1906 / 226 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 24 Sep 1906 18:00:01 GMT) scan diff

12) der Allerhöchste Erlaß vom 31. Juli 1906, betreffend die Anwendung der dem Chaufseegeldtarife vom 29. Februar 1840 an- gehängten Bestimmungen wegen der Chaufseepolizeivergehen auf die von dem Kreise Warendorf ausgebaute Kunftstraße zwischen Milte und Ostbevern, durch das Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Münster Nr. 36 S. 273, ausgegeben am 6. September 1906;

13) der Allerhöchste Erlaß vom 31. Juli 1906, betreffend die Anwendung der dem Chausseegeldtarife vom 29. Februar 1840 an- gehängten Bestimmungen wegen der Chaufsseepolizeivergehen auf die von dem Landkreis Recklinghausen im An/ straße von Dorsten in der Richtung auf Wegestrecke von Holdkamp bis zur Kreisgrenze bet Brengenberg sowie auf die Abzweigung nah dem Dorfe Hervest, durch das Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Münstec Nr. 36 S. 273, ausgegeben am 6. September 1906.

luß an die Provinzial» ippraméêdorf ausgebaute

Abgereift:

Seine Exzellenz der Präsident des Evangelischen Ober- kfirhenrats, Wirklihe Geheime Rat Voigts, nah Augsburg.

Nichkamtliches.

Deutsches Reich. Preußen. Berlin, 24. September.

Der Kaiserliche Botschafter am Königlich spanischen Hofe, Wirkliche Geheime Rat von Radowiß San Sebastian zurückgekehrt und hat die Geschäfte der Bot- schaft wieder übernommen.

Der Präsident des Kaiserlihen Aufsichtsamts für Privat- versicherung, Wirklihe Geheime Oberregierungsrat Gruner ist mit Urlaub abgereist.

Der Direktor beim Rechnungshofe des Deutschen Reichs, Wirkliche Geheime Oberregierungsrat Fritsch ist von seiner Urlaubsreise nah Potsdam zurückgekehrt.

Der Direktor des Königlichen Statistishen Landesamts,

Wirkliche Geheime Oberregierungsrat Dr. Blenck ‘Urlaub zurückgekehrt.

Während der weiteren Abwesenheit des Königlich baye- rishen Gesandten Grafen von Lerchenfeld-Köfering führt der Legationssekretär Freiherr von Frays die Geschäfte der Gesandtschaft.

Der Hanseatishe Gesandte Dr. Klügmann if nah urückgekehrt und hat die Leitung der Geschäfte der haft wieder übernommen.

Der Königlich italienishe Botschafter Graf Lanza hat Während seiner Abwesenheit

ist vom Urlaub nah

Berlin auf kurze Zeit verlassen. fungiert Botschafisrat Cav. Mattioli-Pasqualini als Geschäftsträger.

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Niobe“ vorgestern von Hongkong in See gegangen. S. M. S. „Bussard“ ist vorgestern in Zanzibar ein-

M. S. „Jaguar“ is vorgestern von Hankau nah gegangen.

M. Flußkbt. „Vorwärts“ is am 21. September in Tschinakiang (Yangtse) eingetroffen.

Kiukiang ab

Deutsche Kolonien.

Aus Windhuk in Deutsh-Südwestafrika wird,

„W. T. B.“ zufolge, gemeldet:

Gefreiter Paul Rosenberger, geboren am 23. 3. 1881 zu Deutsch. Rasselwitz, früher im Ulanenregiment Nr. 2, ist am 12. Sep- tember in der Gegend von Naiams und Gefreiter Karl Gierfch, boren am 14. 12. 1883 zu Berlin, früher im Infanterieregiment r. 20, am 14. September bei Ganams leiht verwundet worden.

Frankreich.

Der kürzlich mitgeteilte Hirtenbrief des französischen Episkopats über das Trennungsgeseß ist gestern vor- M C ranfreihs verlejen worden. welcher Zwischenfall hat jih, Meldungen des „W. T. B.“ zu- folge, dabei nicht ereignet.

Nußland.

In der Angelegenheit der Explosion in der Villa des Ministerpräsidenten Stolypin sind weitere zwölf Personen verhaftet worden, die sämtil dem Verbrechen eingestanden haben. anisation stand, nah einer Meldung der „St. Petersburger elegraphenagentur“, eine Jüdin, die anfangs nicht geständig war, später jedoch durch die Aussagen der übrigen Ver- hafteten überführt wurde. außerordentliche

mittag in allen Kirchen

ihre Mitshuld an n der Spitze der Or-

Adelsversammlung des Gouvernements Kursk hat, „W. T. B.“ zufolge, mit gegen 3 Stimmen vier ehemalige Mitglieder der Reichs- duma, die das Wiborger Manifest vom 23. Juli mitunter- zeichnet haben, aus der Zahl der Edelleute des Gouvernements 1. Unter den Ausgeschlossenen befindet sih der ehemalige Vizepräsident der Reihsduma Fürst Dolgorukow. esandte Agenten suchen, wie arbin berichtet, die bei der

ausgeschlossen.

Von Juanschikai ab die obengenannte Agentur aus C Eisenbahn beschäftigten Chinesen zu überreden, na rückzufehren und bei den von Juanschikai organifsierten ruppen einzutreten, mit der Begründung, daß daselbst Chinesen vorgezogen würden, die ortsfkfundig wären, russis{ verständen und Bescheid wüßten, wo die die Eisenbahn be- wachenden Truppen

Das „W. T. B.“ verbreitet ferner folgende Meldungen :

In der Gefangenenanstalt zu Mokotow bei Warschau haben 200 politisce Verbrecher die Annahme von Nahrung verweigert und die Abänderung des Reglements, bctreffend den Verkehr wit Bekannten, sowie bessere Ernährung und Behandlung gefordert.

Aus Lodz ist gestern eine aanze faterinburger Negiments nah Warschau gebraht und durch das zu lebenslängliher Zwangsarbeit

Kompagnie eines Je-

dortige Kriminalgericht wegen Meuterei verurteilt worden.

! / j Abordnung "aus Siedlce überreichte dem auf einer Dierstreise begriffenen katholischen |

Bischof von Lublin ein prähtiges Kissen, welhes mit dem

Emblem tes polnishen Königtums, dem einköpfigen weißen Adler mit rotem Schnabel geziert war. Auch die Kleidung ter Reiter, die polnishe Nationaltracht trugen, sowie ihre Banner zeigten den weißen Adler. Die Juden brachten überall dem Bishof Salz und Brot dar.

