1886 / 208 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 04 Sep 1886 18:00:01 GMT) scan diff

Hessen. Darmstadt, 4. September. (W. T. B.) Der Großherzog wird sich am 10. d. M. nah Straßburg begeben, um den im Reichslande stattfindenden Kaisermäanövern beizuwohnen, von dort kehrt derselbe am 15. d. M. nah Friedberg zurück, um an den in dortiger Gegend stattfindenden Divisions- und Corpsmanövern bis zum 22. d. M. theil- zunehmen.

Elsaß - Lothringen. Straßburg, 2. September. Die „Landes-Ztg.““ S folgendes Programm für die Reise Sr. Majestät und die zu Ehren des Kaisers bevorstehenden Festlihkeiten, so wie es bis jegt fest- gestellt ist.

Se. Majestät gedenkt Dienstag, den 7., Nachmittags 5 Uhr -30 Minuten, von Berlin abzureisen und am nächsten Morgen um 7 Uhr 45 Minuten in Baden-Baden einzutreffen. Von hier aus erfolgt die Weiterreise nah Straßburg Freitag, den 10., Nachmittags 1 Uhr 45 Minuten, die Ankunft daselbst um 3 Uhr Nachmittags. Weiter enthält das Programm Fol- gendes: I

In Straßburg sind zum Empfange auf dem Bahnhofe: der Statthalter, Fürst von Hohenlohe-Schillingsfürst, der Staatssekretär, der kommandirende General, der Divisions- Commandeur, der Gouverneur und der Kommandant, die Ehrenwache mit den direkten Di der Bezirks-Präsident und der Polizei-Direktor, sowie der Bürgermeijter.

Auf dem Wege nah dem Statthalter-Palais bilden Ver- eine und Schuljugend Spalier. An dem Statthalter-Palais : die Brigade-Generale und Regiments-Commandeure; die Ehrenwache. | j i E

Logis in dem Statthalter-Palais. Diner bei Sr. Majestät um halb 6 Uhr. Zapfenstreich Münsterbeleuhtung Jllumination der öffentlichen Gebäude. S

Sonnabend, den 11.: Morgens um 10 Uhr 45 Minuten nah dem Paradeplay bei Straßburg; Vormittags um 11 Uhr große Parade; Nachmittags um halb 2 Uhr Rückfahrt nah Straßburg; Nachmittags um 5 Uhr Parade-Diner bei Sr. Majestät im Offizier-Kasino; Abends um halb §3 Uhr Militär- Theater.

, Sonntag, den 12.: Evangelisher Militär-Gottesdienst in der Thomaskirhe um halb 11 Uhr; Katholisher Militär- Gottesdienst im Münster; um halb 1 Uhr Empfang des Staats- sekretärs, der Unter-Staatssekretäre, der Ministerial-Räthe, des Staatsrathes, des Landesausschusses von Elsaß-Lothringen, des Bureaus des Bezirkstages und des Gemeinderaths von Straßburg; um halb 6 Uhr Familien-Diner bei Sr. Majestät und Marschallstafel ; kleine Theatervorstellung.! ï

Montag, den 13.: Von Straßburg Morgens 9 Uhr 15 Min. per Extrazug nah Stephansfeld; Corpsmanöver bei Brumat; um 1 Uhr von Stephansfeld per Extrazug nach Straßburg zurück; kleines Diner um halb 6 Uhr bei Sr. Majestät ; Abends halb §8 Uhr Galavorstellung im Theater Seitens der Stadt.

Dienstag, den 14.: Besichtigungen. Vormittags 11 Uhr Besuch des Münsters, wo Se. Majestät vom Bischof und Domkapitel und der Universität, wo Se. Majestät vom Nektor und Senat empfangen wird; Nachmittags Huldigung der Landleute aus der Umgegend von Straßburg; um halb 6 Uhr Diner bei Sr. Majestät mit den Civilspißen im Offi- zier-Kasino; kleine Theatervorstellung.

Mittwoch, den 15.: Morgens 9 Uhr per Extrazug (9,15) nah Dettweiler und von dort zu Wagen in das Manöver- Terrain; Feldmanöver bei Dettweiler; Nachmittags 1 Uhr von Dettweiler nah Straßburg zurück; Nachmittags halb 6 Uhr kleines Diner bei Sr. Majestät; kleine Theater- vorstellung.

Donnerstag, den 16.: Vorträge; um halb 6 Uhr Diner

bei Sr. Majestät mit einigen Spitzen; kleine Theatervor- stellung. : Freitag, den 17.: Morgens 9 Uhr per Extrazug (um 9,15) nah Hochfelden und dann in das Manöver-Terrain zu Wagen; Feldmanöver bei Hochfelden; Nachmittags 1 Uhr von Hochfelden nah Straßburg zurück; um halb 6 Uhr kleines Diner bei Sr. Majestät; kleine Theatervorstellung.

Sonnabend, den 18.: Morgens 9 Uhr per Extrazug (um 9 Uhr 15 Min.) nah Mommenheim und dann zu Wagen in das Manöóver-Terrain; Feldmanöver bei Mommenheim ; Nach- mittags 1 Uhr von Mommenheim nah Straßburg zurück; um halb 6 Uhr Diner bei Sr. Majestät mit den Generalen und einigen Civilspißen ; kleine Theatervorstellung; Beleuchtung des Münsters.

Sonntag, den 19. : Civil-Gottesdienst in der Neuen Kirche.

Abreise von Straßburg Nachmittags 1 Uhr mittelst Extra- zugs, Ankunft in Meß Nachmittags 3 Uhr 55 Min. Empfang nah Maßgabe der Bestimmungen wie am 10. in Straßburg. Logis im Regierungsgebäude. Um 5 Uhr Diner bei Sr. Majestät mit einigen Spigen; Abends halb 9 Uhr Thee und Zapfenstreich.

Montag, den 20.: Vormittag 11 Uhr Parade der 32. Fn- fanterie-Brigade; Besuch der Kathedrale und der neu erbauten evangelishen Garnisonkirhe. Um halb 6 Uhr Parade-Diner mit einigen Civilspizen bei Sr. Majestät; Abends halb 9 Uhr Fackelzug der Stadt Mey vor dem Regierungsgebäude.

Dienstag, den 21.: Besichtigung der Shlachtfelder; kleines Diner bei Sr. Majestät um 6 Uhr. Res L) «e:

Mittwoch, den 22.: Abreise von Mey Morgens 9 Uhr 30 Min. mittelst Extrazugs, Ankunft in Straßburg Mittags 12 Uhr 30 Min., kleines Dejeuner; Abreise Mittags 1 Uhr 15 Mitt Ankunft in Baden-Baden Nachmittags 2 Uhr 25 Min.

