1906 / 60 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 10 Mar 1906 18:00:01 GMT) scan diff

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weléhe die Reichspostverwaltung dur die Postkonvention Baden hat zu teil werden lassen. Der Staatssekretär sagte, daß nur maßgebend sein soll für die Anstellung der böberen Postbeamten Alter und Qualifikation. Wir in Baden halten dies do nicht für ganz rihtig. Wir haben do ein Vorzugsreht auf die Beseßung der dortigen Stellen na der Konvention. Im badischen Landtage hat früher shon ein Vertreter der Regierung das bestehende Verhältnis gerügt, wenn der Minister von Marschall au das Verfahren der Neichspostyverwaltung gebilligt hat. Wir haben ja nichts dagegen, daß unsere Beamten au einmal im übrigen Reich tätig sind. Sie dürfen aber niht dort bleiben, sondern müssen zu uns zurückehren. Mit der Entwicklung unseres Landes hat die Entwicklung des Postwesens, namentli die Verwandlung der Postämter in höhere Klassen, nicht gleihen Schritt gehalten. Diese Zurückseßung hat etnen Stachel zurückgelassen. Wir vertreten hierbei keine partikularistishen Fnteressen, sondern wir nehmen nur berehtigte Interessen wahr. Mag die Reichspostverwaltung bald eine Besserung eintreten lassen. (Beifall.)

Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke:

Ich muß auf die soeben gehörten Ausführungen in derselben Weise wie gestern hier erklären, daß absolut kein Grund vorliegt, der Reich3postverwaltung vorzuwerfen, daß fie in Baden bei Besezung der Stellen, bei Vermehrung der Aemter, nicht in derselben Weise vorgeht wie im übrigen Reichépostgebiet. Jh muß weiter den Vor- wurf entschieden zurückweisen, daß von der Verwaltung niht nach der Konvention verfahren werde, insbesondere daß die badishen Beamten niht so avancieren wie ihre Kollegen im übrigen Reichspostgebiet. Ich habe bereits gestern Zahlen gegeben und möchte au heute dem hohen Hause einige Zahlen anführen.

Nah dem Stande vom Mai 1905 waren im Großherzogtum Baden 207 Stellen vom Oberpostdirektor bis zum Postmeister vor- handen, davon waren 159 mit Badenern, 46 mit Nichtbadenern beseßt, 2 Stellen waren unbeseßt. Von badischen Landesangehörtgen hatten nach dem Stande vom Mai v. I. 103 die höhere Verwaltungs- prüfung bestanden, davon waren in Baden 90, außerhalb Badens 13 beschäftigt. Ich habe gestern auch bereits angeführt, es könne nicht verlangt werden, daß Badener, die niht dazu geeignet sind, in die höheren Stellen kommen, sondern hierbei müsse in erster Linie entsheidend sein, ob die Anwärter die nöôtige Befähigung für die höheren Stellen haben. Die Badener können doch nit in der Weise begünstigt werden, daß sie in Stellen kommen, die sie nit ausfüllen können. Also dieser Vorwurf ist ungerechtfertigt. Und wenn der Herr Vor- redner si auf den Minister von Marschall bcruft, der früher eine ab- weihende Erklärung abgegeben habe, so muß ih ihm ins Gedächtnis zurück- rufen, daß auch der Staatsminister von Brauer in früheren Jahren die Erklärung abgegeben hat, die Reichspostverwaltung gehe voll- kommen loyal vor, und man könne nicht verlangen, daß gewisser- maßen eine Anciennitätsenklave für die höheren Beamten in Baden geschaffen werde.

Was das Verhältnis der Zahl der Postämter erster Klasse in Baden und im Reichspostgebiet betrifft, so bestanden solhe Aemter im Jahre 1872 in Baden 16, im Jahre 1905 21; es hat also eine Vermehrung um 31,2 9/ stattgefunden. Im sonstigen Reichspostgebiet waren im Jahre 1872 542, und im Jahre 1905 752 Postämter erster Klasse vorhanden, das ist eine Vermehrung um 38,7 9/0; alfo der Unterschied ist au bezüglich dieser Aemter nur gering. Jch habe bereits gestern ausgeführt, daß man mit der Vermehrung der Aemter in den einzelnen Landesteilen niht prozentweise vorgehen kann, sondern daß man den tatsächlihen Verhältnissen und Bedürfnissen Rechnung tragen muß.

Nimmt man die Telegraphenämter erster Klasse, so hatte Baden im Jahre 1877 na der Vereinigung der Telegraphie mit der Post 2 solcher Aemter, im Jahre 1905 deren 5; es hat also eine Vermehrung um 1509/6 ftattgefunden. Im übrigen Reichspostgebiet baben im Jahre 1877 42 Telegraphenämter erster Klasse bestanden, im Jahre 1905 89; die Vermehrung beträgt hier also nur etwa 1120/0. Die gesamte Vermehrung der Verkehrsämter erster Klasse aller Kategorien hat, wie ih hon gestern ausgeführt habe, in Baden 40 9/6, im übrigen Neichspostgebiet 42,9 9/0 betragen. Solchen Zahlen gegenüber kann man doch niht behaupten, Baden sei nah der Richtung hin vernachlässigt worden; das is eine Behauptung, die absolut unhaltbar ift.

Wenn der Herr Vorredner weiter angeführt hat, es hätte viel Mühe gemacht, bis in Karlsruhe das fünfte Postamt eingerihtet worden sei ja, meine Herren, es wird im Reichstage viele Herren geben, die in Orten wohnen, wo neue Postämter au erst nah längerer Zeit, nah eingehendster Prüfung der Bedürfnisfrage eingerihtet worden sind. Was Pforzheim anbetrifft, so weiß der Herr Vorredner vielleiht nit, daß die mit dem Postamt vereinigte Telegraphenbetriebsstelle in Pforzheim unter den Telegraphenbetriebs- stellen dieser Art erst an sechster Stelle steht, also vor Pforzheim gibt es im Reichspostgebiet noch fünf Betriebsstellen, die, obgleich bedeutender als diese, noch nicht umgewandelt worden find. Ein selbständiges Telegraphenamt hat in Pforzheim son deshalb noch nit eingerichtet werden könnea, weil bis jeyt keine Möglichkeit war, den nötigen Erweiterungsbau auszuführen, der aber dieses Jahr auf dem Etat steht und ausgeführt werden foll.

