1906 / 115 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 16 May 1906 18:00:01 GMT) scan diff

Großhaudelspreise von Getreide an deutschen und fremden Börseuplätzen für die Woche vom 7. bis 12. Mai 1906 nebst entsprehenden Angaben für die Vorwoche. Zusammengestellt im Kaiserlihhen Statiftishen Amt. 1000 kg in Mark. (Preise für greifbare Ware, soweit niht etwas anderes bernerkt.)

Woche| Da- Tia egen Mai ore 1906 | woche Berlin. Roggen, guter, gesunder, mindestens 712 Weizen, é ¿ 755 Hafer, L œ " Mannheim.

Roggen, Pier rut r, bulgarischer, mittel .

163,08| 164,18 185,79| 186,14 163,88| 165,78

180,25| 179,88 196,88| 197,96 176,25| 178,75 178,75| 178,75 131,25| 133,79

, Pfälzer, russischer, amerik., rumän., mittel S bdisder württembergisher, mittel . badische, Pfälzer, mittel ......

Gerste \ Ne O a De

Wien.

Roggen, Pester Boden 5 Roggen Lrbis R fer, ungarischer I. . erste, slovakishe . . . . Mais, ungarisher . ... . - Budapest.

Roggen, Mittelware . . . Weizen, ú E,

121,84| 122,70 157,62| 158,49 161,03| 153,38 16167 123,54| 123,55

114,38| 114,67 5 138,34| 138,44 E 154,34| 139,87 L * 1 127,93| 127,39 : 116,04| 115,33

Hafer, "” . . . erste, Futter- L Mais, ù A Odessa.

Roggen, 71 bis 72 kg das hl We e Ulïa, 75 bis 76 kg das hl

Riga.

Roggen, 71 bis 72 kg das hl . . See, 10 G Q

Paris. ggen | lieferbare Ware des laufenden Monats

zen Antwerpen. Mana S Donau, mittel . . At ee 6 Sea «6 Califocnter . . . Malla Walla . . Kansas Nr. 11

Amsterdam.

105,37| 108,89 123,59| 124,69

111,52| 117,45 124,58) 128,98

122,31| 123,64 { 193,07| 193,64

133,04| 134,06 135,07| 136,09 137,10| 139,18 142,14| 142,19 148,23| 148,28 143,19| 143,65 141,16) 141,21

136,69

Dow, L: 138,52| 138/30

Roggen E 1A E

E 147,78| 147,74

Weizen amerikanischer N 152,70 E ; E E E O E

e R L «R BAAO

London. Weizen | 0. wen (Mark Lane). . . «

\ englishes Getreide, Men Mittelpre e 196 Marktorten Grhfte (Gazette averages)

Liverpool. Lee e

O eo Manitoba . La Plata. » » MUustralier . . Hafer, engliscker, weißer . erste, Futter-, amerikan. Mai | amerikan., bunt . Mais \ La Plata .

Chicago.

Mai

Weizen, Lieferung8ware \ Sis “s

Mais ä 1 E Neu York.

roter Winter- Nr. 2... Mai .

149,08| 149,01 147,96| 147,89

141,62| 140,38 144,86] 142,98 136,05) 134,57

152,54| 152,46 142,18 142,11 146,30] 146,46 145,25| 145,40 150,90| 151,52 147,51| 147,44 109,06] 109,01 102,74} 103.05 112,99| 112,93

Weizen

O M

moo S

—_ —-— I 0 ho O O ps jf J A

pmk pmk jr 1 O S D 00 D E m O C

o r

143,7 é 137,08

Beferungsware Fuli Í 132,36

N \ Ml A 30, 129,70

Mais á 7. S : 992 53

Buenos Aires.

Weizen | Mais | Dur@schnittsware O

Weizen

Bemerkungen.

1 Imperial Quarter ist für die Weizennotiz an der Londoner Pro- duktenbörse = 504 Pfund engl. gerechnet; für die aus den Umsäten an 126 Marktorten des Königreichs ermittelten Dur@schnittspreise für einbeimishes Getreide (Gazette averages) if 1 Imperial Quarter Weizen = 480, Hafer = 312, Gerste = 400 Pfund engl. ange. 1 Bushel Weizen = 60, 1 Bushel Mais = 956 Pfund engli! 1 Pfund englisch = 453,6 g; 1 Last Roggen = 2100, Weizen = 2400, Mais = 2000 kg. E L,

Bei der Umrechnung der Preise in Reich®währung sind die aus den einzelnen Tagesangaben i „Reich8anzeiger ermittelten wöchentlihen Durhschnittswecselkurse an der Berliner Börse zu Grunde gelegt, vnd zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, für London und Liverpool die Kurse auf London, für Chicago und Neu York die Kurse auf Neu York, für Odessa und Riga die Kurse auf St. Pete auf diese Pläße. Goldprämie.

tersburg, für Paris, Antwerpen und Amsterdam die Kurse Preise in Buenos Aires unter Berüdltsichtigung der

