1886 / 89 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 13 Apr 1886 18:00:01 GMT) scan diff

feit wird zugesagt werden können, da eine solche Revision jederzeit in der Alficht der Negicrung sowohl, wie, soviel ih weiß, in der Absicht der meisten Pärteien gelegen hat; es wäre ja geradezu tendenziös, wenn wix die oft zugegebene Absicht, die Maigesetze. zu revidiren, das Entbehrlicbe auszuscheiden und über Konzessionen zu verhandeln, gerade in diesem fkritishen Augenblick zurücziehen wollten. Nein, wo uns von der Gegenseite ein Angebot gemacht wird, können vir doh unmög- li sagea, jeßt wollen wir fkcine Revision mehr, weil uns ein Preis angeboten wird. Also diese Zusicherung zu geben, wird die Regierung ohne Weiteres in der Lage sein. Ich will auf die Auslegung, die der Herr Vorredner den Intentionen der Kurie gab, nit weiter eingehen als, indem ich die volle Ueberzeugung ausfpreche, daß, wen wir über den Frieden verhandeln und ihm näher treten, von beiden Seiten loyal, ehrlich und mit Vertrauen verhandelt werden wird, daß _ wir unsererseits dieselbe Zuverlässigkeit und Loyalität auf der andern Seite voraus'etzen, mit der wir folchen Verhandlungen näher treten würden. Ich bitte Sie, meine Aeußerung vorzugsweise anzunebmen als eine Richtigstellunz der Auffassung der Vergangenheit, über die ih ein flassisher Zeuge sein darf, weil ih an ihr mitgearbeitet habe, und mir zu gestatten, daß ich über die Stellung, die die Regierung zu den ein- elnen Punkten nehmen wird, mi demnächst zu einem Zeitpunkt äußere, wo die Negicrung in der Lage fein wird zu übersehen, welhes die Gesarnmtwirkung in allen Parteien des Landes sein wird und bis zu welcher Linie der Konzession zu gehen ihr die Majorität des gesammten Landes erlauben wird. Sie wird bis zu dieser Grenze bereitwilligst chen: es kann aber nicht verlangt werden, daß sie sich mit der Majorität aller Parteien in Unfrieden seßen follte.

Nicht an der öffentlihen Meinung, sondern an dem Ausdru der Stimmung des Volkes, wie er in den beiden Häusern des Landtages die Möglichkeit hat, sich amtlich zu erkennen zu geben, wird es fein, tie Grenzlinie zu bestimmen, bis zu welcher die Staatsregierung gerne und bereitwillig gehen wird.

Herr von Kleist-Reßow meinte: Die leßten Worte des Reichskanzlers seien unzweifelhaft dahin zu verstehen, daß er nur dann die Vorlage Sr. Majestät zur Sanktion unterbreiten könne, wenn die Majorität in beiden Häusern des Landtages sih nicht nux aus Konservativen und dem Centrum zusammen- seße, sondern tiefer nah links hineingreife. Diese Worte seien eine ernste Mahnung an die Gegner der Vorlage, ob sie die Verantwortung dafür auf sich zu nehmen bereit seien, den Staat noch ferner im Kampfe mit der Kirche zu lassen, in einem Kampfe, wo jener mehr geschädigt werde als diese, dafür, daß ein Friede nicht erreiht werde, wenn die Vorlage zu Falle komme. Herr Professor Beseler habe sih gegen Alles, nicht nur gegen alle Anträge, sondern gegen die ganze Vorlage erklärt : derselbe habe gesagt: er müsse als evangelischer Christ diese Entscheidung treffen. Er (Nedner) fühle sich dagegen zedrungen, zu erklären, daß er als evangelisher Christ für

ie Vorlage stimmen müsse, weil er den Frieden wolle. Den Beweis für die in seiner Rede ausgesprochene Behauptung sei der große Jurist s{uldig geblieben, und es fei ihm der große Fehler passirt, daß er Haupt- und Nebensachen voll- fommen verwechselt habe. Die Sache liege doh so, daß die Kommission entschlossen gewesen sei, die Anträge Kopp bei Gewährung der Anzeigepflicht anzunehmen. Redner kritisirte des Weiteren die Ausführungen des Herrn Beseler uud er- klärte sich s{hließlih mit den Anträgen, jedoch nicht mit der Resolution*) einverstanden. Jn Folge der römisc@zen Note vom 4. April habe sich die Situation so geändert, daß von einer Weigerung, die Vorlage anzunehmen , seiner Meinung nah niht mehr die Rede sein könne. Er bitte dringend, im wahren Interesse des Staats und seiner Glieder den Gefeßentwurf mit den Anträgen Kopp anzunehmen.

Hierauf nahm Fürst Bismarck noch einmal das Wort :

Jch muß dem Herrn Vorredner in einer seiner Anfübrungen widersprechen, weil ih glaube, daß diefelbe auf einem thatsächlichen Irrthum beruht.

Er bat gesagt, daß dur@ den Kampf, so wie er bisher verlaufen ist, der Staat seiner Meinung nach mehr geschädigt fei als die Kirche. Das ift eine Ansicht, die ic nit theile; es könnte daraus {i der wesentliche Irrthum entwickeln, als ob der Staat in den Anerbietungen, mit denen er der Kirche und feinen katbolisWen Mitbürgern entgegenkonmumt, irgend einer Notblage Ausdruck gäbe, in der er sich befinde, als ob sie nicht der reine Ausfluß des Friedensbedürfnisses Sr. Majestät des Königs Seinen fatbolishen Unterthanen gegenübcr wäre, von dem Augenblicke an, wo der Friedens8wuns{ von Rom aus unzweideutigen Ausdruck gefunden bat. Der Herr Vorredner wird sich felbst überz daß diese Auffassung eine irrtbümliche ist, wenn er auf die parlamentarische Seite des gegenwärtigen Streits im Vergleih gegen frühere Zeiten zurüdblickt. Wie lange ist es ber, daß wir in Preußen niht cine Situation gebabt baben, so günstig wie die heutige im Abgeordneten- bause. Die konservative Partei îin sch einig, in einer fru{tbaren Füblung mit der nationalliberalen Partei, kurz die drei nationalen Parteien in einer grofien Maiorität und demgegenüber das Bündniß von Centrum und Fortschritt in einer Minorität. Diesen Zustand bat sid der Herr Vorredner nit wver- gegenwärtigt Jl kann im AugenblickE nit nacrecGnen, wie lange 8 her ist, daß eine Preußen vorbanden war. Wenn Schaden gelitten hat, fo ist es das

so günstige parlamentariscbe Lage in A B 8 E » k: F irgend etwas durch den Kulturkampf Cart s M2 A Q c

