1886 / 88 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 12 Apr 1886 18:00:01 GMT) scan diff

könne nur versichern, daß es die Regierung nicht an Jnteresse fehlen lassen werde. Auch die Frage der Weichselregulirung werde die Regierung mit Wohlwollen behandeln. Man müsse aber nicht alles von der GUIGIIEARierUng erwarten, sondern die interessirten Gegenden müßten auch das Jhrige thun.

Der Regierungskommissar Geheime Baurath Kozlowski ab eine eingehende Darstellung der durch den Dammbruch E dagenifenan Schäden. Die Wiedereröffnung der Schleusen werde in etwa 6 Wochen zu erwarten sein.

Der Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten, Dr. Lucius, hob hervor, daß eine Pflicht, die Dämme zu unter- halten, für die Staatsregierung nicht bestehe. Dieselbe könne daher auch nit für die Folgen der Deichbrücze verantwortlich gemacht werden. Die Verhandlungen über die Weichselregu- irung würden nah Kräften beschleunigt, aber die entgegen- stehenden Schwierigkeiten seien bedeutend.

Auf Antrag des Abg. Rickert trat das Haus in eine Besprechung der Interpellation ein. -

Der Abg. Rickert sagte dem Minister Dank für seine Zusicherung, wies aber den Gedanken zurück, a!s ob die Privat- thätigkeit Danzigs und der Umgegend allein die entstandene

oth werde beseitigen können.

Der Minister des Jnnern, von Puttkamer, erwiderte, daß er diese Ansicht Ge theile. Die Privatwohlthätigkeit 088 solle nur über die“ ersten Schwierigkeiten hinweg- elfen.

Der Abg. Dr. Wehr wies die Behauptung zurück, als ob er der Regierung in irgend einer Weise einen Vorwurf habe machen wollen.

Der Abg. Gerlich hob hervor, daß bei der Nothlage der Landwirthschaft eine Beihülfe des Staats zur Beseitigung der durch die Ueberschwemmung verursahten Schäden sh nicht werde umgehen lassen.

Der Abg. Wessel sprach sich in gleihem Sinne aus.

Die Debatte wurde hierauf geschlossen.

Es folgte die Verlesung nachstehender Jnterpellation der Abgg. Freiherr von Minnigerode und Graf von Kaniß:

Die Unterzeichneten erlauben sih an die Königliße Staats- regierung die Anfrage zu richten, ob die Königliche Staatsregierung innerhalb des Bundesraths weitere gesetzgeberische Maßregeln an- zuregen beabsichtigt, welche darauf gerihtet sind, dem bedrohlihen Preisniedergange der landwirthschastlihen Erzeugnisse zu begegnen und eine weitere Steuererleihterung der Kommunen und kommunalen Verbände herbeizuführen.

Auf eine Anfrage des Präsidenten erklärte sich der Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten, Dr. Lucius, zur Beantwortung der Jnterpellation sofort bereit.

Der Abg. Freiherr von Minnigerode wies auf die Noth- lage der Landwirthschast hin, der gegenüber die bisher be- schlossenen Schutzölle sih unzureichend erwiesen hätten.

Bei Schluß des Blattes sprach der Staats-Minister Dr. Lucius.

-— Durch Alerhöhste Ordre vom 2. d. M. is den Gütern Weteriß und Oebisfelde, der Drömlings-Korporation und den Gemeinden Solpke, Werniß, Mieste, Miesterhorst, Bergfriede, Niendorf, Weddendorf, Kaltendocf und Breitenrode im Kreise Gardelegen, welche den Bau einer Chaussee von der Gardelegen-Kalvöder Chaussee bei Weterit ab über

Solpke, Werniß, Mieste, Miesterhorst, Bergfriede, Niendorf,

Weddendorf, Kaltendorf und Breitenrode bis zur braun- shweigishen Landesgrenze in der Richtung auf Grafhorst beschlossen haben, gegen Uebernahme der künftigen chausseemäßigen Unterhaltung der Straße, das Recht zur Erhebung des Chausseegeldes nah den Be- stimmungen des Chausseegeldtariss vom 29. Februar 1840 O der in demselben enthaltenen Bestimmungen über die Befreiungen sowie der sonstigen, die Erhebung betreffenden usäßlichen Vorschristen vorbehaltlich der Abänderung der fümmtlichen voraufgesührten Bestimmungen verliehen wor- den. Auch sollen die dem Chausseegeldtarif vom 29. Februar 1840 angehängten Bestimmungen wegen der Chaussee-Polizei- vergehen auf die gedachte Straße zur Anwendung kommen.

Die im Regierungsbezirk Bromberg gelegene Herr- schaft Zolondowo ist niht aus dem Fonds, welcher auf Grund des Ansiedelungsgeseßes für die Provinzen Posen und Westpreußen verfügbar gemacht werden soll, angekauft worden, fondern aus dem Forstankaufsfonds. Ueber den Ankauf der gegen 4000 ha großen Besißung, welche in unmittelbarem AnsHlUß an die Königlihen Oberförstereien Stronnau und Jagdshüß liegt und zur Hälfte aus absolutem Wald- boden besteht, ist seit Jahr und Tag verhandelt worden, und der Abshluß des Kaufgeschäftes kürzlich zu einem für den Fiskus vortheilhaften Preise erfolgt. Die Größe der Herrschaft beträgt 3940,41 ha, der Grund- steuer-Reinertrag 16 257 f, die landschaftliche Taxe 1 493 400 M, und der gezahlte Kaufpreis 1 100000 Die Baulichkeiten befinden sich im Ganzen in gutem Zustande. Die niht zur - Aufforstung bestimmten Flächen sollen in großen Komnmplexen und parzellenweise verpahtet werden und lassen eine ange- messene Verzinsung des Kaufpreises erwarten.

