1906 / 53 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 02 Mar 1906 18:00:01 GMT) scan diff

Fürst begangen hätte, wäre zu einer gauz empfindlihen Geldstrafe verurteilt worden. In Breslau hat man seitens des Gerichts die

inkriminierten Artikel ges{hwärzt (der Redner zeigt das betreffende

nicht mit Drucktershwärze, deren man fc doch sogar in Rußland bedient. Es wird avf allen diesen Gebieten erst besser werden, wenn der

heutige Klassenstaat zerfallen ist.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nicberding:

Meine Herren! Der Herr Vorredner bat seine Ausführungen mit der Versicherung ges{lofsen, daß er und seine politishen Anhänger fortfahren würden, der deutschen Justiz kein Vertrauen zu enken. (Zurufe links.) Das bâtte er nicht zu beteuern brauen, davon war ih von vornherein überzeugt, und ih würde glauben, in dem Augen- blik von dem rihtigen Wege abzukommen, wo mir von jener Seite aus bekundet würde, daß es in der Justizverwaltung anders geworden sei, wie es bisher gewesen sei, daß man dort auf der linken Seite nun in der Lage \i.h befinde, der deutschen Justiz Vertrauen zu schenken. Alle Aeußerungen über unsere staatlichen Verhältnisse, diz von Ihnen ausgehen, bezeugen ja immer wieder, daß Sie sich mit den Auf- fassungen, die außerhalb Ihrer Partei über die Ziele und Be- dürfnisse des Staatslebens vertre‘en sind, absolut niht ver- tragen können. Ich sage, ih verstehe es, daß sie unserer Justiz Ihr Vertrauen niht gewähren wollen, aber ih bestreite ganz entschieden das, daß die deutshen Arbeiter dieses Vertrauen in unsere Justiz niht haben. (Zurufe von den Sozialdemokraten.) Das wissen Ste nicht besser. Sie wünschen nur sehnlich, es wäre so, wie Sie behaupten. Wenn man das Leben und Treiben ansieht da draußen in der sozialdemokratishen Bewegung, wenn man sieht, und das seben die Arbeiter auch und sehen es nit nur, sondern emvfinden es au —, was dort an Einseitigkeit, an Parteilichkeit, ja, an Terrorismus ih breit mat, dann, glaube ich, wird der deutsche Arbeiter, wenn er die ruhige Tätigkeit unserer Gerihte und die un- befangenen Entscheidungen der Richter vor fh sieht, überzeugt sein, daß si unter dieser Rechtspflege immer noch besser leben läßt, als unter demjenigen, was wir zu erwarten hätten, wenn die Anschauungen, die draußen im Lande von der Sozialdemokratie verbreitet werden, maßgebend werden sollten azr§ in den Anschauungen der reht- sprehenden Instanzen. Meine Herren, was Sie auch fagen mögen: an Loyalität, an Ekrlichkeit der Ueberzeugung, an Ge- sezmäßigkeit, an Unparteilichkeit wird der deutsche Richter, so wie er in dem jetzigen, von Ihnen o genannten „Klassenstaat“ urteilt, immer turmho§ erbaben sein über den NRickhtern, die künftig im fogenannten Proletariekstaat urteilen würden. (Zurufe von den Sozialdemokraten.)

Das sage i zu den allgemeinen Ausführungen, mit denen der Herr Abgeordnete geschlossen hat. Die einzelnen, von ihm berührten Fälle werde ih nit berühren, kann ih auch nit berühren; das war ein Durceinander von Tatsachen und Urteilen, von Einfeitigkeiten und Irrtümern, die ich unmögli vor diesem hohen Hause erörtern könnte, ohne Ihre Geduld auf die höchste Probe zu stellen. Ich habe nur einige Worte zu sagen zunä&st zu dem, was der Herr Abgeordnete in feinem Vortrage gegen mich richtete.

Er kam zu meinen Bemerkungen gegen den Antrag, der die Zu- stärdigkeit der Shwurgerichte ausdebnen will auf die Preßdelikte au in Norddeutshland. Er meinte, diese Erklärungen wären von mir wiederholt worden und so bestimmt abgegeben worden lediglih, weil es mir darauf ankäme, die Presse mögli&st unter dem Knebel fo äbnli drüdte er si aus zu halten. Meine Herren, ih bin ver- möge meiner amtlichen Stellung allem fremd, was irgendwie an Strafverfolgungen der Presse auf Grund der geseßlihen Vollmachten der Staatsanwaltshaften in Deutschland i ereignen kann; ih babe damit nichts zu tun. Ich habe au niemals bier im Hause, auch jenen Herren gegenüber niemals, etwas gesagt, was fo gedeutet werden könnte, als wenn ih besondere Srmpathien mit Preßverfolgungen bätte. Ich bin in dieser Beziehung, glaube id, immer unbefangen gewesen und babe mib nie leiten lassen, werde mi in Nechtsfragen auch nie leiten lassen von einer Voreingenommenheit gegen irgend eine Partei. Wenn der Herr Abgeordnete aber dennoch dazu kommt, mir vorzu- werfen, ih sei nur durch den Wunsch, die Presse möglichst unter dem Knebe!, unter der Kandare zu balten, dazu veranlaßt worden, mich so bestimmt gegen die Erweiterung der Zuständigkeit der Schwurgerichtez auszusprehen, so kana ih das nur dadurch erklären, daß es ja eben viele Herren gibt, die, wenn fie sih das Verhalten anderer nit beßer deuten können, einem Motive untershieben, die möglichst uns{ôn find; und ein unschônes Motiv ist das, das der Herr Ab- geordnete mir entgegengehalten hat. Ich überlasse e8 der Beurteilung seiner eigenen Partei, ob er dazu NYeranlafsung hatte.

