1886 / 45 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 20 Feb 1886 18:00:01 GMT) scan diff

auverguaiSer, nicht rückzablbarer Zuschuß geleistet werden, und ¡war zum Betrage : h

a. bei Nr. 10 (Striegau-Bolkenhain) von 82 000 4,

b. bei Nr. 11 (Grunow-Beeskow) von 90 000 46,

c. bei Nr. 12 (Teutschenthal-Salzmünde) von 100 000 4,

d. bei Nr. 13 COMRW E SlameiYerg) von 112 000 M

Die Staatsregierung wird ermächtigt, zur Deckung der zu den im §.1 unter Nr. T vorgesehenen Bauausführungen und Beschaffungen erforderlichen Mittel von 52 907 000 4:

1) die dem Staate zu dem vorläufig auf 3627637 M 63 „} er- mittelten Betrage zugefallenen Bestände der im §. 3 des Ge- setzes, betreffend den Erwerb des Halle-Sorau-Gubener Eisen- bahnunternehmens für den Staat, vom 23. Februar 1885 (Gesez-Samml. S. 43) bezeihneten Fonds der ehemaligen Halle-Sorau-Gubener Eisenbahngesellschaft, : den ersparten Restbestand derjenigen Geldmittel, welhe auf Grund des Gesetes vom 2. April 1875 (Gesez-Samml. S. 193) zur Deckung der bei Begebung der Eisenbahnanleihe aus dem Jahre 1868 entstandenen Coursverluste flüssig ge- macht sind, mit 307 607 M 63 -,

zu verwenden, und zwar ad 1 infoweit, als über diese Fonds durch das eben erwähnte Gescß vom 23. Februar 1885 nicht anderweit ver- fügt ist, und als die Bestände dieser Fonds nach dem Ermessen des Finanz-Ministers ohne Nachtheil für die Staatskasse flüssig gemacht werden können. Î

Für den alsdann noch zu deckenden Restbetrag im §. 1 Nr. I, desgleihen zur Deckung der für die im §. 1 unter Nr. 11 vor- gesehene Betheiligung, sowie für die im §8. 1 unter Nr. Ill und IV vorgesehenen Bauausführungen crforderlihen Mittel von zusammen höchstens 4 835 000 M

find Staats-Schuldverschreibungen auszugeben.

e V

Wann, durch welche Stelle und in welchen Beträgen, zu welchem Zinsfuße, zu welhen Bedingungen der Kündigung und zu welchen Coursen die Schuldverschreibungen verausgabt werden sollen (S. 2), bestimmt der Finanz-Minister.

Im Uebrigen kommen wegen Verwaltung und Tilgung der Anleibe und wegen Verjährung der Zinsen die Vorschriften des Gefeßes vom 19, Dezember 1869 (Gesez-Samml. S. 1197) zur Anwendung.

S4

Jede Versügung der Staatsregierung über die im §. 1 unter Nr. I, HI und 1V bezeihneten Eisenbahnen (bezichungsweise Eisen- bahnthcile) durch Veräußerung bedarf zu ihrer Rechtsgültigkeit der Zustimmung beider Häuser des Landtages. Ebenso ist zur Ver- äußerung der in Gemäßheit des §8. 1 Nr. IT. 2 für den Staat zu erwerbenden Aktien, sowte der daselbst bezeihneten Bahnen und zur Fusionirung derselben mit anderen Eisenbahnunternchmungen die Ge- nehmigung beider Häuser des Landtages erforderlich.

Alle dieser Vorschrift entgegen einseitig getroffenen Verfügungen find rechtsungültig.

Kuuft, Wissenschaft und Literatur.

Die Nr. 8 VII. Bandes 1886 von „Schorers Familien- blatt“ (redigirt von Dr. Franz Hirsch) hat folgenden Inhalt: Der Günstling der Präsidentin. Von Hermann Sudermann. (7. Fort- setzung.) Rundschau der Erfindungen. Von G. van Muyden. Mit Abbildung. Hammonds Typenschreibmaschine. Ein unerlaubtes Iagdvergnügen. Von Viktor Band. Unerklärliches aus Vergangen- heit und Gegenwart. 1V. Der Kaufmann Koh. Balduin mit dem Beil, Von Franz Hirsh. Ein König ohne Land. Von A. Woldt. Mit Abbildung: König Thibo mit seinen Frauen. Meine Scchwiegermutter. Von Emmy von Nhoden. (Schluß ) —- Plauder- ccke: Zur Zeit als Gabriel Max u. s. w. Der berühmte Physio- loge Helmholß. Bei den Jagden u. st|. w. Die Resultate der Meoralstatistik. —— Milde Winter. Glas\cchneiden mittels Electricität. Kunstblätter: Gerechtigkeit für die Schwachen. Von Joseph Lies. Ein unerlaubtes Jagdvergnügen. Von H. Biedermann-Arcndts. Wenn Männer spät nah Haus kommen. Von Hugo Engl. Beilage: Heimathlos. Mit einer Originalzeichnung : In der Herberge zur Heimath. Von G. Krickel, Aus der Frauenwelt: Gute Gedanken. Mädchenturnen. Kleines Feuilleton. Für Haus und Herd: Opernglas-Halter. Mit Abbildung. Damenbriefkasten. Theater- humor. Humoristisches: Neueste Schweningermethode. Mit einer Originalzeihnung von H. Otto. Denkübungen. Berühmte Zeitgenossen: Julius Dinder, Erzbischof von Gnesen-Posen. Mit Bildniß. Briefkasten.

BVeterinärwesen.

Vereinigte Staaten von Amerika. Die unter den Schweinen in der Nähe der Stadt Beliot im Staate Wisconsin vor Monaten aufgetretene Epidemie dauert noch fort. Im Umkreise von etwa 15 Meilen find ungefähr zehn tausend Schweine gefallen. Die Epidemie wird für Masern gehalten.

Gewerbe und Handel.

Die Reichsbank hat beute den Diskont von 32 % auf 3 9%, den Lombardzinsfuß für Darlehen gegen aus\hließliche Verpfändung von Schuldverschreibungen des Reichs oder eines deutschen Staates von 49% auf 33% und gegen Verpfändung sonstiger Effekten und Waaren von 4# /9 auf 49% herabgesießt.

