1906 / 279 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 26 Nov 1906 18:00:01 GMT) scan diff

Ihnen die allernamhaftesten Staatsrehtlehrer anführen, die auf dem Standpunkt stehen, daß Art. 4 der Reichsverfassung zunächst lediglich einen promifsorishen Charakter hat, und daß die Einzelstaaten un- zweifelhaft befugt sind, sc lange ihr Landesreht auf dem Gebiete des Vereins- und Versammlungsrechts zu ändern, solange wir niht ein alle Bestimmungen des Vereins- und Versammlungs- rechts regelndes Reicbsvereinsreht haben. Wenn ein Einzel- staat sein Vereinsrecht ändert, so steht er deshalb mit den Vorschriften der Reichsverfassung niht im Widerspruch.“ Also, ih glaube, darin liegt der bündigste Beweis, daß meine staats- rechtlihen Ausführungen gerade das Gegenteil des gestern Behaupteten besagen, und gerade darin das verkennen die Herren liegt der Wert des vorliegenden Gesetzes, daß hier wirklich der erste Anfang gemacht wird mit einer sahlichen Grundlage für die gleichmäßige Handhabung des Vereinsrechts in den Einzelstaaten. (Sehr richtig! in der Mitte.)

Meine Herren, es ist ferner bemängelt worden, daß die Mitglieder nah dem Gesetzentwurf auszuschließen wären, die zu einem anderen Gewerbe übergehen. Ja, das ist do ganz klar, daß es nit die Absicht der verbündeten Regierungen sein kann, hier ein Gefeß vorzuschlagen, das unter der Form der Beru fs vereine eine Art politisher Klubs s{chafft; man will eben von den Berufs- ? verc!z-n verlangen, daß sie ledigli Berufsvereinsinteressen ver- treten, man will aber gleichzeitig die Schranken niederreißen, die jeßt der Vertretung der Berufsinteressen entgegenstehen, wenn diese Berufsinteressen mit politischen oder \ozialpolitischen Fragen untrennbar verbunden sind. Daß aber aus diesem Grundsatz des Geseßzes von selbst die sahliche Notwendigkeit folgt, zunächst die Bildung der Berufsvereine nur auf die Berufsgenossen zu beschränken, das ist selbstverständlih, das ist logisch. Damit wird aber nicht gehindert, daß die Berufsvereine auch Mitglieder „freistellen" können, d. h. ehemalige Mitglieder des Berufsvereins. Es wird nicht ge- hindert, daß sie Personen, die nicht Mitglieder \ind, als Beamte anstellen; es wird endlih nicht gehindert, daß Arbeitersekretäre die Berufsvereine beraten und meines Erachtens auch das ist freilih eine Frage der Auslegung unter Umständen den Vereins- versammlungen mit beratender Stimme beiwohnen können.

Es ist ferner gesagt, durch diesen Gescßentwurf würde die Soli- darität gegenüber anderen Arbeiterorganisationen unterbunden. Meine Herren, diese Solidarität kann allerdings auf Grund dieses Gesetzes nicht bestehen, soweit die Berufsinteressen der einen Arbeiterorganisation wesentlich andere sind, wie die einer anderen Organisation; soweit aber, meine Herren, eine Berufsorganisation gleihe oder verwandte Interessen hat, wie andere Berufsgenossen oder wie eine andere Berufsorganisation, so ist meines Erachtens auch nicht aus- geshlossen, daß bei solhen gleihen Berufsinteressen (Zuruf bei den Sozialdemokraten) eine Berufsorganisation unter Umständen andere Berufsgenossen oder eine andere Berufsorganisation in gewissen Grenzen unterstüßen kann. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.). Die Herren werden ja nachher Gelegenheit haben, diese Ausführungen zu bestreiten oder zu widerlegen. Bis auf weiteres halten wir sie für richtig, und wir behalten uns vor, das in der Kommission des näheren auszuführen.

Weiter ist der Ausshluß Minderjähriger getadelt. Die Bestimmung findet \sich ähnlich im belgishen Recht, und der Vorgang ist einfach nahgebildet dem § 21 des jeßt noch geltenden Hilfskafsengesezes. Ueberhaupt, wenn wir uns näher über die einzelnen Paragraphen unterhalten werden, dann werden die Herren finden, daß die bürgerlichen Gesellshaften, wenn ih so sagen darf, die Aktiengesellshaften, die Genossenschaften unter viel {ärferen Kontrollbestimmungen stehen, als dieses Berufsvereinsgeseß vorsieht. Insbesondere sind die Bestimmungen, die Sie gestern angegriffen haben, zum großen Teil aus dem Genossenschaftsgeseßz, dem Aktiengeseß oder entsprechenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesfeßbuches entnommen. Eigentümliche Fälle kann man ja gegen- über jedem Geseß herausgreifen und in belustigender Weise darstellen, um nachzuweisen zu suchen, daß solche geseßlihen Bestimmungen nicht ausführbar sind.

Man hat die Angriffe namentlich auch gegen die Vorschriften über das Mitgliederverzeihnis gerihtet. Zunächst ist es doch schon ein großer Fortschritt, daß für die Berufsvereine der Grundsaß festgestellt wird, daß sie ihr Mitgliederverzeihnis nit der Polizei einzureihen und niht alle Veränderungen im einzelnen an- zuzeigen haben, sondern daß sie die Mitgliederliste nur auf Erfordern der unteren Verwaltungsbehörde vorlegen müssen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Jederzeit, gewiß. Meine Herren, das ist des- halb notwendig, wenn die Regierung an dem Grundsay der Berufs vereine festhalten wil und daran muß sie festhalten und wird sie festhalten —, weil sie doch in der Lage sein muß, sich aus dem Mitgliederverzeihnis zu überzeugen, ob die Personen, die Mitglieder des Vereins sind, wüirklich auch Berufs- genossen sind. (Hört, hört! rechts.) Wenn wir diese Kontrolle niht übten und üben könnten, meine Herren, dann würde das ganze Geseh nur eine hohle Nuß sein und seine ganze innere Bedeutung verlieren.