Spanien.

Nach einem regen Notenaustausch ist, „W. T. B.“ zufolge, zwischen der spanischen Regierung und dem Vatikan bezüglich der religiösen Vereinigungen ein Abkommen aut der Grundlage des vorjährigen Konkordats erzielt worden. An dem Konkordat soll niht gerührt werden. _ Jm gestrigen Ministerrat legte der Minister der öffentlihen Arbeiten eine Denkschrist vor, betreffend die Schaffung von Hafenanlagen, die Anlegung von Magazinen und Kohlendepots, sowie die Ausführung von Bagger- und Kanalifationsarbeiten in Ceuta und

Meslilla. Schweiz.

Nach einer enes des „W. T. B.“ haben die Be- wohner des Kantons Waadt mit 22530 gegen 15 676 Stimmen einen Jnitiativantrag auf Beseitigung des erst kürzlih er- lassenen Geseßes, welches den Kleinverkauf von Absinth im Kanton verbietet, verworfen. Das Absinthverbot bleibt also bestehen. Eine Jnitiativbewegung für die Ausdehnung dieses Verbots auf die ganze Schweiz ist gegenwärtig im Gange und findet in der deutshen Schweiz lebhaften Anklang.

Türkei.

E des „W. T. B.“ aus Dedeagatsh und anderen Orten, die besagen, daß im zweiten Korpsbereich, Adria- nopel, Redifs einberufen seien, da die Pforte wegen der bulgarishen Manöver bei Mustafa Pascha und Kirk: Kilisse Truppenkonzentrationen beabsichtige, werden amtlih nicht bestätigt. Bisher erhielten nur die Redifbataillone des zweiten und dritten Korpsbereihs in Adrianopel und Saloniki sowie drei kleinasiatishe Redivdivisionen den Befehl, sih für eine etwaige Mobilmachung bereit zu halten.

Griechenland.

Die Vertreter der Schußmächte England, Frankreich, Jtalien und Rußland haben, wie „W. T. B.“ meldet, dem Ministerpräsidenten amtlich mitgeteilt, daß die Mächte dem Vorschlage der Regierung zustimmen, - daß der König von N Zaimis zum Generalkommissar von Kreta ernennt.

Amerika.

Nach einer Meldung des „Reuter})chen Bureaus“ aus Havanna hatten der Kriegssekretär Taft und der Unter- staatssekretär Bacon vorgestern eine Besprehung mit den revolutionären Führern, die ein Komitee von sieben Mann ernannt en, das Vollmacht hat, die Liberalen bei den heutigen Friedensverhandlungen zu ver- treten. 1500 Mann amerikanishe Marineinfanterie und Matrosen werden bereit gehalten, in Havana zu landen, um erforderlihen Falls nach dem Lager von Columbia ge- bracht zu werden. Diese Vorsichtsmaßregel wird getroffen für den Fall, daß die Aufständischen, unzufrieden mit den Ver- handlungen, die Stadt angFifen sollten.

Aus Bali (NiederländisG-Inbien) wird amtlich berichtet, daß in Badveng zwei Häuptlinge mit ihren Frauen und Kindern gefangen worden sind. Bei dem leßten heftigen Kampfe sind etwa 400 Eingeborene getötet worden. Auf holländischer Seite fielen vier Mann und ein Offizier, neun Mann wurden verwundet.

Der japanische Fischkutter „Kieteimaru“, der am 19. d. M. von Kamtschatka nah Hakodate zurückgekehrt ist, berichtet, dem „Reutershen Bureau“ zufolge, daß seine Leute am 15. Zuli d. J., als der Kutter in den Fluß Kaicha auf Kamt- \hatka eingelaufen war, um Brennmaterial und Wasser einzu- nehmen, unweit der Flußmündung auf Erdhaufen gestoßen seien, die vom Regen halb weggewaschen waren und aus denen in Verwesung übergegangene Leichenteile hervorsahen. Bei näherer Untersuhung stellte sh heraus, daß hier elf Leichen von Japaner overscharrt ware, Die nah den gleichfalls aufgefundenen Schiffsüberresten zu hließen, zu ent [U den 1 ult vermißten Fahrzeug „Kajetsumaru“ gehört haben. Blutbefleckte Kleidersfezen, Schwerter und Bajonette, die eben- falls gefunden wurden, deuteten darauf hin, daß die Leute eines gewaltsamen Todes gestorben sein müßten. Eingeborene, bei denen man Nachforshungen anstellte, bekundeten, daß die „Kajetsumara“ bei Nacht von russishen Soldaten überrascht wurde, die die Manyschaft tôteten und das Schiff durch Feuer zerstörten.

Parlamentarische Nachrichten.

Bei der Ersatwahl eines Mitglieds des Hauses der Abgeordneten, die am 22. d. M. in den Kreisen Minden und Lübbecke, dem 1. Wahlbezirk des Regierungs- bezirks Minden in Westfalen, stattgefunden hat, wurden von den 472 abgegebenen Stimmen für den Kandidaten der konservativen Partei, Verwoltungsdirektor der Königlichen Museen, Geheimen Regierungsrat Bosse- Berlin 318, für den Kandidaten des Bundes der Landwirte, Landwirt Sultemeyer-Hahlen 115, für den wildkonservativen Kandidaten, Landwirt Rehling: Peters- hagen 25 und für den sfozialdemokratishen Kandidaten, Maurerpolier Lißinger-Minden 14 Stimmen abgegeben. Der Erstgenannte 1st somit gewählt.

Statistik und Volkswirtschaft.

Die im Ausland bisher versuchten oder vorgeschlagenen Lösungen des Problems einer Versicherung gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit.

U)

Subvention der Selbsthilfe unter Verziht auf selbst- ständige Versicherung8einrihtungen.

