1907 / 56 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 02 Mar 1907 18:00:01 GMT) scan diff

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Finanzministerium.

Ernannt bei der Königlihen Seehandlung (Preußische Staatsbank): i

die Seehandlungskassensekretäre Schulße, Heins und Kassubeck zu Seechandlungsbuchhaltern,

die Diâtare Boyne und Dittmann zu Sechandlungs- kassensekretären.

Die Rentmeisterstelle bei der Königlichen Kreiskasse in Soest, Regierungsbezirk Arnsberg, ist zu besetzen.

Ministerium des Jnnern.

Auf Grund des §8 4 Abs. 1 und 2 der Kreisordnung vom 13. Dezember 1872/19. März 1881 erkläre ih hierdurh die Stadt Deutsh-Wilmersdorf im Regierungsbezirk D vom 1. April d. J. ab aus dem Verbande des

andkreises Teltow für ausgeschieden, sodaß sie von diesem Tage ab einen Stadtkreis bildet. Berlin, den 26. Februar 1907. Der Minister des Jnnern. Dr. von Bethmann-Hollweg.

Dem Oberregierungsrat Schulin is die Leitung der Kirchen- und Schulabteilung. bei der Regierung in Trier über- tragen worden.

Nithfkamlliches.

Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 2. März.

Seine Majestät der Kaiser und König besuchten heute, „W. T. B.“ zufolge, den Reichskanzler Fürsten von Bülow und nahmen im hiesigen Königlihen Schloß die Vor- träge des Staatssekretärs des Reichsmarineamts, Admirals von Tirpiß, und des Chefs des Marinekabinetts, Kontre- admirals von Müller entgegen.

Die vereinigten Ausschüsse des Bundesrats für Zoll- und Steuerwesen und für Handel und Verkehr, die vereinigten Ausschüsse für Zoll- und Steuerwesen und für e ERA sowie die vereinigten Ausschüsse für Zoll- und Steuerwesen und für ElsaspLothringen hielten heute Sißungen.

Das Königliche Staatsministerium trat heute zu einer Sißung zusammen.

__ Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Fürst Bismarck“ am 28. Februar in Manila eingetroffen und geht O von dort nach Hongkong in See.

S. M. S. „Luchs“ ist gestern in Nanking eingetroffen.

Hamburg.

Seine Mazestät der König Friedrih August von Sachsen ist, „W. T. B.“ zufolge, gestern abend auf seiner Reise nah Lissabon hier ein birvisea und hat sich an Bord des Dampfers „Kap Ortegal“ begeben.

Oefterreich-Ungarnu.

Gestern sind, wie das „W. T. B.“ meldet, die Minister- präsidenten Freiherr von Beckck und Dr. Wetkerle, die öster- reihishen und die ungarischen Minister für Handel, Finanzen und Ackerbau sowie die beiderseitigen Referenten zur Fort- nung der Ausgleihsverhandlungen zusammen- getreten.

Großbritannien und JFrland.

Der Premierminister Campbell-Bannerman hat in der Wochenschrift „The Nation“ einen Artikel veröffentlicht, in dem er die Einwendungen widerlegt, die gegen die Be- handlung der Frage der Begrenzung der Kriegs- rüstungen auf der Haager Konferenz erhoben worden sind. Dem „W. T. B.“ zufolge führt Campbell-Bannerman in dem Artikel aus:

Die erste Haager Friedenskonferenz sei gerade be¡üglich dieser Frage zu einer Uebereinstimmung gelangt, wie sie bei einer so heiflen und \{chwierigen Materie bei dem ersten Versu nit zu erwarten gewesen sei. Seitdem sei eine wesentlihe Aenderung in den Umständen nicht eingetreten, die etwa das im Iahre 1898 allgemein gebilligte Verfahren als unnötig, unzweckmäßig oder ger nachteilig erscheinen lasse. Heute, wo die Lasten ür Heeresrüstungen ins Ungeheure angewachsen seten, sei eine Crleichterung dieser Lasten nicht weniger wünschenswert. Ihm feien keine Umstände bekannt, die eine Erörterung der Frage ge- fährlih machen würden. Seit 1898 seten die Punkte, über die Meinungs- verschiedenheiten zwischen Mächten beständen, nicht akuter, sondern weniger akut geworden. Das Friedensgefühl sei unvergleilich stärker

eworden und der Schiedsspruhgedanke sowie die friedliche egelung internationaler Streitigkeiten hätten eine praktische Kraft erlangt, die man sich im Jahre 1898 nit habe träumen lassen. Nur die Erörterung einer Hypothese könne als unzulässig betrachtet werden, nämli der, daß die Friedensverpflichtungen, wie immer sie auch sein mögen, als solhe zu behandeln seien, die keinen raktishen Einfluß auf den Ümfang und die Intensität kriegerischer orbereitungen haben. Das würde eine zu nichts führende Schluß-

folgerung sein, geeignet, die moralishe Stellung der Konferenz zu untergraben.

e Rio der Stellungnahme Großbritanniens gt er g Feierminister.

r haben bereits mit Ern und Aufrichtigkeit unsere Meinun kundgegeben durch die beträchtlichen Abstcide Ti den Maine D Heeresauêgaben und durch die feierlihe Verpflichtung, noch weiter zu gehen, falls wir anderen Orts ähnlihe Neigungen wahr- nehmen. Es ift gesagt worden, unser Beispiel zähle für nihts, weil das Uebergewiht unserer Stellung zur See unerreiht bleiben werde. Ich glaube das nicht. Jh bin vielmehr über- zeugt, daß Englands Seemacht in der ganzen Welt als eine nit

ag@ressive anerkannt wird. Es if daher ein Irrtum, zu glauben, daß\ die Ae geneigt sein könnten, England als ein A ndernis für einen Vorschlag bezüglich eines Einhalts in den Rüstungen anzusehen. Die Wahrheit {eint in der entgegengesetten E zu liegen. Unser Festhalten an den beiden Prinzipien der Unabhängigkeit der Nationalitäten und der Freiheit des Handels berehtigt uns zu erklären, daß,* wenn unsere Flotten unverwundbar find, fie keine Drobung über die Meere tragen, sondern die Da herzlichsten guten Willens, der sich gründet auf den Glauben an die Interessengemeinschaft zwischen den Nationen.