Die Grundsäße, wie dieses Vereinsregister zu gestalten ift, sollen vom Bundesrat festgestellt werden, und ih kann Ihnen versichern, daß im Bundesrat keineswegs die Absicht besteht, etwa die Grundsätze so festzulegen, daß darin eine hikanöse Be- handlung der Vereine liegt. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Es ist au gefragt: wie soll man eine Generalversammlung der 300 000 Mitglieder des Metallarbeiterverbandes überhaupt abhalten ? folhe Räume gibt es gar niht in der Welt! (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Ich gestatte mir einen Einwand. Zunächst ist es {hon ein wertyoller Fortschritt, daß nicht mehr der gesamte Verein zu beschließen hat, sondern daß er sih statutenmäßig einen Ausschuß bestellen kann. Das wird die Verwaltung der großen Vereine wesentlih vereinfahen. Aber selbst wenn eine Generalversammlung berufen wird, so ist zunächst dazu notwendig, daß der vierte Teil sämtliher Mitglieder einen daraufhin gerichteten Antrag stellt. Also wenn der gesamte Verein der Metallarbeiter Deutschlands eine Generalversammlung abhalten sollte, müßten 75000 Mitglieder einen dahin gehenden Antrag stellen. Wenn 75000 Mitzlieder des Metall- arbeiterverbandes einen solhen Antrag stellen follten, dann, glaube ih, würden innerhalb des Vereins selbs sehr triftige Gründe dafür vorliegen, eine Generalversammlung zu berufen. Aber ab- gesehen davon, ist natürlih nit gesagt, und daran hat kein Mensch gedacht, daß alle diese 300 000 Mann sih versammeln, etwa

wie auf dem polnischen Reichstag, wo man auf freiem Felde zu Pferde zusammenkam (Heiterkeit), wo jeder einzelne Mann sein Votum hatte und so tatsählich ungeheure parlamentarishe Versammlungen zu stande kamen. Vielmehr können si \elbslverständlih die einzelnen Ortsgruppen dur Delegierte vertreten lassen, und außerdem wird jedes einzelne Mitglied oder eine Gesamtheit von Mitgliedern das gleihe Reht haben. Damit fällt die ganze Darstellungsweise von dem weltfremden Aufbau des Gesetzes wenigstens in dieser Beziehung vollständig in sich zusammen. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte; Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) /

Ferner soll nach dem Geseh jedes Mitglied befugt sein, sich eine Abschrift des Mitgliederverzeihnisses zu verschaffen. Ih kann Ihnen heute {hon sagen und das vergessen Sie leider immer —, dieser Gesezentwurf ist niht nur für Arbeitnehmer, sondern auch für Berufsvereine der Arbeitgeber bestimmt, und ich glaube, die Arbeit- geber werden unter Umständen sehr wohl daran tun, \si{ch auf Grund dieses Geseyes fester zusammenzushließen. Aber ih glaube, der Fall wird - selten sein, daß bei folhen großen Vereinen, wie der Metall- arbeiterverband Deutschlands, ein Mitglied verlangen wird, auf seine Kosten si das Mitgliederverzeihnis abschreiben zu lassen. (Heiterkeit und Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Wir wollen die Praxis abwarten! Wenn ein Mitglied das verlangen sollte, wird es wahr- scheinlich nur ein Mitgliedsverzeichnis seines Ortsvereins verlangen, und es wird wahrscheinli auch das nit verlangen, sondern, wenn es wissen will, ob eine bestimmte Person Mitglied des Vereins ift, wird es einfah das Mitgliedsverzeihnis auf dem Bureau des Vorstands einsehen. Wenn, wie angedeutet ist ih komme auf die Unter- nehmerfrage noch später —, ein Mitglied von einem Unternehmer bewogen werden sollte, auf dessen Kosten si eine Abschrift zu ver- schaffen, damit der Unternehmer weiß, welhe Personen Mitglied eines bestimmten Vereins sind, so würde der Unternehmer, glaube ih, diesen Umweg niht nôtig haben, denn innerhalb einer Ortsgruppe wird so ziemlich jeder Arbeiter \{chon von selbst wissen, wer von seinen- Kollegen Mitglied des Vereins is (Widerspruch bei den Sozialdemokraten), dazu braucht er zweifellos kein Verzeichnis; wenn aber der Arbeitgeber es wissen will, kann der Arbeiter es ihm ja mündli berihten. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, es is ferner ein Einwand erhoben worden gegen die Einreihung, die Veröffentlihung, die Auslegung der Jahresrechnungen. Es ift das eben ein Ersaß der polizei- lihen Kontrolle durch die öffentlihe Kontrolle. Die gleihe Bestimmung besteht {on für andere bürgerlihe Rechts- verbindungen. Warum sollte sie also für Arbeiterberufsvereine nicht bestehen? Und wenn sich ein Verein und das muß man doch verlangen innerhalb der saßungsmäßigen und geseßlihen Be- stimmungen hält, welhen Widerspruch sollte er dagegen erheben können, daß die Verwendung seiner Gelder und seine Abrechnu“gen veröffentliht werden ?

Ich komme nun auf die wichtigste Frage der Haftungs- verpflihtung der Berufsvereine gegenüber der Verleßung fremder Interessen. Es if in der Presse und gestern au hier im Hause verlangt worden, daß diese Haftung beseitigt werde. Ih ver- stehe es geradezu nicht, wie ein Vertreter der äußersten Linken einen folhen Anspruch erheben kann. Wir haben in diesem Hause, in der sozialdemokratishen Presse so oft gehört: der moderne Staat is ein Klassenstaat, die moderne Geseßgebung is eine Klafsengeseßgebung, wir leben in einem Staate, wo nur besondere privilegierte Klassen das Ohr und den Schuß des Staats haben. Demgegenüber wird fortgeseßt der Anspru erhoben: gleihes Recht für alle! Gewiß, meine Herren, gleihes Recht für alle, aber wenn man gleihes Reht für alle beansprucht, darf man für die eigene Klasse keine Privilegien hafen wollen. (Sehr richtig! rechts.) Und wenn Sie die Arbeitervereine ausnehmen wollen von der Haftpflicht gegenüber ungeseßlihen Handlungen, dann s{chaffen Sie ein Arbeiter- privilegium, dann schaffen Sie in der Tat eine privilegierte Arbeiter- klasse, und dazu werden die verbündeten Regierungen nun und nimmer- mehr die Hand bieten.

