1863 / 171 p. 2 (Königlich Preußischer Staats-Anzeiger) scan diff

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sih mit Oesterreih und Preußen bezüglih ihrer polnischen Unter- thanen in Einvernehmen zu sehen. Die Depesche ersucht-den-Fürsten tetternih und den Grafen Apponyi, sh gegen Drouyn de Lhuy®s und Russell sehr bestimmt auf solche Weise auszusprechen, daß fein Zweifel über die Gesinnungen der Kaiserlichen Regierung übrig bleibe. Was die Konferenz betrifft, so konstatirt die Depesche vom . 18. Juni cine cinfach klare Thatsache, indem sie zu verstehen giebt, der Zusammentritt derselben hänge von der Theilnahme Rußlands ab. Aus der Ablehnung der Konferenz folgt nicht , daß dieses von uns gebilligt werde. Der Konferenzvorschlag is unserer Ansicht nach für die russishe Regierung vollklommen annehmbar. Graf Thun ‘ist telegraphisch beauftragt; sich in diesem Sinne auszusprechen und diese irrige Auslegung unserer Depesche zu berichtigen. Was die Gleich- stellung zwischen Galizien und dem Königreich Polen anbelangt, müssen wir jede Jnfinuation dieser Art mit Entschiedenheit zurück- weisen. Bezüglich der von Rußland vorgeschlagenen Form von Ver- cinbarung bemerkt die Depesche, daß das zwischen den drei Kabinetten von Wien , London und Paris hergestellte Einverständniß zwischen | denselben ein Band bildet , von welchem Oesterreich sih jet nicht | loslösen kann, um abgesondert mit Rußland zu unterhandeln.

_ Die »General-Korrespoudenz aus Oesterreich« vernimmt: Bala- bine werde sich morgen auf etwa drei Wochen nach St. Peters- burg begeben, um neue Instructionen vom Fürsten Gortschakoff zu erbalten ¡ dessen Rüdlkehr dürfte Mitte August erfolgen.

Die »Wiener Abend-Post« is ermächtigt, die durch mehrere Blätter verbreitete Nachricht von einem Handschreiben des Kaisers von Rußland an den Kaiser von Oesterreih als unbegründet zu bezeichnen. î :

Gastein, 22. Juli. Se. Majestät der König von Preußen, welcher Salzburg heute Morgen 7% Ubr verlassen, ist. um 5% Uhr Abends beim besten Wohlsein hier eingetroffen.

Schweiz. Bern, 20. Juli. Die Botschaft des Bundesraths

an die cidgenössischen Räthe über die aargauer Judensfrage ist so eben bekannt geworden. Die Frage, ob die aargauischen Jsraeliten wirk- lich das volle Kantons - Bürgerrecht besißen, will der Bundesrath nicht entscheiden, sondern das Recht ihrer Entscheidung den Behörden

des Kantons Aargau zugestehen; dagegen nimmt er das Recht der. |

endgültigen Entscheidung , ob die aargauschen Jsraeliten schweizer Bürger seien, nur allein für die Bundesbehörden in Anspruch. Der Bundesrath stellt daher in erster. Linie den Antrag: »Der Bunde®- rath wird eingeladen, gemäß dem Beschlusse der Bundesverjamm-

lung vom 24. September 1856, die Vollziehung des aargauischen Geseßes vom 27. Juni 1863, so weit es mit jenem Beschlusse im Widerspruche steht , zu sistiren und darüber zu wachen , daß der Kanton Aargau den daselbst seßhaften schweizerischen Jsraeliten die Ausübung der politishen Rechte in eidgenössischen und kantonalen

Angelegenheiten nicht länger vorenthalte.« »Die gegenwärtige Sach- lage « , fährt der Bundesrath in seiner Botschaft dann fort j » läßt es aber wünschbar erscheinen, daß auch die Kantons-Gemeindebürger- rechts-Verhältnisse der aargauischen Israeliten einmal ins Klare ge- seßt werden.« Er gedenkt daher die Behörden des Kantons Aargau aufzufordern , eine bestimmte Erklärung abzugeben , ob fie in Ge- mäßheit des Bundes8geseßes über die Heimatlosigkeit die aargauischen Israeliten als Kantons - Angehörige anerkennen wollen. Sofern leßteres von den aargauischen Behörden bestritten werden sollte, so würde der Bundesrath nähere Untersuchung einleiten und diese An- gelegenheit ganz auf dem Wege des Bundesgeseßes vom 3. Dezem- ber 1850 vereinigen. Daher er in zweiter Linie folgenden Beschluß beantragt: »Der Bundesrath wird ferner eingeladen, in Gemäßheit des Bundesgesches über die Heimatlosigkeit vom 3. Dezember 1850 die Frage der Einbürgerung der aargauischen Israeliten im Auge zu behalten.« (Köln. Ztg.)