Im ersten, die Sicherstellung gegen die Folgen der Arbeits- losigkeit durch Selbsthilfe, freie Gegenseitigkeitêversiherung von Arbeitern chne Jnanipruhnahme öffentlicher Mittel behandelnden Artikel wurde gezeigt, daß diese auëknahmétlos Selbsihilfe von orga-

*). Vergl. „Gegenseitigkeileversiherung der Arbeitnehmer in Ge- werkvereinen“ in Nr. 178, „Freiwillige Versicherung und Versicherungs- ¡wang auf komm:naler Grundlage“ in Nr. 207 und 210 des „NReichs- | und Staatsanzeigers“.

nisierten Arbeitern, gewerkshaftliße Selbsthilfe ist.

si als durhaus rationell und wünschenswert aleeckaut i e nur ein mehr oder weniger großer Bruchteil der Arbeiterschaft M in Gewerkvereinen organisfiert, und von diesen befassen \sih au bi st überhaupt nicht, andere nur ungenügend mit diesem Zweige der Ft sorge für ihre Mitglieder. Es muß also der tatsähliche Un dieser Art der Versicherung als ein durchaus ungenügender bezeichne werden. Aber auh die in zwei weiteren Artikeln bésprodiene namentlich in der Schweiz in Angriff genommene Arbeitslofen: versiherung durch öffentlihe Körperschaften wird, soweit se eine freiwillige ist und ein Versicherungs8zwang besteht beute nirgends mehr —, dem vorhandenen Bedürfnisse niemals genü : können: fie wird immer nur einen verbältniémäßig sehr kleinen Mit gliederbestand haben, dieser aber wird ftets ein verbältnismäßig sehr großes Risiko darstellen, wie dies auch die bisherigen prafktishen Versuche mit einer folchen Versicherung ganz deutlich erkennen La Seit dem Jahre 1901 ist nun, von der Stadt Gent ausgehend, be Gedanke verbreitet worden, daß die zweckmäßigste Betätigung is öffentlihen Körperschaften in der Arbeitslosenfrage die sei, an die Selbsthilfeeinrihtungen der Arbeitnehmer anzuknüpfen und dur u sicherung von Zushüfsfen nah dem Maße der eigenen Leistung einen Anreiz zur Ausdehnuag dteser Selbsthilfe zu hafen. Die Er- ziehung zur Selbsthilfe unter Beihilfe von Gemeinde und Staat ist kurz gefaßt die dem System, das heute kurzweg das „Genter System“ genannt wird, zugrunde liegende Idee.

Seine Vorzüge liegen darin, daß hier die Organisation nah Berufen und die Gruppierung der Berufsrisiken {on gegeben ist, daß die ganze Kontrolle und Verwaltung, die Einziehung der Beiträge und die Aus, zahlung zu Lasten der Verbände bleibt, die auch allein in der Lage find, die erforderliße Kontrolle wirksam zu üben. Das System hat jcdoh au seine Schwähen und Grenzen: Es hilft nämliß nur demjenigen, der sich \{chon felbst bilft; wo die eigene Initiative versagt, da versagt auch dieses System; damit bleibt es in seiner Wirkung beschränkt. Die Arbeiterelemente, die der Sicherstellung gegen die Folgen der Arbeitsl[osigkeit am drin- gendsten bedürfen, werden vielfah niht erfaßt, die Sorge für sie bleibt auch bei diesem System der Armenpflege und Wohltätizkeit überlassen, Die Einrichtung, die man in Gent für die nihtorganisierten Arbeiter \{chuf, die Zuschußspareinrihtung, appelliert auch an die Selbsthilfe und bat sich nur sehr bedingt bewährt. Selbsthilfe ist zah allen gemahten Erfahrungen nur zu erwarten, wo Organi- sation, fahlihe oder freie, vorhanden is. Die Organisation wird aber viel ausschlaggebender durch den Stand der ges werberechtliGßen Bestimmungen als dur die Aussiht auf gewisse Zuschüsse beeinflußt. Die Erziehungswirkung des Systems hat daher ganz bestimmte, von anderen faktoren abhängige Grenzen. Wo die Erziehung vollendet, die Selbsthilfe organisiert und in der Lage ist, der Arbeitslosigkeit voll zu begegnen, da würde andererseits logischer- weise der Zweck des Systems erfüllt sein, die Zushußgewährung aufs bôren müssen, falls man das System als Erziehungssystem auf- a elne Auffassung, die nicht unbestritten ist. So wie die Dinge zur Zeit liegen, bedeutet das Genter System im wesentliten die Subvention nur der organisierten Arbeiter. Die nihtorganisierten Arbeiter fallen zwar nit theoretisch nach den Bestimmungen des Systems, aber praktis bei dieser Löfung aus; ob es gelingt, das System so zu ergänzen, daß au sie zu den Vorteilen herangezogen werden, steht noch aus. Neben diesem Gesichtspunkte wird regelmäßig noch eine Neibe von Einwendungen politischer Natur gegen dieses System geltend ge- macht. Es wird betont, daß, wenn man allein die Gewerk« schaften subventioniere, dies ein mittelbarer Zwang zum Beitritt sei, ein Einwand, der auch dur die Genter Spareinrichtung für nicht- organisierte Arbeiter niht abgeschwäht werde. Es wird ferner betont, daß die Subvention der Gewerkschaften in ihren Unter- stüßung8ausgaben diefen ihre Aufgaben erleichtere und sie dadurŸ au für ihre Kampfzwecke (Streik) stärke, was niht Sache der Ge- meinde oder des Staats sei. Demgegenüber - heben die Arbeiterver- bände hervor, daß sie, indem fie ihre eigenen Interessen verfolgten, hier gleichzeitig auch Interessen der Allgemeinheit wahr- nähmen, daß die Lösung der Aufgaben, die sie hier erfüllten, sozial wünschenswert und daß es daher berehtigt sei, daß Staat und Ge- meinde fie bei der Lösung dieser Aufgaben unterstütße. Dies find die allgemeinen Gesichtspunkte.

Die Idee der Subvention der Selbsthilfe nah dem Maß der eigenen Leistung hat, wie gesagt, von Gent ihren Ausgang genommen. Im Jahre 1898 sezte der Gemeinderat dieser Stadt eine Kommission ein mit dem Auftrage, die Arbeitslosigkeit der Industriearbeiter in Gent zu ftudieren. In dem Bericht, den diese im Juni 1900 er-

stattete, verwarf sie das Prinzip der Organisation von den Gemeinden selbst eingerichteter allgemeiner Arbeitslosenkassen, seien sie nun fakultativ, wie in Bern, oder obligatorisch, wie in St. Gallen. Nah der Ansicht der Kommission hat

die Arbeitslosenversiherung einen Erfolg nur gehabt, wo sie unter der Form der Versicherung der Arbeiter auf Gegenseitigkeit in ihren Verbänden eingerihtet worden is. Die Kommission {lug daher vor, an die vorhandene Einrichtung der Arbeiislosenunterstüßung der Arbeiterfahverbände anzuknüpfen und zu den Tagegeldern, die von den Vereinen gezablt werden, einen gemeindlihen Zuschuß zu [eisten, der je nah dem Maß der eigenen Leistung des Vereins sinkt oder steigt. Für diejenigen, welhe keinem Verein angehören, wurde eine Sparorganisation vorgeschlagen: Jeder Sparer sollte auf seine Ersparnisse den gleihen Zuschuß erhalten, den der organisierte Arbeiter zu feinem Tagegeld erhält. Um etwaigen Bedenken zu be- gegnen, daß die Zuschüsse in die Kassen der Vereine geleitet werden wurde vorgeschlagen, die Organisation in der Weise zu regeln, daß die Arbeitervereine die Zuschußbeträge vorshießen, am Ende des

