1907 / 58 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 05 Mar 1907 18:00:01 GMT) scan diff

Ferner e:flärt der Abg. Erzberger: Was mir an amtlichem Material bekannt geworden ift, teht in Zusammenhang mit den vielen erfolglosen Eingaben an das Staatssekretariat des Aus- wärtigen Amts, an den Reichskanzler und an das Zivilkabinett. Erst als von keiner dieser Behörden gegen die {weren Mißstände vorgegangen worden ist, habe ih den Kampf im Parlament er- öffnet, und auch da erst, nachdem ich mit dem Chef der Neichs- kanzlei und einer meiner politischen Freunde mit dem Kolonial- direktor a. D. Erbprinzen Hohenlohe vergebens über eine Beseitigung der Mißstände auf andere Weise verhandelt hatte. : i i

Meine Herren, nah diesem Vorgang und da ih bis dahin mit dem Herrn Erzberger nur die eine Unterhaltung über den Fall Poeplau

ehabt hatte, mußte mich diese Notiz im höchsten Maße überraschen. ch zweifelte, ob ich schon damals wegen des Vorwurfs, der hier gegen mich ausgesprohen war, verpflihtet wäre, eine offentlihe Richtigstellung vorzunehmen. Jh habe einen anderen Weg gewählt, ih habe Herrn Erzberger gebeten, zu mir zu kommen, und er ist am 19. November 1906 bei mir gewesen. Jch habe ihn gefragt, wie er in dieser Preßerklärung den Vorwurf, er habe ver- ebens mit dem Chef der Reichskanzlei über die Beseitigung der olonialen Mißstände auf andere Weile verhandelt, aufrechterhalten könnte. Herr Erzberger bestätigte mir, daß er nur einmal mit mir über den Fall Poeplau gesprohen habe, daß er mir damals diesen Vorschlag im Auftrage von Poeplau gemacht hätte, daß ih den zu- rückgewiesen habe und daß er selbst diefe Zurückweisung für be- ründet erachtet hätte; er gab mir zu, daß ein Vorwurf in diefer Form gegen mih nicht gerech!tfertigt wäre, und er versprah mir auch, gelegentlich im Reichstaze die Sache einmal wieder klarzu- llen. / d Meine Herren, ich habe mich damit beruhigt und habe die An- gelegenheit für erl-digt angesehen. Sie werden mir zugeben, daß das äußerst entgegenkommend und loyal gewesen ist. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen und rechts.) Denn troßdem ih öffentlich an- gegriffen war, habe ich nicht die öôffentlihe Rechtfertigung vorge- nommen, sondern mi begnügt, den Beteiligten zu mir zu bitten und mir von ihm die Nichtigkeit meiner Auffassung bestätigen zu lassen. Nach diesem Vorgange konnte ih nicht erwarten und mußte aller- dings im höchsten Grade überrascht sein, als ich bei Gelegenheit der Verhandlung des Strafprozesses Poeplau in den Zeitungen olgende Mitteilung las über die Aussage des Herrn Abgeordneten Erzberger in diesem Prozeß. Gs heißt nah diesen Zeitungsnachrihten, die nicht widerrufen find und die auch bisher vom Herrn Abg. Erzberger nicht berichtigt sind, folgendermaßen über den Punkt, auf den es hier ankommt:

Ich habe es nicht begreifen können,

sagt der Zeuge Erzberger aus - | wie es möôglich war, daß ein Beamter, der so s{chwerwiegende Beschwerden und Anzeigen erstattete, Jahr für Jahr ohne jeden Bescheid gelassen wurde. Um diesen riesengroßen Miß- ständen ein Ende zu bereiten, wendete ich mich zuerst an die Reichskanzlei; der Reichskanzler befand \sich gerade in Homburg. Ich seßte mih deshalb mit dem Chef der Reichskanzlet, Herrn von Loebell, in Verbindung. Die Verhandlungen zershlugen ih jedo infolge des ablehnenden Verhaltens dieses Herrn. (Hört, hört! bei den Nationalliberalen.)

Und weiter: :

Ich habe erst den friedlihen Weg beschritten und habe mich mit dem Chef der Reichskan;lei in Verbindung geseßt und später mit dem Erbprinzen von Hohenlohe. An beiden Stellen wurde mir eine Ablehnung zuteil. Nunmehr befaßte ich mich mit der weiteren Ausbreitung dieser Angelegenheit erst in meiner Eigenschaft als Neichstagsabgeordneter.

Meine Herren, Sie werden mir zugeben, daß eine derartige Dar- stellung, wie sie hier nach den Zeitungsberihten von Herrn Erzberger gegeben war und die so in Widerspru stand mit dem, was wir miteinander verhandelt hatten, mir die

“i vet auflegte, nunmehr zur Wahrung meiner angegriffenen |

hre mit dem einzigen Mittel herauszurücken, was ih hatte, nämli mit der Veröffentlihung jener damaligen Aktennotiz, die die Verhandlung mit Herrn Erzberger darstellte. (Sehr richtig! bet den Nationalliberalen.) Meine Herren, ih halte diese Aktennotiz im vollsten Umfange aufrecht (Zuruf des Herrn Abg. Erzberger: Ih bestreite fie !), und ih weise den unerhörten Vorwurf, den Sie bier am Sonnabend erhoben haben und, wie ih sehe, zu meinem Be- dauern au heute wiederholen, mit der allergrößten Entschiedenheit zurück. (Bravo ! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Der Herr Abg. Erzberger hat in den Berichtigungen, die er auf die Publikation folgen ließ, nur in zwei Punkten die Glaubwürdigkeit dieser Registraturnotiz anzweifeln zu sollen geglaubt. Er schrieb :

Es ist unrichtig, daß ih în der Unterredung vom 26, Sep- tember 1905 - niht 1906, wie Sie s{hreiben ge- sagt habe, daß das Zentrum überhaupt nit mehr geneigt sein würde, koloniale Forderungen zu bewilligen. Das habe ih nicht gesagt und konnte ih nit sagen, da ich mit feinem Zentrums8abgeordneten über diefe Angelegenheit zuvor ge- \prochen habe.

Ae Herren, der Herr Abg. Erzberger hatte mir damals gesagt:

das Aktenmaterial sei so kompromittierend, daß, wenn es ver- öffentliht würde, die Zentrumsfraktion niht in der Lage sei, kolonitale Forderungen zu bewilligen.

