1886 / 45 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 20 Feb 1886 18:00:01 GMT) scan diff

Massen mögli sein wird, die gewaltsam, revolutionär gesinnten und in ibrer Wirksamkeit aufregenden Elemente der Partei allmählih zu eliminiren, und diese Partei zu einer solchen zu machen, welche man allenfalls als eine radifale Reformpartei, sagen wir als den äußersten linken Flügel der deutshen Volkspartei bezeihnen könnte. Das heißt also unter Verzichtleistung auf jede gewaltsame Lösung der \chwebenden ragen, ein Einreihen in den geordneten parlamentarischen Kampf über Meinungen und Interessen, in welchem Rahmen ja natürlich auf dem Boden des allgemeinen Wahlrehts jeder Partei ihre freie Ent- wickelung gelassen werden muß und auch gelassen werden wird.

Dies halte ich allerdings für den Schlüssel der ganzen Situation, und ih glaube, darnach werden sih auch die Herren, welche noch niht ents{lossen und fest gebunden sind gegen die Vorlage zu stimmen, mit der Abstimmung richten müssen. Daß auch in_ der parlamentarischen Vertretung der Haris solhhe entgegenge'etzten Strömungen vorhanden sind, das werden Sie natürlich jetzt bestreiten, aber nichtsdestoweniger ist es notorisch. Ich erinnere nur an die bekannte Fehde Bebel contra Frohme, die ja eine Zeit lang im vorigen Sommer fast das aus\chlicßlihe Thema der öffentlihen Besprehung und der Presse längere Zeit gebildet hat. Wenn man auf die eigentlichen Gründe dieser Fehde zurückgeht, die ja in sehr kräftigen Ausdrücken von hüben und drüben geführt worden ist, so kann man doch nur sagen, es sind diese beiden verschiedenen Strömungen, welche sich hier in jehr sharfen persönlichen Diskussionen und Auseinanderseßungen gekreuzt haben, die eine Richtung ich will niht sagen, vertreten durch wen, aber jedenfalls vertreten durch den „Sozialdemokraten“ Und _durh eine offenbare Meinungsäußerung der Frankfurter Parteigenossen, welche es den biesigen Vertretern sehr verübeln, daß sie fi überhaupt auf Parlamentiren einlassen ; das sagt also mit anderen Worten, welche festhält an dem alten Parteigedanken: Organifation auf dem Boden der Agitation zur Vorbereitung des künftigen Umsturzes, während sie diejenigen Genossen, welche an der Geseßgebung aktiv hier. im Parla- ment theilnehmen wollen, als folhe bezeichnen, denen die heilige Sache des Volkes doch nicht mehr ganz ernst ist. Dem gegenüber steht der auch in öffentlichen Streitschriften ganz entschieden festgehaltene Standpunkt, daß man die Wahlen und die politishen Mandate dazu benußen müsse, um hier im Reichstag Reformbestrebungen im Sinne der Partei durchzuseßen, kurz alles Dasjenige, was wir jeßt durch die Theilnahme der Herren an den legislativen Berathungen erfüllt sehen. Aber ich glaube, derjenige, welcher sich nun der Jllujion hingeben würde, daß dieser Kampf, dieser Gährungsprozeß schon heute oder in der nächsten Zeit zu Gunsten einer friedlichen Entwickelung beendigt sei, der würde doch, glaube ih, eine Verantwortung auf sih nehmen, die gar nicht zu tragen ist. |

F bin der Meinung, daß wir mindestens noch eine Reihe von Jahren abwarten müssen, wie diese ganze Bewegung und Gegen- bewegung innerhalb der sozialdemokratischen Massen sich entwickeln wird. Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß auch diejenige Richtung ich halte sie sogar für die der Zahl nach in diesem Augenblick noh größere —, welche an der Nügßlichkeit der parlamentarischen Mitarbeit verzweifelt, siegen wird, und daß wir dann schließlich wieder in die Verhältnisse zurückfallen, welhe vor Erlaß des Sozia- listengeseßzes bestanden. Jedenfalls wird die Verlängerung dieses Gesetzes ein Hülfsmittel dafür sein, die Richtung in der friedlichen Bewegung zu stärken. 5

Wenn dagegen diese verderblichen, von mir vorhin geschilderten, die Leidenschaften so bis aufs Tiefste aufregenden Preßerzeugnifs|e, wenn diese aufrührerischen Reden wieder ohne Scheu und ohne Hin- derniß vor das Gemüth und vor das Verständniß der großen Volks- massen würden geführt werden, dann würde jede Möglichkeit einer friedlihen Entwickelung innerhalb der Partei felbst abgeschnitten sein. Das ist die Ueberzeugung, von der wir bei der Bitte, das Sozialisten- geseß noch einmal zu verlängern, wesentlich geleitet worden.

Ih wiederhole Ihnen, meine Herren, die verbündeten Regierungen glauben ihre Verantwortung in dieser großen Sache dadurch gedeckt und erfüllt zu haben, daß sie Ihnen diese Vorlage machen und sie energish und rühaltlos vor Ihnen vertreten ; ih glaube ferner, daß die große Mehrheit der Nation hinter uns steht in dieser Frage, und ih glaube ferner, daß diejenigen Herren, welche sei es, aus welhen Gründen es sei der Vorlage nicht zustimmen, eine \{chwere Verantwortung auf si nehmen, und daß Diejenigen, welche den Be- mühungen der verbündeten Regierungen thren Beistand durch ihren Beifall leihen, auch die Anerkeanung ihrer Mitbürger in hohem Maße verdienen werden. Deshalb kann ih nur bitten, diese Verlängerungs- vorlage, die also unverändert das Geseß gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie noch auf 9 Jahre verlängert wünscht, wohlwollend zu prüfen und, wenn Sie können, anzunehmen. Jch bin der Meinung, daß Sie sich damit ein Verdienît, niht um die verbündeten Regierungen, nein, um die Interessen der Nation, er- werben werden.

Zum Schluß muß ih noch auf einen Gegenstand zurüctkommen, den der Abg. Singer mir gegenüber zur Sprache gebraht hat. Ich würde ja an sich niht die Verpflichtung anerkennen, auf die ÎInter- pellation eines einzelnen Abgeordneten, über einen Gegenstand, auf den ich nit vorbereitet war, auh nit vorbercitet sein konnte, hier gleich von heute auf morgen zu antworten. Denn ih muß für mi natürlich die selbständige Prüfung jedes Falles, namentlich da, wo es ih um einen Königlichen Beamten handelt, in Anspruch nehmen, und würde an sih nicht in der Lage gewesen sein, bis heute gleich Ihnen das- jenige vorzulegen, was mir über den vom Hrn. Abg. Singer vor- gebrachten Fall zur amtlihen Kenntniß gekommen ist, aber ih thue es denno, und zwar deshalb, um nicht irgendwie die Meinung auf- fommen zu lassen, als ob ih, fei es auch nur kurze Zeit, mit meiner Wissenschaft über die Sache hinter dem Berge zu halten geneigt wäre, und weil ih anerkennen muß, daß dieser Fall, wenn er wahr wäre, allerdings geeignet wäre, einen sensationellen und peinlichen Eindruck zu machen.

