1907 / 63 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 11 Mar 1907 18:00:01 GMT) scan diff

einheitlißen Vereins- und Versammlungsrechßt auch das Ende der jeßigen Freiheit kommen könnte. Träfe das zu, dann würden wir es doch lieber bei dem partikularistishen Zustande von heute belassen. Für die baldige Vorlegung eines Reichs- geseßes über Arbeitskammern spriht die zwingende Notwendigkeit. Es wäre sehr unerwünsht und zweckwidrig, wenn dieses Gebiet den Einzelstaaten überlassen bliebe; aber der Strömung, die nach dieser Richtung geht, kann nur dur alétaldige Erledigung der Sache von Reichs wegen gesteuert werden. Die * eigung für Arbeitskammern ist überall im Wachsen begriffen; der Streit beginnt aber, sobald es ins Detail geht. Die Nationalliberalen haben nah dieser Nihhtung im Anschlufse an die Kaiserliche Botschaft vom Februar 1890 bezüg- lih der Arbeitervertretungen einen besonderen Antrag eingebrat ; zur Verwirklihung des damals in Ausfiht Gestellten ist etwas Er- heblihcs leider in den 17 Jahren noch nicht geschehen. Die Gesellshaft für soziale Reform hat die Frage international studieren lassen; grundsäßlih is die Frage durhaus spruch- reif. Die Angliederung der Arbeitskammern an die Gewerbegerichte halte ich mit dem Abg. Trimborn nicht für angebrachbt; fie müssen selbständig hingestellt werden, denn jede hat Interessenvertretungen. Die Mittelstandsfragen, welche die Interpellation anregt, sind eben- falls auch für uns von hervorragender Bedeutung. 1897 war übrigens ein großer Teil des Handwerks noch für den großen Befähigungsnachweis; seitdem hat sh nah beiden Seiten eine Wand- lung vollzogen und deshalb treten auch wir seit einigen Jahren für den kleinen Befähigungsnachweis ein, der so gut wie einstimmig von allen Handwerken, Innungen und Gewerbevereinen gewünscht wird. Betreffend den unlauteren Wettbewerb hatten wir 1904 einen sehr eingehenden Antrag eingebracht, der später dem Reichskanzler überwiesen wurde. Kommt eine Vorlage, so werden in dieser wohl auch Gedanken wiederkehren, die unser Antrag angeregt hat. Dem S{hwindel, der auf diesem Gebiet nah wie vor kräftig gedeiht, muß dur geseßgeberishe Maßregeln entgegengewirkt werden. Der Nat des Staatssekretärs, daß die gebildeten Kreise gegen diese Auswüchse praktisch vorgehen follen, ift ja gewiß sehr gut, aber er reiht nicht aus; wir müssen auch fkasuistishe Geseyzes- bestimmungen haben, die den Schwindel unter vershärfte Straf- bestimmungen stellen. Die Arbeitershußgeseßgebung fortzuführen, ist der Wunsh und die Absicht aller Parteien, das hat der lebhafte Beifall der Ankündigung des 10ftündigen Marimal- arbeitstages für Fabrikarbeiterinnen durch den Staatssekretär be- wiesen. Ih \chliee mit dem Ausdruck der Ueberzeugung, daß nihts verkehrter wäre, wie wenn in den Kreisen der bürgerlihen Parteien angesihts des Wahlerfolges gegen die Sozialdemokratie in soztalpolitischen Dingen ein laisser faire, laisser aller eintreten würde; nah wie vor müssen wir in der Sozialreform fortfahren und uns bemühen, in den Arbeitermassen, namentlih denen, die der Sozialdemokratie noch niht anheimgefallen sind, die Ueberzeugung wah zu rufen, daß ihr Heil nicht bei der Sozialdemokratie ruht, sondern daß auch im deutschen Bürgertum noch Kräfte wirksam sind, die auf den Fortschritt auch der anderen Klassen gerichtet find; nur in diesem Zeichen werden wir die neue Situation im Retichêtag rihtig nützen und die Sozialdemokratie überwinden.

