1886 / 85 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 08 Apr 1886 18:00:01 GMT) scan diff

decke ist von den Feldern noch nicht gänzlich geschwunden, so daß fih zur Zeit kein Urtheil über den Stand der Saaten fällen läßt. Die Frühjahrsbestellung wird spät beginnen, weil der Boden sehr tief gesroren ist und längere Zeit erforderli sein wird, bis der Frost aus dem Boden s{hwindet. Fans Volo, s

1) Reg.-Bez. Posen: Die Wintersaaten haben sich unter dem Schuß einer warmen Schneedecke gut gehalten und lassen eine kräftige Entwickelung erwarten. Weniger günstig sind die Aussichten für die Sommersaaten und Gewächse, da das späte Frühjahr und die zur Zeit auf dem Felde herrschende Nässe die Frühjahrsbestellung sehr verzögert und ershwert.

2) Reg.-Bez. Bromberg: Der gegenwärtige Stand der Saaten fann im Allgemeinen als günstig bezeichnet werden. Allerdings sind die Felder erst in den leßten Tagen schneefrei geworden, und die Vegetation zeigt kaum erst Spuren des Wiedererwachens. Die Frühjahrsbestellung hat bisher noch niht in Angriff genommen werden können.

Provinz Schlesien.

1) Reg.-Bez. Breslau: Soweit die Wintersaaten \ich zeigen, lassen dieselben erkennen, daß sie ohne Schaden und gut bestockt durch den Winter gekommen sind. Der starke an- BatiGite Frost dieses Winters, bei welchem das Erdreich fuß- tief gefroren war, und die jeßt eingetretene Nässe haben die Vorbereitung und Fnangriffnahme der Frühjahrsbestellung bis jeßt unmöglih gemaht und werden diejelbe auch noch auf Wochen hinaus verzögern, so daß für die Sommerfrüchte nur eine verhältnißmäßig kurze Entwickelungsperiode ver- bleiben wird. ;

2) Neg.-Bez. Liegniß: Der strenge Nachwinter hat bei dem Vorhandensein einer s{hüßzenden Schneedecke den im Allgemeinen günstigen Stand der Saaten nicht zu schädigen vermocht. Die Aussichten für die Fortentwikelung der Winter- saaten sind daher als zufriedenstellend zu bezeihnen. Dagegen verspätet sich die Frühjahrseinsaat wegen der auf den besseren Böden vorhandenen Nässe nicht unerheblich.

3) Reg.-Bez. Oppeln: Ein sicheres Urtheil über den gegenwärtigen Stand der Saaten läßt sich noch nit fällen, da das tief gesrorene Erdreih in der erst kurzen Zeit seit wärmerer Witterung noch niht vollständig aufgethaut ist. Die Frühjahrsbestellung hat in Folge der dauernden Kälte und des jeßt eingetretenen Thaumwetters erst stellenweise in Angriff genommen werden können.

i Provinz Sachsen.

1) Neg.-Bez. Magdeburg: Von den Wintersaaten bietet zur Zeit nur der Raps Aussichten für eine gute Ernte. Ebensowenig günstig wie für die Wintersaaten sind bisher die Aussichten für das Gedeihen der Sommerfrüchte, denn mit der Frühjahrsbestellung hat erst Anfang April begonnen werden können.

2) Neg. - Bez. Merseburg: Die Entwickelung der Wintersaaten is durch den ungewöhnlich lange anhaltenden Winter gegen die Vorjahre erheblih zurücgeblieben, und steht bei den gegenwärtigen günstigen Witterungsverhältnissen ein s{nelles Wachsthum und Gedeihen der Saaten zu erwarten. Auch die Frühjahrsbestellung ist dur das andauernde Winter- wetter hinausgeshoben worden.

3) Reg.-Bez. Erfurt: Die Saaten haben unter der shüßenden Schneedecke den anhaltenden strengen Winter im Allgemeinen gut überstanden. Die jeßt herrshende warme und sonnige Witterung fördert zie Frühjahrsbestellung, mit welcher jeßt rüstig vorgegangen wird.

Provinz Schleswig-Holstein.

Reg.-Bez. Schleswig: Jm Allgemeinen ist der Stand der Noggen- und Weizenfelder, sowie der Kleeschläge als ein befriedigender zu bezeihnen. Die Bestellung der Frühjahrs- saaten wird nit zeitig erfolgen können, da der tief einge- drungene Frost noch nicht überall gewichen ist.

Provinz Hannover.

1) Neg.-Bez. Hannover: Ueber den Stand der Saaten ist etwas Zuverlässiges noch nicht zu sagen, weil die Schnee- dede erst an einzelnen Stellen von den Feldern gewichen ist. Da aber der Schnee den Saaten im Allgemeinen während des mit lang anhaltendem Frost verlaufenen Winters eine wohlthätige Decke gewährt hat, so wird ein Grund zu be- sonderen Befürchtungen nicht vorliegen.

2) Reg.-Bez. Lüneburg: Jn welchem Umfange eine Schädigung der Saaten durch die Witterungsverhältnisse zu beklagen ist, läßt sich noch nicht feststellen; recht günstiges Wetter kann noch vieles wieder gut machen. Die Frühjahrs- arbeiten haben erst jezt in Angriff genommen werden können.

3) Neg.-Bez. Stade: Der Stand des Roggens auf der Geest ist im Allgemeinen gut, wenngleich der spät gesäete und derjenige in ungünstigen Lagen hin und wieder etwas gelitten hat. Fn den Marschen zeigen sämmtliche Winterfrüchte einen regelrechten dihten Stand.