Dem mehrfach erwähnten, von dem Finanz-Ministerium der Ne- publik Mexiko (Secretaria de Hacienda y Crédito Público) in \pa- nischer Ueberscßung veröffentlihten Bericht über die Handelsbewegung des Jahres 1884, welchen das Schaßsekretariat der nordamerikanischen Regierung dem Kongreß vorgelegt hat, sind die nachstehenden Angaben über die mexitani\sche Textil-Industrie entnommen. Die eigene Baumwollernte Merikos bezifferte sich danah im Jahre 1879 auf ca. 50 Millionen Libras und hob sihch 1883 auf 55 Millio- nen Libras. Die Einfuhr von Baumwolle aus den Vereinigten Staaten hinzugerechnet, welche für 1883 20 577 771 Libras betrug, ergiebt für dieses Jahr 75 577 771 Libras oder 151 155 Ballen zu je 500 Libras. In den mexikanishen Fabriken wurden in demselben Jahre ca. 136 000 Ballen oder 68 Millionen Libras verarbeitet, gegen ca. 144 Million im Jahre 1865. Die Einfuhr von roher Baumwolle aus den Ver- cinigten Staaten nah Mexiko hat (mit allerdings bedeutenden Schwan- fungen) von 1874 (2289 561 Libras, 1875 1305 276 Libras, 1876 6 972 575 Libras) bis 1883 (20577 771 Libras) um das 10 fache zu- genommen. Fabriken für sogenannte coloured goods giebt es in Mexiko noch nicht, wohl aber werden prints im Lande angefertigt. Das Hauptfabrikat sind brown shirtings (manta). Gebleihte Waare (bleaching) wird größtentbeils aus England oder Amerika importirt; nur eine einzige Fabrik in Puebla is in diesem Zweige thätig. Die Zahl der Baumwollfabriken (für Gewebe und Garne) Merikos beträgt im Ganzen “8, welche sich auf 22 Staaten vertheilen, die Zahl der Wollfabriken 7, Die Woll- und Bauniwollgarne, welche in diesen Fabriken hergestellt werden, finden vorzugsweise in der Hand- webereci zur Anfertigung von Zeugen für die ärmeren Klassen Verwendung. Die größte bestehende Fabrik für Baumwollgewebe besißt 20594 Spindeln und 782 Webstühle, die e 8000 Spindeln und 309 Webstühle; die übrigen Fabriken, zusammengenommen, dürften etwa 500000 Spindeln zählen. Das

chon oben erwähnte größte Etablissement der Art ift die Fabrik

„Hercules" (Besißer Rubio) in Queretaro, welhe 1840—1842 erbaut wurde und 800 meist eingeborene Arbeiter (500 Männer und 300 A beschäftigt. Die Fabrik verbraucht jährlich 9 bis 10 000

allen Baumwolle, welche größtentheils von New-Orleans importirt werden, und fertigt daraus täglich im Durchschnitt 39 100 Yards oder 1303 Stücke von je 30 Yards. Das ‘erforderlihe Wasser mußte mittels eines Aquädukts von über 12 km Länge aus dem Gebirge herangeführt wer- den. Da es dem Besitzer nicht gelungen ist, weder in den Vereinigten Staaten noch in England, sein Etablissement zu versichern, hat er dasselbe nebst seinem Wohnhause mit ciner hohen Mauer eins{hließen

müfsen, um bei revolutionären Erbebungen, wie sie in dem Lande öfter stattgehabt haben, gegen Plünderungen ges{ützt zu sein. Diesem Schutze dienen ferner 40 uniformirte Soldaten, welche mit Flinten und Kanonen bewaffnet sind. und zugleich) die Feuerwehr bilden. Die Anzahl der Kattundruckereien überschreitet niht die Ziffer von 15 oder-20. Die größte von diesen ist nahe bei der Hauptstadt Mexiko gelegen, hat 5 Dampfmaschinen und ist mit einem Kapital von 2 Millionen Dollars errichtet worden.

Die Bilanz der Aktien-GesellschGaft für Wagenbau, vorm. Jos. Neuß, pro 1885 ist niht ganz so günstig wie im Vor- jahre; dennoch wird der Generalversammlung die Vertheilung einer

leich hoben Dividende, nämlich 1# % bei etwas niedrigeren Ab- reibungen vorgeschlagen werden. l

Der Auffichtsrath der Sudenburger Maschinenfabrik und Eisengießerei hat bes{hlossen, der Generalversammlung die Vertheilung einer Dividende von 14 9% vorzuschlagen. /

Der Aufsichtsrath der Süddeutschen Bodenkreditbank in München hat, wie uns telegraphisch mitgetheilt wird, beshlossen, der am 26. März cr. stattfindenden Generalversammlung eine Dividende in Höbe von 6} 9/6 wie im Vorjahre vorzuschlagen, den Reservefonds auf 1 617000 Æ zu erhöhen und das Disagio-Conto um 331 600 M zu vermindern. Es bleibt dann ein restliher Gewinn von 93 000 M auf das neue Jahr zu übertragen. f

Frankfurt a. M., 19. Februar. (W T.B. In der beutigen Generalversammlung der Vereinigung der Besißer von Buffalo- New-York- und Philadelphia-Bonds waren 1688 000 Doll. Bonds vertreten. Der Antrag des Comités, welcher lautet: „Die Generalversammlung nahm Kenntniß von den vorgelegten Reorgani- sationsplan und Agreement, erklärt, daß sie vorbehaltlih und unbeschadet der dem (Tomité der hiesigen Vereinigung angemessen ersheinenden Modifi- fationen mit Reorganifationsplan und Agreement einverstanden ist, und ersuht das Comité, alle geeigneten Schritte zur Durchführung und Ausführung der Neorganifation zu thun“, wurde ebenso wie cin ¿zweiter Antrag: „Die Generalversammlung knüpft diesen Beschluß an die Bedingung, daß alle der hiesigen Vereinigung erwachsenen und noch erwachsenden Kosten aller Art aus\hließlich von der amerikanischen Bahngesellschaft resp. vom Reorganisations-Jomité und niht von der hiesigen Vereinigung getragen werden®, einstimmig angenommen.

Prag, 20. Februar. (W. T. B.) In der heutigen Glä: kt iger- versammlung des Bodenkredit-Konkurses wurde der be- kannte Antrag des Gläubigerausschufses auf Ablösung der Pfandbrief- Abtheilung, beziehungéweise Uebernahme derselben durch die Anglo- Austriabank mit allen, beinabe das ganze Kapital vertretenden Stimmen angenommen.

Antwerpen, 19, Februar. (W. T. B.) Wollauktion. Angeboten 2074 Ballen La Plata-Wollen, davon verkauft 1555 Ballen. Preise unverändert. |

New-York, 19, Februar. (W. T. B.) Baumwollen- Wochenbericht. Zufuhren in allen Unionshäfen 102 000 B., Aus- fuhr nah Großbritannien 39 000 B., Ausfuhr nad dem Kontinent 47 000 B., Vorrath 10!4 000 B.

Submissionen im Auslande.

Rumänien. od. März (n. St.) Bukarest. Ministerium der öffentlichen Arbeiten. Wiedcrherstellung von 13 Eisbrechern für die Cisenbahn- brücke über den Buzen. Voranschlag: 13180 Fr. Näheres an Ort und Stelle.

Verkehrs - Anstalten.