3. September, Abends. (W. T. B.) Der Großherzog von Baden ist, von den Uebungen der 2. Kavallerie-Division zurüfehrend, heute Abend hier eingetroffen und in der „Stadt Paris“ abgestiegen. Morgen findet zu Ehren des Groß- herzogs ein Diner bei dem Statthalter Fürsten Hohenlohe statt.

Oesterreih-Ungaru. Wien, 3. September. (W. T. B.) Die „Pol. Corr.“ meldet: Graf Kálnoky begiebt sih heute Abend nah Pest, um dem Kaiser noch vor dessen Abreise nah Galizien Bericht zu erstatten, und kehrt am Sonntag

hierher zurü. 3 |

Prag, 3. September. (W. T. B.) Der Unterrichts- Minister Dr. Gautsh von Frankenthurn ist heute Nach- mittag von hier nah Berlin abgereist.

Pest, 3. September. (W. T. B.) Die Mitglieder der preußischen militärishen Deputation wohnten heute im Gefolge des Kaisers den Manövern bei Bicske bei und statteten am Nachmittage dem Banus Grafen Khuen-

Hedervary einen Besuch ab.

4. September. (W. T. B.) Die Mitglieder der preußishen militärishen Deputation sind heute morgen über Wien nah Berlin abgereist. Ober-Bürgermeister Rath war zur Verabschiedung am Bahnhofe anwesend.

Großbritannien und Jrland. London, 2. September. Allg. Corr.) Jn Belfast wurde gestern zum ersten Male Gi den jüngsten Krawallen die bewaffnete Polizei wieder mit dem Wachtdienst betraut, den bisher das Militär gehabt hatte. Jn dem protestantishen Stadttheil gab diese Verände- rung zu neuen Ruhestörungen Anlaß. Die Polizei wurde von dem Volke mit Steinen beworfen. Gelegentlih wurden duch Revolverschüsse abgefeuert, wodur ein Polizist verwundet wurde. Die Polizei zerstreute \{hließlich mit Hülfe des Mi- litärs die Aufrührer und verhastete 15 derselben. :

Eine Deputation Sozialdemokraten begab sich gestern ins Ministerium des Jnunern, um dem Minister die von der Volksversammlung auf Trafalgar Square ange- nommene Petition zu überreichen, den gefangenen Sozialisten John Williams freizulassen. Der Minister lehnte es, wie in solchen Fällen üblich, ab, die Deputation zu empfangen, worauf ihm ein hierauf bezügliches Schreiben übermittelt wurde.

3. Spiele, (W. T. Pi Der Generalkonsul in Sofia, Lascelles, ist auf jeinen Posten zurückgekehrt, um England bei dem Einzuge des Fürsten Alexander in Sofia zu vertreten. y

3. September, Abends. (W. T. B.) Jm Unterhause beantragte der Schaßkanzler, Lord Churchill, für die Berathung der Finan duor agen die Priorität an allen den- jenigen Tagen, an welchen dieselben auf der Tagesordnung stehen würden, und forderte die Mitglieder aller Parteien im Jnteresse des Parlaments wie in demjenigen der Re- gierung und des Landes zur Annahme seines Antrages auf. Die Aufgabe der Regierung, sagte er, sei eine shwierige; die Regierung müsse Zeit haben, die Jrland betreffenden Vor- lagen vorzubereiten. Auch die Opposition habe Ursache, nichts zu übereilen. Dillon bekämpfte den Antrag Lord Churill's, da der Zustand Jrlands ein derartiger sei, daß noch vor Erledigung der Finanzvorlagen sofortige Abhülfe- maßregeln nothwendig seien. —- Parnell erklärte, er wünsche eine Bill, betreffend die irishen Pächter, einzubringen und zur Berathung zu stellen. Der Schaßkanzler Lord Churchill erwiderte, er begreife den Wunsch Parnell's und wolie, ob- chon die Regierung an ihrer Ansicht bezüglih der Boden- frage festhalte, Parnell gleihwohl Gelegenheit geben, die Bill einzubringen und zur Berathung zu stellen. Der Antrag Lord Churchill's, betreffend die Priorität der Finanz- vorlagen, wurde angenommen. Bei der hierauf begonne- nen zweiten Lesung der Adresse beantragte Labou- chère das gestern von ihm angekündigte Amendement be- treffend die Reden des Lords Churchill in Belfast, welche den Frieden gestört hätten. Lord Churchill wies den gegen ihn gerichteten Angriff als kindish zurück. Saunderson beantragte ein Amendement, welches niht Lord Churchill, sondern die Parnelliten für die Unruhen in Belfast verantwortlih machte. Dieses Amendement Saunderson's wurde ohne besondere Ab- stimmung abgelehnt und dasjenige Labouchère's mit 202 gegen 110 Stimmen verworfen. Hierauf wurde die Adresse definitiv angenommen. ;

Frankreich. Paris, 2. September. (Köln. Ztg.) Vor- gestern wurden bei einem Volksauflauf auf dem Plate der Nepublik 7 Stadtsergeanten mehr oder weniger {wer verwundet. Jn den Spitälern in Lille liegen noch 6 Soldaten, die vom Hiß'\chlag getroffen wurden. Gestern wur- den bei der Revue, die General Billot über die in Semain bei Lille lagernden Truppen hielt, Zeichen der Unzufriedenheit laut. Diesen Kundgebungen der Truppen wurde jedoch so- fort Einhalt gethan.

Der Prinz von Wales traf heute in Paris ein.

Die opportunistischen Blätter kennzeichnen de Freycinet's A b- fommen mit dem Vatikan als ein Nachgeben den päpfst- lihen Forderungen gegenüber. Die „République Française“ will nicht zugeben, daß man die Rechte Frankreichs in China einer Prüfung unterwerfe, und „Paris“ wirst Freycinet Mangel an Thatkraft vor und bedroht ihn mit dem Zorn der Kammer.

3. September. (W. T. B.) Die „Agence Havas“ läßt sih aus Philippopel melden, daß über die Schienen, welche der Zug mit dem Fürsten Alexander passiren mußte, an einer Stelle Holzscheite gelegt worden waren. Dem Lokomotivführer sei es gelungen, kurz vor der betreffenden Stelle den Zug zum Stehen zu bringen, so daß eine Ent- gleisung vermieden wurde.

3. September, Abends. (W. T. B.) Das Fournal „Paris“ schreibt, die leßten aus Sofia eingegangenen Nach- richten ließen die Lage der Dinge in Bulgarien getrübt erscheinen; die Antwort des russischen Kaisers auf das Telegramm des Fürsten Alexander habe den Enthusiasmus abgekühlt.