sezung der zweiten Beratung des Entwurfs eines Geseßes, betreffend die Ordnung des S au a8 und die Tilgung der Reihs{chuld (Mantelgeseß). z Das Haus beginnt zunächst mit der 3. Lesung der Diäten- vorlage, zu der der Abg. Gröber einen Kompromißantrag eingebracht hat. i Auf die Erklärung des Abg. von Staudy (kons.), die bereits in der gestrigen Nummer d. Bl. mitgeteilt worden ist, erwidert der | Staatsminister, Staatssekretär des Jnnern Dr. Graf von Posadowsky-Wehner: Meine Herren! Die Erklärung, die der Herr Abg. von Staudy namens eines Teiles seiner politishen Freunde abgegeben hat, stellt einen klaren und in meinen Augen durchaus achtenswerten politischen Standpunkt dar. Ich kann mir sehr wohl denken, daß man ih auf diesen Standpunkt stellt, und ih will deshalb auch darauf verzichten, gegen diese Ausführungen des Herrn Abgeordneten nach dieser Richtung u polemisieren. i "5 n meine Herren, über die Diäten sehr verschiedene Auf- fassungen. Man kann noch nit mit Gewißheit voraussehen, wie ih die Verhältnisse demnächst gestalten werden, und man muß des- halb auc einen gegnerishen politischen Standpunkt : achten, wenn er in durchaus objektiver Weise begründet wird. Meine Herren, meine Ausführungen beziehen sih deshalb auch nicht auf den grund\ägtlichen Standpunkt zur Sache, sondern auf einige nebensächlihe Aeußerungen, die gemacht sind, und die ich hier vom Bundesratstishe aus nit unwidersprochen sein lassen möchte. : Zunächst hat der Herr Abg. von Staudy darauf hinge- wiesen, daß der sozialdemokratischen Partei durch das Gesetz mehrere hunderttausend Mark zufließen würden, die sie in threm Kampfe gegen die bestehende Staatsordnung mißbrauchen könnte. Ja, meine Herren, etwas können Sie aber doch nicht leugnen : die Gelder, die in der Form des Pauschquantums den sozialdemokratischen Abgeordneten zu- fließen, fließen doch au den Abgeordnetea aller anderen Parteien zu (sehr richtig! links), und wenn politischer Einfluß eine Geldfrage ist, haben au die anderen Parteien, denen dieses Pausquantum zufließt, die Möglichkeit, die ihnen zufließenden Summen im Interesse der be- stehenden Staatsordnung zu verwenden. (Sehr gut! und Heiterkeit links.) Meine Herren, dann hat der verelrte Herr Vorredner erklärt, die verbündeten Regierungen sollten dafir sorgen, daß nur Abge- ordnete gewählt würden, die au in Reichstage präsent sind. (Heiterkeit.) Meine Herren, wenn ih mene Erfahrungen ich stehe nun nächstens seit 13 Jahren hier am Bundesratstis{ als Staats- sekretär des Reichs hier mitteilen könnt, wenn ih Ihnen mitteilen fönnte, was ih mir manchmal für Mihe gegeben habe, cinzelne Abgeordnete zu bewegen, im Hause anwef-nd zu fein (Heiterkeit), das Haus nit zu verlassen (hört, hört! [k8), um wichtige Vorlagen nit zu gefährden, dann würde man, glcube i, der Regierung nicht den Vorwurf machen können, daß sie nit alles getan hat, um ein beschlußfähiges Haus zu haben. Mir würen in diesem Hause zahlreiche Parteiführer das Zeugnis ausftellen könen, wie oft ih mit ihnen verbandelt und sie gebeten habe, dafür z1 forgen, daß ihre Partei zur Stelle isi! (Zuruf von den Sozialdem: raten. Grofe Heiterkeit.) Ih habe aber leider sehr oft die L. twort bekommen : Ia, wir telegraphieren, aber es nüßt nichts, sie 1 men ja doch nicht. (Große Heiterkeit ) Also, meine Herren, wenn; jan eine sole Forderung an die Regierung stelit, dann hat die Regizung au das Recht und die Pflicht, nahzuweisen, daß sie ih Sei *aihts versäumt hat, um eiv bes{lußfähiges Haus zu bek zen. (Lebhafte Zurufe. - Glocke des Präsidenten.) E : Der Herr Vorredner bgt dann die Ansicht geäußert, wir bätten uns wegen der Verfafsungsfrage do mit den einzelnen Re- gierungen in Verbindung seßen sollen. Diek Vorlage ift fell tverftändlih im Bundesrat auf das eingehendste erôfstert worden, und es baben zwischen den Reichêressorts und den preutischen Ressorts wochenlange Berhbandlungen über jede Einzelbeit dies Vorlage stattgefunden; ih kann Ihnen versichern, es ist vielleiht \ilten eine Vorlage Gegenstand so eingebender Erörterungen acwesen we diese. (Hört, bört! links.) Nun noch eine Bemerkung zum Séóluß! Es ift die Verfassungs- | mäßigkeit des § 5 in Frage gestell. Jh habe mich bemüht und ih glaube, von der eihéverfassung verstehe ih auch etwas —, nachzuweisen, d bier von einem Ein griff in die einzelstaatlichen Verfafsunjen in dem Sinne, wie es bier dargestellt ist, staatsrechtlich nicht dk Rede sein fann. Aber wenn meine Autorität auf diesem Gebiete] zu {wah sein sollte, so will ih eine Autorität anführen, die vieseicht bei einem Teile des hohen Hauses doch noch stärker wirkt als d meine. Gegenüber einem An- trag des Grafen von Lipve üm preuischen Herrenhause, welcher die | Errichtung des Rei8oberkandels rihts obne Zustimmung der preußischen Lande8vertretung als it der preußishen Verfaffung in Art. 86 und 32 im Widerspqch stehend erklärte ih ver- weise dieserhalb auf Nr. 5 der Dusachen des preußischen Herren- bauses, Sigzungëpz:riode 1869/70 4, führte der preußische Justiz- minister Leonbardt in der Sißung dd Herrenbauses vom 17. November 1869 Stenographbishe Berichte p T Seite 58 und 59 aus: daß es si lediglih darum hbardle, sb die Rehtsschöpfuang des obersien Gerichtshofs innerhalb der Grenzey der [Tegielativen Kompetenzen der Bundesregierungen liege. Werde fie Frage bejabt, dann sei sie zus ässig ohne Rückficht darauf, ob duth dieselbe eine bestimmte Lande8- verfassung berührt werde. Es sei einDoppeltes möglich: entweder liege die Neusövfung innerhalb der urssünglichen legiëlativen Kompetenz des Reickes, oder, wenn dies nih}j der Fall sei, so sei fie gereht- fertiat auf Grund des Art. 78 df Reichsverfafîung. Art. 78 der Reicktverfassung sei ein integrierenèr Teil der Verfassung des Nord- deuts&en Bundes: dieser Artikel sei von der preußischen Landes- verwaltung angenommen und imzäcits damit au alles, was sich auf Gcund dieses Artikels ax stwaizen Kompetenzerweiterungen für das Reih ergebe. Auf Grond dieser Erklärung des preußishen Justizministers, im Herrenhause wurde der

Deutscher Reichstag. 103. Sißung vom 15. Mai 1906, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Tagesordnung : Dritte Beratung der Geseßentwürfe, be-

treffend die Aenderung der Artikel 28 und 32 der L

Reichsverfassung und die Gewährung einer, Entsch äd

gung an die Mitglieder des Neichstag 82, sowie Fort-

trag Lippe mit 58 gegen Stimmen abgelehnt, gewiß eine fonserrativ¿Beriammlung. Gewiß, meine Herren, und eice shhe konservative Versammlu i volitisch sehr notwendia. Die Metheit preußishen Herrenhauses erfannte also die Rechtsauffafs :s8 Herrn preußischen iniftezs an, und hier Lieg zs ganz gleich. Die all- egelung der Diätenfrage ift dem

Reiche fleht demnach auch zu, eine Geseggebung zu erlassen, die diese Bestimmung in erweiterndem oder verengerndem Sinne ausführt. Da ich glaube, daß ich niht wieder Gelegenheit haben werde, im Laufe der Debatte das Wort zu ergreifen, kann ih Sie \{chließlich nur dringend bitten, noch einmal ¿zu erwägen, ob nicht die Bestimmung wegen Aenderung des Art. 28 der Reichsverfassung anzunehmen ift, und ob Sie, wenn der Antrag Burlage bezügli des zeitlihhen und räumlihen Umfangs der Freifahrt nihi mehr gestellt werden sollte, nit der Regierungsvorlage zustimmen wollen.

