1886 / 65 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 16 Mar 1886 18:00:01 GMT) scan diff

Seitenkanals aus der Ems von Oldersum nah dem E Binnenhafen nebst entsprehender Erweiterung des eßteren ; zur Verbesserung der Schiffahrtsverbindung von der mitt- leren Oder nach der Ober-Spree bei Berlin durch den unter theilweiser Benutzung des Friedrih-Wilhelm-Kanales zu bewirkenden Neubau eines Kanales von Fürstenberg nah dem Kersdorfer See, dur die Regulirung der Spree von da bis unterhalb Fürstenwalde und dur den Neubau eincs daselbst beginnenden Kanales bis zum Seddin-Sœe nach Maßgabe der von dem Minister der öffentlichen Arbeiten festzu- stellenden Projekte die Summe von s ver eet as 58 400 000 M. im Ganzen 71 000 000 M zu verwenden.

8. 2 Mit der Erbauung des im §. 1 zu Nr. 1 gedachten Schiffahrts- fanales ift erst vorzugehen, wenn der gesammte zum Bau, einschließ- li aller Nebenanlagen, nah Maßgabe der von dem Minister der öffentlihen Arbeiten festzustellenden Projekte erforderliche Grund und Boden der Staatsregierung aus Interessentenkreisen unentgeltlich und lastenfrei zum Eigenthum überwiesen, oder die Erstattung der sämmtlichen, staatsseitig für dessen Beschaffung im Wege der freien Vereinbarung oder der Enteiguung aufzuwendenden Kosten, einschließ- li aller Nebenentshädigungen für Wirthschaftsershwernisse und sonstige Nachtheile in rechtsgültiger Form übernommen und sicher-

gestellt ift. H

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Der Finanz-Minister wird ermächtigt, zur Deckung der it S1 erwähnten Kosten im Wege der Anleihe eine entsprehende Anzahl von Staats-Schuldverschreibungen auszugeben.

Mann, durch welche Stelle und in welchen Beträgen, zu welhem Zinsfuße, zu welchen Bedingungen der Kündigung und zu welchem Course die Schuldverschreibungen verausgabt werden follen, bestimmt der Finanzminister.

Fm Uebrigen kommen wegen Verwaltung und Tilgung der An- leihe, wegen Annahme derselben als pupilien- und depositalmäßige Sicherheit und wegen Verjährung der Zinsen die Vorschriften des Gesetzes vom 19. Dezember 1869 (Geseßsamml. S. 1197) zur An- wendung.

8. 4.

Die Ausführung dieses Gesetzes wird, soweit folhe nah den Be- stimmungen des §. 3 nicht durch den Finanz-Minister erfolgt, dem Minister der öffentlichen Arbeiten übertragen.

In dem allgemeinen Theile der Begründung zur Kanalvorlage ist zunächst darauf hingewiesen, daß das ursprüngliche Projekt des Rhein-Ems-Kanals eine Erweiterung erfahren. Die in Vorschlag gebrahten Wasserstraßen haben, wie weiter hervorgehoben wird, das Besondere, daß sie einerseits als selbständige Linien dem dringendsten Bedürfniß genügen werden, andrerseits aber sih allen überhaupt in Betracht kommenden weitergehenden Projekten unverändert einfügen fönnen. Von diesem Gesichtspunkte aus werden auch die fortgeseßt, wenngleih mit mäßigen Mitteln weitergeführten Vorarbeiten geleitet und es erscheint, wie die Motive ausführen, nicht zweckmäßig, dieselben mehr zu beschleunigen, als der etwaige allmählihe Ausbau weiterer Kanalstrecken erfordern wird. Ebensowenig erscheint es noth- wendig oder räthlich, hon jeßt für lange Jahre hinaus ein Pro- ramm zu entwickeln, welches im Laufe der Zeit durch mancherlei Verhältnisse unabweisbaren Veränderungen unterworfen fein würde. Nach dem Ergebniß der Berathungen ver früheren Kanalvorlage in den beiden Häusern des Landtages und der Diskussion in der Presse könne kein Zweifel darüber bestehen, daß im Allgemeinen die Nothwendig- keit, Nüßlichkeit und Lebensfähigkeit der künstlichen Wasserstraßen wenn auch niht ohne mehrfahen Widerspruch anerkannt ift.

Was die Erweiterung der Kanalverbindung von Dortmund nah

den Emshäfen betrifft, so ist zu bemerken, daß das vorliegende Pkro- jeft zwei räumlich von einander getrennte Anlagen, nämlich die \{iff- bare Verbindung des westfälischen Kohlengebicts mit der Ems bei Papenburg und diejenigen Einrichtungen umfaßt, welche zum sicheren und unmittelbaren Anschluß der Binnenschiffahrt an die große See- \chiffahrt bei Emden erforderlich sind. Der erste Abschnitt entspricht in der Hauptsahe dem bereits in ven Jahren 1882 und 1884 vorgelegten Projekte, welches indessen einige Erweiterungen erfahren hat; der zweite Theil entspriht den Anregungen, welche bei der Berathung des ursprünglichen Gesetzentwurfs im Hause der Abgeordneten gegeben worden sind. Der Kanal foll jeßt in unmittelbarer Nähe von Dortmund beginnen, um thunlichst allen Zechen und Werken, welche sich um Dortmund gruppiren, den Eisenbahnanschluß an die Wasserstraße zu gewähren. Er verfolgt dann das Thal der Emscher bis Henrichenburg, von wo aus später die etwa nah dem Rhein hin anzulegende Kanalverbindung auszugehen haben würde. Seine Länge beträgt bis Henrichenburg 15 km (gegen früher 11,1 km). Von Henrichenburg ist ein 7,8 km langer Zweigkanal neu projektirt worden, welher die Bestim- mung hat, der auf dem linken Ufer der Emscher liegen- den Gruppe industrieller Anlagen ebenfalls die Eisenbahn- verbindung mit der Wasserstraße zu ermöglihen. Die Haupt- linie verläßt bei Henrihenburg das Thal der Emscher und führt über Münster nach Bevergern. Der Entwurf ist jeßt dahin T daß die Stadt Münster von der Hauptlinie unmittelbar erührt wird, wodurch die ganze Länge Henrichenburg-Bevergern 96 km gegen früher 96,8 km beträgt. Im sonstigen ist das Projekt hier unverändert geblieben. Von Bevergern geht der Kanal nah Papenburg, indem er diese Stadt jetzt ebenfalls unmittelbar berühren fol. Die Linge der Kanalstrecke Bevergern - Papenburg beträgt 109,3 km gegen früher 99,3 km.