Nach alledem muß ih mi dahin resümieren, wie ih das gestern bereits getan habe: alle diese Vorwürfe und Anklagen gegen die Reichspostverwaltung entbehren jedes Grundes.

Abg. Das ba ch (Zentr.): Es ist sehr bedauerlich, daß die Antwort des Staatssekretärs auf die Anregung des Abg. Marcour wegen Revisionen des Postzeitungstarifes so durhaus ablehnend ausgefallen ist. Eine richtige Bemessung der Gebühren kann nur nah der Leistung der Post bei der Beförderung ermittelt werden; der jeßige Tarif berücksihtigt zwar Gewicht und die Grscheinung8weise des einzelnen Blattes, aber in keiner Weise die Entfernung. Dadurch entstehen die größten Ungerehtigkeiten; die Entfernung von Königsberg na Basel wird nicht teurer berechnet als die von Berlin nach Potsdam. Die Post soll keineswegs weniger bekommen, als ibr der jeßige Tarif einbringt; wir würden sogar nichts dagegen haben, wenn die Post etwa 10 9/6 dabei verdiente. Bei der Abschaffung der Privatposten hät man sich ausdrücklih dje Würdigung der mit dem neuen Tarife zu machenden Erfahrungen" vorbehalten ; jeßt ist die Zeit gekommen, diese Erfahungen zu verwerten. Wenn der Staats- sekretär erklärt, an ihn sei keine Klage gekommen, so ist das sehr er- klärlih, aber die Zeitungsverleger und Zeitung8eigentümer baben sehr häufig und sehr nacdrücklih ihre Klagen an die Oeffentlichkeit ge- bradt. Der Staatssekretär meint, die S2che sei nit so leit durch- zuführen, wie wir dähten. Zeitungen sind aber keine Briefe, da brauht man ebensowenig wie bei den Paketen ein Einheitêporto. Heute werden gerade die kleinen Zeitungen übermäßig herangezogen, obwohl sie den Hauptteil ibres Abonnentenstandes innerbalb der ersten Zone, innerbalb der ersten 75 km haben. i

Abg. Merten (fr. Volksp.) : Der Abg. Erzberger hat uns bei unsern Resolutionen unlautere Motive untergesWoben und uns vorgeworfen,

wir trieben unehrliche Politik; es ist jedenfalls neu in diesem Hause, wenn aus der Stellung von Resolutionen und Anträgen derartige unqualifizierbare Angriffe gegen andere Parteten unternommen werden. Wir nehmen allerdings an der jeßigen Steuersuhe nicht teil, wir lehnen au die vorgeschlagene Finanzreform ab. Wenn der Abg. Erzberger und das Zentrum die Einzelstaaten zu den Matrikularbeiträgen nah dem Maßstabe der Leistungsfähigkeit ningen beabsichtigen, so werden sie uns an threr Seite finden. arum sich der Abg. Erzberger über den materiellen Fnhalt unserer Resolutionen so ereifert, verstehe i überhaupt nicht. Ein Teil derselben deckt sich mit den Petitionen, denen die Budgetkommission zugestimmt hat, und die sie dem Reichskanzler zur Erwägung . überweisen will ; ein weiterer Teil der Anträge deckt mit der Anregung der Zentrumspartei, und nur ein kleiner Rest ist von uns allein eingebracht worden, weil wir sie im Interesse der aus- gleichenden Gerechtigkeit für notwendig hielten. Vielleicht hat er nur deswegen etwas dagegen einzuwenden, weil er nicht der Antragsteller is. Dagegen können wir seinem Antrag auf Abschaffung des Postanweisungsverkehrs an Sonntagen und ebenso dem wegen Nichtbestellung der Massendrucksahen, die am Vors» abend von Sonn- und Feiertagen aufgegeben werden, an diesen Tagen nicht zustimmen. en dritten Antrag der Resolution Gröber nehmen wir dagegen an, weil wir mit seiner Tendenz völlig einverstanden N Aus dem Oberpostdirektionsbezirk Köslin wird berichtet, daß der Er- olungsurlaub nicht über 3 Wochen ausgedehnt wird; das würde im Widerspruch stehen mit der Verfügung, wonach der Urlaub der über 60 Jahre alken Beamten auf 4 Wochen ausgedehnt werden kann. Die Verbesserungen der postalishen Einrihtungen Berlins erfassen leider nicht alle Teile der Hauptstadt in gleichmäßiger Weise, die Bewohner von Wedding und Gesundbrunnen verfügen troß einer Seelenzahl von 200000 nur über drei Postämter; und dabei beherbergen diese Stadtteile sehr bedeutende industrielle Etablissements, und andel und Verkehr haben dort ganz umfangreiche Niederlassungen. ie Zahl dieser Postämter steht in gar keinem Verhältnis zu dem wirtschaftlihen Aufshwung dieser peripherishen Stadtteile. Der Gesundbrunnen mit seinen 70 000 Einwohnern verfügt über ein einziges Postamt in der Stettinerstraße. Hier ist ein zweites Postamt eine unbedingte Notwendigkeit. Auch auf die Auswahl des Plaßes wird besondere Aufmerksamkeit zu richten sein. Der Staatssekretär hat ja mit seinen postalishen Einrichtungen in den Kolonien große Er- folge erzielt, er jollte diese doch auch auf Berlin ausdehnen, aber es scheint, als ob die Leute hier warten müssen, bis sie {warz werden. In dem Vorschlage des Abg. Patig, alle Resolutionen dem Reichskanzler zu überweisen, finden wir eine bedauerlihe Un- {lüssigkeit; man soll doch zu den Anträgen ja oder nein sagen. Wil! man sie überweisen, so bitten wir, unsere Resolutionen dem Reichskanzler nicht zur Erwägung, sondern zur Berücksichtigung zu überweisen.