Der Grund für meine Haltung gegenüter dem An- trag auf Erweiterung der Zuständigkeit der Schwurgerichte ist do ein sehr einfacher. Ih habe ein lebhaftes Inter: daran, diese Reform des Strafprozesses, die ja aub auf allen Seiten dieses hohen Hauses dringend gewünscht wird, mögli zu fördern. Weil ih dieses Interesse habe, wünsche ich auch in jeder Weise, für diese Arbeit alle Hindernisse vorweg aus dem Wege zu räumen, die uns unsere Aufgabe noch mehr erschweren können. Ih weiß es aber und Sie können es mir glauben, meine Herren —, daß die Ausdehnung der Sc{hwurgerichtskompetenz ein \{werer Stcin des Anstoßes sein würde, und ih wiederhole es, daß der Antrag Ablaß keine Auësiht hat, von seiten der bohen Regies rungen angenommen zu werden. Weil ih das weiß, weil mir auf jener Seite, wo dieser Antrag unterstüßt wird, dieses an- seinend immer noch niht geglaubt wird, weil die Folge davon sein würde, daß dann die Strafprozeßreform be- sornters große Schwierigkeiten durcklaufen und voraussihtlih \&eiicrn würde, wenn an dem Antrag festgehalten wird, deshálb, mzire Herren, habe ih diesen Punkt so bestimmt hervorgehoben, aus keinem anderen Motiv, wie der Herr Abg. Stücklen mir das unteriîtellt bat.

Der Herr Abgeordnete bat dann die Verhältnisse des Gefängnis- wesens terührt, und ich möchte zu diesen Ausführungen einige Worte sagen, weil fcenît vielleiht die Auffassung der Regierung falsch ge- deutet werden fönnte gegenüber den angeblihen Tatsachen, auf die er sh bier berusen bat.

Meine Herren, der Herr ständen in der Strafanstalt fann auf die Einzelheiten Wir fkönncn unmögli, wären, hier die Verkältrifse

Abgeordnete ifff von den Zu- zu Neu-Ruppin auêgegangen. Ich seiner Arsführungen nicht eingehen. auch wenn wir kompetent dazu einer einzelnen Strafanstalt

auf Grund der, wenn sie auch noh so gut gemeint sind, doch ein-

ie | seitigen Ausführungen eines eordneten beurteilen. Dazu würde beïchlagnahmien Blätter der Redaktion wieder zugestellt, aber de ; e ioheung Ma y

unter allen Umständen gehören, daß die Regierung in der Lage ift,

a t+ de8 H it Kt | führungen vorher zn kennen, damit sie mit Hilfe ihrer Blatt unter großer Heiterkeit des Hauses vor), und zwar mit Kienruf, ! diese Aus 1hrung , ait unter gon 4 Ñ Organe prüfen kann, ob in der Tat ktie Behauptungen des Herrn

Abgeordneten richtig sind. Jh bezweifle nicht, daß er fie in Loyalität vorgebracht hat; ich bezweifle aber, daß er sie hier vorbringen würde, wenn er über die Verbältnisse wirklich orientiert wäre. Wenn es ihm darauf ankommt, tie Verhältnisse der Neu-Ruppiner Straf- anstalt hier erschöpfend und rihtig darzulegen, dann müßte er selbft den Wunsch haben, uns vorher Mitteilung zu machen, damit wir an der Hand unserer Wahrnehmungen dem Hause sagen fönnen, wie die Dinge wirklich liegen. (Sehr richtig! rechts.) - Davon ist der Herr Abgeordnete natürli sehr weit entfernt. (Sehr gut! rets.)

Meine Herrrn, die Verhältnisse der Ruppiner Strafanstalt find vor einiger Zeit im preußischen Abgeordnetenhause Gegenstand der Besprechung gewesen; dort gehören sie auch hin, und die Unterhaltung im preußishen Abgeordnetenhause hat dem preußishen Herrn Justiz- minister, dem das Ruppiner Gefängnis unterstellt ist, Veranlassung gegeben, die Dinge näher zu untersuchen. Da möthte ich zunächst, niht indem ih auf die Einzelheiten, die der Herr Abgeordnete an- geführt hat, eingehe das kann ich eben nit —, aber im allgemeinen konftatieren, daß, wenn man aus den Ausführungen des Herrn Abgeortn:ten s\{chließen wollte, für die AO beiten, die in dem Gefängnis ausgeführt werden, ganz er- beblih niedrigere Preise gezahlt werden, als für die gleihen Arbeiten außerhalb der Anstalt, dies fals sein würde. Die Differenz der Whne, die für die Gefangenen in der Anstalt gezahlt werden, und für die Leute, die außerhalb der Anstalt in Freiheit dieselbe Arbeit verrichten, betcägt etwa 10% dur@schnittlib im ganzen Bes triebe. nit für Unterkunft und Beköstigung zu sorgen baben, während der freie Arbeiter, aus dem Ertrage seiner Arbeit èoch seinen Unterhalt und sein Unterkommen bestreiten muß; wenn man ferner erwägt, daß der freie Arbeiter, weil er ges{hult ist, besser arbeitet als der Arbeiter in der Anftalt, der zu seiner Beschäftigung vielfa herangezogen wird, ohne vorher in gleicher Art tätig gewesen zu fein, dann wird man dcch unmögli sagen können, daß eine Differenzierung der Löhne um 10 9% zwischen der Arbeit in freier Tätigkeit und der Arbeit in Gefäng- niffsen eine unbillige ist. Meine Herren, eine solhe Bebauptung müßte doch anders bewiesen werden als dur die na meiner Meinung unrichtigen Ausführungen, die der Herr Abg. Stüklen gemaht hat. Ich kann nur wiederbolen, was ih neulich {hon erklärte, das Bestreben der Verwaltungen geht dahin und ihr lebhaftestes íInteresse ist darauf gerichtet, die Arbeit im Freien nicht zu \{hädigen, niht zu unter-

rücken, die Stellung der freien Arbeiter nicht zu verschlechtern, da- dur daß die LWhne in der Gefängnisarbeit heruntergedrückt werden.

Der Herr Abgeordnete hat sih auf die Beshlüfse des Bundes8- rats berufen, die dieser bezüglich der Beschästigung der Gefangenen zum Schuße der freien Arbeiter gefaßt hat. Es ist ganz rihtig, was er angeführt hat. Nach meinen Wahrnehmungen find auch die Gefängnisverwaltungen in Deutschland seit einiger Zeit überall darauf betadt, diese Beshlüsse, soweit es bisher noch nicht der Fall gewesen sein sollte, praktisch zur Wahrheit werden zu lassen. Ih bin auch überzeugt, nahdem erst im vorigen Fahre im preußischen Abgeordnetenhaus die Nerhältnisse diefer Ruppiner Anstalt einer Würdigung unterzogen worden find, find au in zem Gefängnis zu Neu-Ruppin die Arbeitsverhältnisse fstrengstens im Geiste und Sinne der Bes%lüsse des Bundesrats geordnet worden, und wenn der Herr Abgeordnete das bestreitet, \o möchte ih ißm anheimstelen, mir das Material für seine Be- hauptungen zu übergeben, ftatt es hier enfontrolliert und unkontrollierbar dem Hause vorzutragen. Ih sichere ihm zu, daß wir eine genaue Prüfung des Inhalts seiner Schriftstücke ein- treten lassen werden, und ich meine, den Interessen der Arbeiter würde dur eine solche Untersuhung mehr gedient werden als durch eine Rede, wie wir sie eben gehört haben, die von feiner Seite gewürdigt werden fann, und deren Ausführungen wir unsererseits praktish nicht weiter zu verfolgen vermögen.