Frankreich,

Der „Eclair“ meldet über das französisch-spanische Abkommen, betreffend die marokkanische Polizei, daß in demselben die Autonomie Frankreihs und Spaniens an den Grenzen und an der Küste festgestellt wird. Jn jedem der 8 Häfen werden 3 verschiedene Polizeigruppen bestehen, im Hafen, in der Stadt und der Umgebung der Stadt. Der Oberbefehl über die beiden ersten werde einem und demselben Offizier, derjenige über die dritte einem anderen Offizier anvertraut werden. Für eine gemeinsame Unternehmung der Gruppen wird das Kommando dem im Range höheren oder älteren Offizier anvertraut werden. Jm Bedarfsfalle wird eine mit Schiffen ausgerüstete Seepolizei errihtet werden. Sollten die Ereignisse eine gemeinsame französish-spanische Fntervention in irgend einem Hafen erfordern, so würde diese entsprehend den Beschlüssen der im-Dezember in Tanger stattgehabten Konferenz durchgeführt werden.

Die Deputiertenkammer Rate gestern die Haager Konvention vom 21. Dezember 1904, die für Kriegszeiten die Hospitalschiffe von den staatlichen Abgaben befreit, denen Schiffe in den Häfen unterworfen werden, und verhandelte ferner über eine Interpellation zu dem Gesetz, be- treffend den wöchentlihen Ruhetag.

Nach dem Bericht des „W. T. B.“ wandte sich der Deputierte Georges Berry (Kons.) in seinen Ausführungen gegen die völlige Sonntagsruhe und führte Beschwerde darüber, daß die Arbeitersyndikate bedrückt würden, Der Redner wünschte, daß gestattet werde, daß am Sonntag die dienstfreien Arbeiter dur andre Arbeiter erseßt würden. Man möge in das Geseß das Prinzip der Verständigung zwischen den Arbeitgebern und den Angestellten einführen. Berry forderte als Ein- leitung für die verlangten Abänderungen Amnestie flir die Kaufleute und Handeltreibenden, die dem Geseße zuwtdergehandelt haben. Lafferre (Soztalistish-Radikaler) verlangte schärfere Handhabung des Gesehes, betr. den wöchentlichen Ruhetag, das er als unantastbar betrachtet.

Die Debatte wurde sodann unterbrohen, um dem Deputierten Beauregard (Fortschrittl. Republikaner) Ge- legenheit zu geben, den Ministerpräsidenten Clemenceau über den fürzlich verübten Mordanschlag auf den republikanishen Kammerkandidaten Pierre Leroy- Beaulieu und verschiedene andere Zwischenfälle zu befragen, die fih während des gegenwärtigen Wahlkampfes in Montpellier ereignet haben.

Der Ministerpräsident erklärte, über den beklagenswerten Ans {lag fei eine Untersuhung eröffnet worden. Die Regierung werde das Nôtige tun, um dle Freiheit der Wahl zu sichern. Beau - regard verfuhte zu sprechen, aber seine Stimme wurde ven der äußersten Linken ütertönt.

Darauf wurde die Sitzung aufgehoben.

Jn Dournemine (Departement Aveyron) is es gestern infolge der Weigerung des Pfarrers, die Schlüssel zum Pfarrhause auszuliefern, zu s{hweren Ruhestörungen ge- tfommen. Um das Geseß zu vollziehen, mußten Polizisten und Gendarmen requiriert werden, die nah der gesezmäßigen Auf- forderung das Haus, aus dem Manifestanten mit Steinen, Unrat und Schwefel warfen, stürmten. Jm ersten Stockwerke wurden 4 Priester, etwa 10 Frauen und der Beigeordnete des Maire angetroffen; sie wurden aus dem Hause ausgewiesen. Eine Untersuchung ist eingeleitet.

JFtalien.

Jn der gestrigen Sißung der Deputiertenkammer legte der Minister Tittoni die Handels- und Schiff- fahrtsverträge mit Serbien und Rumänien vor.

Spanien.

Die „Gaceta de Madrid“ veröffentliht einen Erlaß des Königs, durch den die Verfügung vom 27. August 1906 über die Eheschließung aufgehoben wird. Durch diese Verfügung war die Ziviltrauung auch dann für zulässig er- klärt worden, wenn keine Erklärungen, betreffend die Religion, seitens der Eheschließenden abgegeben wurden. Dieser Erlaß hatte heftigen Widerspruch seitens der Bischöfe hervorgerufen, die erklärten, sie müßten eine unter solhen Umständen ge- \hlossene Ehe als Konkubinat ansehen.

Der Fürst von Hohenzollern ist, „W. T. B.“ zu- folge, heute in Madrid eingetroffen und auf dem Bahnhof vom König Alfons, dem Jnfanten Don Carlos, dem deutschen Botschafter von Radowiß mit sämtlichen Herren der Botschaft, dem Zivil- und Militärgouverneur sowie dem Bürgezmeister von Madrid empfangen worden.

Türkei.

Der Ministerrat hat, wie das „W. T. B.“ meldet, sämtliche englischen Forderungen wegen der Zoll- reform als r für die dreiprozentige Zollerhöohung angenommen. Ein diesen Beshluß genehmigendes Jrade des Sultans is vorgestern erlassen worden.

Numänien.

Wie das „W. T. B.“ meldet, hat die Abgeordneten- kammer mit 82 gegen 7 Stimmen beschlossen, den Geseßz- entwurf, betreffend den höheren Unterricht, in Erwägung zu ziehen. Der Unterrichtsminister Disseco dankte der Kammer für die große Majorität, erklärte aber, daß er mit Nück- siht auf die ablehnende Haltung gewisser Universitäts- professoren, durch welche die Durchführung des Gesetzes er- \hwert werde und der erwartete Erfolg ausbleiben würde, die ante Reform auf einen Zeitpunkt verschieben werde, wo

ie Gemüter beruhigter seien, und daß er deshalb die Vor- lage zurüziehe. Serbien, ; Die Handelsverträge Serbiens mit Rußland

gestern unterzeichnet worden.