Belgien. Brüssel, 21. Juli. Die kirchlihe Feier des 32. Jahrestages der Thronbesteigung Leopold's 1. is heute vor sich gegangen. Der König selbst in Begleitung des Herzogs und der Herzogin von Brabant wohnte dem Tedeum in der Kathedrale seit langer Zeit zum ersten Male bei. Der heutige »Moniteur« pro- klamirt die Befreiung der Schelde auf alle Zeiten. (Köln. Z.)

Großbritanuien und Jrland. ‘London, 21. Juli, Ihre Königlichen Hoheiten der Prinz von Wales und Gemahlin befinden sich seit gestern in Osborne, woselbst sie einige Tage zu ver- wveilen beabsichtigen. i |

Die Herzogin von Cambridge und ihre Tochter, Prinzessin Marie, sind nah Deutschland abgereist, um die nächsten Wochen auf dem Schlosse Rumpenheim zuzubringen. L

Der deuts{-englishen »Korrespondenz« geht aus verläßlicher Quelle die Nachricht zu, daß die Mittheilung der »Post« Über den Tod Lord Clyde's nicht begründet ist, daß sein Zustand gestern Abend zwar noch sehr bedenklich war, aber daß er sich eher etwas wohler als \chlimmer gefühlt hat. |

pu der gestrigen Sihung des Unterhauses wurde auf Lord Pal- merston’ s Antrag die Tagesorduung, zu Gunsten des Antrages über

Polen, zurückgelegt. Mr. Horsman beantragte hierauf folgende Reso-

lution: »daß, nah der Meinung dieses Hauses, die durch den Wiener Ver, trag getroffenen, auf Polen bezüglichen Arrangements nicht vermocht haben, Polen eine gute Regierung zu verschaffen oder den europäischen Vrieden |