Deutsche Reich, und das Ansehen

{li A und die Wirkung des Reichstages. Das liegt aber auch nicht wesent- lid am Kulturkampf, fondern das liegt an den Bunde8Sgenofen, die A 1

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das Centrum im Reich gefunden bc d e T ck14 +2 » Y T r : s

Reichëtag das Centrum daftände obne die Fortschrittsvartei! Die iegt, die daë Gentrum glaubt erfochten It baben, find mit Siege

der Fortfcritt8partei Ohne diefen Bundesgenofsen befände sih das Centrum im Reichstage in derselben Minorität wie ium preußischen Abgeordnetenhause, ungeactet der bedenklichen Bundes- genossen, die es außerdem zur Seite bat, in Gestalt der Sozialdemo- Fraten, der Elsaß-Lothringer Franzoseufreunde und der Polen. Un- geachtet dieser bedauerliden Verbindung würde es obne die Fort- \critt8vartei die Majorität nicht baben. Also was uns diefe Un- bequemlickeiten iun Reiche verursacht, lege ih nicht sowobl dem Cen- trum zur Last als der Fortschritts8partei, soweit sie im Centrum ver- treteu ist, was ja sehr bedeutend ist, und insoweit sie selbständig ift. Die Forts{rittäpartei bat dic eigenthümliche Rolle gespielt, daß sie im Anfange des Kircenstreites densclben mit der größten Sorgfalt geführt bat, und ibn jeßt in jeder Weise verleugnet. Die \Bärîsten und erbittertsten Reden üm kirhlihen Streit find von Mitgliedern der Fortsc{brittsvartei gehalten worden, und nachdem sie das Feuer recht in Vrand gebraht batten und Staat und Kir@he gegen einander verbeßt, gingen fie mit fliegenden Fahnen in das Lager des Centrums

beicossen den Staat von da aus. Sie benußten die An-

um unter dem Deckmantel der Kirchenpolitik staais- und udliche Politik mit zu treiben. Und diese Partei spricht in ibren Organen jeßt von politisGer Ehre!

Herr Dr. Miquel erklärte: Der Landtag sei der Vor- lage gegenüber in doppelter Beziehung in s{hwieriger Lage: die Stxatsregierung verlange einerseits Stellungnahme, wäh- rend Ke selbst ihre Haltung von der Abstimmung des Land- tages abhängig mache; und andererseits sei die Staatsregierung niht direkt von der Ansiht ausgegangen, einen Frieden mit der fatholishen Kirhe durch die Vorlage her- beizuführcn, fondern sie habe geprüft, was auf- gegeben werden- könnte, um den Wünschen der fka- tholishen Unterthanen gerecht zu werden. Die Kom- mission habe von vornherein ein anderes System verfolgt; ne habe den in Preußen und an anderen Stellen einem Frieden günstigen gegenwärtigen Augenbli benuzen wollen,

