann nur meine Auffassung dahin wiederholen: ich \tôre nie- manden in seinem Verkehr. Ich kann aber nicht zulassen, daß irgend welche verlegende Aeußerungen und kränkendes Verhalten innerhalb der Kreise der Justizbeamten geduldet werden. Das geht nicht. Wir müfsen einen vornehmen Ton unter uns wahren (sehr richtig !); der- artige Verstöße, wie sie vorgekommen sind, dürfen nit sein. (Sehr richtig!) Daß der Landgerichtsrat Hoffmann verdienft- voll gehandelt hat, als er das Kind rettete, wer wollte das mehr anerkennen als ich? Daß das Kind zufällig jüdischer Abstammung war, ist mir heute zum ersten Male mitgeteilt worden. Aber selbft, wenn ih es gewußt hätte, bätte ich nicht anders verfahren können, als es geschehen ist. In dem Moment, als Hoffmann das Kind rettete, wird übrigens auch er über dessen Herkunft nihts gewußt haben, (Sehr richtig! und große Heiterkeit.)

Ich kann mich dahin resümieren : Von der Störung eines freien Vereins kann niht gesprohen werden, aber taktloses Verhalten, das bie und da immer vorkommen fann, muß zur Untersuchung führen. Das geschieht, die Justizverwaltung hat nichts getan als ihre Pflicht. (Beifall.)

Abg. de Witt (Zentr): Die Landtage in Bayern und Württemberg haben {ih mit der Frage der Tagegelder für die Ge- {chworenen und Schöffen beschäftigt, auch der preußishe Justizminister wird zu dieser Frage Stellung nehmen müssen. Die Angehörigen der arbeitenden Klassen sind zwar theoretisch von der Rechtspflege nicht au8geshlofsen, wohl aber tatfählich. Das if sehr bedauerlich, da dadurch der Stein einer Klafsenjustiz erweckt wird, ein Schein, den man vermeiden muß. Daß bei Einführung von Tagegeldern si die Sozial- demokraten der Pläße der Shöffen und Geschworenen bemächtigen würden, ist nicht zu befürchten, fie würde aber eine große Entlastung derjenigen Klafsen, die heute diese Stellen befeßen mifes bedeuten. Jh lee mich den Ausführungen des Abg. Dr. Friedberg und seiner gad hinsichtlih der Einführung des Dienstaltersstufensystems bei den Justizbeamten an, doch möchte ih bitten, daß man dies nicht unter Einführung eines Afffessorenparagraphen verfuht, denn diesen müssen wir nach wie vor b¿kämpfen. Die Gehälter der Justizunterbeamten müssen U werden, sie erhalten noch dasselbe Gehalt wie im Jahre 1892. Unterbeamte anderer Verwaltungen werden weit besser bezahlt. Der Minister würde sich den Dank des Hauses verdienen, wenn er ih eingehend mit diesen Fragen beschäftigen würde.

Geheimer Justinat Plashke: Jch dde einen Teil der Ausführungen des Vorredners über die Gehälter der Unterbeamten niht unwidersprochen lassen. Es ist ja richtig, daß sie sich noch auf dem Standpunkt der Gehaltsrevisionen von 1892 befinden; das ift aber auch bei den übrigen Verwaltungen noch der Fall. Wenn einige Unterbeamte bessere Gehälter beziehen, so besißen sie gewisse techaiidhe Fertigkeiten. Im übrigen ist doch jeßt für die Unterbeamten allein eine Erhöhung des Wohnungsgeldzuschusses beantragt.

2 Abg. Meyer - Diepholz (nl.) wünscht - die Einführung von Dienstaltersftufen für die Richter, Vermehrung der Richterstellen îberhaupt und Erweiterung der Kompetenz der Amtsgerichte in Zivil- sahen. Bei den Amtsgerichten müßten die Richter viele Arbeiten ausführen, die von den Sekretären verrichtet werden könnten. Die Gehaltsvechältnisse der Kanzleigehilfen sollten neu geregelt werden. Die Schwurgerihte ohne weiteres zu beseitigen, wird nicht leicht sein. Es fei niht zu verkennen, daß die Geshworenen und die Schöffen- pie im allgemeinen die Sympathie der Bevölkerung erfahren aben; würde man Tagegelder und Reisespesen für Geshworene und Schöffen einführen, so würde es auch an dem genügenden Menschen- materiale nit fehlen. |