Serbien. Belgrad, 4. September. (W. T. B.) Der diesseitige Gesandte in Bukarest, Kaljewitsch, ist zum Ge- fandten in Athen, der frühere Minister Rajowitsch zum Gesandten in Bukarest ernannt worden.

Bulgarien. Sofia, 3. September. (W. T. B.) Fürst Alexander ist heute Vormittag 11 Uhr hier eingetroffen. Die ganze Stadt war reich mit Flaggen geshmückt. Eine große Anzahl von Einwohnern der Stadt und der umliegen- den Ortschaften hatte sh auf beiden Seiten der Chaussee aufgestellt und begrüßte den Fürsten herzlih. Fn der Stadt wurde der Fürst von den Mitgliedern des diplomatischen Corps, welche große Uniform angelegt hatten, empfangen; der russische diplomatische Vertreter war nicht zugegen. Fn dem Augenblick, als der Fürst die Stadt betrat, wurden 21 Kanonenschüsse gelöst.

Rußland und Polen. S t. Petersburg, 4. September. (W. T. B.) Das „Journal de St. Pétersbourg“ er- klärt die Mittheilungen des „Berliner Tage- blatt“ hinsihtliÞh der jüngsten Reise der Prinzen von Battenberg in Rußland für unrichtig. Die Prinzen seien in Reni mit aller e gebühren- den Nüksiht empfangen und niht auf das Polizei- amt, sondern zum Bürgermeister geführt worden, wo ihnen jede mögliche Gastfreundschaft gewährt wurde. Die Prinzen seien sowohl von der ihnen gewordenen Aufnahme wie von dem Vorschlage, nah Wolotschisk zu reisen, sehr befriedigt gewesen. Prinz Alexander habe erklärt, nur 50000 Fres. bei sich zu haben; es sei ihm alsdann auf Befehl des Gouverneurs ein Zug um- sonst zur Verfügung gestellt worden. Sakharoff habe zwar

den Auftrag gehabt, die Prinzen zu begleiten, habe aber seinen Jnstruktionen gemäß nur die Vorgänge auf der Reise beobachten sollen.

Zeitungsftimmen.

Die „Allgemeine konservative Monatsschrift für das christlihe Deutshland“ enthält einen längeren wirthdastäpotitizen Aufsatz, dessen erste Hälfte lautet :

as Blaubuch des englischen Handelsamts über die Bewegung des englischen Handels im Jahre 1885/86 liefert nun den zifffermäßigen Beweis wider die beflifsenen Ausführungen der freihändlerischen Presse, nah denen der deutshe Schußtzoll und die Wendung der deutschen Wirthschaftspolitik überhaupt die Ursache der Abshwächung des inter- nationalen Handel8umschlages gewesen sein soll. Freilih hätte es dieses Beweises gar nicht bedurft. Das Hauptbeweismittel für den dur den deutschen Schußzzoll angeblich herbeigeführten Handelsrüdck- gang wurde aus den Verhältnissen des bremischen Hafen- und Handels- verkehrs gezogen, da \sich dort allerdings in vielen Artikeln ein Rückgang der Handelêmenge gezeigt hat und noch zeigt. Allein abge- schen davon, daß {hon fast unmittelbar nah der exsten Veröffent- lihung der bremischen Handelskammer die Berichte aus Antwerpen, aus den französishen und einigen englishen Häfen ganz dieselbe Er- scheinung zeigten wie Bremen, daß also in rein freihändlerishen Häfen und dazu gehört sogar Bremen selbst! si dieselbe Erscheinung zeigte wie in den {hutzöllnerisch angehauhten, war nachzuweisen und ist nachgewiesen worden, daß bei ciner wirklich rationellen Aufmachung einer Handelsbilanz sih findet: daß sh der Zweck der Schuß- zöólle (der doch fein anderer fein “kann, als der, die Ein- fuhr zu vermindern) erfüllt zeige durch eine Veränderung des Verhältnisses zwishen Ein- und Ausfuhr und insbesondere auch dadurch, daß für die ausgeführten Artikel mehr, für die eingeführten weniger bezahlt wurde was doch ohne Zweifel nah faufmännischen Grundsätzen nicht al3 ungünstige, sondern als günstige Handelsbilanz bezeichnet werden muß. “Zugleich aber haben auch die bremischen Kaufleute niht weniger verdient als früher. Demgegen- über fällt aber eine Verminderung des Handel8umschlags8werths um so weniger ins Gewicht, als dieselbe öfter zufällige und vorüber- gehende Ursachen hat und als überbaupt eine fortgesette und unend- lihe Steigerung irgend eines Verhältnisses gar nicht denkbar ist. Immer aber ergeben die vorliegenden Ausweise auch binsihtlih des betreffenden Handcléplakes im Allgemeinen, daß der Werthrückgang des Umschlages nur unbedeutend war.