Das Ein fangen fremder, im Freien umhershweifen- der, sih im Eigenthum eines een Taubenhal- ters befindliher Tauben, in der Absicht, sich die Tauben anzueignen, kann nah einem Urtheil des Reichs gerichts, TV,. Strafsenats, vom 12. Februar d. J., als Diebstahl be- straft werden. „Es behandelt das preuß. Allg. Landrecht, ab- weichend von dem gemeinen Necht, die Tauben nicht unbedingt ebenso, wie andere frei umhershweifende Hausthiere. ... És verordnet nämlich §. 111 Th. 1 Tit. 9, daß Tauben, welche Jemand e ohne ein wirkliches Recht dazu zu haben, Gegenstand des Thierfanges sind, sobald fie im Freien betroffen werden, und §8 Vg vinzialrehtliche Vorschriften anders bestimmen , das Recht, Tauben zu halten, nux Demjenigen zustehen soll, der tragbare Aecker in dex Feldflur hat oder zu nuten be- xechtigt ist. Demgemäß sollen Tauben, die im Freien be- troffen werden, nur daun Gegenstand des Thierfanges sein, wenn Derjenige, welcher sie hält, den Erfordernissen des 8. 113 nicht genügt und deshalb kein Recht zum Halten von Tauben hat. Fs diese uns gegeben, so kommt es nicht darauf an, ob die Tauben die Gewohnheit, zurückzukehren, aufgegeben haben oder niht. Hieraus folgt, daß dagegen das Eigenthum des berechtigten Taubenhalters Schug finden soll, und daß seine Tauben, auch wenn sie außerhalb ihres Ver- wahrungsortes betroffen werden, so lange niht Gegen- stand des Thierfanges sind, als sie die Gewohn- heit der Rückehr noch haben. Jhrem Einfangen legt das Gesey die Wirkungen eines Eigenthumerwerbsaktes nicht bei. Js in solchem Falle der Taubenbehalter auch

. 113 das, daß, wenn nicht pro:

Eigenthümer der Tauben und geht er durch deren Umher- shweifen weder seines Eigenthumsrechts, noch seines Gewahr- sams an denselben G so lange sie die consuetudo revertendi bewahren, fo fann durch die Handlung eines Dritten, der das Gesey die Bedeutung und Wirkung eines zum Eigenthumserwerb geeigneten Aktes versagt, wohl der Gewahrsam, niht aber das Eigenthum aufgehoben werden. Es bleiben vielmehr die eingefangenen Tauben für Denjenigen, der sie gefangen hat, eine fremde Sache. Geschieht das Ein- fangen in der Absicht, sih die Tauben zuzueignen, so ist kein Grund ersichtlih, weshalb die Handlung nur einen civilrecht- lihen Anspruch auf Herausgabe der unbefugt gefangenen Tauben begründen, nicht aber als ein Wegnehmen im Sinne des 8. 242 des Strafgeseßbuchs angesehen werden soll.“

Der sranzösisge Botschafter am enan Allerhöchsten Hofe, Baron de Courcel, ist nah Berlin zurückgekehrt und hat die Geschäfte der Botschaft wieder übernommen.

S. M. Brigg „Musquit o“, Kommandant Korvetten- Kapitän Piraly, ist am 9. April cr. von Havanna in See gegangen.

Vayerua. München, 10. April. (W. T. B.) Der Kaiser von Oesterreich, welcher heute an der Hostafel bei der Königin-Mutter theilnahm, ist Abends wieder nah Wien abgereist. Die Prinzessin Gisela, Prinz Leopold und Herzog Ludwig sowie die Mitglieder der österreichishen Ge- sandtschaft waren zur Verabschiedung am Bahnhofe anwesend.

Vaden. Karlsruhe, 10. April. (Karlsr. Ztg.) Heute ist über das Befinden des Erbgroßherzogs nachfolgen- des Bulletin erschienen :

Während Se. Königliche Hoheit der Erbgroßherzog seit einer Reihe von Tagen des Morgens fieberfrei sind, lassen die geringen nach: mittäglichhen Temperatursteigerungen und die immer noch wechselnden Gelenkshmerzen erkennen, daß der rheumatishe Prozeß auch am Ende der siebenten Woche der Erkrankung noch nit vollständig abgelaufen ist. Die pleuritischen Ergüsse sind in stetigem Nücktgange begriffen.

; i : Dr. Tenner.

_Freiburg i. Br., 10. April. (W. T. B.) Zum Ver- weser des au ms wurde heute der Domdechant Weickum gewählt.

Sachsen - Weimar - Eiscnac. Weimar, 12. April. (W. T. B.) Die Prinzessin Elisabeth, welche sih augen- b licklich in Bordighera aufhält, hat \sich mit dem Herzog JohannAlbrechtvonMedcklenburg-Shwerinverlobt.

S Wien, 9. April. (Wien. Abdp.) Jn der heutigen Sizung des Abgeordnetenhauses wurde die Spezialdebatte über den Etat des Handels- Ministeriums zu Ende geführt und sodann der Vor- anshlag des Ackerbau-Ministeriums in Berathung gezogen. An der Diskussion hierüber betheiligte sih auch der Aerbau-Minister Graf Falkenhayn.

Pest, 9. Moril. (Wien. Ztg.) Jn der heutigen Klub- konferenz dex - liberaler Partei fskizzirte der Minister Trefort die Antwort auf die Fnterpellation bezüglich der Reversalienfrage, und Minister Baron Kemény jene auf die Interpellation bezüglih der Graner Eisenbahn. Beide Ant- worten wurden zustimmend zur Kenntniß genommen. Jm Klub der Unabhängigkeits-Partei meldete Enyedy eine Fnterpellation in Betreff der rumänischen Handels- overtrags-Verhandlungen an.

Schweiz. Bern, 11. April. (W. T. B.) Das Militär-Departement wird dem Bundesrath einen Gesezentwurf über den Landsturm vorlegen, um dem- selben eine kriegsrechtlich gesiherte Stellung zu verschaffen.