Bulgarien. Der gestern zu einer außerordentlichen Tagung zusammen- getretenen Sobranje ist der Vertrag mit der Banque de Paris et des Pays-Bas, betreffend den Abschluß einer

145 Millionen- Anleihe, vorgelegt worden.

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und der Schweiz sind, nach einer Meldung des „W. T. B.“

Schweden.

Die Regierung hat gestern im Reichstage cinen Gesehß-

entwurf vorgelegt über die Verlegung der Flottenstation

in Stockholm nach der Lidinginsel bei Stockholm. Die

R OEA wird, „W. T. B.“ zufolge, etwas über 38 Millionen Kronen kosten, von welher Summe jeßt 19 Millionen ge- fordert werden; 4 Millionen sollen der Re

Verfügung gestellt werden.

Amerika.

__ Das Unterhaus der kalifornischen geseßgebenden Körperschaft hat, der „Frankfurter Zeitung“ zufolge,

. gestern einen Gesehentwurf angenommen, nach dem Aus-

länder, die niht Bürger der Vereinigten Staaten werden, keinen Grundbesig erwerben dürfen. Die Spitze des Gesetzes richtet sih gegen die Japaner und Chinesen.

Nach einer Meldung des „Reutershen Bureaus“ ist Dr. Claudis Williman zum Präsidenten der Republik Uruguay gewählt worden. ach der gestern erfolgten Ueber- pre der Can legte Dr. Williman sein Programm

ar und versicherte dabei, er würde den olitishen Rechten, besonders den Wahlrechten Achtung verschaffen, Heer, Flotte, Justiz und Polizei reorganisierzn und si I Pei die Be- ziehungen zu den fremden Völkern inniger zu gestalten.

Asien.

Das persishe Parlament stimmte gestern, dem telegraphischen Bericht des „Reutershen Bureaus“ zufolge, dem Abkommen zu, nah dem - die Nationalbank der Re- gierung zwei Millionen Tomans, wovon zwei Fünftel in diesem Monat gezahlt werden sollen, leiht, um die Aus- gaben für den Heeressold, die N Gesandtschaften, den Kaiserlihen Hof und die Rücßzahlung der von Privatbanken geleisteten Vorschüsse zu bestreiten. Die Nationalbank wird alle Regierungseinkünfte gegen eine Provision von 1 Proz. naten. n laufender Rechnung wird die Nationalbank 9 Proz. für Debit- und 41/z Proz. für Kreditrechnungen belasten. 200 000 Tomans aus den Zoll- einnahmen am persischen Golf sollen jährlih an die National- bank gezahlt werden als Sicherheit für die Tilgung der Anleihe nebst Zinsen. Die Konzession der Nationalbank tritt jeßt in Kraft, soll aber Ron werden, wenn die ganze Summe niht gezahlt wird.

Auf Befehl des Kaisers von Rußland haben gestern die russishen Truppen Zizikar (Mandschurei), das seit 1900 beseßt war, geräumt. Der Abschied der Garnison von der hinesishen Bevölkerung, den Behörden und den chinesischen Truppen trug, einer Meldung der St, Petersburger Telegraphenagentur zufolge , einen friedlihen und herz- lihen Charakter. Der Dsiandsjun veranstaltete ein Festmahl, trank hierbei auf die Gesundheit des Kaisers von Rußland und drückte freundschaftlihe Wün che aus, wonah die Russen die Nationalhymne sangen. Der Kommandeur der russischen Garnison, Oberst Linda, sprach darauf die Ueberzeugung aus, daß die Chinesen ebenso genau den Verpflichtungen des Vertrages nahkommen würden, wie Nußland seinem Versprechen nahgekommen sei und die Provinz der cinesishen Regierung zurückgegeben habe.

Afrika.

_ Das neugebildete Ministerium von Transvaal seht ly nah einer Meldung des „W. T. B.“, folgendermaßen zusammen: Premierminister ist der General Louis Botha, Kolonialsekretär und interimistish Attorneygeneral wird Smuts, E M de Villiers übernimmt das Bergwerksministeriuum, Rissifk das des Ackerbaues und der öffentlichen Arbeiten. Die Minister werden am Montag ver- eidigt. Das Parlament tritt sodann sofort zusammen, nimmt die Wahl des Sprechers vor und vertagt ih sodann bis Mai

“oder Juni.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Schlußberichte über die gestrigen Sißungen des Nei ch s- tags und des Haujes der Abgeordneten befinden sih in der Ersten und Zweiten Beilage.

Jn der heutigen (8.) Sißung des Reichstags, an welcher der Staatssekretär des Jnnern Dr. Graf von Posadowsky- Wehner und der stellvertretende Direktor der Kolonial: abteilung des Auswärtigen Amts Dernburg teilnahmen, wurde zunächst von der Wahl und Konstituierung der Fach- kommissionen - Kenntnis gegeben und darauf die erste Lesung des Reichshaushaltsetats für 1907 fortgeseßt.