Achnlich wie mit dem Bremischen Handelsbericht verhält es sich mit allen übrigen, und nicht minder zeigen die Berichte aus den In- dustriegebieten, felbst da, wo sie Stockungen ausweisen, daß der Schutzzoll nicht ohne günstige Einwirkung war. Es haben wohl in einigen Industriegebieten Verminderungen der Arbeiterzahl ftatt- gefunden; dieselben waren indeß bei Weitem nicht fo umfangrei, als die Cinzelberihte vermuthen ließen; in anderen Gebieten haben dagegen sogar zum Theil fehr erhebliche Vermehrungen der Arbeite rzahl stattgefunden, und zwar auch bei Industrien, welche dem Lurus di cnen, wie bei der Pforzheimer Goldindustrie, wo sich die Arbeiterzahl im Jahre 1885 um 15 9/9 vermchrt hat und wo auch die Zahl der Betriebe sih um mehrere Prozent gesteigert hat. Nun wollen wir zwar durch- aus dies nicht so ohne Weiteres als cinen günstigen Gang der Ver- hältnisse ansehen. Wir halten es im Gegentheil für eine Hauptquelle des wirthschaftlichen Nothstandes, daß sofort, wenn sich die industriellen Bestellungen um ein Weniges steigern, sofort eine massenhafte Ver- mehrung der Arbeiter und Ueberzeitarbeit eintritt. Es würde weit TaMOeagE en Die E Mee E aaa bei der gegenwärtigen Betriebsweise, wo gewöhnlich auf lange Zeit hin Waarenvorrath vorhanden ist, \sich fehr leiht bewirken läßt. Allein für das Manchesterthum, das doch auf unmäßige Ausdehnung der Konkurrenz und auf rücksihtslose Mafsen- produktion hinausläuft, gehört doch eine unglaubliche Keckheit dazu, im Angesiht solcher Ausdehnung von Mißerfolgen der Schuh- politik zu reden um \o mehr, wenn man die Feststellungen des englischen Handelsamts dagegen hält. Da ist kein Gebiet des Handels, das nicht eine Handel8abnahme, wogegen die deutsche ein Kinderspiel ist, ausweist. Der Handelswerth im Verkehr mit den Vereinigten Staaten nahm ab um nicht weniger als 17 000 090 £, derjenige im Verkehr mit Indien um 7 000 000 £, mit Deutschland um 5 000 000 L 2. Wollten wir ebenso gedanken- los verfahren, wie die Vertreter des Mancheiterthums, so würden wir ebenfalls mit derselben Sicherheit, wie sie den von ihnen behaupteten Rückgang des deutschen Verkehrs obne Weiteres auf Rechnung des Scutzolles seten, ihn dem Freihandel zuschieben und zwar ohne Zweifel mit mehr Berechtigung. Indeß sind wir weit cenfkfernt, uns so beschränkt auszudrücken. Wir setzen daher auch nicht die englishen Ergebnisse auf den „Freihandel“ im engeren Sinne, sondern auf das gesammte manchesterlihe System , indem wir den Begriff des „free-trade“ nicht sowohl durch den deuts en Begriff des „Freihandels“ als vielmehr durch den des „Freihandelns“ decken. Und in der That bezeichnet das vorjährige Ergebniß des eng: lishen Handels nicht sowohl einen Nückgang des Handels an sid, fondern nur den Fertgang der wirthschaftlichen Verschiebung, welche in der zunehmenden Loslösung des Kapitals von den nationalen Be- ziehungen zuzn Vorschein kommt. Der Handel verkapitalisirt eben falls, d. h. er löôft sih von seiner Basis ab; der englische Umschlag, als den wir denjenigen des gesammten Welthandels, foweit er dur englishes Kapital bewirkt wird, ansehen müssen, wird in immer niedrigerem Verhältniß über England selbs bewirkt; es geht daher auch der Nußten, den die arbeitende Bevölke rung Englands bei dem Handelsums{lag hatte, verloren, und damit vermindert sih der Nutzen, den die englische Bevölkerung von ihrem Kapitalreichthum hat, immer mehr; um so mehr wächst der Schaden. Dies zeigt sih z. B. auch in den Ergebnissen einer land- wirthschaftlichen Zählung, welche in England am 4. Juni d: I. statt: fand. Danach hat im Jahr 1885 die Landwirthschaft einen weitere! Rückgang erfahren, indem niht nur der Getreideanbau, \ondern aud die Schaf- und Schweinezucht abgenommen hat und nur bei Hornvich cine kleine Vermehrung gezeigt worden ist. i

Dieser Thatsache gegenüber finden sih die englishen „Volks wirthe“ ab, indem sie die „Konkurrenz der Deutschen“ anschuldigen und hervorheben, daß im Juli dieses Jahres Industrieprodukte in! Werthe von 10124869 aus Deutschland nach England geschidt wurden der dritte Theil der gesammten Einfuhr. Dies würde (sofern die Angabe nicht auf einem Fehler beruht) noch \{lagender zu Gunsten des deutschen Schutzolles gegen die Freihändler beweisen, da im ganzen Vorjahr die englishe Einfuhr aus Deutschland nur 23 069163 £ betrug, was auf den Monat noch nid! 2 000 000 £ ausmacht. Wollte man aber die statistischen Ziffern nah ihrem Werth gebrauhen, dann würde man die kolossale Au fuhr der Vereinigten Staaten nah England, welche mit 86 478 813 £ die Einfuhr von 31094589 £ um mehr als 55 Millionen übersteigt dem Nückgang der englischen Landwirthschaft erwägend gegenüber stellen, denn außer Baumwolle kommen bei der amerikanischen Zw fuhr fast aus\{ließlich Getreide und Fleisch in Betracht; auße dem etwa noch Petroleum und Tabak. So ungeheuer di Summe ist, so weist sie doh gegen das Vorjahr einen Werthrückgans von 12 000 000 £ aus was die Manhhesterleute einfach erklär dur die Bemerkung, „weil jeßt viel Korn aus Indien kommt“. Der Werth der englischen Weizen-Cinfuhr aus Indien hat aber im Jaht 1885 nidt ganz 1 200000 £ betragen also kaum 10 9/6 des Rit ganges der amerifanishen Zufuhren. In der Hauptsumme jen Handeltposition zeigt sich die wahrhaft ungeheuerliche wirthschaftli®t

bhängigkeit Englands von den Vereinigten Staaten und de = in der al

kungen der internationalen kapitalistishen Wirthschaft d

\haulihsten Weise. Nehmen wir an, daß der Ausfuhrwel der nah England gebrachten en Waaren - 20 niedriger ist, wie der Einfuhrwerth, so ergie

L “Bis zum Tilsiter Frieden. t sih immer noch

ifferenz von nahezu 40 Mill. Pfd. Sterl. an Werthen, die England aus

Vereinigten Staaten ohne Gegenleistung empfängt entsprechend

Finem in den Vereinigten Staaten angelegten Kapital von etwa zwanzig illiarden Mark. Jener Betrag wird also an amerikanishen Erzeug- issen dur das englische Kapital herausgezogen und in England ver- erthet; und da derselbe mit Ausnahme von Petroleum, Baumwolle nd Taback bis jeßt nur aus Erzeugnissen, welche auch die englische ndwirthschaft gewinnen kann, besteht, fo erklärt sich die zunehmende edeutungslosigkeit des englishen Grund und Bodens für die Ernäh-

ng des Landes zur Genüge. ...

. _. Denn eigentlich ist in den eo des englisden Blaubuhs Yas Shlimmste nicht mehr die Höhe des amerikanishen Einfuhr- werthes, sondern der Rückgang der Einfuhr um 12 Millionen, welhe eine Steigerung der englishen Kavitalanlagen in den Ver-

nigten Staaten um mindestens jenen Betrag niht mehr aus den

rgebnissen der englischen Arbeit, sondern aus denen der amerikanischen ezeichnet, was aber einer Steigerung des english-amerikanifchen as um mindestens 500 000 £ jährlih gleichkommt. L also die Zeit, wo die englische Landwirthschaft als folche vollständig vernichtet sein wird, mit doppelten Schritten Gerannahen sehen. Aber auch der Zeitpunkt, wo überhaupt die Nerwerthbarkeit vermehrter Einfuhr landwirthschaftliher Erzeugnisse inEngland aufhört, muß mit Riesenschritten herankommen; ja er zeigt sich hon in unmittelbarer Drohung vor den Augen der englischen In-

striellen in der Erscheinung, daß im Juli d. J. ein Drittel der englishen Einfuhr aus deutshen Industriecerzeugnissen bestanden hat.