Fch habe also sofort nah der gestcigen Sitzung den betreffenden Beamten auf sein Gewissen und seine Amtsehre zu Protokoll ver- nehmen lassen über die Vorgänge, welche der Abg. Singer gestern 1e d entwickelt hat. Es ergiebt sich in dieser Beziehung Fol- gendes.

Es ist vollkommen rihtig, daß ein Beamter der politischen Polizei, um gewisse Vorgänge zu überwachen und staatsgefährlihen Umtrieben wirksam entgegentreten zu können, sich in einen Bezirksverein hat auf- nehmen lassen, Das war aber, wenn ich den Hrn. Abg. Singer irgend wie richtig verstanden habe, keineswegs der Kernpunkt seiner Aeußerungen, sondern er war beflissen, diesen Beamten als einen solchen hinzustellen, der innerhalb dieses Vereins die Mitglieder desselben zu Nerbrechen zu verleiten versucht hätte, um in einer niht fehr s{hönen Weise das Material für die Verlängerung des Sozialistengeseßes zu vervollständigen.

Nun, meine Herren, was diesen Punkt anbetrifft, auf den es für mi ganz allein ankommt, so habe ich mir hierüber einen Auszug ge- macht aus dem Protokoll über die Vernehmung des Beamten, und ih trage kein Bedenken, obgleich es außergewöhnlich ist und ih nicht die Verpflichtung übernehme, in anderen Fällen ebenso zu verfahren, in diesem außergewöhnlihen Falle Ihnen aus diesem amtlichen Schriftstück auszugsweise einige Mittheilungen zu machen.

Der Beamte hat zu den springenden Thatsachen, die ver Abg. Singer besprochen hat, Folgendes ausgesagt:

Der Grund, welcher mich zu dem Eintritt in den Bezirks- verein veranlaßte, war, mir dic Ueberwachung desselben zu erleihtern und die verschiedenen Persönlichkeiten unauffällig kennen zu lernen. Fh habe mih aber stets völlig passiv verhalten und außerhalb der Versammlungen nie mit Mitgliedern verkehrt. Nie bin ih mit einem Mitgliede des Vercins am Palais vorbeigegangen, und die Acußerung, welche. ih angebli bei dieser Gelegenheit bezüglich des ÎIndieluftsprengens gethan haben foll, ist eine Erfindung und Unwahrheit. (Hört! Hört! rechts, Lachen links.)

Ja, dieses Lachen is mir doch außerordentlich charakteristisch. Ich weiß nicht, von welcher Partei es ausgegangen ist. Sind es lediglich die Herren Sozialdemokraten gewesen, dann bin ih vollkommen be- ruhigt; aber mir hien, daß auch in den Reihen der freisinnigen Partei si einige Gesichter zum Lachen verzogen, und wenn das richtig

sein sollte, dann möhte ich Ihnen nur sagen, daß ich Sie in keiner Weise beglückwünsche, und nur wünsche, daß dieses Lahen auch außer- halb dieses Hauses recht weit und deutlich gehört werden möge.

Meine Herren, ferner sagte der Beamte:

Rein aus der Luft gegriffen ist die Behauptung, G: ih Mit- glieder um mi versammelt hätte, um dieselben unter Hinweis auf das Gebahren der Nihilisten zu Gewaltthaten aufzureizen. Die sämmtlichen bezüglichen Auslafsungen des 2c. Singer find erfunden,

natürlich nicht vom Abg. Singer, das anzunehmen fällt mir nit ein, objektiv erfunden

ebenso unwahr ift ferner die Veiupiung, daß ich Vorträge über die Herstellung von Dynamit gehalten haben soll, daß ih Ote veranlaßt haben sollte, 5 Dynamitbomben an sich zu nehmen.

Die Behauptung, daß ih den Berndt aufgefordert habe, Klubs zu organisiren, um dieselben dann, um Material für eine Ver-

längerung des Sozialistengeseßes zu gewinnen, aufzuheben, ift

einfa Lüge. s 48 Nun, dieser Beamte ist eiïn in seiner bisherigen Dienstführung bisher vollkommen unbescholtener Beamter, also cin für mi glaub- würdiger Mann. Jch werde selbstverständlih nunmehr diese Sache niht ruhen lassen, sondern ich werde den Abg. Singer bitten, mir diejenigen Leute zu nennen, auf die er si beruft, um die Schuldigen vor Gericht zu ziehen. Das ist selbstverständlich. Aber eins möchte ih doch zum Schluß zu bemerken nicht unterlassen. Dieser ganze Vorfall ist wieder ein charakteristishes Zeichen für die Kampfesweise der Herren von der Sozialdemokratie.

Meine Des die Verantwortung, die wir bei dem Gesetz und seiner Ausführung zu tragen haben, ist wahrlich {on {wer genug; Sie wollen sie uns unmöglih machen durch das Heranzieben von un- beglaubigten Thatsachen, die nachher in der allergrößten Mehrzahl der Fälle sih als vollständige Unrichtigkeit ergeben haben. Ich bin der festen Hoffnung, daß das auch für diesen Fall sih ergeben wird; einst- weilen steht, wie ih anerkenne, Behauptung wider Behauptung. Der Beamte, um den es ih handelt, ift, wiederhole ih, noch niemals in irgend einer Weise in einer Situation gewesen, die thn niht als voll- ständig glaubwürdigen Mann seinen Vorgeseßten gegenüber erscheinen ließe; und ih bin daher der Meinung, daß die Untersuchung nicht zum Vortheile derjenigen Anschauungen ausfallen wird, die der Hr. Abg. Singer vertritt. i :

Der Abg. Meyer (Halle) wendete sih gegen das Geseßz und äußerte im Verlaufe seiner Rede u. A.: Wo das Spißel- thum gedeihe, müsse doch etwas in der Verwaltung nicht so sein, wie es sein sollte, und man habe alles zu thun, das Institut der agents provocateurs zu beseitigen. Daß dieses Justitut im Reih Fuß gefaßt habe, wisse man aus den Prozessen Waldeck, Ladendorff, Begas und Beer; es fönne also nicht geleugnet werden. Wie sehr das Sozialistengeseß mißbraucht werde, gehe auch aus der Schließung der Kräcker- {hen Druckerei in Breslau hervor. Jn diesem Falle habe man eine Kapitals-Association für gleihbedeutend mit dem Begriff: politischer Verein erklärt. Aus den Aeußerungen des Ministers könne man überdies ersehen, daß man nicht die sozialdemokratishe Ueberzeugung, sondern nur die ungehörige Form derselben habe treffen wollen. Wie die Dinge im Einzelnen gehandhabt würden, daraus lasse si nur schließen, daß da sehr viel Willkür mitspiele. Was habe man denn von den Ausweisungen? Ein solcher Ausgewiesener