sicherzustellen; und daß jeder weitere Versuch, Polen unter die Bedingungen f

jenes Vertrages zu stellen , Polen Drangsale verursachen und Europa iy Verlegenheiten und Gefahr stürzen müßte.« Er hält zur Begründung dieses Antrags eine lange Rede. Der Schatzkanzler kritisirt Horsmans Rede und charakterisitrt fie als durchaus sanguinish und \pekulativ. Er leugnet, daß Rußland keinen Anspruch auf die Sympathieen Europa's habe , und macht auf den Unterschied zwischen den Jdeen und Tendenzen desg Kaisers Alexander Il. und des Kaisers Nikolaus aufmerksam. * Dey wohlwollende Charakter Alecxander's lasse eine friedliche Lösung der polnischen Frage hoffen. Mr. P. Hennessy unterstüßt den An, trag unter anderen Gründen, damit, daß er die Stimmung aller Klassen im Lande für sih habe, und daß auch in Oesterreich eine ähnliche Stim, mung herrsche. Mr. Kinglake, Mr. Peacocke, Mr. New degate u. q. Mitglieder bekämpfen den Antrag, indem die Regierung nicht anders habe handeln können als sie bis jeßt gehandelt hat, und daß man ihr die Ver. antwortlichkeit für die Zukunft sehr wohl überlassen könne. Lord Pal. merston sagt: Mein sehr ehrenwerther Freund hat wie immer mit großem Talent gesprochen, aber es scheint mir, daß er im Verlauf seiner Rede we niger folgerichtig sprach als gewöhnlich, und daß namentlich sein Antrag nicht ganz mit feiner Rede stimmt. Die Pointe seiner Rede ist, daß bloße diplomatische Vorstellungen machtlos und nußtlos seien, wenn ihnen keine Anwendung physischer Gewalt folgt. Er schien mir die Macht der öffentlichen Meinung abzuleugnen. Nun, ich habe immer gedacht, daß die Macht der öffent: lichen Meinung beinahe der Waffengewalt gleichkomme, und daß sie mit ihrem Einfluß auf die Handlungsweise von Jndividuen und Regierungen cin gewaltiger Hebel ist, leidet keinen Zweifel. Was sich heutzutage begiebt, ist ein schlagender Beweis von der Größe ihrer Macht, denn in den Erörte- rungen von 1831 und 1832 leugnete die russische Regierung, daß wir irgend ein Recht hätten, auf Grund des Wiener Vertrages ihr wegen der polni- schen Angelegenheiten Vorstellungen zu machen. Heutzutage aber stellt ih Rußland auf einen ganz anderen Boden. Der Meinung so vieler euro- päischen Mächte nachgebend, erklärt es sich gewillt, auf Erörterungen wegen Polen auf dem Boden des Vertrages einzugehen. Hiermit ist ein großer Schritt gewonnen. Ferner muß ih bemerken, daß Rußland die Herrschaft in Polen nicht aus Englands Händen erhalten hat, wie mein Freund be- hauptet, sondern Rußland hatte Polen inne und weigerte sich, es herauszugeben, so daß der Wiener Vertrag das beste Arrangement war, das sich unterjenen Um- ständen treffen ließ. Das Arrangement wurde vom Kaiser von Rußland im Interesse Polens getroffen , denn er ließ sich vom Fürsten Czar- toryski leiten. Manche halten es für unmöglich, daß eine freie Verfassung in Polen neben einem despotisch regierten Rußland bestehen könnte, aber ih kann die Richtigkeit der Behauptung nicht einsehen. Nicht jene angebliche Unmöglichkeit, sondern die Willkür des damaligen Großfürsten Konstantin, so wie die nachherige Sinnesänderung des Kaisers Alexanders 1. war es, was zur Suspendirung der polnischen Constitution und dann zur Erhebung von 1831 geführt hat. Mein Freund sagt, wir hätten keine Wahl, als ent- weder uns vollkommen passiv zu verhalten oder auf der Wiederherstellung Polens in seinen ehemaligen Grenzen zu bestehen. Ja, wenn alle europäi schen Mächte bereit wären, Krieg mit Rußland anzufangen, um es zur Her- ausgabe aller polnischen Gebiete zu zwingen, dann könnte ih den Gedanken begreiflich finden. Aber es ist klar, daß sich ein Ziel nicht durch die Kraft der Ueberredung, sondern nur durch Gewalt oder gar nicht erreicht werden kann. Der einzige Grund, der uns oder eine andere Macht berechtigt, wegen Polens mit Rußlandzu reden, ist der Wiener Vertrag. Wie wir über den Vertiag hinausgehen, haben wir Forderungen erhoben, denen sich nur durch Krieg und zwar glüd- lichen Krieg Geltung verschaffen läßt. Nun, Jhrer Majestät Regierung ist nicht bereit, diese Bahn einzuschlagen. Nachdem mein ehrenwerther Freund lange dem Krieg das Wort geredet hat, bleibt er doch bei seiner Resolution stehen , die darauf hinausläuft, daß wir der russischen Regierung erklären sollen, der Wiener Vertrag, so weit er Polen betrifft, sei erloschen, daß wir also nur des Rechts, den Russen Vorstellungen zu machen, begeben sollen, Ich kann nicht begreifen, wie so wir den Polen damit helfen würden. Wir haben jet ein Recht, zu den Russen zu sagen: »Nach dem zweiten Para- graphen jenes Artikels seid Jhr verpflichtet zu thun, was Oesterreich und Preußen in Galizien und Posen gethan haben , nämlich Euern polnischen Unterthanenen eine nationale Vertretung und nationale Jnstitutionen zu geben«. Den Augenblick, da wir erklären, daß der Wiener Vertragsartikel Uber Polen seine Geltung verloren hat, sagt Rußland: »Tch nehme an, was Jhr zugebt , ih halte Polen nicht mehr kraft des Vertrages , sondern kraft der Eroberung. Es isst mein durch das Recht des Schwertes , rühre dran wer es wagt. Jch habe das Recht, es eben so bedingungslos zu behal- ten, wie irgend einen Theil des großen Reiches, das der russischen Krone gehört! « Es scheint mir, daß dies, weit entfernt, ein Vortheil für die Polen zu sein, sie nur gebunden der Gnade oder Ungnade eines General Murawieff oder anderer Russen preisgeben würde. Die Meinung des Hauses und des Landes auch die Meinung Europa’'s war, daß eine oder die andere Art von Vorstellungen an Rußland gerichtet werden mußte. Und ich glaube) es widerspricht den gewöhnlichsten Begriffen vom Menschenleben, zu sagen, daß man gar keine Vorstellung erheben und gar nicht unterhandeln dürfe, außer wenn man bereit ist, im Falle die Diplomatie den gewünschten QZweck nicht erzielt, sogleih zu den Waffen zu greifen. Man hat außerdem gesagt daß es den Polen keine Befriedigung gewähren würde, wenn Rußland den Vorschlägen der Mächte seine Genehmigung gäbe. Jch sehe keinen Grund für diese Ansicht. Die Lage der Polen wäre sehr verbessert , wenn sie wieder in die Stellung verseßt würden , die ihnen der Wiener Vertrag angewiesen hat. Dann heißt es auhch, wir hätten etwas aanz Un- ausführbares —- nämlich einen Waffenstillstand empfohlen. Aber kann Jemand die von beiden Seiten in Polen begangenen Grausam- keiten ansehen, ohne eine mindestens zeitweilige Waffenruhe zu wünschen? Ich denke, es war der Mühe werth, den Versuch zu machen, und wix hätten unsere Pflicht verabsäumt, wenn wir den Versuch, einen Waffenstillstand zuwege zu bringen, unterlassen hätten. Auf Rußland fällt die Verantwort-