Abg. Dr. Bedcker- Hessen (nl.): Die Verhältnisse unserer Postbeamten in den Kolonien sind noch niht ganz befriedigend, und es if zu wünschen, daß die Verwaltung thnen etwas mehr Jum Lan widmete. Die uns zugegangene Uebersicht gibt zwar Aufschluß über die Personalien dieser Beamten, aber nicht über die dienstlichen Verhältnisse bezügliGh der Dienststunden, die Sonntagsruhe , den Even Erholungsurlaub und dergleichen. Eine 6—s8 stündige Dienststundenzahl in den Kolonien stellt weit größere Ansprüche an die Beamten, als das in der Heimat der Fall ist. Sie müssen jährlich wenigstens einen angemessenen Urlaub in den Kolonien haben. Gegenüber den Gouvernementsbeamten stehen die Pn im Gebalt weit zurück. Vor allem soll man den Post- eamten, wie den übrigen Kolonialbeamten das Heiraten gestatten. Der Staatssekretär hat im vorigen Jahre diefer Anregung gegenüber h absolut ablehnend verhalten. Es gibt ja eine Reihe von Orten in unseren Kolonien, in die verheiratete Beamte zu s{hicken geradezu ein Verbrechen wäre; aber das sind nur Ausnahmen. In Ostafrika haben wir eine große Anzahl von Orten, die sanitär niht zurückstehen hinter den heimi!chen Verhältnissen, und es wäre doch sehr befremdlih, wenn da die Postverwaltung einen Standpunkt einnehmen wollte, der dem der sonstigen Kolontalverwaltung ganz entgegengeseßt ift, indem diese das Hinausgehen verbetrateter Beamten geradezu dadurch ermutigt, daß sie den Frauen freie Reise und Ueberfahrt gewährt. Die Zahl der Beamtenfrauen in Tanga, Daressalam* und anderen Orten ist keineswegs gering. Die Frau verträgt das dortige Klima sehr gut. Jedenfalls nimmt doch in dieser Frage der Reichstag eine gans andere Stellung ein als der Staatssekretär. Es müßten chône Beamtenwohnungen in unseren Kolonien eingerichtet werden.

Staatssekretär des Reichsposlamts Kraetke:

Ich möhte darauf erwidern, daß ih glaube, gestern hon aus8ge- führt zu haben, daß das Verheiratetsein auch für die Postbeamten kein Hinderungsgrund sein soll, in die Kolonien zu gehen. Jch habe aber, wie ich auch in der Kommission ausgeführt habe, {hon gesagt, daß die Verhältnisse betreffs der Postbeamten etwas anders liegen als bei den anderen Beamten: daß wir besonders junge Beamte binaus\chicken, daß die Beamten gewöhnlich niht mehr als eine Periode draußen zubringen, um dann ihre Examina hier abzulegen, daß der Poftdienst, der niht zu vermeidenden häufigeren Versetzungen wegen, eine besonders große Beweglichkeit verlangt. Das find die Gründe gewesen. Aber daß das Verheiratetsein an \ih künftig kein Grund sein soll, geeignete Bewerber auszuschließen, soweit es sich um Stellungen handelt, bei denen dienstlihe und örtliche Verhältnisse nicht entgegenstehen, das will ih hier aus\spreWen.

Der Herr Vorredner if dann darauf gekommen, daß die Gehälter der Posibeamten in den Kolonien anders bemessen seien als die der Gouvernementsbeamten. Das gebe ich ohne weiteres zu; daran ift bisber festgehalten, weil die Anfangsgehälter der Postbeamten höher bemessen sind als die der Gouvernementsbeamten. Die Postbeamten, die gewöhnlih nur zwei Jahre draußen find, kommen besser fort, wenn sie in jedem Jahr 6000 4 beziehen, als die Gouvernements- beamten, die, wie der Herr Vorredner rihtig dargelegt hat, im ersten Jahre 5400 und im zweiten 5900 « und erst in späteren Jahren höhere Vergütungen beziehen. Die Verbältnisse der Gouver- nementébeamten baben \sich inzwischen geändert. Früher bekamen diese die erste Zulage nach ¡wei Jahren, die übrigen Zulagen nah je 14 Jahren, jeßt sind diese Fristen verkürzt. Meinerseits steht dem gar nihts entgegen, die Gehälter der Postbeamten mit denen der Gouvernementsbeamten gleich zu bemessen. Es ift lediglih geschehen, weil die Postbeamten bei dem gegenwärtigen Svstem durshnittlih besser fortkommen als die Gouvernements- beamten; denn wenn die Herren am Schlusse der Statistik die Zahlen ansehen, .so haben 73 Postbeamte lediglih eine Dienst- periode und nur 10 eine zweite und 6 eine dritte durchgemacht. Diese lezteren würden zweifellos befser weggekommen sein, wenn fie nah den Grundsäßen der Gouvernementsbeamten behandelt worden wären. Ih werde die Sache von neuem prüfen.

. Zubeil (Soz.): Eine Dame bei Erfurt schrieb nah Philadelphia bei Storkow in der Mark. Dieser Brief ging nach Amerika und kam wieder zurück. So geshah es au ein zweites Mal. Es handelte sich um einen sehr ernsten Fall, um die Vor- bereitung zur Vermählung. Jm Januar d. I. erhielt Kollege Scheide- mann einen Brief aus Cassel mit der Aufschrift: Mitglied des Reichs- tags, Reichstag. Dieser Brief ging nach Rixdorf bei Berlin. Das Rirdorfer Einwohnermeldeamt erklärte: Der Reichêtag und Herr Scheidemann sind in Rixdorf niht zu finden. Nach einiger Zeit erhielt Scheidemann doch noch den Brief. Andererseits leistet die Post

der Polizei Schnüfflerdienst. Am 7. d. M. kamen in Schwerin drei pie an an die Adrefse des sozialdemokratischen Vertrauensmannes oß. Es waren darin unter anderm 255 „Wahre Jakobs“. Am nächsten Tage kam der Erste Staatsanwalt zu ihm und fagte, daß er Mitteilung von diesen drei Paketen erhalten habe. Gine Brief- sperre ist über Koß nicht verhängt. Es ist nur anzunehmen, daß zwishen der Polizei in Berlin und dem Ersten Staatsanwalt eia Abkommen besteht, daß Pakete und Briefe für den fozialdemo- kratishen Vertrauensmann unverzüglißh der Staatganwaltschaft in Schwerin mitgeteilt werden. Die Einrichtung der gehobenen Stellen {eint nur geschaffen zu sein, um der Günstlingêwirtshaft Tür und Tor zu öffnen. Seitdem in Schwerin ein neuer Postoirektor ist, kommen die Landbriefträger nicht mehr nach 15 Jahren,

sondern ers nah 18 Jahren in Schaffner- oder Stadtbriesträger-.

stellen. Jn Berlin rücken die Landbriefträger \{chon nach 10 bis 11 Jahren in solche Stellen ein. Die mecklenburgischen Landbrief- träger sind um 50 # s{chle{chter estellt als vor der fogenannten Gehaltsaufdesserung. Sie beanforuilen nah 15 Jahren daëselbe Ge- halt wie die Schaffner und Stadtbriefträger.