(Hört, hört! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Er hatte selbstverständlih mir dies niht mitgeteilt als einen Be- {luß seiner Fraktion so habe ih es auch nit aufgefaßt, davon steht kein Wort in der Registratur —, er hat es mir mitgeteilt als seine Auffassung und Ansiht von der Sache. Auch diese Grfklärung in der Registratur halte ih vollkommen aufrecht. Dann reibt er

ferner:

Es ift falsch, daß ich gesagt habe, Poeplau fokle sein Material veröffentlihen. Ih erklärte vielmehr, daß dieses Material öôffentlih im Reichstage besprohen werden müßte, wenn nicht sofort eine Untersuhung der Mißstände stattfinde.

Meine Herren, selbs wenn diese Auffafsung des Herrn Erzberger

rihtig wäre, so wird damit die Unrichtigkeit der Registraturnotiz |

meines Erachtens in feiner Weise nahgewiesen. Eine Veröffent- lichung des Materials lag selbstverständlih auch darin, wenn es öffentlih hier im Reichstage zur Sprache gebracht wurde. Ob die Veröffentlihung in der Presse oder in Versammlungen oder im Reichs-

tage erfolgt, spielt gar keine Rolle. Der Ausdruck Beröffentlihung |

trifft felbstverständlich auch zu für den Fall, wenn der Herr Abg. Lat TeA auch nur die Veröffentlihung im Reichstage im Auge ge- abt hatte.

Im übrigen aber, meine Herren, und das ist der springende Punkt,

hat der Herr Abg. Erzberger in keiner seiner Zeitungserkläi ungen, die | infolge jener Veröffentlihung in der „Norddeutschen Allgemeinen“ |

erfolgt sind, nämlih in den Giklärungen vom 20. und 23. Februar d. I.

die Nichtigkeit der allein entscheidenden Tatsache bestritten, die tn der ! Registratur enthalten ist, nämlich daß er mir mitgeteilt hat, | Herr Poeplau sei bereit, das Material, das er hinter si habe, her- |

auszugeben, wenn die Untersuchung gegen thn eingestellt würde. Das ist der springende Punkt (Zuruf des Abgeordneten Erzberger) und aus diesem seinem Voischlag glaubt er nun die Berechtigung zu haben, mir den

Vorrourf machen zu können, ich hätte es abgelehnt, an der | Beseitigung kolonialer Mißstände mitzuwirken. | Mattne Herren, er hat das getan tro der Aussprache, die wir am |

9. November 1906 gehabt hatten. Gr hat feinen Vorwurf aufrecht |

erhalten, er hat ihn hier im Reichstag wiederholt. (Zuruf des Abg. Das tue ih noch einmal } Ich nehme an, Herr Erz-

Gbagt f E ae bereit sind, jetzt zu estreiten, daß unsere Unter- “O wesen ist, wie ih es eben dargelegt habe. (Zuruf des redit.) Lee der: Ah besireite es! Unruhe links und Ge e bestreiten es auch jeßt noch? Dann kann ih nen nur elnen Zeugen vorhalten, den au Sie wohl als klajsischen anertennen werden, das i nämlich der Herr Abg. Erzberger selbst.

Herr Erzberger hat am 10. Juli 1906 auf Vorlesung genehmigt, unter- schrieben und beeidigt :

Die Hauptsache bei den ersten Besuchen des Poeplau war, daß er mi bat, zum Chef der Neichskanzlei, Herrn von Loebell, zu gehen, um zu versuchen, ob die ihn betreffende Angelegenheit niht auf andere Weise als durch ein Dieziplinarverfahren beendtgt werden fônne. Jch bin auh bei Herrn voa Loebell gewesen, obwohl ih mir, wie ich auch Herrn von Loebell sagte, der Aussichts- losigkeit dieses Schrittes bewußt war. (Hört, hört!) Dem- entsprechend ift dann die Sache au verlaufen.

(Zurufe: Aha! und Hört, hört! bei den Liberalen.) |

Meine Herren, ih finde hier zwar nicht so ausführlih wie in meiner Aktennotiz, aber sahlich eine vollständige Uébereinstimmung mit meiner Darstellung. (Sehr richtig!) Ich finde allerdings keine Uebereinstimmung dieser Aussage mit der Ausfage vom 16. Februar 1907, die ih vorhin verlesen habe, wie fie nah den Zeitungsberichten von Ihnen gemacht worden ift. E

Meine Herren, ih habe mih bemüht, rein sahlich dasjenige vor- zutragen, was mir über die Angelegenbeit bekannt ist, und ih kann Ihnen, meine Herren, jeßt, nachdem Sie mich gehört haben, ruhig das Urteil überlassen. (Sehr rihtig!)) Es wird nun darauf an- kommen, wem Sie in diefer Sache mehr glauben wollen, der afkten- mäßigen Notiz vom 26. September 1905, mir und dem beeidigten Herrn Abg. Grzberger vom 10. Juli 1906 oder dem unbeeidigten Herrn Abg. Erzberger vom 16. Februar 1907 und vom 2. März 1907. (Lebhafter Beifall links und rechts.)