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lichkeit, ihn abgelehnt zu haben. Obgleich die russische Regierung sagt, sie habe son den Entschluß gehabt, einige der anderen Punkte auszuführen, so bald die Ruhe wieder hergestellt sei, so glaube ih, daß keine ersprießliche Unterhandlung wegen der anderen Punkte stattfinden kann, wenn wir nicht auf eine oder die andere Weise dem furchtbaren Blutvergießen ein Ziel seßen, Das Haus wird sicherlich nicht jegt schon erwarten, daß wir sagen sollen, welchen Weg wir in dieser Sache einschlagen werden. Nur Eines kann ich sagen. Da wir unsere Mittheilung an Rußland im Einvernchmen mit der französischen und österreichischen Regierung gerichtet haben, wird es unsere Pflicht sein, uns mit diesen Regierungen über die von allen drei Mächten erhaltene Antwort in Korrespondenz zu seßen; und ih bin überzeugt, daß das Verhalten von Jhrer Majestät Regierung vom Parlament und dem Lande gebilligt werden wird. Mr. Horsman vertheidigt sih gegen cinige Mißdeutungen, die seine Rede erfahren hat, zieht aber den Antrag zurück.

Die russische Antwort auf die englische Note vom 17. quini, welche dem Parlament in der Sihung vom 20. d. vorgelegt wurde, hat folgenden Wortlaut :

: Fürst Gortschakoff an den Baron Brunnow. Petrrobutg; 1. ZUli.