che eben in einen anderen Ort und seße dort seine Agitation

Prt Dafür sei sein (des Redners) Wahlkreis, die Stadt Halle, das beste Zeugniß. Dort habe sogar einer der fozial- demokratischen Feldherren sein Hauptquartier aufgeschlagen. Was das Versammlungsrecht anbelange, so behaupte der Minister, daß es für die Sozialdemokraten doch auch bestehe. Ja, es bestehe zwar, aber es sei gewaltig verschoben. Würde man das Versammlungsrecht aber ganz aufheben, dann kämen die Herren eben in die Ver- sammlungen anderer Parteien. Das hätten sie auch gethan, sich aber nicht so benommen, wie man es von Gästen sonst gewöhnt sei. Wenn im „Sozialdemokrat“ solhe Ausführungen estanden hätten, wie der Minister angebe, so verabscheue er (Rédyer) sie. Aber der „Sozialdemokrat“ werde in ungemessener Zahl hier gelesen ; wäre es denn nun nicht besser, der Staatsanwalt könnte die Blätter fassen? Die gestern von dem Abg. Bebel angeführte Broschüre von Engels gegen Dühring sei ledig- lich mathematishen Jnhalts, sie handele von „imaginären Größen.“ Das habe man nun verboten! Er und ein großer Theil seiner Freunde verständen davon kein Wort, aber dem Arbeiter müsse das verboten werden? Es sei das ein Mißbrauh des Geseßes: Seine Partei wolle die Freiheit der sozialdemokratischen Presse, weil sie die Freiheit der Diskussion wolle; das Prinzip, daß die jebige Wirthschaft aufzuhören habe zu Gunsten eines Kollektivvermögens, halte er nicht für richtig, wenn auch die Regierung dieje Theorie gut zu heißen scheine. Willkürliche Staatseingriffe wolle seine Partei nicht, weder zu Gunsten der Reichen noch der Armen. Sie diskutire über gewisse nationalökonomische Probleme lieber mit Sozialdemo- fraten als mit den Herren von der Rehten. Wo es mit so roßen Reibungen hergehe, werde es nicht an Hiße der Dis- ussion fehlen, aber jeden Ausdruck der Leidenschaft geseßlih zu verbieten, sei gleichbedeutend mit der Sperrung eines Dampsfventils. Seine Partei halte die Verlängerung des So- S nicht für geboten! s

Hierauf bemerkte der Staats-Minister von Puttkamer:

Meine Herren! Da ich die Pflicht habe, auf einen Punkt der Rede des Herrn Abgeordneten Meyer zurückzukommen, damit mir nicht wieder der Vorwurf gemacht werde, ih hätte hier berechtigte Angriffe gegen das Verfahren der Regierung mit Stillschweigen über- gangen, so müssen Sie mir auch noch gestatten, mih über einige all- gemeine Gesichtspunkte zu verbreiten, die er zur Grundlage feiner Erörterung gemacht hat.

Wenn der Hr. Abg. Meyer, wahrsceinlich in dem Bemühen, seine Partei in einem grundsäßlichcn wirthschaftlihen Gegensatz zur Sozialdemokratie erscheinen zu lassen, in einem Augenblick, wo sie politisch wenigstens auf diesem Gebiet zusammenwirken werden, einen Exkurs auf das allgemeine wirthschaftlihe Entwickelungs8gebiet machen zu sollen geglaubt hat, so will ich ihm nur in einem Punkt entgegentreten. Er ging von der, wie ih glaube, durch nichts be- wiesenen und vollständig unzutreffenden Vorausseßung aus, daß es den Regierungsintentionen, die in dieser Beziehung mit der Sozial- demokratie eine nahe Verwandtschaft hätten, entsprähe, wenn die Privatwirthschaft, wie er sich ausdrückte, abgehalftert werde und an ihre Stelle eine allgemeine kollektive Staatswirthschaft träte. Meine Herren, woraus der Abg. Meyer eine Berechtigung zu dieser Auslegung \chöpft, ist mir nicht klar geworden; daß die Regierung auf denjenigen Gebieten, wo nah den feststehenden Erfahrungen nicht nur unsererseits, sondern einer ganzen Reihe von Kulturstaaten der Staatsbetrieb vorzuziehen ist, da wird das erkenne ih vollkommen an die deutsche und. die preußishe Regierung auf den ihr zustehenden Gebieten einer solchen Tendenz \tets huldigen. Aber dies nun verwehseln zu wollen mit dem kollektivistishen Stand- punkt ich will gar nicht einmal sprehen von der Gewaltsamkeit, mit der er eingeführt werden müßte wie die Sozialdemokraten ihn verfolgen, das ist meines Erachtens kaum ernst zu nehmen.

Nun aber muß ich mir erlauben, noch auf einige andere Einwendungen des Herrn Abgeordneten gegen die verbünde- ten Regierungen zurückzukommen. Ih erkenne fehr dankbar an,

daß der Herr Abgeordnete in dem Tone, den er meinen Ausführungen gegenüber anschlug, in keiner Weise“ über das für mih angenehme Maß hinauégegangen ist. Ih plaute das rührt au mit daher, weil er sich niht ohne Mitshuld fühlt an dem Zustande- fommen des Sozialistengeseßes. Er hat früher. selbst dafür gestimmt, und wir stimmen sogar im Uebrigen in Bezug auf die Wirkung des Gesetzes, wie ich zu meiner Freude konstatiren kann, in einigen Punk- ten überein. Also der Hr. Abg. Mcyer steht seinerseits auf dem Standpunkt : das Gesetz ist damals nothwendig gewesen und wir haben Nütliches von ihm erwartet, nun hätte doch in diesem achtjährigen Zeitraum seiner Wirksamkeit dieser Nutzen eintreten müssen, das ist nach der eigenen Erfahrung und Anerkenntniß der Regierung niht der Fall folglich, fo argumentirt er nun, muß es aufgehoben werden. Hier trennen sich unsere Anschauungen, indem die Regierungen ihrerseits der Meinung sind: folglih müssen wir noh eine weitere Frist haben, um die vollständige Wirkung vor uns zu schen, wie wir sie von Anfang an erhofften.

Aber der Herr Abgeordnete nöthigt mich noch, auf diejenigen Bemerkungen zurückzukommen, die von seiner Seite über die nah seiner Meinung mangelhafte und sogar unzulässige Ausführung des Gesetzes, mit anderen Worten über den Mißbrauch, der damit ge- trieben sei, gefallen sind. Da komme ih zunächst auf einen Gesichts- vunkt, in dem ih mi, wie ih gerne bekenne, in völligster Meinungs- verschiedenheit mit ihm befinde.

Er macht mir, wenn ih ihn rihtig verstanden habe, einen Vor- wurf daraus, daß ih auf die Aeußerung eines bisher unbescholtenen und als pflichttreu anerkannten Beamten hier nahdrücklich Gewicht gelegt habe. Ih muß hier die Richtigkeit dieser Aussagen bis auf Weiteres behaupten! Ich habe ausdrücklih gesagt: hier steht Be- hauptung gegen Behauptung. Ich habe aber dafür zu sorgen, daß bis zur auêgetragenen Sache der Mann hier niht mit injuriösen Aeuße- rungen belegt werden darf, die von dem Abg. Singer gegen ihn ge- braucht worden sind, und so lange, wie ih die Ehre habe, preußischer Minister zu sein, so lange werde ih stets so verfahren, und, wie ih glaube, doch auch verfahren müssen.