Es ist auch bemängelt worden und auch der Herr Abg. Bassermann hat das heute getan —, daß unsere Vor- lage nicht auf dem laufenden sei, daß wir z. B. den englischen Bericht über die Trade union bill nit abgedruckt hätten, obglei er hon seit einiger Zeit erschienen sei. Das geht alles mit natür- lihen Dingen zu. Die Vorlage war vom Bundezrat {ou im Früh- jahr beschlofsen und verabschiedet worden, wir konnten sie aber nicht vorlegen, weil es bei dem Stand der Geschäfte im Frühjahr ganz ausgeschlossen war, daß dieses Geseß noch zur Beratung und vor allen Dingen zur Verabschiedung gelangt wäre. Infolgedessen ist die Voc- lage bis jeßt zurückgehalten, und der Reichskanzler war selbstver- ftändlih niht berehtigt, an der vom Bundesrat beschlossenen und verabschiedeten Vorlage im Text oder der Begründung etwas zu ändern. Jh kann Sie versihern: Sie werden alles Material, was seitdem noch erschienen und was zur Sache wichtig ist, vorgelegt erhalten, und es ist mir eine besondere Genug- tuung, daß ih heute hier ein Zitat verlesen kann aus dem Bericht der Königlihen Kommission in England, die eingesetzt wurde nah dem berühmten Taffthal-Fall, wo die Arbeiter einer trade union für haftbar für den von ihnen verursachten Schaden erklärt wurden. Es steht, wenn Sie das Zitat nahprüfen wollen, auf Seite 348 des Reich8arbeitsblattes Nr. 4 für 1906 abgedruckt. Es lautet :

Es ist nunmehr noch die Frage bezüglich ihrer (d. h. der Haftbarkeit) Gerechtigkeit und Billigkeit zu betraten, und hier er- scheinen die Einwendungen gegen eine Störung des Nechts, wie es in dem Taffthal-Prozeß niedergelegt is, unüberwindlih. Keine Geseßzes- regel ist so elementar, fo allgemein, so unerläßlich wie die, daß ein Uebeltäter angehalten werden muß, das begangene Unrecht wieder gut zu machen. Wenn Gewerkvereine von dieser Versicherung befreit wären, so wäre das die einzige Ausnahme, und dann wäre es nur ret, daß diese Ausnahme beseitigt würde. Daß große und mächtige Kö1perschaften befugt sein sollten, ihr Vermögen zu benußten, um anderen Unrecht zuzufügen und sie dadurch zu \chädigen, vielleicht im Betrage vieler tausend Pfund, ohne den Schaden aus ihrem Ver- mögen erstatten zu müssen, das wäre ein Stand der Dinge, der {on der bloßen Idee von Gefeß, Ordnung und Gerechtigkeit widerspräche.

Meine Herren, dieser Passus ist ei n stimm tig angenommen worden

in der Königlichen Kommission, und ein Mitglied dieser Kommission war der fo oft von Ihnen gerühmte Sozialpolitiker Sidney Webb.

Um vollständig zu sein, teile i nun noch einen zweiten Paffug mit, wo die Meinungen geteilt waren. Da heißt es :

In den vorstehenden grundsäßlichen Anschauungen über die „Ge- rehtigkeit und Billigkeit“ der Haftung der Gewerkvereine stimmten sämtlihe Mitglieder der Kommission überein. Dagegen war nur die Mehrheit der Kommission, nämli Lord Dunedin, Arthur Cohen und Sidney Webb, bereit, bei einer geseßlihen Regelung der Haftbarkeit der Gewerkvereine der Tatsahe Rehnung zu tragen, daß manche Gewerk- vereine sich wegen der halb unabhängigen Stellung ihrer Zweig- vereine von der Zentralleitung in einer fo eigenartigen Lage befinden, sodaß es als eine Härte erscheinen könnte, wenn das Vermögen des ganzen Gewerkvereins für die niht genehmigten Handlungen eines Beamten irgend eines Zweigvereins haften follte. Daher empfiehlt die Mehrheit der Kommission, daß Maßnahmen getroffen werden sollen, durch welche die Zentralleitung eines Gewerkvereins. sh gegen nicht genehmigte und | sofort mißbilligte Hand- lungen von Beamten der Zweigvereine {hüten könne.

Also nur mit dieser Ausnahme hatte sihch eine Mehrheit in der Kom- mission für eine beschränkte Haftbarkeit gefunden. Jch gestehe aller- dings, daß die Anträge, die jeßt im englischen Unterhause gestellt find, weit über diese Auffaffung hinausgehen, aber dieser Gesetzentwurf ift bis heute noch niht verabschiedet.