In Folge der in das Projekt eingeführten Aenderungen vergrößert sih die Länge der Kanalverbindung von Dortmund nach der Cms von 207,2 km auf 220,3 km und das Gefammtgefälle von §4,530 m auf 68,94 m, während die Zahl der erforderlihen Schleusen mit 26 unverändert geblieben ist. Hierzu tritt noch der Zweigkanal von Henrichenburg nah Herne mit 7,8 km Länge und 1 Schleuse, so daß im Ganzen 228,10 km Kanal und 27 Schleusen zu erbauen sind. Die früher in Frage gekommene Vereinigung mehrerer Schleusen- gefälle zu geneigten Ebenen ist endgültig aufgegeben worden.

Von Papenburg abwärts bis Emden ist das Fahrwasser der Ems zur Befahrung mit Kanalschiffen geeignet, so daß diese das Binnenfahrwasser und den Hafen von Emden erreichen können, um hier mit den Seeschiffen behufs Ueberladung der Kohle zufammen- zutreffen. Da die Häscn von Papenburg, Leer und Emden zu klein sind, um cinen lebhaften Umladeverkehr, wie ein solcher die Voraus- seßung des gesammten Kanalprojekts bildet, zu vermitteln, fo ift hierzu «das frühere Kanalprojekt durch Hinzufügung eines Ka- nals von der Ems bei Oldersum nah Emden und einer größe- ren Hafenanlage daselbst erweitert. Emden wurde gewählt, weil hier der Hafen für die große Secschiffahrt am leichtesten und am bequemsten zu erreihen ist und zugleih der Anschluß an den Ems-Jade-Kanal ‘tattfindet; ferner weil dort vorzügli geeignetes fiskfalishes Terrain vorhanden ist und der ohnehin erforderliche Kanal von Oldersum nach Emden Gelegenheit giebt, die Berührung der Kanal- und Seeschiffahrt in vollkommenster Weise zu vermitteln. Die Länge dieses Kanals beträgt 9,2 km. Gleich nach seinem Eintritt in den Königspolder theilt er sich in zwei Arme, von denen der eine den Kanalverkehr nah der Stadt Emden und dem Ems-Jade-Kanal zu vermitteln haben wird, der andere si zu einem Bassin erweitert, in welchem die Umladung von Schiff zu Schiff stattfinden und dessen eine Langseite mit Cisenbahngeicifen behufs des Bahnanschlusses belegt werden foll. Die Dee crreiwzen dieses Bassin durch einen von der Nefsser- lander Schleuse ausgehenden, parallel zum Binnenfahrwasser ge- führten Kano: zur dessen Anlage sih eine breite, den Scee- und Kanalschi;;zn von beiden Seiten zugängliche, ebenfalls mit EGisenbahngeleisen zu versehende Landzunge bildet, welche füc Scuppenanlagen, Lagerpläte u. \. w. bestimmt ist. Ein gesonderter

Peirottenzens foll den Petroleumschifen Gelegenheit geben, ihre adung in Emden, von wo aus dieselbe auf dem Wasserwege in das Innere des Landes befördert werden kann, zu löschen und zugleih als

Rückfraht bezw. Ballast Kohlen einzunehmen. Diese Anlage ist vor- läufig für 8 Seeschiffe berechnet, jedo fo eingerichtet, daß sie in jeder Beziehung erweiterungsfähig ist. : Z ;

Was die Versorgung des Kanals mit Wasser betrifft, so wird betont, daß nach dieser Richtung hin neue Prüfungen stattgefunden haben, und die Bedenken, welche seiner Zeit geltend gemaht wurden, unbegründet sind. iz

Bezüglich des Kostenpunktes sind die früheren Berehnungen einer theilweisen Umarbeitung und Vervollständigung unterzogen worden. Die Erhöhung der Schlußsumme für die gesammte Bauausführung auf 64 680 000 M, für den Grunderwerb auf 6 280 000 M gegen den früheren Betrag von 50 300 000 4 bezw. 5 000000 #4 hat ihren Grund vorzugsweise im Hinzutritt des Hafenanshlufses bei Emden, dessen Kosten sich, cins{ließlich des Anschlußkanals von Oldersum nach Emden, auf 9 180 000 M stellen, ferner in der Hinzufügung des Zweigkanals von Henrichenburg nah Herne, endlich in der Ver- längerung des Kanals in der obersten Strecke bis Papenburg.

Da die Staatsregierung daran festhält, daß der Grund und Boden unentgeltlich und lastenfrei überwiesen werden muß, so beläuft ih die Summe, deren Bereitstellung für die Kanalverbindung von Dortmund na den Emshäfen beantragt wird, auf 58 380 000 oder rund auf 58400 000 M i

Der Begründung sind eingehende Kostenberechnungen und Gut- achten beigegeben.

Statistische Nachrichten.

Gemäß den Veröffentlihungen des Kaiserlichen Gesund- heitsamts sind in der Zeit vom 28. Februar bis 6. März cr. von je 1000 Ginwohnern, auf den Jahresdurhschnitt berehnet, als gestorben gemeldet : in Berlin 24,7, in Breslau 27,3, in Königsberg 29,2, in Köln 96,8, in Frankfurt a. M. 20,8, in Wiesbaden 16,9, in Hannover 28,4, in Kasse! 28,4, in Magdeburg 27,4, in Stettin 34,0, in Altona 41,6, in Straßburg 22,3, in Metz 23,1, in München 27,8, in Nürnberg 25,1, in Augsburg 21,3, in Dresden 21,6, in Leipzig 21,7, in Stuttgart 21,0, in Rarlorufie 19,6, in Braunschweig 26,3, in Hamburg 26,3, in Wien in Budapest 36,9, in Prag 36,1, in Triest —, in Krakau 31,8, in Basel 22,2, in Brüssel 33,9, in Nmsterdam 29,7, in Paris 30,6, in London 26,9, in Glasgow 30,3, in Liverpool 29,6, in Dublin 30,1, in Edinburg 22,5, in Kopenhagen 20,7, in Stockholm 24,9, in Christiania 23,9, in St. Petersburg 38,3, in Warschau 28,1, in Odessa 36,9, in Nom 30,9, in Turin 28,1, in Venedig —, in Bukarest —, in Alexandria —. Ferner in der Zeit vom 7. bis 13. #Fe- bruar cr. in New-York 23,5, in Philadelphia 22,0, in Baltimore 16,0, in San Francisco 19,5, in Kalkutta 30,5, in Bombay 23,5, in Madras 43,9.