Der Herr Abzeordnete babe ich ihn verstanden —, nügend zu landwirtschaftlichen

hat dann gesagt so wenigstens die Gefangenen würden nit ge- Arbeiten herangezogen; das sei ja aub nicht mögli, denn die Beköstigung der Gefangenen sei eine so unterwertige, daß die Gefangenen die Arbeit im Freien gar niht aushalten würden. Meine Herren, das ist nah doppelter Nichtung nicht zutreffend. Die Beköstigung der Gefangenen in ten Strafanstalten unterliegt einer regelmäßigen{Kontrolle durch die Aerzte. (Zuruf bei den Sozialdemokcaten.) Wenn man behaupten will, daß die Aerzte niht genügend für die Nahrung der Gefangenen sorgen, fo ist das, meine Herren, ein Vorwurf gegen das pflihtmäßige Verhalten der Aerzte, den ih entschieden zurückweisen muß. Ih zweifle nicht, daß die Aerzte gewissenhaft und mit Wohlwollen für die Intereffen der Gefangenen forgen.

Die Behauptung enthält aber auch in anderer Beziehung eine Unrichtigkeit; denn nah der Statistik für die Gefängnisverwaltung des vreußishen Ministeriums des Innern, die ja jeder- mann vorliegt, weil fie im Druck veröffentliht wird, waren im Iabre 1903 bereits und das wird si, wie ich annehmen darf, inzwishen noch gesteigert haben in den Gefängnissen und Anstalten, die der preußishen Verwaltung des Innern unterstehen, im ganzen über 400, und nah einer Statistik, die im Justizministerium Preußens für die der Justizverwaltung untergebenen Gefängnifse auf- genommen ift, waren am 1. Dezember 1904, also woblgemerkt, meine Herren, in Winterszeit, in den Gefängnissen der Justizverwaltung 642 Gefangene mit ländlichen Arbeiten befaßt,“ d. B., meine Herren, man darf annehmen, daß nach cinem gewissen Durchschnittssaß über 1000 Gefangene tatsählich in den preußishen Gefängnifsen und An- stalten mit ländlichen Arbeiten ‘im Freien befaßt sind. Und da, meine Herren, fiadet \sih bier im Hause ein Redner, der behauptet, die Be- föstigung der Gefangenen sei so s{chleckcht, daß sie für die Beschäftigung der Gefangenen im Freien niht au8reihend wäre. Diese Behauptung, meine Herren, gegenüber den Tatsfachen, die ih konstatiert habe, über- lasse ich rubig dem Urteil der öffentlichen Meinung. (Bravo! rets.)

Akg. Kir \ ch (Zentr.): Zwei Anträge, beide vom 21. Februar dieses Fabres datiert, fordern die Gewährung von Diäten an Schöffen und Geshworene. Unter dem Antrag der beiden NVolfksparteien finde ih

noch den Namwen Sartorius als Mitantragsteller, es dürfte das nur der Geist dieses verflossenen Kollegen sein. Aber au

Wenn man erwägt, metne Herren, daß die Gefangenen dos |

sonst halte ich unseren Antrag für den besseren, weil er nur das Prinzip auespriht, während der freisinnige auch davon spricht, daß die eiziehung minderbemittelter Staatsbürger ermöglicht wird. Soll/ etwa im Gese ausdrüdlih bestimmt werden, d Minder- bemittelte heranzuzieken find? Es foll doch wohl nur Motivierung sein, daß dur die Entschädigung die Heranziehung Minderbemittelter ermögliht wird. Der freisinnige Antrag sagt ferner, daß noh vor der Reform der Stxafprozétorbnung Be Entf GGlguno eingeführt werden soll. Aber die bezüglihe Bestimmung enthält nicht die Strafprozeßordnung, sondern das Gerichtsverfassungsgeseßz, worauf in richtiger Weise ide Antrag Bezug nimmt. Unser Antrag ist auch

ritiger, weil-er nicht von Tagegeldern, sondern nur von einer Eat-

schädigung dieser Zeitversäumnis spricht. Danach kann die Entschädi- gung je nah den geschästlichen Verlusten verschieden bemessen werden. Unser Antrag verdient also den Vorzug vor dem freisinnigen. Der Abg. Molkenbuhr meinte, meine ne sollten den LToleranzantrag zurü@ziehen und dafür lieber den Antrag am Zehnhoff bezüglich der Bestrafung geringerer Eigentumsvergehen mit Geldstrafe wieder ein- bringen. kann versichern, daß wir den Toleranzantrag nicht zurüziehen werder. Der Abg. Müller-Meiningen glaubte uns einige vergnügte Stunden bereiten zu können, wenn er aus seiner NRaritäten- sammlung ein kleines Bukett vorlegen würde von Fällen, in denen Kunstwerke aus Gründen der Sittlichkeit verurteilt worden sind. Wir baben hier Ernsteres zu tun. Eine vergnügte Stunde wurde mir nur seinerzeit durch einen poetischen Erguß des Abg. Müller- Meiningen bereitet. Die beiden Fälle, die er allein anführte, find absolut nicht \tihbaltig. Er behauptete, das Domkapitel in Mainz oder auch die Mainzer bischöflihe Verwaltung babe die Aus- stellung gewisser Bilder in einem Laden verboten. Ist denn dieser Laden der einzige in Mainz, wo solche Bilder ausgestellt find? Die Sache liegt eben anders, sonst hätte ja die bishöflide Verwaltung dafür sorgen müssen, daß folck&e Ausstellungen in ganz Mainz ver- boten würden. Der Betreffende hatte von dem Domkapitel in der Nähe des Domeingangs einen Laden gemietet und darin diese Bilder au8gestellt. Der Vermieter hat das Recht, dem Mieter etwas in der gemieteten Wohnung zu untersagen. Fch kann verstehen, wenn in der Nähe einer Kirche derartige Produkte, auch wenn fie Kunst- rodukte sind, niht ausgestellt werden können; denn die Kirchgänger