Meine Herren, ferner beschweren Sie sich darüber, daf; man die außerordentlihen Beiträge niht einklagen könne, nur die ordentlihen. Es scheint mir das in der Natur der Satze begründet zu sein, daß, wer einem Verein beítritt, namentli ein Arbeiter, im voraus wissen muß, welhe Lasten er damit übernimmt. Im Gegenteil, es liegt darin meines Erachtens eine Art Privileg der Berufsvereine, daß sie zwar auf Einziehung der Beiträge klagen können, daß die Mitglieder aber nicht das Ret haben, auf die Leistungen des Statuts zu klagen. Haben die Mit- glieder auf die Leistungen des Vereins ein statutenmäßiges Recht, dann fallen sie sofort unter eine ganz andere Kategorie der Geseß=- gebung, dann fallen fie unter die Versicherungsgeseßgebung. Also der Verein als Korporation ist in einer viel günstigeren Lage als das einzelne Mitglied. Der Verein kann selbstverständlih auch außer- ordentliche Beiträge erheben, er kann fie nur nit einklagen. Wenn indes der Zustand in den Vereinen wirklich so ist, wie uns gestern dargestellt wurde, daß die großen Berufsvereine \sih sehr wohl fühlen unter der gegenwärtigen Gesetzgebung, so folgt daraus au, daß die Berufsvereine, die sich troydem eintragen lassen, keine Schwierigkeiten finden werden, au außerordentliche Beiträge einzufordern; nur klagbar sind sie nicht. Ih meine, also diese Beshwerden verkennen die Grundlage, auf der das ganze Geseßgebungswerk überhaupt aufgebaut ist. Wenn man von einem Ausnahmerecht gegen die Arbeiter spricht, so ist das schon deshalb hinfällig, weil unter der jeßigen Gesetzgebung die Arbeiter- und Berufsvereine sich in großem Maßstabe entwickelt haben, weil niemand sie zwingt, in einen eingetragenen Berufsverein einzutreten oder sich als Berufsverein eintragen zu lassen. Ich habe, ih glaube in einem fozialdemokratischen Blatt, bei der Frage der Gntziehung der Rechtsfähigkeit au die Bemerkung gefunden, die sehr charakfteriftisch ist: nun, wenn die Rechtsfähigkeit entzogen wird, wird sih kein Gewerbeverein ein graues Haar darüber wachsen lassen. Daß das Geseß ein repressives gegen die Arbeiter- klasse wäre, dem muß ih also ganz bestimmt widersprechen. Ich möchte überhaupt die Herren der äußersten Linken bitten, nicht jede Arbeiterbewegung und die Vertreter jeder Arbeiterbewegung als einen ununtershiedenen Block zu behandeln, und fo sollten Sie au die Unternehmer nicht immer als einen Block behandeln, der den Arbeitern stets feindlich gesinnt ist. Von einem wirtschaftlichen Standpunkt aus, der \sich niht mit Utopien beschäftigt, fallen die Interessen der Arbeiter und Unternehmer zusammen. (Sehr richtig ? rechts.) Die Arbeiter haben das dringendste Interesse, daß der Unter- nehmer prosperiert, und wenn man immer nur von den Profiten der Arbeitgeber spricht, wenn man jeden Gewinn,- den die Arbeitgeber machen, als unberehtigten, auf Kosten der Arbeiter gemachten Profit hinstellt, so ist das eine wirtshaftliß vollkommen ver- fehlte Auffassung (sehr richtig! rechts), denn wenn es keine Unter- nehmer und keine tatkräftigen Unternehmer gäbe, die ihre Intelligenz in den Dienst des Unternehmens stellen , ihr Kapital riskieren in zum Teil sehr gefährlihen Unternehmungen, die erst mit der Zeit Erträge versprehen, gäbe es auch keine Unternehmungen, und wenn es keine Unternehmungen gibt, gibt es keine Arbeit. (Heiterkeit links.) Ih weiß nicht, was hierbei so Ihre Heiterkeit erregt, es ist doch eine unzweifelhaft rihtige Auffassung. Gewiß, in Deutschland ist ein großer Unternehmungs8geist zum vorteilhaften Unterschied von gewissen Verhältnissen in anderen Staaten. Diesem Unternehmungs8geist ver- danken wir die gegenwärtige industrielle Prosperität Deutschlands, und es ist selbst von sozialdemokratishen Schriftstellern unumwunden anerkannt, daß diese wachsende Prosperität Deutschlands auch die Lebenshaltung unserer Arbeiter wesentli gehoben hat. (Sehr richtig! rechts.) Es mag Unternehmer geben, denen vielleicht noch niht das Verständnis dafür aufgegangen ist, daß heute die wirt- schaftliche, die politische, die moralishe Stellung des Arbeiters inner- halb des Staats eine andere ist, wie in vergangenen Jahrhunderten, und daß man diefer Entwicklung des Arbeiterstandes verständigerweise Rechnung tragen muß, (Sehr ri{tig! links.) Aber deshalb gegen das ganze Unternehmertum als eine geradezu unberechtigte Erscheinung des wirtshaftlihen Lebens zu eifern und fortgeseßt der Negierung vorzuwerfen, sie stehe nur im Dienst des Unternehmertums, dieser Gesetzentwurf sei nur eingebraht worden zum Besten des Unter- nehmertums, das ist eine vollkommen s\chiefe Darstellung der Ver- hältnisse. (Sehr richtig! rechts.)

Ich komme nun zu den Ausnahmebestimmungen für die Berufs- vereine und Arbeiter, deren Streiks im öffentlichen Interesse nicht materiell unterstüßt werden dürfen, um nicht wihtige Zweize des wirt- shaftlihen Lebens, des öffentlihen Dienstes lahm zu legen. Es ist einmal in der französishen Kammer die Rede davon gewesen, man sollte den Eisenbahnbeamten, den Angestellten der Eisenbahnen, den Postbeamten unbeschränktes Koalitionsrecht geben. Da sagte am 7. No- vember 1905 der Ministerpräsident Rouvier, ein sehr liberaler Mann :

In einem republikanish regierten Staate für alle Angestellten und Beamten der Regierurig das Recht de3 Ausstandes zuzugestehen, heiße Anarchie hafen.

(Sehr richtig ! rets.)

Keine Regierung könne, ohne Selbstmord“ zu begehen, den Lehrern und Postbeamten das Recht verleihen, \sich zu organisieren.

Die Kammer nahm daraufhin eine von der Regierung gebilligte Tagesordnung an. Hiernach erscheint es doh so gut wie ausges{lossen, daß die republikanishe Regierung in Frankreih zu einer Erweiterung des Koalitionsrechts in der Richtung, wie es von den Herren befür- wortet wird, überhaupt jemals die Hand bieten könnte. Auch die e Regierung wird das nit tun, darauf können Sie \ih ver- lafsen

Meine Herren, der Geseßentwurf geht von der Ansicht aus, daß er sich nur bezieht auf die Arbeiterkategorien, die unter die Ge- werbeordnung fallen, und nach der Auffassung der preußischen Staats- regierung und ih glaube, au der übrigen Regierungen fallen die Eisenbahnarbeiter, auch die in den Werkstätten, nicht unter die Gewerbeordnung, weil ja natürli der Eisenbahnbetrieb von der Tätigkeit in den Werkstätten, von den Reparaturen in den Werkstätten ganz untrennbar ift. Wie kann der Betrieb aufrecht erhalten werden, wenn Lokomotiven, die Schaden erlitten haben, in den Werkstätten nicht repariert werden können? Diese Auffassung halte ich sachlich für durchaus berechtigt, und ih nehme an, daß der Vertreter des preußischen Herrn Eisenbahnministers diese Auffassung in der Kommission noch ves näheren darlegen wird. L

Ferner, meine Herren, ift in der Begründung ausdrücklih bestätigt, daß die Bergarbeiter, daß die fiskalishen Arbeiter niht unter jene ein- shränkende Bestimmung fallen, und wenn gesagt ist, daß gewisse Arbeiter- streiks nit unterstüßt werden dürfen, weil hierdurch entweder die Sicherheit des Reichs oder der Gas- oder Wasserbedarf oder die Er- zeugung von Licht gefährdet würden, fo bezieht sich das eben nur unmittelbar auf jene Arbeiterkategorien. Von dem Grundsaß kann kein Staat, der die bürgerlihe Gesellschaft in threm Bestande aufrecht erhalten will, abgehen, daß es gewisse Beschäftigungen gibt, wo eben das allgemeine Interesse dem individuellen Intereffe vorgeht. Das ist eben der Begriff des Staatsbewußtseins, daß ber einzelne von seinen individuellen Rechten abgeben muß zu Gunsten der Gesamtheit. (Sehr richtig! rechts.) Wenn wir so weit im Individualismus gehen wollen, daß jeder nur sein eigenes Interesse zu Nate ziehen braucht, \o ist das allerdings die Auflösung jeder geordneten bürgerlihen Gesellshaft! (Sehr richtig! rechts.) Also diese Auffassung werden wir nicht aufgeben !