Die Sterblic{keit hat in der Berichtswoche in den meisten Groß- städten Europas zugenommen, doch blieb sie in den meisten Städten Süddeutschlands eine niedrige. Von den deutshen Städten melden nur die größeren Städte der niederrheinischen Niederung (Barmen, Elberfeld, Düsseldorf), sowie Magdeburg, Leipzig, Dresden, Hamburg erheblich niedrigere Sterblichkeitsziffern als in der vorhergegangenen Woche. Insbesondere traten aller Orten in Folge der von hartem Frostwetter begleiteten östlihen, um Mitte der Woche auch vielfach nordwestlichen Windrichtungen noch immer akute Entzündungen der Athmungsorgane in großer Zahl zu Tage und bedingten besonders in Barmen, Bremen, Breslau, Dresden, Essen, Frankfurt a. M., Hamburg, Köln, Leipzig, Magdeburg, München, Straßburg, London, Paris, Budapest, Warschau u. a. D. viele K odesfälle. Darmkatarrhe der Kinder zeigten keine wesentliche Veränderung in ihrem Vorkommen. Die Theilnahme des Säuglingsalters an der Sterblichkeit blieb im Allgemeinen die gleihe wie in der Vor- woche. Von 10000 Lebenden starben in Berlin , aufs Jahr be- rechnet, 58, în München 100 Säuglinge. D ie Infektionskrank- heiten riefen meist etwas mehr, nur die Pocken in außer- deutshen Städten etwas weniger Todesfälle hervor. Masern wurden in Berlin, Dresden, Amsterdam, Budapest, London, Paris, Lyon, Nom (Anfang Februar), Prag, St. Petersburg vielfach Todes- ursachez auch in Hamburg und in den Regierungsbezirken Düssel- dorf, Hildesheim, Königsberg, Marienwerder waren Erkrankungen an Masern häufig. Scharlach zeigte si in Berlin, Hannover, Chri- stiania, St. Petersburg, fowie im Regierungsbezirk Schleswig nicht selten. Die Sterblichkeit an Diphtherie und Croup blieb eine be- deutende; namentlich stieg in Berlin, Barmen, Charlottenburg, Ham- burg, Kassel, Königsberg, Magdeburg, München, Stuttgart, Paris, Warschau die Zahl der Sterbefälle, während sie in Altona, Dresden, Budapest, Christiania, London, St. Petersburg etwas abnahm. Auch aus Nürnberg, Kopenhagen, sowie aus dem Regierungsbezirk Schles- wig werden zahlreihe Erkrankungen an Diphtherie mitgetheilt. Das Vorkommen von typbösen Fiebern blieb in deutshen Städten ein be- \chränktes; nur in Hamburg hat die Zahl der Erkrankungen und Todes- fälle zugenommen, während sie in Paris, Warschau, St. Petersburg nahezu die gleiche wie in der Vorwoche blieb. An Flecktyphus kamen aus Krakau und Edinburg je 1, aus Prag 2, aus St. Peters- burg 3 Todesfälle, aus dem Regierungsbezirk Königsberg 1, aus Skt. Petersburg 8 Erkrankungen zur Mittheilung. Rükfallsfieber wurden nur aus St. Petersburg (5 Todes- und 39 Erkrankungsfälle) gemeldet. Das Kindbettfieber forderte in London 6, in Berlin und Paris je 7 Opfer. Der Keuchhusten hat in Berlin, London, Glasgow, Liverpool mehr, in Dublin weniger Todesfälle veranlaßt.

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Im Regierungsbezirk Marienwerder kamen 4 Erkrankungen an Trichinosis zur Kenntniß. Rosenartige Entzündungen des Zellgewebes der Haut traten in London, Nürnberg, Kopenhagen häufiger, in Berlin und Paris seltener zu Tage. Aus London kam 1 Todesfall an Tollwuth zur Mittheilung. Todesfälle an Pocken wurden aus Warschau 1, aus Liverpool 2, aus Prag und St. Petersburg je 4, aus Paris und Rom (Anfang Februar) je 9, aus Pest 26 gemeldet. Ferner kamen aus Berlin, Hamburg, Edinburg je 1, aus dem Re- gierungsbezirk Marienwerder 2, aus Pest zahlreihe Erkrankungen an Pocken zur Mittheilung. In der Nacht vom 9. zum 10. März ist in Venedig cinArbeiter der Stazione maritama an der Cholera gestorben. In Douarnenez (Departement Finistère) sind seit dem 12. Februar noh vereinzelte Cholerafälle vorgekommen, doch ist die Epidemie ersichtlich im Erlöschen; am 25. Februar waren daselbst nur noch 5 Cholera- franke. In der ersten Januarwoche erlagen der Cholera in Kal- kutta 32 Personen.

Gewerbe und Handel.

__ Der Cours für die hier zahlbaren Desterreichischen Silber-Coupons ist auf 162,25 4 für 100 Fl. österr. Silber erhöht worden. i j;

n uet a. M., 15. März. (W. T. B.) Der Aufsichtsrath der Mitteldeutschen Kreditbank beschloß, die Vertheilung einer Dividende von 5 9% bei der auf den 14. k. ®M. einzuberufenden Generalversammlung zu beantragen. i

Wien, 15. März. (W. T. B.) Die Generalversammlung der Unionbank genehmigte nah längerer, stellenweise erregter Debatte die Anträge des Verwaltungsraths auf Reduktion des Aktienkapitals und Ausgabe von neuen Aktien. Seitens der Opposition wurde gegen diese Beschlüsse ein Protest zu Protokoll gegeben.