Bremen, 20. Februar. (W. T. B.) Der D 1mpfer des Norddeutschen Lloyd „Ems“ ist gestern Abend 11 Uhr in New-York eingetroffen. :

Hamburg, 20. Februar. (W. T. B) Der Postdampfer „Saxonia“ der Hamburg-Amerikanishen Packetfahrt- Aktiengesellschast ist, von Westindien kommend, gestern in Havre eingetroffen.

Reval, 19. Februar. (W. T. B.) Die hiesige Rhede und die Rhede von Baltischport sind mit Eis kedeckt, die Schif f- fahrt ist geschlossen.

Sanitäts8wesen und Quarantänewesen.

Desterreich- Ungarn.

Durch Verfügung des Königlich ungarischen Ministeriums für Aerbau 2c. vom 10. Februar 1886 sind die für Provenienzen aus Trieft erlassenen Bestimmungen (R.-A. Nr. 20 vom 22. Januar 1886) aufgehoben worden.

Berlin, 20. Februar 1886.

Dem Jahresbericht der Deutschen Pestalozzi-Stiftung für das Jahr 1885 entnehmen wir folgende Mittheilungen: Die Ziele der Deutschen Pestalozzi-Stiftung konnten au im leßten Jahre weiter verfolgt werden, und die crziehlihe Aufgabe an den Zöglingen

wurde nicht ohne Erfolg gefördert. Nach wie vor erfreut sich das Institut der Unterstüßung Ihrer Majestäten des Kaisers und der Kaiserin, sowie Ihrer Kaiserlichen Hoheiten des Kronprinzen und der Kronprinzessin. Wie in früheren Jahren haben auch die städtischen Behörden Berlins durch cinen namhaften Beitrag das Werk ge- fördert. Ein Wohlthäter, der niht genannt zu werden wünscht, hat der Stistung ein Geschenk von 3000 # gemaht. Der Aufruf an die Freunde des Erziehungswesens, welcher mit dem vorjährigen NRechenshaftsberiht versandt wurde, hat den Erfolg gehabt, daß einige Mitglieder ihre Beiträge erhöht haben, und daß 39 neue Mitglieder der Sache gewonnen worden sind. Trotz der nicht glänzenden Finanzlage der Stiftung haben im Laufe des Jahres 11 Lehrerwaisen zur unentgeltlihen Erziehung angenommen werden können ; daneben find dem Institut 9 Zöglinge als Pensionäre überwiesen worden. In der ersten Anstalt der Stiftung, zu Pankow, welcher nur Lehrersöhne angehören, befanden sich im Jahre 1885 25 Zöglinge, von welchen die beiden ersten im April 1878, die beiden bte im Dezember 1885 aufgenommen wurden. In der zweiten Anstalt befanden sich ebenfalls 25 Zöglinge, deren Väter verschiedenen Lebens- stellungen angehören. Der Rechenschaftsberiht weist Einnahmen nach in Höhe von 25 507 F und Ausgaben in Höhe von 25415 #, sodaß am Jahresgende ein Bestand blieb von 92 46 Unter den Einnahmen figuriren: Bestand am 1. Januar mit 1175 4, Cinnahmen zum Kapitalvermögen mit 4684 4, Erziechungsgelder für Pensionäre mit 4063 und für Knaben, welhe am Unterricht theilnehmen, mit 1482 MÆ, milde Beiträge 8240 M, Ewr des Schaßzmeisters 3410 Æ 2c. Von den Ausgaben nahmen Gehalt, Löhne, Pension einer Wittwe 4050 6, die Unterhaltung der Zöglinge und der ge- sammten Hauswirthschaft der beiden Anstalten 4616 Æ, die Be- kTleidung und Wäsche der Zöglinge 2480 4, zurückgezahlter Vorshuß des Schatzmeisters vom Jahre 1884 5728 #6 2. in Anspruch.

Im Belle-Alliance- Theater findet morgen die letzte Sonntags-Aufführung der Operette „Die {ne Helena" ftatt, welche im Laufe der nähsten Woche durch den 3. Abend des Offenbachcyklus, „Pariser Leben“, abgelöst werden soll.

Wie sich vorhersehen licß, hat bisher noch jede Aufführung des „Lachenden Berlin“ imWalhalla-Theater vor vollbeseßtem bezw. ausverkauftem Hause stattgefunden; das heitere Stück wird noch auf lange Zeit die Räume des Theaters füllen. Bei der Première suchte das Publikum in der Handlung des Stücks vergebens nach einem Faden, an dem sih das Interesse vou Bild zu Bild bis zum Fallen der Gardine fortspinnen könne; \{chließlich sah man cin, daß man sich in solchen Erwartungen getäuscht habe, und man giebt sih jeßt der Heiterkeit ohne Vorbehalt hin. Ein Blick