Ferner, meine Herren, die Hereinziehung der landwirtshaftlihen Arbeiter! Es ist zutreffend, daß der verstorbene Minister von Itenplig im Jahre 1866 dem preußischen Abgeordnetenhause einen Gesetz- entwurf vorgelegt hat, wonach den landwirtschaftlihen Arbeitern das Koalitionsrecht eingeräumt werden sollte, und ich glaube, die betreffenden Stellen in der Begründung sind gestern rihtig angeführt worden. Aber Gesetze kann man nicht nah abstrakten Theorien machen: Geseßze muß man gestalten nach der tat- sählichen Lage der Dinge! Und wie anders lagen damals die Arbeiter- verhältnisse im Jahre 1866 —, wie sie heute liegen! - (Sehr rihtig ! rechts.) Damals bestand noch nit diese, zum Teil doch künstlih geschaffene Kluft zwishen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ; wir lebten damals noch in unendlih friedliheren Verhältnissen, und au die Landwirtschaft befand \sich in dieser Beziehung in einer ganz anderen Lage wie heute. Meine Herren, Sie \{chmälen viel über den Zolltarif wir werden uns über diese Frage vielleiht noch einmal sehr eingehend unterhalten —; aber eins steht schon heute fest : eine viel größere Shwierigkeit als die Preisfrage if für die Land- wirtschaft jeßt die Arbeiterfrage! (Lebhafte Zustimmung rechts.) Jh bedauere vom national-deutschen Standpunkte auf das aller- tiefste, daß wir immer mehr genötigt sind, unseren heimischen Boden niht mehr mit den bodenständigen Arbeitern zu behandeln, sondern mit Arbeitern, die wir von jenseits der Grenze heranziehen müssen. (Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Damit sind sehr große soziale, politishe und wirtschaftliche Nachteile verbunden. (Sehr rihtig!) Das ist ein Notstand. Nun stellen Sie ih ferner vor: jeder Fabrikbesizer kann unter Umständen, wenn bei ihm gestreikt wird, die Fabrik \{chließen, kann einmal die Arbeit aufhören lassen (sebr rihtig! rechts) ; kein Eigentum aber ist fo wenig ges{chüßt wie das landwirtschaftlihe (sehr richtig ! rets), wie das Eigentum des Landwirts, seine Ernte liegt unter Gottes freiem Himmel und ift außerdem den vielen Wechselfällen unserer kurzen Vegetations- periode, unserer \{chwierigen Witterungsverhältnisse ausgeseßt nun stellen Sie sich vor, wenn Arbeiter, die vielleiht für das ganze Jahr angenommen sind, in den Häusern des - Landwirts wohnen, ihr Deputat vorausbezogen haben, in einer Jahreszeit, wo es sich manchmal um Stunden handelt, um den Ertrag der Arbeit eines ganzen Jahres zu retten, plößlih die Arbeit liegen laffen! Das geschieht ja jeßt {hon bisweilen, aber ohne geseßlide Grundlage. Ich frage Sie: wenn das möglich ist, wer dann über- haupt noch den Mut haben soll, Landwirtschaft zu treiben, wenn er dabei auf fremde Hilfe angewiesen ist! (Lebhafte Zustimmung rets. Zurufe von den Sozialdemokraten.) Die Verhältnisse sind stärker, als alle Theorien! Auch hier liegt unzweifelhaft ein Fall vor, wo das Necht des einzelnen zurücktreten muß hinter den Bedürf- nissen der Allgemeinheit. (Sehr rihtig! rechts. Lebhafte Zurufe bon den Sozialdemokraten.) Wenn solhe Zustände in der Land- wirtshaft eintreten würden und in Irland haben wir sie gehabt (Zurufe von den Sozialdemokraten) nehmen Sie einmal die Berichte der englishen Agrarkommission zur Hand! stellen Sie si vor, wie das auf die Preiéverhältnisse der gesamten landwirtschaftlihen Erzeugnisse éinwirken würde und einwirken müßte. (Sehr gut! rets.)

Gestern haben Sie auch wieder von der Verelendung der Land- Abeiter gesprohen. Jh wünschte, die landwirtshaftlihen Vereine nähmen \ih einmal dieser Frage streng wissenshaftlih an und wiesen nah in Parallelklassen städtiser und ländlicher Arbeiter, wie \ih die Lebens- altung wenn auch bei verschiedenem Bargeld der städtischen Arbeiter verhält zu der der ländlihen. Von einer Verelendung der Kandarbeiter kann gar keine Rede sein. (Zurufe von den Sozial- emofraten.) Gehen Sie aufs Land und sehen Sie sih dort die Eer an! (Erneute Zurufe von den Sozialdemokraten.) Nun, K ‘lultate der militärishen Aushebungen liefern für Jhre Behauptung h en Beweis, die sprechen vielmehr zu Gunsten der ländlichen Arbeiter in "f vielen Gegenden Deutschlands. (Sehr richtig! rechts.) Wenn der M veiter vom Lande wegiieht nah der Stadt, so liegt das nicht h À „en politishen Verhältnissen oder seinem Arbeitsvertrag, sondern

d efliegenden psyhologischen Momenten, die ein Uebel unserer Zeit la (sehr richtig ! rechts), und die leider auch auf die höheren en der Gescllschaft einwirken. Es wohnen z. B. in Berlin viele

