1906 / 75 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 28 Mar 1906 18:00:01 GMT) scan diff

bier nidt um e!ne bloße Belehrung, foudern um eine Verheßung der einzelnen Nationen. Jn Berlin wurde in einer Kommunalschule den S@ülern vom Lehrer gesagt, jedec von euch bat 50 4 mitzubringen. Das Kind cines Pateifreundes hat das Geld nicht gebraht, aber jene Aufforderung wurde jedenfalls als ein Zwang aufgefaßt. Was wird mit dem Gelde gemacht? Wer weiß, wie die Summen verwaltet und verwendet werden! Es reißt hier cin Unfug ein, gegen den wir uns

nder müssen. Jch erinnere an den Zehnmillionenfonds zur Unterstüßung der Offiziere. Was ist das für eiu Zustand, wenn sich solhe Privatfonds vermebren, di? na dem eigenen Guttüaken der Leute verwaltet werden, in deren Hände das Seld gelegt wird! Gegen ein \solches Verfahren müssen wir uns energisch verwahren. Der Abg Spahn bat eine Parallele ¡wischen unferer Marine und der anderer Staaten gezogen, die zu unseren Ungunsten ausfiel. Dabei ift zu berücksihtigen, daß die Auf- steilung der vershiedenen Etats auf ganz vershiedenen Grundlagen rubt Jede Nation wird ja zu entscheiden haben, wie weit sie gehen soll und fann Es kann jederfalls nit bestritten werden, daß gerade das Vorgeben Deutschlands mit seinen hohen Flotten- forderungen andere Nationen veranlaßt bat, ihre Secerüstungen be» deutend zu verstärken. Es ift hier gerade so gegangen wie vor 40 Iabren mit den Landrüstungen. Als wir so gut wie gar keine Flotte batten, hatten wir 400 Sthiffe zur See. Heute hat der Großkapitaliëmus die kleineren Sciffe allerdings aufgesaugt. Die Flottenbegeisterung der Rechbten is wirklich sehr jungen Datums. 1849 und 1859 und selbst 1897, als das Wort von der „gräßliäen Flotte" und „kein Kani keine Kähne“ geprägt wurde, war die Ha!tung der Konfervativen eine ganz andere. Wenn der Graf Arnim meinte, die d:uts§en Arbeiter würden sh n‘cht unter das sozial- demokratishe Io beuzen, so sage ih: warten wir das ruhig ab; beute steten Millionen von Arbeitern hinter uns.

Abg. von Oldenburg (d. kons.): Ih möchte einige ge\{chich!lihe Neminitzenzen des Abg. Mommsen rihtig stellen. Er meinte, die deutie Flotte entsprehe cinem liberalen Gedanken. Den ersten Ge- anfen der deuiscen Flotte hat der Große Kurfürst gehabt, ber aber atte mit der liberalen Partei nichts zu tun. Daß die Konservativen ie Flettenfrage längere Zeit niht in den Vordergrund gestellt haben, at feinen Grund darin, daß fie bemüht waren, bei Errichtung der- jentacn Grundlagen zu helfen, auf denen das Deutsche Reich erstanden : | \ Ohne diese, die allein die

it: der preußis&en Armeereorganisation.

Gründung des Deutschen Reis möglich gemaht hat, würden wir eine deutsche Flotte überhaupt niht haben, ohne sie kein Düppel, kein Köntgaräsz, kein Sedan! Sie (links) haben vollkommen versagt, und es

stebt Ihnen niht an, den Konservativen Verständnislosigkeit in bezug auf die Flottz vorzuwerfen. Nennen Sie Beispiele, wo die kon- servatioe Partei bei Flottenbewilligungen versagt hat! Im übrigen ben sih ja die Bedingungen der Flotte wesentlich dur Tatsachen er allernzuesten Zeit geändert. Jch begreife nicht, daß der Flotten- erein den Minister De!cassé nicht zum Ehrenmitgliede gemacht hat, r den Deutschzn das Verständnis für eine Flotte beigebraht hat. Durch die Vernichtung der russishen Flotte bei Tiuscbiiia ist die deutse Flottz in die Lage gekommen, bei gegebener Konstellation Verpflihtungen mit zu übernehmea, die sonst der russishen Flotte hätten zufallea können. Allerdings können wir nicht eine so große Flotte haben wie die Engländer, aber eine so große, daß bet einem Kampfe die englishe Flotte Gefahr läuft, ihre Vormachtstellung zu verlieren, müssen wir haben. Ich hoffe, daß sich hier auf dem Play der Siegessäule noch einmal ein Denkmal mit Schiffsschnäbeln er- heben wird, daß ein fünftiger Geschichtéshreiber nicht \schreibt, der Deutsche Reichstag war knickerig, sondern der Deutsche Reichstag von 1906 stand auf der Höbe seiner Aufgabe!

Abg. Dr. Spahn (Zentr.): Der Abg. Lieber hat 1897 keine prinzi- piellen Bedenken gegen die Vorlage gehabt, sondern bloße Organisations- bedenken und darüber, ob tamals der rihtige Zeitpunkt gewählt war. Der Abg Bebel hatte also unreht, dem Zentrum einen Vorwurf zu machen. Auch die Vorwürfe gegen die Steuerkommission sind un- begründet. Die Biersteuer wird nur um 22 Millionen erhöht, vnd ob diese die breiten Massen belasten, is doch sehr zweifelhaft. Wer Zigaretten rauhen will, darf sih auf § 6 des Flottengesetzes nicht berufen. Daß die Erbschaftsfteuer von den Klassen getragen wird, die niht unter § 6 fallen, ist zweifellos. Dasselbe gilt von der Fahr- kFartensteuer; die vierte Klasse soll doch freigelassen werden. Das Wichtigste aber ist: die Arbeiter haben den Nugen des Flottengesetzes. Belgien und die Schweiz sind neutrale Staaten, auf fie konnte si der Abg. Bebel niht berufen. Die Vermehrung der Flotten in den anderen Staaten hängt ab von den Beobachtungen, die man im spanish-amerikanishen und rufsisch- japanischen Kriege gemacht hat.

Damit schließt die Diskussion.

Persönlich verwahrt sich der

Abg. Graf von Arnim (Rp.), dem Abz. Mommsen gegenüber gesagt zu haben, daß die Agitation des Flottenvereins mehr gestadet als genußt habe.

Abg. Mommsen (fr. Vgg.) erwidert, daß Graf Arnim zugegeben habe, daß der Flottenverein \fich Uebertreibungen habe zu s{hulden kommen laffen.

Es wird zunächst über den Antrag Ablaß abgestimmt. Diese Abstimmung ist auf Antrag des Abg. Müller- Sagan eine namentliche. Für die namentlihe Abstimmung er- heben sih die Sozialdemokraten, Freisinnigen, Polen und die deutsche Reformpartei.