Großbritannien und Jrland. London, 9. April. Ueber die in der gestrigen Sitzung des Unterhauses von dem Premier Gladstone gehaltenen Rede, in welcher derselbe seine Vorscbläge zur Lösung der irischen Frage darlegte, berichtet die „Allg. Corr.“ folgendes Nähere :

Als das beste Heilmittel für die gegenwärtigen Zustände bezeichnete der Premier die Herstellung eines Sonderparlaments in Dublin zur Erledigung der legislativen und administrativen irxischen Angelegen- heiten, abgesondert von den Angelegenheiten des Neic;s. Die Ein- heit des Reichs dürfe nicht gefährdet werden. Die Neichsbürden müßten billig vertheilt und Maßregeln zum Schutze der Minder- heiten getroffen werden. Wenn Irland ein lokales Parlament er- halten solle, entstehe die Frage, ob die irishen Abgeordneten im ÜUntèrhause und die irischen Repräsentativ-Pairs im Oberhause fort- fahren sollten, Theile des Neichs-Parlaments zu bilden. Redner beant- wortete diese Frage verneinernd; es sei klar, daß irishe Pairs und Volksvertceter, nachdem sie eine eigene Legislatur erhalten, nicht nach Westminster kommen könnten, um englische und shottise Angelegen- heiten zu fontrolixen. Sei es thunlih, daß sie fi an der Be- rathung von Reihs-Angelegenheiten betheiligen? Es würde sehr {chwierig sein, einen Unterschied zwischen Reics-Angelegenhciten und anderen Angclegenheiten zu machen, Das Haus der Gemeinen hake nicht allein ¿egislative Funktionen zu erfüllen, sondern es kontrolire auh die Erxckutive, Deshalb könnte irischen Pairs und irischen Deputirten, wenn JIcland eine eigene Legislatur erhalte, das Ver- bleiben im Reichs-Parlamert nicht gestattet werden Was die Be- steuerung Irlands betrifft, so würde es cine große Unbequen!lickeit und ein großes Mißgeschick nicht allein für England, sondern auch für Irland selber sein, wenn die fiskalishe Einheit des Reichs zerstört würde. Die Zölle und Accisegefälle würden demnach 30m Reichs- Parlament und niht vom irishen Parlament erhoben roerden ; aber der Ertrag der Zölle und Accise in Irland würde zur Deckung der Verbindlichkeiten Irlands verwendet und ein ctwaiger Üebershuß der irischen Legislatur zur Verfügung gestellt werden. Dem neuen irischen Parlament würde die Kontrole über die Vollzugsregierung in Irland zustehen. Es würde ohne eine etwaige Avrslösung eine Maximaldauer von nicht über fünf Jahre haben. (58 würde nicht befugt sfcin, sich in die Prärogative der Krone oder in die Angelegenheiten der Armce und Flotte oder in die auswärtige und Kolonialpolitik des Reichs einzumischen. Ferner würde es nicht fompetent sein, die gegenwärtige Bill abzuändern, ausgenom- men in Punkten, die entschieden offen gelassen werden, oder ein Gesetz für die Erhebung irgend einer besonderen Kirche zur Staats- kirhe und Dotirung derselben zu geben. Dem neuen irischen Par- lament würde keine Jurisdiktion zustehen über Handel und Schiffahrt, Gewichte und Maße, Münze, Notenumlauf, Quarantäne- Reglements, literarishes Eigenthurasreht u. . w. Die Postverwal- tung würde nah wie vor unter der Leitung des Reichs-General-

ostmeisters bleiben. Für den Schuß der Minderheit würde eine #çorra des Vetos beschafft werden. Die Mitglieder des irishen Par- aments würden aus zwei Klassen bestehen. Die erste Klasse würde aus den auf Lebenszeit gewählten 28 irishen Repräsentativ-Pairs und 75 anderen Mitgliedern bestehen, die von Personen, die jährlih 25 £ Miethe zahlen, für die Dauer von Jahren gewählt werden. Die Mitgiieder müssen ein Jahreseinkommen von 400 £L theils aus Realvermögen, theils aus Personalvermögen bezogen, besißen. Die zweit: Klasse der Legislation wird aus 206 Vertretern

der Grafschaften und Städte sowie der Dubliner Universität, nah dem gegenwärtigen Wablmodus gewählt, zusammengeseßt iein. Diese berden Klassen von Repräsentanten würden eine einzige Kammer bilden, aber befugt sein, getrennte Abstimmungen vorzunehmen und erstere vom Recht des Vetos Gebrauch zu machen. Der Vize-Königsposten wird nicht abgeschafft. Der Vize-König soll kein Parteimann, darf Katholik sein und tritt nicht zurück, wenn ein Regierungswechscl ein- tritt. Er wird für eine bestimmte Reibe von Jahren ernannt. Die oberen Richter werden, mit Ausnahme des Schaßkammer-Richters, von der ver- antwortlichen irischen Regierung ernannt und besoldet. Die Polizei (constabulary) bleibt zum Mindesten vorläufig unter britisher Kon- trole, aber das Reich trägt cin Drittel der gegenwärtigen Unter- haltungsfosten (1500000 £). Endlih wird Irlands Beisteuer zu den Reichébürden von 1/12 auf 1/15 herabgesetzt und zwar mit Ausschluß aller Kriegsfkredite und der Kosten für die Freiwilligen-Armee. Die Jahresausgaben Irlands würden künftighin 7946000 £ betragen, und da sih die Gesammteinkünfte auf 8350000 L beziffern, würde das neue Parlament einen Uebershuß von 404000 £ zu seiner Ver- fügung haben. Mr. Gladstone appellirte sodann beredsam an das Haus, in Irland einem Prinzip Wirkung zu geben, das England seinen Kolonien eingeräumt hätte, nämlich, daß ein Land nicht allein gute Gesetze brauche, sondern Gesetze, die es selber gemacht habe. In den Kolonien habe die Einführung ciner verantwortlichen Regierung gute Früchte getragen, und dasselbe würde hoffentlich in Irland ebenfalls der Fall sein. Selbstregierung sei an \sich kein Uebel, und ein Irländer sei der Loyalität ebenso fähig, wie irgend ein Engländer oder Schotte. „Ich habe kein Recht, zu sagen,“ {loß der Fes „daß Irland durch seine Vertreter den Plan, den i ihnen anbiete, an- nehmen werde. Ich bin nit besugt, dies vocauszusezen. Wenn Irland diesen Plan nicht freudig annimmt, kann die Regierung es niht dazu zwingen; ebenso wenig könnte sie England und Scottland nöthigen, Irland etwas zu gewähren, was sie nicht herz- li bewillkfommnen und umarmen. Ih weiß, daß Schwierigkeiten vorhanden sind, alleia ih baue auf den Patriotismus und dic Weis- heit des Hauses. Jch baue auf die Wirkungen ciner ungezwungenen und ershöpfenden Erörterung und noch mehr baue ih auf die ge- rechten und hochherzigen Gesinnungen der ganzen britischen Nation. Ich ersuche das Haus, mit fester und furhtloser Hand auf unseren eigenen Fall die Lehren anzuwenden, die es so oft gepredigt und so oft Anderen eingeprägt hat : nämlih daß das Zugeständniß einer lokalen Selbstregierung cher dazu angethan is, die Einigkeit des Reichs zu stärken und zu befestigen, als sie zu untergraben oder zu gefährden.“

10. April, Abends. (W. T. B.) Jn dem Prozeß gegen die sozialistishen Aufwiegler Hyndman, Champion, Burns und Williams hat der Lentral- Kriminalgerihtshof heute bezüglih aller 4 Angeklagten auf Freisprehung erkannt.