Leute, die sehr viel besser daran täten, sie wohnten in kleinen Städten oder auf dem Lande und stellten, statt hier unter den Linden spazieren ¿u gehen, ihre Arbeitsfähigkeit und ihre Intelligenz in den Dienst der Interessen der Provinz und des platten Landes. (Sehr gut! rechts. Zurufe links.) Sie wollen do, daß ih hier meine Ansicht darlege, niht wahr? Dann müssen Sie mi aber auch anhören! Ich glaube, ih höre au die Gegner mit der größten Geduld an. (Sehr richtig!) Wenn man täglih fünf Stunden im hohen Hause zuhört und gestern sogar sech3 Stunden neben dem ungeheuren an- strengenden und verantwortlichen laufenden Dienst, so, glaube i, be- weist man Geduld genug. (Sehr richtig!) Es ist ferner befürchtet, das Gese sollte dazu benußt werden, um die nihteingetragenen Berufsvereine zu shikanieren. Auch das ist durhaus falsch. Das Bürgerliche Gejeßbuh enthält ja in bezug auf die Verpflichtungen der Vereine gegenüber dem Staatswohl § 43 ift es, glaube id eine viel allgemeinere Bestimmung, als dieser Geseßentwurf. Ob die Berufsgenofsenschaften als Gesellshaften unter die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs fallen, kann eine ofene Frage sein; aber daran hat bisher noch niemand in der Regterung gedacht, daß man dieses Gesetz benutzen sollte, um die freien Gewerkschaften zu shikanieren und sie dadur zu zwingen, si in das Negister der eingetragenen Berufs- vereine eintragen zu lassen. Wir wollen den Arbeitern die Möglich- keit gewähren, und besonders au den Frauen und darin liegt au ein wesentlicher Fortschritt —, insoweit sie dur die Verhältnisse ge- ¿wungen sind, berufstätig zu fein, ihre Berufsinteressen ungehindert zu vertreten. Aber, meine Herren, wir haben seitens der verbündeten Regierungen nit das geringste Interesse, dur irgend einen Akt der Gesetzgebung die Arbeiter an und für sich in die Berufsorganisationen hineinzutreiben. Deshalb find alle Einwendungen, die in dieser Be- ziehung gegen das Geseß gemaht worden sind das kann ih Ihnen versichern reine Phantasien.

Meine Herren, ih behalte mir vor, auf die sehr s{chwierigen einzelnen Bestimmungen

in der Kommission und verwickelten Fragen, wie die dieses Entwurfes sh zu den übrigen Gefegen , zum Genossenschaftsgesez, zum Aktiengeseß, zum Bürgerlichen Geseßbuh verhalten, des näheren einzugeben. Es ist ja unmöglich, ohne Paragraph für Paragraph dur(- zugehen, das findet auh auf die Begründung Anwendung auf E einzelnen Bestimmungen in allgemein erläuternder Weise ein- zugehen.

Dazu fehlt die Zeit und, ich glaube, auch die Geduld der Herren. Ich möhte aber zum Schluß einen Appell an die bürger- lichen Parteien rihten: dieser Geseßentwurf hat Feinde von rechts und von links. Rechts, meine Herren, außerhalb dieses Hauses gibt es eine Nichtung in der Presse, die einflußreihe Hintermänner hat, denen jede Fortbildung des Arbeiterrehtes höchst unerwünscht ift (sehr rihtig! links), die jede Fortbildung des Arbeiterrechtes in unserer Zeit der allgemeinen Schulbildung, der fortgesetzten Prosperität des gesamten deutshen Volkes eigentlih als eine Preisgebung von Nechten des Staats betrachtet und damit ihre eigenen Interessen mit den Staatsinteressen identifiziert. (Lebhafte Zustimmung links.) Das sind aber zwei sehr verschiedene Dinge. Und, meine Herren, es gibt Feinde dieses Gesezentwurfes von links, denen vielleiht der ganze Entwurf niht erwünscht ist, die fürhten mögen, daß ih auf Grund dieses Gesezentwurfs Vereine bilden, die ledigli Berufs- interessen verfolgen und die politishen Interessen außerhalb ihrer Berufsvereine verfolgen, odet die sich überhaupt auf ihre Berufs- interessen beschränken. Ih kann Jhnen versichern, es war nicht leit, einen folhen Gefeßentwurf gegenüber der vielgestaltigen einzelstaat- lihen Gesetzgebung dur alle die Klippen und S{hwierigkeiten geseßz- licher Natur hindur{hzuleiten. Jch glaube aber, daf, wenn Sie diesen Gefeßentwúürf annehmen, Sie niht nur dem deutschen Arbeiterstande, fondern auch den staatserhaltenden Interessen einen sehr wichtigen Dienst leisten. Ich rihte deshalb an die bürgerlihen Parteien die Bitte: Lassen Sie diesen Geseßentwurf niht im Hafen \cheitern. (Beifall.)

Abg. Bokelmann (Rp.): Der

l vorliegende Gesetzeatw befriedigt eigentli keine Partei, aber bei den deltciaéa Aeu