4) Neg.-Bez. Osnabrück: Die im vorigen Herbst im Ganzen unter günstigen Witterungsverhältnissen gut zur Ent- wickelung gekommene Roggensaat hat si trotz des lange an- haltenden Frostes gut gehalten. Die Saat fängt „in Folge der mit dem Frühlingsanfang eingetretenen milden Witterung an, sih in gesunder grüner Farbe üppig zu entwickeln. Die Aerbestellungsarbeiten und die Arbeiten für die Frühjahrs- bestellung haben wegen des Frostes längere Zeit gänzlich ruhen müssen. Bei Fortdauer günstiger Witterung glaubt man, auf eine gute Ernte sih Hoffnung machen zu dürfen.

5) Reg.-Bez. Aurich: Augenblicklih läßt sich noch nicht mit Sicherheit beurtheilen, wie die Saaten den Winter über- standen haben. Es ist indeß zu hoffen, daß die starke Schnee- dede, welche ungewöhnlich lange auf den Feldern gelegen, den nachtheiligen Einfluß der strengen Kälte auf die Wintersaaten erheblich gemildert hat. Mit der Frühjahrsbestellung hat unter diesen Wikterungsverhältnissen ein Anfang seither nicht gemacht

werden können. Provinz Westfalen.

1) Neg.-Bez. Mün ster: Durh den anhaltend scharfen Frost haben die Wintersaaten mehr oder weniger gelitten. Daher ist die Entwickelung der Saaten gegen frühere «Fahre erheblih zurückgeblieben ; doch steht zu bofen, da warmes, von Wind und Regen begleitetes Wetter eingetreten ist, daß die Saat fih wieder erholen wird. Die eben erwähnte günstige Witterung hat denn auch wenigstens den Anfang der Früh- jahrsbestellung ermöglicht.

__ 2) Neg.-Bez. Minden: Wo eine Schneedecke shüßend die Saaten vor den Wirkungen der strengen Fröste bis zum Beginn des anhaltenden Thauwetters bewahrte, haben die- selben nur en gelitten, mehr jedoch an shneefreien Stellen und an solchen Lagen, an welchen die Sonne am Tage die Erde erweichte, während sie des Nachts wieder fror. Ueber die Größe des Schadens läßt sih jedoch zur Zeit noch kein

bestimmtes Urtheil fällen; ein gutes Frühjahr kann noch vieles wieder gut machen. Die Frühjahrsbestellung ist durch den lang anhaltenden Frost sehr verzögert worden und hat erst vor Kurzem beginnen können. S ;

3) Reg.-Bez. Arnsberg: Wie weit die Wintersaaten dur den anhaltenden Frost gelitten haben, läßt sich im Ge- birge noch nicht übersehen. Fn der Ebene jedoh hat nament- lih der Roggen sehr gelitten. Die Frühjahrsbestellung ist durch die lange Dauer des Winters sehr verkürzt. Jm Ganzen kann gesagt werden, daß, im Fall ein günstiges Frühjahr ein- tritt, der shwere Winter noch ohne zu große Schäden vorüber-

gegangen ist. Provinz Hessen-Nassau. : e

1) Reg.-Bez. Kassel: So viel sich deut beurtheilen läßt, u der anhaltende und starke Frost den Roggen- und Weizen- aaten nicht geschadet; denn dieselben waren meist dur eine dide Schneedecke geshüßt. Ueber den Stand des Klees und Rapses läßt sich noch nicht sicher urtheilen; im Ganzen aber liegt kein Grund zu Besürchtungen für die nächste Ernte vor; das seit 14 Tagen herrschende höne Frühjahrswetter ohne Nachtfröste wird sehr günstig wirken. E

2) Reg.-Bez. Wiesbaden: Darüber, wie die jungen Saaten den Winter überstanden haben, läßt sich wegen des späten Abganges der theilweise sehr hoch gewesenen Schnee- decke noch nichts Bestimmtes angeben; doch ist zu vermuthen, daß dieselben unter der Schneedecke dur den strengen Frost nicht beschädigt worden sind.

Rheinprovinz.

1) Reg.-Bez. Koblenz: Die Wintersaaten haben an- scheinend, Dank der shütßenden Schneedecken, troß der strengen Kälte im Allgemeinen nicht gelitten, so daß ihr jetziger Stand, wenn auch zurückgeblieben, doch zu besonderen Befürchtungen

keinen Anlaß giebt. : / 2) Reg.-Bez. Düsseldorf: Der Stand der Winter-

saaten ist dem ungünstigen Winter entsprehend ein sehr .

mangelhafter; am meisten gelitten hat Naps, auch der Klee ist vielfach total erfroren. Die Frühjahrsbestellung hat erst in den leßten Wochen begonnen werden können und befindet sich im Vergleich zu früheren Jahren noch sehr im Rückstande.

3) Reg.-Bez. Aachen: Der lange und strenge Winter ist für die Delsaaten verderblich und vielfah auch für die Kleefelder s{hädlih gewesen. Ob auch die Weizen- und Roggen- saaten gelitten haben, läßt sich zur Zeit noch nicht beurtheilen ; wo die Saaten eine shüßende Schneedecke hatten, da sind sie anscheinend gut durch den Winter gekommen. Jn den Flach- landskreisen hat mit der Frühjahrsbestellung erst gegen Ende März begonnen werden können, und ist dieselbe daher gegen andere Jahre weit zurück. Jn den Eifelkreisen konnten wegen des dort noch lagernden Schnees die Arbeiten für die Früh- Eu überhaupt noch niht in Angriff genommen werden.

Reg.-Bez. Sigmaringen: Die Vegetation ist noch so weit zurüdck, daß ih gegenwärtig 1noch nit beurtheilen läßt, ob der anhaltende und starke Frost den Wintersaaten geschadet hat.

(Nachtrag folgt.)