Abg. Dr. Schädler (Zentr.): Wir können dem Reichskanzler dankbar fein, daß er den alten Neichstag aufgelöst hat, denn es babea uns bisher gefehlt ein Großmeister, ein Oberscharfmacher und ein Oberzeremontenmeister. Der Abg. Fürst von Habßfeldt sagte gestern, die Parteipolitik habe im Reichstag in diesen Tagen einen viel zu breiten Raum eingenommen, man habe daran kein Interesse. Das mag ja sein für einen, der auf fo stolzen Höhen steht. Im Volke hat man ein sehr großes Interesse an der Stellung der Parteien über das, was sie wollen und sollen und was sie ausfüh:en. Der Abg. Winckler hat dem Reichstage au eine positive Aufgabe gestellt: die erste Session des neuen Reichstags solle nußbar gemacht werden besonders dadur, daß die neue Mehrheit auf geseßlihem Wege, wie er fi euphemistisch ausdrückte, für die Arbeitswilligen eintrete, Tatfächli ist das also so eine neue Auflage des Zuchthausgesezes. J denke, da werden die neuen Bundesgenossen da drüben, die um Payer und Schrader, hoch entzückt sein. Das ist eine der Unstimmigkeiten in dem Konzert, dessen Konzertmeister und Reichs- impresario der Fürst Bülow ist. Für den guten Ton im Hause sorgt der Abg. Semler. Er klagt darüber, ok das Zentrum. wenigstens geduldet habe, daß die bescheidenen Nationalliberalen \hlecht behandelt werden; und als ihm zugerufen wurde: „Beweise!“ man könnte ihn au daran erinnern, daß noch am 11. Dezember der Abg. Paasche das Zentrum eine befreundete Partei genannt hat da ging sein Beweis noch über Pythagoras: adrdç Zoa: Ih habs gesagt! Kein Gerichtsstand würde darauf eingehen. Es war wohl der Herrenmensch, für den es überhaupt keinen anderen Be- weis gibt als diesen; jedenfalls der beste Beweis der persönlichen Bescheidenheit oder des ganzen Hcchgefühls des Abg. Dr. Semler. Troßdem die nationallibe:ale Partci nach dem Telegramm des Kanzlers zu threm Geburtstage in _„lihter gewordener Gegenwart“ wandelt, hätte die Rede des Abz Semler als der Niederschlag der vorgestrigen Feststimmung erscheinen kônnen, wenn ih nit genau wüßte, daß er nicht dabei war; es war also wohl der Niedershlag der Stimmung, welche die Gröbershe Rede bet ihm erzeugt hat. Der L Semler weiß sehr gut, daß die Situation gar nicht dazu angetan ist, daß wir „mit gedämpfter Trommel Klayg“ marschieren. Ueber den gedämpften S nas des Abg. von Liebert, den wir çestern zu hören be- kamen, wird man fich ja in den nächsten fünf Jahren noch öfter zu unterhalten haben. Der Abg. Semler sagte, in seinem Manifest

stehe kein Wort von Kulturkampf, sonst hätte er flammende Worte

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dafür gefunden. Ja, um flammende Worte waren Sie nie verlegen. Gewiß haben Sie sch nicht hingeseßt und geschrieben: „Nun machen wir Kulturkampf“, sondern Sie haben es getan. Seinerzeit begann ‘der Kulturkampf mit dem Sturm auf das Klösterlein in Moabit und mit der Entlassung Mühlers; gesagt hat man es damals auch nit, sondern man hat es getan. Wir er- fahren jeßt dur die Presse, daß Anweisungen hinausgegangen \ind, um Ermittelungen zu pflegen, ob Krankenpflegentederlassungen, die {hon Jahrzehnte bestehen, staatlich genehmigt nd. Es ift au durchgesickert, daß von nun an eine freie Luft wehen werde. Hat nicht die nationalliberale ele den Wahlkampf damit angefangen, daß sie die erfundene Geschichte von der Bestehung des Papstes Leo XII1. mit den 500 000 4 brate? Der Abg. Semler e den Begriff Kulturkampf als die Jnanspruhnahme der Staats- hilfe gegen berechtigte und unberehtigte Ansprüche der katholischen Kirche. Also au gegen „unberechtigte“. Auch hier hätte man wohl, wenn man Beweise für die Erhebung „unberechtigter“ Ansprüche der Kirche verlangte, die Antwort erhalten: „Jh hab’s gesagt!" Man soll ch solhe Dinge denn doch registrieren, man braucht sie manchmal recht notwendig; die Registratur Gröbers hat Ihnen doch sicher nicht sehr behagt. Der Abg. Semler sprach auch von subalternen An- shauungen im Zusammenhang mit nationalen Forderungen. Welche Anschauungen sind subalterner, die des freien Mannes oder desjenigen, der treu und gehorsam einem Winke vom Negierungstische nachkommt? In der Kolonialpolitik fällt seine Auffassung mit derjenigen des Kolonial- irektors Dlerd b zusammen. Die ania e eines orientalischen Märchenerzählers (Zuruf des Abg. Semler) darüber haben Sie doch nit zu O dazu ist ja das Präsidium da. Wenn Sie ih aber zu olizetdiensten hergeben, ih habe nichts Mee In der Budget- ommission ist {hon im Frühjahr 1906 die Vorbereitung zur Heim- sendung von weiteren 4000 Mann aus Südwestafrika bis zum 31. März 1907 und zur Vireblehunt der Schußztruppe auf 2500 Mann ORNnL gefordert worden, allerdings unter dem Protest des Obersten Detimling; aber der Abg. Paasche z. B. war sehr dafür. Unser Antrag, bis zum 31. März neben der Heimsendung von weiteren 4000 Mann die Vorbereitungen dafür zu treffen, daß die Gesamt- stärke der Shußtruppen auf 2500 herabgemindert wird, hat seine Grundlage in den Erklärungen des Reichskanzlers, daß der Haupt- aufftand gebrochen sei. Das Ende des Aufstands war zugegeben. Unser Antrag ging auf die Zukunft. Das is das ganze Staats- verbrehen, das wir begangen haben. Wir haben nit verlangt es ift L, das immer und immer wieder zu sagen —, daß am 1. April die Schußtruppe 2500 Mann betragen soll, sondern wir haben nur Vorbereitungen gefordert, damit, wenn der Friede hergestellt werde, die Regierung nicht sagen könne, es fehle an den nötigen Vor- hereitungen, um die Truppen zurückzusenden. In diesem Gedanken ging das Zentrum eigentlih mit dem Kolontaldirektor Dernburg, der erklärt hat, er denke daran, d zu {hafen durch Miliz- truppen oder in anderer Form. Wenn das Zentrum auf seinen Antrag so großes Gewicht legte, so beruht dies darauf, daß ein derartiger Ersa niht von heute auf morgen, niht in kurzer Zeit geschaft werden kann, fondern daß längere Vorbereitungen erforderli sind. Es handelt \ich nicht bloß darum, das geeignete Unteroffiziers- ana in Deutschland zu bekommen, und zwar auf dem Wege des bs{lusses von Verträgen, sondern E das neugewonnene Personal in setne neuen Aufgaben einzuführen. Auf der andern Seite konnte man sich auch der Sorge niht entschlagen, für die zurückehrenden Truppen geeignete Beschäftigungen în Deutschland ausfindig machen qu müssen. Der Transport des neuen Personals und der Nücktransport der Schußtruppen nimmt nach den Dar- legungen der Kolontalverwaltung ret viel Zeit und Mübe in Anspruch.