12. April, früh. (W. T. B.) Der bisherige Unter- Staatssekreiär für Jndien, Kay-Shuttleworth, is an Stelle von Heneage zum Kanzler des Herzogthums Lancaster ernannt worden und würde, den „Daily News“ zufolge, auf seinem bisherigen Posten als Unter-Staats- sekretär für FJndien durch Stafford Howard erseßt werden. An die Stelle von Collings als Sekretär im Local Government Board soll Borlase treten. Der Rücktritt Lord Morley's von dem Posten des Arbeits- Ministers wird amtlich bestätigt.

_Die Opposition gegen Gladstone's Homerule- Bill wird allgemeiner und größer. Die „Times“, der „Daily Telegraph“, dec „Standard“ und fast alle übrigen Morgewblätter fahren heute fort in ihrer vernichtenden Kritik über die Gladstone’she Vorlage. Selbst die „Daily News“ bezweifeln jet, ob die Vorlage in der gegenwärtigen Session Geseßeskraft erhalten werde. Die öffentliche Agitation gegen Gladstone's Bill beginnt am Mitt- woch mit einem großen Meeting in Her Majesty's Theatre, das unter dem Vorsiß von Lord Cowper, der unter dem früheren Kabinet Gladstone Vize-König von Frland war, stattfinden wird. Die erste Resolution bei diesem Meeting wixd von Lord Hartington beaniragt und von Lord Salis- bury und Rylands unterstüßgt werden; die zweite Resolution wird Goschen beantragen. :

Frankreich. Paris, 10. April. (W. T. B.) Der Senat beshloß heute mit 153 gegen 102 Stimmen die Dri aglichkeit für die Berathung des Antrages Bozérian, wonach jeder Versuch, die Freiheit der Arbeit zu beeinträchtigen, bestraft werden soll. Der Justiz-Minister hatte sih bekanntlih gegen die Dringlichkeit der Berathung au43gesprcchen und erklärt: die gegenwärtigen Geseße seien vóllig ausreichend.

Auf der Tagesordnung der heutigen Kammersitß ung siand die Berathung der JFntercpellation Maillard (Zzn- transigent) über die Verhaftung der Redakteure Ducquercy und Noche in Decazeville. Der Justiz- Minister wies die Geseymäßigkeit der Verhaftung nach. Nach einer längeren Debatte wurde den Erklärungen der egierung mit 435 gegen 65 Stimmen die Zustimmung ertheilt. Die Kammer lehnte es ferner ab, den Urlaub des Deputirten Basly, welcher si bereits seit einem Monat in Decazeville befindet und einer der Hauptaufwiegler der Striken- den ist, zu verlängern.

Die Bureaux der Deputirtenkammer wählten heute die Kommission zur Vorberathung der Vorlage, be- treffend die für das Jahr 1889 in Aussiht genommene Ausstellung. 13 Mitglieder der Kommission sind für die Annahme der Vorlage, 7 für Annahme unter gewissen Vor- behalten, und 2 sind entschiedene Gegner der Vorlage.

11. April. (W. T. B.) Nach Meldungen vom Senegal ist das Fort Bakel von den Eingeborenen angegriffen worden und hätte daselbst ein sehr blutiger Zusammenstoß stattgefunden, welcher Tage dauerte. Mehrere Dörfer und Faktoreien seien angezündet worden, die Verbindungen abgeschnitten. Die Lage wird als ernst bezeichnet.

Eine Depesche des Gouverneurs des Senegal- Gebiets bestätigt, daß das Fort Bakel von den Eingeborenen angegriffen wurde, doch seien die Angriffe ohne Verluste zurückgeschlagen worden. Das Fort sei vollkommen verpro- viantirt.

Jtalien. Nom, 10. April. (W. T. B.) Unter dem Vorsiß Cambray-Digny's fand heute im Senatsgebäude eine Versammlung ver i Senatoren statt, um die Frage wegen einer Neform des Senats zu erörtern. Nach längerer Berathung wurde eine Kommission eingeseßt, welche sih mit diefer Frage beschäftigen und in der nächsten Versammlung Bericht erstatten soll.

11. April. (W. T. B.) Die in der gestrigen Ver- sammlung von Senatoren gewählte Kommission zur Er- örterung der Frage einer Reform des Senats beaujtragte eine aus drei Mitgliedern bestehenze Subkommission, alle auf die Reform bezüglichen Fragen zu prüfen und in einem

| Monat darüber Bericht zu erstatten.

Griechenland. Athen, 11. April. (W. T. B.) Jn der Deputirtenkammer wurden heute die Ver- handlungen über die von dem Ministerium befolgte Politik zu Ende geführt. Eine von mehreren Deputirten eingebrachte Tagesordnung, welche besagte: die Kammer dürfe nur zu einem Minister Vertrauen haben, der entschlossen sei, sofort den Krieg zu beginnen, wurde abgelehnt. Die von anderen Deputirten beantragte Resolution, in welcher erklärt wird : daß die Kammer nach den stattgehabten Debatten der Regierung ihr vollständiges Vertrauen ausdrüdcke und zur Tagesordnung übergehe, wurde mit 129 gegen 83 Stimmen angenommen. 5 Deputirte enthielten sich der Abstimmung. Der Beschluß über das dem Ministerium ertheilte Ver- trauensvotum wurde mit großem Beifall ausgenommen.

12. April. (W. T. B.) Jn einer gestern hier statt- gehabten Versammlung hielt der Minister-Präsident Delyannis eine Ansprache, in welcher er die Politik des Kabinets vertheidigte, Ruhe und Achtung gegen die gegnerishen Meinungen anempfahl und die Hoffnung aus- sprach: daß die Mächte die Anfprüse Griechenlands berücksichtigen würden, da diese Ansprüche berechtigt seien und den allgemeinen europäischen Fnteressen niht widersprächen.