Aber nicht die „deutsche Konkurrenz“, vor der die Engländer jetzt eine so gewaltige Furcht zeigen, ist es, welche die Gefahr bringt. Diese „Konkurrenz“ steht ebenso unter dem Zwange des Kapitals wie der Nückgang der englishen Ueberlegenheit auf dem Weltmarkte. Nach dem englishen Blaubuche sind 1885 von Deutschland Werthe zu 93 069 163 £ nach England gebraht worden gegen 27 059 830 £, die nah Deutschland gesandt wurden wonach Deutschland im Ver- hältniß zu den Vereinigten Staaten als ein guter Abnehmer für England gelten könnte, wenn nicht vorausgeseßt werden müßte, daß die Hauptmenge jener Waare nicht aus England, fondern nur über England gekommen ist. Aber unter jenem Kapitalzwange ist es nicht mehr ausgeschlossen, daß, nahdem die Möglichkcit, die landwirth- \{aftlihe Einfuhr nah England zu steigern, aufgehört hat, auch die unmittelbare Brablegung der englischen Industrie durh das eigene Kapital beginnt.

Vor zehn Jahren konnte man noch über den Gedanken, daß cine fremde Industrie der englischen im eigenen Lande Konkurrenz machen Fönnte, lachen. Aber der nothwendige Gang des free-trade und laissez-faire ist cin so rapider gewesen, daß, wie wir aus unserer furzen Berührung der Ziffern des englishen Blaubuchs über das ab- gelaufene Handelsjahr ersehen, diefer Gedanke sich in eilender Schnelle in Thatsachen umsetzt

Die „Pharmaceutische Zeitung“ schreibt:

Die Ausfuhr von Droguen und Chemikalien nach Japan aus Deutschland gewinnt von Jahr zu Jahr mehr an Bedeutung. Das Droguengeschäft wird zum größten Theil durch die in Japan befind- lihen deutschen Firmen vermittelt. Chemals mußten alle für medizinishe Zwecke zur Verwendung kowmenden Artikel englischen Ursprungs sein, in den letzten drei Jahren indeß wird der deutshe Ursprung zur Bedingung gemacht, weil unsere

räparate reiner sind und den Anforderungen der Pharma- op0e entsprechender geliefert werden, als die englischen. O werden aus Deutschlaud bezogen: Alcidum Boricum,

rbolicum, Salicylicum, Tannicum und Salicyl- und Chininpräpa- rate, ferner Chloralhydrat, Chloroform, Cocain, Hydochloraticum, Cremor tartari, Glycerin, Jod- und Opium-Präparate, endlih auch Santonin. Von medizinischen Präparaten kommt nur noch Alcidum tartaricum aus England, wovon jährlich etwa 20 000 englische Pfund eingeführt werden. Ebenso werden die für technishe Zwecke ge- brauchten Massenartikel, bei denen dort weniger auf vollständige Rein- beit gesehen wird, aus England eingeführt. Dahin gehören: Chlor- talk, faustishe Soda, Waschsoda, Sodaasche, chlorsaures Kali. Für diese Artikel wird die deutshe Industrie den japanischen Markt noch zu erobern haben.

Man kann

Statistische Nachrichten.

Das soeben ausgegebene Juliheft der Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reichs enthält folgende Mittheilungen : 1) die Erntestatistik des Deutschen Reichs für das Erntejahr 1885/86, 2) die deutsche überseeishe Auswanderung bis Ende Wi d. I, 3) Ein- und Ausfuhr der wichtigeren Waaren im

li und im Zeitraum Januar bis Juli,

reise wihtiger Waaren im Juli, 5) Uebersichten über die ver- teuerten Mengen von Zuckerrüben im Juli und über den Be- stand an Zucker in Zuckerfabriken, Naffinerien und amtlichen Niederlagen am 31, Juli, 6) Nachweisung der den Weinhändlern im Etatsjahre 1885/86 gewährten Zollbegünstigungen.

Die tödtlichen Verunglückungen im Königreich Sachsen. Nach den amtlihen Mittheilungen des Königlich sächsischen Ministeriums des Innern sind im Jahre 1884 im Ganzen 683 Personen verunglückt, wovon 139 oder 20% dem weiblichen Geschlehte angehörten. 1885 belief sih die Zabl sämmtlicher Ver- unglückten auf 704 Personen, davon 121 oder 17 9% weiblichen Ge- A chts. Bezüglih der Art der Verunglückung werden folgende

gaben gemacht. Es sind Personen

1884 18385 ertrunken S 254 193 chaten Verte cit 62 dde b e S U S Ire d ao Dn H O B S 2 auf sonstige und unbekannte Weise verunglückt 47

Außerdem wurden 1884 noch 47 und 1885 noch 41 Leichname aufgefunden, bei denen nicht festgestellt werden konnte, ob ein Un- glücksfall oder Selbstmord vorlag. Ueber die Ursache der Ver- E (08 erden folgende Angaben gemacht. (Die eingeklammerten pa len beziehen si auf das Iahr 1884.) Durch eigene Fahrlässig- eit verunglückten 110 (162) Personen, durch fremde Fahrlässig- keit 30 (13), in Folge von Trunksucht 45 (36), darunter 3 (3) weib- lien Geschlechts, dur Epilepsie, Schwindel 20 (28), in Folge von Geistes\törung 6 (1), von sonstigen Krankheitszuständen 26 (14), durch EGlewmentarursachen, Gewitter 2c. 41 (34), durch kindlihen Leichtsinn 27 (23), in Folge von Aufsihtsmangel 112 (100) Personen. Bei 246 (225) Personen, waren andere oder unbekannte Ursachen vorhanden, Die meisten Verunglückungen fanden 1884 im Juli, 1885 im Juni, die wenigsten in beiden Jahren im Mäcz statt. Traurig stimmt die Uebersicht nah dem Lebensalter der Ver- M dten Danach kamen mehr als ein Viertel aller Verunglückten in beiden Jahren (177 in 1884 bezw. 182 in 1885) bis zum 14. Jahre Ums Leben, was durch den starken Prozentsaß der wegen Aufs1chts- mangel Verunglückten hinreihend erklärt wird; 54 (68) Personen waren über 14—20 Jahre, 47 (53) über 20—25, 48 (29) über 25 bis 30, 98 (74) über 30—40, 88 (77) über 40—50, 74 (81) über 50 bis 60 und (1 (74) Personen über 60 Jahre alt, als sie der tödt- Tie Unfall traf. Bei 42 (50) Personen konnte das Alter nit fest- gestellt werden. Im Verhältniß zur Gesammtbevölkerung des Landes a (eten 1885 von 100 000 Bewohnern 22, 1884 23, 1883 2d,

Kunft, Wissenschaft und Literatur.