auf den Zettel lebrt auch, daß die Verfasser nicht cine Poffe schreiben, sondern nur „Heiteres aus der Berliner Theater- geshichtc“ bieten wollten, eine Anzabl belustigender Bilder, die nebenbei in ihrer {chronologishen Ordnung die Entwickelung erkennen lassen, welche die Poffe von ihrem harmlosen Anfang an auf den hiesigen Bühnen genommen hat. Sie zeigen einerseits, wie das einfache Liederspiel sih zur glänzenden Operette ausgebildet, aber auch wie die Posse fo ausgeartet ist, daß der Direktor der Theater-Akademie im leßten Aft nur noh in der völligen Vershmelzung der Bühne mit dem Cirkus den Rettungsanker für erstere erblickt. Diese G ativilelüng tritt uns in einer Reibe der heitersten, mit großem Geschick aus verschicdenen Stücken mosaikartig zusammengeseßten Bilder, die dadurch nit an Deutlichkeit, wohl aber an Humor gewonnen haben, entgegen. So ist das eStündchen vor dem Potsdamer Thor“ nach Stralau zur Zeit des Fisch- zugs verlegt, und bei dem „Fest der Handwerker“ erscheinen auch die „Wiener in Berlin“. In dem zweiten Theil des zweiten Akts sind Szenen aus den „Berliner Kindern“, dem „Jüngsten Lieutenant“, den „Mottenburgern“ und „Hurrah Germania“ zu einem Ganzen verschmolzen worden, und zum dritten Akt haben außer „Kyritz-Pyritz*“, welches feine Sangesbrüder gestellt hat, gar zehn vershiedene Operetten Melodien und zu dem farbenreichen Schlußbild die glänzenden Kostüme herleihen müssen. Von den ein- zelnen Szenen gefallen diejenigen am meisken, die in sich verständlich und abgeschlossen sind, wie der „Eckensteher Nante“, „Das Fest der Handwerker“, die Instruktionsstunde der Rekruten aus den „Berliner Kindern“ u. A. In allen anderen Bildern tritt der bunte, dur viele neue, mehr oder weniger gelungene Einfälle gewürzte Inhalt hinter dem trefflichen Spiel sämmtlicher Da: steller zurück. „Das lachende Berlin“ beansprucht ein großes Personal, und do sind alle Rollen gut beseßt. Die Direktion hat nur eine fremde Kraft zu Hülfe genommen, Hrn. Herrmann vom Deutschen Theater zu Moskau, der die Vielseitigkeit seines Talents in fünf verschiedenen Rollen zeigt; er spielt den „Nante“ und den sentimentalen, steifen Maurerpolier Kluck ebenso drastisch und charakteristisch wie den flinken Provifor Stößel, den Füsilier Kutschke und den gelenkigen, excentrischen Theater-Akademie-Direktor Brüller; man darf der Bühne zu seinem Engagement Glück wünschen. Die anderen Haupt-Mitwirkenden sind von der Opereite her bekannt, haben aber sämmtlih durch verschiedene Rollen Gelegenheit erhalten, ihre Begabung auf anderen Gebieten der heiteren, ja felbst der ernsten Muse zu be- weisen. Das leßtere gilt von Hrn. Link, der das Publikum bisher nur zum Lachen zu bringen vermochte, als „Hubert“ in den „Wiener in Berlin“ durch den Vortrag des Liedes „Kommt a Vogerl geflogen“" aber auch zu rühren verfieli: seinen „Isaac Stern“ in „Einer von unsere Leut“ führt er mit ebensoviel Maß wie Ver- ständniß und Humor durch; auch als „Lina“ befleißigt er sich in anzu- crkennender Weise der Mäßigung, ebenso im letzten Bilde, in welchem er als Prima-Ballerina scine Tanzfecrtigkeit produzirt. Hr. Worms erscheint zweimal als Unteroffizier, dann als Klempner Stehauf, Maschinenbauer Knobbe, zuleßt als Dirigent der Sangesbrüder in bekannter Maske, jedesmal. cin Anderer und in allen Rollen vor- trefflih. Hr. Philipp tritt abwechselnd als flotter Tischler Hähnchen, als Schauspieler Elmenhorst, als Reif-Reiflingen und als Musiklehrer auf und beweist in allen diesen Partien seine Be- gabung auch für Pofse und Lustspiel. Dasselbe ist, wie niht anders zu erwarten, von Hrn, Bollmann zu sagen, der als Provisor Kraus in Gelenkigkeit mit Hrn. Herrmann wetteifert. Hr. Korschen ift mit der Rolle des Artillerie-Lieutenants aus dem „jüngsten Lieutenant“ und der des Sangesbruders Nauke bedacht, die er in sehr ansprechender Weise giebt. Von den Damen tritt nur Frl. Bäckers in größeren Partien hervor, in denen sie als „jüngster Lieutenant“ durch die Anmuth ihrer Erscheinung, als „Theresa“ in der Theatershule dur ihr gewandtes Spiel gefällt. Frl. Dworak erscheint nur in ganz kleinen Rollen, die ihr Talent niht zur Geltung kommen lassen. Jn dem leßten, an Personen überreihen Bilde kann Frl. Erdösy als Nanon sich kaum machen. Dagegen gewinnt dafselbe einen befriedi- genden mußikalischen Abschluß durch das reizende Zankduett aus „Angot“, welches Frl, Seebold und Fr. Zimaier charakteristish vor- tragen. Daß die Leistungen der Regie im hohen Grade anerkennenê- werth sind, ist hon früher hervorgehoben worden, ebenso, S die Direktion keine Kosten gescheut hat, um außer dem Ohr auch dem Auge einen Genuß zu verschaffen.

Für den Allgemeinen Blindenverein giebt ein Schüler des Königlichen Musikdirektors Dienel, Hr. Ernst Mat, am Dienstag, Abends 7s Uhr, in der Marienkirche ein Concert, an welchem sich Frl. Meinhold, Fr. Bindhoff und der unter Hrn. Dienels Leitung stehende Männerchor des hiesigen Königlichen Seminars für Stadt- \hullehrer durch Vortrag von Gesängen, ferner Frl. Valerie Karstedt und Hr. Kammermusiker Maneke durch Ausführung von Violin- und Gello-Kompositionen betheiligen werden. Villets zu 1 4 sind bei Bote u. Bock, Leipzigerstraße 37, und Abends an der Kirche zu baben.

Als eine neue Erwerbung des Zoologischen Gartens ift ein Lippenbär (Ursus labiatus) zu verzeichnen, cine höchst eigenthümliche Form der Bärenfamilie, deren auffälligstes Merkmal die weit hervor- tretenden und fehr beweglichen Lippen, sowie die überaus lange und dichte, glänzend \{chwarze Behaarung bilden. Das Thier ist in Oft- indien und zwar speziell in Nepal und Dekan heimisch und lebt dort von Würmern, Schnecken und anderen kleinen Thieren. Es zerstört auch die Nester von BVicnen und Ameisen, um diese Thiere selbst, sowie auch den Honig zu verspeisen und erscheint hierzu durch seine langen Krallen, weit vorstredbaren Lippen und die lange bewegliche Zunge besonders günstig ausgerüstet, während gleichzeitig der starke, dichte Pelz ihm gegen die Angriffe der Insekten den nöthigen Schutz gewährt. Der erste Lippenbär, welher nach Europa gelangte, wurde 1790 in London gezeigt, aber seiner merkwürdigen Gestalt wegen durchaus nicht für einen Bären gehalten, vielmehr als „namen- lofes Thier“ oder „löwenartiges Ungebeuer“ bezeihnet. Auch die Gelehrtenwelt war geraume Zeit in Verlegenheit, wo sie das seltsamc Thier in das System einreihen sollte. Lange galt es als Faultbier. wozu namentlich der Umstand beitrug, daß bei vershiedenen Exemplaren, welhe man zu untersuhen Gelegenheit hatte, die Schneidezähne des Oberkiefers ganz oder theilweise fehlten. Man nannte dieses Geschöpf daher wohl auch „Faulthier-Bär“, und diese Bezeihnung hat {ih im Englischen (Sloth-bear) bis heute erhalten. Die Franzosen dagegen begründeten ihre Benennung dieses Bären auf den Umstand, daß derselbe in seiner Heimath von Gauklern, zum Tanzen und anderen Kunststücken abgerichtet, umhergeführt wird, ähnlih wie dies in Curopa mit dem braunen Bären geschieht. Man nennt ihn dem- gemäß Ours jongleur, Gaufler-Bär. Auch die Neigung des Thieres, Honig zu fressen, hat in einem besonderen, wissenschaftlihen Namen, Melursus, Honigbär, Ausdruck gefunden, unter welchem der Lippen- bâr als besondere Gattung von den anderen Bärenformen unter- schieden wurde. Gleichzeitig mit diesem seltenen Vierfüßler trafen ein Paar afrikanishe Nimmersatt-Störchhe (Tantalus ibis) ein, Es ist dies cine der s{önsten Stelzvogelarten. Die Grundfarbe ist weis mit rosenrothem Anfluge auf dem Rücken. Die Flügeldecken un Schulterfedern sind nah der weißen Spiße hin mit einem purpur- farbenen, dunkler ‘umsäumten Querfleck geziert; die Schwungfedern sind glänzend grünschwarz, der Schnabel wachsgelb, nah der Spitic etwas gebogen, das nate Gesicht zinnoberroth und der Fuß blaßroth. Die neuen Ankömmlinge tragen noch ihr bescheidenes Jugendkleid, gelblih grau mit aschgrauem Mantel und Halse.