Es werden im ganzen 163 Stimmzettel abgegeben, davon 63 für, 95 gegen den Antrag Ablaß, bei 5 Stimmenthaltungen. Das Haus ist also nicht beshlußfähig, die Verhandlung muß abgebrochen werden. i

Der Präsident beraumt die nächste Sizung auf Mitt- woh 1 Uhr an mit der Tagesordnung: Wahlprüfungen, Marine- und Militäretat.

Schluß 53/4 Uhr.

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Preußischer Landtag. Herrenhaus. 10. Sigung vom 27. März 1906, Nachmittags 2 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Der Präsident Fürst zu Jnn- und Knyphausen teilt mit, daß Jhre Majestäten der König und die Königin dem Herrenhause ein Gruppenbild der Königlihen Familie zum

eshenk gemacht haben, das die Unterschriften Jhrer Majestäten trage; er habe den Dank des Hauses dafür ausgesprochen und das Bild im Vorstandszimmer aufhängen lassen.

Das Andenken des verstorbenen Mitgliedes von Guß- merow, Schloßhauptmanns von Königs-Wusterhausen, ehrt das Haus in der üblihen Weise.

Vor Eintritt in die Tagesordnung bemerkt

Herr von Buch: Am 10. März habe ih bezüglich der Heran- ziehung landwirtshaftliher Grunadstücke zur Reichserbschaftssteuer Angaben auf Grund unvollkommenen Materials gemacht, zu denen ih von berufener Stelle eine Richtigstelung erhalten habe. Es wird mir vorgerechnet, daß ein land- oder forstwirishaftlickdes Grundstück mit 30 000 (G Jahresertrag der Erbschafissteuer mit einem Werte von 750 000 (A unterliege, und daß die Steuer für Geschwister oder Geshwisterkinder nur 49 500 Æ betrage und niht 1C0 000 oder

ar 150 000 A Diese BereBaung gilt für ein shuldenfreies Grund- tüd. Eine Steuer von 250 000 #4 sei möglich bei einem Werte von über 1 Million Mark und bei einem Erwerbe durch entfernte Ver- wandte oder Nihtverwandte. Bei einem landwirtschaftlihen Grund- stücke sei das noch um ein Viertel zu kürzen, so daß nur 187 000 herausfämen. Ich habe allerdings von landwirtschafiliGen Gütern gesprocher, die mit 1 Million Mark eingeshäßt waren; ein solches

fann mit einem Reinertrag von 50000 Æ cingeschäßt werden, das heißt wie die Kommission shägt. Davon sind aber noch andere Steuern zu zahlen, so daß ih nit fal|ich gesagt habe, daß nur cine Neyenue von 30000 M. bleibt. Jch hätte also niht von einem Betrage von 1 Million, sondern von über 1 Million sprehen müssen. Jch babe nun nachgerechnet und gcfunden, daß beim Erwerb dur Nicht- verwandte eine Steuer von 187 500 4 herauskommt. Jch überlasse es Ihrer Beurteilung, ob Sie auf Grund dieser Zahlen Freunde des Erbschaftssteuergeseßes werden. Meine sachlichen Auéführungen werden durch die rihtiggestellten Zahlen in keiner Weise widerlegt. Ich halte daran fest, daß ih in der Erbschaftssteuer eine große Ge- fahr für den preußis{hen Staat und den preußischen Grundbesiß sehe, and bedaure, daß die Regierung unter Abweihung von dem bié- herigen Prinzip ih mit der Erbs#aftzstcuer einverstanden erklärt hat.

Herr von Zigewißt-Zezenow: Von dem Herrn Präsidenten und Mitgliedern des hoben Hauses sind mir nah meiner Verwundung so viele Zeichen der Teilnahme ausgesprochen worden, daß ih hiermit meinen herzlid)sten Dank ausspreche.

Darauf tritt das Haus in die Tagesordnung ein.

Die Geseßentwürfe über die Erweitexung der Stadtkreise Harburg und Thorn werden ohne Debatte unverändert angenommen.

Bei der dann folgenden Beratung des Gesehentwurfs, betreffend die Erweiterung des Stadtkreises Cassel, macht der Berichterstatter -

Graf von Hutten-Czapski darauf aufmerksam, daß durch die Ueberweisung dieses Entwourfs an eine Kommission im Abgeordnetenhause beinahe die rechtzeitige Fertigstellung des B vor dem 1. April in Frage gestellt worden fei, Er bitte daher die Regierung, in Zukunft solhe Geseßze früher einzubringen, damit sie auf jeden Fall vor Beginn des Etatsjahres verabschiedet werden könnten, da die Gemeinden sich darauf einrihteten» Ferner richtet der Bericht- erstatter, veranlaßt durch die Bestimmung in der Vorlage, daß die Polizeidirektion in Cassel die Polizeiverordnungen, welche in dem Eingemeindungsgebiet Geltung erlangen follten, bekannt zu machen habe, an die Regierung die Frage, ob niht ohne w-iteres das Polizei- recht der Kommunen sich auf eingemeindete Gebiet? miterstrecke. Bei der Eingemeindungsvorlage für Mülheim von 1899 sei diefer Grundsaß ausgesprohen worden, das Kammergericht habe aber in einem Falle anders entschieden. :

Geteimer Obcrregierungsrat von Falkenbayn erwidert, daß allerdings der Grundsaß anerkaunt sei, daß das Polizeireht der Kon- munen \sich auf Eingemeindungsgebiete ausdehne. In einem be- stimmten Straffalle habe aber das Kammergericht eine entgegengeseßte Ansicht ausgesprohen. Um irgend welhen Zweifel auszuschließen, fei diese Bestimmung dem vorlieg-nden Entwurf eingefügt worden.

Der Gesezentwurf wird darauf unverändert angenommen.

Der Gesetzentwurf, betreffend die Erweiterung des Stadtkreises Aachen, wird ohne Debatte angenommen; die dazu eingegangenen Petitionen werden für erledigt erklärt.