tollen ih sammeln und nicht mit anderen Gedanken in die Kirche gehen. Auch in dem Fall eines Blattes aus Südbaden hat der Abg. Müller- Meiningen den Namen des Blattes nicht angegeben, sondern nur nah der „Frankfurter Zeitung" zitiert. Es fehlt uns jede Nachricht, wo die Notiz gestanden hat, und selbst in welhem Jahre es gewesen ist. Ver- schiedene Ansichten über ten Geshmack sind doch auch bei Leuten vorhanden, die nicht auf dem Boden des Abg. Müller-Meiningen stehen, und vor allem kann der Artikel eines einzigen, niht genannten Blattes niht gegen uns angeführt werden. Mit der bloßen Tatsache, daß darin über das Ziel hinausgeschossen sei, kann man die Not- wendigkeit der Bestrebungen der Sittlichkeitsvereine nicht beseitigen. Im Vene Abgeordnetenhause hat neulich der Abg. v. Campe bei der Besprehung der Tags von Klostergenossenshaften als Gesellschaften mit beschränkter Hastung gesagt, daß vielleiht der Reichstag in der Novelle über die Rechtsfähigkeit der Berufsvereine ein ultramontanes KuCEuck8ei ausbrüten könne, aus dem die Jesuiten hervorgehen könnten. Ob es s{ön ift, in einem anderen Parlament so vom Reichstag zu sprechen, überlafse ih Ihrer Kritik, aber sach li muß sagen, daß diese Eintraguag_ religiöser Ge- nossenschaften erfolgt is, weil f sich mit der “Pflege von en B und anderen Kranken beschäftigen. Von Provinzialverbänden waren ihnen jährlihe Unterstüßungen nur zugebilligt, wenn sie Korporationsrechte besäßen; daraufhin haben die Genossenschaften die Eintragung beim Amtsgericht beantragt und dann die Zuwendungen der Provinzialverbände erhalten. Solche Ein- tragungen kommen auch bei evangelishen Diakonifsenvereinen vor. Ih hoffe, daß der Staatssekretär aus diejen zum Teil von Un- fenntnis zeugenden und einseitigen Ausführungen im Abgeordneten- bause keine Notiz nehmen, sondern uns den Gesetzentwurf über die Necbtsfähigkeit der Berufsvereine vorlegen wird. Mit den von dem sozialdemokratishen Redner zur Begründung des BVorwurfs der Klassen- justiz vorgebrahten einzelnen Fällen ist gar nichts zu machen. Dazu bâtte cer uns den Tenor von Gerichtsurteilen mit der Begründung bor- legen müssen. Wenn er glaubt, damit den Vorwurf der Klafsenjufliz begründen zu können, fo irrt er fih gewaltig; mit allgemeinen Reden8- arten ist gar nihts zu beweisen. Aus jener Aeußerung des Abg. Windthorst vou 1887, daß ein Rihter im Beratungszimmer gesagt habe, daß cin Angeklagter {hon so viel vorbestraft sei, daß es nun auf ein Jahr Strafe mehr oder weniger nicht ankomme, [läßt sih ab- solut nit folgern, daß Windthorst sih für die S{hwurgerichte aus- gesprochen hat; denn die Strafabmessung ist nicht Sache des Laien- richter, sondern des Berufêgerihts. Wenn wir auh den Artrag Ablaß ablehnen, so steht doch ein großer Teil meiner Freunde auf dem Standpunkt, daß die Schrourgerichte durch die sogenannten großen Schöffengerihte nicht erseßt werden follen. Bei der Einführung der Schwurgerihte Anfang des 19. Jahr- bunderts berrschte derselbe Streit wie jeßt darüber. Wenn wir große Schöffengerichte einführen , so maden wir ein Experiment; wie sie sich bewähren werden, ist schr die Frage. Um die Shwurgerichte zu verdächtigen, ist von kolossalen Feblsprüchen gesprochen worden. Die Sprüche der Schwurgerichte sind dem Ober- lande3gerihtspräsidenten vorzulegen. bin überzeugt, wenn eine Zusammenstellung der Feblsprüche in Preußen veröffentlicht würde, daß die Zahl niht annähernd so groß sein würde als die Zahl derjenigen Urteile von Strafkammern, die durch die Revision als Fehlsprühe bezeihnet worden find. Das unrichtige Urteil der Schwurgerichte wird auch_ dadurh zum Teil gefördert, daß bei den Schwurgerihten gewi]se causes célèbres hervor- gerufen werden, die in_ der Oeffentlichkeit Aufsehen erregen,

während Prozesse von Strafkammern häufig unbeachtet bleiben. Nach alledem glaube ich, daß die Reichzjustizverwaltung mit Recht dem Vorschlage der Kommission für die Strafprozeßordnung in dieser Beziehung nicht zugestimmt hat. Die Beschlüsse dieser Kommission sind nah keiner Seite bindend. Ih wünsche aber, daß die Revision der Strafprozeßordnung bald zu einem Entwurf führen möge, der uns alle befriedigt. 1 , : Abg. Dir k\en (Rp.): Die Angriffe der Sozialdemokratie bat

der Staatssekretär hon zurückgewiesen. Es ist s{chwer, sich mit den Herren über juristishe Fragen zu unterhalten, da sie meist nit die nôtige juristische Vorbildung haben. Warum beklagen sich die Herren, weil sie meist in die Lage kommen, sih gegen die Gesetze zu verfehlen. Andere Parteien haben sich mehr in der Zucht und geben weniger Anlaß zu einem Vorgehen. Daß Ghrenkränkungen {chwerer bestraft werden als bisher, habe ich allerdings neulich gewünscht. Dieser Wunsch wird auch von Anderen geteilt, um dem Duellwesen entgegen- zutreten. Der Abg. Kunert hat neu getagi daß ihm meine Aeußerungen über den Staatéanwalt in Mey unklar geblieben seten. Fch habe ganz deutlich gesagt, daß ih es nicht verstehe, wenn ein Staatsanwalt Hand in Hand geht mit der Sozialdemokratie. Ih babe ausdrüdlih- herborgehoben, daß meine Quelle die „Lothringer Volkszeitung“ sei. In einer anderen Zeitung, der „Lothringischen Bürgerzeitung*, stand eine andere Version , wonach der Staatsanwalt nur von links\tehenden Parteien gesprohen hat. Danach würde ich mein Urteil eins{hränken iden und fann nur sagen, daß der Staatsanwalt ein geringes politishes Verständnis gezeigt hat. Der Abg. Kunert hat mir hinsihtlich meiner Aeußerungen über das preußishe Wahlrehtsystem mit Unrecht Vorwürfe gemaht und mich in nicht gewissenhafter Weise zitiert. Ich muß seine Angriffe zurückweisen. Der Abg. von Gerlach Fennt die Dienstboten- verbältnifse auf dem Lande sehr wenig. Ich habe ihn mit meinen Ausführungen über die Einführung von Dienstbotengerihten nur ironisieren wollen. Die Dienstboten in den Städten find wesent- li schledter daran als die Dienstboten auf dem Lande. Der Abg. von Gerlach hat mir den Vorwurf gemacht, ih verstände von der Sache so viel wie ein gewisses Tier vom Lauteschlagen.