Herr Baron! Lord Napier is angewiesen worden, mir die beiliegende Depesche des ersten Staatssecretairs Jhrer britannischen Majestät vorzulesen und eine Abschrift derselben zu hinterlassen, Mit Freuden vernehmen wir, daß Lord Russell mit uns die unfruchtbare Natur einer verlängerten Contro- verse über den Sinn des 1. Artikels des Wiener Vertrages einräumt und eben so wie wir die Frage auf einen Boden zu stellen sucht, welcher mehr Gelegenheiten bietet, zu einer praftischen Lösung zu gelangen. Che wir un- seren Standpunkt auf diesem Boden einnehmen, halten wir es füt zweckmäßig, unsere gegenseitige Stellung in eln klares Licht zu seßen. Das Kaiserliche Kabinet gibt im Prinzip zu, daß jede einen Vertrag Ünterzeichnende Macht das Recht hat, den Sinn desselben von ihrem eigenen Gesichtspunkte auszu- legen, vorausgeseßt, daß jene Auslegung sich innerhalb der Grenzen desjeni- gen Sinnes hält, welchen man ihm vermöge des Wortlautes selbst geben kann. Kraft dieses Grundsaßes bestreitet das Kaiserliche Kabinet dieses Recht feiner der aht Mächte, welche an den allgemeinen Verhandlungen zu Wien im Jahre 1815 Theil genommen haben. Die Erfahrung zwar hat darge- than, daß die Ausübung eines solhen Rechtes zu keinem praktischen Resul- tate führt. Die bereits im Jahre 1831 gemachten Erfahrungen hatken wei- ter keine Wirkung, als daß sie die Verschiedenheiten der Meinungen be- urkundeten. Troßdem besteht dieses Recht. Es erstreckt sich so weit, wie die oben angegebenen Grenzen reichen, und kann keinen weiteren Kreis für sich beanspruchen, wenn nicht der am unmittelbarsten dadurch berührte kontrahi- rende Theil ausdrücklich seine Einwilligung dazu giebt. Demgemäß hing es von dem Kaiserlichen Kabinet ab, ob es an der strengen Anwendung dieses Prinzips Angesichts des im Monat April in Bezug, auf die im Königreiche Polen stattgehabten Ereignisse ihm gegenüber beobachteten Verfahrens fest- halfen wollte. Wenn es in Folge jener Aufforderung sich weiter auf den Gegenstand einließ, so lag der Grund dazu durchaus in seiner vollkommenen Bereitwilligkeit, in versöhnlichem Sinne zu wirken und eine Aufforderung, die einen ähnlichen Charakter trug, in geziemender Weise zu beantworten. Ein anderer Grund war, wie ich hier hinzufügen will, daß in den Wünschen, welche Se. Majestät der Kaiser für seine polnischen Unterthanen hegt, gar fein Anlaß für uns liegen konnte, sie vor dem Lichte des Tages zu verber- gen. Dieser Punkt ward von Ew, Excellenz so klar wie möglich hervor- gehoben , als Sie den ersten Secretair Jhrer britannischen Majestät davon in Kenntniß seßten, daß das Kaiserliche Kabinet bereit sei, sih auf einen Ideen - Austausch über die Basis und innerhalb der Grenzen der Verträge von 1815 einzulassen An dieser Erklärung halten wir fest und meine De- pesche vom heutigen Tage wird den besten Beweis davon liefern, daß wir in derselben Richtung verharren. Indem wir so den eigentlichen und ein- zigen Charakter der von uns an das englische Kabinet gerichteten Einladung bestätigt haben , wollen wir uns erlauben, nah Lord Russell's Beispiel den Bemerkungen, welche mir Se. Eicellenz zu machen haben , einige Betrach- tungen als Erwiderung auf die Fragen , die er erörtert und zum Beginn vorgeschlagen hat; vorauszuschicken.

Der erste Staats-Secretair Jhrer britischen Majestät sagt, der feste Boden der Regierung sei in jedem Falle das Vertrauen, das sie den Regierten ein- flößt und die Macht des Geseyes über die Elemente der Willkür müsse die Grundlage für Ordnung und Stabilität sein. Apriori unterschreiben wir diese Säge, Wir wollen nur das in Erinnerung bringen, daß deren uner- läßliche Beigabe die Achtung der Autorität ist. Das Vertrauen, welches die Regierung den Regierten einflößt, hängt nicht nur von der Vortrefflichkeit ihrer Absichten ab, sondern auch von der allgemeinen Ueberzeugung, daß sie auc die Macht hat, ihren Willen durchzuseßen. Wenn Lord Russell behaup- tet, daß partielle Tumulte, geheime Verschwörungen und die Einwirkung kos- mopolitischer Ausländer eine Régierung nicht erschüttern werden, welche auf dem Vertrauen und auf der Achtung vor dem E beruht, so wird er doch zugeben, daß weder Vertrauen noch geseßliches Verhalten möglich sein würde, wenn die Regierung einem Bruchtheil des Volkes das Recht ein- raumen wollte, sih anderswo her als von der geschlich eingeführten Auto- rität, durch bewaffnete Empörung, welche durch feindliche oder fremde Parteien geshürt wird, das Wohl und Gedeihen zu suchen, das ohne Hülfe auswär- liger Tnspirationen, nach ihrer Erklärung, nicht zu verwirklichen is. Lord Russetl legt uns sech8s Punkte vor, die er für geeignet hält, die Pacification des Königreichs Polen herbeizuführen. Dabei hat Jhrer britischen Majestät erster Staatssecretair zum Theil die in meiner Depesche vom 14. April auf- gestellten Ansichten angenommen. Das is} ein Austausch der Gedanken, und an der Form des Ausdrus finden wir nichts auszusetzen. Ich habe in jener Depesche die von unserem ‘erhabenen Herrn aufgestellten Grundsäße des prak- fischen Verhaltens, so wie Sr. Majestät Absicht, Weiteres zu gewähren, so- bald die getignete Yeit gekommen zu sein scheine, klar angedeutet. Bei der Vergleichung dieser Ansichten mit seinen eigenen wird Lord Russell sich über- deUgen, daß der größere Theil der Maßnahmen, welche er getroffen wissen will, bereits von unserem erhabenen Herrn dekretirt oder doch angebahnt ist. Der erste Staatssecretair Jhrer britischen Majestät drückt die Hoffnung aus, daß die Annahme dieser Maßnahmen zur vollständigen und dauern-