Sind denn die Beamten Parias, deren Unglaubwürdigkeit in dubio immer vorausgeseßt werden muß? Ich behaupte das Gegen- theil; und ih glaube, diejenigen Herren, die fortwährend es ist mir sehr bedauerlih gewesen, auh in der Partei des Hrn. Dr. Meyer so etwas zu hören an dieser Glaubwürdigkett und Integrität des Beamtenthums rütteln, erweisen dem Lande einen fehr s{lechten Dienst. Worauf soll sih \chließlich die Staatsordnung auf diesem Gebiete gründen? Doch auf die Pflichttreue der Be- amten und die Gewissenhaftigkeit der Vorgeseßten, die, wenn sie wirklih Schuldige finden, sie zu bestrafen keinen Anstand nehmen. Und nun diese fortwährend wiederkehrende Behauptung mit dem P cinen geshmackloseren Ausdruck kenne ih nicht —, er is für mein Gefühl fo verleßend, daß ih entschlossen bin, ihn nit in den Mund zu nehmen, wenn er nicht so gebraucht wäre, daß ih darauf erwidern muß.

Aber der Herr Abgeordnete hat dann frank und frei behauptet, weil das früher vorgekommen sei ih weiß niht, welhe Fälle —, er meint, daß cin agent provocateur aufgetreten ist, so müsse es auch jeßt sein. Ich habe ihm in Bezug hierauf ein entschiedenes und auf meine Pflicht und Gewissen hin abzulegendes Dementi entgegen: zusezen. Es ist cine vollständige Unrichtigkeit, daß in dem System der preußishen Polizei diese Seite der verbotenen Thätigkeit entwickelt oder auch nur zugelassen wird. Aber will denn der Hr. Abg. Meyer so weit gehen, dem polizeilichen Organe jede Möglichkeit und jede Befugniß zu bestreiten, in den Sphären, mit denen sie doch einmal zur Entdeckung von Verbrechen und s\taatsfeindlihen Agitationen zu thun haben, sich auch außer- gewöhnlicher Mittel zu bedienen? Ih möchte den Hrn. Abg. Dr. Meyer wirklih einmal in der Funktion eines Ministers sehen, wenn er diese Behauptung aufrechterhalten und zur Richtshnur seiner amt- lihen Handlungsweise machen will. Er würde dann einen sehr ge- E Vorrath von Erfolgen seiner amtlichen Thätigkeit aufzuweisen jaben.

äIch habe zu betonen und auch {hon früher betont, keine Polizei eines geordneten Kulturstaates kann unter allen Umständen auf eine geheime Aktion verzihten. Solange das Verbrecherthum auf dem Gebiet des gemeinen Kriminalrechts und auf dem politischen Gebiet ih in versteckter Weise gegenüber der Polizei verhält, muß es in dem Versteck aufgesucht werden, und zu dem Zwecke können wir auf außer- gewöhnliche Mittel nicht verzihten. Es handelt sich nicht darum, daß ich die Verpflichtung habe, ein Spißelthum oder die agents provocateurs zu bescitigen. Es besteht niht, deshalb kann es nicht beseitigt werden.

Der Herr Abgeoktdnete hat nun noch einen anderen Vorgang in den Kreis seiner Erörterungen gezogen. Ich hätte ja gar nicht nöthig, mich hierauf zu äußern, er hat selbst anerkannt, daß die durch das Gesetz geschaffene Instanz, die Reichsbehörde, an die die Beschwerde gegangen ist, nah Prüfung des Sachverhalts dahin erkannt hat, daß die Schließung der Kräerschen Druckerei völlig dem Geseh entspricht. Ich nehme keinen Anstand zu erklären, daß ih die Entscheidung für vollkommen zutreffend halte.

Der Hr. Abg. Hänel hat in einer Sitzung, die mir noch sehr wohl in Erinnerung ist, mit einer gewissen Emphase gesagt: ich theile die Gefühle der Breslauer Bevölkerung in Bezug auf die Indignation, die sich über diesen Fall kundgegeben hat. Einer solchen Greiferung bedarf es meines Erachtens durchaus nicht; es handelt ih ledigliß um eine einfahe Auslegung des Gesetzes. Gs ist durch die thatsählihe Ermittelung festgestellt, daß die Angabe des Hrn. Kraecker, er sei alleiniger Eigenthümer dieser Druckerei und es mangele an dem Substrat eines Vereins in Form einer Kommanditgesellschaft, nicht richtig ist, sondern daß der betreffende Verein mit hundert Mitgliedern, ih glaube, so viel sind es, noch besteht und daß diese Mitglieder fogar Ansprüche an das Vermögen des Vereins machten.

Nun hat das Geseß über die gemeingefährlihen Bestrebungen der Sozialdemokratie nie eine andere Auslegung gefunden, als daß jeder Verein ohne Unterschied seines kundgegebenen geschäftlichen Zweckes, also auch Alktiengesellshaften, offene Handelsgesell schaften, Kommanditgesellschaften unter das Sozialistengeseß fallen, sofern ihre Thätigkeit den Voraussetzungen in §. 1 des Gesetzes entspricht. Das ist die einfache Thatsache, um die es sich hier handelt. Der zuständige Regierungs-Präsident und die Reichskommission haben diese Frage bejahend entschieden. Hiernach handelte es sih hier um eine sozial- demokratische Verbindung, deren Eigenthum diese Druckerei gewesen ist, Die Schließung rechtfertigt sich sodann auf Grund des §. 7 des Sozialisten- gesetzes, nah welchem, wenn ein Verein auf Grund des Gesetzes ges chlossen ist, auch alle seine Anstalten und Vermögensstücke mit Beschlag zu belegen sind. Jch muß hiernah ausdrücklich in Abrede stellen, daß der hier in Frage stehende Fall Veranlassung" geben kann zu der Behauptung, daß das Sozialistengescß in einer gehässigen oder in einer den Gesetzen nit entsprechenden Weise gehandhabt und ausgeübt wird; ja, daß es strenge ich will sogar so weit gehen, zu sagen, daß es drakonish ausgeübt wird, das erkenne ih an. Das is aber auh unsere Schuldigkeit! Wir haben das Geseß niht gemaht für die Sozial- demokratie, wir haben es gegen die Sozialdemokraten gemacht ir würden uns einer {weren Pflichtverlezung \chuldig machen, wenn wir bei der Anwendung des Gesetes nicht bis an diejenigen Grenzen gehen würden, welche das Geseß selbst zuläßt.