Türkei. Konstantinopel, 11. April. (W. T. B.) Der bisherige englische Geschäftsträger White ist heute von hier abgereist.

Serbien. Belgrad, 10. April. (W. T. B.) Der König hat Madjid Pascha das Großkreuz und Raschid Bey das Commandeurkreuz des Takowo-Or dens verlichen.

Bulgarien. Sofia, 10. April. (W. T. B.) Die hie- sigen Vertreter der Großmächte richteten eine gemein- same Note an die bulgarische Regierung, in welcher sie den Beschluß der Konferenz mittheilen und die Hoffnung ausdrüdcken, der Fürst werde denselben acceptiren.

11. April. (W. T. B.) Der Minister Tsanow theilte den Vertretern der Mächte mit: der Fürst werde wahrscheinlich den Beschluß der Konferenz acceptiren, wolle aber vorher sih der Zustimmung der Volksvertretung vergewissern.

Philippopel, 10. April. (W. T. B.) Ein Dekret des Fürsten vom heutigen Tage verfügt die Aufhebung des Belagerungszustandes in Bulgarien und Ost- rumelien. Ein weiteres Dekret vom gleihen Datum ordnet Wahlen der Deputirten Bulgariens für die National- versammlung îin Sofia an und bestimmt, daß dieselben am 23. Mai stattfinden follen.

Rußland und Polen. St. Petersbourg, 11. April. (W. T. B.) Der Großfürst Konstantin Niktolajewit\ch ist gestern nah Orianda in der Krim abgereist.

Das „Journal de St. Pétersburg“ dementirt die Meldung des „Gaulois“ von einem angeblichen russi- schen Cirkular bezüglih der Entschließungen Rußlands für Den Fall, daß der Fürst von Bulgarien sh weigern sollte, sich dem Arrangement der Mächte zu unterwerfen. Ebenso bezeichnet das Journal die Nachricht der „Fndépen- dence Belge“ von in St. Petersburg neuerdings statt- gehabten Verhaftungen nihilistisher Agitatoren als unbegründet.

Amerika. (Allg. Corr.) Aus New-York meldet eine RNeutersche Depesche vom 8. d. : Die Debatte über Mr. Blan ds Bill für die freie Prägung von Silber wurde heute im NRepräsentantenhause fortgeseßt. Ein von Mr. Dibbe vorgeshlagenes Amendement, welches die Silberprägung unter der Blandschen Akte nah dem 1. Juli 1889 suspendirt wissen wollte, wurde mit 201 gegen 84 Stimmen abgelehnt. Alsdann wurde üder die Bill abgestimmt und dieselbe mit 161 gegen 126 Stimmen verworfen. Die Bill bestimmte, daß Besitzer von Bullion im Werthe von 50 Dollars oder darüber, unter denselben Bedingungen wie bei Gold, geprägte Dollars er- halten sollten.

Afrika. Egypten. (Allg. Corr.) Aus Kairo, vom 9. April, meldet Reuter's Bureau, daß Nubar Pascha ein Telegramm von dem Jngenieur in Djemsah erhalten habe, demzufolge die Petroleumquelle in Geb-el-Zeyd in ciner Tiefe von 40 m erreicht worden sei, und daß si der tägliche Ertrag auf 500 chm Del, mit Wasser vermischt, belaufe; davon seien 150 cbm reines Petroleum. Laut einer Depesche aus A ssuan räumten die britishenTruppen vorigen Mittwoch Koscheh. Der armirte Naddampfer „Lotus“, der auf dem Nil bei verschiedenen Gelegenheiten e Dienste geleistet, hat im Katarakt Dal Schiffbruch gelitten.

Zeitungsstimmen.

Die „Deut sche volkswirthschaftlihe Correspon- denz“ schreibi:

Der Reichstag hat den Gesetzentwurf, betreffend die Unfall - und Krankenversicherung der in land- und forstwirthschaftlihen Betrieben beschäftigten Personen in zweiter Lesung angenommen; die definitive Annahme in dritter Lesung ist gewiß. Man kann sich zu dem Zu- standekommen des Gesetzes, welhcs cine neue Säule des sozialen Refor:nwerks bedeutet, Glück wünschen. Es wird sh jeßt noch darum handeln, die Altersversiherung vorzubereiten, beziehungs- weise in Angriff zu nehmen, womit man alsdann an einem neuen Abschnitt der Sozialreform anlangen würde. So weit aber auc) die Bahn noch ist, welche si vor uns öffnet, so kann man doch schon heute in dem Bewußtscin auf die seitherigen Errungenschaften zurückblicken, „daß ein guter Anfaug gemacht ist“. Freilich, das Errungene nimmt sich stets weniger werthvoll und be- deutend aus als das noch zu Erringende, und Angesichts der sozialen Noth und den gewaltigen Aufgaben der Zukunft mag uns das Er- rungene in manchen Stunden als nicht bedeutend genug erscheinen. Wer könnte sich aber auch eines Bangens ganz erwehren, wenn er die Bedrängnisse und Gefahren täglih, ja stündlih wachsen sieht, welche die heutige Ordnung der Gesellschaft bedrohen? Man müßle mit Blindheit geschlagen sein oder den Fatalismus der Orien-

talen affektiren, wollte man ruhigen Blickes auf die Wogen der Zeit-

strômung schen, welche wie das Meer im Sturm an den Wällen und Mauern si brechen, die noch von der starken Hand des Staates aufrecht erhalten werden. Es ist die ernste Aufgabe aller an der Erhaltung der Ordnung interessirten Elemente in der Bevöl- kerung, diese Hand stark zu erhalten; denn che man nicht weitere und bedeutendere Fortschritte auf dem mühevollen Weg der sozialen Reform gemacht hat und vor Allem, che wir die Arbeiter von unserem uten Willen, ihnen zu helfen, überzeugt haben, bis dahin ist ein A Staat die einzige Schußwehr gegen den Anprall der Sozialdemokratie. Eile ist in jedem Fall geboten. Kein Geringerer als Fürst Bismarck ‘hat noch kürzlih im Reichstag zu verstehen ge- geben, daß auch er der Ansicht sei, es sci Gefahr im Verzug. Wenn wir unsere Augen nur auf Deutschland zu richten hätten, dann könnten