ir sagten uns deshalb, wenn nit sofort mit den Ferber ungen begonnen wird, wird die von uns erstrebte Ersparnis wesentlich hinausgeshoben und verringert. Schon der Wortlaut des Antrags zeigte ebenso wie die von Dr. Spahn gegebene Sr daß wir bereit waren, jeden Mann und jeden Groschen zu bewilligen. Es wäre doch wirklich an dec Zeit, daß in den Reihen der Parteien sowohl wie niht fninder am Regierungstisch mit diesem ärchen endlih einmal Am: wird und daß man es einem Musenm für parlamentarishe Altertümer einverleibte. Der ganze U gang der Dinge hat uns recht gegeben. In den Tagen vor Weih- naten unterwarfen sich die Bondelzwarts, allerdings recht ungelegen für die Wahblparole. Ob nicht die Schwarzen in Berlin bei den [Oa Bondelzwarts deren Unterwerfung angezettelt haben? Cin eigentümlihes Gefühl ist es, daß der Pater alinowski, der hauptsächlih dazu beigetragen hat, daß die Bondelzwarts b unter- worfen haben, wenn er aufgerieben von den Arbeiten dort nah Deuts- land zurückehrt, um im Kreise seiner Ordensgenossen Ruhe zu finden, diese hier in Deutshland niht finden kann. Gegen uns i} der {were Vorwurf erhoben, als ob wir uns einen Eingriff in die Ver- fassung gestattet hätten. Wir halten die Verfaffung hoh, denn wir s\ind eine Verfassungspartei, ein Hort zum Schuße des Rechts und der christlihen Ordnung. Nicht wir, sondern die Volks- Prog hat das fkaudinische Joh aufgerichtet, indem sie durch thr

rogramm von 1895 die Mitwirkung des Reichstags bei der Er- lärung von Krieg und Frieden verlangte. Unserer Partei gehörte auch der Abgeordnete an, der zuerst die Wieder- aufrihtung des deutshen Kaisertums verlangte. Im Deutschen Reich i durch das Gesey über die Friedenspräsenzstärke die Truppenmahht festgelegt. Nah dem Umfange dieses unter setner Mitwirkung geschaffenen Gesetzes i der Tae Reichstag vers pflichtet, die nötigen Mittel zu bewilligen, aber es besteht kein Geseß und fkeine geseßlihe Verpflihtung für den Reichstag, Gelder für die Unterhaltung einer bestimmten Truppenzabl in den Schußgebieten zu bewilligen. Es untersteht der freiwilligen Mitent- scheidung des Reichstags, wieviel Gelder zu diesem Zwede bereit estellt werden sollen. Dieser unserer Auffassung entspricht au die isherige Praxis des Reichstags. Ich erinnere nur an die Aktlehnung der weißen Kompagnie für Ostafrika und die Ausgaben für die oft- asiatishe Expediticn. Wenn das Zentrum antinational gehandelt hat, so tat es bei diesen Gelegenheiten der ganze Reichstag und auch der holmögende Bundesrat unter Führung des Fürsten Bülow. (Schluß des Blattes.)

Das Haus der Abgeordneten seßte in der heutigen (24.) Sigßung, welcher der Minister für Handel und Gewerbe Delbrück beiwohnte, die zweite Beratung des Staats- haushaltsetats für das Rechnungsjahr 1907 im Etat der Handels- und Gewerbeverwaltung fort.

Bei dem Dispositionsfonds zu Aufwendungen ut I örderung des gewerblihen Unterrichts und für sonstige gewerblihe Einrichtungen, Vereine usw.

Abg. Hoheisel (Zentr ) für die Förderung des Kleinhandwerker- und -gewerbestandes in dem Sinne aus, daß das Publikum seinen Bedarf mehr bei diesem decke. Die Hauptsahe sei eine gute tehnische Ausbildung tes Handwerkerstandes durch Fortbildungs- {ulen. Wenn die Fortbildungsshule eine Fortsetzung der Volks- \chule sein solle, müsse man auch auf die sittliche Erziehung der Jugend Wert legen. Der Abg. Münsterberg habe neulich ein er- shreckendes Bild von der Unsittlichkeit der Jugend entworfen, deshalb müsse auch dem religiösen Bedürfnisse in der Fortbildungsschule Rechnung getragen und der Charakter der Jugend dur den Rellaionpunterricht gefestigt werden, Die Unterstüßung der Jugend- vereine set eine wichtige staatlihe Aufgabe in dem Kampfe gegen die Sozialdemokratie. Durch diese Vereine werde die Jugend vor allen Abwegen bewahrt. Die jungen Mädhen müßten in Haushaltungs- shulen auf den Beruf der Hausfrau vorbereitet werden, damit nicht aus Mangel an der erforderlihen Erziehung traurige Familien- verhältnisse entständen, die den Mann ins Wirtshaus trieben. Ein E Familienleben sei die Vorausseßung für ein geordnetes

aatôwesen.

Abg. Dr. von Boettinger (nl.) wünsht größere Zuwendungen aus diesem Fonds für Rheinland und Westfalen.

“spricht sich

_Der Fonds zur Förderung der nicht gewerbs- mäßigen Arbeitsvermittlung und Rechtsberatung für die minderbemittelten Bevölkerungskreise ist, wie im vorigen Jahre, mit 40 000 4 ausgestattet.