Es folgt der Bericht der XI. Kommission über den Ent- | wurf zu einem Kreis- und Provinzialabgabengeseß. Der Beridhterstaiter Herr von Sydow empfiehlt die Aende- rungen, welhe die Kommission an den Beschlüssen des Abgeordneten- hauses vorgenommen hat, sowte folgende Resolution : i „die Regierung zu ersuchen, möglihst bald dem Landtage eine Gesezesvorlage zu machen, durch welche die offenkundigen Mängel des Kommunalabgabengeseßes beseitigt und scine Bestimmungen is denen des Staatéeinkommensteuergeseß-8 in Einklang gebracht werden.“

Erster Bürgermeister Dr. Johansen- Minden: Die Bes denken, denen ih bei der crsten Beratung Ausdruck gab, find in der Kommission zwar gemildert, aber nicht beseitigt worden. Mit dem Prinzip der Ersezung der Individualbesteuerung durch das Kon- tingentikrungssystem find wir wohl alle einverstanden. Aber wir müssen“ den dringenden Wunsch aussprechen, daß die Negierung mögli&;st bald an die Revision des Kommunalabgabengeseßes herarge ben möôge. Die Kommission hat auf meinen Antrag eine hierauf bezügliche Resolution gefaßt. Gegen diese Vorlage hat die Landwirt\schaf18s- kammer für Westfalen in ihrer Eingabe das Bedenken geltend g-maht, | daß es nit rihtig sei, allen Kreisen ohne Unterschied neue Steuer- quellen zu ershließezn. Es könnten damit diz Kreise zu Tätig- keiten angespornt werden, von denen sie sih besser fernhielten. Für solche Kreise besteht allerdings ein Bedü:fnis zur Ershließung neuer Einnahmequellen. Der Minister hat zugesagt, die Genehmigung dazu nur im Falle des wirklihen Bedürfnisses zu erteilen. Er- \{werend wirkt nach meiner Ansicht gerade die Einführung einer Umsaßsteuer für die Kreise. Bei einer Kreisumsaßsteuer kann von Leistung und Gegenleistung wie in den Gemeinden nicht die Rede sein. Es ist falsch, daß der Käufer immer die Umsaßsteuer trägt, er wird also gerade das Prozent, das er noch für Umsaysteuer zu zahlen bat, vom Kaufpreise abziehen. Man will hier der Landwirtschaft belfen, nimmt ihr aber gerade dadurch einen Teil ih1es Besißes. Zweifellos wird die Krceisumsaßzsteuer in Kreisen, in deren Gemeinden |{on eine Gemeindeumsaßsteuer erhoben wird, mit diefer in Kollision treten. Ich habe in der Kommission von der Regierung verzeblih Auskunft darüber erbeten, wie wie diese Kollision beseitigt werden fol. Die Kreistage würden geradezu veranlaßt werden, mit ungleihem Maß zu messen. Fch hoffe deshalb, daß die Erhebung einer Kreis8umfaßzsteuer in möglichst wenigen Fällen, wo nämlich ohne neue Steuern absolut iht auszukommen ist, von den Kreisen beschlossen werden wird. Ebenso bedenklich iff mir die Scankkonzessionssteuer. Nach dem Kommunalabgabengesez haben die Gemeinden bereils das Recht, eine solhe Steuer einzuführen, aber die Minister haben die beabsihtigte Einführung niemals genehmigt, weil fie diese Steuer für ungeeignet hielten. Wenn die Kreise nun das gleihe Recht erhalten sollen, so haben jedenfalls die Gemeinden ein PrioritätêreWt dazu. Eine Stankstätte mag von den Einrichtungen in der Gemeinde Vorteile haben, so daß eine solide Steuer gerehtfertigt wäre, aber in den Kreisen liegt es anders. Es mag immerhin einmal ein Versuch mit der Schankkonzessionssteuer in den Gemeinden gemacht werden. Troß aller Bedenken komme ich niht zur Ablehnung der Vorlage, weil ih erwarte, daß die Ministerialinstanz bei der Ausführung des Gesetzes diesen Bedenken Rechnung tragen und diese Steuern nur in den dringendsten Fällen genehmigen wird. i : i f

Graf von Mirbach: Es ist allerdings eigentümlich, die Kreise auf die Schankkonzessionssteuer zu verweisen. Jch bedauere, daß ih dem Minister, den ih als politishen Freund font so bo \chäte, bei dieser Vorlage opponieren muß. Auf keinem Gebiete wäre das quieta non movere so wichtig, wie hier. Ich fürchte, daß die Krceise jeßt, wo es schon große Schwierigkeiten macht, die kommunalen Abgaben zu erreichen, auf eine Umgestaltung unseres ganzen Kommunal- steuerwesens hindrängen werden. sehe darin eine große Gefahr und würde mich freuen, wenn ich sie überscbäye. Gerade dieses Geseg ist geeignet, einen jungen Landrat, der sich die Sporen verdienen will, zu einem Versuch zu veranlassen, die Kreise zu wirtschaftlihen Unternehmungen zu drängen. In unsecer Fraktion wurde darauf hingewiesen, daß ein ergang ju einem neuen Steuer- system in den Kreisen abhängig sei vom Bezirks8ausschuß und von der Ministerialinstanz. Im Beziksausshuß können aber Strömungen vorkommen, gegen welche einzelne Kreieteile mavbilos siad, und die Minister kennen unsere Gegendèn car niht. Ih bitte den Minister dringend, er möge überall, wo niht zwingende Gründe zu einer Um- gestaltung der Kommunalabgaben vorliegen, die Genehmigung unter allen Umständen versagen. : :

Oberbürgermeister Struckmann - Hildesheim: Nach der Ver- abschiedung dieses so notwendigen Gesez-s und der zu erwartenden Novelle zum Einkommensteuergeseß wird eine Revision des Kommunal- abgabengesez-8 niht zu umgeben fein. Durch die geplante Novelle zum

Steuergeseß werden erne Verminderungen der Einnahmen aus niederen Steuerstufen herbeigeführt werden. Da die meisten Kommunen

einkommensteuer auskommen, werden fie in Zukunft ihre Säße noh erhöhen müssen. Da die Einkommensteuer jeßt viel stärker heran- gezogen wzrden kann als die Nealsteuer, so wird auch na dieser Nichtung eine Revision des Kommunalabgabengeseßes stattfinten müssen. Den Kommunen müssen neue Einnahmequellen eröffnet werden, dazu wäre gut, ein altes Versprechen cingulöfen, nämlich die Heranziehung der Beamten zu den Kommunalabgaben. Nach ven Entscheidungen des Oberverwaltungsgerihts bat in einzelnen Fällen bei Umzügen eine Heranzichung zu den Steuern nicht flattfinden fönnen, wenn der Betreffende bereits nah 3 Monaten wieder den Wohnort wechselte. Hier muß Abhilfe geschaffen werden. Noch eine Reihe anderer Punkte bedürfen der Abänderung. Nach dem neuen Einkommensteuergesep und nah dieser Vo!lage hier muß als- bald an die Revision des Kommunalabgabengeseßes herargetreten werden.