Bradford, 15. März. (W. T. B.) Wolle ruhig, aber stetig, Halbwollen knapp, fest. Garne ruhig. Stoffe geschäftslos.

Sanitätswesen und Quarantänewesen.

Oesterreich-Ungarn.

Laut Verfügung der K. K. Seebehörde zu Triest unterliegen Pro- venienzen aus italienischen Dos und zwar von der öster- reichischen Grenze bis eins{ließli fona, einer fiebentägigen Qua- rantäne.

Berlin, 16. März 1886.

Der Verein für Besserung entlassener Straf- gefangener trat gestern unter dem Vorsiß des Geh. Justiz-Raths Wirth im Landgericht in der Jüdenstraße zu einer Sun zusammen. Wie leider konstatirt werden mußte, ist die ZaC der Ärbeitslosen noch immer eine gewaltige. Tag für Tag sammeln sih vor dem in dem alten Kadettenhause belegenen Bureau 200 und mehr Personen, welche Beschäftigung erbitten. Allein im leßten Monat sind 305 neue Pfleglinge hinzugekommen. Um die Noth wenigstens etwas zu lindern, werden dreimal in der Woche an alle sih meldenden Pfleglinge Speisemarken, für Volks- füchen gültig, vertheilt ; die vier übrigen Tage sind freilih für viele Fasttage. In Fällen dringendster Noth hat das Arbeitsnachweifebureau au Kleidungsstücke bewilligt. Jn Arbeit gebraht wurden 106 Per- sonen, und zwar 61 Handwerker, 11 Schreiber, Buchhalter und dergl., 10 Kutscher, Hausdiener und dergl., und 24 Arbeiter. Gerade für diejenigen, welche keine Handfertigkeit gelernt haben, für die gewöhnlichen Arbeiter, Beschäftigung zu verschaffen, ist im Winter ungemein s{hwer. Einem Krüppel wurden die Mittel bewilligt, um einen kleinen Handel zu beginnen. Für einen Pflegling, der hier lohnende Be- \häftigung gefunden, jeßt aber feiner _Vorstrafe wegen aus- gewiesen werden soll, beshloß der Verein, sih an geeigneter Stelle zu verwenden. In einem zweiten ähnlichen Fall wurde dagegen ein offizielles Eintreten des Vereins nicht für angezeigt erachtet. Die firhlihe Vereinigung zur Fürsorge für Entlassene, die mit ihren Mitteln da eintritt, wo Würdigkeit vorhanden, ein Eingreifen des Vereins selbst aber nicht möglich ist oder nicht angezeigt erscheint, theilte mit, daß sie sih nunmehr über 18 Kirchengemeinden erstreckt und im leßten Jahre 1095 A verausgabt hat. Sie macht sih namentli auch die Unterstützung der Familien von Inhaftirten zur Aufgabe. Von dem \chlesischen Provinzialvercin lagen Mittheilungen vor, die etne erfreuliche Fortentwickelung der dortigen Vereinsbestrebungen konstatiren. Dem Provinzialverein steht cine große Zahl von Lokalvereinen zur Seite.

Die letzte Ausstellung der „Cypria“, die im vorigen Monat hier stattfand, hat, wie in der gestrigen, im Restaurant Imperial ab- gehaltenen Vereinssitzung mitgetheilt wurde, ein Defizit von 4602 gebracht. Der ungeeigneten Lage des Ausftellungslokals wird dle Hauptschuld beigemessen.

Madrid, 16. März. (W. T. B.) Die durch das vorgestrige Erdbeben in Granada verursahten Beschädigungen erwetjen sich als unerheblich. Menschenleben sind niht verloren gegangen.

(W. T. B.) -. Der Dampfer „Oregon“ der Cunard-Linie ist bei der Einfahrt in den hie- figen Hafen mit einem Schooner zusammengestoßen und ge] u tit, Die Passagiere und die Mannschaft des Dampfers „Oregon“ sind an Bord der „Fulda“ wohlbehalten hier eingetroffen. Sämumt- lihes Gepäck ist verloren, von den an Bord des „Oregon“ befindlich gewesenen 600 Postbeuteln aber 69 gerettet. Der Name des Scooners, mit welhem der „Oregon“ kollidirte, ift unbekannt. Der Schooner ist ebenfalls gesunken, und ist zu befürchten, daß alle an Bord desselben befindlihen Personen umgekommen sind.

Bremen, 15. März. (W. T. B.) Die Zahl der durch den Damvfer des Norddeutschen Lloyd „Fulda“ geretteten Personen, welhe sich auf dem gestern untergegangenen Cunard-Dampfer „Oregon“ befanden, beträgt 186 Kajütenpassagiere, 455 Zwischen- dedlspassagiere und die 255 Personen starke Mannschaft. Das Net- tungswerk nahm 16 Stunden in Anspruch.

NeweYork, 15. März.