Abg. Preiß (Els.): Wir werden gegen die Diäâtenvorlage

stimmen, weil ihr Charafkteristikum darin besteht, daß vor aller Welt

proklamiert werden foll, der deutsche Reichstagsabgeordnete ist ein

Mens, der nur mit Vorsicht zu genießen ist; es ist mit seiner Ge-

wissenhaftigkeit nicht weit her, er [äßt sich seine Pflichterfüllung ab-

faufen. Wir haben von einem Abgeordneten eine höhere Meinung.

Auch die Strafe für Fernhalten läßt sich nah unserem

Dafürhalten nicht mit der Würde eînes Abgeordneten ver-

einbaren. Der Abgeordnete ist nur seinen Wählern _dafür ver-

antwortli%, ob, wie und wann er sein Mandat ausübt. Ent-

weder ist das Mandat ein reines Ehrenamt, oder es wird eine an-

gemessene, der Würde und Bedeutung der Volksvertreter entsprechende

Vergütung gewährt. Es wäre also angemessener, Tagegelder wie in

anderen Parlamenten zu zahlen ; will man aber eine Pauschsumme, so

müßte diese auf einmal ohne Abzugssumme gezahlt werden. (Heiters

feit.) Ihr Lachen beweist nur, wie verschieden in dieser Beziehung die

Anschauungen von der Würde eines Abgeordneten find. Es müßte dem

Gewissen und Verantwortlichkeitëgefühl des einzelnen überlassen werden,

wenn er unter solhen Vorausseßungen scin Mandat ausüben will. Die

Besten des deutschen Volkes sind auëgewählt bei der Wahl der 397 Reichs-

tagsmitglieder ; solche Leute hat man mit Vertrauen und Achtung zu be-

handeln, niht aber Schulstrafen und Zwang8maßregeln gegen sie anzu-

wenden. Die Vorlage ist alfo für Beruféparlamentarier oder für arme

Teufel gemacht ; der Geschäftsmann wird dur die Vorlage cegenüber dem

bisherigen Zustand benacteiligt. Die moralishe Verpflichtung zur

dauernden Anwesenheit fann für die Süddeutschen und alle aus weiter

Ferne kommenden nicht anerkannt werden; ihnen wird dur diefe

Vorlage nicht eine Erleichterung gewährt, sondern geradezu eine {were

Belastung aufgebürdet. Wir stimmen gegen eine Vorlage, die in Frankreih und England geradezu indiskutabel wäre. N

Abg. Dr. Spahn (Zentr..): Wenn das Haus mit großer Mehr-

heit fch in zweiter Lesung auf den Boden der Vorlage gestellt hat,

sollten solche Reden zum Hause hinaus doch nit mebr gehalten werden. Die große Mehrheit hat das Pauschale gutacbeifen.

Abg. von Kardorff (Rp.): Die \tolzen Worte über das Pflichtgefühl, die der Abg. Preiß hier gebrauht hat, würden auf das Haus einen größeren Cindruck waben, wenn wir die Verren aus-… dem Elsaß öfter hier gesehen hätten. Der größte Teil der Herren is höchstens zwei oder drei Tage in dieser Session hier gewesen. Mein Standpunkt ist dem Gefeß abgeneigt: ih fann mich nit überzeugen, daß es notwendig ist, oder daß es nüßlich wirken würde. Der Fürst Bismarck hatte 1867 dem konstituicrenden Reickstaxze die Verfassung mit öffentliGem Wablrecht und Diätenlosigkeit vorgelegt. Das Kecmpromiß, das zustande kam, bewilligte nur die Diätenlosigkeit; und B 8marck ging darauf ein, weil er annahm, daß na dem Beispiel des Autlandes Besitz und Bildung fo stark im Reichstage vorhanden fein würden, wie er cs für not pendig eratete. Später batte er sih na seinen „Gedanken und Erinnkrungen“ öffent- lih geäußert, er habe sich geirrt, er hätte sh für das ôffentlide MWahl- recht entscheiden sollen, um so mehr, da dieses viel mehr dem germanischen Charakter entspre{e (Lachen bei den Sozialdemokraten), gewiß, meine Herren, Sie versteben nihts von dem germanischen Charakter. Der Fürst Bismarck verstand siber mebr davon. Man sfollie nit Versammlungen hafen, deren Mitglieder ibe Wabl größtenteils der Verlozenheit derer verdanken, die die Wähler am - meisten irre zu führen verstanden haben. Das Volk ist doch reif genug, seine Abgeordneten selbst zu wählen, diejenigen selbst au8zusuhen, denen es sein Vertrauen senken will, ohne erst von gewerbêmäßtgen Agitatoren bearbeitet zu werden. (Ruf : Reichsverband!) Ach, ih meine niht Sie und nicht den: ih denke an den Abg. Ablwardt, der von Ort zu Ort zog, und jedem bereitwillig versprad, was er haben wcllte, den Bauern das und den Städtern das Entgegengesetzte. Diese Art ter Agitation hat auch Erfolge erzielt : halten Sie sie desbalb für eine gesunde ? Ih niht. Die Sache mit dem doppelten Wobnsiß bat auch dahin ge- fübrt, daß zweifahe Stimmabgabe niht zu den Seltenbtiten gehören soll. Nah meiner Auffaffung wird au dur die Diäten keine aroße Aenderung in den Parteiverbältnifsen des Reichstags eintreten. Nur einige varlamentarishe Abenteurer mehr werden kierßerkommen à la Ablwardt. Es mag auch vielleiht sein, daß einige Konservative oder Zentrumêmitglieder durch andere eret werden, die jet kein Mandat annebmen fonnten wecen der Diätenlosigkeit; aber das wird au alles sein; ih bedauere, daß die Regierung nicht wenigîtens den Versuch gemacht kat, eine Aenderung der Geschäftsordnung des Reichs- tags durzuseßen; denn daran kann fein Mensch mebr zweifeln, daß diese sehr viel Schuld trägt an der Länge der Verhandlungen und dem Absentizmus. Es ift ja eine Aenderung zugesagt worden von den Parteien, und der gute Wille dazu scheint ja vorbanden zu |eîin; ob er zur Tat wird, weiß ich nit, denn oft {on war guter Wille da, urd plôgli kamen ganz andere Verbältnifse dazwischen. Dem Grafen Posadowsky erwitecre ib, daß die Berufung auf Vercn Leonhardt daran leidet, daß diefer Herr keine besondere juristische Autorität war. Es liegt unzweifelkaft in § 5 ein Eingriff in die vreußis{e Verfassung vor. Wenn aber die preußishe Regierung und der Laadtag den Willen kaben, diesen Coup zu parieren, indem ste einfah das Gese ändern und die Kumulation von Diäten in ganz anderer Weise ausschließen, als es hier geschehen soll, fo lönnen die verbündeten Regierungen und der Reichstag gar nichts dagegen machen. Wird das Gesct troß alledem angenommen, so will ih hoffen, daß es dem Vaterlande zum Segen gereit.