des sozialdemokratishen Redners konnte ih do die Empfindung nit [o8werden: wie scade um all die s{öône Entrüstung Gle aut ausgeschmüdckt dur all die bekannten Worte von Ausnahmegeseten, Entziehung von Menschenrehten usw., die wir aus dem „Vorwärts* und den übrigen fozialdemo ratischen Organen seit vielen Jahren als Kafipfmittel aus der Parteirüstkammer kennen. Nachdem der Abg. Legien gestern anderthalb Stunden lang von der Entrehtung der Arbeiter und den sonstigen Nachteilen des Gesetzes gesprochen hatte, kam mit einem Male, fozusagen ia einer Fußnote, seine Bemerkung: übrigens brauche ja das Gefeß von den Arbeitern gar nicht angewendet zu werden, um dann aber wieder nachzuweisen, daß man doch das Gese den Arbeitern aufzwingen wolle. Von einem Ausnahmegeseßz und einer Entrechtung kann man nicht sprehen. Auch die mit großer Entrüftung vorgetragene Entrehtung der Landarbeiter suchte der Abg. Legien nur mit einem salto mortale zu begründen, indem er aus- führte, daß durch dieses Gesetz den Landarbeitern die Koalitionsfreiheit niht gegeben würde. Jn meiner Heimatprovinz Schleswig-Holstein steht der Koalitionsfreiheit der Landarbeiter kein Hindernis entgegen. In einer Versammlung fragte mich ein national-sozialer Herr, wie ih zur Cinführung der Koalitionsfreiheit für die Landarbeiter stehe. Darauf wurde ih erst verlegen, weil ich nit wußte, was dieser Frei- heit überhaupt entgegenstehe, und ih fragte ihn: „Was steht denn bei uns dem entgegen ?* Darauf wurde der Here seinerseits verlegen und sagte: „Ik das weiß ih auch niht.* Die Landarbeiter hatten also gar keine Kenntnis von dem Koalitionsrecht, das sie hatten. Der here regte sih aber darüber auf, daß fie kein Koalitionsrecht ätten. Ueber die Ausführungen des Staatssekretärs über die Gleichheit der Interessen von Unternehmern und Arbeitern habe ih mih sehr gefreut; es gibt ja auch Unternehmer, die, wenn ihre Arbeiter {chlecht behandelt sind, einfah den Geschäftsführer damit entshuldigen, er habe im Interesse des eschäfts ehandelt, also treffe den Unternehmer fein Vorwurf. s gibt Unternehmer, die in ihrem Unternehmeregoismus so weit gehen, daß fie, wenn die getretenen Arbeiter ih bediene mich Ihrer Ausdrücke sih ohne verleßende Form an die Oeffentlich- keit flühten, durch dieses Vorgehen aufs äußerste verlegt sind; aber solche hypertrophischen Gestalten der Kapitalsbestie sind do sehr selten geworden. Ich schreibe das in erster Linie der auff4ärenden Arbeit des «Vorwärts* und den ausgezeichneten Beispielen zu, die in seiner Druck-rei für alle Unternehmer gegeben werden. (Abg. Bebel: Einfach Lüge!) Die Arbeiter haben es doh felbst in die Zeitungen gebracht. In der Tat s{heint das ein etwas nervöser Punkt zu sein. . Bezüglich. der Vorlage halten wir es für eine Abnormität, wenn große und mächtige Vereine außer stande sind nah dem geltenden ereinsrecht eine passende Gestaltung zu erbalten. iese Form soll ihnen mit Recht gegeben werden. Ander- seits gibt es aber unter diesen mächtigen Organisationen eine große Anzahl von Kräften, die in der Sozialdemokratie revolutionäre