wir uns, bei dem Gedanken an unsern guten Willen, der ja s{on oft bethätigt worden ist, an den gesunden Sinn der Mehrzab[l der deutshen Arbeiterbevölkerung und an die Entschlossenheit und Stärke der Staatsgewalt, einigermaßen beruhigen. Aber dicht an unseren Grenzen suchen die Leidenschaften s\sich mit einer Gnergie Bahn, welche ihr Beispiel nur in der revolutionären Energie der französishen Bewegung von 1789 zu finden \ch{eint. Damals trat die Revolution, von Frankrei aus, ihre Reise durch Europa an, und wenn die Verhältnisse heute auß einigermaßen anders liegen als vor hundert Jahrcn, so befreit uns dieser Untersbied do nicht von der Pflicht, Vorsicht zu üben. Diese Pflicht üben wir am besten, wenn wir danach streben, die arbeitende Be- völkerung _ in eine Lage zu bringen, welche sie mit den übrigen Gesell- \haftéklassen wieder aussöhnt. Dieses Ziel ift zwar bei weitem nicht erreiht; aber daß wir mit der seitherigen Gesetgebung, als deren jüngsten Akt wir das Unfall- und Krankenversicberungsgeseß für die land- und forstwirthshaftlihen Arbeiter erblicken, auf dem rechten Wege sind, das sagt uns sowohl das Gewissen als auch die Wahr- nehmung, daß die Arbeiter recht wohl den guten Willen der anderen Bevölkerungsklassen, ihnen zu helfen, erkennen. Daß aus folcer Dat dercinst cine gute Ernte reifen muß, braucht niht bezweifelt zu werden. .

__— Der „Düsseldorfer Anzeiger“ bemerkt zu der Diskussion über das Ansiedelungsgeseß :

. . . Die Freisinnigen haben den Konservativen stets vorgeworfen, daß sie kein Interesse für den Kleingrundbesiß haben und nur der Latifundienbildung Vorschub leisten. Das Verhalten der Konserva- tiven in der polnischen Ansiedelungsfrage hat das Gegentheil fonnen- klar bewiesen. Hingegen sind die Freisinnigen stets für die Schaffung kleiner Bauerngüter cingetreten. In dem Progra-nm des frei- sinnigen Allgemeinen Baucrnvereins spielt die „innere Kolo- nijation“ eine große Rolle. Jett aber, wo man die Herren beim Wort nehmen will, suchen sie si irgend cine Hinterthiir, durch welche sie si entfernen können. Da sicht man deutlich, daß ihre ganze Bauernfreundlihkeit und ihr Programm der inneren Kolonisation ihren Swwerpunkt in dem Vorgehen gegen die Staatsdomänen und gegen den ihnen politisch verhaßten deulshen Großgrundbesitz hatte. Jett ist namentlich die geplante Einrichtung von „Rentengütern“ der Hebel, den man gegen das Kolonisationswerk in Bewegung sett. Und doch bietet das NMentengut jedenfalls bessere Gewähr sür die Erhaltung eines “räftigen Bauernstandes, als wenn man denselben sofort dem freien wirthschaft- lichen Konkurrenzkampf oder viellciht etwaigen polnischen Gegen- bestrebungen ausfeßen wollte. Die Nentengüter, welche das Abgeord- netenhaus in die Vorlage aufgenommen, sind eine Einrichtung, welche sich in ähnlicher Form Jahrhunderte lang in Deutschland bewährt hat und welche gerade für die mit der Vorlage verbundenen nationalen und landwirthschaftlichen Zwecke in der geplanten Erweiterung von großem Nußen sein wird, indem sie die freie Verfügung des Erwerbers beschränkt, obne daß dadurch die Gefahr gemeinwirths{astlicher Nach- theile heraufbeschworen wird. De: landwirthschaftliGße Minister erklärte die Bereitwilligkeit der Negierung, auch diese Form der Besitz- üvertragung bei den Ansiedelungen in Posen und Westpreußen an- zuwenden.

_ Daß Freisina und Centrum diesem großen Unternehmen von nationaler und wirthschaftlicher Bedeutung ihre Mitwirkung versagt haben, kennzeihnet diese Parteien hinreihend; alle ihre Einwände, Ausflüchte und Versuche, es berabzuseßen und zu verdächtigen, werden niht im Stande sein, den üblen Eindruck zu verwischen, den cs auf alle Zeiten machen muß, daß deuts scin wollende Parteien sih gegen die Vekämpfung der Polonisirungsbestrebungen aufgelehnt haben.

Mit Bezug auf die Artikel der „Norddeutschen Allgemei- nen Zeitung“, welche die Haltung der „Germania“ in Sachen des Sozialistengeseßes carakterisirten, indem Aeußerungen die- ses Blattes mit solchen des „Westfälishen Merkur“ verglichen wurden, versuchte die „Germania“ zu behaupten, die Stellung des „Westfälischen Merkur“ zu dieser Sache sei von der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ falsch dargestellt. Hier- gegen bemerkt der „Westfälische Merkur“:

In einer Polemik gegen die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ über das Sozialistengeseß sagt di: „Germania“, nachdem fie einen Artikel unseres Blattes zitirt hat:

„Der „Westfälische Merkur“ verurtheilt also prinzipiell das Sozialistengeset, er will die Aufhebung desselven, aber diese soll aus praktischen Bedenken allmählich geschehen.

Das ist mißverständlich aufgefaßt. Wir sind prinzipiell für das Sozialistengesez und gegen die Aufhebung desselben. Die „Gerrania“ sagt au selber, der „Westf. Merkur“ sei für die Verlängerung des Gesetzes eingetreten. Das wäre ja ein Widerspruch. Unsere Be- merkungen hatten nur den Zweck, den Verdacht abzurochren, als wollten wir Windthorsts Verhalten kritisiren.

Ueber die Dresdener Ortskrankenkassen wird dem „Dresdener Anzeiger“ geschrieben :

Das Resultat, zu welchem man hier in Dresden im ersten Jahre des Bestandes der Ortskassen geïommen ist, ist ein vollständig befrie- digendes, wenn man bedeutt, daß troß der großen Einrichtungskoften und bei der Neuheit der Sache doch ein erheblicher, noch nicht genau festgestellter Ueberschuß erzielt werden fonute. Dieses Resultat ist um so erfreulicher, wenn maa berücksichtigt, daß bei den verhältnißmäßig ge- ringen Beiträgen auch sämmtliche Familienangehörige der Mitglieder freie ärztlihe Behardlung und Arznei erhalten haben, was z. B. in Berlin und München nicht der Fall ist. Jedenfclls hat nah Ab- lauf des crsten Jakbres das Ortskrankenwesen hier in Dresden seine vollständige Lebensf{ähigkeit bewiesen.