um zu einem definitiven Abschluß zu kommen. Deshalb habe es die Kommission auch gegenüber der reservirten Stellung der Staatsregierung verantworten können, über deren Vor- lage hinauszugehen und mehr zu offeriren ; aber nur, wenn wirklich die Garantie geboten werde, daß wir zu einem wahrhaft friedlihen Verhältniß ur fatho- lischen Kirche zurüdckfehren. Dieser Vorbehait sei nicht willkürlih; er behaupte: er entspreche den Wünschen der Mehr- heit des deutschen Volkes. Er stehe niht auf Herrn Beselers Standpunkt unt bedauere, daß de! ¿lbe fo geringshäßig von der materiellen Bedeutung der Anzeigepflicht gesprochen. Er (Nedner) betrachte sie, als ußeres Zeichen des friedlichen Einvernehmens zwischen Staat und Kirche, als höchst -bedeutungsvoll; sie sei dur fein Gesey der Kirche verboten, und daher solle durch ihre Gewäh- rung die leßtere nur bekennen: sie habe die fried- liche Gesinnung der anderen Seite erkannt und werde daher von jeßt ab die Anzeigepflicht ohne Vorbehalt er- süllen. Diese Erwartung habe die Kommission gehegt. An- fänglih habe es gegenüber diesem Entgegenkommen geschienen, als ob der Bischof selbst, an dessen Loyalität und redlicher Absicht, für den Frieden mitzuwirken, Niemand gezweifelt habe und auch heute nicht zweifele, der Ueberzeugung gewejen [eir wenn die Nachgiebigkeit wirklih Seitens des Staates bewiesen würde, dann sei an der Vollgewährung einer un- bedingten Anzeigepflicht niht zu zweifeln. Darauf seien zwei verklausulirte Erklärungen gekommen und zuleßt die Note vom 4. April, in der Herr von Kleist die offene Erklärung einer dauernden Erfüllung der Anzeigepflicht für die ganze Zukunft finde. Eine folche sei aber nicht vor- handen. Er (Redner) für sein Theil entnehme aus den bis- herigen Akten der römischen Kurie und des gegenwärtigen Oberhaupts, daß dieses den Frieden ehrlih wolle. Dieses persönliche Vertrauen zu Sr. Heiligkeit dem Papst könne doch aber für ihn (Redner) eine rehtlihe und orga- nische Justitution nicht erseßen. Was man erstrebe, sei kein Augenblickserfolg, fondern ein dauernder Friedenszustand. Dieser hänge aber von der weiteren Revision ab, wobei man weder wisse, wie die römische Kurie dieselbe auffasse, noch diefe wissen könne, in welchem Maße die preußische Staatsregierung und Landesvertretung ihren Wünschen entgegenkommen würde. In der Frage: in welhem Maß und Umfange dieselbe statt- finden solle, lägen neue Keime eines neuen Kampfes. Es fei aber auch die Gefahr vorhanden, daß nebea allen an- deren Gegensägen demnächst noch der Vorwurf der Jlloyalität und der mangelnden Vertragstreue von der einen oder anderen Seite erhoben werde. Auf solcher Grund- lage könne man es in diesem Augenbli, selbst wenn man, wie er (Nedner), den dauernden Frieden herbeisehne, nicht ver- antworten, an die durch die Anträge des Herrn Bischofs Kopp geforderte äußerste Linie zu gehen, bis zu welcher ein moderner Staat bisher kaum gegangen; denn es werde die Aufgabe von Staatshoheitsre(hten, die auf altem Staatsrecht, dem Landrecht be- ruhen, verlangt. Wäre es denn fo unbillig gewesen, wenn der Papst si bestimmt erklärt hätte? Dann brauchte man nicht hier zu streiten über die weitere Revision der Maigeseße. Mit tiefem Be- dauern würden fi daher eine große Anzahl Mitglieder ent- schließen müssen, in der gegenwärtigen Lage die Vorlage mit den Amendements, jedenfalls aber die über die Regierungs- vorlage hinausgehenden Anträge der Kommission und des Herrn Bischofs Kopp abzulehnen. Um jedoch über den Sinn dieser Ablehnung im Lande keinen Zweifel zu lassen, fei in der Resolution*) ausgesprochen, daß die Maigeseße allerdings im Interesse des Staats und der Bevölkerung ein- gehend revidirt werden müßten, daß aber dabei die unveräußerlihen Rechte des Staates zu wahren seien, und daß diese Revision niht in verschiedenen Akten von Periode zu Periode fortgeschleift werde, sondern in einem großen Aft auf Grund eines festen Einvernehmens mit der römischen Kurie. Man sollte doch gewisse Rechte, die Resultate Jahrhunderte langer Kämpfe, in denen so zu sagen ein ge- meines Staatsrecht zum Ausdruck komme, welche die Weisheit unserer Vorfahren in dieser Beziehung festgeseßt und die Kirche geduldet habe, nitt so leiht behandeln, als wenn sie in diemoderne Welt nicht mehr paßten und keine Bedeutung mehr hätten. In der Zeit von 1850 bis 1873 habe man einen rechtlihen Zustand gehabt, indem die Kirche fh vom Staat los- gelöst, dieser aber an die Kirche gebunden gewesen sei. Zwei Systeme gebe es überhaupt blos: volle Trennung von Staat und Kirche mit allen Konsequenzen für die Schule und die öffentlih rechtlihe Stellung beider, Zurückziehung der starken Hand des Staats und rolle Gleichgültigkeit des Staats gegen die KirGe; oder die Aufrehthaltung der alten historishen Stellung der großen Kirchen im Staat, Privilegirung der Kirche auf verschiedenen Gebieten, Gewährung von Vorzugsrechten, Schuß der Kirche, aber auch Wahrung gewisser Rechte des Staates, nicht blos Pflichten; sonst komme man wieder auf den Zustand von 1850—1873, welcher die eigentlihe Grundlage des ganzen Streits geworden. Käme man wieder dahin, dann würde der ¿Friede von kurzer Dauer sein. Deshalb wolle er eine organische Regelung der Stellung des Staats zur Kirche nicht von heute auf morgen, sondern von Dauer. Dabei müßte er aber einzelne Vorbehalte für einige sehr wichtige Fragen machen. Gewiß werde der Geistliche innerhalb der Kirche stehen, seinen kirhlihen Oberen mehr gehorchen als den staatlichen. Gewiß sei es fals, sich willkürlih in Verhältnisse des Geistlihen zu seinen Vorgeseßten eindrängen zu wollen, und zweifellos hätten die Maigesete diefen Fehler aemacht: daraus folge aber keineswegs, daß der Staat gleich- gültig gegen die Vorbildung der Geistlichen sein könne, weil die Geistlichen als solche im Staat an der Erziehung der Jugend mitzuwirken hätten ; das wilrde zur konfessionélosen Schule führen. Alle Rechte, die sich der Staat gegenüber der Kirche beilege, müßten weise und vorsichtig bemessen sein; bis zu einer ge- wissen Grenze seien sie nothwendig, darüber hinaus für den Staat werthlos und shädlih, für die Kirhe hemmend und

_*) „Daë® Herrenhaus wolle bes{ließen: Der Königlichen Staats- regierung feine fortdauernde Bereitwilligkeit zu erklären, bei einer ab?{liekenden Revision der kirblihen Gefetgebung, soweit die un- veräußerlihen Rechte des Staats dieselbe zulassen, behufs Herbei- fübrung eines friedlichen Verbältnisses zu der römisch-katholischen E®rche mitzuwirken, und die Staatsregierung zu ersuchen, unter dieser

.ausfezung und zu diesem Zwecke einen anderweiten Gesetzentwurf vorzulegen.“ ;

Die Resolution wurde unterstützt von den Herren von Bernuth, Beseler, Bödc(her, Boie, Bötticher, Bredt, Breslau, Prinz zu Schoenaich- Carolath, Dietze, Dove, Graf von Dybrn, Forhbammer, Francke, Friedensburg, Friedlaender, Miguel, Dstermeyer, von Pfuel, Graf von Pücler-Swedlau, Reichert, Roepell, Fürst zu Salm-Reiffer- \cheid, von Schumann, Graf von Schwerin, Staude, Struckmaun Theune, Toosbüy, Ubbelohde.

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\chädlich. Das sei di: Kunst des Staatsmanns und Historikers gegenüber den {hwankenden und veränderlihen An cauungen hier das Richtige zu finden. Die preußishe Regierung dürfe niemals fkonfessionelle Politik führen: unsere

Lage sei in dieser Beziehung eine viel feiner zu beurtheilende als die ‘anderer Staatsregierungen ; andererseits seien die Konsequenzen auch um fo gewidltiger und maßgebender, weil sie beide Kirchen betreffen würden. Würden der fatholischen Kirche Freiheiten gegeben, so werde auch die evangelische mit Gegenfsorderungen fommen. Wenn in leßter Konsequenz es dahin kommen sollte, daß beide Kirchen nur Rechte, keine Pflichten gegenüber dem Staat hätten, dann würde der Staat die Befugniß verlieren, zwischen den beiden Konfessionen als Friedensbewahrer aufzutreten; das würde aber von {weren Folgen für Preußen und Deutschland begleitet sein. Er und seine Gesinnungsgenossen seien bereit, in dem Entgegenkommen so weit wie irgend möglih zu gehen Er sei der Ueberzeugung, daß der Staat ohne irgend welhen Schaden einen Theil der bestehenden Geseß- gebung aufgeben könne; aber dahin dürfe es nie führen daß sich der Staat aus der Stellung zurückziehe, welche durch die Natur und Geschichte der Kirchen und dur die paritätishe Natur unseres Staats unbedingt nothwendig sei Wenn die Befürchtungen des Herrn von Kleist zuträfen, daß bei Nichtannahme der Anträge ein wirklicher Friede auf Jahr- zehnte wieder vertagt wäre, so würde er (Nedner) si doppelt besinnen, ob der Weg der richtige sei, den er für richtig halte. Aber er glaube es nicht. Durch die Haltung des Herrenhauses und der Regierung sei erwiesen, wie weit die Kurie auf ein Entgegenkommen rechnen könne, wenn sie ihrerseits entgegen- fomme. Erwiesen wäre dann aber auch, daß der Kampf fort- dauern würde, wenn sie ihrerseits niht entgegenkomme. Es sei zu erwägen, ob niht bei den maßgebenden Elementen der Kurie irrige Ansichten beständen. Wenn man heute Alles annehme, obwohl bestimmte Gegen- zusicherungen nicht vorliegen, wie werde es dann mit der dem- nächstigen Revision werden? Habe man da noch einen festen Halt? Das sei wohl zu bedenken. Das Ziel sei, wie er ver- muthe, bei Allen gleih. Man sei blos verschiedener Meinung über die NRathsamkeit des Weges. Wie auch das Herrenhaus entscheiden môge, alle Mitglieder desselben hegten die gleiche Hoffnung: möchte der ersehnte Friede bald kommen, das richtige Verhältniß zwischen Staat und Kirche hergestellt und unsere katholishen Mitbürger befriedigt werden.