und antinationale Zwecke verfolgen, und der Staat kann

æ=ch nicht dazu hergeben, für folhe Zwecke' Formen zu finden,

während diese Organisationen zur Bekämpfung des Staats, vielleit au der äußeren Sicherheit des Neichs geneigt sind. Deshalb balt wir gerade die an die Oeffentlichkeit in mancher Beziehung appellierenden Bestimmungen der Vorlage für geeignet, den Schäden vorzubeugen. Wir wollen den Berufsvereinen die Möglichkeit geben, feste privatrechtlihe Gestalt zu gewinnen, aber es muß eine Sicher- heit gefunden werden gegen die Ausbeutung dieser berufêvereinlihen Gestaltung „zum Schaden des Volkes und Staats. Es läßt sih dabei ein Haus bauen, in welchem der vaterlandsfreundlihe Gewerkverein ohne Schädigung seiner Interessen seine Arbeit tun kann. ae auer Ii Qieseis Pule B G Tgnamitbombenfabrik anlegen ; , haß diefes Haus für ibn zu i i v e au ju eng sein zu eng ist, und für den .: r. ugdan (fr. Vgg.): Der Abg. Trimborn wa fo liebenswürdig zu erklären, daß er selbst aof nit einmal das Wess verstände und noch kein Urteil darüber abgeben könne. Nichtiger wäre wohl zu sagen gewesen, daß das Gefeß so unverständlich fei daß selbst ein so großer Sozialpolitiker wie der Ahg. Trimborn es nicht verstehe. Schwer verständlich ist ja auc die Sprache des Ent- wurfs. Klarer aber sind die Wirkungen und Ziele des Entwurfs; würde er Gesetz, so würde ein ungeheurer politisher Nückschritt gemacht werden. Nach 37 Jahren des Verlangens der Nechtsfähigkeit für die Gewerk- und die anderen Berufsvereine kommt die Regierung mit einem solchen Geseß! Wie gefährlih muß es mit dem Inhalt dieses Gesetzes stehen, wenn selbst diese Gewerkvereine, deren heißes Streben 37 Jahre lang auf die Erlangung der Nechtsfähigkeit geribtet ivar, es verwerfen. Es handelt ih hier gar nit um Gewährung einer Wobhltat, sondern um Aufhebung eines alten Unrehts, welhes den Arbeitern so lange zugefügt war. Will man dieses Unredht beseitigen, so darf man ni t gleichzeitig derartige Fußangeln legen. Der Staatssekretär sagt mit dem Abg. Bassermann, es handle sh um keinen Zwang; i glaube ihm aber feine Versicherungen haben nicht F elegeokraft. Gs ift sehr wohl möglich, O nachher do, wie es der Abg. Legien annimmt, das Gesetz so au?geführt wird, daß die freien Gewerkschaften erdroffelt werden. Die kümmerlihen Rechte, „welche die Vorlage gewäkren will, haben die Vereine, selbs die freien Vereine, heute gewissermaßen praeter legem schon erreicht. Der Abg. Bassermann meinte, man solle doch dem Reichstage vertrauen, daß er die Wakhlberehtigung nur der ein- getragenen Berufsvereine zu den Arbeiterkammern niht zulassen würde. Ja, dieses Vertrauen kann niemand verlangen ; Gesetze können nit auf folhen unsicheren Zukunftswechsel hin ge- macht werden. Gewisse Gerichtsurteile beweisen doch {on beute, daß die Dame Justitia nicht immer eine Binde vor den Augen hat. Es fkônite auß die Begründung solcher reht8fähigen Berufsvereine benußt von Acbeitaebern die dann ihre übrigen Arbeiter einfach da hineinzwingen würden. Aus diesem Grunde muß die Gestaltung des Gesetzes so erfolgen, als ob jeder Arbeiter überhaupt nur in diese rechtsfähigen Berufsvereine eintreten könnte. Für uns ist hon der § 1, wie er vorliegt unannehmbar. Wir hoffen, daß in der Kommissionsberatung vielleicht etwas Brauchbares herauskommen wird, aber diese Hoffnung is nach der Giklärung des Staatssekretärs und der maßgebenden Parteien keine allzu große. Bleibt E wie es ist, so ift es für uns unannehm- bar, es würde den Arbeitern bloß Steine statt Brot bieten. § 1 be- schränkt den Verein auf die Wahrung und Förderung der Interessen die unmittelbar mit dem Berufe in Verbindung stehen. Per Staatssekretär nennt das harmlos und will dafür garantieren, daß es nicht zu eng ausgelegt wird. Jch verweise auf den O Metallarbeiterverband ; aus dem könnte die Polizei sehr leiht 20 oder noch mehr Cinzelverbände konstruieren ; dasselbe könnte beim Baugewerbe der Fall fein, es könnte verlangt werden, daß diese nit alle zusammen bleiben, sondern nach ibrem Ünterberufe getreu organisiert werden müßten. Würde einer Gewerkschaft ein Hausbau nah § 1 erlaubt sein? Nach meiner Auffassung nit, sondern nur wenn er für die bestimmte einzelne Gewerkschaft errihtet ist. Das wäre ein ungeheurer Nückschritt; denn die verschiedensten Parteien halten den Bau von Gewerkschaft ür eine sozialpolitishe rftüg ien a man solche : Ußen. ouen die Berufsverein nicht bei einem Gesetz wie das Qu thausgeset sprechen dice ? an Scut der Arbeitswilligen ist doch eine allgemeine und politische, keine unmittelbar mit dem Berufe zusammenhängende Materie. Ein Berufsverein hätte aber doch sehr wohl auch das Net und die Pflicht, in einer Zeit, wo hier die Zolltarifdebatten waren, sih mit der betreffenden Gesetzgebung zu beschäftigen. Mit der Vorlage wird dem Arbeiterstand ein richtiges Danaergeschenk gemaht. Auffälliger- weise hat der Abg. Trimborn gegen §3 nit Front gematt, der doch die Priester von dem Vorsig von Berufsvereinen aués{ließen würde. In bezug auf den Punkt, daß Gewerkschaftäbeamte und. Arbeiter- sekretäre nur aus der Zahl der Berufsangehörigen entnommen werden dürfen, hat der Staatssekretär die Anklage des Abg. Legien nit entf: ¿tet Noch niemals hat man bei Handels- und Handwerkerkammern ver langt, daß die Sekretäre aus dem Gewerbe entnommen werden: Bier läge also eine große Ungerechtigkeit gegen die arbeitenden Klafen vor. Den BVorsizenden der Berufsvereine werden Strafen bis zu 300 4 angedroht, und das Geseg verbindert die Vereine, ibnen diese Strafen zu erstatten. Dagegen werden doch selbst Postbeamten usw. Mankgs 34 L LO diese Ungehcuerlihkeit muß beseitigt werden. 7 12 ur Arbetitervereine unmögli, dean ein Verein, der in ein Streik kommt, braucht do Ertrabeiträge, die er nach eben diesem & 12 von seinen Mitgliedern nicht beanspruchen darf. Der springende Punkt ist aber im ganzen Gefeß der § 15, Der Abg. Bassermann meint, das Gesetz hat nicht die Tendenz und den Wunsch, das Koalitionsreht einzuschränken. Damit ist er doch im JIrrtum; § 15 hindert unzweifelhaft die Arbeiter an der Ausübung des Koalitionsrechts. Man sagt, es ginge nicht, das Koalitionsrecht ausüben zu lassen in Fällen, wo dadurch dem Staate und der Gesellschaft Schaden zugefügt wird. Ja, wird denn durch die Vorenthaltung dieses Rechts dem Schaden vorgebeugt wenn z. B. die Cisenbahnarkb. iter kein Koalitionsrecht baben ? Wenn wirkli die Eisenbahnarbeiter ohne Koalitionsreht die Lokomotive nicht heizen wollen usw., o kann man sie ins Gefängnis seten, sie bestrafen, aber sie zu der Arbeit zwingen kann man nit. Die Berufs: vereine will man niht zu Streikvereinen werden lassen Der Streik ist doch ein legales Mittel; was auf den Krieg zutrifft, zu dem wir uns rüsten, um den Frieden zu bewahren, trifft au auf den Streik zu. Der Streik foll na Möglichkeit hinausges{hoben werden, aber wenn dem Arbeiter die Möglichkeit eines Streiks entzogen wird, wird er dem Arbeitgeber auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Jede Arbeiter- kategorie muß das Necht haben, zu streiken und sich zu koalieren. Daß die Bergarbeiter unter das Gesetz fallen, halte ih für zweifellos. Soll das nicht der Fall sein, so hätte es das Gese klar aus- drücken sollen. Was die landwirtshaftlihen Arbeiter betrifft, so ift die Klage der Landwirte über die Leutenot gewiß begründet. Daraus folgt aber für jeden bernünftigen Menschen, daß man das Los der landwirtschaftlihen Arbeiter anziehender macht, daß man sie durch gewisse Vorteile anreizt, bei der Landwirtschaft auszuharren. Statt dessen will man die landwirtshaftlihen Arbeiter \{lechter stellen als die i Industriearbeiter. Ist es da ein Wunder wenn die landwirtschaftlichen Arbeiter lieber in die Fabriken gehen und immer mehr in die Arme der Soiial- demokratie werfen ? Die Konservativen haben ja selbst 60er Jahren das Koalitionsrecht für die landwirtschaftlihen Ar- beiter verlangt, obwohl damals der größte politishe Kampf in Preußen herrshte und in jene Zeit das Auftreten Laf}alles fiel. Die Paragraphen über den Schadenersaß und über die Miitglieder- listen sind ebenfalls sehr bedenkiih. Der Staatssekretär ermahnte uns, in diesem Falle gegen die Sozialdemokratie zusammenzustehen. Ich bin gewiß ein großer Gegner der Sozialdemokratie, aber deshalb halte ih es für fals, bei einem Gesetz, das allen Arbeitern zu gute kommen soll, ihnen Necbte zu entziehen, weil sie au den Sozial- demokraten nügen könnten. Die Furt vor der Sojztaldemokratie kann uns niht bestimmen. Die Bekämpfung der Sozialdemokratie heischt unbedingt, daß man den arbeitenden Klassen immer mehr und mehr zeigt, daß es falsch ist, wenn man von der Sozialdemokratie jagt, daß fie {lechter behandelt werde als andere. Wir dürfen der