Scharnhorst. Von Mar Lehmann. Erster Theil. Leipzig, Verlag von H. Hirzel.

4) Durchschnitts-.

1886. gr. 8. S. XVI. und 543. Unter den hervorragenden Männern, welche dem brandenburg-preußishen Staate durch Geburt niht angehörten, diesen aber während der Neuzeit durch Thatkraft, Aufopferung und Treue zu Ansehen, Ruhm und Ehre geführt, ja groß gemacht haben, ist Gerhard Johann David Scharnhorst einer der Ersten und Cdelsten. Dieser ernste und tugendhafte Mann hat, wie E. M. Arndt (Erinnerungen aus dem äußeren Leben S. 120) urtheilt, tiefer als irgend einer des Vaterlandes Weh gefühlt und mehr als Einer zur Heilung desselben gestrebt und gewirkt. Aus einer nieder- sächsischen Bauernfamilie entsprossen, wurde der Sohn eines churfürst- lihen hannövershen Quartiermeisters Königlich preußisher General- Lieutenant. Der „Waffenshmied deutscher Freiheit“, welcher, „wenn alle Welt auch teufelte, doch nie am Vaterland verzweifelte“, wird freilih nah M. von Scenkendorf’'s Prophezeiung in dem bekannten erhebenden Traumgesange „ewig auf den Lippen \{chweben, im Volke [eben besser als in Stein und Erz“. Allein eine genauere Erkenntniß der p\sychologischen Entwickelung eines so bedeutenden edlen Menschen wird für alle Vaterlandsfreunde ebenso erbebend als anziehend fein, boffentlih zu gleichem Streben und Handeln gleichfalls ermunternd. Das Leben ift allerdings dargestellt im Jahre 1865 von Shweder in einer nur kleinen populären Biographie, ausführlich 1869 von Klippel nach größtentheils bisher unbenußtten Quellen. Aber dem leßteren Buche hat die Kritik große Mängel vorgeworfen, weil die er- langten bisher unbekannten Aktenstücke und Briefe unvollständig verwerthet, ja nicht einmal richtig gelesen sind. Deßhalb hat der durch gediegene thatsählich aufflärende Schriften (Stein, Scharn- horst und Schön, Leipzig 1871, Knesebeck und Schön, Leipzig 1875, und die bedeutsame, nah Akten des Geheimen Staats-Archivs er- \höpfende Darstellung der katholishen Kirche in Preußen, Leipzig 1878) als gewissenhafter und f\orgfältiger Forscher vortheilhaft be- kannte Geheime Staats-Archivar Professor Dr. Lehmann, seit Jahren sich der Arbeit unterzogen, ein neues bio- graphisches Werk mit diplomatisher Genauigkeit herzustellen. Da die vorhandenen Bestandtheile in Scharnhorst's Nachlaß von Vollständigkeit weit entfernt sind und gerade über die wichtigste Zeit seines Lebens s{chweigen, so hat der Verfasser versucht, die Like zu ergänzen aus anderen besser erhaltenen Nachrichten und aus den Registraturen der Behörden, mit denen Scharnhorst verkehrte. Gr hat die verschiedenen Archive in Berlin und Hannover, wie in Wolfenbüttel, Bückeburg und Wien leider rur mit dem immer wieder erneuerten Bedauern über die zahlreihen auch hier cinge- tretenen Verluste benußen können. Den Verfasser hat der Wunsh geleitet, tiefer in das Verständniß eines unserer größten Männer einzudringen und an seinen Thaten das Herz zu erheben. Sehr ehrenwerth, ja pietätsvoll ist das Geständniß des Verfassers, daß dieser Held ihn begleitet hat von der Stunde an, da die wundervollen Klänge des Schenkendorf'shen Liedes „von dem wilden Kriegestanze und der \{önsten Heldenlanze“ zum erstenmal das Ohr des Knaben umschmeichelten. Das Buch ift laut eigener Versicherung ein Stück seines Lebens geworden, es enthält auch ein Stück seines Herzens. Die Umschmeichelung des Knaben hat jeßt den Mann zu einer lauteren, hellleuhtenden That angeregt. Man muß die Biographie als eine mustergültige, als cinen überaus wichtigen willtommenen Beitrag zur Kenntniß der neueren Geschichte anerkennen. Lehmann hat diesen „so räthselhaft aus Friedenssehnsuht und Kriegsmuth, aus Beschaulichkeit und That- kraft gemis{ten Menschen“ (S. 202), den treuen deutschen biederen Helden nah allen Seiten feiner Persönlichkeit und seines Charakters, seine patriotische Gesinnung und aufopfernde Wirksamkeit „dessen Blick und Gaben eine halbe Armee aufwogen“, vlastisch mit lebhaften richtigen Strichen erfaßt. Auf Grundlage zuverlässiger Forshungen ist bündig nachgewiesen, daß Scharnhorst's inneres Leben und äußeres Wirken aus den besonderen eigenartigen Führungen feines Lebens er- wachsen ist. Galt es endlih cinmal eine genaue, vollständige Dar- stellung seines Lebensganges, seiner geistigen Entwickelung sowie des persönlichen Verhältnisses zu bedeutenden Zeitgenossen zu liefern, so hat Lehmann jetzt die bisher vorhandene Lücke vollständig be- friedigend ausgefüllt. Nicht blos das sorgfältig ermittelte ur- kfundliche Material, sowie die noch nit veröffentlichten Arbeiten, ein Theil der taktishen Aufsäße sowie die aus emsiger Benußung der umfangreichen Literatur gewonnenen thatsächliben Nachrichten, sondern besonders auch die Tagebücher, werthvolle Briefe an die Angehörigen sowie private Mittheilungen sind geschickt mit in die Geschichtserzählung hineingezogen. Treu und liebevoll versteht der Verfasser, den vielen Spuren nachzugehen, in deren Gesammtheit diese bedeutende endlih zur vollen Geltung kommende Persönlichkeit sich ausgeprägt hat. Profeffor Lehmann bekundet ein fo zu sagen militärisch technisches Urtheil, und cs ist zu bewundern, daß ein Berliner Gelehrter von feiner Studirstube aus ein folches praktishes Verständniß für militärische Eigenthümlichkeiten zeigt. Nie werden die allgemeinen Gesichtspunkte aus dein Auge verloren, vielmehr versteht er den unschein- baren Einzelheiten durch die Beziehungen auf das Allgemeine eine feste historische Unterlage abzugewinnen. Die Sprache felbst ist klar und gewinnend, viele Stellen sind mit begreifliher Begeisterung geschrieben eine Arbeit nach wissenschaftlichen Grundsäßen mit ästhetishen Gesichtépunkten verfaßt, wvortreflich durch That und Gesinnung, unter Beleuhtung der Richtung Goecthe's „langer Jahre redlich Streben, Aeltestes bewährt mit Treue, freundlih aufgefaßt das Neue“. Der erste Theil, dem Scarnhorst's Portrait vorgesektt ist, geht von der am 12. November 1756 zu Bordenau im Hannöverschen erfolgten Geburt bis zum &rieden von Tilsit am 9. Juli 1807; der Inhalt ist auf zwei Bücher von sieben bezüglih fünf Abschnitten vertheilt Mit innerem Behagen folgt man den von dem Verfasser sehr genau verzeichneten mannig- fahen Wendungen dieses bedeutenden Einzellebens, wie Scharnhorit, weich angelegt, nah richtiger Selbsterkenntniß auf eine außer-