__ Graf zur Lippe äußerte: Die katholische Kirche könne in einem evangelischen Staate niht das Maß von Selbständigkeit haben wie in einem fkatholishen. Das habe auch Friedrich der Große schon ausgesprohen. Aber auh die Regierung könne bei uns nicht den Einfluß auf die Kirhe ausüben wie in einem fkatholishen Staate. Wenn man jeßt die ganze Vorlage ablehnen wolle, so sei unklar, wie man zu dem Anfang des Friedens kommen wolle. Man müsse gerade jeßt zeigen, wie weit man gehen wolle. Die Regierung habe eine positive bestimmte Antwort erwartet, sie habe den Weg ge- ebnet, und das Haus müsse dem auf dasselbe gesetzten Ver- trauen entsprechen. Es gehöre ein gewisser Muth dazu, alte Meinungen abzulegen ; diesen Muth müsse man jeßt zeigen. Was heute gethan werden Tönne, sollte man nicht aufschieben. Man müsse so weit gehen wie irgend möglich, dann werde das andere Haus niht umhin können, denselben Weg zu gehen. Die Grenze zwischen Kirhe und Staat einseitig durh die Landesgeseße gezogen zu haben, fei ein Fehler der Maigeseße, den man jeßt wieder gut machen müsse. Lehne man die Vorlage heute ab, so werde die Kurie die Be- strebungen des Hauses nicht für ernst halten; deshalb bitte er im Jnteresse eines dauernden Friedens um Annahme der Vorlage.

Hierauf wurde die Generaldiskussion geschlossen und um 41/, Uhr die weitere Berathung auf Dienstag 1 Uhr vertagt,

Gewerbe und Handel.

Prof. Dr. E. Reyer in Wien hat in der Zeilshrift für „Berg-, Hütten- und Salinenwesen“ auf Grund seiner persönlichen Anschauungen eine interessante und lehrreihe Arbeit über die Gold- gewinnung in Kalifornien veröffentlicht, der wir nachstehende Mittheilungen entnehmen. j

: Der mittlere Reichthum der Goldquarzgänge betrug Anfangs mehrere hundert Mark, sank dann bis auf 60 Æ, und jeßt verarbeitet man Gänge mit nur 12 Æ per Tonne. Die finanzielle Wirthschaft ist zum Theil unglaublih, wie folgendes Beispiel zeigt: Der Gang- zug von Bodie wurde 1877 mit 5000 Aktien à 1 Doll. gegründet; im Frübjabr. 1878 wurde noch è Doll. zugeshossen, dann traf man auf reiche Mittel und vertheilte, während die Aktien auf 50 stiegen, im selben Jahre noch 11 Doll. Dividende. Im Dezember 1880 stand die Aktie 0,1 Doll. s | L Ueber die neuen Waschmethoden und die Zuführung der dazu benöthigten Wassermengen macht der Verfasser folgende Angaben: An bergmännishen Kanalanlagen wurden ausgeführt 7000 km im Jahre 1856, 9000 km in 1858, ebensoviel in 1867, 8000 km in 1872 und atermals 9000 km im Jahre 1880. Seit 1856 nahm man Eisenguþ-+. tann genietete Schmiedeeifenröhren, mit denen man Heberöhren behufs Ersparung von Aquädukten herstellte. Die für Gherofee angelegte 30 zöllige Leitung bildet ein 4 km langes Knie mit Ÿ Zoll Blechstärke und hält einen Wasserdruck von 270 m aus. Ferner ist der Prozeß der in der Ebene wohnenden Farmer gegen die Bergleute interessant. Erstere empfingen durch die hydrau- lischen Wäschen doppelt soviel Schutt als früber durch die natürliche Erosion, und wurden klagbar; der Prozeß ist zu Ungunsten der Berg- leute entschieden worden. i i:

__ OHinsichtlih der Produktion wird bemerkt, daß sie in den fünfziger Jahren meist 200 Mill. betragen habe; in den sechziger Jahren fank sie auf 100 Mill. und jeßt erreicht sie nur einen Werth von 50 Mill. # jährlich. Anfangs der fünfziger Jabre waren über 60 000 bis 100 000 Mann in den Goldbergwerken und -Wäschen Kali- forniens beschäftigt; auf den Mann entfielen jährli nur 2000 bis 4000 M, was bei cinem Tagelohn von 16 bis 32 \ ein starkes Defizit pedeutet. Mitte der sechziger Jahre lieferte der Quarzbergbau pro Mann nahe an 4090 H, die Wäschen entsprechend weniger bei cinem Tagelohn von 10 bis 12 #, alfo abermals cin ôfonomisher Schaden. Es erklärt sih dies daraus, daß cinige Dutzend Werke die und den Marktpreis bestimmen. Durch den Erfolg verlockt, werden zablreihe äbnlihe Unternehmungen gecründet, die na dem Verbrau

nenbr Einer gewi iel, Hu e verlieren etwas. „Darum ift die Goldproduktion de Erde i ofen Ganzen unöfkfonomish gewesen, und das Gold it aus diesem Grunde ein LOOeS wird, , So wird es bleiben, \o lange die Gosldproduktion

/ gitens in den wichtigsten Goldländern vom Staate gerege

Hauptmasse des Goldes produziren, reicen Gewinn erzielen der Gelder zusammenbrech{en. ( (

Artikel, \welWer unter den Selbstkosten auf dem Weltmarkte oder ganz verstaatlicht wird.“ («Stahl und Eifen“.)

der Königlichen Staatsregierung abhängig ist, das ift wohl unbe-

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Nichtamtliches.