Der Hr. Abg. Meyer ist dann der Meinung gewesen, daß auf dem Gebiet der Ausweisungen auf Grund des §. 28 des Gesetzes an- \heinend auch Mißbrauch getrieben worden sei. Das, meine LerBe: erkenne ih nicht an, wohl aber erkenne ih eins an, und in dieser Be- ziehung kann ih mich den Anschauungen des Hrn. Abg. Meyer aller- dings etwas nähern: es ist allerdings ein Uebelstand damit verbunden, daß, wenn man innerhalb derjenigen Gebiete, in denen man auf Grund des §. 28 eine Ausnahmemaßregel verhängt, von der Befugniß des Gesetzes Gebrauh mat, man die Gefahr nur an einen andern r trägt. Diesen Mißstand erkenne ich, wie gesagt, vollkommen an, und wenn es sich nur darum handelte, das ganze deutsche Reichsgebiet als einen in volitisher Beziehung gleihwichtigen Punkt anzusehen, dann würde

ich auch der Mini foi es wäre dies eine überflüssige Klausel. Aber der §. 28 des Gesetzes, das bitte ih zu bemerken, enthält das Requisit, daß die Ausweisung nur aus solchen Orten des Reichs- gebiets stattzufinden hat, in welhen eine besondere Gefahr für die Sicherheit obwaltet; und hieran muß unter allen Umständen festge- halten werden, möge es auch noch so übel empfunden werden. Wenn die Ausweisung eines gefährlihen Agitators an einem Orte statt- findet, und dieser dann durch seinen Aufenthalt einen anderen Ort gefährdet, so ist das niht zu vermeiden. Man muß eben, um ein politisches Gut zu erreichen, ein minderes Uebel in den Kauf nehmen.

Was die Freiheit der Diskussion betrifft darauf habe ih ja hon heute hingewiesen, und mich wundert, daß der Hr. Abg. Meyer meine diesbezüglihen Ausführungen fo kurz abgefertigt hat —, fo behaupte ich, schon unter der Herrschaft des jet bestehenden Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie kann dasjenige Maß von Diskussion, welhes er den Sozial- demokraten wünscht, soweit es die theoretishe und praktische Erörterung wirthschaftliher Probleme betrifft, ganz ruhig stattfinden. Lesen Sie denn nicht täglich im „Berliner Volksblatt“, welches ih hon heute citirt habe, sehr gute Ausführungen, die vollständig auf dem Boden der Sozialdemokratie geführt sind? Was wir verhindern wollen, ist die zündende, brandlegende revolutionüre Form einer solchen Erörterung. Das ist der einzige Grund, weshalb auf dem Gebiet der Presse Ausnahmemaßregeln erlassen sind und weiter nöthig ge- halten werden müssen. Der „Sozialdemokrat" ist allerdings auch noch heute in Berlin und anderen Orten Deutschlands verbreitet, die Anzahl mag wohl einige Tausende betragen aber was will denn das sagen gegen den Zustand, den wir vor Erlaß des Sozialisten- gesetzes gehabt haben? Es sind damals ich weiß es noch ungefähr aus8wendig in der erregten Periode vor Erlaß des Sozialisten- gesetzes, von der ih in meiner ersten Rede sprach, einige 40 sozia- listishe Zeitungen erschienen, die wie die Pilze aus der Erde hervor- wuhsen und etwa über 300000 Leser hatten. Und nun frage ih Sie: wollen Sie die verderbliche Wirkung der Lektüre des „Sozialdemokraten“, fo verbrecherisch fein Inhalt auch ist, mit den Wirkungen der Gesammtheit der damaligen Presse vergleichen, in welher das Gift innerhalb des Reichsgebiets in 40 Zeitungen und hunderttausenden Nummern verbreitet wurde ? Der Hr. Abg. Meyer will uns damit trösten, der Staatsanwalt würde das nicht zulassen. Da kennen Sie die Kunst der sogenannten Preßpiraten sehr wenig, die wissen sehr genau ihre giftigen und \taats- gefährlihen Darstellungen in ein Gewand zu hüllen, welches fo cle- gant ist, daß sie bei dem Strafgeseß immer diht vorbeistreifen und daß der Staatsanwalt ihnen wenig oder nichts anhaben kann. Das hindert aber nicht, daß die Sachen materiell von derselben verderb- lihen Wirkung sind und verderblicher vielleicht, als wenn man ih will sagen die Sache ganz offen bei rechtem Namen nennt. Ich fann also nit sagen, daß Hr. Dr. Meyer irgend etwas dazu bei- getragen hat, um das Urtheil über die Nothwendigkeit der Verlänge- rung des Sozialistengesezes zu Ungunsten der Regierungsvorlage zu wenden; und ih muß Sie bitten, selbst seinen Ausführungen gegen- über mit möglichst großer Majorität groß wird sie ja wohl nicht sein, aber doch mit Majorität sih den Vorschlägen der verbünde- ten Negierungen anzuschließen.