Abg. von Arnim-Züsedom (kons.): Dieser Fonds ist seiner Zeit besonders mit Rücksiht darauf geshaffen worden, daß für die Arbeiterkreise die Rehtsberatung über die sozialpolitishe Gesehgebung von hervorragender Bedeutung sei. Jch bedaure, taß in diesem Etat der Fonds nicht erhöht worden is, Bei den lezten Reichs- tagswahlen ift die pes der Stimmen der überzeugungstreuen Sozialdemokraten auf 3} Millionen gestiegen, im Gegensatz zu vielen anderen betrahte ih danach die fozialdemokratische Gefahr nicht für überwunden, fondern halte es für die Pflicht niht nur der Regierung, sondern aller \staatserhaltenden Parteien, diese Gefahr weiter zu bekämpfen. Ein Geseß zum Schuß der Arbeitswilligen hat leider im Reichstage keine Aussicht. Jm vorigen Jahre habe ich \{härfere Maßregeln gegen die Sozial- demokratie gewünscht, und ih gestehe offen, daß ih eventuell zu Ausnahmemaßregeln bereit bin. Aber die Erfüllung dieses Wunsches ist nicht zu erwarten. Deshalb müssen alle nationalen Kreise alle vorhandenen V-ittel auf dem Gebiete der Kleinarbeit gebrauchen, um die Sozialdemokratie zu bekämpfen, und eins von diesen Miiteln ist auch die Rechtsberatung. Es gab 1905 233 Rechts- beratungsstellen, darunter 63 fozialdemokratishe. Wir müssen die nichtsoztaldemokratishen unterstüßen. Von den Ratsuchenden waren N 9/0 Tagelöhner, 274 9/6 kleine Handwerker und kleine Gewerbe- treibende. Gerade für diese Ae hat die Nehtsberatung außerordent- lich segensreich gewirkt. Nun hat ih herausgestellt, daß die privaten Rechtsberatungsstellen von Vereinen mehr benußt worden sind als die kommunalen; es scheint also, als ob die Bevölkerung mehr Ver- trauen zu den privaten Stellen hat. Bet der Einrichtung dieses Etatsfonds war in Aussicht genommen, thn niht aus\{ließlich den kommunalen Rechtsberatungsstellen, sondern auch den priyaten zu überweisen, und ich möchte dem Minister empfehlen, au die privaten Stellen zu berücksihtigen. Der § 153 der Gewerbeordnung, von dessen Anwendung der Abg. Trimborn sprach, ist nur eine {wache Waffe. Der Abg. Trimborn hat bei dieser Gelegenbeit den Reichsverband zur Ag der Sozialdemokratie als eine {chwache Nachahmung des fkatholishen Volksvereins bezeihnet. Das ist unrichtig. Der katholishe Volksverein hat ledigli kirhliche Zwecke, der Reichs- verband ist dagegen ein politisher Verband. Er ist au nit eine Nachbildung des katholishen Volksyereins, sondern aus eigener Kraft entstanden. Ich kann dies behaupten, weil ich von Anfang an mich an der Begründung des Verbands beteiligt und fast in allen Versammlungen mitgewirkt habe. Daß er alto eine schwache Nach- bildung sei, kann ich nicht auf dem Verband sigen lassen. Er hat durch bie Tätigkeit bei den leßten Wahlen zur Evidenz im ganzen deutshen Vaterlande bewtesen, daß er ein sehr d und sehr tätiges Glied der bürgerlichen Gefellshaft zur Bekämpfung der Soztal- demokratie ist, Kaum irgend eine andere große Vereinigung hat mit fo vielen Mitteln und so viel nahdrückliher Wirkung die Sozial- demokratie bekämpft wie der Reichsverbannd. Das if mir aus allen Teilen des Landes bescheinigt worden. Der Ver- band hat auch die Kleinarbeit und darunter die kostenfreie Rechts- beratung für die Arbeiter und kleinen Handwerker in Angriff ge- nommen. Jch bitte demnach den Minister, den tatsählichen Ver- hältnissen RNehnung zu tragen und vom nächsten Etat ab den Fonds zu erhöhen und daraus nit nur den kommunalen, sondern auch den privaten Rechtsberatungsftellen Zuwendungen zu machen.

e nimmt der Minister für Handel und Gewerbe Delbrück das Wort. (Schluß des Blattes.)

Dem Reichstage is gestern der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Kontrolle des Reichshaushalts, des Landeshaushalts von Elsaß-Lothringen und des Oas der Shußgebiete für das Feine ciahr

906, zugegangen. Der Entwurf schließt sich in seiner gaf un dem Geseßze vom 5. Februar 1906 (Neichsgeseßbl. S. 193) und den Piltren gleichartigen Geseßen vollkommen an.

Statistik und Volkswirtschast.

Zur Arbeiterbewegung.

Infolge des Beschlusses der Arbeitgeber in der Berliner Cn Ler ot, heute abend thre Betriebe zu \chließen, ist es, wie die , Voss. Ztg.“ meldet, schon jeßt zu Arbeitsniederlegungen in größerem Umfange gekommen. In mehr als 40 Betrieben, darunter die bedeutendsten, u. a. Hermann fmann in der Friedrichstraße, der 250 Maßschneider beschäftigt, ruht nach Auskunft im Bureau der Ausständigen die Arbeit fast vollständig. 1000 ausftändige Maßschneider.

Aus Düsseldorf wird der „Köln. Ztg“ berichtet, daß im Gärtnergewerbe eine Lohnbewegung entstanden ist, die nah dem jeßigen Stande der Verhandlungen zu Tarifverträgen in diesem Gewerbe führen dürfte. Am Niederrhein und im Industrie- bezirk haben die Gärtnergehilfen und Gartenarbeiter einen Lohn- und Arbeitstarif ausgearbeitet und den Arbeitgebern vorge- legt. Sie fordern den zehnstündigen Arbeitstag in der gesamten Gärtnerei; in der Landschaftsgärtnerei als Mindestlohn 42 4 die Stunde, für Gehilfen, die noch nicht ein Jahr tätig sind, 38 4; in der gemishten Gärtnerei einen Mindestwohenlohn von 22 4, in der Handelsgärtneret von 21 4; Ueberstunden sollen mtt 50 H bezahlt werden. Die Arbeitgeber waren ersucht worden, bis zum 1. März Antwort auf die Forderungen dieses Tarifs zu geben. In Duisburg haben die selbst-