H Abg. Lüdicke (fr.-kons.): Es müssen in möglichst vielen kleinen Städten Amtsgerichte eingerichtet werden, damit würde eine Ent- [lastung für die großen RELREN ade einmal stattfinden, und etn andermal würden die wirtschaftlichen Verbältnisse der kleinen Städte dadurch gehoben werden. Die Dezentralisation des Gerichtswesens fôöônnte auch dahin ausgedehnt werden, daß man detachierte Straf- kammern und Kammern für Handelssahen nah Bedürfnis errichtet, wie es z. B. von der Potsdamer Handelskammer und auh für Brandenburg a. H. vorgeschlagen worden ift. Zweck8s Verminderung des Schreibwerks hat der Justizminister ja {hon Abhilfe zugesagt. Durch eine wesentlihe Erhöhung der Zuständigkeit der Amtsgerichte würde erstens das Ansehen der Amtsgerichte selbst gehoben werden und Fweitens eine Entlastung der Amtsgerichte stattfinden. Die Veberlastung der Landgeridte bringt es mit sih, daß die Gerichte manchen Beweis abschneiden, den man sonst hätte erheben müfsen. Namens meiner politischen Freunde habe ih ferner um eine baldige Einführung der Dienstaltersstufen für die Richter erster Instanz zu bitten. Weiter bitte ih, daß dem Wunsche der statistishen Behörden, die Gerichte möchten ibnen jtatistishes Material über die Zusammen- seßung der Genossenschaften und der Gesellschaften m. b. H. zur Ver- fügung ftellen, entsprochen werden möchte. Der Herr Minister hatte bei der ersten Beratung des Etats zugesagt, daß er Erwägungen darüber anstellen werde, welche geseßlihen Maßnahmen zur Bekämpfung der Sozialdemokratie auch auf dem Gebiete des Justizwesens heran- gezogen werden könnten. Ih habe namens meiner politischen Freunde zu fragen, was inzwischen darin geschehen ist. Kein Richter hat die Veranlafsung, die Sozialdemokratie mit Milde anzufafsen. In weiten Kreisen der Bevölkerung hat cs Befremden erregt, daß im Sommer v. I. in dem Prozeß gegen den „Vorwärts“ und gegen den Redakteur Karl Schneidt von der „Zeit am Montag* ein Vergleich zwishen den Angeklagten und der Aut lageneborae geshlofsen wurde.

Wir hoffen zuversihtliß auf ein energishes N ministers au in dieser Lr Way gishes Vorgehen des Justiz

ganie Anzahl von Exemplaren liegen geblieben und, wie mir gesagt

Abg. Keruth (fr. Volksp.): Der Minister hat bei d Lesung Stellung ¿u den großen T tis a ais