Monats Rechnung legen und, wenn die Rechnung anerkannt ist, die Beträge erstattet erhalten sollen. Auf diese Weise sollte die Möglichkeit ausges{lossen werden, die Gelder

zu von der Gemeinde nit ger Tigten Zwecken zu verwenden. Auf Grund dieses Kommissionsberihts und in der vorgeschlagegen, hier \fkizzierten Form wurde die Einrichtung im Oktober 1900 vom Genter Gemeinderat angenommen. Im August 1901 begann der Genter Arbeitslosenfonds unter der Leitung seines Präsidenten Lou!s Varlez seine Tätigkeit, zunächst für die Dauer von 3 Jahren, nad deren Ablauf der Gemeinderat beschließen sollte, ob die Einrichtung zu einer dauernden werden follte oder nicht. Die Gemeinde Gent stellte für das 1. Jahr einen Kredit von 10 000 Fr. zur Verfügung, Auf einen Aufruf meldeten si zahlreiche Arbeitersyndikate zur Teil- nahme. Es wurden 29 Gewerkschaften und Vereine zugelassen. Die Zahl ift bis 1905 auf 33 gestiegen, ohne daß aber die Mitgliederzahl in die Höhe gegangen wäre.

Nach den Statuten sollte der Fonds die von den Vereinen fen zahlten Tagegelder erhöhen. Die gewährten Zuschüsse dürfen indessen nie auf mehr als 50 Tage im Jahre für das einzelne Mitglied und niht bôher als auf 1 Fr. für den Tag berechnet werden. Vel Streiks und Aussperrungen und deren Folgen sowie bet Krankheit und pbysisher Unfähigkeit zur Arbeit darf keine Arbeitslosenunter- stüßung gezahlt werden. Die Arbeiter, die nit einer am Fonds be- teiligten Kasse angehören, können einer Sparkasse beitreten, bei der sie bis zu 59 Fr. einzahlen können. Sie erbalten die Spargelder nebst deren Verzinsung nur bei Arbeitslosigkeit zurück un niht mehr Zushuß als höchstens 6 Fr. für die Woche. A icOen mie wird durch eine besondere Kommission von 10 gliedern geführt, von denen 5 den Arbeitervereinigungen, die am Fond beteiligt find, angehören. Die Mitglieder werden vom Gemeinderat ernannt; der Bürgermeister oder ein Schöffe hat das Recht, in die!er Kommission den Vorsitz zu übernehmen. Streitigkeiten über Anwel- dung der Statuten oder den inneren Dienst entscheidet die Kommission endgültig. Es dürfen nur solhe Arbeiter die Vorteile des Fonds genießen, die wenigstens 1 Monat in Gent wohnen. Für weite Einzelheiten ist auf die eingehende Darstellung in der vom Kaiserlichen Statistishen Amt herausgegebenen Denkschrift über die bestehenden a e zur Versicherung gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit zu verweisen.

Die Einrichtung bat sich na der Ansicht des Gemeinderats be -

odaß nah Ablauf der 3 Jahre der Fonds als dauernder e E allerdings unter wesentliher Umgestaltung der Spar- 6 tung, von der bis dahin so gut wie kein Gebrauch gemacht ein den war. Die eigenen Leistungen der Verbände betrugen 1904 o Fe,, die Zushüsse des Fonds 1902 16171 Fr, 1903 18982 1904 23 362, 1905 18 178 Fr. Das Verhältnis der eigenen 18% ver Verbände zur Leistung der Geweinde stellte si, wie

n a 93 betrug i; ; folg die eigene Leistung der Verbände der Zuschuß 2/0 9% 1901 . 74,8 25,2 1902 . 71,8 928,2 1903 . 62,1 37,9 1904 . 62,7 37,3 1905 . 66,3 33,7

Was die Erfahrungen mit dem Genter System betrifft, so ift dieses am glücklihsten in seiner Lösung der Frage der Kontrolle, d, h. soweit der Arbeitslosenfonds in Betracht kommt, niht der Spar- fonds, Die Gemeinde zablt nur Fus foweit der Verband selbst intersiügung zahlt. Hinter diejem Wall des finanziellen Selbst- interesses der Verbände war der Fonds im wesentlihen vor miß- brèuhliher Ausbeutung sicher weil die Vereine ihre niht fehr zahl- cihen Mitglieder in Gent waren 1905 in 33 Verbänden 11786 Mitglieder gut zu kontrollieren in der Lage waren. Die Kontrolle beim Genter System muß fich außerdem noch mah der Richtung erstrecken, daß die Zushüsse auch nur ge- mäß den Statuten gezahlt werden, daß die Fälle der Arbeitslosigkeit hi Streik, Aussperrung, Krankheit und Arbeitsunfähigkeit ordnungs- máßig zur Ausscheidung gelangen. Diese Kontrolle ist anscheinend ohne besondere Schwierigkeiten durhführbar gewe'en und hat, soweit 4 sich beurteilen läßt, gezeigt, daß im allgemeinen Beanstandungen gegen das Verhalten der Syndikate gegenüber den Statutenbestim- mungen sich nicht ergeben haben. Die Frage des Selbstverschuldens wir in Gent gar rit gestellt. Wem die Syndikate Arbeitélofen- unterstüßzung zahlen, bleibt ihnen überlassen. Wie weit sie dabet die Suldfrage betonen, ist ihre Sache, nur ein gemeindliher Zus chuß§ß vird lediglich zu den Unterstüßungen bei unfreiwilliger, vollständiger oder teilweiser Arbeitslosigkeit infolge von Arbeitsmangel oder Be- triebéstôrung geleistet. Aehnlich liegt es mit der Pflicht zur Annahme von Arbeit. Wer Arbeit ablehnt, die das Komitee nahweist, verliert zen Anspru auf Zuschuß, meist auch den auf Verbandsunterstüzung. Pelhe Arbeit angenommen werden muß, hat die Verwaltungskom- mission zu bestimmen sich vorbehalten. Die Statuten enthalten darüber nihts, die Kommission entscheidet. Einen großen Umfang hat die Ablehnung der Arbeit nicht angenommen. Bisher hat allerdings der Arbeitsnahweis in Gent nicht so funktioniert, wie es erforderli gewesen wäre. Vermehrter Zuzug arbeitsloser Elemente nach Gent ist infolge der Einrichtung bisher niht bemerkbar gewesen.