Im Belle - Alliance- Theater hat am Sonnabend Hr. Felix Schweighofer sein Gastspiel begonnen. Der beliebte Wiener Komiker bereitete seinen zahlrei erschienenen Verehrern diesmal da- durch eine besondere Ueberrashung, daß er sih ihney auf cinem ganz neuen Gebiet, nämlich als Charafkterdarsteller präsentirte. Er hatte dazu ein Volksstück von Carl Morré gewählt, welches in den steyeri- \hen Alpen spielt und „'s Nullerl“ betitelt ist. Das Stück. gehört feiner äußeren Anlage und Tendenz nah in die jeßt besonders vom Münchener Theater am Gärtnerplaß gepflegte Gattung, die uns von den fast alljährlichen hiesigen Gastspielen der Mitglieder dieser Bühne wohlbekannt ist. Jedoch zeigt das nah der Schablone der Bauern- \chauspiele eines Anzengruber, Ganghofer, Neuert u. A. gearbeitete Morré’she Stück zu viele grobe und possenhafte Züge, die es von diesen kernhaft ernsten und doch humorreihen Stücken nicht eben vor- theilhaft unterscheiden. Gerade deshalb aber stellt es im Ganzen auch nicht die ernsten Anforderungen an die Darstellung, welche dem genannten Münchener Theater mit feinen Mepertoirestücken einen fo wohlberechtigten, weiten Ruf erworben hat. Nur die Titelrolle ist von dem Autor mit größerer Sorgfalt ausgestaltet und fand dur den Wiener Gast auch in der That eine vorzügliche Verkörperung ; alle übrigen Figuren kommen dagegen eigentlich so wenig in Berechnung, daß dieses „Nullerl“ \{ließlich die Hauptziffer in dem Stück bildet. Es genügten denn auch für die Darstellung immerhin die sonst in der Operette beschäftigten Mitglieder der jeßigen Dependenz des Friedrich: Wilhelmstädtischen Theaters, welhe zum Theil als geborene Oesterreicher sih auch mit dem Dialekt leidlich abfanden. Troß aller redlichen Bemühungen aber konnte die Aufführung doch keinen einheitlichen Cindruck machen, umsoweniger als das Stück ganz auf die virtuose Darstellung der Titelrolle zugeschnitten ist. Diese fand, wie {on bemerkt, durch Hrn, Schweighofer allerdings eine ganz un- übertreffliche Interpretation. Der „Null-Anerl“ ist ein alter „Ein- lieger“ oder Gemeinde-Armer, der bei dem Grundbesißer Volkmar Quarzhirn den Rest seiner Tage verlebt, von seinem eigenen Unnutz überzeugt ist, von Jung und Alt verächtlih behandelt und umher- ge\toßen wird, dem es aber \{ließlich doch gelingt, an dem Bauern, der ihn von seinem Hofe gejggt hat, dadurch eine edle Rache zu nehmen, daß er seine Lieblingstohter von Verzweiflung und Tod errettet. Hr. Schweighofer hat diese Gestalt ungemein sorgfältig und charakteriftisch ausgearbeitet und mit Hundert kleinen humoristischen Zügen ausgestattet, so daß man über die Wahrheit dieser Kunst- \höpfung staunen und sie, wenigstens nach der komischen Seite hin, noch über ähnliche vorzügliche Leistungen des geshäßten Müncheners Neuert stellen möchte, der solhe Charaktere dafür mehr nah der ernsten Seite zu vertiefen pflegt. Das Publikum ließ es übrigens auh an vielfältiger Anerkennung für den beliebten Küni\tler niht fehlen und übershüttete ihn mit Beifall. Besonderer Auszeichnung erfreute sich fein höchst wirksam nüancirter Bortrag ‘eines, übrigens mit beißenden Wahrheiten für die moderne Gesellschaft gepfeffferten Couplets von der „Welt als Narrenhaus“, welches der Gast mit dem Tragekorb auf dem Rücken, wie einst Ferdinand Raimund in seiner berühmten Rolle als Aschenmann, sang. Von den übrigen VDarstellern verdienen Hr. Binder als Bauer Quarzhirn, Hr. Swoboda als Großknecht Ruppert, Hr. Ds als Stoffel, Frl. Wel als Gabi und Hr. Lieban als Kraller-Hias genannt zu werden.

ie machten si S um den Erfolg des Abends mitverdient, im Verlauf dessen aber doch auch schon vielfah Stimmen verlautbarten, welche lebhaft den Wunsch ausdrücten, den geschäßten Künstler auch bald einmal wieder in seinem eigentlichen Element als drastifchen Komiker zu sehen.

Redacteur: Riedel.

Verlag der Expedition (Sch olz). Druck: W. Elsner. Sechs Beilagen (einschließlich Börsen-Beilage),

sowie das Verzeichniß der gekündigten Schuldverschreibungen der Preußischen Vigues, Sa on Jahre 1850, 1852 un é

Berlin:

zum Deutschen Reichs-Anz

A G.

Erste Beilage

Berlin, Dienstag, den 16. März

eiger und Königlich Preußischen Skaals-Anzeiger.

G96,

Nichkamtliczes.

Vreustzen. Berlin, 16. März. Jm weiteren Ver- lauf der gestrigen (67.) Sißung des Neichstages folgte die dritteBerathung der von dem Hause an Stelle des ursprünglichen Antrages Lenzmann angenommenen beiden Geseßentwürfe, betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene Strafen, und betreffend die A b- änderung und Ergänzung der Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Wiederaufnahme des Verfahrens.

Der Abg. Hartmaun rechtfertigte seinen in zweiter Lesung fast einstimmig abgelehnten Antrag, den persönlich zu ver- theidigen er durch Krankheit verhindert gewesen sei, und den er, als aussihtslos, auch jevt nicht von Neuem einbringen wolle. Er führte aus, sein Antrag habe, im Unterschied von den Beschlüssen des Hauses, das Entstehen des Entschädigungs- anspruchs beschränken wollen auf die Fälle, wo erstens deshalb auf Freisprechung erkannt sei, weil die That, wegen welcher die Verurtheilung erfolgt sei überhaupt nicht oder niht vom Verurtheilten begangen, oder weil die sämmtlichen Beweise, auf welhe die Verurtheilung sih gründete, beseitigt worden seien, und wo zweitens ein erlittener Vermögensnachtheil des Verurtheilten evident und genau fubstanziirt sei. Dem Entwurf, wie er in zweiter Lesung be- {lossen sei, könne er (Nedner) nicht zustimmen auf die Gefahr hin, das mit solcher Ablehnung verbundene Odium allein zu tragen oder mit den Negierungen zu theilen. Er halte ihn für undurhführbar und höchst bedenklih, und müsse dies auf Grund der Erfahrungen einer langjährigen Praxis behaupten. Es sei ein sehr gewagtes Experiment, welches das Haus vor- zunehmen im Begriff stehe; und man müsse um so vorsichtiger sein, als Deutschland der erste Staat sei, der den Entschädi- gungsanspruh in die Geseßgebung einführe.