weiten Kreisen Breslaus gegeben. Diese Auffassung wurde keineswegs

* Welcher Art im übrigen

die Amtshandlungen des Ministers abwarten. Wir pit E niht für empfehlenswert, daß ih innerhalb derselben alten fategorie Sondervereine nah politishen oder konfessionellen rdsihten ilden, welche die Andersdenkeriden aus\{ließen. Dadurh N ie Arbeitefreudigkeit leiden. Wir halten es für beklagenswert F n verwerflidb, wenn durch solhe Vereine Mißstimmung und r nruhigung in die Bevölkerung getragen wird. Da für solche Ausschreitungen die Justizbeamten im ordentlichen Rechtswege zur Rerantwortung gezogen werden, können wir nur billigen. Der frühere ftzminister von Schelling hat 1891 sih darüber ausgesprochen, wie Ir seren Anschauungen entspriht. Ec hat gesagt: „Ich muß von Referendaren verlangen, daß sie ihren Kollegen gegenüber ein trllegiales Verhalten ohne Rücksicht auf das Religionsbekenntnis baten ; habe Anweisung gegeben, “jeder Unfreundlichkeit 06h jüdishe Referendare entgegenzutreten.“ Ich würde mich n wenn der Justizminister diese Ne seines Vor- fn ers zu den seinen machte. Im übrigen lasse _ich mi auf dog politische Fragen jeyt nit ein, wir werden zunächst abwarten, G wir unterlassen es deswegen auch, Anträge zum Justizetat zu (tellen. Fch will nur an den auf unseren Antrag 1904 gefaßten Beschluß "des Hauses wegen der Verbesserung der Beamtengehälter innern. Ich bitte, die NRichterstellen so bald als irgend mögli zu eermehren. Unter dem jeßigen NRichtermangel werden die Rechts- garantien des Angeklagten ganz erheblich geschmälert und die von Sei Parteien und vom großen Publikum bemängelte Ver- \leppun im Zivilprozeß durch das Hilfsrihterunwesen gefördert. ür die Richter muß das Dienstaltersstufeasystem eingeführt werden. uch müssen wir auf der ‘Forderung der Gleichstellung der Richter ind Staatéanwälte mit den Verwaltungsbeamten bestehen. Das ift ja son jet zum Teil gesehen. Der Präsident des Kammergerichts ist Rat erster Klasse, und die Oberstaatsanwälte am Kammergericht sind Räte weiter Klasse geworden. Wir hoffen, daß hiermit niht der Abschluß gemacht ist, sondern daß das nur eine ARMagaial ung gewéten ist, und daß die Justizbeamten die gleiche Stellung wie die Verwaltungs- beamten erhalten. Die Anstellung der Gerichtsvollzieher als Staats- beamte und die Gerichtêvollzieherordnung haben wir bekämpft, weil sie ihre Wirksamkeit beeinträchtigen würde. Allerdings kommt auch das red,t- suhende Publikum zu dieser ns{hauung. Das wird in einer Erklärung des Deutschen Handelstages zum Ausdruck gebraht. Die Geschäfts- ührung der Gerichtsvollzieher wird wesentlich dadur ershwert, daß ihnen nur noh bestimmte Bezirke zuerteilt werden, was früher nit der Fall war. Die Gerichtsvollzieher verlangen in einer Petition u. a. Verbesserung des Gehalts und der Pension und Enthebung aus der Klasse der Unterbeamten. Diese Forderungen \ind im wesentlichen berehtigt. Daß die Richter überlastet find, erkennen au wir an, und cbenso bitten wir, daß mit der Ausstellung von Armenattesten vorsihtiger vorgegangen werde. Mit der Einführung einer 8summa appellabilis fônnen wir nicht einverstanden sein, denn die verschiedenen Instanzen sind dazu da, daß die Rechtsuchenden fie benugen fönnen. îr den Kutscher, der fein kleines Gehalt einklagen muß, ist der A viel wihtiger, als für cine Aktiengesellshaft, die um Tausende flagt. Ich hoffe, daß es dem Minister gelingen möge, die Miß- stimmungen, die in den leyten Jahren über unsere Nechtspflege zu Tage getreten sind, recht bald zu zerstreuen. i Abg. Dr. Mizerski (Pole): Es kommt vor, daß sich eine ge- rihtlihe Praxis herausbildet, die mit dem Volkobewußtsein niht in Vebereinstimmung steht. Da ist es die Pflicht des Abgeordneten, die einzelnen Fälle zur Sprache zu bringen. Ein Buch: Was muß das polnische Kind wissen ? enthielt u. a. die Anwetsung, daß das polnische Kind volnisch lesen und schreiben und