Preußische Klassenlotter. e. (Ohne Gewähr.) Bei der heute beendeten Ziehung der 1. Klasse 174. Königlich preußischer Klassenlotterie fielen:

1 Gewinn von 15000 M, auf Nr. 71 297. 1 Gewinn von 9000 4 auf Nr. 63 487. 1 Gewinn von 3600 (4 auf Nr. 31 602. 2 Gewinne von 1500 6 auf Nr. 51 386. 53 581. 2 Gewinne von 300 4 auf Nr. 17017. 20 562.

' Das Königliche Polizei-Präsidium veröffentlicht folgende B e- fanntmachung:

Die Kaiserliche Verordnung, betreffend die Verwendung giftiger Farben, vom 1. Mai 1882 wird mit Auslafsung der durch Kaiserliche Verordnung vom 5. März 1823 außer Kraft geseßten §8. 2 und 3 hierdurch wiederholt zur öffentlihen Kenntniß gebracht:

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König

von Preutien u. \. w., ; verordnen im Namen des Reichs, auf Grund des §. 5 des Gesetzes vom 14, Mai 1879, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths, was folgt:

Giftige Farben dürfen zur Herstellung von Nahrungs- und Genußmitteln, welhe zum Verkaufe bestimmt sind, nicht verwendet werden. Giftige Farben im Sinne dieser Verordnung sind alle die- jenigen Farbstoffe und Zubereitungen, welhe Antimon (Spießglanz), Arsenik, Baryum, ausgenommen Schwerspath (\chwefelsauren Baryt), Blei, Chrom, ausgenommen reines Chromoryd, Cadmium, Kupfer, Quecksilber, ausgenommen Zinnober, Zink, Zinn, Gummigutti, Pikrin- säure enthalten.

S. 4. Die Verwendung der mit Arsenik dargestellten Farben zur Her- stellung von Tapeten, ingleichen der mit Arsenik dargestellten Kupfer-

| farben und der solhe Farben enthaltenden Stoffe zur Herstellung von

Bekleidungsgegenständen ist verboten. S. 0;

Das gewerbs8mäßige Verkaufen und Feilhalten von Nahrungs- und Genußmitteln, welhe den Vorschriften der S8. 1, 3 zuwider hergestellt, aufbewahrt oder verpackt sind, sowie von Spielwaaren, Tapeten und Bekleidungsgegenstänven, welche den Vorschriften der SS. 9, 4 zuwider hergestellt sind, ist verboten.

S

s Di s ¿ Diese Verordnung tritt mit dem 1. April 1883 in Kraft. , Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Berlin, den 1. Mai 1882. (L. 8.) Wilhelm.

von Boetticher.

„_ Neben den Bestimmungen dieser Kaiserlichen Verordnung bleiben bis auf Weiteres die in der nahfolgenden S2luei-Verordnung vom 29. November 1878 gesperrt gedruckten Säße und Bestimmungen au fernerhin in Kraft. ;

i Polizeiverordnung, betreffend die Verwendung \{chädliher Farben zum Färben von j Spielwaaren.

„Auf Grund des §. 11 des Geseßes vom 11. März 1850 über die Polizeiverwaltung verordnet das Polizeipräfidium für die Polizei- bezirke von Berlin und von Charlottenburg, was folgt * 5

S E

Zum Färben von Spielwaaren und Genußmitteln dürfen

A LOPGERAE und Farben, welche Antimon (Spießalanz), rsenik, Baryum(mit Ausnahme vonSchwerspat )), Blei, Chrom (mitAusnahme von Chromoryd), Cadmium, Kobalt, Kupfer, Molybdän, Nickel, Quecksilber (mit Ausnahme des reinen Zinnober), Uran, Wismuth, Wolfram, Zink (mit Aus- nahme von Zinkweiß in Form von Oel- und Lackckfarbe),

Zinn, fowie Gummigutti, Pikrinsäure und 5 haltige Anilin- und Naphthalinfarben enthalten tik: verwendet werden. , Nt

8. 2,

Ebenso dürfen Papiere und andere Stoffe, wels mit den im §. 1 genannten Präparaten und Farben färbt sind, zur Einhüllung von Genußmitteln e, verwendet werden. ai t

Wer die im §. 1_ bezeichneten Präparate und Farb zum Färben von Spielwaaren und Laenuhmittelu, wr zum öffentlichen Verkauf oder Verbrauch estimmt sing verwendet, ingleichen, wer Spielwaaren und Genußmitte]/ welche mit diesen Präparaten oder Farben gefärbt sin" verkauft oder feilhält, und wer Genußmittel, wel: mit derartig gefärbten Einhüllungen versehen find, verkauft oder feilhält, wird, wofern nit andere straf: gefeblihe Bestimmungen zur Anwendung kommen mit Geldstrafe bis zu 30 L oder im Falle des Unvermögenz mit verhältnißmäßiger Haft bestraft. x

Berlin, den 25. November 1878.

Königliches Polizei-Präsidium.

Zugleich wird nachstchend ein Verzeichniß der gebräuli schädlichen Farben, sowie der an Stelle derselben is verwen unschädlichen Farben veröffentlicht :

A. Schädliche Farben.

1) Blaue: Bergblau, blauer Streuglanz, Bremerblau, Esel Kobaltultramarin, unreine Smalte, Königsblau, Leithnerblau, Mineral: blau, Neuwiederblau (Kalkblau), Sächsiscbblau, unreines Thenardsblau

2) Gelbe: Antimongelb, Bleigelb, Chromgelb (chromsaures Blei), Englischgelb, Gummigutti, Jeaune brilant, Kasselergelb, Kölner: gelb, Massikot, Mineralgelb, Citronengelb, Neapelgelb, Neugelb Dperment (auri pigmentum), Rauschgelb, Persischgelb, Patentgelh, Parisergelb, Pikrinsäure, Schwefelkadmium (Kadiniumgelb), gelber Ültramarin, Zinkgelb.