ändigen Gärtner in einer Berfammliung diesen Tarif als ganz unannehm- bar erklärt; es seien aber Verhandlungen tim Gange, den Tarifentrourf abzuändern. Diesen Schwierigkeiten könnten die Arbeitgeber nur dur Zusfammenschluß in Ortsverbände und den Zusammenschluß dieser in rößere Verbände begegnen. Jn einer Versammlung der Gruppe Pitberrhäin des Verbandes der Handelsgärtner Deutschlands in Ober - hausen war man der Ansiht, daß der Tarifabshluß im Gärtner- gewerbe nit länger zu verwerfen sei, dagegen set der Tarif, den die Gärtnergehilfen jeßt vorgelegt hätten, niht annehmbar. Die Ver- sammlung beschloß, einen neuen Tarif auszuarbeiten; mit dieser Arbeit wurde die Ortsgruppe Essen beauftragt. In der, Hauptsache sollen dem Tarife, der später den einzelnen örtlihen Verhältnissen an- on werden foll, folgende apnertnale zu Grunde gelegt werden : rbeitszeit in den Monaten Mai bis November 11 Stunden, in der übrigen Zeit neun Stunden, Stundenlohn für Landschaftsgärtner 42 S, für E 395 S, Bezahlung der Ueberstunden nah den Säßen für die normale Arbeitszeit. /

In Aachen haben, nah demselben Blatte, die Arbeitgeber des Maler- und Anstreihergewerbes beschlossen, am 2. März alle organisierten Gehilfen zu entlassen. Die im Laufe des Februar mit den Vertretern der Gehilfen gepflogenen Tarifverhandlungen find er-

ebnislos verlaufen, da die meisten Arbeitgeber diè Festseyung eines

indestlohnes ablehnten und für gelernte Gehilfen nur einen Normal- lohn von 45 „&§ bewilligen wollen. Die Forderung der Gehilfen ging auf 50 Z Mindestlohn und neunetnhalbstündige Arbeitszeit.

Seitens der Hamburg-Amerika-Lintie und der Schhiffs- makler- und Neederfirma Eugöòne Celliter ist, wie ,W. T. B.“ meldet, den Schauerleuten, die auf den Schiffen dieser beiden Reedereten beschäftigt waren, am Donnerstag der Bescheid zugegangen, daß Nachts gearbettet werden müßte. Die Schauerleute lehnten das mit dem Bemerken ab, daß sie nur bis 10 Uhr arbeiten würden. Darauf wurde Abends, wie in der leßten Zeit üblich, bereits um 6 Uhr Feierabend geboten. Gine Entscheidung in den zwischen dem Hafenbetriebsverein und den Schauerleuten s{chwebenden Zwistigkeiten dürften aber die nächsten Tage bringen. Die Reeder haben die Kommission der

Gemeldet waren etwa

S chauerleute aufgefordert, \fich bis heute in der Frage der N und Sonntagsarbeit zu entsheiden. Die Reeder verlangen, daß wenn die Abfertigung der Schiffe es erfordert, Nahts und Sonn- tags gearbeitet . wird. Sollten die Schauerleute ablehnen, so will der Hafenbetriebsverein bereits am Montag nächster Woche andere Maßregeln treffen, Vorauésichtlich werden die Schauerleute am heutigen Sonnabend die Frage noch einmal in einer Versammlung beraten. l

In der Landschaft Vercelli, Provinz Novara, dem Mittelpunkt der italienishen Reiekultur, ist, wie die „Köln. Ztg." meldet, der allgemeine Ausstand ausgebrochen, dem sih in vielen Orten au die Industriearbetiter anschlossen. Scharen erregter Ausständiger durchziehen mit Fahnen die Landschaft und nötigen überall die Arbet- tenden zum Anschluß. Karabinieri zerstreuten die Züge wiederholt und

nahmen viele Verhaftungen vor.

Kunst und Wissenschaft.

Dem Ksöniglihen Museum für Völkerkunde zu Berlin ist vor kurzem von einem ungenannten Gönner eine Sammlung peruanischher Altertümer gestiftet worden, die Herr Greter in Hannover während seines langjährigen Aufenthalts in Peru zusammen- ebraht hat. Der außerordentlihe Umfang der Sammlung, die mit een bisher noch unübersehbaren Schäßen eine große Bereicherung des Museums darstellt, maht es bei den an si {on beschränkten Raumbverhältnissen nötig, für einige Zeit die Säle V, VI und VIL im ersten Stock des Museums, die für die amerikanishe Sammlung bestimmt sind, ganz_ oder teilweise abzusperren, um eine vorläufige Unterbringung und: Ordnung der Gegenstände zu ermöglichen.

Zur Erlangung von Entwürfen für ein König Georg- Denkmal in Dresden is ein Wettbewerb ausgeschrieben unter Künstlern, die entweder in Sachsen ihren dauernden Ars haben oder außerhalb Sachsens wohnhaft, aber in Sachsen # oren sind. Wur Gewährung von Preisen stehen 8000 Æ zur Verfügung. Die

ntwürfe sind vom 1. bis 15. September d. I. abzuliefern, die für die Preisbewerbung festgeseßten Bedingungen im Ständishen Archi- variate in Dresden, Landhaus, Landhausstraße 16, zu erhaltea.

Theater und Musik.

Neues Schauspielhaus.