polnishe Geschichte lernen müsse. Der Verfasser ist \trafrehtlich verfolgt worden, weil ange- nommen wurde, daß er damit die Pflege der polnischen Sprache außerhalb der Schule gemeint habe, daß er also zum Ungehorsam gegen die Gesetze aufgefordert habe, da eine Regierungsverfügung über die Pflege der deutschen Sprache in der Schule besteht. Der Ver- fasser ift zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt wordzn. Der Redner be- handelt ferner den Fall einer strafrechtlihen Verfolgung eines Zeitungsartikels und bestreitet entschieden die Annahme des Ges rihts, daß in dem Artikel eine Aufreizung zu Gewalttätig- feiten zu finden sei. Gewiß sci der preußische ihter unbeftechlich und gewissenhaft, und es handle fich immer nur um einzelne solde älle; aber daß sie vorkommen können, liege daran, daß die- Richter E an dem politishen Kampf beteiligten, .und daß die Politik in die Gerichts\äle eingedrungen fei. Der Redner beshwert 1ch s\ließlich darüber, daß Polen mit Ordnungéstrafe belegt worden seten, weil sie vor Gericht nicht hätten deuts sprechen können. Justizminifier Dr. Beseler: : Meine Herren! Die Bemerkungen des Herrn Vorredners geben mir nur zu kurzen Ausführungen Anlaß; denn alles, was über die angeblich stattgehabte Rechtsprechung gesagt ift, kann von mir nit nahgeprüft werden, hon weil es an näheren Angaben feblt, und weil ih ohnehin die Entscheidungen der Gerichte und ihre Auslegungen der Gesetze gar niht zu ändern in der Lage sein würde. Was die Ordnungsftrafen wegen Nichtgebrauhs der deutschen Sprache anlangt, fo ist von jeher darauf hingewiesen worden, daß eine gewisse Vorsicht geboten ift. Das ift namentlich der Fall, wenn es sich um Eidesleistungen handelt. Da ih mich lange in zweisprachigen Provinzen aufgehalten habe, bin ich mebrfach in der Lage gewesen, darauf aufmerksam zu machen, daß, wenn jemand unter dem Eide etwas aus\agt, man sich Sicherheit verschaffen müfse, . daß er in der Tat voll verstanden habe, worum es fih handele, daß in dieser Be- zichung kein Zweifel bestehen dürfe. Ich glaube au sagen zu dürfen, daß das hinlänglich berücksihtigt wird. (Widerspruch bei den Polen.) Bei den in Frage kommenden Gerichten wird aber sehr bäufig die Erfahrung gemacht, daß Leute, die ganz gut deuts sprechen können, das nicht tun. (Widerspruch bei den Polen. Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen.) Da mag gesagt werden, was da wolle ; ih weiß es aus eigener Anschauung, daß das geschieht (sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen), und ich halte es für ganz richtig, wenn mit Nachdruck betont wird, daß das un- zulässig ist; denn unsere Gerihts\sprahe if deutsch; wer deuts kann, muß deuts sprehen, und wer sein Deutsch verleugnet, handelt ungebührlih. (Sehr richtig! rets.) Wenn also Ordnungs- strafen festgesezt sind, so ist das gewiß in vielen Fällen sehr be- gründet gewesen. Dann mache tch darauf aufmerksam, daß die Be- \{chwerde gegen solhe Beschlüsse im Gefeß geregelt ift, sie geht nämlich an das Oberlandesgericht, wie der Herr Vorredner zutreffend hervor- gehoben hat. Bestätigt das Oberlar.desgericht die Entscheidung, so ift die Sache im ordentlichen Rehtswege entschieden. Ich vermag nicht einzusehen, daß hier irgend ein Grund zur Beschwerde vorliegt. Nun möchte ih noch auf einige Punkte kommen, die andere der Herren Vorredner hervorgehoben haben. Ih will Punkt für Punkt vorgehen, damit die Herren überzeugt sind, daß ich allen Anregungen sorgfältig nahgehen werde. ; Es handelt sih zunähst um die Bekämpfung der Sozialdemokratie. Meine Herren, ih habe sofort, als die Sache hier ¿ur Sprache gekommen war, Veranlassung genommen, die Staatsanwälte auf den von mir vertretenen und für: richtig erkannten Standpunkt hinzuweisen. die Erörterungen innerhalb des Staats- minifteriums sein wzrden, kann ih natürlich niht wissen. Der sogenannte Plôgenseeprozeß ist mir früher nur aus den