Preußen. Berlin, 13. April. Fm weiteren Verlauf der gestrigen (61.) Sipung des Hauses der Ab ge- ordneten erklärte sich nah Verlesung der Jnter- ellation der Abgg. Prees von Minnigerode und Graf Kaniß, welche die Anfrage an die Staats- regierung stellt, ob dieselbe weitere geschgeberische Maßregeln heabsichtigt, um dem Preisrüdcgang der landwirth- shaftlichen Erzeugnisse zu begegnen und eine weitere Steuererleihterung der Kommunen herbeizuführen, der Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forßen, Dr. Lucius, zur sofortigen Beantwortung bereit.

Der Abg. Freiherr von Minnigerode motivirte die Ein- hringung der Jnterpellation mit der in landwirthschaftlichen reisen allgemein herrshenden Nothlage. Nachdem der Reichs- jag es abgelehnt habe, in eine eingehende Erörterung der Frage des Branntwein-Monopols einzutreten denn eine eingehende Behandlung könne man die Debatten im Reichstag niht nennen —, und so die Hoffnung der Landwirthe auf eine Besserung der Lage getäuscht worden sei, habe sich Redner veranlaßt gesehen, im Abgeordnetenhause die Behandlung der Frage anzuregen. Jn den kapitalistishen Kreisen der Groß- städte herrsche völlige Unkenntniß über die Verhältnisse der Landwirthschaft. Nah der legten Volkszählung wiesen ¡wei Fünftel sämmtlicher Kreise der Monarchie eine Abnahme der Bevölkerung auf; während insgesammt die Bevölkerung in den Städten um 8,61 Proz. zugenommen habe, sei die länd- lihe Bevölkerung nur um 1,13 Proz. gewachsen, das sei eine bedenkliche Verschiebung der Bevölkerungsverhältnisse, die be- sonders zu Ungunsten des Ostens liege. Was die Abhülse- maßregeln betreffe, so wolle Redner auf die Tariffrage und die Frage der Doppelwährung nicht eingehen. Durch nachträgliche Zollerhöhungen könne die gegenwärtige Krisis aber über- wunden werden. Es handele sih bei der landwirthschaftlihen Nothlage nicht um eine vorübergehende ungünstige Konjunktur, jondern um einen dauernden Zustand. Man behaupte, die ölle hätten nichts genüßt, weil man troßdem jeßt keine nor- malen Verhältnisse habe. Wohin wäre man aber erst ge- fommen, wenn man die Zölle nicht gehabt hätte? Nicht nur unendlich viele persönliche Existenzen seien bedroht, auch für den Staat selbst liege in der landwirthschaftlichen Nothlage eine große Gefahr. Gegenüber der Kon- furrenz des indischen Getreides seien die deutschen Kornzölle viel zu gering. Der Rückgang des Zins- fußes und die Billigkeit des Geldes genügten “auch nicht, den Ertragsrücfkgang um ein Drittel resp. die Hälste zu beseitigen. Man werde sagen: Was nüße es, wenn im Abgeordnetenhaus Lärm geschlagen werde, während der Neichs- tag sich etwas lache; wenn man aber im Abgeordnetenhause auf die Nothwendigkeit der Zollerhöhungen hintweise, werde der Reichstag sich eher dazu entschließen können. Von dem Pollzoll wolle Redner nicht weiter sprechen, da hierbei die Frage der Ausfuhrvergütung zu schwierig sei. Aber Viehzölle feien durhaus nothwendig aegenüber der massenhaften Schweineproduktion Amerikas. Mit der Branunt- weinkonsumsteuer sei er einverstanden, dieselbe müsse große finanzielle Erträge liefern. Durch die jeßige Spritklausel sei eine Schädigung des deutshen Branntweinhandels nicht aus- geshlosen. Was die Zuckersteuer betreffe, so halte er die Beschlüsse des Reichstages für rihtig und würde bedauern, wenn die Negierung die Rübensteuer erhöhen wollte; dadurch würde nur ein s{werer Dru auf die Landwirthschaft aus- geübt werden, da die Zuckerfabrikanten die Steuer auf die Rübenbauern abwälzen würden. Fn Bezug auf die Erleichterung der kommunalen Lasten müsse er die Ueberweisung der Grund- und Gebäudesteuer als eine längst anerkannte Forderung empfehlen. Der Auêfall an Grund- und Gebäudesteuer würde, nach- dem der Reichstag zur Erhöhung der Einnahmen des Reiches seine Zustimmung versagt habe, durch eine Getränksteuer in Preußen aufgewogen werden, bei welcher der germanische Durst in patriotishem Interesse nicht versagen werde. Zum Schluß bemerkte Nedner, daß seine Ausführungen keinen polemischen Iweck haben sollten.

Hierauf erklärte der Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten, Dr. Lucius:

Meine Herren, zu dem ersten Punkt der Frage, ob die Königliche Staatsregierung beabsichtigt, Maßregeln anzuregen, welche darauf ge- richtet sind, dem bedrohlihen Preisnicdergang der landwirthschaftlichen Erzeugnisse zu begegnen, habe ih zu erwidern, daß zur Zeit die Königliche Staatsregierung nicht glaubt, eine (Erhöhung der bestehenden Getreide- und Viehzölle anregen zu sollen.

Was die zweite Frage betrifft, ob cine weitere Steuererleihterung der Kommunen und fommunalen Verbände herbeigeführt werden folle, so erlaube ich mir, auf die Erïlärung hinzudeuten, die sowohl der Herr Minister-Präsident, als auch der Herr Finanz- Minister in autoritativster Weife bei der Einbringung des dies- jährigen Etats hier als Ziel des Steuerreforuiprogramms der Königlichen Staatsregierung ausgesprochen hat. Der Herr Finanz- oie hat damals als Steuerreformprogramm und als Ziel be- zeichnet : reihlihe Mittel zu gewinnen, um ih meine die Hälfte der Schullasten auf die Staatskasse zu übernehmen, die ganze Grund- und Gebäudesteuer den Kommunen zu überweifen und dafür zu sorgen, daß besonders harte und ungerecht treffende Steuern aus „der Welt geschafft werden, N : Dieses Ziel, was Seitens der Königlichen Staatsregierung damals bezeichnet worden ist, besteht zur Zeit auch noch. Daß aber die Er- reichung unk die Durchführung desselben niht blos von dem Willen

streitbar. Ich darf hinzufügen, daß die Königliche Staatsregierung durch die Einbringung des Spiritus-Monopols im Reichstage ver- suht hat, die Mittel für die gewollten Zwecke zu gewinnen. Welches Schicksal diese Vorlage gehabt hat, ist bekannt. Ich darf aber weiter konstatiren, daß fich die Königliche Staatsregierung durch diesen Mißerfolg nicht wird abschrecken lassen, mit neuen Vorlagen, die die gleichen Ziele und Zwecke verfolgen, hervorzutreten, und daß sie hofft, daß das mit besserem Erfolg gesehen wird, und daß sie bei ihren Bestrebungen die Unterstützung aller der Parteien, die dasselbe Ziel erstreben, auch haben möge. A A