3) Grüne: Berggrün, Braunshweigergrün, Bremergrün, Cassel- manngrün, Chromgrün (mit Ausnahme von Chromoryd), Englisch: grün, Gelbholzgrün, Grünspan, Kaisergrün, Kasselergrün, Laubgrün Mineralgrün, Mitisgrün, Moosgrün, Neapelgrün, Neuwiedergrün, Papageigrün, Parisergrün, Patentgrün, Oelgrün, Quercitrongrün. Scheele'|ches Grün, Schweinfurtergrün, Seidengrün, Wienergrün, Zinkgrün, grüner Zinnober (Berlinerblau mit chromsaurem Blei).

4) Nothe: Antimonzinnober (rother Spießglanz), arsenhaltiges Fuchsin (Anilinroth), Amaranthroth, Berlinerroth, Cochenilleroth, Chromroth, Kupferroth, Mennige (Minium), Pariferroth, Realgar, Chromorange, Wienerroth, bleihaltige Farblacke (sogenannter Gera- niumlack, GEosinlack). E

9) Weiße: Bleiweiß, Kremferweiß, Schieferweiß, Schneeweiß, Silberweiß, Zinkweiß, (Zinkoryd als Leimfarbe).

__0) Metallfarben: Goldbronze, unechtes Blattgold und Blatt- silber (Schaumgold und Schaumsilber), bleihaltiger Staniol. B. Unschädliche Farben.

1) Blaue: Alkaliblau, Anilinblau, Berlinerblau, Diesbaher- blau, Indigo, Indigocarmin, Indigolösung (Blautinktur), Lakmus, Neublau, Pariserblau, Saftblau, reine Smalte, Stahlblau, Ultra- märii, blaurr E

2) Braune: Bister, Kölnische Erde, Makhagonibraun, Mangan- braun, Rehbraun, Umbra.

9) Gelbe: Ambergergelb, Gelberde, Goldoker, Ockergelb, Schütt- gelb, Saffran-Surrogat, Lacke und Saftfarben aus Abkochungen von Berberißenwurzel, Curcuma, Fisetholz, Gelbbeeren, Ginster, Gelb- \hoten, Martinsgelb, Quercitron, Ringelblume (Calendula officinalis), Saffran, Wau.

4) Grüne: Berlinergrün, Grüneerde, Saftgrün, reines Chrom- oryd, Ultramaringrün, grüner Carmin, Anilingrün, Malachitgrün, Cichoriengrün, sowie Mischungen von nit \chädlichen gelben und blauen Farben. :

5) Rothe: Armenischer (rother) Bolus, Berlinerroth, Braun- roth, Blutftein (Caput mortuum), Eisen-Mennige, Carmin, Colco- thar, Drachenblut, Englischroth, Hausroth, Preußischroth, Polierrotk, arfenfreie Lacke und Sasftfarben, dargestellt aus Abkochungen von Alkermes (Scharlachbeeren), Cochenille, Fernambukholz, Krapp, Sandel- holz, Rubin, Zinnober.

6) Weiße: Gips, Kreideweiß, Schlemmkreide, vräparirter Spe- und Talkstein, Shwerspath, Permanentweiß (Blanckixe), weißer Thon, Zinkweiß als Oel- oder Lackfarbe.

7) Metallfarben: Cchtes Blattgold und VBlattsilber, Graphit.

Berlin, den 2. April 1886.

Königliches Polizei-Präsidium. von Richthofen.

Der Festakt, welchen das Dorotheen städtishe Real- Gymnasium heute aus Anlaß seines 50jährigen Jubiläums in der reich ges{chmücckten Aula abhielt, gestaltete ih zu einer un- gemein erhebenden Feier. Eine cbenso zahlreihe wie glänzende çestversammlung hakte sich in dem prächtigen Raum. vereinigt. Nachdem der Schülerhor mit dem Gesang der Motette „Da nahm Samuel einen Stein“ den Festakt eröffnet hatte, sprach Prof Thurein ein Gebet. Jn der Festrede würdigte sodann Direktor Schwalbe die Bedeutung des Tages und gab einen Rückblik auf die Geschichte der Schule, die vorher bereits als Privatshule 53 Jahre hindurch bestanden. Insgesammt haben bisher über 8000 Schüler unter 300 Lehrern an der Anstalt ihre Vorbildung erhalten. Im Auftrage des vorgeseßten Provinzial-Schulkollegiums überbrachte sodann Schulrath Gruhl Glückwünsche, händigte im Aller- hödhsten Auftrage dem Direktor Schwalbe, dem ersten Oberlehrer, Professor Flohr, der nah 33 jähriger Wirksamkeit an der Anstalt in den Ruhestand tritt, sowie dem Professor Schödler den Rothen Adler- Orden IV, Klasse ein und verkündete die Ernennung der Lehrer Dr. Theel und Dr. Peters zu Oberlehrern. Nachdem Direktor Schwalbe zugleich im Namen seiner Kollegen gedankt hatte, gab Stadt-Schulrath Fürstenau den Glückwünschen der Stadt Ausdru, indem er zuglei ein Bild der Entwickelung des höheren Schulwesens in Berlin überhaupt entrollte. Unter den zahlreichen Deputirten anderer Anstalten u. #. w., welche hierauf ihre Glückwünsche dar- brachten, befand sich auch eine Deputation der ehemaligen Lehrer und Schüler, die den Stiftungsbrief über eine Jubelgabe von 4700 M S aus welcher unbemittelte Schüler Stipendien erhalten ollen.