Der (fortschrittliche) „Bremer Kourier“ wundert sih nicht, daß der Reichskanzler mit dem Reichstage nicht zu- frieden sei, ist do auch er, d. h. der „Bremer Kourier“, jolches feineswegs. Die Gründe für die Unzufriedenheit des Bremer Organs Richterscher Observanz ergeben sich aus folgen- den Säßen: Ï

Richtig ist nur, daß im Reichstage eine feste Mehrheit weder für die jeßige, noch für irgend eine denkbare andere Regierung vor- handen ist, im Grunde auch nie vorhanden war. Anzuerkennen ist ferner, daß alle Parteien, insbesondere auch unsere freisinnige Partei, oftmals die staatsmännishe Sicherheit, Umsicht und Beharrlichkeit verutissen lassen, welche für Jeden, der einmal selber das Staats- ruder zu ergreifen wünscht, unerläßlich ist. Oder hegen unsere Freunde solche Wünsche nicht? .. . Dann wäre es nur um so s{limmer bestellt; denn wer im öffentlichen Leben kritisirt, muß auch bereit sein, an die Stelle des Angegriffenen zu treten und es besser zu machen, sonst s{chwächt er selber sowohl den inneren Werth als die äußere Wirkung, feiner Kritik“ d. h. wohlgemerkt, wenn er kann.

Centralblatt der Bauverwaltung. Nr. 15, Inhalt: Amtliches: Personal-Nachrichten. Nichtamtliches: Mittheilungen und Studien über die Baukunst des Mittelalters in Frankreich. Einfluß der Dehnbarkeit auf die: Tragfähigkeit zusammengesetßter Zug- stäbe. Allgemeine Einführung von Eisenbalken-Decken und deren Anordnung. (Schluß.) Die Reinigung des Abwassers von London. Preisbewerbung für cine neue Westfront des Domes in Mailand. Vermischtes: Preisausscchreiben für das Lessing-Denkmal in Berlin. Auszeihnung. Wiener Stadtbahn. Neue Brücke über den Donaukanal in Wien. Einführung der metrishen Maße und Ge- wichte in den Vereinigten Staaten. Themsebrücken in London. Neue elektrisde Centralstation in Wien. Kanaltunnel zwischen England und Frankreich. Lüftung von Eisenbahn-Personenwagen. Lagerung und Versand des Petroleums in London. Dampf- beizung und elektrishe Glühlichtbeleuhtung für Cisenbahnwagen. Eiserne Segelschiffe. Erdgas. H. W. H. Mithoff F.

Neichstags - Angelegenheiten.

Die dem Reichstage vorgeleaten Verträge mit mehreren \üd- afrikanischen Völkerschaften sind Schuß- und Freundschafté- verträge, welche deutschen Reichsgenofsen in den betreffenden süd- afrikanischen Gebieten die möglihe Rechtssicherheit für Leben und Eigenthum verbürgen und anderen Nationen gegenüber die Interessen des Deutschen Reiches wahren sollen. Streitigkeiten, an denen Deutsche betheiligt sind, sollen nur unter Mitwirkung deutscher Be- amten entschieden werden. Da die einzelnen Verträge wenig von einander abweichen, wird es genügen, den ersten derselben vollständig mitzutheilen. Derselbe lautet:

Se. Majestät der Deutsche Kaiser, König von Preußen, Wilbelm T., im Namen des Deutschen Reiches auf der einen Seite und das unabhängige Oberhaupt der rothen Nation in Groß-Namaqua- land, Kapitän Manasse zu Hoachanas, für fich selbst und seine Nechts- nafolger auf der anderen Seite haben den Wunsch, einen Schuht- und Freundschaftsvertrag abzuschließen. Zu diesem Zweck ist ver Be- vollmächtigte Sr. Majestät des Deutschen Kaisers, der Pastor C. G. Büttner, mit dem Kapitän Manaffe und seinen Rathsleuten über die nahstebenden Punkte übereingekommen: 1) Der Kapitän Manasse bittet Se. Majestät den Deutschen Kaiser, den Schuß über sein Land und Volk übernehmen zu wollen. Se. Majestät der Deutsche Kaiser nimmt dieses Gesuch an und versichert dem Kapitän Seinen Allerhöchsten Schutz. Als äußerliches Zeichen dieses Schutzes wird die deutsche Flagge gehißt. 2) Se. Majestät der Deutsche Kaiser verpflictet si, die- jenigen Verträge, welche andere Nationen oder Zugebörige derselben früher mit den Häuptern des rothen Volkes geschlossen haben, bestehen zu lassen und zugleich den Kapitän weder in der Erhebung der ihm nah den Gesetzen und Gebräuchen seines Landes zustehenden Einnahmen, noch in der Auëübung der Gerichtsbarkeit über feine Unterthanen zu beeinträchtigen. 3) Der Kapitän des rothen Volkes verpflichtet i, sein Land oder Theile desselben niht an eine andere Nation oder An- gehörige einer solhen ohne Zustimmung Sr. Majestät des Deutschen Kaisers abzutreten, noch Verträge mit anderen Regierungen ohne desselben Zustimmung abzuschließen. 4) Der Kapitän verspricht, aller deutschen Reichsangehörigen und Schußzgenossen Leben und Eigenthum zu beschützen. Er giebt ihnen Recht und Freiheit zu reisen, zu wohnen, zu arbeiten, zu kaufen und zu verkaufen, soweit sein Land fch erstreckt. Auf der an- deren Seite sollen die deutshen Reichsangehörigen und Schußgenossen die Geseße und Gebräuche tes Landes achten, nihts gegen die Gesetze des eigenen Landes thun und diejenigen Steuern und Abgaben an den Kapitan bezahlen, welche bis jetzt üblich waren oder die später zwischen dem Kapitän und dem Deutschen Neiche vereinbart werden mögen. Der Kapitän vervflichtet sich, an keine andere Nation größere Rechte oder Vergünstigungen zu geben als an die deutschen Reichsangehörigen. 5) Alle civilen und kriminellen Streitsachen zwischen weißen Leuten untereinander follen von Denjenigen abgeurtheilt werden, welche Se, Majestät der Deutsche Kaiser dazu bevollmächtigen wird. Auf welhe Weise die Streitigkeiten zwishen den deutschen Reichsangehörigen oder anderen weißen Leuten und den Eingeborenen abgeurtheilt und wie die Schuldigen bestraft werdcu sollen, soll später durch Uebereinkunft zwischen der deutschen Regierung und dem Kapitän der rothen Nation festgestellt werden. 6) Der Kapitän verpflichtet sih, so viel als mögli zur Erhaltung des Friedens in Groß- Namaqualand und in den Nachbarländern mitzuhelfen. Und wenn cr selbst eine Streitsache mit anderen Häuptlingen von Groß:-Namaqua- land oder den Nachbarländern haben sollte, fo wird er zuerst die An- sicht der deutschen Regierung erfragen oder bitten, die Sache dur Vermittelung der deutschen Regierung in Ordnung bringen zu lassen. 7) Wenn noch andere Dinge zwischen dem Deutschen Reich und dem Kapitän der rothen Nation zu regeln sein sollten, so follen die- jelben später durch Uebereinkunft zwischen den zwei Regierungen fest- geleßt werden.