Meine Herren, mit diesen Bemerkungen hätte ich eigentlich die

Q % Lf vnterpellation beantwortet. Da ich aber aus den Ausführungen des Herrn Vorredners ersehe, daß es ihm nicht sowohl um eine kurze Er-

Zweite Beilage

Berlin, Dienstag, den 13. April

flärung zu thun ist, als daß er und seine Partei es für zweckmäßig und erwünscht balten, über die allgemeine Lage der Landwirthschaft bier cingehend zu diskutiren, so kann ich mich natürli meinerseits dieser Aufgabe nicht entziehen und bin bereit, auf die gehörten Be- merkungen und Ausführungen einzugehen.

Meine Herren, darüber, daß \ih die heimische Landwirthschaft in einer großen, {weren Krisis befindet, darüber kann wohl auf keiner Seite ein Zweifel obwalten; Niemandem kann diese ganze Nothlage mehr gegenwärtig sein als der Königlichen Staatsregierung und inner- halb derselben Niemandem mehr als dem landwirthschaftlichen Minister, der der gesammten Domänen- und Forstverwaltung vorzustehen hat. Jeder Antrag auf Stundung, auf Pachterlaß, jeder gelangt an die Zentralstelle, und es bedarf keiner Ausführung, daß es eine der peinlichsten, mißlihsten Aufgaben ift, dieser wirklichen Notblage gegenüber durch die geseßlihen Vorschriften, durch die Verwaltungsgrundsätze, die unabänderlich sind und unabänderlich fein müssen, nicht in der Lage zu sein, diese Klagen in vollem Umfange be- rüsichtigen und sie abstellen zu können. Also ich glaube, wenn irgendwo eine richtige Schäßung der gegenwärtigen Krisis existirt, fo dürfen Sie versichert sein, existirt sie bei der Königlichen Staatsregierung und ganz gewiß auch im landwirthschaftlichen Ministerium ; und ich meine weiter, die Königliche Staatsregierung hat auch durch die aktiven Maßnahmen, die sie seit Jahren getroffen hat, bewiesen, daß sie nicht nur diese Erkenntniß der Sachlage hat, \fondern auch den aufrichtigen Willen, mit aktiven Maßnahmen diesem kritischen Zustande zu begegnen.

Des Weiteren auf die Ursachen dieser kritishen Erscheinung cin- zugehen, das wird ja {on darum mit wenigen Worten geschehen fönnen, weil diese Fragen jo oft und wiederholt diskutirt worden sind bei der Berathung über die landwirthschaftlichen Zölle im Jahre 1879, bei derjenigen, die im 1885 stattgefunden hat, so daß ih nach allen diesen Richtungen eigentlih doch nur oft Gesagtes wiederholen kann.

Im Wesentlichen leidet nit nur die deutsche, sondern die ge- sammte europäische Landwirthschaft unter denselben großen Schwierig- keiten; sie leidet in erhöhtem Maße in den alten Kulturländern, in den dicht bevölkerten hoch industriell entwickelten Ländern, ganz bes sonders in Frankreich, in England und in Deutschland. Jn Deutsch-. land ist diese Krisis erst mehrere Jahre später in dem Umfange ein- getreten, wie das in Frankreich und in England der Fall gewesen ift; in England war bereits im Jahre 1879 ungefähr diese Krisis auf der höchsten Höhe, und fie hat dort eine Höhe erreicht, die sie bei uns nicht erreicht hat und hoffentlih auch nicht erreichen wird. Da- mals standen Tausende von Pachthöfen leer, ohne Pächter zu finden ; die großen Grundbesitzer, die im Durchschnitt nicht in Latifundien ihre Besißungen bewirthschaften, sondern vorwiegend in kleinen Farmen ihre Güter vervachtet haben, und die im Großen und Ganzen au humane Landlords sind, waren zum großen Theil auf die Hälfte ihrer Nevenuen reduzirt. Wenn diese Krisis bei uns nicht den \chnellen Fortgang und den großen Umfang genommen hat, so dürfen wir das zum Theil seßen auf unsere gesünderen Besitzverhältnisse, und ih glaube, au nit zum geringen Theil auf die aktiven Zollmaßnahmen, die damals genommen worden sind. In jedem Falle ist die Ent- wickelung dieser Krisis gemildert worden, sie ist gehemmt worden.

Diese Anschauung über den landwirthschaftlihen Nothstand hat im Jahre 1879 dazu geführt, schr mäßige Getreidezölle bei uns ein- zuführen. Es ist wohl noch in Aller Erinnerung, mit welchen Schwie- rigkeiten das geschah, welche großen erheblichen Bedenken auch bei den besten Freunden der deutshen Landwirthschaft dieser Einführung der landwirthschaftlichen Zölle entgegengestanden. Ich glaube, wir durfen uns gegenseitig das Zeugniß ausstellen, daß man auf diesem Gebiet mit der größten Vorsicht nah allen Seiten zu! Werke gegangen ist. Die Einführung der damaligen niedrigen Zölle hat ein Resultat in Bezug auf Preissteigerung, also eine Wirkung als Schußzzoll, wie ich dem Herrn Vorredner unbedingt zugebe, nicht gehabt. Viele von uns haben das von vornherein vorausge}ehen. Aber den nüßlihen Erfolg haben jedenfalls die damaligen niedrigen Zölle ausgeübt, daß sie er- hebliche Reichseinnahmen gebracht haben, daß sie als Finanzzölle ge- wirkt haben, daß sie insofern zu ciner Entlastung auf anderem Gebiete geführt haben.