Staatssekretär des Reichspostamts Kraet ke:

Der Herr Vorredner hat der Postverwaltung in Schwerin den Vorwurf gemacht, taß sie in ungeseßliher Weise über Posisendungen Auskunft gegeben habe. Mir ist der Fall nit bekannt, und ich muß annehmen, daß der Herr Vorredner falsch unterrihtet is, und das Postamt nicht gegen die geseßlihen Bestimmungen verstoßen hat. Ich werde aber die Sache weiter verfolgen.

Damit {ließt die Diskussion.

Jn einer persönlichen Bemerkung verwahrt sich der

Abg. Erzberger dagegen, daß er der Freisinnigen Partei den Vorwurf gemacht habe, sie meine ihre Anträge nicht ernst. Von einer unehrlichen Politik habe er überhaupt niht gesprochen.

Das Gehalt des Staatssekretärs wird bewilligt.

Die Resolution Kopsh-Müller-Sagan, betreffend die An- rechnung der Militärdienstzeit bis zu 3 Jahren, wird dem Reichskanzler zur Berücksichtigung überwiesen; für diesen Antrag stimmen die Sozialdemokraten, Freisinnigen, National- liberalen und die Wirtschaftlihe Vereinigung. Denselben Beschluß. faßt dieselbe Mehrheit über die Resolution Kopsch - Müller - Sagan, betreffend die Vordatierung der Anciennität der in den subalternen Dienst übernommenen, früher bei der Gendarmerie oder Schußzmannschaft etats- mäßig angestellt gewesene Militäranwärter. Zur Er- wägung überweist das Haus die Resolution Kopsch- Müller-Sagan, betreffend die 11/2 fahe Anrehnung des Sonn- tags- und Nachtdienstes von 8 Uhr Abends ab. Die Reso- lution Kopsch-Müller-Sagan, welche die Vorlegung einer Denk- schrift über die Wirkungen des Dienstaltersstufensystems ver- langt, wird vom Hause angenommen; ebenso die Resolution ‘Kern (d. kons.) wegen Ausgleihung der aus dem Dienstalters- stufensystem für einzelne Beamtenkategorien entstandenen Härten durch Vermehrung der Endstellen für die höheren Post- beamten und durch Erhöhung ihrer Gehaltsstufen. Endlich wird auch die Resolution Patzig, betreffend die Anrehnung der Militärdienstzeit, Erhöhung des Wohnungsgeldzuschusses, Besserstellung der Oberpostpraktifanten, Oberpostinspektoren und Postdirektoren angenommen.

Ueber die Resolution Gröber muß die Abstimmung aus- geseßt werden, da die Resolution dem Hause noh nicht drei Tage vorgelegen hat.

Zu den Ausgaben für die Kanzleisekretäre und sonstigen Burcaubeamten erster und zweiter Klasse beim

eichspostamt liegt die Resolution Kop\sch-Müller-Sagan vor, die Gehälter der Bureaubeamten zweiter Klasse sowie der Sekretäre, Oberassistenten, Assistenten und der Vorsteher von Postämtern dritter Klasse zu erhöhen.

Ohne Diskussion wird die Resolution abgelehnt.

Die weiteren Besoldungen, Wohnungsgeldzushuß und sonstige persönlihe und sahlihe Ausgaben für die Zentral verwaltung werden gebilligt.

Bei den Ausgaben für die Betriebsverwaltung, und zwar für die Post- und Telegraphenämter, bittet der

Abg. Marcour (Zentr.), die Zulage für die Vorsteher von großen Post- und Telegraphenämtern nah dem Alter zu verteilen.

Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke :

So wohlwollend die Bemerkungen dès Herrn Vorredners sind, so muß i mih doch entschieden dagegen aussprechen, daß eine derartige Zulage nah dem Alter verteilt wird. Diese Zulage ih freue mi, daß es mir gelungen ist, sie durhzuseßzen soll gegeben werden an diejenigen, die wirklih die große Arbeit haben, also an die Direktoren der verantwortungsvollsten Aemter, und ih glaube, daß es überall Usus ift, daß diejenigen Beamten, die das s{chwere:e Amt haben, au eine besondere Vergütung bekommen, sonst würde gar kein Ausgleih dafür sein, daß die Herren \ih in größeren und ver- antwortungsvolleren Aemtern etwas eher abnußen als in den feineren. Ih möchte Sie also dringend bitten, es dabei zu belassen.

Abg. Kop ch _bemängelt, daß das Postamt 11. Klasse in Zielenzig in ein Postamt I. Klasse verwandelt werden soll, obwohl don einer Zunahme des Verkehrs dort niht die Rede sein kann. Es würden dadur verschiedene Beamten geshädigt.

Abg. Müller - Sagan: Da von feiten der Verwaltung

eine Antwort nicht erfolg‘, beantrage ih, diesen Titel an die Budget- kommission zurückzuweisen.

Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke:

Fch verstehe eigentlih niht, weshalb der Herr Abg. Kopsh, der doch auch den Antrag gestellt hat, man möchte die böheren Gndstellen in der Postverwaltung vermehren, nun sagt: hier ift ein Amt, welches nah meinen Begriffen niht verdient, ein Postamt erster Klafse zu werden. (Sehr gut! rets.) Die Reichspostverwaltung gebt soweit, wie fie es irgend verantworten fkann, mit der Sthaffung von Endstellen, sie ist bei der Prüfung der Aemter, die sich für Postdirektorenstellen eignen könnten, zu der Ueberzeugung ge- kommen, daß dazu au Zielenzig gehört, und {lägt Ihnen das vor; jeßt sagen Sie wieder: dieser Vorschlag ist unbegründet, den müssen wir ablehnen! Ja, meine Herren, wir können weiter uihts tun, alts nah reifliher Ueberlegung, in dem Bewußtsein, mit den Ausgaben nit zu weit zu gehen, andererseits aber auch den Avancements- verbältnissen Rechnung zu tragen, Ihnen Vorschläge magen, und ih möchte das hohe Haus bitten, dem Vorschlage der Umwandlung des Postamts Zielenzig zuzustimmen.

Abg. Eickhoff: Wir würden mit dem Staatssekretär völlig einig sein, wenn er uns die Versicherung gäbe, daß die Stelle in Zielenzig nicht mit einem Offizier beset wird. j

Abg. Ko p\ch: Nah unseren Informationen hat in Zi-lenzig nit nur keine Steigerung, sondern sogar ein Rückgang des Verkehrs stattgefunden. E3 muß doch auch auf die Beamten Rücksiht ge- nommen werden. /

Staatssekretär des Reichspostamis Kraetke:

Meine Herren! Es ist beinahe selbstverständlich, daß bei jeder Umwandlung der Beamte, der vielleiht lange Jahre {on am Orte ist, es niht angenehm empfindet, wenn er verseßt werden muß. Aber das kann do für Sie niht entscheidend sein. Nun find wir zu der Ueberzeugung gekommen: es ist notwendig, hier ein Postamt um- zuwandeln. Rücksicht wird bei der Unterbringung der frei werdenden Postmeister auf deren Wünsche genommen, soweit die Verhältnisse das irgend gestatten.

Au kann es doch nicht für Sie entscheidend sein, ob es sich um ein Zivil- oder Militärpostamt handelt, und in diesem Falle handelt es sih lediglich um ein Zivilpostamt. Wir sind ja doch gar nit in der Lage, ohne weiteres die Zahl. der Militärpostämter zu vermehren.

Abg. Müller-Sagan zieht seinen Antrag auf Kommissions- bercktung zurü.

Bei den Ausgaben für die Oberassistenten und Assistenten wünscht der i

Abg. Bruhn (D. Rfp.), daß den Assistenten die Ablegung des Examens erleichtert werde.

Abg. Merten befürwortet den Wuns der Oberpostassistenten, ihren bisherigen Tit:l behalten zu dürfen, wenn sie in den Kanzlei- dienst übertreten.

Bei den Ausgaben für die Vorsteher der Postämter dritter Klasse (Postverwalter) trägt der

Abg. Bargmann (fr. Volkëp.) dem Staatssekretär den Wunsch der Postbeamten vor, daß den Beamten nah Ablegung der Sekretär- prüfung der Titel Sekretär auh belassen werde, wenn sie in Post- anwärterstellen einrüdcken.

Zu den Ausgaben für die Unterbeamten in gehobenen und nicht gehobenen Stellen liegt eine Resolution Kopsch- Müller - Sagan vor, die Bezüge der Unterbeamten in micht gehobenen Stellen und im Landbestelldienst zu erhöhen, und zwar für die ersteren Gehaltsbezüge von 1000—1600, für die legteren ein Meistgehalt von 1100 4 zu normieren. Die Resolution wird ohne Debatte angenommen. :

Bei den Betriebskosten, und zwar bei der Position von 131/24 Millionen für Bau und Unterhaltung der Telegraphen- linien, erklärt der ;

Unterstaats\ekretär S y dow, daß der Fernsprechdienst in Char- lottenburg demnächst so vervollklommnet werden wird, daß die er- bobenen Klagen verstummen würden. Die Vermehrung der Verbindungen nah dem Osten werde nicht versäumt werden. Für da3 laufende Jahr sei eine direkte Veibindung Berlin—Königsberg in Aussiht genommen. Im allgemeinen halten wir nicht für wünschenswert, einzelne Leitungen bestehen zu lassen, wenn die Vermittlungsämter für die Doppelleitungen eingerichtet werden ; wo infolge ganz besonders langer Leitungen dadurch besondere Härten entstehen würden, sind wir zu

Entgegenkommen bereit. A

Abg. M üller-Sagan: Ih gebe dem Unterstaatssekretär darin recht, daß die Schwierigkeiten in der Hauptsache in den Fern- sprehverbindungen nah dem Westen liegen ; aber die Verbindung nah Königsberg ist so mangelhaft, daß alles geschehen muß, um die Ver- mehrung der direkten Leitungen zu beshleunigen.

An Vergütungen an auswärtige Post- und Tele- graphenb ¿P orben sowie an Eisenbaÿn-, Schiffs- und Tele- graphenunternehmungen und Beiträge zur Unterhaltung der internationalen Post- und Telégraphenbureaus sind 20 915 000 ausgeworfen, ö 311 000 # mehr als im Vorjahre. E

Der Referent Abg. Patzig macht darauf aufmerksam, daß diese Steigerung nur eine \{einbare ist, da {on in den leßten Jahren

_

wiederholt Etatsübershreitungen în annähernd derselben Höhe einge- treten seien. Namentlich den internationalen Kabelunternehmungen müßten entsprehend der starken Vermehrung der unterseeischen Kabel höhere Vergütung gewährt werden, desgleichen der sibirischen Bahn für die Verbindungen nah Ostasien.

Der Rest des Ordinariums der Ausgabe wird ohne Debatte genehmigt. | j i

Das Extraordinarium erfordert in 69 Positionen 14 966 375 #6 Die Budgetkommission schlägt die unveränderte Bewilligung vor. R A E

Jm außerordentlichen Etat ijt eine 9. Rate für Fern- \sprechzwecke von 34 Millionen aus Anleihemitteln gefordert. Auch hier hat die Kommission die Bewilligung empfohlen.