worden. Mein Amtsvorgänger hat die Entscheidung darüber, ob der Strafantrag zurückgezogen werden solle oder nicht, lediglih dem Oberstaatsanwalt überlassen. Dieser hat dann so entschieden, wie es hier von dem Herrn Abgeordneten als niht angzzeigt hin- stellt worden ist. Die Gründe, die dazu geführt haben, kenne ih nit; aber ich muß annehmen, daß der Staatsanwalt für sein Vor- gehen nach seiner Meinung triftige Gründe gehabt hat. Etwas weiteres kann ih zur Zeit nit mitteilen, da ih Näheres nicht weiß.

Es ift der Wunsch ausgesprochen, es môge auf eine sorgfältigere Auswahl der Schöffen und auf die Gewährung von Entschädigungen an diese hingewirkt werden. Hierzu bemerke ih, daß ih sehr ein- gehende Erhebungen habe anftellen laffen, ob eine hinreihende Anzahl von Schöffen im Lande vorhanden sein würde, falls das Bedürfnis nach einer vermehrten Anzahl von Schöffen bei der Rechtsprechung hervortreten follte.

Die Frage der Entschädigung kann meines Erachtens nur ein- beitlich im ganzen Reiche gelöst werden ; denn es würde mißlich sein, in dem einen Staate an die Herren Geld zu zahlen, in-dem anderen niht. Aber, wie gesagt, das ift auch eine Frage, ‘die ¡ur Erroägung steht, und den Ausgang dieser Erwägungen kann ich unmöglich vor- hersehen. Ih für meine Person würde ' der Sache nit ablehnend entgegenstehen. i

Die Behandlung der Zuständigkeit der Gerichte in Zivilprozeß- fachen ist nach meiner Auffassung eine außerordentlich wichtige Frage ; denn wenn wir die Zuständigkeit für die Amtsgerichte wesentli erhöhen, erreihen wir eine große Entlastung der Oberlandes8gerichte. Heute beobachten wir überall ein starkes Anwachsen der Geschäfte, und es läßt si kaum übersehen, ob bei dem weiteren Wawsen stets die erforderlihe Zahl von geeigneten Richtern vorhanden sein würde. Durch die Erhöhung der Kompetenz der Amtsgerichte und die dadur bewirkte endgültige Erledigung dieser Rechts\treitigkeiten bei den Land- gerihten würde eine sehr wesentliche Hilfe entstehen. Eine solhe Regelung würde auch nach meiner Auffassung das Rechtsgefühl in keiner Weise verlegen. Wenn man zwei Instanzen hat, ift eine Garantie gegeben, daß die Sache sorgfältig geprüft wird. In Deutschland hat man bei der Gestaltung der Rechtspflege immer auf viel zu viel Instanzen ge- sehen und dadur die Prozesse verzögert. So ist es im alten gemein-

rechtlihen Prozeß gewesen, und wir kommen, wenn wir uns nicht be- shränken, auch noch dahin. Die «umma appellabilis ift eine offene Frage. Ich babe aller- dings nicht gesagt, daß ih ihr \ympathisch gegenüberstehe. (Zuruf : Es steht im Protokoll.) Ich weiß den Wortlaut nit genau, ih habe wohl gesagt, ih stehe der Frage niht ablehnend gegenüber, und habe mi dabei gestüßt auf das, was mir früher aus der Rhein- provinz mitgeteilt is, wo man die summa appellabilis hatte und damit zufrieden war. Ich weiß nicht, ob es zu einer solchen Bestim- mung bei uns jemals kommen wird, und ih will auch nicht sagen, daß ih in diesem oder jenem Sinne Stellung dazu nehme, aber der Ge- danke kann niht ohne weiteres abgelehnt werden. Dezentralisation der Gerichte! Das ift ein weiter Begriff. Ich werde natürlich bestrebt sein, die Geschäfte unter sämtliche Gerichte des Landes möglichst gut zu verteilen. Wie es im einzelnen gesehen soll, kann ih hier in Kürze nicht entwickeln; das würde zu weit führen. Daß die Richter in bezug auf Schreibarbeit entlastet werden, ist auch mein Wuns. Wir sind dabei, die Sache zu prüfen. Auch die Einschränkung der Register bei den Amtsgerichten entspricht meinen Wünschen. Nach den dankenswerten Anregungen in der Kommission habe ih alsbald angeordnet, zu prüfen, welche Register etwa entbehrt werden können, und es foll mi freuen, wenn es recht viele find. ; i Der Herr Abg. Keruth hat auf die Danziger Verhältnisse hin- gewiesen. Es mag richtig sein, daß dort viel zu arbeiten ift; aber in anderen Orten if es au der Fall. Es trifft si oft unglücklich, daß Herren mit s{chwacher Gesundheit an solchen Gerichten sind. All- gemeine Schlüsse lassen \sih aber daraus nicht ziehen. N Die Frage der Einführung des Dienstaltersystems für die Richter gibt augenblicklich noch ju Prüfungen, Berechnungen und Erwägungen Anlaß. Im Prinzip bin ich für die Einführung dieses Befoldungs- systems und ih werde dafür eintreten, sobald ih sehe, daß es für die Richter vorteilhaft ist. Z Die Gleichstellung der Richter mit den gleihartigen Verwaltungs- beamten ist ein Wunsch, vem ih für meine Person natürlich keines- wegs entgegen bin... (Bravo!) Diese Frage betrifft aber das Justiz- refsort nit allein; sie wird erörtert und erwogen werden. Das Gr- gebnis dieser Erörterungen vermag ih nicht vorauszusehen. I für meine Person werde, wie ih son eben erwähnte, dafür eintreten. Die Gerichtsvollzieherordnung hat zu großen Klagen Anlaß ge- geben. Das alte Verfahren mit den früheren Erekutoren war ein sehr unglücflihes. Das seit dem Jahre 1879 eingeführte Verfahren der Ge- rihtsvollzieherordnung hat si im allgemeinen bewährt. Man hat es aber aus den verschiedensten Sründen geändert, Heute sind haupt- fählich die Gründe angeführt worden, die gegen diefe Aenderung sprechen. Es gibt aber auch ret viele Gründe, die dafür anzuführen sind; sie alle sollen nochmals ab ovo geprüft werden. (Sehr gut !)