__ Brüssel, 7. April. (W. T. B) In Ninove (Ostflandern) sind Ruhestörungen vorgekommen. Äuf Ansuchen der dortigel Stadtbehörde find heute 600 Mann der Garnison von Gent mittelst Spezialzuges dorthin abgegangen.

Das Wallner-Theater bietet am Sonnabend bereits eine No- vität, obwohl „Hasemanns Töchter“ noch immer vielen Zuspruch finden. Die Zusage an den Autor und der Wunsch, Hrn. Emil Thomas in einer neuen efffektvollen Rolle vom Wallner-Theater Abschied nehmen zu lassen, machen es nothwendig, die Aufführungen des Lustspiels zu unterbrechen, und bringen am. Sonnabend „Die Spielkasse“, Schwank von Labiche, deutsch von Ad. Gerstmann, auf das Revertoire. Außer Hrn. Thomas sind die Herren Guthery, Meißner, Blencke, Alexander und Schönfeldt sowie Fr. Carlsen in den Hauptrollen beschäftigt.

I)

Redacteur: Riedel.

Verlag der Expedition (S olz).

Sechs Beilagen (eins{hließlich Börsen-Beilage)

Berlin:

Druck; W, Els nex-

M 85.

Erste Beilage zum Deulschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

Berlin, Donnerstag, den §. April

1886,

Nichtamtliches.

Preußen. Berlin, 8. April. Jm weiteren Verlauf der gestrigen (85.) Sißung des Reichstages erklärte bei fortgeseßter zweiter Berathung des Entwurfs eines Gefebes, betreffend die Unfall- und Kranken- versiherung der in land- und forstwirthshaft- lihen Betrieben beschäftigten Personen, der Abg. von Helldorff}: Die Belastung sei doch immer dieselbe, ob sie als Steuer oder als Prämie erhoben werde. Ein Zuschlag zur Grundsteuer werde keineswegs beabsihtigt. Man wisse von den Freisinnigen, daß sie niht mitthun wollten, sie wollten in der Negative verharren; weshalb also dieser Aufwand von Zeit und Redensarten? Er wäre eugerg, deren Vorschläge zu fennen, mit dem Haftpflichtgeseß sei doch den Arbeitern nicht gedient gewesen, die Privatversicherung reiche nicht aus. Wenn man die Lasten von den Schultern der Gemeinden auf die der Unternehmer legen wolle, so verfahre man damit durchaus gerecht.

;. 12 wurde angenommen.

L 13 handelt von der Aufbringung der Mittel für die Versicherung durch Zuschläge zur Grundsteuer.

Der Abg. Pr. Barth erklärte, seine Partei sei damit einverstanden, daß der Unternehmer die Kosten tragen solle. Andere Vorschläge aber könne fie nur auf Grund eines durchaus anderen Prinzips annehmen, und für dieses finde sie hier keine Majorität. :

Der Abg. von Reinbaben äußerte: Der Ausdru: Zu- shlag zu den Grundsteuern, wie er hier verlangt werde, habe feinen guten Klang. Wenn die Beiträge in Form der Ab- häßung erhoben werden sollten, so würde man bald feinen Schulzen oder Amtsvorsteher, der die Abshäßung ja aus- führen müßte, mehr finden. Die Vildung von Gefahren- klassen werde vielfach bei gleichartigen Betrieben ganz fortfallen fónnen, es sei überhaupt s{wierig, bei der Mannigfaltigkeit der landwirthschaftlichen Betriebe eine richtige Klassifizirung vor- zunehmen. Die Vorredner von der Linken ständen den sozialen Fragen kühl bis ans Herz hinan gegenüber, fie hätten mit einer gewissen Schadenfreude erklärt, auch diese sozialpolitische Vorlage werde wirkungslos verpuffen. Auch er habe die Be- fürhtung gehabt, daß die Landwirthschaft die Lasten bei der herrshenden Nothlage niht werde tragen können. Nachdem man aber zu der Erkenntniß gekommen sei, daß die Unfall- versiherung geregelt werden müsse, werde“ man die Kosten aufbringen und die Segnungen des Geseßes würden nicht ausbleiben. \

Der Abg. von Helldorff meinte: Die Deutschfreisinnigen hätten doch nur das Bestreben, die Jnteressen des Kapitals dadurh wahrzunehmen, daß sie bei der Anlage in Privat- gesellshaften O hohe Verzinsung erzielten.

Die Abgg. Schrader und Dr. Barth widersprachen dieser leßteren Auffassung, und führten aus, daß auch Grundbesiß Kapital sei und die moderne Geseßgebung mit Schußzoll und indirekten Steuern gerade den Grundbesiß begünstige.

Sämmtliche Paragraphen bis §. 46 wurden angenommen.

_§. 47 handelt von der Vertretung der Arbeiter in den Schiedsgerichten und lautet:

„Zum Zwecke der Theilnahme an den Entscheidungen der Schiedsgerichte, an den Unfall-Untersuhungen und an den Verhand- lungen des Reichs-Versicherungsamts werden Vertreter der Arbeiter berufen. Zur Vertretung der Arbeiter sind nur zu berufen männ- lihe, großjährige, auf Grund dieses Gesetzes versicherte Personen, welche in Betrieben der Genossenfchaftsmitglieder beschäftigt sind, ih im Besitz der bürgerlihen Chrenrechte befinden und nicht dur rihterlihe Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen be- [hränkt sind.“

Mit diesem Paragraphen werden die 88. 52 und 59a verbunden, die den Wahlimobus enthalten.