Minister des Jnnern Dr. von Bethmann-Hollweg:

Meine Herren! Herr Johannsen hat zwar im Eingang seiner Nede eine recht s{charfe Kritik an dem Entwurf geübt, zum Schluß aber so freundlihe Worte gefunden, daß ih ihm hierdurch meinen Dank aus- \sprehe. Herrn Grafen von Mirbach versichere ih, daß ih cs auf das entshicdenste verurteilen würde, wenn ein Landrat ohne zwingende Not- wendigkeit und nur, weil er novarum rerum cupidus ift, die Steuer- verhältnisse seines Kreises auf Grund dieses Gesetzes umçestalten wollte. Ich bin gewiß, daß er zunächst dem Widerstand des Kreitantshufses und des Kreistages begegnen würde. Sollte dies nicht genügen, fo würde ich von meiner Genehmigungsbefugnis in dem Sinne Gebrauch machen, daß ich cine unnötige Umstoßung nicht dulden würde. Ih nehme an, Herr Graf von Mirbah im wesent- liGen auf den § 8 hingazielt hat, auf die Erseßung der Grund- und Gebäudesteuer durch eine Gxuntwertsteuer. Fch glaube {on in der ersten Lesung ausgeführt zu haken, daß ih diesen § 8 lediglih zu dem Zwecke vorgeschlagen habe, um in den- jenigen Kreisen, wo der gegenwärtige Maßstab veralt:t und ungerecht ist, ihn durch einen besseren zu erseßen. (Sehr rickchtig!) Dieje Voraut seßung scheint mir dieselle zu fein, die Herr Graf Mirbach festgehalten wissen will.

Die Anregungen des Herrn Okerbürgermeisters Struckmann für die Abänderung des Kommunalabgabengeseßes halte ih für wertvolle Winke für die demnächstige G.setgebung und werde sie dement- \pre@end in Erwägung ziehen.

Damit {ließt die Generaldiskusfion.

In der Spezialdiskussion werden die 88 1 bis 5 ohne Debatte angenommen. O i

Beim § 6, wonach die Einführung der Umsaßsteuer und die Erhebung der Schankkonzessionssteuer zugelassen if, bemerkt

Oberbürgermeister Struckmann, daß durh die Debatte über diese Vorlage der bisher streitige Punkt festgestellt sei, daß die Ge- meinden bereits die Befugnis baben, eine Schankkonzefsicnésteuer ein- zuführen. Die Gemeinden würden mit einer Unmenge von Kon- zessionégesu@en übershwemmt. Diese Aniräge würden dur eine Abgabe dafür beschränkt werden. Noch wichtiger wäre es, daß der unverdiente Gewinn, den jemand durch die Erteilung einer Kon- zession erzielt, versteuert werde. Das Haus, in dem eine Kon- zession erteilt werde, werde im Werte bedeutend gesteigert. Oft erziele {hon ein Bauunternehmer dadurh größeren Gewinn. Es \ci aber \chwer, denjenigen zu finden, von dem cigentlih dieses Geld zu erhcben sei, und es sei zu hoffen, daß hier in richtiger Weise das System der Abwälzung eintreten werde. Dur ein vom Ministerium zu entwerfendes Normalstatut könnten den Gemeinden richtige Finger- zeige gegeben werden. Es gebe wenig Steuern, die so gerechtfertigt find, wie die Schankkonzessionésteuer, wenn sie richtig ausgebaut werde. Hoffentlich werde das der Fall sein.

S 6 wird angenommen. i ;

Nach § 7 sind zur Aufbringung der direkten Kreissteuern die einzelnen Gemeinden und Gutsbezirke verpflichtet. Als Maßstab für die Verteilung der Kreissteuern auf diese Verbände dient das Soll der Einkommensteuer und der Realsteuern, wie es in Gemeinden nach den Vorschriften des Kommunalabgaben- geseßes, nah Gemeindebeschlüssen und Vereinbarungen mit Steuerpflichtigen der Gemeindebesteuerung zu Grunde zu legen ist. Maßgebend für das Steuersoll ist der Stand vom 1. Januar. Steuerbeträge, die erst nach dem 1. Januar veranlagt werden, obwohl die Steuerpfliht hon vorher be- gonnen hatte, werden dem Steuersoll des nächsten Jahres hinzugerechnet. :

Herr von Wiedebach befürhtet von der leßteren Bestimmung Schädigungen, z. B. für einen Gutsbezi:k, wenn ein leistungsfähiger Mieter fortzieht.

Geheimer Oberregierungsrat Dr. Freund erwidert, daß dem vorgebeugt sei durch den § 15, worin bestimmt werde, daß, wenn das Gesamtsteuersoll im Laufe des Jahres um mehr als 10 9/6 verringert werde, der Mehrbetrag des Ausfalls vom Kreise zu erstatten sei.

Oberbürgermeister Struckmann fragt unter Schilderung der Verbältnisse weier kleiner Gemeinden bei Göttingen und der Klofter- kammer von Hildeéheim an, was hier unter „Vereinbarungen“ zu verstehen sei und ob die für die Gemeindebestzeuerung getrofferen Ver- einbarungen, z. B. die von jenen Gemeinden mit dem Fiskus ge- troffenen Vereinbarungen über die Befteuerung des Fiskus, auch für die Kreisbesteuerung maßgebend sein follen. N

Geheimer Oberregierungsrat Dr. Freund erklärt, daß es fih nur um Vereinbarungen handle, welhe nah dem Kommunalabgaben- gesetz überhaupt gestattet seien, daß diese aber auch für die Kreis- besteuerung maßgebend seien.

è 7 wird angenommen. _ :

8 bestimmt in der Fassung der Herrenhauskommisfion:

„Der Kreistag kann mittels Eclasses einer Steuerordnung beschließen, daß die der Verteilung der direkten Kreissteuern auf Gemeinde- und Gutsbezi:ke zu Grunde zu [legende Grund- und Gebäudesteuer durch cine nad dem Maßstabe des Wertes zu veranlagende Steuer vom Grundbesitz erseßt wird. Dabei soll der Bewertung von Grundflücken, welche tauernd land- oder forstwirtschaftlihen Zw: cken zu dienen bestimmt sind, in der Regel der Reinertrag zu Grunde gelegt werden, den die Gcundstücke na ihrer bisherigen wirtschaftlichen Bestimmung bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung nachhaltig gewähren.“ (Der leßte Say lautete in der Fassung des Abgeordnetenhauses : „Bei land- und forsiwirtshaftlich cder gärtneris genußzten Grundstücken, deren Vzrkauf zu Spekulationszwecken derzeitig rechtlich auszeshlossen ist oder tatsählich ausges{lofsen ersdeint, foll der jeweilige Verkaufswert nicht zu Grunde gelegt werden. “) /

Oberbürgermeister Dr. Bender- Breslau beantragt die Wiederherstellung der Regierungêvorlage, welche lediglich bestimmte : „Der Kreistag kann mittels Erlasses einer Steuerordnung beschließen, dos die der Verteilung der direkten Kreitsteuern auf Gemeinden un Gutsbezirke zu Grunde zu legenden Grund- und Gebäudesteuer dur eine nah dem Maßstabe des gemeinen Wertes zu veranlagende Steuer vom Grundbesite ersetzt wird", jedoch unter Sireihung des Wortes „gemeinen“.