von Ausdrücken, wie anfahren, anschreien, anschnauzen. Ruhe ift die

Voraussezung für die Unparteilichkeit des Vorsißenden. Es ist auf-

fallend, daß es gerade die Entlastung8zeugen sind, auf die sich der

Zorn der Richter entlädt. Zum Schluß fragt der Redner an, wann

man die s{on vor 18 Jahren in Aussicht gestellte Neuregelung der

rihterlihen Anftellungsverhältnifse erwarten dürfe.

Abg. Marr (Zentr.): Ih möchte Schuß und Beistand des Ministers gegen den Shmuß in Wort und Bild anrufen. Dieser Schmuy wird in erster Linie durch die sogenannten kleinen Wigblätter verbreitet, die man überall auf der Straße und vor den Bahnhöfen kaufen kann

und die besonders seit der lex Heinze an Verbreitung zugenommen haben. Die Hauptstärke dieser Blätter beruht in den Anzeigen, die fi in jeder Nummer finden. Ih habe mir vor dem Anhalter Bahn- hof Nummer 4 des „Kleinen Wißblattes“ gekauft und auf einige Annoncen geschrieben. Allerdings habe ih dabei nicht geschrieben, daß ih E S Ener und Landrichter bin. Es ist allerdings ge- fährlih, an diesen Dingen Kritik üben zu wollen. ; Hat doch vor einigen Wochen in Münhhen einer der Sachverständigen gesagt: Wenn jemand bei Betrachtung dieser Bilder einen unzüchtigen Gedanken in fich regen fühlt, so muß er hon ein ganz besonderes Schwein sein. Was i auf obige Offerten als ganz fremder Kunde Sie werden mir wohl glauben, daß ih ein ganz fremder Kunde war

erhielt, ist derartig, daß ih es hier nicht öffentli beshreiben mag. Fh werde einen Katalog auf den Tisch des Hauses legen, damit ih die Herren mit eigenen Augen überzeugen- können, bis zu welhem Grade von Verworfenheit wir hierin gelangt sind; was hier geleistet wird, ist aanz unglaublich. Pariser Landschaften, französische Landschaften! Aber von Landschaften ist nichts zu sehen: es sind die reinen Schweinereien. Daß diese neuesten Kataloge auch die neueste Sitte der Unzucht, den Flazellantismus, Sadismus usw., besonders bevorzugzn, ift ja klar. Ich habe mir dann für 1,20 #4 aus München 40 kleine Bilder shicken lassen, die in München als künst- lerisch freigegeben sind. Auf die materielle Beurteilung der Bilder will ih mih hier nicht einlassen, ich verweise auf eine Schrift: „Die graphishe Reklame und die Prostitution“, die kürzlich in Münchea erschien. In ihr wird nachgewiesen, daß diese Bilder nah dem Leben aufgenommen und in keiner Richtung irgend- wie geeignet sind, der Kunst wirklich zu dienen. Die Leute wollen ih auch gar nicht an die Künstler wenden, denn }onît würden sie die Annoncen nicht in die kleinen Wig\lätter segen, sondern an die heránwachsende Jugend. Der Abz. Münsterberg hat gesagt, das deutshe Volk könne stolz sein auf cin Blatt wie die «Jugend® ; das isi nicht richtig, auh die „Jugend“ bringt in jeder Nummer sole Annoncen. Otto von Leixner hat das Unheil allmählich immer näher ko:umen sehen und hat hon im Jahre 1903 in einer Reihe von Artikeln in ber , Täglihen Rundschau* diesen Shmut bekämpft. Darauf antwortet der „Simplicissimus*, daß er solhe Annoncen nicht bringe. Das war zwar nicht rihtig, aber feitdem hat er wenigitens folhe Annoncen nit mehr gebracht, aber die Jugend" bringt fie noch heute. Man