Nachdem man die Wirkungen dieser Zölle schon fünf Iahre be- obachtet hatte, ist man im vorigen Jahre dazu ühoraecaangen, eine, wie doch zu sagen ist, sehr wesentliche Erhöhung dieser Zölle eintreten zu lassen, cine Verdreifahung der Hauptnährfrüchte, Weizen und Noggen, die damals stattgefunden hat. Es ist gewiß, daß auch diese Erhöhung nur nach einer allseitigen sorgfältigen Prüfung hat statt- finden können und dürfen, und darin hat ih die Königliche Staats- regierung wie die verbündeten Regierungen durchaus im Einklange befunden mit der Mehrheit dieses Haufes wie mit der Mehrheit des Noichstages, daß man einen verschiedenen Zoll auf Roggen und Weizen nicht hat legen können. Das ist eine technische Frage, die ex profess80 aud) wiederholt erörtert worden ift, sowohl in der freien wirthschaftlihen Bereinigung, wie in allen Interessentenvertretungen. Die Schwierigkeit liegt dabei hauptsählich in der Müllerei-Industrie, in der Unmöglich- feit, das Fabrikat, das Mehl von Roggen und Weizen zu unter- scheiden, so daß also eine Trennung, eine verschiedene Normirung des Zolles die vollständige Unmöglichkeit der rihtigen Normirung von Ausfuhrvergütungen herbeiführen würde. Daß diese Gleichstellung im Zoll in gewisser Weise zur Erhöhung des Weizentonsums geführt hat, das wird sich allerdings kaum bestreiten lassen, obwohl man andererseits auch annehmen kann, daß der vermehrte Konsum von Weizen auch wesentlich dadurch bedingt ist, daß weizenproduzirende Gebiete in außerordentli großem Umfange zum euroväishen Markte hinzugetreten sind, während die roggenproduzirenden Gebiete sich wesentlih auf demselben geographischen Gebiete wie bisher gehalten haben. j : Die ganze Schwierigkeit auf diefem Gebiete liegt in der funda- mentalen Umgestaltung, die unser gesammtes Verkehrswesen in den letzten 30 Jahren erfahren hat, wodur von Jahr zu Jahr neue große Produktionsgebiete dem europäischen Markte hinzugetreten sind, die unter gänzlih verschiedenen, aber durhweg viel günstigeren Pro- duktionsverhältnissen arbeiten können, und die dadur bei der Gntwicke- lung des Kommunikationswesens unsere heimische Produktion auf ein sehr nicdriges Preisniveau herabdrücken können. Das hat bis vor wenigen Jahren in erster Linie Amerika gethan mit feiner enormen Weizen- und Viehproduktion, dann ist in den leßten Jahren Indien und Egypten mit einer außergewöhnlichen und vorzüglichen Weizen- roduktion hinzugetreten, und neuerdings scheint auch Auftralien in dieser Beziehung weiter vorzurücken auf dem Gebiete sowohl der Getreideproduktion, wie auch ganz besonders auf dem Gebiete der Vich- und Wollproduktion. A i

Wenn ih also sage, daß die Königliche Staatsregierung zur Zeit nicht beabsichtigt, eine weitere Erhöhung der Getreidezölle anzu- regen, so geschieht das wesentlich auh mit aus dem Gesichtspunkt, daß die Zeit des Bestandes dieser Zölle ein viel zu kurzer gewesen ift, um ihre Wirkung beurtheilen zu können. : e /

Es ist ein bekannter A und die Statistik der Ein- fuhr und Ausfuhr von Getreide bestätigt es, daß jedesmal vor dem Eintritt erhöhter Zölle ein gesteigerter Import stattfindet, um noch Nußen von den niedrigen Zöllen zu haben. Das ist im Winter 1884/85 in erheblichem Maße geschehen, und wenn Sie dazu noch rechnen, daß das Jahr 1885 überall in ganz Europa und auf den anderen Kontinenten ein außergewöhnlih günstiges Erntejahr ge- wesen ist, so ist begreiflich, daß zur Zeit V der Druck dieses ge- steigerten Importes auf dem deutschen Markte lastet. Das

im Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

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hat sid ja in den leßten Wochen nicht mehr gcäußert und berausgestellt in Form eines weiteren Preisniederganges; wohl aber äußert cs sich noch zur Zeit darin, und darüber sind mir Klagen aus den verschiedensten Gegenden der Monarchie zugegangen, daß die rodukte geradezu unverkäuflich find, daß die Böden wvollliegen, daß aber auch zu den jeßigen Preisen, wenn man einen weiteren Preisdruck nicht herbeiführen will, es fast unmöglich ist zu verkaufen. Das erklärt si jedenfalls dur das Vorhandensein größerer Vorräthe, als roie sie der Konsum augen- blicklich aufnehmen kann.

Also diese Gesichtspunkte dürften durhs{hlagend sein, um jeden- falls davon abzumahnen, zur Zeit mit ciner neuen Anregung in Bezug auf die Erhöhung der Getreidezölle zu kommen.

Dann hat der Herr Abgeordnete das weitere Gebiet der Viehzölle blos flüchtig berührt. Ich will das auch nur in flühtiger Weise thun und kann das auh, weil hier die Dinge wesentli einfaher liegen. Der Viehimport in Deutsh- land ist überhaupt höchst geringfügig. Unsere östlichen Grenzen gegen Rußland und Oesterreih Hin sind permanent geschlossen gegen die Einfuhr von Wiederkäuern, von Rindvieh und Schafen, einfach aus Rücksicht der dort fast stets vorhandenen großen Verbreitung der Rinderpest. Also es findet von diesen beiden Hauptvicharten ab- gesehen voin Schmuggel, der ganz nit zu unterdrücken ift, aber keine großen Dimensionen hat cine Einfuhr und auch das beweisen die Einfuhrlisten seit Jahren nur in ge- ringem Maße statt. Um gleich diese beiden Viehforten zu erledigen, will ih nur hinzufügen, daß der Import, den wir von Nindvieh und Schafen haben, wesentlich nicht zu Konsum- zwecken stattfindet, sondern wesentlih zu Zuchtzwecken und zum Ver- edlungsverkehr. Was von Rindvieh importirt wird aus der Schweiz, aus Frankrei, aus Holland, aus England, aus Dänemark, fällt durh- weg unter den Gesichtspunkt des Bedürfnisses der Züchter; es ist durchweg wenigstens weit überwiegend Material, was wir für die heimishe Zucht nicht entbehren können.