8. 52 bestimmt:

Jedes Schiedsgericht besteht aus einem ständigen Vorsißenden und aus vier Beisißern. Der Vorsitzende wird aus der Zahl der öffentlichen Beamten von der Centralbehörde des Landes ernannt. Zwei Beisitzer werden von der Genossenschaft gewählt. Die beiden anderen Beisißer werden von Seiten der Vertretungen der bethei- ligten Gemeinden oder weiteren Kommunalverbände nach näherer Bestimmung der Landes-Centralbehörde aus der Zahl der denselben angehörenden versiherten Personen berufen. Das hierbei zu beobachtende Verfahren wird mittels eines Regulativs bestimmt, welches dur das Reichs-Versicherungsamt oder dur die Landes- Centralbehörde oder die von derselben zu bestimmende andere Be- hörde zu erlassen ist. | :

q: Vle Regierungsvorlage wollte dagegen die beiden zweiten Veisißer nah näherer Bestimmung des Regulativs von den Nttretern der Arbeiter aus der Zahl der in den Betrieben der Genossenschaft beschäftigten, dem Arbeiterstande angehören- den versicherten Personen wählen lassen. :

Der Abg. Stolle empfahl die Fassung der Regierungs- vorlage als die für die Arbeiter gerectere. ;

Die Abgg. Strukmann, Dr. Buhl und Schrader kündigten für die dritte Berathung Abänderungsanträge für diese Para- graphen an.

=, Dec Abg. von Helldorff wendete sich gegen den Abg. Stolle und empfahl die Kommissionsfassung.

Der Abg. Kayser verlangte, wie sein Fraktionsgeno}se

lle, eine gerehtece Berüesichtigung der Arbeitervertretung in den Schiedsgerichten.

„_ Die Kommissionsbeschlüsse wurden angenommen; ebenso \âmmtliche Paragraphen bis 8. 90. j Ebenso wurden nah unwesentlicher Debatte die Para-

L

| Maphen bis 126 angenommen.

S, 126 a ift ein Zusaß der Kommission und lautet:

. »Die Bestimmung des §. 20 Absahz 2 des Krankenversicherungs-

(ees findet nur auf verheirathete Wöchnerinnen oder solche

Wittwen Anwendung, deren Entbindung nah dem Tode des Ehe-

mannes innerhalb des nah den Landesgeseßen für die Vermuthung

er ehelichen Geburt maßgebenden Zeitraums erfolgt.“

Der Abg. Kayser erhob gegen diesen Antrag Widerspruch, weil es nicht richtig sei, hierin die O Nen Kassen înders zu stellen, als die industriellen, weil für die Sozial- Seleßgebung das Bedürfniß, nicht die moralishe Würdigkeit De zu Unterstüßenden entscheidend sein müsse; man möge sich erin nit auf das „sittliche Noß“ seßen, und weil den

Krankenkassen, wo sie die Mittel hätten, freistehe, den Frauen ihrer Mitglieder die gleihe Wohlthat zuzuwenden.

Der Abg. Ackermann befürwortete den Kommissions- vorschlag.

Derselbe wurde angenommen. E

Bei F. 130, worin bestimmt wird, daß die Beiträge na ch den Bestimmungen des Krankenversicherungsgeseßes gezahlt werden sollen, beantragte der Abg. Struckmann Beschränkungen für verschiedene Arbeiterklafsen.

Das Amendement wurde abgelehnt, ebenso ein Amende- ment desselben Antragstellers zu §. 133, nachdem dasselbe vom Königlich württembergishen Bevollmächtigten , irklichen Staatsrath von Schmid bekämpft worden war.

Damit war die zweite Berathung der Vorlage beendet.

Der Handelsvertrag mit Zanzibar wurde in dritter Berathung angenommen. A

Ebenso der Antrag von Jazdzewski, welcher die Hinzu- ziehung von Dolmetschern zu Gerichtsverhandlüngen zwischen der deutshen Sprache niht mächtigen Parteien bezweckt, sg wie ihn die Kommission gefaßt hat. j

Hierauf vertagte sih das Haus auf Donnerstag 12 Uhr.

Jm weiteren Verlauf der gestrigen (58.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten bemerkte bei Fortseßung der dritten Berathung des Gesetzentwurfs, be- treffend die Be S deutscher Ansiedelun- gen in Westpreußen und Posen, der Abg. von Tiede- mann-Bomst : Wenn der Abg. Windthorst der Mit ui des Hauses vorwerfe, durch ihre Politik werde der Riß zwischen den beiden Nationalitäten noch mehr vergrößert, _so mache er darauf aufmerksam, daß nicht dur die Deutschen, sondern dur die Polen dieser Riß vergrößert worden sei. Der Abg. Dr. Windt- horst habe statistishes Material vermißt. Habe denn der

bg. Windthorst die ganze Vorverhandlung nicht gehört, die in ieser Session und im vorigen Jahre über dieselbe Ange- legenheit geführt worden sei, und alle die Thatsachen, die vom Regierungstish U worden seien? Werde dem- selben statistisches Material beigebracht, dann sage er, es sei Alles niht wahr! Aber wenn der Abg. Windthorst Nachweise verlange, dann wolle Redner demselben eine Erzählung vor- tragen, die ihm von einem Mitglied der polnishen Fraktion mitgetheilt worden sei. Als im Jahre 1772, also kurz nah der Theilung Polens, eine Anzahl von polnischen Patrioten nah Paris gegangen sei, um dort Fühlung zu nehmen und ihre Freunde um Rath zu fragen, da sei ihnen von einem hervorragenden französishen Gelehrten gesagt worden: Verschluckt seid Jhr ja nun schon, nun müßt Jhr nur dafür sorgen, daß Jhr nicht verdaut werdet. Nun sei es doch un- möglich, unverdaute Stoffe auf die Dauer bei sich zu behalten, da müsse ja eine akute Krankheit eintreten. Der Neichs- kanzler habe den Kernpunkt der ganzen Wee treffend charak- terifirt mit seiner Aeußerung, daß die Polen nur „Preußen auf Kündigung“ seien. Sobald sich die Gelegenheit dazu bieten sollte, ihre Bestrebungen für die Wiederherstellung Polens zu verwirklichen, würden sie dieselbe crgreifen ; sie seien dann niht einmal Preußen auf Kündigung, sondern sie würden sofort losshlagen, wenn sie könnten. Der Reichskanzler habe den Polen ja gesagt: „Wenn Sie das bestreiten, jo treten Sie hervor und geben Sie Jhr Ehrenwort, daß es nicht wahr ist.“ Redner konstatire, daß bis jeßt noch Keiner von der polnischen Fraktion dieses Ehrenwort gegeben habe. Fm Gegentheil, der Dr. von Stablewski Gn: es ja offen ausgesprochen, daß ihr ganzes Sinnen und Trachten noch immer auf die Wiederherstellung Polens gerichtet sei. Was diese Wiederherstellung Polens für Preußen bedeute, das brauche Redner nicht erst hervorzuheben. Der Abg. Windt-