Die Spareinrichtung hat sih wenig bewährt. Jn der ersten Periode des Fonds von 1901—1903 ift fie überhaupt nit benußt worden; das hat ih geändert, seitdem der Fonds nit nur an die einzelnen Sparer, sondern auch an die Sparkaffen dec einzelnen Ver- bände Zuschuß zahlt. Infolge dieser Bestimmung wurde die Bean- syrubung dur die Sparvereine fo stark, daß die Kommission eine enderung der Statuten angeregt hat, wona zu den Sparabhebungen niht mebr der gleiche Zushuß gezahlt zu werden braucht, wie zu den Arbeitslosentagegeldern der Verbände, um zu verhindern, daß der Fonds seinen sonstigen Zwecken entfremdet wird.

Außerhalb Gents hat das Genter Vorbild weiter gewirkt. Achnlihe Fonds sind in Brügge, Loewen, Mecheln, Antwerpen, Alost, Lierre, St. Nicolas, Ostende, Brüssel und Vororten eingerichtet worden. Daneben hat ein System der direkten Unterstüßung der Verbände nah dem Vorbild von Lüttih in Grammont, Rennirx, Mettern Verwendung gefunden. Dem Vorgehen der Städte geht ein soldes der Provinzen parallel, dagegen hat der belgishe Staat si bisher abwartend verhalten.

Aehnliche Einrichtungen wie die geschilderten, die auf eine Sub- vention der Kassen von Arbeitervereinen hinauslaufen, finden si auch in Frankreich, allerdings, foweit sie zeitlih vor dem Genter Vor- geben liegen, wesentli weniger geshickt in ihrem Aufbau. Der älteste Versu is von Dijon gemacht, ziemli gleichzeitig damit ein zweiter in Umoges. Der Versuch von Dijon läuft in der Praxis darauf hinaus, daß die Gemeinde bei denjenigen Verbänden, deren Einnahmen die Ausgaben für Ar eitslosenunterstügzung niht decken, den Fehlbetrag übernimmt. Es ift dies eine Erziehung zum Defizit“. In Limoges erfolgt die Zushußgewährung niht nah dem Maß der eigenen Leistung der Verbände, fondern na der Mitgliederzahl. Dies bietet naturgemäß nicht den gleihen Anretz zur Selbsthilfe wie das Genter Prinzip. Seit dem Genter Vors gehen sind in Frankreich die Gemeinden Lyon, Reims, Amiens und Tarbes in gleiher Weise vorgegangen. Im Jahre 1905 hat die Ent- widlung dadur einen äußeren Absh'uß gefunden, daß der französische Staat in gewissem Umfange staatliche Zuschüsse gewährt.

_In Italien ist nah dem Genter Vorbild seit Juli 1905 auf private Jnitiative in Mailand eine Arbcitslosenkasse tâtig, über deren Bewährung \ihch gegenwärtig noch nicht urteilen läßt.

Die Gewährung staatliher Zushüsse an die Selbsthilfe- organisationen der Arbeiter auf Grund des Genter Gedankens ift im Juni 1906 in Nor wegen Gese geworden, in Dänemark vorgeschlagen. Die wesentlihen Bestimmungen des norwegishen Gefeßes über die Veitragsleistung des Staats zur Arbeitslosenversicherung, mit dem zuglei ‘in Geseß über die Einrichtung von öffentlichen Arbeitsnahweisen erlassen worden ist, sind in der Halbmonats\schrift „Der Arbeitsmarkt“ 0, Jahrgang, Nr. 23 vom 1. September d. J.) mitgeteilt. Danach V vorgesehen, daß alle norwegischen Arbeitslosenkassen, welche die in p Gesege aufgestellten Bedingungen erfüllen, ein Anrecht auf s üderstattung eines Viertels der von ihnen für die Unterstüßung Arbeits» ler ausgegebenen Beträge haben. Die Rüerstattung erfolgt durch die Staatsfafse, Zwei Drittel des Betrags, den der Staat für diesen Zweck in einem jeden Jahre auszahlt, werden auf die Gemeinden

D umgelegt, wo diejenigen, die Unterstüßung bezogen, im Laufe der

p ergegangenen fünf Fahre mindestens je sechs aufeinanderfolgende Llonate hindurch ihren Wohnsiy hatten. Der Betrag, für xen eine Arbeitslosenkasse Rückvergütung verlangen kann, muß für eterstüpung bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit verwendet worden Ga Arbettslosigkeit infolge von Krankheit oder Streiks und Aus- errungen soll nit als „unvershuldete“ gelten. Die wesentlichen ‘dingungen, die für die Berechtigung zum Bezuge des Staats- ‘lirages gestellt werden, sind nah dem norwegischen Gese folgende:

a Mitglied einer Arbeitslosenkafse darf Unterstüßung er- q ten, das der Kasse nicht wenigstens während der fechs onate angehörte, die dem Anspruch vorhergingen, und

Fit mindestens 26 Wogthenbeiträge geleistet hat. Unterstügung [nur dann zu gewähren, wenn die Arbeitslosigkeit drei Tage oder harger dauert. Der Betrag der Unterstüßung, den eine Kasse gewährt, den piht höher sein als die Hälfte des ortsüblihen Tagelohnes in im Merefenden Gewerbe. Die Dauer des Unterstüßungsbezugs hat s „Maximum 90 Tage in {e zwölf Monaten zu währen. Ein be- nes, gungsloses Kassenmitglied muß die angebotene Arbeitsstelle an- erat wenn sie der Vorstand der Kafse als für das Mitglied geeignet “adtet, Jeder Versicherte darf nur einer Arbeitslosenkafse an- verhen- Ist die Arbeitslosenkasse mit einem Verein (N i Cen; so bat sie eine eigene Verrehnung zu führen. Sie mu elb eisoen, die dem aleichen Berufe angehören wie die Kassenmitglieder, G wenn fie nit Mitglieder des Vereins sind, Gelegenheit geben, Let denselben Bedingungen wie diese zu versichern. Solche tas lWherte haben jedech kein Recht, an Entscheidungen über wei Kassenstatut oder an dec Kassenverwaltung teilzunehmen, thutat ihnen der Verein nicht ein derartiges Reht ausdrüklih ein- énèn b Ferner können die Kassen, deren Verwaltungékosten von Ver- _ L estritten werden, diesen Versicherten eine Erhöhung der ordent- Do Beiträge um 1009/6 unter bestimmten Vorausseßungen um