Abg. Henning (d. kons.): Der Abg. Trimborn ging von der Be- fürhtung aus, es könnte das Wahlergebnis mit einem unliebsamen Fehlshlaag in der Fortführung der sfoztalpolitischen Gesetzgebung ver- bunden sein. Der Abg. Trimborn hat in der Thronrede und in den Aeußerungen des Kanzlers über die Sozialpolitik eine bestimmtere Faffung vermißt. Es ift {hon darauf hingewiesen worden, daß, wenn in diesen Aeußerungen einiges mit Stillshweigen übergangen sei, daraus nit geshlofsen werden dürfe, daß die Sozialpolitik fich in dem Stadium des Stillstandes befinde. Diese Befürchtung dürfen wir um so weniger hegen, als der Staatssekretär uns heute ganz be- stimmte Zusagen gemacht hat. Es gilt allerdings auch hier das von ihm zitierte Wort: „Je mehr Gesetze, desto {lechter das Gemein- wesen.“ In der Uebershwemmung mit Sen sehen wir gerade vom Standpunkt der Sozialpolitik eine Gefahr. Ueber die Priorität einzelner Gedanken und Entwürfe wollen wir mit den anderen ares nicht streiten. Die Sozialdemokratie erstrebt ja alles mögliche, aber wenn es zu Geseßentwürcfen kommt, so versagt sie ihre Mitwirkung. Eine solche Politik können wir decch unmöglich mitmachen. Nur auf dem Gebiete einer besonnenen Sozialpolitik können wir weiterkommen. In der teilweisen Zurückdrängung der Sozialdemokratie liegt aber kein Anlaß, Siege zu fetern. Es it notwendig, daß die anderen Parteien im Hause sich verständigen und nicht durch zuweit gehende Forderungen die gemeinsame politische und fozialpolitische Entwicklung ershweren. Wenn uns der Vorwurf der Rückständigkeit gemacht worden ist, so muß ich dem entschieden widersprehen. Preußen ift immer gegen innere und äußere Feinde der „rocher de bronze“ gewesen und wir wifsen niht, ob diese Zeit niht einmal wieder- fommen wird. Wir müfsen aber für une in Anspru nehmen, daß wir niemals weder geheim noch ofen der Sozialpolitik Hindernisse in den Weg gelegt haben; die Vorwürfe, die uns in dieser Be- ziehung gemacht worden sind, find unbegründet. Wir sind uns bewußt, daß wir einer gesunden und besonnenen Sozialpolitik stets das Wort geredet und sie tatkräftig unterstüßt haben. Was die Vorlage wegen der Nechtsfähigkeit der Berufsvereine be- trifft, so erinnert sie mich an Maria Stuart, von der es heißt, sie wäre besser gewesen als ihr Ruf. JIch_ will den Ruf der Maria Stuart niht untersuchen, aber ich hoffe, daß die nächste Vorlage besser scin wird als ihr Ruf. Insofern sie in den Grenzen bleibt, die ihr regierungss\eitig geste sind, wird sie einen Grund- stein bilden für eine weitere gesunde Sozialpolitik. Eigent- li handelt es sich um eine Novelle zum Bürgerlihen Geseßbuch. Damit ift \{chon di-e Grenze gezogen, daß es für alle Klassen der Bepölkerung eine geseßlich organisierte Arbeitervertretung einleitet. Wir begrüßen es besonders mit Genugtuung, daß sih auch die arbeit- ebende Bevölkerung bereit erklärt hat, mitzuarbeiten an dem Aus- au der sozialpolitishen Gefezgebung. Insofern wird diese Vorlage von großer Wichtigkeit sein für eine Verständigung zwischen Arbeit- gebern und Arbeitern. Die Regelung dieser Materie hat aller- tings auch ihre großen Schwierigkeiten, namentlich binfihtlih der Stellung der Frauen, Minderjährigen und der Haftpfliht. Wir werden feudia und gern an der Arbeit teilnehmen, aber überstürzen dürfen wir uns im Interefse der Sache niht. Was die Einführung des fogenannten kleinen Befähigungsnachweises betrifft, so sind wir in dieser Frage die Führer gewesen. Wir haben den kleinen Befähigunzs- nahweis zuerst für das Handwerk gefordert und sind immer wieder darauf zurückgekommen. Je mehr Ordnung in das Fe kommt, um so segensreiher wird es fich entwickeln. In der Frage der Ausverkäufe handelt es sich darum, Theorie und Praxis, Ideale und Wirklichkeit in Uebereinstimmung zu bringen. Das ist nicht ganz leiht. Dur die unlauteren Ausverkäufe wird der solide Kaufmann geschädigt, namentlich auch durh die permanenten Nach- \chübe. Einverstanden sind wir auch mit der Feststellung der Arbeits3- eit für die Fabrikarbeiterinnen. Zunächst bandelt es sich darum, die