Graf von Mirbah beantragt, in der Kommissionsfassung die Worte „in der Regel“ zu streichen.

Oberbürgermeister Dr. Bender: Ob es gerechtfertigt ist, die Brutiobestzeuerung in den Kreisen einzuführen, bezweifle i s ift oft hart und ungerecht, die direkten Steuern El zu den Kreis- abgaben heranzuziehen, obwohl die Kreiétvorteile cins.itig empfunden werden. Es ift namentlich in den Vororten nicht richtig, die Ein-

{on heute nit mit den 100 %/ Kommunalsteuerzushlag auf die Staats-

kfommensteuer, Gewerbesteuer und Gebäudefteuer voll zu den Kreis-

abgaben heranzuziehen, welhe fast auss{chließlih durch den Wegebau begründet sind. Die Lasten, die den großen rlCasten Kummer machen, die Armenlasten, Schullasten und Polizeilasten, trägt der Kreis nicht. Würde der Kreis alle diese öffentlichen Lasten tragen, dann würden wir nit immer tie Konflikte bei den Eingemeindungen erleben, fondern dann wären die Kreise froh, wenn sie die Vorort- gemeinden los würden. Wenn aber diese Besteuerurg gereh!fertigt ist, hat man jedenfalls nicht mit zweierlei Maß zu messen, wie es die Faffung der Kommission und auh die des Abgeordnetenhauses tun.

je Weritsteigerung muß zu den Gemeindelasten herargezogen werden. Allerdings können sole großen Umwälzungen in dea Werte des Grundbesißes, wie sie z. B. turch den Bau tes T-ltowkanals hervor- gerufen stud, nit berücksihtigt werden. Jh glaube nicht, daß mit dem § 8 in der Kommissioncfassung gearbeitet werden kann. Um Breslau herum z. B. gibt es Nittergüter, die lediglich für Zwedcke der Spekulation gekauft werden. Nah dem Wortlaut der Kom- missionsfassung wird nur der landwirtshaftliße Ertrag diefer Güter belleuete werden. Also der Zweck der Bestimmung wird geradezu verseDIt.

Graf von Mirbach: Ih habe den Antrag gestellt, die Worte „in der Regel“ zu streichen, weil darin keine geseglihe klare Be- stimmung liegen kann. Auf dem größten Teil des Landes sind solche Grundstücke gar nicht vorhanden. Jh habe persönlih kein Zuteresse an dieser Bestimmung, und will nur die landwirtschaftlichen Betriebe \{chüten.

Herr Dr. von Dziembowski: Ich boffe, daß ter bei der Beratung von der Mehrheit beider Häuser ausgesprechere Wunsch, land- und forflwirtshaftlihe Grundfiüde nicht nah dem gemeinen, sondern nach dem Ertragswert zu besteuern, festgehalten wird. Für uns im Osten ist eine Besteuerung nach dem gemeinen Wert unter den gegenwärtigen Verhältnissen nit mehr mögli, wir bekommen Verkaufspreise, die mit der Rentabilität den Zusammenhang verloren haben. Nach der Denkschrift der Ansiedlungékommissicn wird in Posen der Hektar des Großgrundbesitzes für 1149 4 gekauft, vor noch nicht 10 Jahren für über 600 Æ, also nur die Hälfte. Ich bitte, es den Selbsiverwaltungsorganen zu überlaffen, daß sie das Gesez nah Recht und Billigkeit aawenden werden.

Minister tes Innern Dr. von Bethmann-Hollweg: Ih bitte, den Äntrag Mirbach abzulehnen, weil er das Anwendungsgebiet des §8 so einsckränken würde, daß man den ganzen § 8 streichen fönnte. Namentlich in Vorortsgemeinden wäre die Grenze, wo ein Grundftück „dauernd“ landwirts{aftlichß betrieben wird, eine flüssige; die aller- größten Schwierigkeiten würden entstehen. Durch den § 8 oll ledig- li cine gered;t-re Besteuerung herbeigeführt werden, ohne daß diese stärker als bisher geshieht. Die Fafsung des § 8 dur das Herren- haus ift unverglei{lich befscr als die des Abgeordnetenhauses; ich bitte um Annahme des Kommissionsbes{lusses.

Oberbürgermeister Dr. Bender bält seine Meinung aufrecht, daß die jeßige Fassung des § 8 gerade diejenigen ungerecht besteuern werde, die geschont werden sollen. Einem Gesetz, das etwas Ungerecktes ncch ungerehter mache, könne er rit zustimmen. Ein Gut, das ein bis zwei Meilen von einer Großftadt entfernt liegt, sei immer Spekulationsobjekt, dadurch träten in den Vororten stets sehr starke Differenzen zwischen Ertrags- und Gemeinwert zu Tage.

Grafß-von Mirbach zieht darauf feinen Antrag zurück.

Graf Botho zu Eulenburg: Durh die Kommissions- fassung wird der auch von der Regierung gutgeheißene Gesichtspunkt ¡um Ausdruck gebraht, daß eine Veranlagung nah dem gemeinen Werte nicht stattfinden solle. Unsere Kommisfionsfafsung führt nicht zu verschiedener Belastung gçleihartiger Grundstücke, fondern der Zweck und die Wirkung ift, daß verschiedenwertige und verschieden- artige Grundstücke niht gleihmäßig belastet werden, sondern nach ihrer Art vershieden. In der Praxis wird die Einführung zwar \chwierig. aber niht unmöglich sein. Jch bitte, es deshalb bei der Kommifsionsfassung zu lassen.

err Dr. Wa hler meint, daß die Kommissionsfafsung die Gefahr

in fih berge, daß danach alle Grundstücke, wo fein landwirtschaftlicher

Betrieb beabsichtigt sei, mit dem Verkaustwert berange;ogen würden.

Die Bergwerke müßten Grundstücke ankaufen, die aber niht bewitt-

haftet würden, sondern nur Oedland scien. Die Regierung möge

ha eine entsprehende Erklärung in dieser Hinsicht Beruhigung afen.

Minister des Innern Dr. von Betbmann-Hollweg: Ih kann nicht sagen, wie ein einzelnes Grundstück eingef{äßt werden wird, aber ih mae darauf aufmerksam, daß der § 8 mit keinem Worte sagt, was der Wert sein soll. Es ift niht aus dem argumentum e contrario zu folgein, daß den landwirtschaftlihen ähnliche Grändftüde niht wie solhe behandelt werden sollen.

Herr von Wedel-Piesdorf ist dur diese Erklärung nicht befrietigt. Grundstücke, die für den Betrieb eines Bergwerkes an- gekauft würden, müßten ebenso behandelt werden wie solhe, die ge- fauft werden, um Häuser darauf zu bauen.