Ohne Debatte beschließt das Haus demgemäß. _

Unter den Einnahmen figuriert an erster Stelle der Posten von 508 Millionen Mark aus den Post- und Tele- raphengebühren. Dazu liegen vor die von der Budget- ommission vorgeschlagenen Resolutionen:

à. „1) Portofreiheit für Paketsendungen bis zu 5 kg an und von Perlonen des Soldatenstandes. 2) Weitgehende Erleichterung der Telephoneinrihtung und Telephonbenußung in den kleinen

Ortschaften im nteresse der ländlichen Bevölkerung, event. unter gerechterer Repartierung der Kosten zwischen Stadt und Land.“

þ. „Vorbereitung der Abschaffung des Bestellgeldes.“

c. „Herbeiführung einer Untersuchung, ob und in welchem Umfange die auf Verträgen beruhende Portofreiheit fürstlicher Personen eingeshränkt werden Tann : i

Abg. Graf von Oriola (nl.) tritt für die Resolution a. 2 ein, die im wesentlihen einem Antrag des befsischen _Landwirtschaftêrats an den deutschen Landwirtschaftsrat entspreche. Die Kosten eines Ge-

,

\prähs in den ländlichen Fernsprechneßen mit einer geringen Teil- nehmerzahl seien dreimal fo hoh wie die für Ferngespräche in Städten oder solchen Fernsprehneyen mit 500 bis 1000 Teilnehmern.

Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke:

Meine Herren! Der Unterstaatssekretär Sydow hat Ihnen ja bereits in der Kommission vorgetragen, daß nach mancher Richtung hin Bedenken dieser Resolution entgegenstehen. Wir haben eben neue Bedenken gegen diese Bedenken gehört und die ganze Frage ist eine so s{wierige und wichtige, daß sie eingehender Prüfung bedarf. J verspreche Ihnen aber, daß wir uns sehr eingehend und na&- haltig damit beshäftigen werden, ob und in welcher Weise die nah mancher Richtung hin wünshenêwerten Erleichterungen stattfinden können. (Bravo!)

; _ _Vy.): Auf die agrarishen Schmerzen des dite Des Ll Ar «ta h E nur konstatieren, daß der Staatssekretär weder mir noch meinem Kollegen Kaempf auf die Anregungen, betr. die eventuelle Herabseßung der Weltportosäte, geantwortet hat.

Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke:

Ich möchte dem Herrn Vorredner erwidern, daß es selbstver- ständlih immer das Bestreben der deutschen Postverwaltung ist, nah Möglichkeit die Verkehrsverhältnisse mit dem Ausland zu verbessern. Es is auch unsererseits für den Weltpostkongreß der Vor- schlag gemacht worden, für Briefe die Gewichtsstufe von 15 auf. 20 g zu erhöhen, was bereits eine wesentliche Verbilligung sein würde. Ob und inwieweit aber die Verhältnisse gestatten, so weit zu gehen, wie der Herr Abg. Kaempf vorgeschlagen hat, ist mir sehr zweifelhaft bei unseren gegenwärtigen Verhältnissen

tere gei efoetic idre ir im are I T B O

ist ja rihtig, daß de Verbilligung und Erleichterung des Verkehrs eine Vermehrung hervorruft. Aber ih habe {on mehrfach, auch in der Kommission, zum Ausdruck gebracht, daß es eine Täuschung wäre, anzunehmen, taß die Vermehrung nun au sofort eine grêßere Ginnahme und ein besseres finanzielles Resultat Hherbei- führen werde. Es ist im Auslande sowohl wie bei uns immer fest- gestellt worden, daß in demselben Maße, wie der Verkehr zunimmt, au die Autgaben wahsen. Ih habe bereits angeführt, daß es bei der Ginführung des Pennyportos in England 17 Jahre gedauert bat, bis ter Reinertrag wieder ter gleiche gewesen ist wie vor der Neform. Wir erkernen vollkommen „an, daß eine Verbilligung des Verkehrs, die auch wir erftreben, eine Vermehrung hervorruft, und daß das im ganzen unserem Nationalvermögen zugute kommt. Aber es ift eben eine Täus{ung, wenn man annimmt, daß die Reincinnahmen dabei wachsen oder gleich bleiben.

Da ich gerade das Wort habe, möchte ih noch hinzufügen, daß die Berechnung nit ganz zutrifft, die der Herr Abg. Kaempf gegeben hat. Bei Einführung des einfahen Portos von 10 & für Briefe und von 5 S für Posikarten nah dem Ausland würde ein Ausfall von 10 Millionen Mark eintreten. (Hört, bört! rets.)

Wenn uns die englische und die französische Postverwaltung be- treffs ihres Vorgehens in kolonialer Beziehung hier vorgehalien werden, so möchte ih doch anführen, daß die deutsche Reichépostverwaltung die erste gewesen ift, die die gesamten internen deutschen Brieftaxen auf unsere \ämtlihen Kolonien ausgedehnt hat, und daß Frankreich und England dies nur bezügli der Briefe getan haben. Auch sonst find dort übrigens darüber wollen sich die Herren niht täuschen nicht solhe Er- lei@terungen gewährt wie bei uns. In Frankrei werden z. B. für jede 15 g die Portosäße von 10 Centimes erhoben. Bei uns werden alle Briefe, die über 20 g bis zu 250 g schwer sind, für den doppelten Say des einfahen Briefportos befördert. Ein solcher Brief von 250 g würde z. B. in Frankrei 1,40 M kosten, während bei uns dafür nur 29 & erhoben werden. Also die Angabe, als wenn diese Staaten weiter vorgegangen wären als wir, trifft nicht zu.

Abg. Ledebour (Soz.) regt weitere Portoermäßigungen im Orts- und Nebenortsverkehr an. Gegenwärtig herrsche vollständige Systemlosigkeit auch bezüglih der Abgrenzung der Bezirke. In Berlin würde si eine Milderung herbeiführen lassen durch eine Er- weiterung des Nachbarortsverkehrs auf den Bezirk des Berliner Eisen- bahnvorortéverkebrs.