Aba. Basserwann (ul.): Den Artrag Gröber baben wir in der Fraktion roch nit. beraten fönnen,. da er uns erst in den lezten Stunden bekannt geworden ist. Ih weiß uicht, ob die Mit- alieter meiner Fraktion mit Hilfe der Logarithmentafel dazu ent- \&lieten wollen, für den Antrag Gröber zu stimmen, oder bet den Beschlüssen zweiter Lesung steben zu bleiben. Im Ansluß an die Ausfübrunzea des Abg. von Kardorff über die Stellung des Fürften Bismarck zur Entshädigungkgewährung verweise ih darauf, daß au meine politishea Freunde ia den Jahren der Schöpfung der Verfassunz und i ängerung der Legisiaturperiode der gleichen Ansi gewesen sind. Nab und nach aber ist es doch in meiner Frafti in gefommen, daß mebr und mebr Mitglieder fih für die Eiaführung von Diäten aus- aesprochen und die diätenlose Zit für überlebt kalten, nicht aus ibeoretisden Gründen, sondern aus dem Gebot der bitterften Not- wendigkeit heraus. Unzweifelhaft hängt der {lechte Besu des Reich2tags und die fortgesczte Beshlufunfähigkeit mit dem standig wachsenden Arkteitivensum j¡usammen. Wern heute n2ch langen Bemühungen ia der Kommission die Beratungen eines _Ge- seßes zu Ende gekommen find, tann werden durch Resolutionen aus dem Reichstage heraus neue Gesege verlangt, und auf dem wirt- schaftlichen und sozialen Leben unserer Zeit werfen fih immer neue Fraazn auf, deren geseßgeberishe Lösung gefordert wird. Es fommt hinzu, daß in dsten erftlea Jahrzehnten nach der Gründung des Reis ein viel größerer Ecthufiasmus bestand als heute, wo es gilt, Gesezz zu reformieren, auézubdauen, auÒ- ubefsern und eine Menge parlamentarischer Kleinarbeit zu leisten. Ih habe in der Presse der jüngsten Tage sebr lebhafte Vorwürfe eaen tie verbündeten Regierungen und besonders gegen den Staats- iefretäc des Innern gelesen, daß die verbündeten Regizrungen det dieser Diätenvorlage unter allen Umftänden auf der Aenderung der Verfafsurg beharrea müßten. Ich halte diese Vorwürfe nicht für

E A S E E A HS B EEP E ai M

cseglihe Kompetenz g und dem

Reice durch Artikel 32 der KhEverfafsjuag gegeben,

gerechtfertigt.": [Es mag ein Fehler gewesen sein, daß man hinfihilih

der Vérfa]]ungEeling von vornherein zu weit ging: Daß die ver- bündeten Regierungen aber jeßt aus der zweiten Verfafsungsänderung eine conditio sine qua non -machen, halte ih für unbedingt richtig. Menn Diäten gewährt wérden, so ist der Reichêtag felbff in der Lage, für seine Beschlußfähigkeit zu sorgen. Das können wir im Rabmen unserer eigenen Geschäftsordnung tun. Der Abg. von Staudy hat neuerdings darauf . hingewiesen, daß dieses Geseß auf eine Stärkung der Sozialdemokcatie hinwirken würde. Es ist doch ohne weiteres zu sehen, daß die Sozial- demokraten, was die Mittel der A und Organisation anlangt, die reiste Partei sind; das beweisen ohne weiteres die Abrechnungs- listen im „Vorwärts“. Das ift beschämend für die bürgerlihen Part-ien. Daß die Sozialdemokraten diese Beiträge aus der Reichskasse in der ganzen Zeit ihres Bestehens niht notwendig gehabt haben, ift ebenso flar. Da Zusammenhänge konstruieren zu wollen, halte ich für durh- aus unangebracht. Im Gegenteil, wo leidet denn die Agitation bei dem gegenwärtigen Zustand? Doch bei den bürgerlihen Parteien. Wir sind bei unseren mangelhaft gefüllten Kassen niht genüzend in der Lage, unsere Organisation auêzubauen, und die Ab- geordneten können wegen ihrer pekuniären Verhältnisse nit so agitieren, wie es erwünscht wäre. Was nun die häufige Abwesenheit von Mitgliedern betrifft, so babe ih mi selbst, da ich lange Zeit Geschäftsführer meiner Fraktion war, mit der Aufgabe befaßt, dié fehlenden Hérren herbeizubringen. Wir bitten, die Anwesenden hier zu bleiben, wir \{reiben, wir telegraphieren wiederholt, und ein gewisser Prozentsaß leistet dem auch Folge. Sgließlich aber gewöhnt man sih au an diese Monita. Das hängt auch wieder mit den materiellen Verhältnifsen der einzelnen zusammen. Also in der Richtung, die der Abg. von Staudy meinte, haben die ver- bündeten Regierungen gar keinen Einfluß. Wir wissen es ganz genau, wie mühsam es ist, namentlich dann Abgeordnete her zu halten, wenn die Beratungen in der zweiten und dritten Lesung über einen größeren Zeitraum fich erstrecken. Die Wähblerschaft sucht sich beute denjenigen, dem sie ihr Vertrauen entgegenbringt, nicht nach seiner materiellen Lage aus, sie sieht ihn sih sehr genau an auf seinen Charakter, seine Kenntnisse usw. Mancher bringt dann das Opfer, ein Mandat anzunehmen, troßdem er sich sagt, er kann seiner Familie gegen- über eigentlich die Verantwortung niht tragen und niht wohen- lang seiner Heimat fernbleiben. Das ift der Zwang, den die Wähler- {aft ausübt. Weil wir diesen erkennen und das Gefühl haten, unter dem gegenwärtigen Zustand das Ansehen des Reichstags leiden muß, haben wir es begrüßt, daß die verbündeten Re- gierungen dem ‘lange gehegten Wunsh der großen Mehrheit des Reichstags endlich Rechnung getragen habten, und aus diefem Grunde werden wir auch der Vorlage zufiimmen.