Abg. Behrens (christl.-soz) hofft, daß eine gesunde Sozial- politik auch in Zukunft weiter verfolgt werde. Der eigentlihe Kern- punkt der sozialen Frage fei die Arbeiterfrage. Die chrisilih-nationale Arbeiterschaft bringe der Regierung und dem Reichôtage troß früherer ungünstiger Erfahrungen Vertrauen entgegen. Die Koalitionsfreiheit ist das, was die Arbeiter in erster Linie verlangen müssen. Die Arbeiter erwarten, daß man auch ihnen mehr Vertrauen entgegen- bringt. Der beste Schuß gegen sozialdemokratishen Terrorismus ift, daß die Arbeiter sh îin Organisationen zusammenschließen. Der Terrorismus der Sozialdemokraten zeigt sich auch darin, daß der Laden unseres Kollegen von Sozialdemokraten gestürmt worden ist. Terrorismus8 wird aber auch von Arbeitgebern gegen Arbeiter geübt, er wirkt um so härter, je mehr die Arbeiter in länd- lichen Kreisen ansässiz sind. Der Arbeiter, der wegen der Teils« nahme an einer Organisation sein Brot verliert, muß auch noch sein bißchen ländlichen Besiß aufgeben und wird so aufs äußerste geschädigt. Der Reichskanzler hat uns ein freiheitlihes Vereins- und Versammlungsgesez versprohen. Die Arbeiterschaft wünscht es dringend, Auch das Gesetz, betreffend die Rehtsfähigkeit der Berufs- vereine, wird von ihnen gefordert, aber in verbesserter Form. Arbeit» geber und Arbeiter sollten dies freimütig anerkennen. Viel Streit wäre verhindert, wenn die Arbeitgeber die sogenannten Arbeiterführer als verbandlungsfähig anerkennten. Die Tarifverträge sollten gesetz- lichen Schuß und Anerkennung erhalten. Ferner müßte eine gerechtere Verteilung der Lasten der Versicherungsgeseßgebung eintreten. Die Be- lastung der Bauern, namentli durch diese Gesetze, ift sehr groß. Die UVeberwindung der Sozialdemokratie kann nicht von außen fommen, fondern von innen heraus durch die Arbeiterschaft selbst. Die christlihen Arbeitervereine müssen zu diesem Zwecke eine größere Bewegungsfreiheit erhalten. Die leßten günstigen Wahlen haben ihren Ursprung gewiß in der nationalen Bewegung, dann aber auch in dem Erstarken der christlichen Arbeitershaft. Wir müssen alles vermeiden, was diese Bervegung hindern kann. Konfessionelle Ver- heßung, wie sie bei den lezten Wahlen vorgekommen ift, kann nicht dem Frieden dienen. In einem nationalliberalen Flugblatt wird Dr. Burckhardt, obwohl er ein einwandsfreier Protestant ist, in ge- hâssiger Weise angegriffen, Gewisse Herren suchen einen Keil in die ristlihnationale Arbeiterschaft dadur zu treiben, daß sie sogenannte nationale Vereine gründen. Dies Treiben kann nur der Sojial- demokratie zugute kommen. Was hat es für einen Zweck, daß man Christlih-Soziale gewissermaßen als Vasallen des Zentrums hinstellt ? Die christlihen Gewerkschaften haben in den leßten Jahren einen großen Aufshwung genommen; tzr Abg. Bafsermann hat den nationalen Arbeitern seine Anerkennung gezollt; nur shade, daß das niht {on bei den Wahlen gesheben ist. Die Nationalliberalen haben ja bei den nächsten Landtagswahlen in Preußen Gelegenheit, ein paar Dugzend Arbeiter in den Landtag zu bringen. Die hristlihen Arbeiter haben auch Verftändnis für wirtschaftlih- agrarishe Forderungen. Sie erwarten aber, daß man nun auch ihren Wünschen mehr entgegenkommt. Not- wendig ist dann auh eine Gehaltsaufbesserung der unteren Reichs- beamten, entsprehend den gesteigerten Anforderungen und ihrer Lebens- haltung. Die Niederlage der Sozialdemokratie if in der Hauptsache auf ihre parlamentarische Unfruchtbarkeit zurückzuführen. Es wird ihnen jeßt Gelegenheit gegeben werden, praktische Arbeit zu leisten. Wir unsererseits werden jedenfalls unsere Mitarbeit dazu nit ver- sagen.

Abg. Graf Mielzynski (Pole): Nachdem der Vorsitzende unserer Fraktion unsere Klagen über unsere Behandlung in Preußen vor- getragen hat, möchte ich nur etnigen Aeuß-rungen unserer Gegner entgegentreten. Der Abg. Winckler hat eine grenzenloje Ignoranz bewiesen mit der Behauptung, wir hätten nur darauf gewartet, daß die russishe Revolution nah Preußen übertragen würde. Wer hat denn die russishe Revolution vorbereitet? Die russishe Bureaukratie, der Tschinownik. Die Polen haben es, wo Anarchie berr shte, wieder- holt gezeigt, daß sie Ruhe und Ordnung wieder herzustellen wiffen. Wer bat die Mörder gegen die Mitglieder der Duma ausgesandt ? Die rufsische Bureaukratie. Der Königsberger Prozeß hat gezeigt, daß preußische und ru\sische Bureaukratie überall zusammengehen. Der Abg. Windckler täte gut, solche Aeußerungen nicht zu wiederholen, weil er sonst einem gewissen Zweifel Vorschub leiste, der in den polnish- preußishen Landesteilen sehr oft und sehr allgemein ausgesprochen wird, nämlih daß die preußishe Regierung es wünscht, daß bei uns wirre Verhältnisse herrshen, daß die Revolution bei uns herrsche, damit sie eingreifen könne. (Vizepräsident Paa sche: Sie dürfen der preußischen Regierung auch nicht bedingungsweise einen solhen Vorwurf machen.) Ich habe nur den Abg. Winckler gebeten, solche Worte niht zu wiederholen, weil sonft in den preußisch-polnishen Landes- teilen der Verdacht ausgesprochen werden könnte, als wollte die Re- gierung die Revolution bei uns . (Vizepräsident Paa sche: Jh werde

| Ihre Woite später nah dem Stenogramm feststellen und dana

meine Entscheidung treffen.) Der Staatssekretär des Innern hat neulich gemeint, eine Debatte über die preußische Herrschaft ge- bôre nit hierher, sondern in das preußishe Abgeordnetenhaus. Das hat der Graf Posadowsky hier hon öfter gesagt, ih kann mich auch niht wundern, daß er als preußisher Minister bier die Ver- antwortung ablehrt und sih hinter die {ütßenden Mauern des preußischen Abgeordnetenhauses zurückzieht. Dieses ift ja die bereit-

geworden. Dort gibt es keine eigentlihe Volksvertretung; da hat die Regierung leihtes Spiel. Ih glaube aber und bin überzeugt, in

Indigenat ; kein Deutscher darf in der Ausübung seiner hier ver- brieften Rechte durch die Behörd'u eines Bundesstaates beeinträchtigt werden. Diese Bestimmung ist klar genug; dur jene Maßnahmen der preußishen Regierung wird cbeu di? Reichsverfassung verletzt. (Vizepräsident Paasche: Jch kann es nicht zulassen, daß Sie dem arößten deutshen Bundesstaat Verfassungsbruch vorwerfen, ih rufe Sie deshalb zur Ordnung) Ich werde beweisen, daß diese Maß- nat men auch dem Bestande des Reiches gefährlich werden können. Nach dem Artikel 3 muß es jedem NReichëangehörigen gestattet sein, sich fiei anzusiedeln. Nach dem preußiscben Geseß wird diese Be- siedlung8möglichkeit für die MReichsangehörigen polnischer Zunge

aufgehoben und \o Artikel 3 der Verfassung illusorisch gemacht. !