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den Pacification des Königreichs Polen führen werde.

im Stande, diese Hoffnung ohne gewisse Vorbehalte zu theilen. So wíîe wit die Sache ansehen / muß der Reorganisation des Königreichs uhter allen Umständen die Wiederherstellung der Ordnung im Lande vorangehen, Dieses Resultat hängt von einer Bedingung ab, auf welche ih die Regierung Jhrer britischen Majestät aufmerksam gemacht habe und welche nit nur Uner- füllt, sondern nicht einmal in der Depesche Lord Russell's berührt is. Wir meinen die materielle Unterstüßung und moralische Ermuthigung, welhe den Aufständischen von außen zu Theil wird. Wir wissen niht, aus welchen Quellen die Regierung Jhrer britischen Majestät die Jnformationen für ihre Beurtheilung der polnischen Zustände erhält; wir müssen aber annehmet;/ daß sie nicht unparteiish sind, Wir sehen in der That, wie Lord Russell eine Art von Aehnlichkeit konstatirt zwischen den Nachrichten, wélche das » Journal de St. Petersbourg« nach den unter Aufsicht und Verantwortlich- keit des anerkannten Regierungs-Agenten gelieferten Feststellungen veröffént- licht, und der Tnformation jeder Art, welche die Londoner Blätter ohne Schei- dung und irgend welche Bürgschaft den höchst verdächtigen Publicationen der polnischen revolutionairen Presse entlehnen. Das Vertrauen zu diesen Publi- cationen hat mehr als sonst Bekanntmachungen zu Tage gefördert, welche, kroßdem daß die Tagesereignisse sie ausdrülich Lügen \traften, dazu beige- tragen haben, die öffentliche Meinung in England zu mißleiten, Jn dieser Hinsicht sind gegen die braven russischen Soldaten , welche in Polen eine s{mérzliche Pflicht mit Hingebung und Selbstverläugnung erfüllen, Verleum- dungen und- Schmähungen verbreitet worden , welche ganz Rußland mit tiefer Entrüstung empfunden hat. Wenn Lord Russell genau von dem, was im Königreich Polen vorgeht, unterrichtet wäre, so wünde er, wie wir, wissen, daß die bewafsneté Empörung überall, wo sie auch immer Konsistenz zu ge- winnen, sich ein sihtbares Haupk zu geben suchte, stets zermalmt worden ist. Die Massen haben sich von ihr fern gehalten, die ländliche Bevölkerung be- weist ihre offene Feindseligkeit wegen der Unordnungen, durch welche die Agi- tatoren die industriellen Klassen ruiniren. Der Aufstand erhält sich allein durch einen Terrorismüs, wie er noch nie in der Geschichte vorgekommen, Die Banden werden hauptsächlich aus Elementen refrutirt, welhe dem Lande fremd sind. Sie sammeln sich in den Wäldern und zerstreuen fih bei dem

an anderen Orten wieder zusammenzufinden.

Wir sind nit

ersten Angriffe, um sich Werden sié zu hart bedrängt, so gehen sie Über die Grenze, um an einem anderen Punkté wiedex ins Land herein zu fommen. In politischer Be- ziehung is das ein Bühnen - Effekt, mit dem man auf Europa wirken will, Das Actionsprinzip der leitenden Comité’'s von außerhalb ist, die Agitation um jeden Preis aufrecht zu halten, um der Presse fortwährend Stoff zu Berichten zu liefern, die öffentliche Meinung zu täuschen und zur Plage der Regierung eine Gelegenheit oder einen Vorwand zu einer diplomatischen „ntervention zu geben, welche zur militairischen Action führen folle. Alle Hoffnung des bewaffneten Aufstandes ist darauf gerichtet; darauf hin haft er von Anfang an gearbeitet. :