Abg. Liebermann von Sonnenberg (wirtsch. Vgg.): Eine Aenderung des § 28 der Reichsverfassung ist nicht notwendig, wenn die Vorlage die Wirkung hat, die der Reichstag und die Re- gierungen von ihr wünschen. Dann werden wir dauernd ein bdeshlußfäbhiges Haus haben. Was die Entschädigungevo:lage selbst anbetrifft, -so ist es bedauerlich, daß es nit möglich gewesen ist, nahezu Einstimmigkeit für die Vorlzge herzustellen.

Es sind “zweifellos, wie {on der Staatssekretär betont bat, auch.

wichtige Gründe gegen das Geseß angeführt worden. Der Wider- stand gegen § 5 leitet fich aus verfafsungsrechtlihen Bedenken. ber. Daß zu folhen Ursache vorhanden ift, könnea auch die Freunde des Gesetzes ruhig zugeben. Wenn aber eine Kommission, die fich in so bervorragendem Maße aus Sachverständigen zusammenseßte, nicht in der Lage war, einen besseren Auêweg zu finden, und si auf die Re- gerungsvorlage zurückzieben mußte, so beweist dies, wie {wer es ist, ein Pauschquantum in Relation zu bringen mit Tagegeldern, und wie \hwierig die Abrechnung mit den anderen politishen Körperschaften ist. Schon das ist entscheidend für uns, uns für die Negierungsvorlage zu entsheiden. Man kann unmöglih dem Präsidenten diefe Menge von Abrechnungen aufbürden wollen. Wie es nah dem Inkrafttreten des Geseyzes gehalten werden wird, wird die Praxis ergeben. Wenn sich da große Schwierigkeiten herausstellen, so wird immer noch Zeit genug tein, Aenderungen zu treffen. Anders ist es mit der grundsäßlichen Gegnerschaft. Die Lobredner vergangener Zeiten haben nicht den Beweis erbracht, daß die bisherigen Zustände die besseren waren. Wenn der Fürst Bismarck damals die Diätenlosigkeit als eine Grund- bedingung aufgestellt hat, fo ging er doch anderseits von der Auffassung aus, daß Bildung und Besiß in ausreihendem Maße im Deutschen Reichstag vertreten sein würden. Heute aber hat sich die Praxis dabin herausgebildet, daß alle anderen Interessen vorangestellt werden, daß man si, wenn man mit seiner Zeit gar nihts mehr an- zufangen weiß, in den Reichstag wäblen iäßt. Das trifft niht für alle zu, aber für viele. Die Sozialdemokratie bat ih eine große Aus8- abl von Kandidaten gesichert, sie ist nie in die Verlegenheit gekommen, wie die bürgerlihen Parteien, und daber ihre numerishe Stärke. Ich glaube, die konservativen Jateressen können \ich au beute noch behaupten, aber dazu gehört Arbeit, Belehrungsarbeit. Man muß ih endlich mit dem gleihen, geheimen und direkten Wablreckt abfinden und in diesem Sinne auch arbeiten, arbeiten und nicht ver- zagen. In dem Augenblick, wo ein Geseß Gesey geworden ist, sind au die Gegner gezwungen, es zu ehren und zu ahtea. Man muß bemüht sein, ein folch:s Geseß im eigenen Sinne zu verwerten. Ob das Geseß der Sozialdemokratie {aden wird, will ih nit untersuchen, aber es wird u. a. dazu führen, daß sh bei jeder Gelegen- beit eine überwältigende Mehrheit gegen umftürzlerishe Bestrebungen finden wird. /

Abg. Potthoff (fr. Vgg.): Die Vorwürfe des Staats- sekretärs, daß es nicht gelungen sei, die Abgeordneten hier zu halten, können \sich nur gegen die rechte Seite richten. Es gab noch cin anderes Miitel, den Aksentismus zu be- fampfen: die Politik der Regierung so einzurichten, daß auch die Linke positiv mit ihr arbeiten konnte. Leider ist das niht geschehen. Meine politischen Freunde sehen in diesen Diäten keine Hono- rierung und Bezahlung für geleistete Arbeit, sondern nur eine Auf- wandêentshädigung. Wir stimmen auch in dritter Lesung für die Vorlage, wenn auch nit mit Begeisterung, denn sie enthält manche Bedenken. Diese ri@ten sich au gegen den Antrag Grösöber. Der Sinn des Antrages scheint mir der zu sein, daß die Verhandlungen zusama:engedrängt weiden auf 2, 3 Monate, und außerdem ift er dazu angetan, die NRe- gierung zu vecanlafsen, den Reichstag sehr spät zusammenzuberuf-n, sodaß er scin Pensum nicht mit der nötigen Ruhe erledigen kann. Nah derselben Nichtung wirkt cuch die Erhöhung der Strafe auf 25 M Cs fann dahin fommen, daß in den Monaten mit kleinen Naten die Abgeordneten, die ein paar Tage gefehlt haben, \chlizßlih gar keine Entschädigung erhalten. Dann könnten tie Abgeordneten sich sagen : wir fo:nmen lieber gar iht. Meine politischen Freunde werden gegen diesen neuesten Kompromißantrag stimmen. (Zurufe.) Ich glaube, es ist ein Kompromiß zwii@en Zentrum und verbündeten NRe- gierungen. Wenn das Zertrum für das Markten um die Entschädigung die Verantwortung selbständig auf sih nehmen will, so habe ih nichts dagegen. Das Ansehen d:s8 Reichstages wird durch diesen Antrag nit gehoben.