willige Regierungsmaschine für Ausnahmeaeseze gegen die Polen |

Die preußishe Regierung denkt schon heute daran, auf diesem Wege noch weiter zu gehen, ihre Machtbefugnis dahin auszudehnen, daß die polnische grundb«efizende Bevölkerung expropriiert werde; ein ent- sprehendes Geseß ist allen Ernstes geplant. Das Recht des persönlichen Eigentums ist eine der Grundlagen der staatlichen Ordnung; gegen dergleichen Gesetze, die zu Gursten der cinen den anderen Gut und Habe entreißen wollen, in diesem hohen Hause zu protestieren, haben wir das gute Reht. Wie weit die Willkür der Behörden geht, können wir besonders in öffentlichen Ve:rsamm- lungen, tn Wahlversammlungen erfahren. Als ich in einer Wakhl- versammlung eine Bemerkung über die Sozialdemokratie machte, er- klärte mir der überwack#ende Beamte, ih hätte in der Versammlung nur über fkatholishe Angelegenheiten zu sprehen. Ein preußischer Beamter, der mich belehren will, daß ih in einer öffentlißen Ver fammlung nur üter katholishe Angelegenheiten zu sprechen hâtte, isr doch ein Unikum. Ein andermal löste ein Beamter dis Versammlung auf, als ih mit meiner Rede {hon fertig war, und zwar, wie er mir nachher erk:ärte, weil ih ansheinend noch vom Schuk- streik bâtte \sprehen wollen. (Vizepräsident Paas che unterbricht den Redner, verliest die von diesem vorher getane Aeußerung und erklärt darauf, daß er den Ordnungsruf aufrecht erhalte. Gegen diese Zensur steht dem Redner der geschäftsordnungsmäßige Weg offen.) Ich kann darauf nur sagen: Gedanken sind zollfrei. (Vizepräsident Paasche: Ich kann eine Kritik meiner Geschäftsführung nicht dulden und verweise Sie nochmals auf den ge\häftsordnungsmäßigen Beschwerdeweg.) Der Redner wendet ih dann zu dem unerträclibea Zwange, der nah der Richtung ausgeübt werde, den Gebrau der polnishen Sprahe auch im engsten Kreise zu unterdrüdcken. Hierauf geht er zu einer Kritik der Rechtspflege über. Es seten preußishe Nichter, die über Polen Recht sprächen, da sei es allerdings sehr shwer, Unparteilichkeit zu wahren. Wenn ein Deutscher in feinem furor teutonicus einen Polen totshlage, so sei dieser furor ein Milderungsgrund für die Gerichtshöfe; aber ein Verschärfungs- grund, wenn der Fall umgekehrt liege. Der Kollege Schrader hofft, daß die Negierung sih gütlich mit den Polen namentlich bezüglih des Schulstreiks verständigen werde. Wenn Sie, Herr Schrader, an einen Baum gebunden sind und geprügzelt werden und man wat Ihnen den Vorschlag einer gütlihen Einigung, dann werden Sie jedenfalls sagen: Bindet mih zunächst gefälligst von dem Baum los ! Der gegen die Kinder und Eltern von der Schulbehörde gee übte Gewissenszwang if unmoralisch. Die Kinder werden geschlagen und gemartert, ein chwächliher Junge ist 14 Tage nah den {weren Mißhandlungen gestorben womit ich nit sagen will, daß er daran gestorben ift. Im Abgeordnetenhause hat man, als der Abga. Korfanty ähnlibe Fälle vortrug, auf nationalliberaler und konfer- vativer Seite Pfui! gerufen. Einem Schüler wurde der katholische Gruß: „Gelobt sei Jesus Christus!“ mit dem Worte „Schweinehund“ erwidert. Diesen Gruß, in dem der Name Gottes vorkommt, mit dem Worte „Schweinehund" zu erwidern, ist eine niedect ächtige Ge- meinheit. Der Abg. Liebermann von Sonnenberg bat uns wiederholt daran erinnert, daß wir eigentlichß nie eine Kultur gehabt bâtten, aber mit Undank die deutsche Kultur vergolten hätten. Wir babex immer die deutshe Kultur bochgehalten und versucht, von ihr zu lernen, nur von der preußishen Kultur wollen wir nichté wissen, Friedrih Il. wollte von den Nibelungen als von einem albernen Schundzeug, das er nicht in feiner Bibliothek dulden werde, nichts wifsen. So dachte ein preußischer König und Lessing bezeihnete Preußen als das sflavishste Laud CGuropas. Man spriht jeßt von einer neuen liberalen Aera. Der Fürst Bülow, der alle Ausnabmegesete gegen uns gebilligt hat, ift ein liberaler Herr! Die ganze Wablcampagne hatte nur den Zweck, die Stellung des Reichskanzlers zu bef.stigen. Die Zentrumsfraktion sollte auf einmal der Verräter sein nah dem französischen Wort : „Cherchez le traître“. Der zweite Bernhard hat dann das Seinige dazu getan. Von einer liberalen Regierung kann bei uns überhaupt niht die Rede sein. Nicht das ganze Volk ist mit dem Kanzler zusammen gegangen. Es hat immer eine Menge gegeben, denken Sie nur an die Zeit Neros, die ein Applausbedürfnis hat. So war es auch mit der mitternähtlichen Ovation, die ruhige Bürger gestört hat. Es waren die Mitglteder der Kaschemmen, die mit dabei waren. Aber man lebt niht von dem Voikswillen. Wir Polen sind auch verstärkt in dieses Haus eingezojen, aber wenn wir mehr Mandate haben, so sind wic gar nichi stolz darauf. Wir wollen ebenfalls ernste Arbeit im Reichätage tun, in den Fragen der Sozialpolitik usw. Wir werden keine Nache- nund keine Bosheitspolitik treiben, troy der Behandlung, die man uns zuteil werden läßt. Eine Regierung, die uns aus dem Lande treiben will, werden wir natürli§ nicht unterstüßen. Die große Mehrheit des Volkes wird unsere Rechte verstehen und verteidigen.

Staatsminister, Staatssekretär des Jnnern Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat erklärt, seine Fraktion werde an den wichtigen Aufgaben des Reichstags ernst mitarbeiten. Ich knüpfe an diese Aeußerung an und nah den vielen allgemeinen politischen Reden, die wir während der allgemeinen Debatte über den Haushaltsetat gehört haben, gestatten Sie mir, daß ih auf eine sehr nüchterne, aber für unser wirtshaftlihes Leben sehr wihtige Frage zurückfomme, die vielfah Gegenstand ernster Erörterungen in der Presse und in öffentlihen Versammlungen im leßten Jahre gewesen ift.