(S{hluß in der Zweiten Beilage.)

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Ih will ihm auf das zoologische Gebiet nit folgen. Daß aber meine Auffassung über die Stellung des Adg. von Gerlah zur Sozial- Demokratie nicht unrichtig ist, beweist sein Artikel im ,„Tag* : Bürgertum und Sozialdemokratie ( Der Redner zitiert diesen Artikel.) Dieser Artikel wurde am 13. Februar veröffentlicht, - meine Rede hielt ih am 20., am 18. stand in der „Staatsbürger-Zeitung“ ein Bericht über eine Ver- fammlung, der meine Auffassung bestätigte. Der Abg. von Gerlach ‘proklamierte nah .diesem Bericht ein Zusfammengehen mit der Sozial- demokratie in der Bekämpfung des Dreiklassenwahlsystems. Die Sozial- demokratie, sagte er, fei die einzige Partei, mit der man zusammen- ehen könne. Der Vergleich mit dem Tier, welches keinen Beruf zum Zauteschlagen hat, trifft also bei mir nicht zu. Der Abg. Müller- Meiningen hat behauptet, daß ih zu der lex Heinze geshwiegen hätte. Das ist volllommen unrichtig. Ich habe gesogt, wenn die verbündeten Regierungen Bedenken tragen, den Weg der Gesehgebung zu be- reiten infolge des traurigen Schicksals, das die lex Heinze er- [itten habe, so könne ih es ihr nicht vzrargen. Jch sagte weiter, man Fönnte vielleiht die Fehler der lex Heinze vermeiden, aber ihr Ziel im Auge behalten. Der Abg. Müller warf mir Schroffheit in meinen Ausdrüken vor; er selbst aber hatte die \4ärfsten Ausdrücke gegen die ‘deutshe Justiz. Wie wenig ih die Gefahren der Pornographie über- trieben habe, ist mir inzwishen von mehreren Seiten bestätigt worden. Gestern erhielt ich von einem Oberlehrer in Mühlhausen eine Zu- \{rift, worin er mir schreibt, ich hätte die Verhältaifse eher zu ünstig geschildert. Von 46 auswärtigen Firmen waren 31 deutsche Inhaber. 52 deutsche Firmen befinden sich meist in den großen Städten. Die Bewegung gegen den Shmug in Wort und Bild er- greift immer weitere Kreise. Jch erinnere in dieser Beziehung auch an einen Artikel des „Tag“ vom 24. Februar. Im preußishen Abge- ordnetenhaufse_ haben nicht nur Vertreter der fonservativen Partei gegen den A Stellung genommen, sondern auch Vertreter der Linken, wie Peltasohn und Münsterberg. Manche Geschäfte machen _tinen Umsaß von jährlich 10 Millionen. Gegen einen Folchen Schmuß follten sich alle Parteien zusammerfinden. § 184 B. G.-B. genügt niht. Es sind mindestens Anweisungen an die Staatsanwälte notwendig. Dr.-Kämmer macht den sehr beahtens- werten Vorschlag, Sachverständigenkammern einzurichten, zu denen nit allein wissenshaftlihe Sachverständige, sondern auch Lehrer, Aerzte, Erzieher und Frauen hinzugezogen werden. Man darf folche Dinge nicht bloß mit dem Auge des Juristen und des Künstlers an- sehen. Wir brauchen gegen die Pornographie geseßlihe Vorschriften lan! e Basis, ein Gesetz, das die Fehler der lex Heinze ver- Abg. Kaempf (fr. Volkep.): Dem Antrag wegen Vereinfahun und Vertilligung dcs Wechselprotestverfahrens durch den Abg. T kann ih mich vollständig anschließen. Es muß endlih einmal den Formalitäten dieses Verfahrens ein Ende gemacht werden, von denen einige als Kuriosa direkt ins Naritätenkabinett gehören. Dazu gevark daß jeßt die Feststellung, daß der VBezogene in feiner obhnung nicht anwesend war, erst erfolgen kann, wenn ein Notar und die Polizei in Bewegung geseßt worden find. Außer durch die Gerichtévollzieher muß diefe Protesterhebung auch durch die Post erfolgen können ; aber dazu gehört, daß - die Post die Haftung über- aimemnt. Ih darf annehmen, daß der Staatssekretär des Reichspost- amts heute dieser Forderung nicht mehr ablehnend gegenübersteht. Hessen, Baden, Bayern, Württemberg haben ja inzwischen die Haftung ür die Versehen ihrer Beamtcn übernommen ; was für die süd- deutshen Staaten möglich war, muß auch für ganz Deutschland mögli sein. Daß die Postbeamten zur Aufnahme eines Wechsel- Hrotestes niht gebildet genug sein sollen, ift ein durhaus nit \tih- haltiger Einwand. Die Einführung des Postprotestes würde den alten Zopf abschneiden und endlih die Vereinfahung schaffen, die der Handelsstand seit mehreren Jahrzehnten erhofft.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Jch bin in der ançcenehmen Lage, den Herrn Vorredner beruhigen zu können. Unsere Verhandlungen über die Revision der Wechselordnung haben sich von vornherein auc auf die Frage der Protesterhebung durch die Postbeamten bezogen, in der Grkenntnis, daß ohne die Einführung des Postprotestes eine nach allen Richtungen genügende Revision sich niht würde durchführen lassen. Wir find zu dem Behufe mit der Reihsposiveiwaltung in Verbindung getre ‘en, und die Poslverwaltung das kann ih zu meiner Genug- tuunz konstatieren ist uns in ükeraus dankentwerter Weise ent- gegengckommen. Wir find ¿zwar mit den maßgebenden Stellen der süddeutschen Posten noch in keine Beziehunzen darüber eingetreten ; ih habe aber perjörlich f.inen Zweifel an deren entgegenkommender Auffaffung und hoffe, daß die Sacke in der auch von dem Herrn Abgeordneten gewünshten Weise ihren Abschluß finden wird. {Bravo!)