Abg. Dr. Müller-Sagan: Nicht die großen Städte zehren aus der Krippe des platten Landes in bezug auf unsere Verkehrs- etnrihtungen, sondern das platte Land wird auf Kosten der großen Städte alimentiert. Wir haben deswegen ganz besondere Bedenken gegen die „geretere Repartierung* der Kosten zwishen Land und Stadt, wie es in der Resolution a. 2) heißt. Wenn ein Staats- sekretär sich mit dem Gedanken trägt, auf den Verkehr Stempel- steuern einzuführen, so wäre er auf einem Weltpostkongreß diejenige Person, die am wenigsten geeignet ist, für ein billigeres Weltpostporto einzutreten.

Damit {ließt die Diskussion.

Die Einnahmen aus den Porto- und Telegraphengebühren werden genehmigt.

Die Abstimmung über die Resolution wird area der (Gwagen Beseßung des Hauses auf Antrag des Abg. Paßtzig ausgeseßt.

dne Debatte genehmigt das Haus auch den Rest der Ein- nahmen. Die Einnahmen betragen im ganzen 544 315 000 S

Ueber die zum Postetat eingegangenen Petitionen wird nah den Vorschlägen der Budgetkommission beschlossen.

Scluß gegen 7 Uhr. Nächste Sißung Sonnabend 1 Uhr. (Fortseßung der Etatsberatung.)

Preußischer Landtag. Herrenhaus. 8. Sigung vom 9. März 1906, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Erster Gegenstand der Tagesordnung ist die einmalige Schlußberatung über den Gesegentwurf, betreffend die Er- hebung von Kirchensteuern in den Kirchengemeinden der evangelishen Kirchen der Konsistorialbezirke Cassel, Wiesbaden und Frankfuxt a. M. 1n den Gesamiverbänden der evangelishen Kirche des Konsistorialbezirks Cassel sowie in der vereinigten evangelish-lutherishen undevangelish-reformierten Stadisynode zu Frankfurt a. M.

Berichterstatter Herr Dr. Loening beantragt die unveränderte Annabme des Entwurfs und weist darauf hin, daß durch dieses Gee die für die älteren Provinzen bestehenden Bestimmungen nun au für die neueren preußischen Landesteile gültig gemaht und daher eine einbeitlihe Regelung des Kircensteuerwesens auf der Grundlage der Einkommensteuer herbeigeführt werden folle.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Studt:

Meine Herren! Den ausführlichen Darlegungen des Herrn Refe- renten gegenüber darf ih mich auf wenige Worte beschränken.

Als ich im vorigen Jahre die Ehre hatte, dem hohen Hause die beiden Gesezentwürfe zur Beratung vorzulegen, die bezweckten, für das Gebiet der evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen und für die katholishen Kirhengemeinden der gesamten Monarchie ein einheit- liches Kirchensteuersyftem einzuführen, erlaubte ich mir die Hoffnung aus8zusprehen, daß es gelingen werde, für die evangelishe Landeskirche der neuen Provinzen eine gleiche Regelung zur Durchführung zu bringen. Diese Hoffnung hat \ich im vollen Maße erfüllt. Dank dem allseitigen Entgegenkommen der beteiligten Synodalkörpershaften und vermöge der eingehenden Aufklärungen, die mein Kommissar den leßteren zu geben in der Lage war, ist eine zum Teil sogar einmütige Zustimmung zu den Vorlagen der Königlichen Staatsregierung erfolgt.

Der Herr Referent hat die Bedeutung dieser Vorlagen hier schon dargelegt; ih darf noch hinzufügen, daß es sich dabei wesentlich um zwei Fragen handelte, die eine differentielle Behandlung notwendig machten, und zwar ohne Schaden für das Ganze, um den bisherigen Gepflogenheiten und Anschauungen der beteiligten Landeskirhen eine volle Berücksichtigung zuteil werden zu lassen. Es war dies die Steuerfrage der geistlihen und firhlihen Beamten einerseits und andererseits die Frage, ob überhaupt und in welchem Umfange neben der Einkommensteuer die Realsteuer der kirchlihen Besteuerung zu Grunde zu legen sein würde. Der Herr Referent hat die Güte ge- habt, die Gründe hervorzuheben, welche beweisen, daß in dieser Be- ziehung eine grundsäßlihe Abänderung des sonstigen allgemeinen Steuersystems, wie es für die ganze Monarchie in Aussicht genommen

und bei den Verhältnissen der sämtlichen anderen Staaten. Der Saß

worden ist, nicht herbeigeführt wird.

Fch kann unter diesen Umständen nur der Bitte des Herrn Re- ferenten mich anschließen, daß das hohe Haus die Vorlagen in un- veränderter Fassung annehmen möge. Meine Herren, wenn dann für die ganze Monarchie ein einheit- lies System der kirchlihen Besteuerung für die Kirchen beider Konfessionen erreicht ist, so wird ebenso sehr dem Wohle des Vater- landes wie dem konfessionellen Frieden gedient sein. Hierauf wird der Geseßentwurf ohne weitere Debatte an- genommen. Es folgt die einmalige Schlußberatung des Geseßh- entwurfs, betreffend die Erhebung von Kirchensteuern in den Kirchengemeinden und Gesamt-(Parochial:) Verbänden der evangelish-lutherishen Kirchen der Provinzen Hannover und Schleswig-Holstein sowie inden Kirhengemeinden der evangelisch-reformierten Kirche in der Provinz Hannover. Berichterstatter Herr Dr. Loening beantragt, auch diescn Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Bei dem jeßigen Zustande stehe den Kirchenbehörden der Lantesteile, die der Entwurf betrifft, fein Verwaltung8zwang zur Seite; infolgedessen führe die Erhebung der Steuern zu den größten Schwierigkeiten, und das Gerichts- verfahren gestalte sih bei Kompetenzkonflikten zu einem b¿chst umständ- lihen. Auch hier eine Vereinheitlihung zu schaffen, sei Zweck der Vorlage. | Das Haus nimmt ohne Debatte den Entwurf an. Hierauf folgt die einmalige Schlußberatung des Geseß- entwurfs, betreffend die Erhebung von Abgaben für kfirhlihe Bedürfnisse der Diözesen der katholischen Kirche in Preußen. Berichterstatter Herr von Jerin-Gesess empfiehlt die un- veränderte Annahme des Geseßentwurfs.

Der Geseßeniwurf wird ohne Debatte angenommen.