Hier im Hause ist dieselbe Frage angeregt von der rechten Seite, nämlich die Frage, welhe Maßregeln der Reichskanzler zu treffen ge- denkt gegenüber der Höhe des Diskontsazes, die {wer auf unserem wirtschaftlihen Leben laste. Die Klagen über die Reichsbank, die in der Oeffentlichkeit laut geworden sind, die Angriffe, die gegen die Reichébankleitung gerihtet sind, sheinen mir von der irrtümliches Auffassung auszugehen, daß die große Reichsnotenbank in der Lage wäre, den Zinsfuß im wirtschaftlichen Leben, der ih aus den ver schiedensten Faktoren entwidelt, ihrerseits künstlich zu beeinflufsex. Was meint man, wenn man verlangt, daß die Reichsbank den Zins- fuß, wie er sih ohne ihr Zutun im freien Verkehr entwickelt, ihrer- seits durch ihre Diskontopolitik entscheidend beeinflufsen sol? Die Reichsbank könnte meines Erachtens nur zwei Wege gehen : sie könnte entweder den Zinsfuß hochalten, wenn er im freien Verkehr niedrig ist in diesem Falle würden wahrscheinlih die Geschäfte der Reichs- bank aufhören, und jeder Kreditsuhende würde sich dem freien Verkehr zuwenden —, oder andererseits könnte die Reichébank den Zinsfuß niedrig halten, obgleich der Diskont im Privatverkehr ein höherer

c i: 1 i ( in, R j i Be der | seinem Innern \{châmt er sih einfa, hier in diesem hohen Hause die | E) V arbe - ME_SPIVE „lel, Hay IGeN Teilen Dns HN Maßregeln vertreten zu müssen, die gegen uns Polen in Sijene geseßt | werden. Wir können uns mit dieser Kompet nzbestreitung nicht zu- | frieden geben; wir verlangen, daß Gelegenheit geboten wird, die ! | S O as s 1 SuA, ede B retten, die auf | Schritt und Tritt in Preußen entreht!et werden. Na Artikel 3 der ! 1 i; ; “Ttnio f Reichsverfafsung besteht für alle Reihsangebörigen d gemeinsames | der Reichsbank und unserer wirts{aftlichen Verhältnifse überhaupt er- | \chüttert werden müßte und daß s{chließlich die vorgeshriebene Noten-

Reichsbank decken würde, daß ein gewaltiger Betrag un- gedeckter Noten entstehen würde, daß mit anderen Worten das entstehen würde, was man in der Finanzwissenschafi

| eine Inflation nennt, daß dadurch die gesunde Grundlage

deckung in , Metall nit aufrechterhalten werden könnte. Meine Herren, bereits im Jahre 1905 hatte sih der Verkehr, unser wirt- saftlihes Leben in einer überraschenden Weise entwickelt, wie i annehme, weil man hoffte, daß wir wieder auf 12 Jahre zu geordneten Handelsbeziehungen mit den anderen Staaten kommen würden. Aber dieser große Ve:kehr, dieser wirtshaftlihe Aufs{chwung hat sich im Jahre 1906 noch wesentlih verstärkt. Wie sich der Verkehr ent- wickelt hat, mag sich daraus ergeben, daß die Gesamteinfuhr und -ausfuhr im Spezialhandel im Jahre 1906 gegen das Fahr 190

um über 1 Milliarde gestiegen ist und der Gesamtwecselumlauf in Deutschland im Jahre 1906 um 2555 Millionen gegen 1905 und fogar um 4861 Millionen gegen das Jahr 1904. Es ist klar, daß mit einer \o intenfiven wirtshaftlihen Bewegung auch wesentlich stärkere Ansprüche an den Kredit der Reichsbank gemacht werden. Es wurden die Mittel der Reichsbank in den Jahren 1905 und 1906 in einem Um- fange in Anspruch genommen wie nie zuyor. Mehrbedarf an Zahlungsmitteln ergibt sich auch aus dem ungedeckten Notenumlauf, der im Jahre 1906 gegen das Jahr 1905 allein um Daß übrigens die vom Reichsbankdirektorium festgeseßte Zinsrate von 6 pCt., wie sie jeßt besteht, nicht über das Bedürfnis hinausging, geht daraus hervor, daß jeßt noch die Geld- anforderungen an die Reichsbank troy des hohen Diskonts ganz außerordentlih groß sind.

Meine Herren, man ruft mir zu: Mehr Gold! Und es ift uns auch in der Oeffentlichkeit gesagt worden, wir s\ollten mehr Gold schaffen. Jm allgemeinen war in dem leßten Jahre unsere Gold- bilanz infolge unserer günstigen Handelsbilanz gegenüber dem Auslande Wir hatten im Jahre 1905 eine Mehreinfuhr von Gold von über 179 Millionen und im Jahre 1906 eine Mehreinfuhr von Gold von über 268 Millionen. waren auh unsere Wechfelkurse gegenüber dem Auslande keineswegs

Meine Herren, dieser

122 Millionen wuchs.

keine ungünstige.

In Uebereinstimmung damit

Es ift auch ein Jrrtum, zu glauben, daß der Diskont entscheidend beeinflußt wird von dem Bestreben, die Goldreserve zu erhalten. Wenn wir eine ungünstige Zahlungsbilanz gegenüber dem Auslande haben, oder wenn fi vielmehr unse:e Zahlungsbilanz gegenüber dem Auslande ungünstiger gestaltet, dann wird ein Goldabfluß nah dem Auslande eintreten, infolgedessen roind die Neichsbank in ihren Be- ständen sehr beanfpruht werden. Entwickelt sich, wie jeßt, der Ver- im Inlande außerordentlichß günstig, in Deutschland bisher noch ebenfalls die Maße in Anspru genommen we1den, und zwar von dem FInlands- verkehr. Wenn aber demnähst die Bank ihren Bankdiskont erhöht, so tut sie das nicht allein, um ihre Goldreserve zu decken, sondern sie tut es mit Rücksicht auf die allgemeinen wirtschaftlihen Verhältnisse die Abnahme der Goldreserve, die Abnahme der Barbestände der Bank ist nur ein äußeres Symptom der allgemeinen Lage des Geld- Auf künstlichem Wege läßt sich aber diese naturgemäße Folge eines gefteigerten Geldverkehrs und eines gesteigerten wirt- schaftlichen Aufshwungs nicht beseitigen.