Abg. von Damm (wirtsch. Vgg.) : Das geseßlihe Erbrecht sollte

do endlih in der Weise eingeshränlt werden, daß die O S Seitenverwandten nicht mehr als unbedingt erbberechtigt gelten, es follten auch die Noterben beshränkt werden, wobei natürli die Testierfreiheit unbedingt unangetastet bleiben müßte. Heute ist es beinahe die Regel, daß bei dem geseßlihen Erbreht die Erbschaft an Leuie fällt, die unbedingt nicht die Erbschaft erhalten hätten, wenn der Erblasser ein Testament hätte machen können. Eine solche Reform würde cine große Zahl von Millionen einbringen und die neue Reichserbschas!s\teuer vielleiht ganz überflüssig mahen. Jch bitte daher, diesen Vorschlag zu berücksichtigen. 1 Abg. Heine (Soz.): Mit solchen Drohungen, wie jeßt der Staatssefretär sie anwendet, um die Preßsachen nicht an die Shwur- gerichte gelangen zu lassen, hat man allézeic operiert, wenn man einen Fortschritt hindern wollte. Jst etwa die Riform der Stra}prozeß- ordnung ein unverdientes Gischenk an das deutsche Volk? Besser, es bleibt beim alten Verfahren, als daß wir eine Verbesserung nur erlangen dur Opfer, durch Rükschritte, die sich später wie Bollwerke jedem weiteren Fortschritt entgegenstellen. Es ist beute eine Tatsache, daß das von uns abgelehnte Geseß wegen Beseitigung e fliegenden Gerichtsstandes der Presse ein leerer Schein ift. 8 Gejey läßt die Wiedereinführung des fliegenden Gerichtsstandes auf Umwegen zu. In einem von meinen Parteigenossen in Berlin an 14. Januar verbreiteten Flügblatt fand kein Berliner Staatéanwalt S was Anstößiges, aber jetzt ist deswegen in Magdeburg nit nur der ecbreiter, sondern auch der Verfasser des Flu blattes in Berlin an- ags worden. Da haben Sie den fliegenden Gerichtsstand. Wo ein ugblatt nur irgend hinkommt, fann ter Vafasser auf Srund der onnexi!at mit eirem ter Verbreiter angeklagt werden. Wie wir stolz auf die Ablehnung dieses Gesetzes gewesen sind, so werden wir au E sein auf die Ablehnung der çanze unzulänglihen Vorschläge der trafprozißordnungskommission. Das Vorverfahren hat die Kom- urros „noch ir quisitorisher gemaht. Sie will uns ferner mit einem opinarischen Verfahren b-glücken, das noch viel {lechter ist als die seinerzeit hier beantragte lex Rintelen. Danach soll ein An-

Zweite Beilage

L Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

Berlin, Freitag, den 2. März

Tat eingestcht,

können. drucks, der dem überwachenden

Schccckensjustiz erwünscht.