fann ja nun vielleiht sagen, die Nedaktion wisse niht, was die

Annoncen bedeuten, aber warum finden sih die Anzeigen nit in den

„Fliegenden Blättern“ usw. ? In den leßten Nummern des „Kleinen

Wiyblattes“ finden sih mindestens 20 solher Anzeigen von „französischen

Landschaften“ usw., dazu rehne ich noch gar nicht einmal die Annoncen,

die sich mit Gummiartikeln, Schwächezuständen u]w. beschäftigen.

Diese Bilder usw. werden sogar in Schulklassen herumgereicht. In

einer Stunde kann dadurch die ganze Mühe der Erziehuag vernihret

werden. Die „Hamburger Nachrichten" brachten einen Artikel gegen den „Simplicissimus* und ähnliche Blätter, ebenso die Münchener „All- gemeine Zeitung", der „Tag“, die „Berliner Neuesten Nachrichten“. Auch der Goethe- Bund bat si dagegen g-wandt. Der Minister hat nun dankenêwerterweise hon Erwägungen darüber jugesagt, ob das Straf- esezbuh geändert werden kann. Man fann aber auch mit dem bis- Teeigen Geseg vorwärts kommen, es muß allerdings angewendet werden. Ich verlange eine strenge Anweisung an die Staatsanwalt- schaft, daß überall mit Energie vorgegangen wird, denn die schon er- lassene Anordnung hat nichts gefruhtet. Da die meisten Firmen, die diese Dinge vzrtreiben, im Auslande sigen, so kann man gegzn he nur die Postsperre verfügen. Aber bei dem fieberhaften Betrieb der Post ift es gar niht mögli, daß die einzelnen Postbeamten auf die einzelnen Sendungen ahten. Zudem führen diese Firmen einfa vier oder fünf verschiedene Namen. Ausreichea würde aler: ings die strifkte Anwendung des § 184 St.-G.-B,, aber er muß energisch gehänd- habt werden. Es müssen die Herausgeber, Verleger und Drucker folher kleinen Wigblätter und - die Verbreiter der Bilder gefaßt werd-n. Im vollen Bewußtsein meiner Verantwortung ]age ih: die Staatsanwaltshaften würden viel energischer vorgehen, wenn ihre Bemühungen nicht so oft an der Laxheit der preußishen Gerichte scheiterte In einer Sache der „Zeit am Montag“ gegen Scneidt urteilten die beiden Landgerichte in Berlin verschieden. Fn einem Falle ift ein Buchhändler zu, jage und shceibe, 20 M derurteilt worden! D1s Gewissen des deutshen Volkes muß auf- gerüttelt werden gegen diese Gefahr, dann werden die Richter auch strenge Strafen verhängen. Die Sittlichkeitsvereine müssen unter- stüßt werden. Das MReichsgeriht hat erfreulicherweije ia einem Falle geurteilt, wo es sich um Bilder aus dem Pariser Salon Pa telt daß es auch Unzüchtigkeiten in der Kunit gebe ; Reichensperger meinte, man müsse unterscheiden zwischen der Darstellung des unbekleideten menschlihen Körpers und der auSzezogenen Frau. Wir im Hause sollten diese Gedanken verbreiten mit dem Mute des cristlihen ‘Mannes. Es handelt sich um unfer Köstlichstes, um unsere Jugend, um Tugend und um Sittlichkeit.

Justizminister Dr. Beseler:

Meine Herren! Ich habe hon vorhin betont, daß ih die bobe Wichtigkeit der Frage, welche der Herr Abg. Marx eben behandelt hat, voll anerkenne; ich habe au darauf hingewiesen, daß mein Herr Amts- vorgänger bereits eine Anweifung erlassen hat, um dem Uebel, auf welh:8 der Herr Abgeordnete nahdrücklihst hingewiesen hat, entgegen zutreten. Ich werde ießt nochmals an die Staatsanwaltshaften die- selbe Anweisung erlassen, da ja der Herr Abgeordnete bemerkt hat, die frühere heine noch zu wenig gewirkt zu haben. i:

Der Herr Abgeordnete hat fodann die Tätigkeit der preußischen

Hiermit glaube ih, alle Punkte erledigt zu haben. (Bravo !)