Nächster Gegenstand der Tagesordnung is der Bericht der Kommission über den Geseßentwurf, betreffend An- legung von Sparkassenbeständen in Fnhaber- papieren.

Herr Dr. vonDziembows ki empfiehlt namens der für diesen Gegenstand eingeseßten Kommission die Annahme des Entwurfs

und berihtet: Die Kommission hat einen besonderen Paragraphen eingefügt, wonach die öffentlichen Sparkassen die in ihuem Besitze befindlihen Inhaberpapiere im Falle einer besonderen Notlage insoweit veräußern können, als es zur Aufreht- erhaltuna des Geschäftsbetriebes unbedingt notwendig ist. Der Oberpräsident, welchem von der erfolgten Veräußerung alébald Mitteilung zu maten ist, hat darüber zu bestimmen, in welher Weise der vorgeschriebene Besitstand wieder herzustellen ist. Hierzu liegt ein redaktioneller Antrag des Oberbürgermeisters Kirschner vor. Eine Beschränkung der Geschäfte der Sparkassen is nicht zu befürchten, dagegen wird ein erfreulicher Einfluß auf den Kurs der Staais- papiere ausgeübt werden. s i

Graf von Mirbach begrüßt den Geseßentwurs, dessen Nückwirkung auf den Kurs der Staatépapiere nur angenehm wirken könne. Die Höhe des Diskontsatzes der Reichsbank sei durch Schaffung eines ge- nügenden Goldbestandes unserer Reichsbank zu beseitigen, und dazu soliten die Sparkassen durch ihren Einlagenzuwahs beitragen.

Oberbürgermeister Trenckmann - Mühlhausen: Der Gesey- entwurf ist namentlich auf die kleinen Sparkassen zugeschnitten, die den ländlichen Krediten und denen der kleinen Städte dienen. Ein Bedürfnis kann ih, und mit mir sämtliche Gegner des Entwurfs, nicht anerkennen. Der Gedanke, ein solches Gesetz zu erlassen, ift geboren, als man in beiden Häusern des Landtages im Frühjahr 1904 die Frage an- geschnitten hatte, wie der Kurs der Staatêpapiere etwas stabiler zu machen sei. Der Staat is aber nicht berechtigt, die Gelder der E für seine Zwecke nuybar zu machen. Zu welchen Kon- equenzen würde eine solche Maßnahme führen ? JÎn Frankrei und England ist es etwas anderes, da es sich in diesen Ländern weniger um kommunale als um staatliche Sparkassen handelt. Tut man den ersten Schritt, so hat dieser Gedanke der Anlegung der privaten Gelder zu Staatszwecken keine Grenze mehr; hüten wir uns daher vor diesem ersten Schritt! i

Herr von Rheden : Ih gehöre zu denen, die nur höchst ungern für dieses Gesch stimmen werden. Das Streben, eine sichere An- legung der Sparkassengelder zu erreichen, ist zu begrüßen, daher möge die Regierung den Sparkassen hierin zur Hand gehen, daß die Kassen namentlich in kriegerishen Zeiten zahlungsfähig bleiben.

Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Ich sollte meinen, daß der Herr Vorredner ganz zufrieden sein könnte, wenn ih nach dem Grundsaße handelte: qui tacet, consentire videtur. Fh will aber auch das consentire aut- drülich bestätigen und erklären, daß wir die Sparkassen, welche die Amortisationskredite eingeführt haben, soweit als irgendmöglih be- rücksihtigen. Ich darf darauf hinweisen, daß die Beunruhigung im Lande aus der ganz verkehrten Auffassung entstanden ist, als ob die Sparkassen irgend eine Aenderung in der Anlegung ihrer vorhandenen Mittel vornehmen sollten. An den Anlagen, wie sie bisher gehandhabt worden sind, soll garnicht gerüttelt werden, sondern nur von dem künftigen Zuwachs soll ein be- stimmter Teil in Inhaberpapieren und davon wieder ein Teil in Papieren des Deutschen Reiches und Preußens angelegt werden. Die Sparkassen bleiben also vollständig in der Lage, über diejenigen Ueber- {üsse zu verfügen, über welche se bisher verfügen konnten, und auh künftig können sie von dem Zuwachse drei Fünftel vollkommen so an- legen wie sie wollen und nur zwei Fünftel müssen sie fo anlegen, wie die Gesezesvorlage es vorsieht, nämlich in Inhaberpapteren, und zwar einen Teil davon in solchen bestimmter Art.

Dann hat Herr von Rheden mit Recht darauf hingewiesen, daß es Pflicht des Staates sei, für den Ernst- für den Kriegsfall Ein- richtungen zu treffen, dur welche die Sparkassen in die Lage verseßt werden, ihre Anlagen zu lombardieren. Jh habe mich hierfür in der Kommission ausgelassen, kann dies jedoch im Plenum nicht wiederholen; aber ich bin gern bereit, Herrn von Rheden persönlich Auskunft zu erteilen.

Wenn ich dann noch mit einigen Worten auf die Ausführungen des Herrn Oberbürgermeisters Trenckmann zurückommen darf, so hat er die Sache etwas überspannt, wenn er gemeint hat, die ganze Vor- lage sei der erste Schritt, au die Industrie und sonstige Betriebe zu zwingen, bestimmte Teile ihres Vermögens in Staatspapieren anzu- legen. Er hat das Wort gebrauht: nimmt man eiamal Geld von Privaten, so kennt man keine Grenzen. Es handelt fich hier nicht um Geld von Privaten, sondern um Organe des öfentlihen Rechts, die auf Grund einer besonderen Gesetzgebung ins Leben getreten find, die auf Grund geseßlicher Bestimmungen die Mündelsicherheit genießen, (sehr rihtig!), die dauernd der Staatskontirolle unterliegen, die in der Tat ganz eigenartig gestaltet sind, die besondere Ver- günstigungen haben. Die Geseßzesvorlage liegt in deren eigenstem dringendsten Interesse, und ih teile niht die Befürchtungen, daß hieraus eine weitgehende Konsequenz für die Privatgesellshaften ent-

springen könnte. Aber ih mache durchaus kein Hehl daraus, daß ih

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