‘\ horst habe dann gesagt, die exinanzlage gestatte nicht solchen

Luxus, und der Abg. Dirichlet habe in demselben Sinne ge- sprochen, diese 100 Millionen sollten verpulvert werden. És gebe in der That nicht viele Ausgaben, die vorsorglicher, wirthschastlicher vom Standpunkte des Staatsinteresses seien, als gerade diese. Sollten einmal wieder neue polnishe Unruhen ausbrechen und vielleicht gerade zu einer Zeit, wo Preußen. in einen Krieg verwickelt sei, dann würde man erkennen, daß diese Ausgaben so rentabel und so wirthschafllih seien, wie nur eine Fin könne. Die Verfassungsbedenken, die gegen die Vorlage geltend gemacht worden seien, seien nicht gerechtfertigt. Man wolle die Kolonisation vornehmen zum Zwecke der Selbst- erhaltung gegen staatsgefährlihe Bestrebungen. Der Abg. Dr. Windthorst habe gesagt, nah der Verfassung müßten die Polen zum Ankauf der Güter ebenso gut zugelassen werden, wie die Deutschen. Mit demselben Recht könnte man sagen, jeder Arbeiter müßte zu jedem Minister- posten zugelassen werden, also z. B. der Abg. Bebel müßte ebenso gut Kultus - Minister werden können. Der Abg. Windthorst habe die Durchführbarkeit der Vorlage bezweifelt und die Jmmediatkommission einen Staat im Staate genannt. Diese Bezeichnung passe absolut nicht. Wäre das richtig, so hätte man eine ganze Menge Staaten im Staate, z. B. die Staatsschulden-Verwaltung, die Seehandlung. Man stehe hier vor einer würdigen nationalen Aufgabe, und a nicht ein, weshalb in der heutigen Zeit die Aufgabe nicht ebenfo gut erfüllt werden sollte, wie die Hohenzollern in früheren Jahrhunderten, wie vor jeßt 200 Jahren der Große Kurfürst und vor 100 Jahren Friedrih der Große mit dem- selben Erfolge kolonisirt habe. Friedrich Wilhelin 1. habe ebenfalis mit großem Erfolge deutshe Kolonisation in den östlichen Provinzen vorgenommen. Bis jeßt sei noch nicht mit einem Schatten von Recht nachgewiesen worden, daß man heutigen Tages nicht dasselbe in derselben Weise erreichen könne. Damals habe es sich allerdings wesentlih um Religions- streitigkeiten gehandelt, während man es jeßt mit einem natio- nalen Streite zu thun habe. Ueberall im Süden und Osten sehe nan das Deutshthum im Kampfe mit andern Nationali- täten. Sollten“ denn diese Verhältnisse niht auch die Deutschen im Auslande dazu führen, der Forderung, die hier an sié gerihtet werde, zu folgen und wieder zurü- zukehren in den Schooß des alten Vaterlandes? Gerade jolhe Elemente, die im Auslande gezeigt hätten, daß sie nationales Bewußtsein und nationalen Stolz besäßen, halte

Redner für die geeignetsten Elemente für eine Kolonisation. Er erinnere an die Sachsen und Siebenbürgen, an die Deut- hen in den russishen Ostseeprovinzen, und er möhte es gerade diesen Deutschen ans Herz legen, in Erwägung zu nehmen, ob sie dem Rufe hierher nit folgen sollten. Er sehe in dieser Vorlage eine nationale That ersten Ranges und beantrage, die namentlihe Abstimmung über dieses Gesetz vorzunehmen, um klar zu stellen, wer die nationale That mit- machen wolle und wer nit.

Der Abg. Dr. Virchow meinte, es handele sich hier niht um eine isolirte Erscheinung. Sie hänge zusammen mit Dingen, welche sich vor Aller Augen vollzögen. Diese Methode habe eine verzweifelte Aehnlichkeit mit den s{hlimmsten Zeiten des Kulturkampses. Sie sei ein Nükstand aus dieser Zeit. Jett wolle die Regierung für den Kulturkampf eine leßte Kolonie gründen. Ledochowski sei ja auch der erste Akt jenes Dramas gewesen, an dem die Diplomatie jenes Staats- mannes, den man für unfehlbar halte, gescheitert sei. Herr Ledochowski sei klüger gewesen als Fürst Bismarck, wenn er auch persönlich den Kürzeren gezogen habe. Wie denke man sich denn die Germanisirung? Redner und feine Freunde glaubten, daß die Germanisirung nicht gewaltsam, sondern in P Ser Entwilelung sih vollziehen müsse. Eine Vertreibung der Polen sei Gewalt, sei es, daß sie dur diese Mittel oder durh Waffen erfolge. Dieses Gesez sei die dehnbarste, extremste Berfassungsverleßzung, denn eine Anzahl von Staats- bürgern solle von gewissen Wohlthaten ausgeschlossen werden. Oder solle etwa der §8. 4 der Verfassung blos eine philo- sophishe Bedeutung haben? Der Abg. von Zedlitz lächele dazu. Derselbe scheine dadurh zeigen zu wollen, daß Redner und seine Freunde eigentlich dumme Menschen seien, die nihts von der Sache verständen. (Abg. von Zedliß: Sehr richtig!) Das sei eine Beleidigung; Redner halte es für gewissenlos, in einer so ernsten Stunde, wo man vor Verfassungsbedenken stehe, eine solche Bemerkung zu machen. (Vize-Präsident von Heereman rügte diesen Ausdruck als unzulässig.) Der Abg. von Zedliy habe sih vor den Redner hingestellt und ihn mit seinem Kneifer fortwährend angelächelt. Darauf habe sich jener Vorgang ab- gespielt. Redner halte das Wort „gewissenlos“ nicht für eine Beleidigung.