Herr Dr. Wahler: Die Bergwerksbesißer müssen die Grund- stücke ankaufen, sie tun es aber niht zu Spekulationszwecken; der Vergleich mit Hautgrundstücken trifft niht zu.

Herr von Wedel-Piesdorf: In beiden Fällen wird das Grundstück erworben, um es höher auszunußen, als dur den land- wirishaftlihen Betrieb geschehen kann; deshalb müssen diese Grund- stücke höher belastet werden. /

__ Oberbürgermeister Dr. Bender widerspriht diescr Auffassung; die Shlimmsten seien gerade diejenigen, welhe überhaupt nit bauen.

Nach einigen weiteren Bemerkungen der Herren von Wedel-Piesdorf und Dr. Bender wird der Antrag Bender abgelehnt und die Kommissionsfassung unverändert ange- nommen. i :

Der Rest des Geseßes wird nah unerhebliher Debatte, an der sch die Herren Struckmann und Dr. Bender sowie Geheimer Oberregierungsrat Dr. Freund beteiligen, unverändert im einzelnen angenommen; darauf wird bei der Gesamtabstimmung das Gescß im ganzen angenommen.

Die Resolution wird angenommen.

Eine Petition um Abänderung der Krei2ortnung für die Rhcin-

provinz und die Provinz Westfalen, dahin gebend, daß den Bürgermeistern und besoldeten Beamten das Ret zur Wähblbarkcit im Kreistage und im Kreisauéschusse gegeben werde, wird der Regierung als Material überwiesen. Die übrigen zu der Vorlage eingegangenen Petitionen werden für erledigt erklärt. _ Es folgt der Bericht der Handels- und Gewerbekommission über die Petition des Justizrats Dr. Baumert zu Spandau, namens des Preußishen Landesverbandes städtisher Haus- Und Grundbesißervereine, um Aufbringung eines Ent- shädigungsfonds seitens der Bergwerksbesißer für die nah Einstellung des Bergwerksbetriebs ein- tretenden Grundstücksschäden.

__ Der Referent Graf v onHohenthal-Dölkaubeantragt die Ueberweisung der Petition an die Regierung als Matertal, bemerkt aber, daß die Petition an monter Stelle tendenziöse Uebertreibungen enthalte, die niht eines sozialdemokratishen Beigeshmacks entbehrten.

Das Haus beschließt nah dem Kommissionsantrage.

Zwei Petitionen, die eine von Professor Dr. Paul Förster zu Friedenau namens des Landesverbandes des Weltbundes zum Schutze er Tiere und gegen die Vivisektion, die andere von Frau Mina Schmidt-Bürkly zu Berlin und anderen, bitten um Ablehnung der für vivisektorishe Lehr- und Werkstätten verlangten Mittel bezw. um Einschränkung der Vivisektion.

Der Referent der Petitionskommission, Fürst zu Stolberg- Wernigerode, beantragt zur ersten Petition den einfachen ebergang zur Tagesordnung, zur zweiten Petition dea motivierten ebergang zur Tagesordnung in Anbetracht der vom Kultusministerium getroffenen Maßnahmen.

seftion anstreben, der Regierung zur Berüdlsichtigung, im übrigen aber als Material zu überweisen. Der Erlaf: des Kultuêministers von Goßler von 1885 habe nur allgemeine Richtlinien für die Ausführung der Vivisektion gegeben, die {on damals als nicht auêreichend erschienen seien. Die Anschauunçen seien leider immer perversere geworden. Ein großer Teil der Experimente könne auch an frisch getöteten Tieren vorgenommen werden oder an Tieren, die bewußtlos gemacht wo:den sind. Vivisektionen bei medizinishen Fällen, die bereits genügend befannt seien, dürften überhaupt nit mehr statt- finden. Das Strafgesezbuh reie niht aus, da Tierquälercien nur bei Konstatierung des öffentlihen Aergernisses bestraft würden. Der Redner fragt an, ob die Anstellung eines neuen Tierwärters beim biolcgishen Institut in Frank- furt a. M. auf eine nech weitere R AGbruda dieser Vivisektionen abziele. In ärztlichen Kreisen sei man geteilter Ansicht. Die Petition der Frau Schmidt-Bürkly sei außer von vielen hohstehenden Damen auÿ von 112 Medizinern und vielen Schriftstellern, im garzen von 950 Perfonen unterzeihnet. Im Interesse der Menschlichkeit bittet der Redner, seinem Antrage zuzustimmen.

__ Graf von Hutten-Czapski: Die beiden Petitionen stellen die sentimentale und die fanatishe Richiung der Antivivisektions- acaung dar. Unter den Medizinern der Petitionkunterzeihner be- finden fich keine von Bedeutüng; einige Anregungen möchten beherzigenswert sein. Einige der Unterschriften machen den Eindruck von Gefälligkeitsakzepten. Die Petition des Professors Förster enthält Beleidi- gungen, Mänuer wie Koch, Behring werden als gzwissenlose Verbrecher hingestellt. Dagegen muß man im Namen der deutshen Wissenschaft aufs \{ärfste Widerspru erheben. Die Gesetzgebung seit Moses hat das Tier als dem Menschen unrtertan angesehen, sei es als Genuß- oder als Forshungêmittel. Wir dürfen nit aus Sentimentalität gegenüber dem Tiere vergessen, dem Menschen zu helfen. Die Be- stimmungen des Goßlershen Erlasses reihen aus; ich bitte um Ab- lehnung des Antrages Durant, und ich bitte weiter die Regierung, recht aroße Mittel für die Zwecke der wissenschaftlißen Forschung durch Tierexperimente einzustellen.

__ Graf von Oppers8dorff ist ebenfalls der Meinung, daß die Förstersche Petition mindestens eine gewaltige Uebertreibung sei. Pro- fefsor Förster habe in seiner Petition auch den Profefsor Neifser an- gegriffen. Es sei bier der Ort, es öffentli als eine blanke Unwahrheit zurückzuweisen, daß der Prof:ssor Neifser Syphilis auf Ge- sunde übertragen habe. Uebrigens habe doch der Welt- burd zum Schuße der Tiere nichts mit den angeblichen Versuchen Prof. Neissers an Menschen zu tun. Jn der maflosen Agitation all der weihherzigen Herren und Damen liege nicht nur Mitgefühl für die Tiere, sondern sogar ein gewisses selt- sames philosophi]ches System, das z. B. dahin gehe, zu behaupten, wie Gott zum Menschen berabsteige, um ibn zu erlösen, so müsse es auch der Mersch gegenüber tem Tier tun. Man dürfte ja nah dem Standpunkt dieser Fanatiker auch im landwirtschaftlihen Betriebe keine Kastrationen mehr vornehmen.