Nedacteur: Riedel.

Verlag der Crxrpedition (Scholz). Druck: W. Elsner:

Fünf Beilagen (einschließlich Börsen-Beilage).

Berlin:

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

M 45.

Berlin, Sonnabend, den 20. Februar

1886.

Nichtamtliches.

Preußen. Berlin, 20. Februar. Jm weiteren Ver- lauf der gestrigen (50.) Sißung des Reichstages ergriff bei der ersten Berathung des Geseßentwurfs, be- treffend die Verlängerung des Sozialistengeseßes, der Staats-Minister von Puttkamer das Wort:

Meine Herren! Der Hr. Abg. Bebel ih weiß nit, ob er ¡ih {hon im Hause befindet hat im leßten Theil seiner gestrigen

ede eine überaus charafkteristische Aeußerung gethan, derart charafkte- ristish für seine ganze Anschauungsweise, daß sie mir ein unwillkür- lihes Hört! hört! entlockte. Ih möchte mir gestatten, auf diese seine Acußerung zum Eingang meiner Ausführungen do mit einigen kurzen Worten zurückzukommen.

Der Hr. Abg. Bebel hat in dieser Aeußerung in einer etwas weniger gewaltsamen Form wie früher seines Herzens innerste Meinung ausgesprohen, nämlich den unversöhn- lihen und unausl[öschlihen Haß gegen die Monarchie und deren Träger. Diesmal, meine Herren beiläufig unter der Herrschaft des Sozialistengesetes hat er sich damit begnügt, von zerstörten Jllusionen zu sprechen und davon, daß es aut fei, wenn dies Illusionen des monarchischen Prinzips so rasch als möglich zerstört würden. Das ift derselbe Gedanke, den er im Jahre 1871 in der Sigung vom 8. Novemher vor der Herrschaft des Sozialistengesetzes in ciner etwas offeneren Weise formulirt hat, es war davon die Rede, es könne möglicher Weise die Entwickelung des Reichs dahin führen, daß die übrigen deutschen Regierungen vershwänden, aufgesogen würden, da fagte er:

Ich bin weder dagegen noch dafür, aber nicht, weil wir glaubten, daß wir unter den Zeilen Zuständen uns besser befänden, sondern aus dem einfahen Grunde, weil die Widerstandskraft, welche sih jetzt bei der größeren Zahl der einzelnen Regierungen zersplittert, ih auf den cinen Hauptgegner konzentriren, weil aller Haß und Zorn, der bei unseren faulen Zuständen von Tag zu Tag im Volke mehr an- wächst, gegen Einen ih rihten und damit die Möglichkeit geschaffen ie 8 wird, cines Tages mit diesem Einen ebenfalls tabula rasa zu machen.

Von seinem Standpunkte aus ist der Hr. Abg. Bebel vollkom- mcn im Recht. Es ist richtig, das deutsche Fürstenthum und ins- besondere an der Spite desselben die als Vormacht stehende preußische Monarchie ist das wesentlichste in der Zukunft vielleiht das ein- zige Bollwerk gegen diejenigen Umsturzbestrebungen, als deren Pei ireppllenguzen O O De ente.

eine Herren, ih glaube, es ist nöthig, gerade hierauf aufmerksanz zu machen in einem Augenblicke, wo die Berathung, in der wir uns befinden, doch eine ganz eigenthümliche Jllustration erhält durch die mit sehr dringender Deutlichkeit sprehenden neuesten Thatsachen in anderen Ländern. Jch bin der Meinung, daß die Zeit kommen wird, wo an dem deutschen Fürstenthum, gestüßt auf die Anhänglichkeit und das Vertrauen seiner Völker und gestützt auf seine Machtmittel, der Hr. Abg. Bebel und seine Genossen sich noch einmal die Stirn ein- rennen können. Meine Herren, das ist so die Klimarx, in der sich{ diese Herren in ihrem Gedankengange theils verhüllt, theils unverhüllt bewegen: zuerst die Republik, das ist das erste, was geschaffen werden muß; dann der Umsturz unseres ganzen wirthschaftlichen und sozialen Systems, dann der Aufbau der neuen Staatsordnung auf Grund der tiefsinnigen Utopien, die uns einer der verehrten Herren, die wir unter uns haben, fo herrlih und verlockend geschildert hat. Wie der Herr Abgeordnete das auf dem von ihm und seinen Genossen fo sehr betonten friedlichen Wege erreichen will, das ist mir rein unerfindlich. Ich glaube, bei diesem Umwandlungs- prozesse unserer ganzen Zustände wird es sehr lebhaft zugehen, und es wird fehr wenige Amnestirte dabei geben, ausgenommen vielleicht die Herren vom Freisinn, die jeßt so beflissen sind, den Herren Sozial- demokraten Vorspanndienste zu leisten und sih einer der wenigen wirk- famen Abwchrmaßregeln entgegenzustellen.

Der Hr. Abg. Bebel hat mit einer Zuversicht, die mich einiger- maßen in Erstaunen gesetzt hat, von dem nahen Zustandekommen dieser Vorlage gesprochen. Ich weiß nicht, welches feine Quellen sind, sie sind jedenfalls nicht die meinigen, denn ih muß Ihnen sagen, ich bin äußerst besorgt, daß die Vorlage niht zu Stande kommt, daß ße hier ihre Annahme nicht findet; denn wenn ich die Preßstimmen, die bis jeßt vor der Eröffnung der Diskussion über diese Frage laut geworden sind, zu Rathe ziche, wenn ich ferner die Aeußerungen her- vorragender Parteiführer über diese Frage mir vergegenwärtige, dann, muß; ich sagen, ist mir die Frage, ob cs gelingen wird, eine Majorität dieses hohen Hauses für die Ihnen unierbreitete Vorlage zu finden, immer noch äußerst zweifelhaft. Jch wünschte, es wäre mir weniger zweifelhaft, ih kann aber gegen die tbatsächlihen Verhältnisse nicht ankämpfen. ;

Nun muß ih do das Eine sagen : kommt die Vorlage nicht zu Stande, fo würde ih das ja für cin sehr großes Unglück halten, aber gegen wen würden sich denn diese nachtheiligen Folgen zunächst und vor allen Dingen richten? Wessen Interesse würde denn dadurch auf das Tiefîte geschädigt sein? Das der verbündeten Regierungen ? Bis zu einem gewissen Grade gewiß, denn es ist immer sehr \chmerzlich, bei einer so wichtigen Vorlage von der Vertretung der Nation im Stiche gelassen zu werden. Aber, meine Herren, die Regierungen haben die Pflicht, diese Vorlage zu machen, sie haben sie erfüllt und damit haben jie ihrer Verantwortung auf diesem Ge- biete Genüge gethan. Wird die Vorlage abgelehnt, so werden aufs