0 zur Deckung der Verwaltungsauslagen auferlegen. Die

Wirksamkeit des Geseyes beginnt mit dem 1. Oktober 1906 und dauert bis zum 31. Dezember 1911.

Damit ist die s\ystematishe Darstellung der bestehenden Ein- rihtungen des Auslandes zur Versicherung gegen die Folgen der Arbeits- losigkeit in der Hauptsache erschöpft und sin die für die Beurteilung der einzelnen Systeme hauptsächlich auss{chlaggebenden Gesichtspunkte vorgeführt. Wie gezeigt worden, ist keines der , bestehenden Systeme von Schwächen frei, alle in ihrer Wirkung be- grenzt oder, wenn umfassend, wie bei der obligatorischen allgemeinen Versicherung, mit ungewöbßnlih großen Schwierigkeiten

verknüpft. Dagegen dürften drei Ergebnisse der ausländischen Ecfahrungen für die Behandlung des Problems überhaupt allgemeinere Bedeutung beanspruhen. In präventiver Hinsi4ht

ist überall eine Ausdehnung der fahlichen Ausbildung der Arbeiter geboten, um die Zabl der ungelernten Arbeiter zu mindern.

Sie sind es abgesehen von den von der Witterung abhängigen und den Saisongewerben —, die der Arbeitslosig- feit am leihtesten ausgeseßt sind. In represfiver Hinsicht

ist überall der Ausbau des Arbeitsnahweises die beste Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. S@ließlih ist drittens die möglichste Erleichte- rung der Organisation der Arbeiter von aus\{laggebender Bedeutung für die Ausdehnung der Selbsthilfe gegenüber der Arbeitslosigkeit. In ihrer Gesamtheit bedeuten diese drei Kreise von Maßnahmen die beste Vorarbeit auf diesem Gebiet und einen Teil der Lösung.

Zur Arbeiterbewegung. In Essen a. d. Ruhr hat sb, wie „W. T. B.* meldet, die Siebenerkommis\sion der rheinisch-westfälishen Bergarbeiter in einer am Sonnabend abgebaltenen Sißung dahin geeiniat, daß in der Lohrfrage etwas geshehen müfse. Zu diefem Zweck foll mit allen Bergarbeiterverbänden des In- und Auslandes în Verbindung getreten werden. Ferner wurde au über die Sperre und das Ueber- \chihtenwesen beraten. Es herrschte in allen Fragen volle Ein- müttgkeit. : :

Der Ausstand der Kohlenarbeiter in Köntgsberg i. Pr. ist, dem „W. T. B." zufolge, beendet. i

Aus Wiesbaden wird der „Frkf. Ztg." telegrapbiert: In den Verhandlungen zur Beilegung des Ausstands der Rhein flößer (vgl. Nr. 217 d. Bl.), dessen wirtschaftlihe Folgen ih bereits in Holznot bei den niederrheinischen Sägewerken äußern, wurde eine Einigung, betreffend die Arbeitszeit (früh 6 bis Abends 7 Uhr) und den Tagelohn (3—3,50 4A mit Kost), erzielt. Da noch Meinungs- verschiedenbeiten, betreffend die Reisevergütung und Arbeitsnachweis- stellen, bestehen, dauert der Ausstand vorläufig weiter.

In Hanau beschloß, nah demselben Blatte, eine große Ver- sammlung der Goldarbeiter (val. Nr. 225 d. Bl.) an den gestellten Forderungen festzuhalten, und beauftragte die Bezirksleitung, persönliche Verhandlungen mit den Fabrikanten anzubahnen. Um einer Ver- \{levpung dieser Verhandlungen vorzubeugen, soll das Arbeits- verhältnis gekündigt werden. . :

Fn Nürnberg baben, wie die „Köln. Ztg." berichtet, die Maurer und Bauhilfsarbeiter jeßt, nah fast vierteljähriger Dauer des Aus\tands, bes{lossen, die Arbeit bedingungslos wieder aufzunehmen. Die Streikleitungen haben selbst den Abbruch des Streiks empfoblen. Als Grund wird die Zunahme der Arbeits- willigen angegeben. k

Im Tetscbener Bezirke wird, wie der „Frkf. Ztg.“ aus Fes F wird, in sieben Spinnereien mit 80 000 Spindeln gestreikt. |

Aus Pari s-wird dem „,W. T. B.“ telegrapbiert: Handlungs- ge hilfen veranstalteten gestern vor mehreren Modewarengeschäften, die niht ges{lossen waren, Kundgebungen. Der Direktor der Galeries Ménilmontant wurde dabei von Teilnehmern an der Demonstration derart gestoßen, daß er infolge der Aufregung starb. Die Handlungsgehilfen beschlossen darauf, zum Zeichen ihres Be- dauerns von jeder weiteren Kundgebung gestern abzusehen.

Zum Ausstand der bel gischen Weber (vgl. Nr. 225 d. Bl.) wird dem „W. T. B.* aus Verviers berichtet, dap in der Nat zum Sonnabend gegen die Wohnungen von Arbeitgebern zwei Dynamitanschläge verübt wurden. Der hierdurch verursachte Materialshaden ift erheblich.

Land- und Forftwirtschaft.