Der Abg. Träger äußerte: Nachdem in der leßten Sihung das Haus die Prinzipien der Kommissionsvorschläge so gut wie einstimmig angenommen habe, müsse er sih sehr wundern, daß gerade der Abg. Hartmann, der in der Kommission cin warmer Besürworter der geseßlichen Regelung dieser Materie gewesen sei, heute für diesen Entwurf micht stimmen zu können erkläre. Wenn eine in so viel Parteien gespaltene, von so viel widerstreitenden Juteressen bewegte Volksvertretung wie der Reichstag sich mit solcher Einhelligkeit für einen Entwurf erkläre, so fei das gewiß ein Zeichen für das allgemein empsundene Bedürfniß; und jedes Wort, mit dem man das Vorhandensein dieses Bedürfnisses noh nachweisen wollte, würde verschwendet sein. So lange es gegen die Folgen irriger Nichter- sprüche keine Nemedur gebe, werde der Unwille über jeden Fall der Verurtheilung eines Unschuldigen sih gegen den Nichterstand kehren. Ein Jrrthum, dessen Folgen beseitigt werden könnten, werde dergleichen bedenklihe Erscheinungen nicht nah sih ziehen. Wenn gesagt werde, in anderen Staa- ten habe man nicht eine solhe Gesezgebung, wie das Haus sie hier mache, so meine er doch, Deutschland sci groß und mächtig genug, um auch für O allein das Rechte zu thun; und es werde si gerade dadurch, daß es auf diesem Gebiet den ersten Schritt wage, ein unsterbliches Verdienst erwerben. Gr bedauere sehr, daß die Regierungen über den Gegenstand noch nicht \{lüssig geworden seien. Der frühere wohlwol- lende aufgeklärte Absolutismus habe vielfah auch wider- willige Völker in die Bahnen des Fortschritts gezwungen ; wenn jedo heute die Negierung einem einheitlich erklärten Volks- willen gegenüber sich ablehnend verhalten sollte, so wäre das eine Art Absolutismus, der weder Wohlwollen noch Aufklärung besißen würde. Jm eigenen Jnteresse der Regierung wünsche er, daß sie dem Kommissionsbeshluß zustimmen möge; sie sollte bedenken, daß fonst jeder neue Fall der Verurtheilung eines Unschuldigen eine Anklage gegen die Negierung sein würde.

Der Abg. Reichensperger bemerkte: Da der Abg. Hart- mann keinen Gegenantrag gestellt habe, so wolle derselbe, daß nihts geschehe, damit nicht etwa zu milde gegen den Ange- flagten vorgegangen werde. Er wolle nur dem wirklih Un- {huldigen eine Entschädigung gewähren. Ja, könne denn der Richter die absolute Wahrheit finden? Er müsse sich doch an die gegebenen Beweise halten, und wenn diese nicht genügten, trete der Angeklagte in die Reihe der übrigen Staatsbürger ein. Ein zu mildes Geseg sei ihm immer noch lieber als gar kein Geseß.

Der Gesetzentwurf, betresfend die Entschädigung für un- s{chuldig erlittene Strafen, wurde gegen die Stimmen mehrerer Deutschkonservativen (Hartmann, Gamp, Graf Moltke, von Kleist-Reßow, Kropatschek, von Busse) angenommen.

Zugleih hat die Kommission einen Geseßentwurf vor- geschlagen, welcher die Wiederaufnahme des Ver- fahrens erleichtern will.

Der Abg. Veiel erklärte, daß er gegen dieses Geseß stimmen werde.

Der Abg. Nintelen bemerkte, daß das Entschädigungs- eseß ohne das vorliegende Gesey nicht durchgeführt werden önne.

Der Gesezentwurf wurde gegen die Stimmen eines Theils der Deutschkonservativen und einiger Nationalliberalen angenommen.

Auch der Geseßentwurf, betr. die Wiedereinführung der Berufung, über den die Abstimmung ausgeseßt war, wurde nunmehr gegen die Stimmen der Deutschkonservativen und einiger Nationalliberalen angenommen.

Darauf wandte sich das Haus der Berathung der ver- schiedenen Anträge der Arbeitershußgesebgebung zu, über welche von der Kommission bereits ein Bericht erstattet ist, soweit sie sich auf die Einrichtung der Fabrikinspektion und auf die Gewerbegerihte beziehen. Die von der Kommission aen Resolution bezügli der Fabrik*nspektoren autet:

den Neichskanzler zu ersuchen, dahin zu wirken, daß die Ver- mehrung der Zahl der mit der Beaufsichtigung der Fabriken be- trauten Beamten (§. 139b) unter thunlihster Verkleinerung der Aufsichtsbezirke überall da herbeigeführt werde, wo jih das Bedürf- niß einer solhen Maßregel zur vollkommenen Erreichung der Auf- sichtszwecke bereits herausgestellt hat oder noch herausstellen wird.

Hierzu lagen zwei Anträge vor: 1) vom Abg. Auer: den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, in nähster Session dem Neichstag einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher die Stcllung der Fabrikin)peltoren (Gewerberäthe) gesctzlich regelt ; 2) vom Abg. Haïben : dem Schluß der Nefolution folgende Fassung zu geben: „überall da herbeigeführt werde, wo die geseßlichen Zwecke der Aussicht wegen der geringen Zahl der vorhandenen Beamten biéher nicht in völlig genügender Weise errciht werden konnten, oder wo cs nicht niöglih sein würde, erforderlichenfalls alle vorhandeuen Betriebe mindestens einmal im Jahre zu besichtigen."

Dieser Antrag wurde nicht genügend unterftügt. Er ist, wie der Neferent Abg. Lohren mittheilte, in der Kommission mit 12 gegen §8 Stimmen abgelehnt worden.

Der eben mitgetheilte Antrag Auer, welcher der Kont- mission nicht vorgelegen hat, is nah Ansicht des Referenten infofern von Jnteresse, als er das von den Sozialdemokraten in ihrem ursprünglichen Antrage geforderte Justitut der Arbeitsämter aufgiebt. Die Sozialdemokraten haven in der Kommission auch für die Resolution gestimmt.