(Berl. Pol. Nachr.) Wenn man das Facit des am Sonnabend zu (Eude gegangenen Theiles der MReichstags- Session 1885/85 zieht, fo ergiebt sich, daß in den 5 Monaten, vom 19, November 18385 bis 10. April 1886, folgende Vor- lagen der verbündeten Regierungen alle drei Lesungen passirt haben: Unfallversiherung der Personen des Soldatenstandes, sowie Unfall- und Krankenversiherung der land- und forstwirthschaft- lihen Arbeiter, Nord-Ostscee-Kanal, Schiffahrtsabgabe auf der Unterweser, Zuckersteuer, der Etat nebst Nachtrag, Sozialistengeseß, Heranziehung der Militärpersonen zu den Gemeindeabgaben, Militär-Pensionsgeseß, Handelsverträge mit der dominikanischen Re- publik und mit dem Sultan von Sansibar, Lissaboner Ueberein- kommen, betreffend den Weltpostverkehr, Bürgschaft des Reichs für die Zinsen einer egyptishen Anleihe, Gese, betreffend Ausprägung einer Nickelmünze zu 20 H, Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetze (8. 137 Reich8gerichtsfenate), Novelle zur Civilprozeßordnung, Novelle zum Zolltarifgeseße (Zusaß zu §. 5), Gewerbe- ordnungs-Novelle (Verleihung der Rechte einer juristischen Person an Innungsverbände), Pensionsverhältnisse des Statt- halters in Elsaß-Lothringen, Zulässigkeit der Beschlagnahme von Eisenbahn-Fahrmaterial und Rechtspflege in den deutshen Schut- gebieten. Abgelehnt wurden das A und Branntwein- Monopol. Von Juitiativanträgen wurden in allen Berathungen er- ledigt: Antrag NReichensperger, betreffend Einführung der Berufung, Antrag Lenzmann, betreffend Entschädigung unschuldig Ver- urtheilter und der polnishe Sprachenantrag von JIazdzewski ; dagegen abgelehnt wurden: die vom Abg. Viereck bean- tragte Aufhebung des Dynamitgesekes und die von den Sozialdemo- kraten voraeshlagene Arbeitergeseßgebung. In Kommissionen befinden sih noh: der Negierungsentwurf über den Servistarif und die Klassen- eintheilung der Orte, darn verschiedene Jnitiativanträge, darunter Rintelen, Bestrafa ang von Wahlbeeinflussungen, die Gewerbeordnungs- Novelle, betre?end Arbeitershuß und Befähigungsnahweis, Antrag Windthorst zur Affaire von Schalscha (Geschäftsordnungs-Kommission).

Aurich, 11. April. (W. T. B.) Bei der Reichstags- Stichwahl im _ hiesigen Wahlkreise wurde Dr. Kru se (nationallib.) mit über 1000 Stimmen Majorität geroählt.

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

(Centr.-Bl. der Bauv.) Am 20. v. M. starb in Hannover der Königliche ODber-Baurath a. D. Hektor Wilhelm Heinrich Mithoff, rühmlichst bckannt als Kunstgelehrter und als Förderer der Baugeschichte seines Heimathlandes Hannover. Der Verstorbene hatte id die Erforschung besonders der mittelalterlichen Kunstdenk- mäler dieser Provinz zur Lebensaufgabe gemacht. Bereits 1852 begann er mit der Veröffentlichung derselben in dem gediegenen Tafelwerk : „Archir für Niedersahsens Kunstgeschichte“, welches in drei Abtheilungen die Denkmäler der Stadt Hannover, das Kloster Wienhausen und die älteren Bauten von Goslar behandelt, leider aber seit 1862 niht mehr fort- geseßt worden ist. Das Hauptwerk Mithoffs besteht indeß in dem mit unendlihem Fleiß gearbeiteten und glüctliherweise troß des geroaltigen Umfangs von dern hochbetagten Verfasser noch zu Ende geführten Denkmalinveatariums „Kunstdenkmäler und Alterthümer im Hannoverishen“. Sine dritte größere Arbeit des Heimgegangenen betitelt si: „Mittelalterlihe Künstler und Werkmeister Nieder- \sachsens und Westfalens“. H. W. H. Mithoff hat das Alter von 75 Jahren erreicht.

Land- und Forstwirthschaft.

Washington, 10. April. (W. T. B.) Der Bericht des landwirthshaftlihen Departements ergiebt eine Ver- minderung des mit Winterweizen bebauten Terrains um 5 9% egen 1885. Der Durchschnitts\tand ist 923 gegen 76 im rergangenen

aÿre. / Gewerbe und Handel.

Die Nr. 7 X11]. Jahrgangs 1886 der „Mittheilungen des Bayerischen Gewerbe-Museums zu Nürnberg“ (Bei- blatt zu der Zeitschrift „Kunst und (Gewerbe), redigirt von Or. I. Stockauer, berichtet über die Situng der Wittelsbacher