Abg. Preiß (Eis.): Der Abg. von Kardorff hat gesagt, er habe uns nur zwei-, dreimal hier geseßen. Dann muß er selbst sehr häufig gefehlt haben, denn soaft hätte er uns öfter gesehen. Die Gründe für den Absentiémus sind bei sämtlihen Parteien in gleicher Weise vorhanden. Bei uns kommt noch hinzu, daß wir eine weite Neise von der Heimat nach Berlin haben, und dann i} eine Anzahl von Elsäfsfern noch Mitglied des elsafß - lothringishen Landes- aus\{husses. Wir können nicht gleichzeitig in Berlin und in Straß- burg sein. Dem preußischen Abgeordneten ist das wohl möglich. Der Abg. von Kardorff tut also unrecht, uns einen ganz speziellen Strick zu drehen.

Abg. Dr. Müller - Sagan (fr. Volkép.): Diese garze Ver- bandlung über die Geldfrage ist gewiß nicht {chön. Die Stellung der Regierung sieht beinahe so aus, wie die cines Arbeitgebers gegenüber Tagelöhnern. Ich habe diese Frage niemals als eine Personenfrage angesehen, sondern als eine sachliche zur Sicherstellung tes Geschäfts» ganges der gesamten Reichsverwaltung. Für uns ist es gleichgültig,

in den sämtlihen Paragraphen die gleihe Zabl steht. Dana müßte auch in § 8 entsprehend dem Antrag Gröber die Zakbl 25 gesetzt werden. Ich stelle in di:ser Richtung einen ausdrücklihen Antrag. Der Schwerpunkt der parlamentarischen Verhandlungen fällt aller- dings in die Monate Februar und März. Die S{wenzprofite bei den Doppelmandaten fteigen um so mehr, je weniger Sißzungen in einem Monate ftattfinden.

Damit {ließt die Generaldisfkussion.

In der Spezialdiskussion wird die Vorlage wegen Aenderung der Reichsverfassung ohne Debatte im einzelnen nah den Beschlüssen zweiter Lesung angenommen.

__ In der Spezialberatung des Diätengejeßes wird zunächst die Bestiinmung über die freie Fahrt fast einstimmig ohne Debatte angenommen.

Zu den Bestimmungen über die Höhe der Entshädigung befürwortet der

Abg. Dr. Grö ber (Zentr.) seinen oben mitgeteilten Antrag. Die ersten Monate enthalten nur wenig Arbeitstage. Die Hauptarbeit fällt in die Monate Februar und März. Darum haben wir eine Abstufung in den verschiedenen Monaten beantragt. Jm Februar finden 20, im März 24 bis 26 Sißungen ftatt. Es foll gerade da- durch der Verdacht beseitigt werden, als ob da gewisse Éleine Zu- wendungen gemacht werden sollen. Nur durch ein Versehen ist es weggeblieben, daß die Sache auch in § 8 geregelt ift. Jch kann Ihnen den Zusazantrag Müller-Sagan nur zur Annahme empfehlen, ebenfo wie den unsrigen.

Abg. Dr. Spahn (Zentr.) fragt, welche Wirkungen das Gesetz haben würde, wenn die Vertagung vor dem 1. April erfolgen würde.

Abg. Dr. Mül ler- Sagan (fr. Volksp.) verzihtet aufs Wort.

Der Antrag Gröber in bezug auf die Ang der einzelnen Raten wird angenommen. Der Antrag Gröber zu 8 3, den Abzug von 20 auf 25 A zu erhöhen, wird abgelehnt. Darauf zieht der Abg. Gröber seinen Antrag zu § 8 (Gewährung von 25 statt 20 M Tagegeld für Mitglieder, deren Mandat während der Reichstagszeit erlisht oder niedergelegt wird) zurü.

S 4 betrifft Bestimmungen über den Nachweis der An- wesenheit. Er wird in beiden Absäßen (Präsenzliste und Be- teiligung an der namentlihen Abstimmung) angenommen.

__Der Rest des Gesehentwurfs wird unverändert nah den Beschlüssen zweiter Lesung angenommen. :

Auf Antrag des Abg. von Normann, den die Rechte und die Sozialdemokraten unterstüßen, soll namentliche Ab- stimmung über beide Geseßentwürfe stattfinden.

__Da in § 1 eine Aenderung beschlossen is, hält der Vize- präsident Graf zu Stolberg die Ausseßung der Abstimmung bis morgen für geboten. Y

Abg. Dr. Arendt (N.-P.) ist der Meinung, daß über die Verfassung2änderungévorlage und über das Diätengesetß gesonderte Ab- stimmung zu erfolgen hat.

Abg. Gothein (fr. Vgg.) betont demgegenüber, daß der Präsident ausdrücklich verkündet bätte, daß die Abstimmung über beide Geseß- entwürfe zusammen erfolgen soll. i

sofortige Vornahme der Abstimmuna.

Damit ist das Haus einverstanden.

Der Vizepräsident Graf zu Stolberg läßt nunmehr zu- nächst über den Geseßentwurf, betreffend die Aenderung der Reichsverfassung, abstimmen.

Der Geseßentrwourf, betreffend die Verfassungsänderung, wird mit 224 gegen 41 Stimmen bei einer Stimmenthaltung angenommen, der Geseßentwurf, betreffend die Gewährung von Diäten, mit 210 gegen 52 bei 3 Stimmenthaltungen.

Es folgt die zweite Beratung des Geseßentwurfs, betreffend die Ordnung des RNeichshaushalts und die Tilgung der Reichs\huld (sog. Mantelgeseß), auf Grund der Vorschläge der VI. Kommission.

Referent ist der Abg. ller-Fulda (Zentr.).

Die Kommission hat bekanntlih mit der Erörterung über die Fesistelung des Bedarfs an neüen Reichseinnahmen begonnen, dann die einzelnen Steuervorschläge der Vorlage der verbündeten Regierungen beraten, am Schluß dieser Beratung Vorschläge über weitere Einnahmequellen erörtert und zuleßt das Mantelgeseß in Angriff genommen.

Der Gesamtbedarf ist von der Mehrheit nach Abzug der aus dem neuen Zolltarif zu erwartenden, nicht gebundenen Einnahmen auf 200—220, oder nah Abzug der bisher üblichen 24 Millionen ungedeckter Matrikularbeiträge auf 176 bis 196 Millionen Mark festgestellt worden. Die Mehreinnahmen aus der Erhöhung der Brausteuer sind auf 29 Millionen (statt 67, die die Vorlage erzielen wollte), die Einnahmen aus der Zigarettensteuer auf 10—15 Millionen, diejenigen aus der Fahrkartensteuer auf 45—50 (Vorlage nur 12), aus der Automobilsteuer auf 3, aus der Reichserbschaftssteuer auf 72—80 Millionen zu veranschlagen, wovon aber die Einzelstaaten ein Drittel zurückbehalten. Die Vorschläge auf Reichs- einkommen- und Reichsvermögenssteuer jowie der Vorschlag der Neichswehrsteuer sind abgelehnt worden, ebenso die Jn- seraten-, Plaîat- und Bergwerkssteuer, desgleichen diejenige auf Einführung von Ausfuhrzöllen auf Lumpen, Kohlen und Kalisalze. Die vorgeshlagenen Reformen der Branntwein- steuer und einige andere Vorschläge haben zur Annahme von Nesolutionen geführt.