Man hat uns verschiedene Ratshläge gegeben zur Verringerung Man hat vor allen Dingen verlangt, daß die Noten- steuer beseitigt werde. Das wäre eine Maßregel, die gar keinen Grfolg hätte. Die Reichsbank hat niemals aus fiskalishen Gründen, um die Notensteuer zu sparen, einen hohen BVankdiskont aufrecht-

einer Zeit, ziemli hoher den Diskont

niht- dagewesenen Weise,

des Diskonts.

ungedeckten

nichtsdestowentger Anftand genommen, Man hat ferner gesagt, wir sollten den in letzter Zeit, namentlich auch durch die Ansprüche der Unfallversiherung so außerordentlich ge- fliegenen Betrag der Schaßanweisungen niht bei der Reichsbank diskonticren, sondern im Privatverkehr. (Zuruf rechts.) Verehrter Herr Abg. Gamp, Sie körnen ja naher Ihre Ansicht äußern. Ih

geftalte mir, mich über das zu äußern, was ih gefragt bin. Wir sollten also die Schazzanweisungen diskontieren im Piivat- verkehr. Das würde eine vollkommen ¿wecklose Maßregel sein (Sehr rihtig! links); denn \{ließlich würde der Kredit und das Geld, das die großen Privatbankinstitute zur Diskontierung unserer Swhatz- anweisungen brauchten, doch wieder von der Reisbank genommen als der leiten Geldquelle des Landes. die Diskontierung der Schaßanweisungen bei der Reichsbank die Möglichkeit, dieselben zu rediskontieren und dadurch einen gewissen Einfluß auf den Geldmarkt zu üben.

Man hat uns auh die Verstärkung dcs Goldbestandes anheim- gegeben. Wir haben uns fortgeseßt die größte Mühe gegeben, unseren Goldbestand zu verstärken. Selbstverständlih kann man das aber nux bei einer günstigen Zahlungsbilanz erreichen. indem wir zinsfreie Kredite gewährt haben zur Hereinshaffung von Gold. Dieses Experiment gelingt, wenn unsere Zahlungsbilanz eine günftige ift; ist unsere Zahlungébilanz aber eine ungünstige, so strömt das Gold fofort wieder heraus und die Maßregel wäre dann eine reine Danaidenarbeit. Aber immerhin, meine Herren, ist es do durch dieses Verfahren gelungen, bisher über 31/2, Milliarden Gold nah Deutschland einzuführen.

ist auch getadelt worden, barren und

Umgekehrt gewährt uns aber

Wir haben das getan,

im Tresor der bank hâtten, und es ift uns geraten, diese Goldbarren und diese fremden Münzen in deutsches Gold auszumünzen. merken, daß infolge der Neuprägungen jeßt bereits unser Vorrat an Barren und an Münzen auf 106 Millionen zurückgegangen ist. Ferner uns gegenwärtig noch Auslande und in Goldwehseln in Höhe von €0 Millionen, um unserseits die ausländischen

Ich kann be-

halten wir

Wechselkurse einigermaßen becinflussen

Ich erinnere endli an das Gefeß vom 20. Februar 1906, das Sie genehmigt haben, welches die Reichsbank bevollmächtigt, kleine Banknoten von 50 und 20 A zu \{affen. rund 56 Milltonen Fünfzigmarknoten und für rund 42 Milltonen Die Maßregel hat noch nit sehr wirken können, weil die Ausführungsverordnungen erst kürzli er- gangen sind.

Meine Herren, daß wir einen hohen Diskont haben, ist aber iht nur eine Erscheinung

Wir haben bis jeßt für

Zwanzigmarknoten ausgegeben.

in Deutschland; anderen Staaten So ist z. B.

diefe Erscheinung

August bis Ende der offizielle Diskont in Amsterdam von 4F auf 5 gestiegen, in Brüssel von 34 auf 41, in Wien von 4 auf 43, in London von Nur in Frankrei blieb der Diskont auf 3 pyCt. infolge besonderer wirtschaftliGer Verhältnisse, die auf Deutschland keine Anwendung finden und finden können. rihtig !) Der bisherige amerikanishe Staatssekretär Mr. Shaw hat am 10. Dezember eine Konferenz mit dem Vorstand des amerikanischen Bankiervereins abgehalten. Herr Shaw :

„Unsere Segensfülle ift die tatsächlihe UrsaŒe unserer Geld- Die ungewöhnlih reiche Ernte und die beisptellose in-

3x auf 6 pCt.

Beim Schlusse dieser Konferenz sagte

dustrielle Tätigkeit haben eine Nachfrage nach Gold hervorgebracht, die ohne Vorgang if. Wir haben niemals einen solhen Betrag an Krediten gehabt, Dieselben sind aber gegründet auf einen bei- \spielslosen Betrag von Guthaben. Es liegt keine Ursache zu Befürchtungen vor, wohl aber eine Gelegenheit zur Hilfe.“

Wir habea bis jeyt keine Ratshläge gehört, die wir für ge- eignet hielten, den hohen Diskont, wie er jeßt bei dem außerordent- lien Aufschwung unseres Wirtschaftslebens besteht, künstlih herab- zudrücken. Aber wir stehen ja ziemlich nahe vor einer Verlängerung des Bankprivilegiums und ih würde es für nüßlich halten, wenn vor den Beratungen über diese Verlängerung unter Zxziehung von Sachverständigen (Sehr richtig! rechts), auch unter Zuziehung von folhen Sachverständigen, die an der Bankleitung nicht unmittelbar be- teiligt sind, diese Fragen einmal sachlich erörtert würden (Sehr gut !), um zu sehen, was an unserer Bankverfafsung verändert werden kann, ohne die Grundlagen unseres Bankwesens und unseres wirtschaftlichen Lebens zu gefährden oder zu ershüttern. (Bravo ! rechts.)

Meine Herren, ih vertrete ein großes Ressort und meine Pflicht ist es, nicht nur politishe Reden zu halten, sondern au große sach- lihe Fragen, die hier angeregt find, zu behandeln und zu beant- worten. (Sehr richtig !) Der Herr Abg. Gamp hat in der Sitzung vom 27. Februar gesagt, wir fellten „etne großzügige Soztalpolitit treiben’. Herr Abg. Gamp, dieses Wort hat mich sehr gefreut. Ich hoffe aber, Sie kommen wegen dieses kecken Wortes nicht in Verlegenheiten mit näheren politischen Freunden. (H.iterkeit.) Der Herr Abg. Gamp hat weiter gesagt:

„Die Sozialpolitik soll nit bloß frei sein von Polizei- schikanen gegen die Arbeiter, sondern aub gegen die Arbeits- geber. Das haben wir vielleicht vermißt. Jh erinnere nur an die Bundesratsverordnung für die Bäckereten. Hier muß die Gesetzgebung Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Zahlreiche Verordnungen des Bundeêrats auf diesem Gebiete haben ohnehin nicht die Genehmigung des Reichstags erhalten und mußten abgeändert werden oder unterbleiben.“

Was zunächst die Polizeischikanen betrifft, so bitte ich den Herrn Abg. Gamp, einmal nachzusehen in den Berichten der Gewerbe- aufsichtsbeamten, wie zahlreih jeßt noch die Vorschriften zum Schutze von Leben, Gesundheit und Sittlichkeit der Arbeiter übertreten werden. Ich bitte au ferner die Tabellen nahzusehen, die der Herr Justizminister in dieser Beziehung veröffentliht. Da wird der Herr Abgeordnete sehen, daß eine Aufsiht notwendig ist. Wo keine oder keine genügende Aufsicht stattfindet, dort stehen viele Vorschriften nur auf dem Papier. (Sehr richtig! links.)