Wirklicher Geheimer Rat, Professor Dr. von Bergmann: Ich fühle mich berufen, in diesem Hause auch mein Bekenntnis über die Vivisektion abzulegen. Die erste Vivisektion wurde meines Wissens 1259 unter Innozenz IV. ausgeführt, wodur festgestellt wurde, daß ein verleßter Darm durch die Luftröhre einer Gans erseßt werden konnte. Die moderne Telephcnie wäre nicht möglich, hätte Galvani nicht durch Experimente mit Fröshen den Galvanismus ent- deckt. Der Kampf gegen Tuberkulose, Sypbilis und Krebs wäre

nicht mêglich obne die Resultate der Vivisektion. Frau Lilli Lehmann-Kalish bat geäußert, sie wolle ihr Leben in keinem Falle der Qual eines Tieres verdanken, und sei es au nur eine Sliege. Ich stehe nicht auf diesem Standpunkt. Solche Experimente, wie fie auf den Fier vorgelegten Bildern an Kaßen gezeigt werden, fommen faum vor, die meisten Expcrimente besteken jeßt in Impfungen der Tiere. Ich habe auch von den behaupteten Rohciten der Studenten bei Vivisektionen nie etwas bemerkt.

Nach einigen Bemerkungen des Freiherrn von Durant und des Referenten Fürsten zu Stolberg wird der Antrag Durant abgelehnt und der Kommissionsantrag angenommen.

Schluß 71/2 Uhr. Nächste Sißung Mittwoh 1 Uhr. (Staatshaushaltsetat.)

Statistik und Volkswirtschaft.

Deutschlands Außenhandel mit Pferden im Januar 1906.

Noch dem Januarheft 1906 der „Monatliden Nachweise über den auêwärtigen Haydel des deutsWen Zollgebiets" gestaltete fch der deutsde Außer handel mit Pferden im Januar 1906, wie folgt (zum Vergleiche seien die cntspreckŒenden Zahlen für den gleihen Monat der beiden Vorjahre beigefügt):

JIanuat 1906 1905 1904

Einfubr 2106 968 935 Ausfuhr 122 52 51

Arbeitépferde, leichte: Stuten:

Hengste

MWallache: Einfuhr 5090 1163 2540 Ausfuhr 150 106 137

Einfuhr 1686 1375 1860 Ausfuhr 48 21 41

è \chwere: Stuten:

Ä s engfte, allache: Einfuhr 5748 3804 3664

: Auéfuhr 62 20 59 Ponies : Einfuhr 31 23 118 Zucbthengsie, ch Ausfuhr 392 697 568 uhthengste, schwere : Einfuhr E 34 13 Ausfuhr 1 5 n [eichte : Einfuhr 21 10 H Auéfuhr 9 T L Sonstige Pferde (Neit-, Nenn-, Luxuspferde) : Einfuhr 261 404 330 Ausfuhr 130 241 185 Fohlen, die der Mutter folgen : Einfuhr 9 1 3 Ausfuhr 3 ——

Hiernach hat die Einfuhr von leihten und {weren Arbeitspferden nah Deutschland im Januar gegenüber jener im gleichen Monat der beiden Vorjahre bedeutend zugenommen. Da der Zoll für Pferde mit Ausnahme von Zuchtpferden im neuen Zolltarif erhöht ist, fand eine Voreinfuhr von Pferden der meisten Gattungen über den augenblick- liden Bedarf statt. An der Mehreinfuhr von leiten Arkbeits- pferden sind fowohl Stuten, von denen namentliß Rußland mehr, fast das Zehnfahe der vorjährigen Einfuhr lieferte, als auch Hengste und Wallahhe beteiligt. Die Ausfuhr beider Arten hat sich zwar gehoben, ist aber gering. Schwere Arbeitsstuten wurden ebenfalls mehr eingeführt als im Vorjahre, aber weniger als 1904; dagegen hat die Eixfuhr s{chwerer Arbeitshengste und „wallache aus Belgien, Dänemark, Großbritannien, Desterreih-Ungarn gegen beide Vorjahre erheblich zugenommen. Die Gesamteinfuhr hob ih im Vergleih mit der des Vorjahres um 50 v. H. Ponies und andere kleine Pferde wurden mehr eingeführt als im Vorjahre, jedoch

eiberr von Durant beantragt, die Petitionen, insoweit sie eine Einschränkung und wenigcr gräusame Ausführung der Vivi-

weniger als 1904. Die Ausfuhr von Schlachtpferden nach der

wurden rur kalb so viel, leite toppelt so viel eingesübrt wie im Vcorjahre. Zwei Drittel der lettzren kamen aus Rußland. Die Ein- und Ausfuhr von Reit-, Renn- und Luxuspferden hat gegen die Vor- jahre abgenommen. Saugfohlen wurden mehr als sonst eingeführt.

Organisation der Handwerker in Elsaß-Lothringen.

Nach den am 1. Januar 1906 vom Ministerium veranlaßten Erbebungen bestehen zur Zeit in Elsaß-Lothringen, wie wir der „Straßb. Korr.“ entnehmen, 151 Handwerkervereinigungen mit 8069 Mitgliedern, unter denen sich 7091 Handwerker befinden. Hier- bei sind diejenigen Handwerker (223), die zugleih einer Innung und einem Gewerbeverein angehören, nur bei den Innungen gezählt. Auf die Bezirke verteilen sich die Körpershaften folgendermaßen: Im Oberelsaß bestehen 20 freie Innungen mit 831 Mitgliedern, 3 Zwangsinnungen mit 323 Mitgliedern und 24 Gewerbe- und Hand- werkervereine mit 1725 Mitgliedern, von denen 1373 Handwerker sind. Im Unterelsaß bestehen 9 freie Innungen mit 438 Mitgliedern, 2 Zwangsinnungen mit 319 Mitgliedern und 37 Gewerbe- und Hand- werkervereine mit 1897 Mitgliedern, unter denen sich 1794 Hand- werker befinden. In Lothringen bestehen 21 freie Innungen mit 741 Mitgliedern und 35 Gewerbe- und Handwerkervereine mit 1795 Mitgliedern, von denen 1495 Handwerker sind.

Zur Arbeiterbewegung.