sih viele Angriffe çegen unser Strafprozeßverfahren Ein Parteigenofse, der in Königsberg wegen dts egen NRuß- land angeflagt war, wurde in Haft genommen, weil die Gefahr vor- läge, daß er nah Rußland entfliehen und fich in die Arme der zarischen Justiz retten könnte. Die Strafprozeßordnungskommission will nun künftig die Gründe, die den Fluchtverdaht rechtfertigen, „akten- kundig“ gemacht wissen. Das ist so die Wonne der Juristen. Akten- fundig, d. i. zwei Zeilen mehr geschrieben, und die Sache ist gere{ht- fertigt ! Das bietet nit die geringste Garantie gegen Mißbrauch. Man will ferner eine Berufung gegen die Strafkammerurteile geben aber sie ist absolut wertlos, weil sie niht mit dem Ret der Beweis- aufnahme verbunden ist. Der Angeklagte kann zwar seine Zeugen auf seine Kosten nach dem entfernten B dort kommen lassen, aber die Berufungskammer_ braucht die Zeugen niht zu vernehmen. Im ganzen Volk herrsht Sehnsucht nah der Berufung gegen Strafkammer- urteile, aber bei dieser Berufung wird man bald sagen: Hätten wir lieber keine Berufung. Der heutige Zustand wird sogar noch ver- s{limmert, denn der Staatsanwalt kann nah dem Kommissions- vorshlag, wenn der Angeklagte Berufung eingelegt hat, au nah Ablauf der Frist eine Anshlußberufung einlegen, damit, wie die Kom- mission offenherzig erklärt, E Revisionseinlegungen bestraft werden können. CEinsichtige Männer haben die frühcren Strafen für mutwilliges Appellieren beseitigt, aber jeßt nah 100 Jahren wagt es eine Kommission von Beamten, Parlamentariern und Juristen, eine solhe Maßregel wieder mit ihrem Namen zu decken. Der Angeklagte, der Berufung einlegen möchte, muß also immer Angst haben, daß ihm in der zweiten Instanz ers recht was draufgelegt wird. Jch habe wiederholt mit_ angehört, wie Amtêrihter Leuten, die gegen einen polizcilihen Strafbefehl Berufung eingelegt hatten, direkt mit einer hôheren Strafe drohten, wenn sie nicht den Widerspruch zurückzögen. Wenn das bei Bagatellsahen ge- schieht, wie dann erst in Sachen, wo die Leidenshaft mitspielt! Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die \c1iftliche Begründung der Geschworcnenurteile einen Borzug bilden würte, höchstens für die Vermehrung des Schreibwerkes. Glauben Sie, daß die Geshworenen, die seinerzeit den „Simplicissimus* freigesprohen haben, nicht ihre Gründe dazu gehabt haben? Jhr Urteil {eint mir gereter, als das Urteil der gelehrten Richter in Ea und Stultgart über einen gewissen derben Spott und gewisse Sittlichkeitsfanatiker. Daß die süddeutshen Geschworenen uns den „Simplicissimus“ erhalten haben, darin erblicke ih eine nationale Tat. Der „Simplicissimus*“ ist kein Blatt für Kinder, Wiy und Humor sollen nicht auf das Niveau der Kinderstube gebracht werden. Vor den geschriebenen Gründen der Berufsrichter steht oft der juristische, vor allem aber der gesunde Menschenverstand fil. Der Abg. Stadthagen hat -neulich von vorher geschriebenen Urteilen gesprochen. Das ea von der rechten Seite des Hauses bezweifelt zu werden. Das ift aber wahr. Ein Rechtsanwalt in Berlin sah in den Akten sogar die Bemerkung: Durch die Vernehmung der Zeugen ist crwiesen und steht ta!sählich fest usw. Solche Band aer finn ih aus meiner E FeRO bestätigen. Jh mußte, als ih in die Justiz eintrat, vor der Schöffensißung das Protokoll abfassen und sogar die Zeugenausfagen aufnehmen. Ich habe mich geweigirt, das zu tun. Landgerichtêdirektor Freitag in Breslau arbeitete nah demselben Rezept. Es kam zu einem Eklat, und was geschah? Er käm an das Dberlandesgericht in Naumburg und nachher an das Reichsgericht. Dieselben Leute, die jede kleine Formverleßung bestrafen, erlauben \sih hier ganz dreist solche Verleßungen ter bestehenden Vorschriften. Die gelehrten Richter leiden vor allem an einer bureaukratishen Verknöte- rung und daran, daß sie si, von thren eigenen politischen Leiden- schaften beberrsht, als Partei fühlen. Daß die politishen Prozesse einen Verteidiger, der auf Recht und Wahrheit hält, verbittern müssen, will ih nicht bestreiten. Gegen einen Vagabunden oder gegen zwei keifende Weiber Gerechtigkeit zu üben, ift kein Kunfststück, aber wo es sich um politische Parteileidenshaften handelt, da soll der Nichter zeigen, ob er wirklih Richter oder Partei ist. Gewiß frempeln sich die Richter niht die Aermel auf und sagen : „Nun wollen wir einmal einen festen Rehtsbruh begehen“, aber sie Tommen leiht dazu, sich ein Del kt zu konstruieren. Moi Richter verlange ih, daß er nicht nur den guten Willen, sondern au die Kraft bat, sih seiner subjektiven Parteileidenshaft zu entäußern. Nah der sähsischen Judikatur gelten die Sozialdemokraten ihrer Ueberzeugung wegen als minderberechtigt. Der Abg. Dirksen ist ja schr empfindlich gegen Beleidigungen. Er hat das au vor der Deffentlichkeit gezeigt, und er verlangt eine Verschärfung ter Strafen. Was follen wir erst sagen, die wir täglih mit Smut beworfen werden? Der Redner erinnert an den Bergarbeiterprozeß Krämer und an das Urteil gegen den Breélauer Redakteur Loebe. Das Urteil in diesem Prozeß war von politischer Voreingernommen- heit dikftiert. In Stargard erblickte das Amtêgericht in einer Stelle eine Aufreizung zur Gewalttätickeit: Erhebt euch, ihr Massen, eilt zu den Versammlungen und abonniert auf die sozialdemokratischen Zeitungen. Was wir über solche Urteile denken? Na, das werden Sie si wohl selber sagen. Wenn wir der Justiz glauben follen, was sie sagt, dann mag fie aber au einmal anfangen, an die politishe Ebrlihfeit der Gegner zu glauben. Solange das nicht geschieht, werden wir nicht an die Ghrlichkeit ter politishen Justiz glauben. Es kann keine gerechte politishe Justiz geben. Gewiß können au die Geshworenengerichte falsche Utteile fällen, wenn sie über politishe Gegner zu Gericht fißen. Die Konsequenz aber wäre, die politishen Prozesse überhaupt abzuschaffen. Was hat man denn davon, wenn der Gegner für einige Monate mundtot gemacht is. Die Betroffenen haben das Gefühl : „Für uns gibt es kein Necht, wir stehen nicht vor dem Richter, sondera vor dem Feinde“, gegen den offenen ehrlihen Kampf fann man moralisch nichts einwenden. Wenn aber der Richter unter der Toga der Gerechtigkeit das Schwert des Feindes trägt, \o kann er die A&iturg vor der Justiz nicht erhöhen.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Ich habe das Bedürfnis, einige Worte auf die Anklagen zu sagen, die der Herr Vorredner gegen die deutsche Justiz erhoten hat. Jch glaube, er hat vielfah Worte gebraucht, die, wenn er es sih ruhig überlegt, und wenn er immer den Tatsachen gebührend Rechnung tragen will, wie ich das annehme, er fie niht gebrauchen würde. Wie er ja {hon gleich anfangs seirer Bemerkungen auh mir gegenüber sêine leidenschaftli@e Haltung bekundet hat. Er hat“ mi bezihtigt, ich hätte an das Haus Drohungen gerihtet, und als ih dieses Wort abwehrte, hat er das Wort wiederholt: „Ja, Drohungen, Herr Staatssekretär!* Wenn alle hier gehörten Aeußerungen des Abs geordneten fo zutreffend find wie die, dann bedauere ich ihn. (Sehr

cründen.

geflaater, der wegen Vergehens auf frisher Tat crgriffen ist oder die

ch bt, innerhalb 24 Stunden von einem Ei Schöffengerichts ohne Zuziehung von Shöffen ic rug Dann kann jeder Oer wegen eines Aus/ Kg 4 i endarmen nicht gefällt,

nächsten Amtsrichter innerhalb 24 Stunden ab A abarurtrilt gten ohne daß der Mann fich auch nur einen Anwalt nehmen ann. Das wäre allerdings E De E einer prompten eber den tslosen Untersuhungshaft durch unsere Justiz herrscht Meru wp

1906.