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Senator Dr. Vers- mann äußerte sich folgendermaßen: Der Hr. Abg. Dr. Meyer hat im Verlauf seiner Rede den Wunsch geäußert, daß die Aufklärungen über einzelne Fälle, die gestern in der Diskussion angeführt find als Beweise der Demoralisation der Beamten u. \. w., nicht vereinzelt blieben, sondern daß auch die übrigen Fälle hier aufgeklärt und thunlichst richtig gestellt würden. Da ih allerdings in Folge ungewöhnlicher Maßregeln mi in der Lage befinde, einen Fall, der mit besonderer Emphase gestern von dem Hrn. Abg. Frohme hier zur Sprache gebraht worden ist, vollständig richtig stellen und aufklären zu können, so halte ih mich für ver- pflichtet, das zu thun. / Die geehrten Herren werden sich erinnern, daß der genannte Redner sich beshwert hat über die bei Ausweisung eines Tapezier- ehülfen Grünberg angeblich_ vorgekfommene Inhumanität; er hat da- bei einen Polizeikommissar Schröder genannt und behauptet derselbe habe ¿enen von der Straße fort mit gebundener Marschroute nach dem Bahnhof gebraht. Der Mann habe darum gebeten, daß er vor seiner Ausweisung noch von Frau und Kindern Abschied nehmen möchte, aber auch dies sei thm verweigert; erst durch das Mitleid eines an- deren Polizeibeamten sei es thm möglich geworden, aber nicht in seiner Wohnung, fondern auf dem Hamburger Bahnhof. „Jch erhebe“, fo {loß der geehrte Herr, „gegen den Polizeikommissar Schröder hier- mit ausdrücklich die Anklage wegen Amtsmißbrauchs“. Nun, meine Herren, die Sache ist die, daß der Polizeikommissar gar nicht in Frage kommt, weil er alles, was er gethan at, lediglich und aus\chließlich auf direkten und unmittelbaren Befchl seines Chefs gethan hat. Also um eine Demoralisation der unteren Beamten nacbzuweisen infolge dieses Geseßes, dazu paßt dieser Fall niht. Die Sache war in Wirklichkeit folgende, Der Lapezier- ehülfe 2c. Grünberg aus Berlin, 26 Jahre alt, verheirathet u. f. w., itglied der Liedertafel „Aphrodite“, Beisißer des Zentralvorstaudes der Zentralkrankenkasse der Tapezierer, zweiter Vorsitzender des Fach- vereins der Tapezierer und Schriftführer des Unterstüßungsvereins der Tapezierer, ist am 1. Februar wegen Verbreitung sozialistischer Schriften auf Grund des Sozialistengeseßes aus Hamburg aus- gewiesen, und ihm eine dreitägige Frist zur Abreise gefeßt worden. In der leßteren Zeit waren mehrere Fälle vorgekommen, daß aus Altona auf Grund vorerwähnten Geseßes Personen aus- gewiesen worden sind, die dann bei ihrer Abreise von mehreren Hunderten ihrer Gesinnungsgenossen von Altona bis zum Pariser oder Berliner Bahnhof in Hamburg begleitet wurden, wodurch arge Verkehrs\tockungen entstanden, da si eine große Menschenmenge diesen noch anshloß. Am Morgen des 3. Februar wurde der Polizei von einem Beamten das Folgende gemeldet: Bericht. Dem Vernehmen nach wird der auëgewiesene Grün- berg heute Abend abreisen, und ist eine bedeutende Demonstration hierbei in Aussicht; wie weiter verlautet, werden die Theilnehmer ch 84 Uhr am Holstenplaß einfinden, und die Altonaer über das Heiligegeistfeld anrücken. Grünberg wird, wie seine Chefrau sich vertraulich geäußert, zunächst nah Hannover reisen. Also, um diesem Unfug und der daraus hervorgehenden Ruhestörung vorzubeugen, verfügte der Herr Chef der Polizeibehörde, daß Grünberg noch im Laufe des Tages abzureisen habe; es war der driite Tag; er wollte des Abends um {12 Uhr mit dem Zug, der nah Harburg u. |. w. geht, nah Hannover abreisen. In Folge dessen wurde er Morgens etwa 114 Ühr aus der Werkstatt seines Arbeitgebers abgeholt, ins Stadthaus geführt und ihm hiervon Mittheilung gemacht. (Zuruf. ) Aus der Werkstatt seines Arbeitgebers! Er verlangte hierauf, seine Familie noch besuhen zu dürfen; dieses wurde ihm nicht ge- stattet, wohl aber der Familie von der Sachlage Mittheilung ge- macht. Es fand sih denn auc alsbald dieselbe am Stadthause ein und blieb dort, bis er etwa 3} Uhr zum Venloer Bahnhof per Droshke in Begleitung eines Polizeibeamten geführt wurde. Also während hier behauptet wird, daß man ihm den Verkehr mit der Familie abgeschlagen habe, daß er nur durch die Gunst eines unteren oli1zeibeamten am Bahnhof seine E gesehen habe, ist der That- estand der, daß man seine Familie um #12 Uhr des dritten Tages nad) dem Stadthause hat kommen lassen, daß er dort bis 34 Uhr mit ihc sich unterhalten hat, und, wie ich vernommen, in fehr behag- lier Weise in einem Zimmer, das ihm dort angewiesen ist, nicht nur mit seiner Frau, sondern auch mit zwei anderen weiblichen Verwandten, welche dieselbe mitgebracht hatte, sih unterhielt. Am Bahnhof fand sih die Familie ebenfalls wieder ein und blieb bis zu seiner Abreise nach Hannover bei ihm. Darauf ist er denn in ein Coupé mit einem Beamten, der ihn bis nah Lüneburg begleitete, gebracht worden; dann ist er weiter gereist. Der Beamte berichtet über die Ausführung dieses Auftrags folgendermaßen :

In Harburg kamen noch 12 Gesinnungsgenossen hinzu, Grünberg äußerte im Laufe des Gesprächs, daß, wenn diefe Maß-

regel von Seiten der Behörde nicht getroffen wäre, es am gestrigen Abend zu einer Demonstration, welhe bisher noch nicht ihres Gleichen hatte, gekommen sei, denn dazu sei er zu bekannt gewesen. Im Uebrigen sei ihm an seiner Ausweisung wenig gelegen; wenn es etwas später gewesen, sei sie ihm ganz recht gewesen; er werde aber nit unterlassen, sich an maßgebender Stelle mit alien ihm zu Gebote stehenden Mitteln über die ihm zu Theil gewordene Behandlung Seitens der Hamburger Behörde zu beschweren. s Nun folgt, glaube ic, für Jeden, der die Behauptungen und diesen Sachverhalt, der doch ein einfacher und natürlicher it, mit einander vergleicht, daß das ganz verschiedene Dinge Q Hier ift behauptet, daß in Folge Amtsmißbrauchs der unteren Beamten Roh- heiten, Verweigerung des Abschiednehmens von der Familie u. f. w. vorgefommrn sind, während die Thatsache die ist, daß der Chef der Polizeibehörde in pflihtmäßiger Ausübung seines Amtes . (Lebhafte Zurufe Seitens der Sozialdemokraten.) Ich erlaube mir zu wiederholen, daß nach meiner Veberzeugung für jeden billig Denkenden von einer Inhumanität bei diesem Falle feine Nede sein kann, daß der Chef der Hamburger Behörde lediglich seine Pflicht gethan und daß Hamburg sich Glück dazu wünschen kann, daß es eine wachsame Polizei und an deren Spiye einen Chef hat, der sih nicht scheut, die rihtigen Maßregeln zu ergreifen, um die Stadt vor Ruhestörungen zu bewahren, und der es nicht ablehnt, die Verantwortli()keit, die in einem folhen Falle zu übernehmen ist, au wirklich zu Übernehmen. Nehmen Sie an wenn Sie sagen wollen, diese Maßregeln sind ein Amts- mißbrauch, wie mir zugerufen wird, nehmen Sie an, was hätte eintreten Tönnen, wenn des Abends große Mengen sih zu solchem Zweck versammeln. Der Bericht er iebt, daß am Abend noch, obgleich der beabsichtigte Triumphzug nicht stattfinden konnte, eine große An- iammlung von Menschen auf dem bezeichneten Plate stattgefunden hat. Es heißt da zum Schluß:

Abends, am 3., £9, versammelten sich denn auch, wie es mit- getheilt war, etwa 400 Menschen am Holstenplat, die den Grün- berg erwarteten, um ihn zum Bahnhofe zu begleiten, denen sich noch eine große Menge Neugieriger anschloß. Die dort postirte Polizeimann\chaft forderte die Menge auf, sich zu entfernen, was denn auch nah einiger Zeit geschah.

Nehmen Sie alfo an, daß diese 400 Menschen von §9 bis 312 Uhr, bis zum Abgang des Zuges im Dunkel der Nacht sich durch die Straßen einer großen volkreichen Stadt bewegen, Neugierige in großen Schaaren "mit sich nachziehen, vermuthlih die Arbeitermarsfeillaise singen und dergleichen! Hier ist von Sozialisten keine Rede, sondern es ist einfach die Pflicht der Aufrehterhaltung der öffentlihen Drd- nung, wenn die Polizeibehörde dergleichen verhinderte. Wenn ähn- lihe Folgen aus dem Dulden eines folhen Zusammenrottens von großen Volksmengen entstanden wären, wie wir sie kürzlih anderswo gesehen, so möchte ih wohl das Urtheil bören, welches man dann über die Polizei und den Chef einer solchen Polizei gefällt hätte. Ich glaube, man wird billiger Weise anerkennen müssen, daß das, was geschehen, durhaus nothwendig war.