este der vorigen Session aufzuarbeiten. Ueber die Errichtung von Arbeitskammern ift uns ja ein Gesegentwurf in Aussicht gestellt worden. Was Bismarck von der orientalishen Frage sagte, gilt au hier: Wir müssen etappenweise vorwärts kommen, damit erweisen wir einer besonnenen Sozialpolitik den besten Dienst.

Abg. Hue (Soz.): Der Vonrzedner hat sein Ginverständnis mit den Forderungen der Interpellation ausgesprohen. Ich dachte dabei an das Wort des Staatssekretärs, manche Parteien sähen im Ab- eordnetenhause ganz anders aus. Das gilt nicht nur von den Kon- ervativen, \sondera auch von den Nationalliberalen. Der Staats- sekretär forderte zur Selbständigkeit auf. Da möchte ih den Vor- redner bitten, für ‘die Beseitigung der skandalösen Mißstände im Senftenberger Braunkohlenrevier zu sorgen. Was is bisher geleistet worden auf dem Gebiet der Sozialpolitik ? Wenig genug. 17 Jahre find vergossen, ohne daß die Arbeitervertretungen, die fn dem Februarerla| angekündigt worden sind, zustande gekommen O. Es geht damit, wie mit der Milch des Ochsen: Alle 17 Jahre

ommt ein E Und wie weit find wir auf dem Gebiete des Heimarbeiterschußes? Die Notlage des Mittelftandes be-