Tiesste geschädigt die Interessen der deutschen Nation, deren Mehrheit | ein n minensloy mil „und | | sozialdemokratishen Masse, die ihr Träger war, auf die Länge nicht ¡ zu vermeiden sein würde, wenn man nit zu außerordentlichen Maß-

wie ich glaube und behaupte entschieden für die Verlängerung dieses Gesetzes ist. i : :

Meine Herren, der besißende Kern der deutshen Nation ih sage das im weitesten Sinne hat in der Wirkung dieses Gesetzes diese aht Jahre hindurh eine wirksame Maßregel zur Wiederher- tellung und Bewahrung des sozialen Friedens erkannt, das ist mir ganz unzweifelhaft, und decselbe würde es mit tiefem Schmerze, ja mit Unwillen empfinden, wenn diese Sicherheit, unter deren Schuß er neun Jahre lang wenigstens in verhältnißmäßigem Frieden gelebt hat, ihm genommen würde. :

Nun hat der Hr. Abg. Bebel sih gestern noch einer sehr starken Uebertreibung \huldig gemacht. Ih muß es deshalb hervorheben, weil dieser Gedankengang, den er da entwidelt hat, eigentli der Schlüssel ist für die ganze Opposition gegen die Vorlage, wie ich wenigstens glaube. Gr sagt: Die Regierungen haben das bisher be- stehende Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozial- demokratie vom Oktober 1878 benußt, wenn auch ohne Erfolg, zur Vernichtung der Sozialdemokratie und zur Mundtodtmachung des gesammten Arbeiterstandes. |

Meine Herren, ih seße dem entgegen, daß die Thatsachen abfolut anders reden; ich werde nachher noch weiter auf die Sache zurück- kommen. Ich will hier nur das Eine anführen: Die Hauptäußerun-

en jener politishen Partei bewegen sih ja auf dem Gebiete des Bareindwesenk: der Versammlungen und -der Presse. Nun, meine Herren, so viel von mißbräuchliher Anwendung des Geseßes gestern die Rede gewesen ist, das hat Niemand behauptet, daß das Versamm- lungsreht der Sozialdemokratie dur dieses e E n und da auh in der Anwendung es für aufgehoben zu erachten sei. Ih habe hier zufällig eine Tabelle über einen Zeitabschnitt der Beaufsichtigung dieser Dinge in

Berlin. Darin tritt die Ersheinung zu Tage, daß von hundert fozialdemokratischen Versammlungen etwa ein Drittheil durch Verbote oder Auflöfungen in ihrer thatsählihen Entwickelung gestört worden ift, 2 Drittheile \find ganz ruhig verlaufen, und so wird es in anderen Gegenden Deutschlands au sein. Und nun die Presse! Das ist ja richtig, wir haben die Pflicht gehabt, die Giftpflanzen, die vor Erlaß dieses Gesetzes in großer Zahl auf sozialdemokratishem Boden ge- wachsen sind, auszurotten und zu zerstöreu; aber an die Stelle dieser in ungebührliher und maßloser Weise die öffentliche Ruhe und den Frieden gefährdenden Blätter ist eben eine andere bessere Kategorie getreten. Hier in Berlin ershei- nen drei sfozialdemokratishe Blätter. Die Herren scheinen das gar nicht zu wissen. Jch erinnere an das „Berliner Volksblatt“ und zwei Wochenblätter, die seit 1. Januar erscheinen. Sie huldigen offenkundig sozialdemokratishen Tendenzen, allerdings unter der Herr- schaft des Sozialistengeseßes, welhes sie zur Mäßigung zwingt, in einer Form, an der fich manche andre Blätter ich will nicht wieder auf die freisinnigen exemplifiziren ein Beispiel nehmen können. Freilich, daß wir Blättern wie dem Züricher „Sozialdemokrat“, so- weit wir können, dauernd den Zutritt in Deutschland, die Möglichkeit der Veröffentlichunz und der Cirkulation verhindern, das wird selbst der Hr. Abg. Bebel, der übrigens, wie ih ausdrücklich bemerke, gestern wieder dieses Blatt als sein offizielles Organ anerkannt hat, doch auch begreiflich finden. Jch werde nun natürli nicht hier wieder eingehen auf das an sih drastishste Argument, Ihnen Stellen aus diesem Blatte zu verlesen über die Entwickelung, die wir seit dem Jahre 1884 gehabt haben. Das fällt mir gar nicht ein. Man muß keine Waffe zu lange gebrauchen; aber erinnern will ich doch daran, meine Herren, daß dieses Blatt des Hrn. Bebel, welches er selbst als sein leîitendes Parteiblatt anerkennt, beispielsweise den Vorgang bei der Verhängung des Bielefelder Belagerungszustandes, wo, so viel ih weiß, der ganze ordnungsliebende Theil der deutschen Nation sein volles Einverständniß mit dieser Maßnahme erklärt hat, in einer Weise, mit cinem Maße des Cynismus und der Zügellosigkeit besprochen hat, daß ih Bedenken tragen würde, das hier zu wiederholen. Aber, meine Herren, noch mehr! Dieses Blatt befleißigt sich in einer Tonart, die ihm gestattet ift, die der Hr. Abg. Bebel hier nicht anshlägt, alle die edlen Gefühle, die do, Gott sei Dank, in der deutschen Nation noch überwiegend sind, in einer Weise zu verhöhnen, die geradezu un- beschreiblih ist. Meine Herren, ich kann den Artikel und die Aeuße- rung, die ich hier im Auge habe, nicht vorlesen, aber ih will eine Skizze davon geben, oder nur daran erinnern, daß dieses Parteiblatt des Hrn. Abg. Bebel sih nicht entblödet hat, noch in den leßten Monaten die Königin Luise von Preußen, meine Herren, den guten Genius der preußischen Nation, in einer Weise mit Koth zu bewerfen, die jeder Beschreibung spottet und auch jede Andeutung des Inhalts für jeden gesitteten Menschen unmöglih macht. Meine Herren, das sind so die Waffen, deren Gebrauch man natürlich hier im Reichstage niht anzuerkennen braucht, das ist ja in der Schweiz geschehen und man ist offiziell niht dafür verantwortlih, aber man trägt fein Bedenken, sich politis, moralisch und intellektuell mit einem solchen Organ solidarish zu machen und es dauernd für sein offizielles und die Partei vertretendes Organ zu erklären.