Soeben ift der Bericht der Königlichen Lehranstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau zu Geisenheim a. Rh. für das Etatsjahr 1905, erstattet von dem Direktor, Professor Dr. Wortmann, im Verlage von Paul Parey, Berlin, erschienen. Der stattlihe, über 300 Seiten umfafsende Band legt erneut Zeugnis ab für die hervorragende Bedeutung, die diese Anstalt sich für unseren gesamten Weinbau und unsere Kellerwirtshaft wie für den Obst. und Gartenbau erworben hat. Der Bericht gliedert ih in fünf Hauptteile: T1. Schulnachrichten, 11. Bericht über die Tätigkeit der tehnishen Betriebe, II1[. Bericht über die Tätigkeit der wissenschaftlihen Institute, TV. Bericht über die Nebenveredlungs- station Geisenheim-Eibingen, V. Bericht über die Tätigkeit der Anstalt nach außen. Aus dem ersten Teil entnehmen wir, daß die Anstalt im Schuljahre 1905 von 39 Eleven des zweijährigen und von 39 Schülern des einjährigen Kursus besucht wourde. Außerdem bieten die Laboratorien der Þ anzenpathologisen, der pflanzenphysiologishen und der önohemishen Versuchsstation der Anstalt solhen Interesseaten, welhe die genügende Vorbildung besißen, die Möglichkeit, dort als Praktikanten zu arbeiten. Gbenso werden in die technishen Betriebe, also Weinbau und Kellerwirtschaft sowie Obst- und Gartenbau, Praktikanten aufgenommen. Von diesen Gelegenheiten mahten im Berichtsjahre 32 Personen Gebrau. Die Besuchsziffern der Kurse stellten sih, wie folgt: Hefekursus 37 Per- sonen, Nachkursus zum Obstbau- bezw. Baumwärterkursus 41, Obstverwertungskursus für Männer 25, desaleichen für Frauen 53, Reblauskursus 143, Obstbau- bezw. Baumwärterkursus 77, Rebendesinfektionskurse 40, Peronosporakursus 19 Personen. Insgesamt wurde die Lehranstalt also im Berichtsjahre von 78 Eleven und S{ülern, 32 Praktikanten und 392 Kursisten, d. h. von 502 Derionen besucht. Damit ift die Gesamtzahl aller Schüler und

ursisten, welche die Anstalt seit ihrer Gründung im Jahre 1872 be- suchten, bis zum 31. März 1906 auf 8142 Perfonen gestiegen, von denen 1551 eigentlihe Schüler bezw. Praktikanten und 6591 Kursisten waren. Die hohe Bedeutung folher Ziffern für die Förderung unseres Wein-, Obst- und Gartenbaues durch Belehrung der in Be- traht kommenden Interefsent-n sowie für die theoretishe und prak- tishe Ausbildung von Männern, die sich auf diesen Gebieten ihre Existenz gründen wollen, liegt auf der Hand. Daß die Geisenheimer Anstalt aber neben dieser reinen Lehrtätigkeit auch ihrer Aufgabe, die Gntwicklung unseres heimishen Wein-, Obst- und Gartenbaues Hand in Hand mit der Praxis durch wifsenshaftlihe Untersuhungen zu fördern, in bohem Grade gerecht zu werden suht, beweisen aufs neue die Berichte der einzelnen wissenschaftlihen Stationen und tenishen Betriebe. In welher Weise die Resultate dieser Forshungen der Praxis unmittelbar nußbar gemacht werden, zeigt der Abschnitt über die Tätigkeit der An- stalt nah außen, in dem über die zahlreihen Vorträge, die seitens der Beamten in größeren und kleineren Fahvereinen gehalten wurden, berihtet wird. Au wurde der Praxis in sehr vielen Fällen, wie bisher, Rat und Auskunft in \{chwierigen Fragen erteilt, und zwar meistens kostenlos. Möge der Geisenheimer Lehranstalt auch im kommenden Jahre vergönnt sein, in gleich erfolgreiher Weise zum Besten unseres Wein- und Obstbaues zu wirken.

Ernteergebnis und Produktenmarkt in Jtalien.

Der Kaiserlihe Generalkonsul in Neavel berichtet unterm 12. d. M.: Getreide ist in Süditalien im allgemeinen wie in ganz Italien gut geraten. Man {äßt die diesjährige Ernte für das ganze Königreich auf 58 Millionen Hektoliter gegen 53 im Vorjahre und

nimmt daher an, daß dieses Jahr eine Einfuhr von 14,5 Millionen Hektoliter gegen 17,5 im Jahre 1905 für den Konsum in Italien vom Auslande bezogen werden muß. Aus Bari wird gemeldet, daß die Qualität des Wetzens ziemlich gering is und dur Regen im Junt gelitten hat. Die Preise sind 25—27,50 Lire. Nach den Nachrichten aus Messina sind die Witterungs- verhältnisse des August im allgemeinen nicht ungünstig gewesen, sodaß die Ernte gut eingebracht werden konnte. Das Ergebnis ift, wie vor- auszusehen war, in den verschiedenen Provinzen sehr verschieden und während die nördliche Hälfte Siziliens fast eine Mittelernte aufweist, ist die Produktion der südlihen Provinzen erheblih unter dem Mittel geblieben ; dies trifft besonders für Weizen zu, wogegen die anderen Getreidesorten dburchweg weniger günstige Ergebnisse hatten. Legt man die Zahl 100 als Ziffer für eine Mittelernte zu Grunde, fo Ee fih das Ernteergebnis in den einzelnen Provinzen etwa folgender- maßen :

Provinz Weizen. Gerste. Roggen. Hafer. M 2% : 90 50 80 70 E po 100 60 90 80 A e s 70 70 Aa e 4 60 E as 70 60 —- Reggio Calabrien . ..…. 80 40 50 100 U ita A S E 80 50 50 100

Die beutigen Getreidepreise sind: Harter Weizen 26,— Lire, weiher Weizen 25,— Lire, Roggen 18,— Lire, Hafer 21,50 Lire. Die Brotpreise find unverändert.

In Palermo haben die Preise troß eines ziemlich reihlihen Angebots wesentliche Aenderungen niht aufzuweisen gehabt :

Harter Weizen weicher Weizen Hafer Realforte Sammartinara Timilia am 15. 7. Lire 25,15 24,65 24 17,50 O 248 20,02 24,84—25,42 23,87—24,26 16—16,50 für den Doppelzentner erste Kosten. E oLD reie: I o ape DIAUerateit- . .- » « 80 26 22 Cent. private c 08 32

Die erste Aussaat von Mais ist vielversprehend, während die zweite durh Wind und anhaltende Trokenheit gelitten hat. Preise 17,00 18,50 Lire.

Die Kartoffelernte ist gut. und frei von Peronospora.