Abgesehen davon, ist dieser Fall gewiß nicht geeignet, das zu be- weisen, was die Herren sich hier zur Aufgabe gestellt hatten, zu beweisen. Für mich aber enthält er noch eine andere Lehre. Es ift natürlich nit möglich und ein unbilliges Verlangen, in jedem einzelnen Falle von einem Tage zum andern, wie es hier geschieht, vollständige amtliche Aufklärungen über solhe Sachen beschaffen zu sollen. Jch werde also in ähnlichen Fällen, wenn später dergleichen Anschuldigungen wieder erhoben werden sollten, bis auf Weiteres davon ausgehen, daß dieselben vermuthlich fo unbegründet sein werden, wie ih diese halten muß N :

Der Abg. Dr. von Schlieckmann betonte, das Sozialisten- gesez habe die Fristbestimmung erst hier im Hause erhalten gegen den Einspruh der Regierung und seiner Partei. Die Herren, die von der Stabilität des Geseßes sprächen, müßten doch gerade gegen eine solche Klausel sein. Er bedauere die Aufnahme dieser Fristbestimmung, das Geseß wäre ohne diese Klausel besser. Jet sagten die Sozialdemokraten: „Haltet nur noh kurze Zeit aus, wer weiß, dann sind wir A die Helden des Tages.“ Wenn man eine Klausel wollte, jo hätte man vielleicht besser gethan, das Geseß nur auf 1 Jahr zu erlassen und es dann stillschweigend zu verlängern. Am liebsten wäre ihm unter den jegigen Verhältnissen eine Fristverlängerung um 10 Fahre, anstatt der 5 Jahre, die die Regierung verlange. Ein dementsprechender Antrag würde aber aussichtslos sein. Man sage, das Geseß habe nichts erreicht, L nicht in Bezug auf die Pre, der „Sozialdemokrat“- solle nah wie vor zahlreiche Leser haben. Es sei doch aber ein großer Unter- schied, ob der ruhige Mann ein verbotenes oder erlaubtes Blatt in die Hand bekomme. Der Mord Rumpffs solle eine Folge des Sozialistengeseßes sein. Wäre das Sozialistengeseß niht gegeben worden, so würde Hr. Rumpff vielleicht an einer Laterne aufgeknüpft worden sein! Dieses Ausnahmegeseß sei der Regierung aufgedrängt durch die sozialdemokratishen Um- triebe. Die Bezeichnung „Ausnahmegeseg“ komme nur daher, daß es gewisse diskretionäre Befugnisse für die Polizei enthalte. Er halte es für seine Pflicht, hier öffentlih Zeugniß abzulegen lie die Polizeibeamten, die die pflichttreuesten Beamten im preußi- chen Staate seien! DieStrafbestimmungen des Gesetzes erweckten

ein Gefühl der wohlthuenden Milde gegenüber dem E entwurf Rintelen bezüglich der Wahlbeeinflussungen. Die Pre

E sei bis vor Kurzem noch für ein Menschenrecht ange- ehen worden. Das sei nicht mehr der Fall, sie sei vielfa in Bezug auf ihre bildende Wirkung über die Religion gestellt worden. Auch mit der Preßfreiheit und ihrer Verlegung sei es im Geseß nicht so s{hlimm. Er bitte für das Geseß zu stimmen, au für die Sozialdemokraten sei dasselbe nicht so hlimm. Früher, als die Sozialdemokraten zuerst in den Reichstag gekommen seien, habe man f scheu gemieden, jeßt gehe man ganz fkollegialish mit ihnen um. Dadurh könne man ja allerdings am besten ihre Theorien kennen lernen. Jeßt unterstüßten fie ja sogar ein- zelne Regierungsvorlagen. Wenn das Sozialistengesey nicht eristirte, so könnten sih die Sozialdemokraten die Anarchisten nit so leicht abschütteln. Der Redner richtete nach einander an die einzelnen Parteien die Mahnung, für das Gesetz zu stimmen. Er wendete sich an die Deutschfreisinnigen : Bei Erlaß des Geseßzes seien Jene eifrig für dasselbe gewesen. Damals hätten ih die Hauptangrisse der Sozialdemokcaten gegen den Abg. Bam- berger gerihtet. Und jeßt wollten die Deutschfreisinnigen gegen das Gesetz stimmen. Was sagten denn ihre Wähler dazu ? Die würden gewiß nicht mit der Aufhebung des Geseßes ein- verstanden sein. Die Ereignisse in London hätten einen tiefen Eindruck gemacht, denn auch in Berlin gebe es viele shöóne Juwelierläden. Die Nationalliberalen würden bei der Abstim- mung beweisen, daß sie eine staatsmännische Partei seien. Beim Centrum appellire er an das, was es mit seiner Partei verbinde, an den Glauben! Man solle sich gemeinschaftlich gegen den Atheismus wenden. Er wolle mit einer Geschichte R In der vorlepten Wahl sei er dur einen Frei- innigen geschlagen worden, der für das Sozialistengeseß ge- stimmt hätte. Als er dafür von seinen Parteigenossen zur Rechenschaft gezogen worden sei, habe derselbe gesagt, daß er gehört habe, es entsprähe der persönlihen Meinung des Kaisers, daß das Geseß aufrecht erhalten bleibe, deshalb habe er dafür gestimmt. Er glaube, daß diese Erwägung vielleicht auch auf Manchen von Jhnen Eindruck machen werde.

Der Abg. Dr. Windthorst hielt nicht für angezeigt, in dem gegenwärtigen Stadium bereits ‘Alles zu sagen, was er noch zu sagen habe. Den Vorredner mödite er bitten, dohch das direkte Hineinziehen der Person des Kaisers in Zu- kunft zu unterlassen, denn er (Redner) glaube, daß auch die- jenigen Mitglieder des Hauses, welche etwa gegen das seß stimmten, dieselbe Ehrerbietung vor dem Monarchen hätten, wie alle anderen Mitglieder. Der Abg. Bebel habe para gesagt, die Centrums - Fraktion stehe eigent- ih dem Geseße sympathish gegenüber. Wodurch wolle der Abg. Bebel das begründen? Dieselbe sollte Sympathien haben für dieses Geseß, die selber leide unter Ausnahmegeseßen? Das Centrum fei in der That ganz und gar gegen die Sozialdemokratie, Keiner in diesem Hause könne ein entschie- denerer Gegner derselben sein, als das Centrum. Dasselbe sei ein fester Anhänger der Monarchie und werde sie jeder geit vertheidigen. Es habe die Sozialdemokratie immer be- ämpft, weil sie eine Gegnerin des positiven Christenthums sei. Das habe es auch immer bewiesen in den langen Jahren des Kulturkampfes. Wenn die Konservativen ihm beistehen wollten in diesem Kampfe, solle es das Centrum freuen. Es erinnere aber die Herren (auf der Rechten) daran, wie lange sie es versäumt hätten. Sei das Mittel, welches die Regte- rung zur Bekämpfung der Sozialdemokratie gebrauche, das rihtige? Um diese Frage allein könne es sich handeln. Das Centrum habe niemals für das Geseß Sympathien gehabt und selbst diejenigen von ihm, welche damals für die Verlängerung ge- stimmt hätten, hätten jeder Zeit erklärt, daß sie dieses Gese nicht als eine dauernde Jnstitution wünschten. Das Centrum habe das auch bei. der vorigen Berathung ausdrücklich in einer Resolution ausgesprochen. Ferner habe er (Redner) seiner geit eine Reihe von Verbesserungsanträgen gestellt, um das