Der Vize-Präsident von Heereman erwiderte, wenn er den Zuruf des Abg. von Zedliß gehört hätte, so würde er ihn gerügt haben. Das Wort „sehr richtig“ könne sih über- dies auf verschiedene Aeußerungen beziehen. Man könne aber Niemandem einen größeren Vorwurf machen, als daß er gewissenlos sei.

Der Abg. Dr. Con fuhr fort, er wolle die Sache auf sich beruhen lassen. Er halte dies Geseß für verfassungswidrig, nußlos und in der Hand der Regierung wie der Reptilien- fonds gefährlih, weil die Korruption befördernd. Man werde gewissen angenehmen Leuten deutscher Nationalität eine Be- lohnung durch den Ankauf ihrer Güter leisten. Man wundere fd über diesen Verdacht, nun: Gebranntes Kind scheut Feuer. Die Erfahrungen beim Reptilienfonds mahnten zur Vorsicht. Vielleicht wolle man Kolonien konservativer Bauern gründen, die kontraktlih zu konservativer Stimmabgabe verpflichtet sein würden. Die jeßige pseudo-nationale Strömung, wie sie fo beredt durh die Nationalliberalen getragen werde, verpöne den Uebertritt Deutscher zu anderen Nationalitäten mit größter Härte. Das sei nicht immer so gewesen. Es sei niht mehr ein Ausdruck der Gerechtigkeit, wenn man es jeßt für die höchste Aufgabe erkläre, die Polen zu zwingen, aus ihrer Haut zu fahren. Man könne von den Polen nichts weiter verlangen, als strikte Beobachtung der Verfassung, des Geseßes und aller ordnungsmäßig erlassenen Verordnungen. Nicht auf dem Ge- biet der Korruption, sondern auf dem der Schule lägen die wichtigsten Aufgaben. Zu dem Unternehmen, auf Kosten des verfassungsmäßigen, auch den polnischen Unterthanen garan- tirten Rechts eine Vergewaltigung durchzuseßen, würde seine (Redners) Partei die Hülfe verweigern.

Der Abg. Hagens (Waldenburg) gratulirte dem Centrum, daß es für die Vertretung seiner Anschauungen auch die aus- gezeichnete oratorische Kraft des Abg. Dr. Virhow gewonnen habe, und ging darauf nochmals auf die rehtlihe und wirth- \chaftlihe Besonderheit des Rentenguts ein, von welcher Form der Besißübertragung der ausgedehnteste Gebrauch gemacht werden müsse, wenn man die nationalen Zwecke des Gesezes erreichen wolle. Stehe nun Art. 4 der Verfassung, daß alle Preußen vor dem Gese gleih seien, irgendwie der Verfolgung dieser nationalen Zwecke, der Absicht, die deutshe Bevölkerung in den polnischen Landestheilen zu schüßen, entgegen ? Keines- wegs. Vou gewaltsamer Verdrängung aus dem Besiß sei keine Rede; es handle sih einzig um das freie Recht des Kaufs und Verkaufs. Der Vergleih mit dem Reptilienfonds sei hon deshalb unzulässig, weil über leßteren keine Rechnung gelegt zu werden brauche, während die Regierung über die Verwendung des Hundertmillionenfonds jährlich Rechnung legen müsse und diese Rechnung der Prüfung durch die Ober- Rechnungskammer unterliege. Die Vorlage bedeute kein finis Poloniae, sie folle nur das Mischungsverhältniß zwischen Deutschen und Polen im Wege einer liberalen agrarpolitishen Reformmaßregel dergestalt modifiziren, daß vielleiht 6— §000 deutsche Kolonisten neu eingeseßt und zugleich die schädlichen Wirkungen eines zu weit entwickelten Großgrundbesißes para- lysirt würden.

Der Abg. Dr. Hänel glaubte, daß der in Frage stehenden Reformgeseßgebung von Anfang an der Todeskeim dadur eingeimpft worden sei, daß man sie zu einer Kampfgeseßz- gebung gemacht habe. Jn dieser Richtung habe der Vor- redner keinen der gegen die Vorlage erhobenen Einwände widerlegt; im Gegentheil sei es nahgerade unbestreitbar, daß mit der Vorlage der Anfang zu einer Rückwärtsrevidirung der Agrargeseßgebung gemacht werde. Weshalb begnüge man sih nicht mit der Amortisationsrente, die in der Hand des Staates völlig ausreichend wäre? Weil man durch die ewige Rente, durch die Unlösbarkeit der Rente sich die Möglichkeit schaffen wolle, alle möglichen Veräußerungsverbote zu konstruiren gegen- über dem Nentenverpflichteten. Sei der dann noch ein freier Bauer? Nein, er besige nur noch getheiltes Eigenthum, sein