Es ift überrashend! Auf der einen Seite wird uns vorgeworfen die Schikane der Beaufsichtigung, daß die Betriebe ihre geseßlihen und statutarishen Verpflihtungen gegenüber den Arbeitern erfüllen, auf der anderen Seite und darüber werde ih nächstens sprehen wird eine strenge Polizeikontrolle, die unter Umständen sehr shikanös werden kann, gegenüber den Winzern und Weinhändlern auf dem Gebiet des Wetinbaues gefordert.

In bezug auf die tatsählihe Bemerkung des Herrn Abg. Gamp möchte ich noch entgegnen, daß eine Genehmigung zu den auf Grund der Gewerbeordnung ergehenden Verordnungen des Bundesrats nur dann notwendig ist, wenn es sich um Anlagen auf Grund des § 16 der Gewerbeordnung handelt. Der Herr Abg. Gamp wird si ent- sinnen, daß nur ein einziges Mal diese Frage zu einer Differenz ¡wischen Reichstag und verbündeten Regierungen geführt bat. Das war bei den kleinen Ziegeleien. Weil das hohe Haus Bedenken batte, diese Verordnung na&träglih zu genehmigen, baben die verbündeten Regierungen dieselbe aufgehoben.

Sonst sind auf Grund der übrigen Paragraphen der Ge werbeordnung \{chon 25 Bundesratsverordnungen ergangen. Zwei Bundesratsverordnungen von diesen die ner dem Haus zur Kenntnisnahme vorgelegt waren und die nicht seiner Ge nehmigung bedürfen, sind beftig angegriffen, nämlih die BäFerei verordnung und die Verordnung über die Sonntagsrube der Gast wirtsgehilfen. Aber gerade die leßtere Verordnung, die auch im preußischen Abgeordnetenhause schr beftig getadelt worden ist, ift in einer Weise mit Sachverständigen und mit Interessenten verbandelt worden, wie selten sons. Auf Grund einer Verordnung des ver- storbenen Ministers von Hammerstein wurden, wie hon die Ver- ordnung dem Bundesrate vorlag, noch die preußishen Regterungs- präsidenten über dieselbe gehört und die Regierungspräsidenten haben sich überwiegend für die zwingende Notwendigkeit zum Erlasse der Verordnung ausgesprohen. Es war also nlcht das ideologishe Reichsamt des Innern, sondern es waren die maß- gebenden Provinztalinstanzen in Preußen, die fich dafür ausgesprochen haben. Außerdem kann ich dem Herrn Abg. Gamp sagen, wenn immer von dem weltfremden Reichsamt des Innern die Nede ift, daß wir keine Verordnung erlassen, die niht auf das eingehendste mit den preußischen Herren Ministern vereinbart wird, und die preußischen Minister geben ihr Votum meist erf ab, wenn ste die Provinzial- behörden gehört haben.

Nun möchte ih bemerken, wie ‘das preußische Abgeordnetenhaus zu der Sache gestanden hat, weil gerade dort die Angriffe gegen diese Verordnung erfolgt sind. Da if ein Antrag Arndt-Garts&in ein- gebracht auf Abänderung dieser Bundesßratsverordnung, vom 15. Fe- bruar 1904 (Nr. 64 der Drucksachen des preußischen Abgeordneten- hauses), und dieser Aatrag ist, wie der Herr Präsident des preußischen Abgeordnetenhauses bei der Abstimmung feststellte, einstimmig abgelehnt worden. Also das preußishe Abgeordnetenhaus hat eine Abänderung dieser Verordnung im Interesse der Gastwirtsgehilfen abgelehnt. Gestatten Sie mir dabei eine allgemeine Bemerkung. Wenn der Bundesrat, wenn der Reichékanzler Verordnungen erläßt zum Schuße von Leben, Gesundheit und Sittlichkeit der Arbeiter, so ift das nicht eine ideologishe und welifremde Neigung, sondern es sind dann sehr wihtige Gründe dafür maßgebend. Mit unserem modernen Kulturleben, mit der Kompliziertheit unserer Maschinen, mit der vielfahen Verwendung von Chemikalien und Gasen in unseren Jndustriebetrieben sind fteitgende Gefahren für Leben und Gesundheit der Arbeiter verbunden. Wie auch der preußiscke Herr Kriegsminister über diese Frage denkt, dazu will ich mir erlauben, hier den Schluß eines Schreibens, das derselbe an den Herrn Neichs- tanzler Staatssekretär des Innern am 2. Oktober 1906 gerichtet hat, Ihnen vorzulesen. Dort heißt es:

„Bet der voraussihtlih weiter fortshreitenden Indusftriali- sierung des Staates und mit Rücksicht darauf, daß mit cinem Zu-

sirömen der ländlihen Bevölkerung in die Städte und Auffrifchung des städtishen Blutes in dem Umfang der letzten Jahrzehnte auf die Dauer wohl nicht mehr zu rechnen sein dürfte, gewinnen aber au die Maßnahmen der Regierung zur Hebung der sozialen Lebens- bedingungen der Judustriebevölkerung, z. B. Hebung der Gesundheit und der Wohnungsverhältnisse, Minderung der Kindersterblichkeit, Fortbildung der shulentlafsenen Jugend, Bekämpfung des vom Standpunkt der Heranziehung Heeresersaßzes eine erhöhte Bedeutung.