S 1 lautet nah den Kommissionsbeschlüssen: „Die Novelle zum Brausteuergeseß und die Novelle zum Reichsstempelgeseß, das Zigaretten- und Erbschaftssteuergesey treten zugleih mit diesem Geseh in Kraft.“ (Jn Fortfall kommt hier die vom Neichtag abgelehnte Novelle zum Tabakiteuergeseß.)

Hierzu liegen vor: 1) die Resolution der sozialdemo- fratischen Abgg. Albrecht und Genossen :

„Den Herrn Neichskanzler zu ersuchen, dem Reichstag einen Geseßertwurf vorzulegen, wonach Reichscinkomment- und Reichs- vermögensfteuern mit slufenweise steigenden Steuerfätzen eingeführt und in Verbindung damit die die breiten Volkêmassen bedrückenden Verbrauchsabgaben, inébesondere die Abgaben auf Salz, Petroleum und Zucker abgeschafft werden.“

2) Die Resolution der freisinnigen Volkspartei Mül ler- Sagan und Genossen: Í

„Den Herrn Neichéf1nzlec zu ersulbhen, dem Reichstag baldigst einen Gesetzentwurf, betreffend die Besteuerung der Vermögen, mit \tufenweise aufsteigenden Steuersäßen, und in Zusammenhang damit cinen Gesetzentwurf zur Beseitigung der die breiten Schichten des Volkes am meisten bedrückenden Belastung des Massen- verbrauchs vorzulegen.“

Die von der Kommission vorgeschlagenen Nesolutionen gehen dahin: „1) Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstag

einen (esetzentwourf vorzulegen; durch welchen eine Reform der Branntweinsteuer herbeigeführt wird; /

2) Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, auf cine Erhöhung der Ginnahmen der Reichspost- und Telegraphenverwaltung durch Maßnahmen Bedacht zu nehmen, welche

a. die Beseitiguag der im Orts- und Nachbarverkehr be-

stehenden Eitinnahmetarife für Postkarten, ) Drucksachen,

ob in den einzelnen Paragraphen 25 #4 oder 30 M steht, wenn nur

. die anderweite Festseßung der Gebühren für außerordentlihe erung ean ¿zum Gegenstand baben. : en Herrn Reichskanzler zu erfuhen, dem Reichstag alsbald eine Vorlage zu machen, die für größere Mühlen zum Schutze der kleinen und mittleren unabbängig von der einzelstaatlihen Be- steuërung eine Reichéfteuer einführt, die das jährlihe Vermahlungs- quantum mit einer steigenden Abgabe belegt.“ __ Die Abgg. Arendt und Genossen (Rp.) beantragen, in der Resolution 2 das Wort „Postkarten“ zu streihen und dafür Er ini 0d „3) die Erhöhung der Postkarten im Orts- und Nachbarverkehr auf 3 Z“.

Abg. Schrader (fr. Vag.): Das Gese heißt parlaments- tehnisch Mantelgesez. Der Ausdruck paßt vortrefflih, weil hier alles Ungerechte und Fehblerbafte, das bei der bisherigen Steuerpolitik be- gangen war und begangen werden soll, mit dem Mantel der Liebe zu- gedeckt werden foll. Alle bisberigen Grundsäße der Steuerpolitik sind niedergerifsen, sie baben alle weihen müssen vor dem Gedanken : Es muß mehr Geld geschaft werden, wir brauchen neue Reichs- einnahmen! Diesmal hat bei diesem Ausreißen alter, guter, vers nünftiger Grundsäße der Nationalliberalismus die Führung gehabt. Man könnte versucht sein, den Schöpfern der neuen Reichsfteuerpolitik den Titel Doctor fisci zu erteilen. Wiederum hat man zu dem ungerechten, aber bewährten Mittel der Aus- dehnung der indirekten Besteuerung gegriffen, welche die große Menge bedrückt. Die Freunde dieser Maßnahmen müfsen ja leugnen, daß dieses die Wirkung der indirekten Besteuerung ift, und fie haben es tatsählich fertig gebracht; fie baben behauptet, daß die weitere Erhöhung der Braustzuer niht auf die Konsumenten abgewälzt werden kann. Zweifellos wird dieses Ergebnis dennoch eintreten. Die Fahr- fartenfteuer will man anscheinend auch {hon am 1. Juli 1906 in Kraft treten laffen; wie das möglich werden soll, weiß ich wirklih nicht. Mit den jeßigen Bewilligungen werden die Anforde- rungen des NReichsfiskus keineëwegs auf absehbare Zeit gedeckt sein. Das ist die Gefahr, die uns aus der gegenwärtigen Kinanzreform droht. Abgesehen von der Erbschaftsfteuer werden alle Steuern nicht den Ertrag bringen, den man von ibnen erwartet. Aber sollten wir uns nicht fragen, wie es gekommen ift, daß ein Reich wie das Deutsche, das groß, mächtig und reich ift, das feit 1870 in Frieden Lebt, das keine große Kalamität erliiten hat, in diese Lage gekommen ist , daß jede Ede an8gekramt werden muß, um eine neue Steuer zu finden, wie dies bei keiner anderen Nation zu beobachten ift, daß man alle finanzpolitischen Grundsäße aus den Augen gelaffen hat, nur um Geld zu machen? Es kommt daher, daß unser ganzes Finanzfvstem für einen großen Staat unbrauchbar ist. Ein großer Staat mit wachfenden Bedürfnissen kann nicht in der Weise wirtshaften, wie wir es getan haben. Zunächit das Verhältnis des Reiches zu den Einzelftaaten. Wir können keine Maßnahme zum Besten des Neiches treffen, wenn sie irgendwie in die Interessen eines Bundesstaats eingreift. Die verbündeten Regierungen erklären das bei jeder Gelegenheit. Jch gebe zu, daß es nicht leiht ist, die Einzelstaaten dazu zu bestimmer, daß fie in ihre Nehte eingreifen laffen, aber es ist unzweifelhaft, daft, wenn man es nicht versteht, die Beziehungen zwishen Neih und Bundesstaaten zu ordnen, wir niemals ein brauchbares Finanzsystem erreihen können. Anderseits darf das Reih nicht willkürlich und un-

b 3)