Meine Herren, ih komme nun zu dem mehr positiven Theil meiner Ausführungen. Das Hauptargument gegen den Wunsch und den Antrag der verbündeten Regierungen, ihnen noch auf eine kurze Reihe von Jahren das Geseß gegen die gemeingefährlihen Bestre- bungen der Sozialdemokratie zu verlängern, besteht ja immer - darin: das Gesetz ist entweder uuwitksam gewesen nun gut, dann ist seine Aufrechterhaltung sicherlich niht die Beschränkung der politischen Freiheiten werth, die damit nothwendig zusammenhängen oder es hat seine Wirkung gethan dann bedarf man feiner nit länger. Ich werde mir erlauben, diese beiden Einwendungen an der Hand der logischen und historishen Entwicklung, die diese ganze Angelegenheit genommen hat, Ihnen zu widerlegen.

Ich weise zunächst vollkommen den Standpunkt zurück, als wenn das Geseß vom Iahre 1878 und die sämmtlichen Gesetze, welche seine Verlängerung ausgesprochen haben, irgendwie die Tendenz der Ver- nichtung fozialdemokratischer Bestrebungen überhaupt in s1ch trügen. Nein, das ist nicht der Fall, sondern das Gesetz ift vorgeschlagen und mit Zustimmung der Vertretung der Nation erlassen zur Unter- drückung der revolutionären Form der Sozialdemokratie. Ich denke, der Unterschied ist doch wohl einleuchtend. Um Ihnen das noch etwas näher zu führen, muß ih mir erlauben, auf die Entstehungsgeschichte und den ganzen Entwickelung8gang dieser Ausnahmemaßregeln noch kurz zurückzukommen. Jch bitte Sie, sih zurüchzuversetßen in die Zeit des Jahres 1877, wo der ganze Boden der deutschen Nation auf- gewühlt war und erzitterte unter den revolutionären Be- wegungen einer Partei, welhe wir hier in diesen 24 sozial- demokratishen Mitgliedern jeßt noch vor uns sehen, einer Partei, welche in Versammlungen, in der Preffe, in Vereinen ganz ofen den Umsturz nah allen Richtungen hin predigte. Meine Herren, wie fieberbaft diese Erregung war, die sih damals der ganzen Nation bemächtigt hatte und die ja in den unseligen Frevelthaten, von denen man ungern spricht, nur ihren symptomatischen Ausdru gefunden hat, das können nur die noch voll und ganz sich in das Bewußtsein zurück- rufen, die damals der ganzen Bewegung mit Aufmerksamkeit gefolgt sind; aber, meine Herren, das behaupte ih, und ih glaube, mir wird niht widersprohen werden: wir haben uns kurz vor Erlaß des Sozialistengeseßes in einem Zustande der öffentlihen Erregung und Unsicherheit befunden, die bei allen denkenden Politikern das Bewußtsein wachgerufen hat, daß ein gewaltsamer Zusammenstoß mit diesen Ideen und mit der

regeln griffe. Ich berufe mich hier niht allein auf den Standpunkt, der damals von den Organen der verbündeten Regierungen zur Be- gründung dieser Behauptung eingenommen und geltend gemacht wor- den ist. Nein, meine Herren, die Sache wurde am ernstesten genom- men gerade von denjenigen Kreisen, welche, ohne daß man ihnen irgend wie den Vorwurf übertriebener Gouvernementalität machen fann, auch von ihrem liberalen Standpunkte aus das Ungeheure diefer Gefahr erkannten, und wie ih zu meiner Freude sage, auch öffentlich anerlannten. Ih muß mich da wenden zu den damaligen Aeußerungen des Hrn. Abg. Bamberger. Ich will ihn sofort beruhigen, ih thue das in keiner Weise, um ihm persönlih zu nahe zu treten, sondern seine Aeußerungen sind für mih ein unentbehrlihes historisches Belegstück für die Nichtigkeit dessen, was ih Ihnen vorzuführen habe. Meine Herren, der Abg. Bamberger war damals so erfüllt ih will niht sagen von Angst und Schrecken; das sind Gefühle, die ihm hoffentlih fern liegen aber er war so erfüllt von dem Bewußtsein der uns umgebenden Gefahren und von der Pflicht, ihnez“ entgegen- zutreten, daß er Aeußerungen in seiner Rede vom 16. September 1878 gethan hat, viel ernster, und ih möchte sagen, viel tragischer, wie sie den verblindeten Regierungen jemals in den Sinn und in den Mund gekommen sind. Er hat zwar, was ich ihm von seinem Stand- punkte aus ja wiederum auch gar nicht verdenke, bei scinem Schluß- votum und bei den weiteren Verhandlungen über das Gese sich allen denjenigen Bestrebungen angeschlossen, die es, wenn ih so sagen soll, zu mildern wen auch in Bezug auf die Fristbestimmungen, er hat aber die ethische Basis und die politishe Nothwendigkeit, uns mit außerordentlihen Machtmitteln gegen das Ueberhandnehmen der Umsturzbestrebungen zu {chüßen, mit einer Entschiedenheit ausge-

sprochen, die eigentli bisher unerreiht ist in irgend einer parlamen- tarishen oder öffentlichen Aeußerung der leßten Jahre. Er knüpfte damals an eine Aeußerung des Hrn. Abg. Bebel an, der ja immer äußerst siegesgewiß is, jede größere Rede des Hrn. Abg. Bebel auf diesem Gebiete endigt mit der Phrase: wir werden Sie besiegen, seien Sie dessen sicher!

So hat er auch damals sich nach längeren Ausführungen am Schlusse seiner Rede geäußert und das hat bei dem Hrn. Abg. Bam- berger einen folchen Cindruck gemacht, daß er von dem Bewußtsein erfüllt war: ja, wenn Hr. Bebel Recht hat, und daß er von einem gewissen Standpunkte aus Recht hatte, erkannte er selbst an dann stehen wir unmittelbar vor dem Untergange der deutschen Nation. Er sagte damals:

Es sind uns nur zwei Wege ofen, wenn der Hr. Abg. Bebel Necht

hat: entweder unterzugehen, indem wir keinen Versuch machen,

uns der Sozialdemokratie zu erwehren oder wenn der Hr. Abg.

Bebel Recht hat, unterzugehen, nachdem wir wenigstens versucht

haben werden, uns der Sozialdemokratie zu erwehren.

__ Und an einer andern Stelle begründet der Hr. Abg. Bamberger sein Votum für das Geseß und seine Ueberzeugung von der Noth- wendigkeit des Geseßes damit, daß er sagt:

Wir haben die Pflicht, es besser zu machen und klüger zu sein, als andere Nationen, die eine ähnliche Gesetzgebung machen mußten, nachdem die Katastrophe eingetreten ist. Meine Herren, wir wollen sie machen, bevor die Katastrophe eingetreten ist.