Ich möchte daher diese Gelegenbeit niht vorübergehen lassen, Ew. Dur(hlaucht ergebenst zu ersuchen, bei diefen foztalpolitischen Aufgaben, soweit sie in Ihr Ressort fallen, den Gesicht: punkten der Erhaltung unserer Webrkraft auh ferner wie bisher J wollendes Interesse zuwenden zu wollen.“ *

Und, meine Herren, ih habe hier einen Artikel von einem Ge neral, den derselbe in der Presse veröffentliht hat; derse dort folgendes:

« „Gewiß, noch zehren wir an dem gesundheitlihen Gute unsere der überwiegenden Mehrzahl nah in der Landwirtschaft tâtigen Vorfahren uns hinterlassen haben. gesunden Blutes durch unsere Adern, aber jedes Erbteil z: auf, wenn es nicht wieder ergänzt wird, und mit dieser Ergänzung sieht es nicht allzu günstig aus, nicht bei uns und vielleiht noch viel wentger bei manchen anderen Nationen. möôhte ih einer Aeußerung Erwähnung tun, die in dem in Wien erscheinenden österreihisen Armeeblatt vom 20. Novetnber 1906

„Was den moralishen Gehalt des modernen Soldaten anbetrifft, worunter wir die Kan. pfestüchtigkeit, dieUnerschrockenheit in der Krieg8gefahr, das mannhafte Niederkämpfen aller Unbilden des Krieges verstanden wissen wollen, so können wir {hon jetzt mit ziemliher Bestimmtheit die wirt s{haftlihen Zeit das lebende Kriegs8material in dieser Richtung #sch in einem ershreckenden Nückzang befindet.“

mißbrauchs usw.

Noch rollt ein Teil des

E S ch§n dieser

enthalten ist. Dort heißt es:

Behauptung Notständen

meine Herren, er Bundesrat, kanzler oder der Staatssekretär des Innern in Stellvertretung des Reichskanzlers derartige Verordnungen zum Schuß von Leben, Ge sundheit und Sittlichkeit beiter erläßt, so ist das nicht eine ideologische wachsenden Kulturgefahren ernste hygienishe Maßregel zum Besten der Erhaltung unserer Volkskraft (sehr ric&tig! links), und, meine Herren, solange ich an dieser Stelle stehe, wenn sie auch noch so giftig und v leumderis{ sind (hört, hêrt !), abhalten lassen, in dieser Beziehung (Lebhafter Beifall links.)

mih durch keine Angriffe,

meine Pflicht zu tun.

Abg. Frhr. von Hertling (Zentr.): Der Reichskarzler hat am vorigen Montag gemeint, das Zentrum bestehe aus außerordentli beterogenen Bestandteilen, fammenhalte

das uns jetzt zu einmal hinweg-

und wenn das Band, er meint das konfessionelle Band genommen werde, da würden die Mitglieder der Z?nirumspartei f ziemlih über sämtlihe Pläße des Hauses verteilen. weiß niht, welche:n Play der Reichskanzler mir anweisen würde. Der Abg. Bebel hat im vorigen Jahre einmal gemeint, ih gehörte wcehl zu den am meisten rechts\tehenden Mitgliedern der Zentrums- Wenn diese Meinung zutrifft, so ist es vielleilt niht unnütz für die Situation in und außer diesem Hause, ein paar kurze Worte Situation zu sagen.

zur politischen verschiedenen

bestehenden

Mitgliedern

1878 scheint außerordentli er überrasch?nde m Jadre 1878 wurde der Reichstag aufgelöt, weil

1gesct neu gewählte ein Sc seß an; ein spâterer Neichstag l es si als unwirk)am erwiesen hatte. Ueber die Srüntd Auflösung hat uns der Fürst Bismarck einer Denkschrift unterrichtet, die im Jahre 1894 im ersten ismarck-Jahrbuches

Stagëauflôsung von

e der damalige

veröffentlicht die Haltung der der Wablbewegung bestimmt war pflihtgemäße Bi streben ihrer Leitung, der Neichsyolitik eine ver in der Vertretung Reichétage sehr worden dadur, daß so viele Parteigruppen sih im Reichstage de fanden, daß die Bildung einer Majorität infolgedessen nur dadurch verschiedene Er weist darauf der damaligen Volksvertreter, die nationalliberale Partei, eine domi- nierende Stellung ausgeübt habe, daß sie aber auh in ih nichi eine ausreidvende mit anderen Parteien habe zusammenfinden mi egierung sehr unliebsame Verhälinisse entstanden fo weit gegangen,

fammens{hlsöfsen.

len und daß darauéê Sie sei in ihren Ansprüchen daß fie für die von den verbündeten Regierungen cinzubringenden Vorlagen vorber die Zustimmung und Genebmigung der auss{laggebenden Partci verlangt habe. In steigender Nücksichtélosigkeit scien wichtige Borlagen durch Fraktionebeschluß ohne jede eingehende Beratung im Reichétage und ohne etwaige Amendierung kurzerhand abzelehnt worden. Bevormundung könne si keine Regierung gefallen l im Schlepptau einer Minoritätépartei gehen. Partei habe den großen Fehler begangen, daß sie ( unterworfen Die bevorzugten Organe der rational- beobachteten hinzudeuten vorzunehmen.

__ Eine solche assen, sie könne nicht Die nationalliberale stets sih der

und Bamberger.

Systemwechsel

: Tatsächlich stard damals der Reichskanzler

mit dem hervorragenden Abgeordneten

Diese Verhandlungen \cheiterten aber

Bennigfen auch Forckenbeck und von Stauffenberg zu Zten Neichstag hatte keine Partei tattonalliberalen waren ncht mehr

fondern das Zentrum, und fo war es natürlich, dc heitébildung die Zentrumépartet den Rückhalt und Wie hat die Zentrumsfrakiton diese ihre Sie haben gehöt aus d.m Munde

Prätensionen damals die nattonalliber seiten meiner politishen Freunde jemals ähnlihe Prätensionen wurden, ist nicht behauptet worden. uns Vorlagen vorher mitgeteilt würden, Wir haben niemals Vorlagen der abgelehnt, ehe sie im Reichêtag vzrhandelt wurden. uns ift es auch nur von weitem in den Sinn gckommen, daß ein Mitylied der Zentrumsfraktion in die Prätensionen fraftion vollkommen frei; sie können nit die Gründe ¡ur ® Mißbrauch, &Frafklion mit ihrer auss{laggebenden Stellung getrieben hat? war sich jederzeit bewußt, daß sie nit nur numerisch weit \{chwächer war als damals die nationalliberale Partei, sondern auch aus anderen

zuziehen wüns aus sich selbst die Mehr die stärkste Partei, ß bei jeder Mebr- Angelpunkt bilden Stellung auégenutzt des Fürsten Bismarck, welche

Auch im

Wir haben niemals verlangt ehe sie eingebraht wurden. Regierung durch Frakitonsbe\{! Niemandem von zu verlangen, Negterung eintreten