Der Aba. Kalle meinte: Die Sozialdemokraten hätten in ihren Anträgen ein scheinbar weitgehendes Entgegenkominen bewiesen. Er erblicke darin lediglih einen Akt kluger Politik. Der Antragsteller sei fich sehr wohl bewußt, daß die große Mehrheit der Arbeitgeber, der besonders tüchtigen Unternehnier, gar nicht in der Lage sein werde, sich an den Geschäften der vorgeschlagenen Organe zu betheiligen, während die Arbeiter stets vorhanden seien und die Mehrheit bei den Sißungen der Arbeitskammer u. \. w. bilden würden. Die ganze Orgaui- sation würde den außerordentlich hohen Kostenaufwand von 5 Millionen jährlich erfordern. Dies Bedenken fei aber niht ausschlaggebend. Der Schwerpunkt liege in den Arbeitsämtern, welche nah der Ansicht der verbündeten Ne- gierungen eine Verwirrung in die Kompetenzen der Landes- behörde bringen würden. Noch bedenklicher sei die Zusammen- seßung der Arbeitsäm:cr. Glaube man wirêlicch, daß Arbeiter, oder gar Frauen, die auch Mitglieder sein könnten, geeignet seien, um der shwierigen Aufgabe der Fabrikveaufsichtigung zu genügen? Diese erfordere ein ungewöhnlihes Maß technischen, wirthschaftlichen Verständnisses, Menschenkenntniß und Objekti- vität. Seine Partei sei für die vorgeschlagene Resolution und gegen den Antrag Auer.

Der Abg. Kayser sprach si folgendermaßen aus: Für die Arbeitervertreter handele es sich vor allen Dingen um die Gewinnung einer offiziellen Stellung des Arbeiters im heuti- gen Produktionsprozeß. Von diesem Gesichtspunkt aus seien diese Organisationsanträge zu verstehen. Der Arbeiter fei heutzutage nichts anderes als Rohmaterial; er solle aber au etwas mitzureden haben in dem Produktionsprozeß. Aus den Arbeiten der Kommission sei nihts herausgekommen als eine Nesolution, die gar keine praktischen Konsequenzen haben könne. Der Staat solle den Krieg Aller gegen Alle mildern. Während die Freunde des Abg. Bamberger durchaus den Arbeiter der freien Konkurrenz preisgeben wollten, fordere seine (des Redners) Partei in Deutshland, wo man son so lange von Sozialreform reden höre, einfah und flar eine Theilnahme des Arbeiters an dem BPro- duktionsprozesse. Die Arbeiter hätten auf wirthschastlichem Gebiet nicht wie die anderen Klassen ihre Vertretung. Gegen- über der Forderung einer folhen Vertretung follte das Haus sih nicht ablehnend verhalten; denn nur aus dem Mangel derselben gewönnen die Lohnstreitigkeiten heutzutage ihre Schärfe. Der Bericht der Kommission sei bedauerliher Weise nicht objektiv abgefaßt, er gebe, wie er (Redner) auf feine Er- fundigungen erfahren habe, mcht die in der Kommission zum Ausdruck gekommenen Meinungen, sondern zum großen Theil die persönlichen Ansichten des Referenten wieder. So stehe z. B. darin, daß die Arbeiter in Ausführung des Kranken- und Unfallgesezes nicht gut genug arbeiteten, man müsse die Beobachtung machen, daß die Arbeiter ihre Thätigkeit dabei

lediglich als lästige Pflicht betrachteten. Dieser Vorwurf sei |

vollkommen ungerechtfertigt und in der Kommission nicht aus- gesprohen worden. Die Fabrikinspektoren follten nah der Meinung der Sozialdemokraten Reichsinstitute sein, denn die soziale Gesezgebung habe ja das Reich seiner Fürforge vor- behalten. Deshalb verlange seine Partei auch eine reihs- geseßlihe Regelung, und der Referent erblide mit Unrecht in diesem Vorschlage einen Büßergang gegen- über diesem Antrag auf Einseßung von Arbeits- ämtern. Eine Vermehrung von BVeshwerden wäre durch diese reichsgeseßlihe Regelung durchaus nicht zu befürchten, z. B. seien bei Weitem mehr Beschwerden aufgetaucht in Folge des den Partikularstaaten zur Ausführung überlassenen Kranken- versiherungsgesezes, als gegenüber der durch das Reichs- Versicherungsamt ausgeführten Unfallversiherung. Die Re- solution sei zwar in der Kommission einstimmig angenommen worden, die Sozialdemokraten würden aber im Plenum gegen dieselbe stimmen, da sie sich von ihr keinerlei praktischen Erfolg versprehen könnten. Der Einwand, daß die Durchführung threr Vorschläge zu viel Geld kosten würde, sei fkeinesfalls dur{hschlagend, er brauche nur an andere größere Posten des Etats zu erinnern, in denen die Anlage bei Weitem nicht so produktiv gemacht sei, wie hier die etwa 11/2 Millionen Mark im FJnteresse der Arbeiter- organisation. Das Bedauerlichste aber sei, daß durch folche Resolutionen eine systematische einheitliche Sozialgeseßgebung unmögli werde, da stets nur Flickwerk zu Stande komme, das baldigst wieder Korrekturen veranlasse. Auf diese Weise werde die Hoffnung und das Vertrauen der Arbeiter nicht ge- stärkt, sondern herabgemindert. Mit etwas mehr Wohlwollen gegenüber den Anträgen leiste man der versöhnliGßen Stim- mung unter den Arbeitern Vorshub. Das bitte er zu be- denten.

Um 43/4 Uhr wurde die weitere Berathung auf Mittwoch) 1 Uhr vertagt.

Jm weiteren Verlauf der gestrigen (41.) Sißung des Hauses der Abgeordneten erwiderte bei Fortsezung der Berathung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrihts-und Medizinal - Angelegen:

heiten auf den von dem Abg. Dr. Virhow ausgesprochenen Wunsch, einige Näume des Polytechnikums für ein elektro- tehnisches Laboratorium zur Verfügung zu stellen, der NegierungsTommissar Geheimer Ober - Regierungs - Rath Dr. WehHrenpfennig, das physikalish-mechanishe Jnstitut, von wel- chem der Vorredner gesprochen habe, sci ursprünglih Seitens der preußischen Behörde geplant worden. Auf Anregung des Geheimen Naths Siemens, der sehr bedeutende Opfer für den Neubau eines physikalishen FJnstituts habe bringen wollen, sei im Einverständniß mit dem preußischen Finanz-Minister die Sache an das Reich gebracht worden. Seit der Zeit habe von Preußen selbstverständliÞh nichts ge- schehen können, da in nicht zu langer Zeit diese Sache von dem Reich in die Hand genommen werden würde. Was der preußische Kultus - Minister selbständig dafür habe thun können, habe er gethan. Er habe einige Räume in der tech- nischei Hochsule bereit gestellt. Leider fchlten ihm aber di Mittel, die Näume entsprehend auszustatten. Es feien auch feine Apparate vorhanden. Ob es möglih sein werde, in diesen Näumen Untersuchungen über die elektrischen Einheiten anzustellen, stehe dahin. Man sei nicht in der Lage, die er forderlichen Kräfte zu remuneriren.