ür | zweckmäßig eingreifen. Wollen tir aber eine Finanzreform im wahren F e e y en j Die Abgg. Singer (Soz.) und Spahn (Zentr.) befürworten |

Sinne des Wortes haben, so müssen {chließlich die Finanzquellen in Reich und Staat dieselben sein. Allerdings müßte dann auch in manchen Eipzel- staaten ein anderer Weg eingeschlagen werden. Die kleineren Staaten werden fi allmählich darein finden müssen, ibre ftaatlihen Einrihtungen einzuschränken, damit ihnen daraus nicht allzu große Lasten erwachsen. Wir fkönnen in der bisherigen Weise mit der Vermehrung der Beamtenschaft nicht fortshreiten. Unsere neue Steuergeseßgebung ver- langt eine große Menge von Aufsihtsbeamten, und für unser Zoll- wesen haben wir bereits Akademien einrihten müssen. Zu einer wirklichen Besserung der Zustände werden wir nur gelangen, wenn Staat und Reich ihre Finanzverhältnifse gemeinsam regulieren. Jeßt find die Einnahmen festgestellt, und man packt an Ausgaben darauf, was man kann. Alle Ausgaben haben daher die Tendenz, zu wachsen. Eine Bewilligung, die einmal gemaht worden ist, kehrt alle Jahre wieder und nimmt womöglich zu. Während so die Ausgab:2n wachsen, und die Einnahmen stehen bleiben, kommt ein Moment, wo man eine sogenannte Finanzreform macht. In Eng- land werden Auégaben und Einnahmen vollständig bewilligt. Es ift ein Nuhm des Staatssekretärs, beide im Gleichgewicht zu halten. Wir werden die notwendigen Mittel \{ließlich nicht mehr beschaffen können, wenn man nicht Neichs- und einzelstaatlißce Einnahmen fombiniert, wenn wir nicht eine Einkommen- und Vermögensfsteuer haben, um Einnahme und Ausgabe in eine gesunde Relation seßen zu können. Es muß ein Ausgleich vorhanden sein, der uns ermöglicht, jede Ausgabe und Einnahme genau gegen einander abzuwägen. Dann aber fann auch ein Moment kommen, wo der Staatssekretär niht sagt: Geld ber, sondern: ich kann die Einkommensteuer berabsegzen. Ich hoffe, daß der Staatssekretär bei der Finanzreform diejenigen an seiner Seite hat, die heute seine Gegner sind; denn darüber können wir uns doch nicht täuschen, daß alles nur ein Zustopfen eines Loches ist. Eine vernünftigere Finanzreform, wie wir sie verstehen, wäre genau das Gegenteil von dem, was jeßt geschieht. Die jeßige Reform bringt von neuem Unfrieden in unsere Bevölkerung hinein. Die Herren, die heute so stolz auf dem Sieuerbündel ftehen, das sie aufgehäuft haben, werden doch noch auf den Gedanken kommen, es wäre besser gewesen, sie bätten daneben gestanden und das Steuer- bündel anderen überlaffen.

Abg. Wiemer (fr. Volksp.): Wir können auf die Matrikular- beiträge niht verzihten, wir können den beweglihen Faktor in der Einnabmebewilligung des Reichstags nicht entbehren, wir würden den Verzicht darauf einem Verzicht auf eines der wichtigsten Volks- rechte gleihbedeutend erachten. Jn der Kommission ist viel die Nede gewesen von der Notwendigkeit einer Barriere gegen steigende Ausgaben im Reich: diese set notwendig, weil theoretish ein Defizit im Neiche niht möglih sei. Jh frage: warum kann nicht der Reichs\chat;sekretär im Reiche die gleihe Verschiedenheit bekunden gegenüber den Anforderungen der einzelnen Ressorts, wie der Finanzminister in Preußen? Wenn er das nicht kann, so liegt das an der ganzen Konstruktion des Neichsschatz- amtes. Ih will die Frage eines verantwortlihen Reichsfinanz- ministers nit aufrollen; aber ein gut Teil mehr Selbständigkeit und Verantwortung muß dem Inbaber des Neichsschazarates zugeteilt werden. Wir haltèn grundfsäßlih an dem System der Matrikular- umlage fest, solange nicht die Neichsfinanzpolitik auf eine andece Grundlage gestellt ift. Das hindert uns aber niht, Erleichterungen den Einzelstaaten zu gewähren, soweit folhe irgend durchführbar sind. Wir erkennen an, eine wie große Ueberlastung mitunter für die kleinen und Mittelstaaten sich aus den Matrikularbeiträgen ergibt, wenn wir auh nit übersehen wollen, daß es auch andere Zeiten für sie gab, und daß solhe andere Zeiten bald wiederkehren können. Die natürlichen Einnahmen des Neichs haben sich erhöht. Wenn der Schaßfekretär av 1906 durch ein Defizit hindurhwaten muß, werden wir doch |chon im

nächsten oder übernächsten Jahre das feste Land der Ueberschüsse erreichen.

Mit ter in dieser Beziehung uns unterbreiteten Kommissionsfassung

föônnen wir uns einverstanden erklären ; sie hält grundsäßlih an

der Entrichtung der Matrikularbeiträge fest, gewährt aber den

Einzelstaaten Erleichterungen und größere Sicherheit für die Aufrecht-

erhaltung thres Etats. Daß die Stundung der über 24 Millionen

binausgéhenden Matrikularbeiträge aber, wie die Regterung ge-

n hat, bis zum 1. Juli des drittfolgenden Jahres aus-

gedehnt werden soll, erscheint uns bedenklich; die Etats- und

Finanzlage des Meichs und der Einzelstaaten würden dadurch

leit sehr unübersichtliß; es würde un8 lieber sein, wenn

dafür tec 1. Juli des nächstfolgenden Jahres geseßt würde. Den

Gedanken, dur ein Quirquennat oder Sextennat die Matrikular-

beiträge zu binden, bitte ich völlig fallen zu lassen, wie er {hon in

der Kommission keine Mehrhelt g-funden hat und auch aus

konstitutionellen Bedenken ganz unzulässig wäre. Auch die Be-

Warenproben und Geschäftépapiere, tis Lg

stimmung über die Schuldentilgung akzeptleren wir, wenn au die

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