eseß zu mildern und einen Uebergang zu normalen Zuständen herbeizuführen. Er nehme seinen damaligen Versuch jeßt auf, und erkläre schon heute, daß er im Einverständniß mit sämmt- lichen Mitgliedern seiner Fraktion in der Kommission, die er hiermit beantrage, seine sämmtlichen Anträge erneuern werde. Namentlih wünsche er eine wesentlihe Beschränkung des Paragraphen über den Belagerungszustand auf Berlin. Die Gründe, weshalb er gerade nur für Berlin den Belagerungs- zustand haben wolle, darzulegen, werde er Gelegenheit in der Kommission haben. Er s{lage dann weiter vor, das Geseg nur auf zwei Jahre zu verlängern, dabei leite ihn die Tendenz, das Gesey allmählih zu beseitigen, denn man müsse bald wieder zu einem normalen Zustande fommen. Der Minister äußere, nah der Lage im Hause be- zweifle er das Zustandekommen des Geseßes. Er könne ihm seine Zweifel nur bestätigen. Die Regierung möge sorgfältig erwägen, ob sie den Weg, den er (Nedner) bezeichnet fábe, be- treten wolle. Die Regierung habe Zeit genug gehabt, den geordneten Weg der Gesehgebung zu beschreiten, um die Arbeiterbevölkerung immer mehr aus den fozialdemokratischen Armen zu befreien! Die Regierung habe zu wenig gethan, um dem Arbeiter soziale Hülfe zu bringen. Die Unfall: versicherung sei doch blos der Anfang. Ein Fehler der Regierung sei es, daß sie die Arbeitershußgeseßgebung nicht nur nicht fördere, sondern beinahe hindere. Dem Abg. Bebel sage ex seinen Dank dafür, daß derselbe ausgeführt habe, wie Staat und Kirche auf einander angewiesen seien. Die Regierung möge ihr Gewissen gründlich erforschen, ob sie die Kirhe überall in die Lage geseßt habe, das zu leisten, was sie für den Staat zu thun verbunden sei. Da habe die Re- gierung es aus dem Munde des Gegners gehört, daß sie ihre beste Bundesgenossin in Fesseln geschlagen habe. Durch mechanische, physishe Gewaltmittel wolle sie die Sozialdemo- fratie bezwingen, das sei ihr Grundirrthum. Man solle lieber auf die gesunde und religióse Gesinnung des Volkes vertrauen. Was das Centrum betreffe, so verlange es keine mechanischen Gewaltmittel. Es verlange volle Freiheit der Kirche und Rü- rufung derx Orden, die die Regierung ausgewiesen habe. Man solle der Kirche die Orden zurückgeben, so brauhe man feinen weiteren Schuß gegen die Sozialdemokraten. Wenn die Regierung für jeden Drdensmann fünf, für jede Ordens- frau zehn Gendarmen anstelle, so werde sie do nicht fo viel ausrichten wie jene. Jn der Bevölkerung seiner Gegenden sei das Bedürfniß nah dem Sozialistengeseß niht vorhanden. Es sei ein Jrrthum, wenn man glaube, daß ein Appell an das Volk zux Annahme des Geseßes führen würde. Der Jrrthum sei um so größer Angesihts des Branntwein- Monopols, welches gerade Propaganda für die Sozial- demokraten mache. Er bitte, seinen Antrag anzunehmen.

Der Abg. Dr. Marquardsen erklärte, die Nationalliberalen würden mit Rücfsiht darauf, daß eine so große und ent- scheidende Partei die Kommissionsberathung wünsche, derselben nicht widersprechen. Er halte es nicht für unmöglich, Aende- rungen in dem Geseze vorzunehmen, auch wolle er das Geseß im Ganzen keinen Augenblick länger bestehen lassen, als es nöthig sei. Mit dem Abg. Windthorst sei er einig, daß die letzte Aeußerung des Abg. Schliekmann bezüglich der Heran- ziehung Sr. Majestät niht dem parlamentarishen Brauche entspreche. Das Beste des Vaterlandes wollten Alle, ob für, ob gegen das Gesetz, erzielen. Vielleicht werde sich eine Verlängerung des Geseßzes auf zwei Jahre schon als genügend erweisen, über die Dauer einer Reichstags-Legislaturperiode hinaus würde er auf keinen Fall einer Verlängerung zustimmen. Redner ging sodann auf die Angriffe gegen seine Partei bezüglih deren Haltung bet den Wahlen in Frankfuri a. M. und München ein. Die Wahl in der ersteren Stadt zwischen Sabor und Sonnemann sei allerdings shwer gewesen ; aber Hr. Sonnemann könne un- möglich die Sympathien nationalliberaler Männer beanspruchen. Was {ließli für die Wahl Sabors entscheidend gewesen sei, wisse er (Redner) niht. Jn München habe ein Nationalliberaler lediglich um die Stimmen der Sozialdemokraten geworben. Durch das Geseyz sei hauptsächlich die Ausbreitung auf demplatten Lande ver- hindert worden ; Diejenigen, die das au in Zukunft wollten, müßten also für das Geseh stimmen. Namentlich sei in Schleswig-Holstein die Bail der sozialdemokratishen Stimmen gzurüdgegangen. Also jo erfolglos sei das Geseß doch nicht

ewesen! Solche Vorgänge, wie sie der Abg. Singer erzählt habe verurtheile gewiß Jeder ; aber man dürfe kein Urtheil ällen, so lange die betreffenden Vorfälle noch untersucht würden.

Der Abg. Geiser erklärte, daß er und seine Partei gegen die Kommission stimmen würden. Die Haltung der National- liberalen im Wahlkampfe sei eine durhaus widerspruchsvolle ‘ém Das Sozialistengesey solle die sozialdemokratische Bewegung vom platten Lande abgehalten haben, das sei gewiß wahr. ie hätten auf dem Lande allerdings nicht den freien Spielraum, wie in den großen Verkehrscentren, sie kämen aber doch wieder auf das platte Land. Jn der ländlichen

C ———_——— E L L E E D Én I a er O R A