Was die Schweine betrifft, so ist auch die Einfuhr derselben aus den östlihen Grenzländern den größten Theil des Jahres gänzlih gesperrt. Auch hier sind es lediglich veterinärpolizeiliche Rücksichten, die dazu nöthigen, die in den östlichen Ländern meist weit verbreitete Klauen- und Maulseuche fern zu halten. Die Sperre gegen Nußland ist in den leßten Jahren nur ausnahmsweise und während weniger Sommermonate sistirt worden; und dann ift es jedesmal auf sehr dringende Anträge von weiten Erwerbskreisen geschehen, die die Einfuhr von magerem Vieh, ganz besonders von Läufershweinen u. f. w. befürworteten. Der Import aus Desterreih-UÜUngarn, wo die veterinär- polizeilihe Kontrole cine fehr viel besscre und energischere ist, is seit elwa Jahresfrist mit geringen Unterbrehungen gestattet gewesen, Aber au die Einfuhr von Schweinen ist keine erhebliche, im Ganzen übertrifft überhaupt nur die Einfuhr von Schweinen unsere Ausfuhr. Bei den Schafen ift die Ausfuhr weit überwiegend über die Einfuhr, um etwa eine Million Köpfe. Bei den Pferden ist zwar der Zahl nach die Einfuhr größer wie die Aus- fuhr, allein, da es sich bei der Einfuhr wesentlich um geringwerthige, russische, litthauishe Klepper u. \. w. handelt, so wird sehr wahr- heinlich sich das Werthverhältniß unserer Ausfuhr zu der Einfuhr aud) so gestalten, daß unsere Auéfuhr einen größeren Werth repräsentirt wie die Einfuhr.

Aus diesen Gesichtspunkten heraus hat die Königliche Staats- regierung, und zwar mit Zustimmung der verbündeten Regierungen, {hon im Jahre 1885 davon abgefel;-n, überhaupt eine Erhöbßang der Viehzölle anzuregen. Dagegen hat sie sich durchaus nit ablehnend da- gegen verhalten, als aus den Kreisen des Reichstages eine Erhöhung dieser 2ölle angeregt wurde. Sie ist in Kraft und auch hier würde zur Zeit eine Erhöhung zu beantragen faum cine Veranlassung fein.

Dann die Frage der Wollzölle. Meine Herren, diese Frage ift 1879 sowohl wie auch 1885 innerhalb des Kreises der freien wirth- \chaftlihen Vereinigung auf das Eingehendste diskutirt worden. (Gg if damals allseitig anerkannt worden, daß die Einführung eines hohen Wollzolles durhaus im landwirthschaftlichen Interesse liegen würde, daß aber nah Lage unserer Gesammtverhältnisse, wo in Deutschland etwa nur 1/4 oder 1/5 unseres Wollkonsums produzirt wird und von der vproduzirten Wolle ein großer Theil exportirt wird, daß unter diesen Verhältnissen die Möglichkeit der Einführung eines Woll- zolles ausge\{lossen sei. Es sceitert diese Frage an der Möglichkeit, cine Exportbonifikation zu geben, die die in dem Fabrikat verwendeten Wollmengen deckt. Es ist ja mit Interesse zu verfolgen neulih hat glaube ih, der Hr. Abg. von Below-Saleske diefe Sache hier erörtert und auch in wissenschaftlichen Kreisen angeregt, daß man \ucht Verfahrungsweisen zu finden, um durch Zählung mit der Lupe, mit dem Mikroskop, durh chemishe Untersuchungen festzustellen, welcher Prozentsaß an reiner Wolle \sich in den verschiedenen Fabrikaten findet. Es ift bekannt, daß ganz reine Wollwaaren bei Weitem nicht das Gros der exportirten und getragenen Waaren repräsentirt; daß vielmehr eine Mischung von Jute, Baumwolle, Hanf und allen möglichen anderen Fasern stattfindet, die eine außer- ordentliche Schwierigkeit geben, in einem fertigen Fabrikat nachzuwoeisen, wie viel Wolle sih darin findet. Allein schon die Frage der Cin- führung von Wollzöllen ist damals negativ entschieden worden, und ih befürchte, daß auch eine weitere und auch die weitest gehende Prü- fung nach dieser Richtung zu demselben Refultate führen wird.

Nun haben ja alle diese Fragen, die hier wiederum erörtert worden sind, auch bereits den Landtag vor wenigen Wochen beschäftigt. Es ist sowohl an den Reichstag wie an den Landtag die Petition des vommerschen Centralvereins ergangen, die gerichtet ist auf eine Meihe von landwirthschaftlichen Desideraten, die auch Hr. von Minnige eingehend erörtert hat. Diese Petitionen sind in der hu Petitionskommission erörtert worden, und Ihre Kommission ift Stimmeneinheit zu dem Verdikt gekommen, daß z. Z. von einer * regung derart durchweg abzuseben sci. Von der Kommission diefes Hau?es beantragt worden und von diesem Hause beschlossen „übe

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u. \. w. zur Tagesordnung überzugehen, da ein derung der geseßlihen Bestimmungen nit als vor! werden kann.“ :

Meine Herren, nachdem vor wenigen Wochen i glaube es ift

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am 24. März gewesen dieses hohe Haus sid in demfelben Sinne geäußert hat, werden Sie es begreiflich finden, dak au die Königliche Staatsregierung nicht in der Lage ist, aus dem Petitionsbericht und aus den daran si knüpfenden Verhandlungen eine Veranlaffung zu nehmen, z. Z. weiter auf diesem Gebiete vorzugehen. Dieselbe Petition ist in dem Reichstage verhandelt wordea, dort bat sie noch niht zu einer Erörterung im Plenum des Haufes geführt; allein der Kommissions- beriht geht auch darauf hinaus und es ist diefer Beschluß mit 16 gegen 3 Stimmen gefaßt nicht, daß eine Erhöhung der genannten Zölle z. Z. zu beantragen fei, sondern da der Herr Reichskanzler zu ersuchen sei, eine allgemeine Enquete über die Verhältnisse des länd- lihen Besitzers und die Rentabilität _ des landwirthschaftlicen Betriebes zu veranlassen. deschränkt fi also auch dieser Antrag wesentlich darauf, daß man immer auss Neue die Le der

' TandwirtbscaftliGhen Verbältnisse in eine Erwägung ziehen möge, und

es ist ja au durchaus ritig, daß man, um ein Heilmitte. zu suchen, vor allen Dingen die Ursachen und die Ausdehnung des Nebels unter- suchen soll. Nun baben wir uns, die Königlich preußishe Regierung, in den letzten 6 Jahren eigentlich in einer permanenten Enqguete über die landwirth\shaftlihen Verhältnisse befunden, und, wenn

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