ordentliche Art von jeder Veranlassung zu Empfindungen hingerissen |

wurde, aber noch jung \{chon hoh hervorragt in dem damals maht- vollen und geräuschvollen Strome der Zeit, dann sich wieder in die eigne durch Thatkraft und Energie geshaffene Einsamkeit zurückzieht, um nur feinem Berufe und seinen Geschäften zu leben, wie aber sein Wort von früh an ein stets entscheidendes gewesen ist. Fast von der Wiege an hat den Knaben eine kriegerische Atmosphäre umgeben, die, wie verschieden auch die Bestandtheile waren, doch eine ein- heitlihe Wirkung auf ihn ausübte. Wie der Vater in den ruhmreichen Kriegen des nichtpreußischen Deutschlands mitgewirkt batte, wollte auch er Soldat werden. In der vom Grafen Wilhelm zu Schaumburg unter den Namen Wilhelmstein errichteten ersten deutschen Artillerieshule hat Scharnhorst die Jahre 1773—1777 zugebracht, den Theil des Lebens, in welhem \ich der Charakter des Menschen für immer zu bestimmen pflegt. In Nordheim hat er den hannöverschen Friedensdienst kennen gelernt, sch ciner fachmännischen literarischen Thâtigkeit gewidmet und damals das Institut der stehenden Heere vertheidigt, „die stehenden Heere sind unentbehrlich. Wenn ein Staat ih erhalten und von fih abwenden will, so muß er beständig bereit sein, sih allen Angriffen widerseßen zu können.“ (S. 73.) Die Vertheidigung des Platzes Menin gegen die Franzosen 1794 hat der Verfasser mit vollem Recht in allen ihren Einzelheiten erzählt; es war die erste That, welhe Scharnhorst's Stirn mit frischen Lorbeeren ges{(mücckt hat, von der er annehmen durfte, daß sie seinen Namen auf fernere Geschlehter bringen würde. Der so fehr verdienstvolle und cinem Jeden als Muster aufzustellende Offizier, wie das Zeugniß des hannöverschen Generals von Hammerstein lautet, wurde mit Uceberspringung von vier Kapitänen zum Major und zweiten Aide-General Quartiermeister ernannt. Während des Aufenthalts in Hannover, wohin Scharnhorst 1795 verseßt wurde, entwarf er cinen Verbesserungsplan für die Wiederbelebung des stehenden Heeres, „gewisser- maßen eine neue Militarisirung des Militärs.“ Da aber feine Re- formen an dem Widerstand der hannöverschen Stände \ceiterten, die bescheidenen Vorschläge fromme Wünsche blieben, so war nicht zu verwundern, daß der in seinen Hoffnungen E: 'äuschte mehr und mehr den Blick von seiner engeren Heimath fort- wandte. Als „ein vorzüglich brauhbarer Offizier emvfohlen, mit dem Preußen eine Acquisition mache, wenn es ihn in feine Dienste bekommen könnte,“ werden ihm vom König Friedrich Wil-

helm III. ohne alles Zaudern alle Forderungen bewilligt. Mit einem lafonishen Abschied wurde aus Hannover der größte Mann und der beste Bürger, den tas dortige Semeinwesen- besessen, entlassen. In Preußen hat Scharnhorst \ich glei durch Vorlesungen an der Militär- \hule und Stiftung der militärishen Gesellschaft zu Berlin verdient gemacht, bei der Mobilmachung wurde er am 30. März 1804 zum General-Quartiermeister-Lieutenant ernannt. Die durch Un- einigkeit und fremdes Ungeshick verlorene Scchlaht bei Auerstädt ließ den sonst so gelassenen und \{chweigsamen Mann nit wieder erkennen er war rasend vor Zorn. Der nachfolgende Marsch der preußischen Artilleriekolonnen um den Harz, ein Verdienst Scharnhorst's, ist ein Stück deutsher Geschichte ; denn hier traten zum ersten Male Schöpfer und Führer des Heeres, welches die deutsche Freiheit erstritten hat, zu längerem gemeinsamen Wirken zusammen Blücher und Scharnhorst. Der erstere ist von dem Verfasser vortrefflich gezeibnet (S. 445—449). Als Scharnhorst bei dem mörderishen Gefecht in Lübeck 1806 gefangen genommen war, verzweifelte er in seiner Traurigfkeit und Niedergeschlagenbeit doch nicht an dem Staate, dem er seine Dienste gewidmet hatte. Die läuternde Wirkung, welche das Unglück auf groß angelegte Naturen ausübt, beobachten wir auch an ihm. Gr findet Kraft, die Seinen zu trösten und läßt ihnen sagen, sie sollten nit das Edelste und Beste für die Menschen, den Muth und die Hoffnung, verlieren. In Hamburg gegen einen französishen General ausgetausht, focht er in der Sthlacht bei Preußisch-Eylau mit, einer der gewaltigsten der Weltgeschichte, in welcher der bis dahin unbesiegte Napoleon nicht Sieger blieb. Nachdem auch die Russen bei Friedland an demselben Tage geshlagen, die Preußen bis an die Thore Königsbergs zurück- geworfen waren, folgte gegen den Willen Scarnhorst's ein Waffenstillstand und dann der Friede von Tilsit. „Wäre es“, schreibt er an seine Tochtcr, „nah den geheimsten und ver- borgensten Gefühlen meines Herzens gegangen, so hätte uns die Vor- schung noh in eine andere Lage bei der lezten Katastrophe gesetzt, wo die Verzweiflung die höheren Gefühle vielleiht geweckt hätte.“ Wer Scharnhorft's Denken und Wirken noch nit genauer kennt, wird aus Lehmann's wohlverdienter wie wohlgelungener Anerkennung sicherlih große Achtung und theilnehmende Liebe für ihn gewinnen. Möge ein weiterer Einblick in diese rastlos wirkende, doch immer auf die größten nationalen Ziele gerihtete Kraft durch das Erscheinen des zweiten Bandes bald gewährt werden.