Goethes Tasso sagen muß: verstummt.“ Der moderne V und foaar zu ider ed qule E er es als éinen Vertreter ins Parlamen ickt. 7 Anzahl Beschwerden über die Behandlung der Zeugen vor Gericht vorzubringen. Zunächst sind die Warteraume für | ; eng, sie müfsen dort tundenlang warten, um vielleicht eine ganz kurze Aussage zu machen. Da müßte bei Neubauten von Justizgebäuden gründlich Abhilfe geschaffen werden. Die neue Zeit mit ihren Errungenschaften ist am Gerichtswesen fast ohne Einfluß vorüber- gegangen, mindestens müßten zur i Stenographen herangezogen werden. Die Zeugenvernehmung, der Voruntersuhung ist N und ost unpassend. Häufig finden Widersprühe in den Aussagen bei der Voruntersuchung und den Verhandlungen ftatt. Als in l einen Zeugen auf diesen Widerspruch aufmerksam erklärte der Zeuge, der Untersuhungsrichter _ habe ihn angefahren. Ein anderer Vorsitzender stüßte die Arme au; den Tisch und fragte den Angaeklaaten barsch: „Nun wollen Sie au noch einmal die Zeugen fragen ?* Der Angeklagte verwies ihn aber auf die Strafprozeß- ordnung, und nun mußte der Vorsigendt nahgeben. Ich habe pen Vorgang, dem ih beiwohnte, als reuße \hmerzlich empfunden. Aber nicht nur das Publikum urteilt so charf darüber, sondern auch Juristen. Der Vorsitzende hat niemand anzufahren, weder den Zeugen, noch den Sacverständigen, noch den Angeklagten, noch den Geri tsdiener. Schon Tacitus zählt die Höflichkeit niht bei den Tugenden der

Mensch hax genug Melegenheth zu reden

Zeitungen bekannt geworden; wie ih jeßt erfahren habe, war die Sache \. Z. auf Antrag des Oberstaatsanwalts eingeleitet und weiter geführt

Deutschen auf, und wir haben ja auch in unserer Sprache eine Fülle

j l (fr. Vag.): Die Zeit is vorüber, wo man mit | Aba, Br oe m uzeos 7 wenn der Mensch in feiner Qual |

dähler, indem er Ich habe nun als solcher eine !

für die Zeugen dunkel, | Protokollierung der Zeugenaussagen | in |

Als in einem Falle ein Vorsitzender | . machte, |

Gerichte fritisiert und ihnen laxe Handhabung vorgeworfen. Es ist | au cine Reihe von Fällen angegeben, in denen dies hervorgetreten sein soll; ich kann mir darüber ein Urteil nit bilden, weil ih die ' Prozesse niht kenne und das Material niht geprüft habe. Ich kann nicht bestreiten, daß hier und da ein Urteil ergangen sein wird, welches möglicherweise anders hätte ausfallen fönnen, je nahdem diefer oder jener Richter es sprah. Aber na meiner Erfahrung, die ih | fann es wohl sagen eine ziemlich weitgehend? ist und jedene- falls fich über viele Jahre erstreckt, kann ich durhaus nit anerkennen, daß cine Larheit in dem von dem Herrn Abgeordneten angegebenen Sinne vorgekommen wäre. (Abg. Peltasohn: Sehr rihtig!) In der Allgemeinheit weise ih diesen Vorwurf entschieden | zurück. Ih möchte annehmen, daß die Begründungen der Urteile | des Reichsgerichts, die der Herr Abgeordnete anführte, auch von den preußishen Richtern sehr sorgfältig gelesen und erwogen werden, und ih bin nicht im Zweifel darüber, daß das Reichsgericht bei dem hohen Ansehen, dessen es sich erfreut, wesentlichen Einfluß auf die preußische Rechtsprechung ausübt.

Was der Herr Abgeordete gesagt hat wegen der Benachrichtigung der Vereine auf ihre Anträge um Rückgabe derjenigen Bildwerke, die sie etwa einreichen, so bemerke ih, daß die Antragsteller nah unserer Strafprozeßordnung, wenn nicht eingeshritten wird, auf ihren Antrag ' einen Bescheid erhalten müssen. Wenn eingeschritten wird, ergibt sich der Bescheid durh das Urteil. Wenn in Fällen, wo bestimmte Er-