das Recht, vermöge meiner amtlihen Pflicht, zu sagen, wie ih die Dinge auffasse. (Sehr rihtig! bei den Nationalliberalen.) Ih habe immer getan ohne Ums{weife, ehrlich und aufrichtig; ich war verpflichtet, in der Frage, die hier zur Verhandlurg ftand um das Haus keine Irrwege gehen zu sehen, zu sagen, wie voraus. sihtlich die verbündeten Regierungen zu der Sache stehen würden. Wenn der Herr Abgeordnete nicht mehr wünscht, daß so etwas vom Regierungstis{ gesagt wird, möge er die Anregung geben, daß die Vertreier der Regierung überhaupt ih entfernen; denn dazu sind sie da; wenn sie die Auffassung der verbündeten Regierungen: niht mehr bekunden dürfen, sind sie überflüssig. Wenn der Herr Abgeordnete Aeußerungen, wie ih sie getan habe, als Drohungen bezeihnet, so hat er niht so gesprochen, wie er den tatsählihen Verkbältnissen gerecht wird, und wenn alle seine Auffafsungen so wenig tatsählihen Boden haben, so würde ich nit begreifen, wie der Herr Abgeordnete kei ruhiger Ueberlegung zu solchen Extravaganzen, will ih mal sagen kommen fann. (Sehr gut! rechts.) :

Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat unsere Justiz hart mit- genommen, indem er eine Anzahl von Fällen aus der Praxis hier vorgeführt hat, die er dann mit mehr oder minder vorsihtigen Worten verallgemeinerte. Wir haken im Jahre in Deutschland allein in der Strafrechtspflege etwa 4000 Entscheidungen von Schwurgerichten wir haben, wenn ih nit irre, etwa 100 009 Urteile vor ten Land- gerihten und wohl das Dreifache an Urteilen seitens der Shöffen- gerihte. Daß da bei einer solchen Anzahl von Urteilen auch mal fehlgegriffen wird, daß unter den Männern, die zu urteilen berufen sind, hier und da auch einer leidenschaftlichen Auffassung Raum gelaffen wird, ja, daß es auch vorkommen fkann, daß im einzelnen Falle cin ungerecktes Urteilswort gesprohen wird das gebe ih ohne weiteres zu; das kann bei einer solchen Zahl von Gerichts\sprühen niht auffallen und der Justiz im allgemeinen nicht zur Schande gereihen. Wenn der Herr Abgeordnete in seinen Be- \huldigungen gegen die Justiz wirkli unparteiisch sein wollte, mußte er hervorheben, daß die Fälle, auf die er Bezug nahm, nur Aus- nahmen darstellen; niemals wird er behaupten dürfen, daß die deutsche Justiz im ganzen nach diesen Beispielen handle.

Der Herr Abgeordnete hat angeführt, es würden falshe Protokolle aufgenommen; er hat auf Fälle hingewiesen, in denen Urteile bereits entworfen waren, ehe der Spruch des Richters gefällt war; er hat behauptet, daß in einzelnen Fällen in die gerihtlißen Protokolle die Zeugenaussagen s\ck{on hinein- geseßt worden seten, bevor die Zeugen vernommen worden wären ungeheue:lih in meinen Augen aber er erzählte das alles aus nicht e nes Ausnahmefall, den man bedauern und ver- urteilen muß, fondern zur Charakteristik der deutschen Fustizpflege. (Hôrt ! hört! rechts.) Er hat gemeint, die E Tee Gerihte wären in vielen Fällen parteiisch, und hat vor allen Dingen verlangt, daß die Gerichte sich frei maten von politishen Vorurteilen, denen sie jeßt unterlägen. Ja, Herr Abgeordneter, von dem Stantpunkt Ihrer Pa1tei aus, tas Verlangen der Freiheit von politischen Vorurteilen! (Zuruf von den Soz.) Er hat sogar gemeint, es würde in der Behandlung der politischen Gegner vor den Gerichten unehrlich verfahren unehrlich, meine Herren ! Es wären Schufte, die das tun. (Sehr richtig! bei den Soz. Glocke des Prôsidenten.)

: Aber denno, der Herr Abgeordnete wagt es, zu sagen, daß ei Nechtsprehung folher Art in Deutschland ‘Plat O E wagt es, zu behaupten, daß Fälle, die er hier angeführt hat, wie er fagt, typisch feien für unscre Justiz. (Hört! hört ! rechts.) Was heißt das anders, als daß der Regel nach in der deutshen Justiz in folcher Art verfahren wird! (Zuruf rets.) Meine Herren, ih bin zu entrüstet über diese Art und Weise, unsere heimishe Justiz hier im Hause herunterzureißen, als daß ich die rihtigen Worte dafür finden kann. Aber ich will toch ausdrücklich hier festnageln wie er sich dazu hergegeben hat, mit unzweideutigen Wendungen die E e n einer Weise {chlecht zu machen, daß das Ausland arr werden muß, wenn es das hört. (Sehr richtig! Mitte und bei den Nationalliberalen.) Lea E ea Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat uns besonders emphatisch vorgehalten, daß es vor allen Dingen darauf ankäme, der Ehrlichkeit und der Wahrheit zu dienen; Wahrheit sei dem deutschen Volk vor allem vonnôten. Ganz richtig! Aber will denn der Herr Ab- geordnete behaupten, daß der deutshe Richterstand nicht immer bemüht sei, der Ehrlichkeit und der Wahrheit in seinem Amte zu dienen? Es können Fälle vorkommen, in denen das leider nichti der Fall ist; ih bestreite aber entschieden, daß die deutshe Nechtspflege auf einem Standpunkt steht, der dem, was der Herr Abgeordnete als etwas Neues fordert, niht gerecht wird. Er hat uns auf ein Blatt aufmerksam gemacht, das ich hier nicht nennen will, weil ih mich zu seinem Ruhmesredner nit machen möchte; er hat uns, indem er dies Blatt nannte, vorgehalten, das deutishe Volk gebrauche ein Blatt, indem die Wahrheit unumwunden autgesprohen würde. Ja, meine Herren, ich möchte ihm erwidern: Die deutsche Arbeiterbevölkerung braucht vor allem die Wahrheit und eine Presse, die sie verkündet, und wenn der Herr Abgeordnete eine Entrüstungs8- und Warnungsrede halten will, dann möge er seine Rede rihten an die sozialdemokratishe Presse; denn Ehrlichkeit und Wahrheit find nirgends geringer vertreten als in dieser Presse. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen ; lebhafte Unruhe und Widerspruch bei den Sozialdemokrater.) Hierauf wird Vertagung beschlossen. Es folgen persönlihe Bemerkungen der Abgg. Stücklen und Heine, die sih gegen Mißverständnisse des Staatssekretärs ver- wahren. Schluß gegen 6 Uhr. Nächste Sißung Frei Galas r Etatsberatung.) M a D

gut! rechts und bei den Nationalliberalen.) Ich habe hier im Hause

= So 9p A S