Im Neuen Schauspielhaus wurde gestern der erste Teil von Goethes „Faust* gegeben, in dem Josef Kainz sein Gastspiel als Mephisto, den er in Berlin zum ersten Male spielte, fortsette. Zunächst einige Worte über die anderen Darsteller: Sie boten mit wenigen Ausnahmen annehmbare Leistungen, keine aber war so in sich geschlossen, daß man nicht dieses oder jenes auszuseßen gehabt hätte. Anton Zimmerer, der den Faust spielte, zerpflückte durch zu realistishes Spiel die Monologe des ersten Aktes; das ist jeßt leider Mode geworden mit dem Teil der gedankentiefen Worte, der dieser Sptielmanier leicht- berzig geopfert wird, geht aber notwendig auch ein Teil der Wirkung verloren. Vom Zaubertrank der Hexe hatte dieser Faust dann zuviel bekommen; wir sind mit Recht gewohnt, auch den ver- jüngten als Mann zu sehen; Herr Zimmerer war in einen bartlosen Jüngling verwandelt worden. Das Gretchen gab Charlotte Maren recht anmutig, mehr frisch als sentimental, aber noch etwas unsicher- tastend. Grete Carlsen verfiel in den Fehler, das Komische in der Ge- stalt der Martha noch zu unterstreihen, dadur bekam diese einen pon aen Zug; eine Possenfigur gehört aber niht in den „Faust“.

toch weniger einwandfret war die Darstellung Wagners durch Arthur

Netbach; er Mg a einen beschränkten Durhshnittssholaren und hien nicht zu ahnen, daß er den am genialsten gezeihneten aller Bildungsphilister nahzubilden hatte. Alles in allem aber bielt ih das Ensemble auf einem annehmbaren Durchschnitt, und die naa1- haft gemahten Mängel hätten sich wohl viel weniger bemerkbar ge- macht, wenn der Mephisto des Josef Kainz seine Partner nicht so sehr überragt hätte. Nach dem Mißerfolg, den der manierierte Tasso des Künstlers neulich bedeutete, gewährte es eine doppelte Genugtuung, sein großes Talent in einer ihm besonders zu- fagenden Rolle \fich eigenartig und doch in den von dem Ditter geftedckten Grenzen kraftvoll betätigen zu sehen. Das äußere Spiel und die geistige Durhdringung der Rolle standen harmonisch auf leiher Höhe. Kein Ton, keine Geste war unwahr; wer die Beweglich- feit des Kainzshen Spiels und den Reihtum seiner Sprache kennt, wird ermessen, wteviel das bedeutet. Und doh [e nicht um die hervorragende Leistung des Künstlers irgend, herabzuseßen, sondern um der Wahrhaftigkeit der Kritik willen hervorgehoben, daß in seiner reihen und feinsinnigen Charakterisierung des Mephisto der unheim- lihe Zug auf Kosten des faunish-sarkastishen zu kurz zu kommen scheint. Man empfindet es dem ,ahnungsvollen Engel“ Grethen völlig nach, weshalb sie mit diesem Mephisto nicht leben möchte: „Kommt er einmal zur Tür berein, Sieht er immer N) spôttish drein, Und halb ergrimmt; Man sieht, daß er an nichts keinen Anteil nimmt; Es steht ihm an der Stirn geschrieben, daß er nicht mag eine Seele lieben.“ Dem naiven Gretchen mag es au zukommen, vor dem Kainz-Mephisto ein „heimlich Grauen“ zu empfinden. Der weniger naive Zuschauer aber hat an dem hämischen Sarkasmus dieses Mephisto einen so reinen ästhetishen Genuß, daß er ein stärkeres Betonen des Dämonish-Unheimlichen gern in den Kauf nähme.

Theater des Westens.

Das in der vergangenen Spielzeit im Berliner Theater so er- folgreih begonnene Gesamtgastspiel des Neuen Operetten= theaters aus Hamburg findet nunmehr seine Fortsezung im Theater des Westens. Lehárs Operette „Die lustige Witwe“ hat eine so starke Anziehungskraft auf das Berliner Publikum ausgeübt, daß die Hamburger Gesellschaft sie auch dies- mal, und zwar in völlig neuer Ausstattung, auf den Spielplan geseßt hat. Die gestrige Erstaufführung des also verjüngten Werks fand im Charlottenburger Opernhause vor fo zahlreiher Zuhörerschaft statt, wie man sie dort lange nicht mebr gesehen hat, und der Beifall war so stark, als gelte es, einer Neuheit zum Erfolge zu verhelfen. In der Tat besißt Lehárs Operette geg:n- über den meisten sehr minderwertigen Erzeugnissen der Neuwicner Schule viele Vorzüge, und zwar neben einer einigermaßen verständigen und verständlihen, humorvollen Handlung eine anmutige, an melodishen Einfällen niht arme Musik, die sih nit ledigli im Dreivterteltakt bewegt. Die Besetzung der einzelnen Rollen war die - gleiche wie im vorigen Jahre. In der Titelrolle zeichnete sich Marie VDttmann dur die Eleganz ihrer Erscheinung, guten Gesang und temperamentvollen Tanz aus. Jhr Partner war wiederum der ges wandte und liebenswürdige Gustav Matzner. Auch Vilma Conti und die Herren Deutsch, Kußner, Walters u. a. bewährten sich wieder auf

dem alten Plage. Neues Theater.

Gestern abend erzielte Suzanne Despròs durch thr warms- herziges Spiel in der Titelrolle des Schauspiels „Rosine“ von Al fred Capus eine starke Wirkung. Das Werk beschäftigt \ich mit dem Schicksal jener armen Mädchen, die in ihrer ersten Liebe Schiffbruh leiden. Des Verfassers Art, die Lagen zut schildern, die sich aus diesem Grundmotiv ergeben, wirkt ziemlih nühtern; zwar weiß er mit \{charfer Beobahtungsgabe einzelne Auftritte klug zu gestalten; dann aber greift er wieder zu derb zu und gibt aibérinsetis dem Verlangen nah, die Geschehnifie nit nah realen, fondern nah idealen Gesezen zu regeln. So erschcint die Schilderung der Widerwärtigkeiten, die ih der armen Nofine auf threr Suche nach ehrlicher Arbeit in den Weg stellen, stark einscitig gefärbt; aber dadurch wird die Bahn für den idealen SÖSluf ge- ebnet. Als das arme Mädchen ihre müde Seele ins Verdrrhen treiben lassen will, rettet fie ibr guter Engel; ein junger vorurteils« loser Arzt, der Sohn eines ebenso vorurteilslosen Vaters. enttührt Rosine als sein Weib nah Paris. Rosine ift freilih, um dir? aufer»