Lord Russell wird zugeben , daß bei dieser Lage die Maßregeln , welche er uns anempfiehlt, sich nur mit Schwierigkeit prafktisch zur Anwendung bringen lassen würden, Der größere Theil, ich wiederhole es, is bereits de- Fretirt worden ; die Lage des Landes aber hat bis jeßt ihre Ausführung pa- ralysirt. So lange dieser Zustand der Dinge fortbesteht , werden dieselben Ursachen dieselben Wirkungen hervorbringen. Die Anwesenheit bewaffneter Banden , der Terrorismus des Central - Comités und das Auftreten einés unmittelbaren Druckes von außen würden zudem diesen Maßregeln die Zeit- geimnäßheit , die Würde und die Wirksamkeit nehmen , welche wir uns von ihnen bei ihrer freiwilligen Annahme versprechen könnten. Ja wir gehen noch weiter. Selbst wenn sie in dem vollen Umfange, den sie nach der Ab- sicht des ersten Staatssecretairs Jhrer britannischen Majestät haben sollen, zur Ausführung kommen fönnten, würden wir durchaus keine Aussicht darauf haben, das Resultat, welches er im Auge hat, nämlich die Wieder- herstellung des Friedens im Lande, zu erreichen. Wenn Earl Russell auf- merksam den Erzeugnissen jener Presse folgt, welche der polnischen Rebellion ergeben ist, so muß er wissen, daß die Insurgenten weder Amnestie, noch Autonomie, noch eine mehr oder weniger vollständige Vertretung verlangen. Selbst die vollständige Unabhängigkeit des Königreichs würde für sie nur ein Mittel zur Eireichung des eigentlichen Zieles ihrer Bestrebungen sein, Dieses Ziel is die Herrschaft über Provinzen, in welchen die ungeheure Majorität der Bevölkerung dem Volksstamme oder der Religion nach aus Russen besteht; mit Einem Worte: ein bis nach beiden Meeren fih er- streckendes Polen, welches unausbleiblih einen Anspruch auf die polnischen Provinzen im Gefolge haben würde, die anderen benachbarten Mächten ge- hören. Wir wollen hier kein Urtheil über diese Bestrebungen fällen,

_ Es genügt für uns zu zeigen, daß sie vorhanden sind und daß die pol- nischen Jusurgenten fein Hehl daraus machen ; das Resultat , zu dem fie s{hließlich führen würden, kann nit zweifelhaft sein. Es würde ein allge- meiner Weltbrand werden , den die in allen Ländern zerstreuten Elemente der Unordnung, welche eine Gelegenheit suchen , Alles in Europa auf den Kopf zu stellen , vershlimmern würden. Wir haben zu großes Vertrauen zu dem ersten Staats-Secretair Jhrer britannischen Majestät , als daß wir glauben könnten, er könne einen Zweck gut heißen, welcher eben so unver- träglich mit dem Frieden und dem Gleichgewicht Europa's, wovon sich ja auch das Interesse Großbritanniens nicht trennen läßt, wie mit der Aufs rechtbaltung der Verträge von 1815 is , der einzigen Basis und dem ein- zigen Ausgangs8punkte der uns von ihm so eben gemachten Eröffnungen. Lord Russell citirt eine von Lord Castlereagh erzählte Stelle aus einer Uni an. welche dieser Staatsmann im Jahre 1815 mit dem Kaiser Alexander k. hatte. Es geschieht darin des von diesem Herrscher gehegten Planes Erwähnung, das Herzogthum Warschau »mit den ehedem zerstücel- ten und zu einem Königreich unter der Herrschaft Rußlands verwandelten polnischen Provinzen unter einer in Einklang mit den Wünschen des Volkes stehenden Verwaltung« zu vereinigen. Es war das ein vorübergebender Gedanke des Kaisers Alexander 1. , ein Gedanke, welchen jener Herrscher nicht zur Ausführung brachte, als er im Stande war, die Juteressen seines Reiches reiflicher zu erwägen. Jedenfalls muß diese Frage selbst in einem sich innerhalb der: Grenzen der Verträge von 1815 bewegenden

Jdeenaustausch ausgeschlossen werden, Die einzige Bestimmung dieser