Die tem Verbande der Bäcker Deuishlands angehdrenden B er- liner Bäckergesellen (vgl. Nr. 84 d. Bl.) haben, ter „Voss. Ztg.“ zufolge, gestein in einer Versammlung folgenden neuen For- derungen zugestimmt, die den Innunçcen fofort unterbreitet werden follen: „Kost und Logis darf dem Gesellen vom Meister in keiner Form als Fasos gewährt werden. Wo bisher die Gesellen noch in Koft und Legis beim Arbeitgeber, muß als Ersaß ein wö@entlicher Lohnzuschlag von 12 Æ zum bisherigen Lohn gezahlt werden. Der Mindestwochenlohn beträgt in Betrieben mit einem und zwei Gesellen 23 #Æ, mit drei bis sieben Gesellen 25 H, mit mehr als Eo Gesellen 27 M Gesellen in verant- wortlihen Stellungen erhalten entsprehend Höhere Löhne. Geseßlich zulässize Utberstunden werden mit 60 S bezahlt. Jede angefangene Stunde wird voll bez2hlt. Die tägliche Arbeits- zeit darf bis zu 12 Stunden ausgedehnt werden. Es daf nur der paritätishe Arbeitsnahweis benutzt werden usw. Die Beauftragten der Schlihiungskommission haben zwecks Kontrolle und Durchführung des Tarifs freien Zutritt zu den Bäckereien. Der Tarif tritt mit dem Tage der Unterschrift in Kraft und gilt .bis 1. Mai 1908.“ Auch die S chlofser Berlins sind nah demselben Blatte in eine Lohnbewegung eingetreten. Sie verlangen einen Mindeststundenlohn von 50 »§ und drohen, falls die Meister nicht nahgeben, mit dem Ausstand.

In einer am Montag abgehaltenen Versammlung des Deutschen Arbeitgeberverbandes für das Baugewerbe in Cöln erklärte der Vorsitzende, daß am 1. Mai aus- gedehnte Arbeitéeinstellungen zu erwarien seien, da die Ver- handlungen mit den Arbeitnehmern, obgleich hößere Akkordsäße sowie böbere Stundenlöhne zugesichert - seien, zu keinem Ergebnis gesührt hâtten. Die dringenden Arbeiten müßten bis zum 1. Mai beendet sein, damit die zu erwartende allgemeine Arbeitseinstellung erfolgen könne. Auf Grund der abgeschlossenen Verträge würden alédann au die Lieferungen aller Baumaterialien aufhören.

Die Lohnbewegung der Weserschiffer (vgl. Nr. 74 d. Bl.) hat, wie die „Köln. Ztg." meldet, eine entschiedene Verschärfung erfahren. Die Kahnführer und Schiffer der Mündener und Hamelner Gesellschaften sind ebenfalls in den Ausstand ge- treten. Man befürchtet, daß die gesamte WeserfraGtschiffahrt eins gestellt werden wird.

Zum Ausstand der Bergarbeiter im mitteldeutschen Braunkohlenrevier (vgl. Nr. 74 d. Bl.) berihtet „W. T. B.“ aus Weißenfels, daß die Verhandlungen einiger Werkleitungen mit den Ausftändigen au heute noch zu keinem Ergebnis geführt haben ; bis jezt nehmen an dem Lohnkampfe nur die organisierten Arbeiter teil. Die Werkbesiger treten morgen zu einer Beratung in Leipzig zusammen. Der Geschäftsgang der Braunkoblenindustrie beginnt unter dem Aus- stand zu leiden. Im Weißenfelser Nevier ist die Zahl der Streikenden bis heute morgen auf 1200 angewachsen. In einigen Orten kamen Ausschreitungen der Streikenden vor; am Werke Groißschen sind die Fensterscheiben eingeworfen worden. Nach amtlicher Angabe sind im Braunkohlenrevier Weißenfels bei 33 Gruben 2200 Bergarbeiter beschäftigt; im Revier Zeit- Meuselwiß 5000. Die Braunkohlenreviere bei Halle find völlig ruhig. Von den 8590 Bergarbeitern, die nah Ausweis der amtlichen Statistik im ganzen mitteldeutschen Braunkoblengebiet beschäftigt sind, streifen bis jeßt 2700.

In einer gestern in Breslau abgehaltenen, zahlrei besuchten Versammlung der Dr oschkenkutscher wurde, wie „W. T. B.“ meldet, für den nächsten Sonntag der allgemeine Ausstand beschlossen, um dadur gegen die neue \{ärfere Polizeiverordnung zu protestieren.

In Leipzig haben, wie die „Lpz. Ztg.“ berichtet, sowohl die Schuhmachergesellen wie die Schneidergesellen eine Lohns tarifbewegung eingeleitet.

Die französischen Bergleute nehmen, wie dem „W. T. B.“ aus Lens telegrapbiert wird, die Arbeit in größerer Zahl wieder auf. Man glaubt, daß sich bei der Abstimmung eine große Mehrheit gegen Fortseßung des Ausftands aussprehen wird. (Vgl. Nr. 74 d. Bl.)

Aus Indianapolis wird dem ,W. T. B.“ berichtet, daß die aus Besitzern von bituminösse Kohle liefernden Berg- werken und Bergarbeitern bestehende Kommission zur Ver- einbarung einer Lohnskala nach einwöchiger Beratung beschloß, der Konferenz von Bergwerksbesißern und Bergarbeitern thren Bericht dabin zu erstatten, daß eine Einigung nicht erzielt sei. (Vgl. Nr. 74 d. Bl.)

Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs- maßregeln.

Der 11. Kongreß der Deutschen Nöntgen-Gesellshaft findet am 1. und 2. April d. J. im Langenbeckhause in Berlin statt. Die große Zabl der angemeldeten Vorträge und Demonstrationen macht es nôtig, die Zeit für Vorträge auf 15 Minuten, für De- monstrationen auf 10 Minuten und für die Diskussion auf 5 Minuten zu beschränken. Die endgültige Tagesordnung sowie die Mitglied8- karten oder Teilnehmerkarten (10 4) können am Sonntag, den 1. April, Vormittags von 10—2 Uhr, im Bureau des Herrn Melzer (Langenbeckhaus, Ziegelstraße 10/11) und am Montag, den 2. April, von 8 Uhr Vormittags ab im Kongreßbureau (im Langenbekhause) in Empfang genommen werden.

Aegypten. Der internationale Gesundheitsrat in Konstantinopel hat für Herkünfte von Alexandrien eine ärztlihe Untersuchung verfügt, die im ersten türkishen Hafen mit einem Sanitäts- arzt zu erfolgen hat.

Handel und Gewerbe.

(Aus den im Reichsamt des Innern zusammengestellten „Nachrichten für Handel und Sndustrie*)

Drahtlose Telegraphie auf amerikanischen Eisenbahnen.

Auf Anfrage eines Unten über den gegenwärtigen Stand der Versuche mit drabtloser Telegraphie auf S@tnellzügen hat der General Manager ter Alton Railway Co. Jen rie, daß die Ge- \sellsck;aft keine weiteren Versuhe mit drahtloser Telegraphie gemacht

S@{wetz und Belgien hat \tark nachgelassen. Schwere Zuchthengste

habe, weil die Kosten der Vermittlungsstation so groß waren, daß die

E tee.