Der Abg. Dr. Virchow bat die Regierung, ihren Einfluß beim Reich geltend zu machen, um diese Einrichtung im Interesse des nationalen Ruhmes herbeizuführen.

Der Titel wurde bewilligt.

Vi Dit, 15: ZU[QUfe fir Gewerbe ules resp. RNeal- Anstalten mit Fahschulen wies der Abg. Freiherr von Minnigerode auf den stetigen Rückgang dieser Sh»klen hin. Die obersten Klassen derselben würden sehr schwach besuht. Dieser Rückgang sei auf die mangel: hafte Berechtigung dieser Schulen zuxüc{zuführen. Die Abiturienten dürften zwar die Bau-Akademie besuchen, auf- fallenderweise aber niht die Berg-Akademie. Dies sci schr zu beklagen. Eine gründlihe Prüfung dieser Sache sei im Plenum unmöglich, und demgemäß beantrage er, den Titel an die Budgetkommission zu verweisen. i

Der Abg. Schmidt (Stettin) betonte, daß cine höhere Schule nicht ohne ausreichende Berechtigungen in Preußen bestehen könne. Deshalb falle auch das Eingehen von An- stalten niht auf sie gewährten den Schülern zu wenig für thren Lebensberuf. Der Unterrichts-Minister müsse deshalb eintreten, um durch Erreichung der gewünschten Berech- tigungen die Lebensfähigkeit der qu. Anstalten sicher zu stellen. Leßtere hätten cinen 9jährigen Kursus wie die Neal- gymnasien.

Der Negierungskommifssar, Geheimer Ober-Regierungs-Rath D, Bouitz meinte, daß die Frequenz dieser Schulen im AU- gemeinen doch nicht in fo hohem Maße zurücckgegangen fei. Er verweise z. B. auf die Gewerbeshulen in Berlin und Magdeburg. Ueber die Frage der Berechtigung würden die Verhandlungen fortgeführt.

Der Abg. Berger befürwortete die kommissarishe Prü- fung dieses Titels, um zu untersuhen, woran der Nüdgang dieser Schulen liege.

Der Titel wurde der Budgetkommission überwiesen.

Bei Tit. 18, Kunstgewerbe-Museum, erwiderte der Negierungskommissar, Ministerial-Direktor Greiff auf eine Anfrage des Abg. Cremer, daß die Anrehnung der Dienstzeit für diejenigen Aufseher des Museums, welche bereiis vor der Verstaatlichung desselben dabei angestellt worden seien, bei Be- rechnung der Venfionen auf geseglihem Wege eine Regelung erfahren werde.

Die einzelnen Positionen wurden genehmigt.

Lu Kap. ‘124, Kultus und Unterricht g fam Jjolgender Antrag des Abg. Frhrn. von Li Berathung:

Der gicrung das dringende

at des Staatshaushalts eini Königlicben Supcrintenden eine ibren persönlihen Dienstleistungen ellung bedingten Dienstaufwande entspreche

erhalten.

Der Antragsteller befürwortete seinen Vorschlag mit dem Hinweis darauf, daß der darin ausgesprochene Wunsch ein sehr alter sei, welcher dem Hause bereits zweimal vorgelegen habe. Mittlerweile wäre in drei General-Synoden dit dring- lie Nothwendigkeit einer folhen Gewähr allgemein anerkannt worden. Da der Antrag ohnehin der Budgetkommisfion werde überwiesen werden müßen, so enthalte er fich jedes speziellen Eingehens auf die Sache, namentlich auf die Höhe der erfor- derlihen Summe, gebe sih aber der Hoffnung hin, daß dies- mal der Antrag das Haus zum leßten Male bescäftigen werde.

Der Abg. Dr. Windthorst erklärte Namens des dur Krankheit verhinderten Abg. Brüel, daß derselbe dem Antrag zusiimme. Was ihn selbst betreffe, so stehe er au dem An- trage sympathish gegenüber, jedoh müsse er gegen eine Auf- fassung protestiren, welche den Superintendenten und General: Superintendenten als staatlihen Organen die Zuwendung ge- macht wissen wolle. Dieselben seien ledigli Beamte der evangelischen Kirche; als folen gebühre ihnen aber au die vom Staate gewünschte Hülfeleistung hinsichtlih der Bureau- kosten.

Der Minister der geistlihen, Unterrihts- und Medizinal- Angelegenheiten, Dr. von Goßier erwiderte, cin Antrag, wie ibn der Abg. von Liliencron hier befürwortet habe, sei zum ersten Male in diesem Jahre offiziell zu feiner Kenntniß ge- fommen, und zwar als Beschluß der General-Synode dur den Oberkirchenrath. Augenblicklih würden in Bezug auf diefen Antrag seinerseits Unterhandlungen mit dem Finanz-Minister gepfiogen. i

Der Antrag des Abg. Freiherrn von Liliencron ging an die Budgetkommission; es jolgte die Berathung nachstehenden Antrages des Abg. Stöer :

Die Staatsregierung zu ersuchen, die gecigncten Schritte zu bun. daß in den nätstijährigen Etat die erforderlichen Mittel bebufs Inangriffnahme der Theilung übergroßer Parochicn und der Gründung neuer Gemeinden ia Berlin cingestellt und dea zuitändi- aen Bebörden der evangelishen und Tatholif@en Kir&e nab der fonfessioncllen Verbältnißzabl der Bevölkerung zu weiteren Maß“ nabmen übertwiefen werdeu.