London, 2, September. (Allg. Corr.) In Birmingham wurde gestern der 56. Jahreékongreß der britischen Gesellschaft für die Förderung der Wissenschaft unter zahlreiher Be- theiligung von Gelehrten des In- und Auslandes eröffnet. Professor Sir William Dawson, Rector magnificus der McGill-Universität in Montreal, hielt als neugewählter Präsident der Gesellschaft seine Antrittêrede, deren Thema die geologishe Geschichte des nordatlan- tishen Oceans bildete.

Gewerbe und Handel.

Haag, 27. August. Zur Revision des niederländischen Gesetzes vom 20. Juli 1884, betreffend die Zuckerbesteuerung, hatte der zcinanz-Minister im Frühjahr d. J. der Zweiten Kammer der General- staaten einen Geseßentwurf vorgelegt, welcher unter Beibehaltung der bisherigen Steuergrundlage der Ermittelung des reinen Zucker- gehalts eine Erhöhung des Zolles auf Bastardzucker und des Ab- zugs für den Abgang bei Kolonialzucker in Ausficht nahm. Dieser Gesetzentwurf ist inzwischen von der Zweiten und am gestrigen Tage au von der Ersten Kammer der Generalstaaten angenommen worden. Die Publikation des Gesetzes dürfte demnächst erfolgen.

În der am 24. Mai cr. stattgehabten Generalversammlung der Gelsenkirchener Bergwerks-Aktiengesellschaft wurde die Erhöhung des Grundkapitals der Gesellshaft von 20 250 000 M auf 22 500 000 4, und zu diesem Zwecke die Ausgabe von 1875 Stück Aktien 11]. Emission à 1200 4, mit Dividendenberechtigung vom 1. Januar 1886 ab, beschlossen. Die Zeichnung dieser neuen Aktien ist dur die Direktion der Diskonto-Gesell schaft erfolgt. Let- tere bietet jeßt den gegenwärtigen Aktionären der Gesellschaft die neuen Aktien in der Weise zum Bezuge an, daß auf je achtzehn alte Aktien à 600 Æ = nominal 10 800 A eine neue Aktie à 1200 zum Paricourfe offerirt wird. Das Bezugsrecht ist in der Zeit vom 6, bis einschließlich 20. d. M. geltend zu machen.

__ Königsberg i. Pr., 4. September. (W. T. B.) Die Betriebs- einnahme der ostpreußishen Südbahn für August 1886 be- trug nah vorläufiger Feststellung i.n Personenverkehr 98 445 Æ, im Güterverkehr 173 518 4, an Extraordinarien 12 000 M1, zusammen 283 963 H, darunter auf der Sireckte Fishhausen—Palmnicken 9158 , im Monat August 1885 provisorisch 348 088 4, mithin gegen den entsprehenden Monat des Vorjahres weniger 64 125 4, im Ganzen vom 1. Januar bis ult. August 1886 2015519 A (definitive Ein- nahme aus russishem Verkehr nach russishem Stil), gegen 3 305 501 M4 im Vorjahr, mithin gegen den entsprehenden Zeitraum des Vorjahres provisorisch weniger 1120 435 4, definitiv weniger 1283 982 4

Pest, 3. September. (W. T. B.) Die Semestralbilanz der ungarischen Hypothekenbank weist einen Reingewinn von 566 394 Fl. auf.

New-York, 3. September. (W. T. B.) Baumwollen- Wochenbericht. Zufuhren in allen Unionshäfen 24 000 B., Ausfuhr nach Großbritannien 16 000 B., Ausfuhr nach dem Kon- tinent 6000 B,., Vorrath 167 000 B.

Submissionen im Auslande. Oesterrei ch.

15. September, Mittags. Wien. General-Direktion der öster- reichischen Staatsbahnen.

___ Lieferung von Rübbrennöl, Petroleum, Schmierölen, Wagen- \hmiere und diversen Betriebsmaterialien.

Näheres an Ort und Stelle.

Sanitäts8wesen und Quarantänewesen. Portugal. :

Mittels cines im „Staats-Anzeiger“ veröffentlihten Erlafes der Königlich portugiesischen Regierung vom 27. August 1836 ist der Hafen von San Vincente auf den Kap Verdischen Inseln seit dem 19, Mai d. J. als choleraverdächtig erklärt worden.

Berlin, 4. September 1886.

Köln, 4. September. (Tel.) Die erste Post von London vom 3. September hat in Köln den Anschluß an den Zug 11 Uhr 40 Min. Nachts nah Hamburg nicht erreicht. Grund: Verspätete Ankunft des Zuges von Ostende und Zug- verspätung auf der Strecke von Verviers bis Köln.

JIubilänms-Kunstausstellung. (Fortscßurg.) In dem, hauptsählih Künstlern der Weimarer und Dresdner Schule ein- geräutnten Saale finden wir eine große Reihe beachtens8werther Werke. Vorwiegend ist die Landschaftêmalerei vertreten, und sci hier von den Dreédener Künstlern zunächst genannt F. Preller, dessen Meister- schaft sih in scinen beiden Landschaften Tivoli und Rhön im besten Lichte zeigt. Wl. Jettel's „Wildba@“ und „Wiesbahhorn“ sind prächtige Werke. E. Oehme's „Wildpark“ wirkt ungemein durch die hübschen Lichteffekte.

„Der rothe Felsen bei Mentone“ wird uns vom Freiherrn von Türcke in seiner prächtigen Schönheit im Bilde gezeigt. L. Gurlitt weiß gleichfalls die Reize der italienischen Landschaft mit dem Pinsel zu vergegenwärtigen. Heyn" s „Oberbayerische Kalk sfea nah dem Gewitter* gefallen durch trefflihes Kolorit. Eine Olivenlandschaft im Sturme bot Franz Schreyer ein willkom- inenes Motiv zu cinem wirksamen Bilde. Fr. Hochmann zeigt sich in seinem „Abend vor der Porta maggiore von Rom“ als Lege Beobachter des italienischen bens. Von Jacques Schenker