___ Meine Herren, alles vollkommen korrekte Gedanken; nur wünschte ich, daß sie nicht nur bei dem Hrn. Abg. Bamberger, sondern auch bei allen denjenigen feiner Freunde, die früher einmal für die Regierungsvor- lage aufgetreten sind, etwas dauernder haften geblieben wären. Aber wir haben uns auch mit dem Hrn. Abg. Bamberger in der Beziehung in vollständiger Uebereinstimmung befunden, daß wir das Gesammt- ergebniß und den Gesammterfolg, den eine solhe Ausnahmemaßregel zum Schuße der bedrohten gesellshaftlihen Ordnung haben könnte, nicht so hoh veranschlagt haben, wie das jeßt immer vorausgesetzt wird. In Uebereinstimmung mit dem Hrn. Abg. Bamberger haben die verbündeten Regierungen damals den Standpunkt eingenommen, daß von einer Vernichtung der Sozialdemokratie als Partei, davon, sie überhaupt aus der Reihe der Erscheinungen zu streichen, keine Rede sein könne. Wir müssen uns darauf beschränken, die revo- lutionären Aus8wüchse, welche in ihren Aeußerungen den öffentlichen Frieden bedrohen, abzuschneiden. Er hatte ausdrücklich in der Be- ziehung anerkannt, daß es sih hierum nicht handeln könne. Er sagte:

Ich halte es für äußerst {wer, wenn niht unmögli, da, wo einmal diese verkehrten Gedanken Play gegriffen haben, dieselben wieder wegzubringen, wenn es niht dur eigene Erlebnisse in Form einer Katastrophe bewirkt wird. Was wir können, das ift, das Weitergreifen dieser Verirrungen vielleiht einigermaßen ceinzu- schränken, und daß dies in drei oder zwei oder in einem Jahr so weit geglückt fein sollte, daß wir uns nunmehr wieder der früheren Sicherheit übergeben können, das will mir nun und nimmer ein- leuchten.

Meine Herren, diese Aeußerungen sind cigentlich das thema pro- bandum, um welches es sich in dem jeßigen politischen Stadium handelt. Die Regierungen sagen Ihnen eben, nahdem das Gesetz 8 Jahre lang mit Erfolg in der Richtung, welhe wir in Gemein- \chaftlihkeit mit dem Hrn. Abg. Bamberger klar festgestellt haben, ge- wirkt hat: es ist nunmehr nöthig, diese friedlihe und die Ge- müther beruhigende Wirkung nicht dadurch fofort wieder illuforisch zu machen, daß wir gerade in einem Zeitpunkt das Gesetz ä@ufheben, wo wir noch nicht sagen können, daß diejenigen Ergebnisse dauernd vor uns liegen, welche wir damals von der Maßregel er- warteten.

Ich komme also nochmals darauf zurück: vor dem Sozialisten- geseß sahen wir unsere Nation in fieberhafter Aufregung, hin und her getrieben von stürmischen Agitationen und Leidenschaften in Presse, in Vereinen, in Versammlungen; nach dem Sozialistengesez haben wir Ruhe und Frieden im Lande gehabt, freilich immer in dem be- \hränkteren Sinne, den ich mir auszuführen erlaubt hatte. (Zwischen- ruf links.) Ja, das wird natürlich von dem Hrn. Abg. Hânel bestritten, aber es ist nichtsdestoweniger vollkommen wahr. Meine Herten, das (l Uta für de Soziale demokratie außerhalb des Parlaments und innerhalb des Parlaments.

Meine Herren! Wir haben geftern wiederholt ih weiß nicht, ob vom Hrn. Abg. Bebel auch aber jedenfalls von seinen Partei- genossen wiederholt betonen gehört, daß fie gar niht an gewaltigen Umsturz dächten und daß fie gar nicht eine revolutionäre, nein, eine Reformpartei, wenn auch im radikalsten Sinne, seien. Das klingt denn doch sehr anders, als Proklamation derjenigen Grundsäße, welche wir in früheren Zeiten von den Herren hören mußten. Jch erinnere mich einer Zeit, wo kein f\ozialdemokratischer Abgeordneter die Tribüne verließ, ohne zu versichern, daß ihnen der ganze Reichs- tag höht gleichgültig sei, das sei eine vollkommen verbesserungsunfähige Gesellschaft, von der nihts zu erwarten set, die ganze Gesetzgebung, mit der wir uns befaßten, sei total überflüssig, eine Besserung unserer faulen Zustände könne nur im Wege der gewaltsamen Aenderung erreiht werden u. f. w. Man hat die Tri- büne hier damals ausdrücklich bezeihnet als ein bloßes Agitations- mittel, nicht als Kampfplaß für praktishe politische Bestrebungen und darauf beruhenden Meinungsaustaush. Ja, damals wollte Hr. Hasselmann jedesmal, wenn er sprah, am Schluß seiner Rede „auf der Barrikade sterben.“ Der Hr. Abg. Bebel hat, wie ih anerkenne, die Sache immer viel tiefer aufgefaßt, er ist immer auf den Grund der Sache gegangen und hat wie auch gestern wieder, wenn auch in milderer Form, alle seine Angriffe auf die Monarhie und die monarhische Staatsordnung gerichtet. Ich erinnere ihn daran er wird das jeßt nicht mehr unternehmen, aber damals glaubte er es, weil er si eben freier in der Stellung fühlte, thun zu dürfen, daß wir aus seinem Munde und von der Tribline die Vertheidigung des Fürstenmordes, wenn auch nur ver- hüllt, aber do ganz deutlih, gehört haben, so deutlich, daß jeder, der es hören wollte, es verstehen konnte. Also wenn ih die Haltung der Herren Abgeordneten (Jhre vermehrte Zahl, mußtich gestehen, imponirt mir gar nicht, denn die Gründe davon sind bekannt, sie liegen auf einem andern Gebiet), wenn ich die Haltung mir ver- gegenwärtige, die die Herren jeßt hier einnehmen, und wenn ih die- jelbe mit derjenigen vergleihe, welche sie früher einnahmen, dann muß ih sagen: ih gratulire Ihnen zu der inneren Umwandlung, die in Ihnen vorgegangen ist, Ich glaube, diese Umwandlung is wenig- stens zum großen Theil ein Produkt desjenigen Einflusses, den Ihre Anhänger draußen im Lande auf Sie ausgeübt haben. Denn, meine Herren, daß innerhalb der sozialbemottatides Massen eine ih will nicht sagen prinzipielle Aenderung der Stu und der Auffassungsweise {hon vollendet sei, aber daß diefe Masse E in einer Gährung befindet, deren Erfolg nah der cinen oder andern, nah der gewaltsamen oder friedlihen Seite bisher niht abzusehen ist, das ist doh ganz unzweifelhaft, dafür sind ja ganz notorishe Thatsachen in den leßten Monaten vorgekommen und man braucht nur einen Blick in die öffentliche Presse zu thun, so begegnet man diesem Ge- danken auf Schritt und Tritt. ;

__ Ich glaube, das ganze Problem der nähsten Zukunft auf diesem Gebiete liegt darin, oB es im Lauf der Greignisse durch die Schulung, in welche die parlamentarischen Vertreter diee für die Gesetgebung kommen, ob es durch die allmählide Umwandlung der Gesinnung der