Die Ausfichten für die Zitronenernte sind nah Nachrichten aus Messina unverändert gut, dagegen sind die Hoffnungen auf eine gute Apfelsinenernte sehr gering geworden; man erhofft kaum noch eine Mittelernte, da die Früchte massenhaft infolge des von feuhten Niedershlägen begleiteten heißen Wetters abgefallen sind; diese Erscheinung pflegt zwar jedes Jahr in gewissem Maße einzutreten, aber dies Jahr zeigt sle sich in besonders hohem Grade. Sommerzitronen (Verdelli) erzielen jeyt bier 14 bis 15 Lire für eine Kiste erster Qualität. Qitronensaft is flark im Preise gestiegen und er- zielt jeßt 625,— Lire für das Faß von 305 kg. Zit ronensaurer Kalk kostet entsprechend 640,— Lire für 305 kg \ofortige und 530 Lire für soviel künftige Ware. Das Zitronenöl ist im Laufe der lezten 6 Wochen ganz außerordentli gestiegen und wird hier mit 3,80 bis 3,90 Lire für das sizilianische Pfund von 317 g gehandelt ; fünftige Ware erzielt 2,25 Lire für das Pfund. Apfelsinenöl kostet prompte alte Ware 6,50 bis 6,70 Lire das Pfund; künftige Ware 5,60 bis 5,70 Lire das Pfund. Bergamottöôl prompte alte Ware 7,60 bis 8,— Lire das Pfund.

Die Bobnenernte war sehr gering. Preise 16,50—17 Lire. In Messina haben die dicken Bohnen, die zumalen in den Süds- provinzena Siziliens in großem Maße angebaut sind, eine recht gute Ernte ergeben, die auf etwa 4 mehr als im Vorjahre geschäßt wird. In Palermo konnte das Einsammeln ohne Störung vor \ih gehen, da die Witterung günstig blieb. Der Preis zog etwas an, man notiert gegenwärtig etwa 15,40 Lire für den Doppelzentner in Termint. (15 Lire am 15. Juli 1906). L

Für Mandeln \{chwankt der Preis in Bari zwishen 215 bis 230 Lire je nah der Güte. Die alten Lager haben sich inzwischen noch ziemlich vermindert, da man befürchtete, die neue Ernte könnte größer ausfallen, als man ursprünglich annahm. Troßÿ- dem sind niedrigere Preise“ kaum wahrscheinlich,. In Messina find die Ernteaussihten sehr \chlecht und die nat des Artikels daher so hoch, wie sie seit vielen Jahren nicht gewesen sind: prompte alte Ware kostet 210 212 Lire die 100 kg, künftige Oktoberware 215 Lire die 100 kg. In Palermo hat die nicht sonderlih reihlihe Ernte ein weiteres Steigen der Preise herbeigeführt: vorrätige Ware: 212—214 Lire, zu Oktober 217 Lire.

Für Haselnüsse sind die Ernteaussichten s{lecht. Die beutigen Preise sind: prompte alte Ware 63,50 Lire die 100 kg, künftige Ok- toberware 62,80 Lire die 100 kg.

Für Olivenöl haben die Preise in Bari angezogen, da die Ernte sehr klein ausfallen wird und au in Gefahr steht, von der Oelfliege beschädigt zu werden. Die Umsäße sind sehr klein, die Preise je nah Qualität 95—115 Lire. In Messina wird die voraus- fichtlihe Ernte im Durchschnitt auf nur etwa { der vorjährigen Ernte geshäßzt. Für Herbstlieferung werden 76 Lire die 100. kg ge- fordert. Jn Blas sind troy eines Scirocco-Tages, der obne eigent- lichen Schadea vorüberging, die Aussichten für das neue Grzeugnis dauernd gut. Heutige Preise lauten: Extrafino 95—100 Lire, Fino 90—95 Lire, mangiabile 85—90 Sire, corrente 75—78 Lire für den Doppelzentner erste Kosten. : |

Von der Weinernte erwartet man im allgemeinen ein zus friedenstellendes Ergebnis; von Krankheiten ist dieses Fahr wenig zu hören. In Bari haben seit Anfang August die Weinkulturen durhch Hagel und Peronospora Schaden gelitten. Auch die große Hißye hat Schaden angerichtet, indem ein großer Teil der Reben ihr Laub ver- lor. Aus Messina berihtet man von allen Seiten, daß die Wein- öde in diesem Jahre vorzüglih gediehen sind und voller Trauben hängen, sodaß man bei dem vorherrshend heißen Wetter auf eine nah Menge und Beschaffenheit des Weins ret gute Ernte rechnet, zumal die Reben bisher frei von allen kryptogamishen Krankheiten geblieben sind. In Palermo haben bisher {ädliche Einwirkungen auf die Pflanzungen nicht stattgefunden. Die warme Witterung begünstigt das Ausreifen der Trauben; es be- stehen somit beste Hoffnungen für eine an Güte und Menge recht zufriedenstellende Ernte. Die Preise für alte Ware hielten \ich in Anbetraht der nur noch ziemlich knappen Bestände recht fest und

stiegen zuleßt : i

15. Juli 1906 15. August 1906 29,30 Lire 30—31 Lire 20,04- - 35—37 „,

Die Knollen sind gut, gesund

Alcamo weiß 14° Balestrate weiß 14 für das Hektoliter erste Kosten.

Getreidebandel in Syrien und Palästina.

Der Kaiserliche Generalkonsul in Beirut berihtet unterm 6. d. M.: Die im Juli begonnene Ausfuhr von Weizen aus Syrien und Palästina nach Aegypten wurde im August in vollem Umfange fortgeseßt. Die zwischen diesen Ländern be- stehenden Dampferverbindungen genügen zur Bewältigung der Ausfuhr nicht annähernd, sodaß zahlreihe Segelschiffe ge- hartert werden mußten. Der Grund zu diesem bedeutenden Weizenexport nah Aegypten liegt in dem mittelmäßigen Ausfall der dortigen Getreideernte und in der dadur veranlaßten Preissteigerung, die die Getreideausfuhr nach Europa weniger gewinnbringend erscheinen läßt. Die Menge des im August aus Syrien nach Damiette Rosette und Alexandrien verfrahteten Weizens wird au 4000 Tonnen geschäßt. Hauptausfuhrhafen ist Haifa, das infolge der neuen Eisenbahnverbindung - eine beträchtliche Menge Weizen aus dem Hauran exportiert hat. Infolge der gesteigerten ägyptishen Nachfrage war der Weizenexport nach Europa gee