streiten wir gar niht, nur daß ihm mit den kleinen Mittelhen überhaupt zu helfen ist. Sehr viele Handwerksmeister, die sich selb- ständig nennen, sind in einer viel \s{hlechteren Lage als manthe besser bezahlten Arbeiter. Studiere man doch die Frage niht vom Standpunkte der Wahlagitation, fondern der Praxis und man wird finden, daß die Klagen über den Niedergang des Handwerks fchon seit den 40er Jahren datieren. Wir haben die Zwangsinnungen und Meisterprüfungen {on früher gehabt, aber was ist mit solchen Handwerkergeseßen erreiht? Die Klagen über die Konkurrenz des Großkapitals wurden immer stärker. Das Gesey über den Befähigungsnahweis in Oesterreih hat nah den allgemeinen Erfahrungen, den Mitteilungen der E usw. voll- ständigen Schiffbruch gelitten. Nach solchen Erfahrungen können Sie es uns wirklih nicht übel nebmen, wenn wir einer Geseße8vorlage über diefe Materie sehr kritisch Seeger. Wir weisen mit aller Entschiedenheit die hier und auch in der Presse gegen uns erhobenen Vorwürfe zurück, als ob wir den Handwerker- stand schädigen wollten. Es ist sogar gesagt worden, wir wollten ihn vernihten. Niht wic wollen das, sondern das Agrariertum tut es. Derjenige, der felbst Handwerker ist, der den Handwerksbetrieb aus seiner Praxis kennt, weiß, daß der Hand- werksmeister von heute in den Industriegegenden höchstens noch Fe lueister ist. Wir -erfüllen einfah eine Pflicht der hrlihkeit, wenn wir dem Handwerkerstand nicht trügerishe Hoff- nungen erwecken. Wie steht der Handwerkerstand selbst dem Be- fähigungsnahweis gegenüber? In den Verhandlungen, die im preußishen Landtage über diese Frage gepflogen sind, ist zu Tage ge- treten, daß von 80 Innungen nur 40 antworteten, in einem anderen Falle von 35 nur 5. Gerade die besser gestellten Handwerksmeister halten sich zurück. Auch das ist ein Zeichen, daß die Handwerker, die über eine höhere Intelligenz verfügen, sch von dem, was Sie vor- \{lagen, nihts versprehen. Sie haben durch Ihre Zollgesezgebung das Halb- und Rohmaterial verteuert und die Ringbildung be- Sago Von den Schneidern, Shuhmachhern usw. können Sie oriwährend Klagen hören, daß ihre Arbeitsmaterialien teurer werden. Die große Masse der {lecht bezahlten Arbeiterschaft geht infolgedessen in die großen Warenhäuser, die billiger ver- kaufen können, und der Handwerksmeister trägt den Schaden. Die Hauptkunden der kleinen Handwerker sind die Unterbeamten. Auch deshalb wäre es gut, wenn man diesen, die nah vielen hundert- tausend Köpfen zählen, eine bessere Besoldung zu teil werden ließe, um ihre Kaufkraft zu erböhen. Wenn jemand Aufbesserung erwarten

darf, so find es die Unterbeamten in der Eisenbahn- und Post-

verwaltung, die für ihre verantwortliße und \{chwierige Tätigkeit lange nicht hoch genug bezahlt werden. Es sollten auch Kapitalien zur Verfügung gestellt werden; vtielleiht stellen die Herren von der nationalliberalen Partei, die ja fehr viele solvente Leute hinter i haben, der Regierung einen Millionenfonds zur Verfügung zu un- verzinslihen Darlehen, zur Beschaffung von Maschinen usw, um den Untergang des Handwerks durch die Fabriken etwas aufzuhalten. Jeder Handwerker sagt: was uns fkaput macht, sind nit die Sozialdemokraten, sondern die großen Kapitalisten. Was den zehnstündigen Arbeitstag anbelangt, so i s{chon im Jahre 1877 eine Enquete veranstaltet, bei der die regierung Erhebungen über die Lage der Arbeiterinnen ansftellte. Als Ergebnis wurde mitgeteilt, daß eine zehn- bis elfstündige effektive Arbeitszeit täglih regelmäßiz wäre. Außerdem seine in der Textilindustrie eine Arbeitszeit bis zu 13 Stunden nicht selten zu sein. Das erfuhren wir 1877 und heute nah 30 Jahren be- rihten die Gewerbeinspektoren über 10-, 11-, 12sündige Arbeits- zeiten; ja in den leßten Gewerbeinspektorenberihten erzählt ein Gewerbeinspektor aus dem Oberelsaß, daß die Arbeiterinnen 13 Stunden arbeiten, ein anderer erzählt, daß sie fozar bis 17 Stunden arbeiten. Das ift das Automobiltempo in unserer Sozialpolitik, über das die Scharfmacher klagen. Derjenige Minister, der noch das meiste Interesse für die Fortführung der Sozialpolitik gezeigt hat, der Staatssekretär des Innern, hat, wie er selbst fagt, niederträhtige Angriffe gegen sich ergehen lassen müfsen. Diese Angriffe sind für die Arbeitershaft wieder einmal ein Beweis, wie im Deutschen Reiche Sozialpolitik getrieben wird. 1877 haben die fozialdemokratishen Abgg. Bebel, Auer und Gen. einen Gesetz- entwurf vorgeschlagen, der den zehnstündigen Arbeitstag für Männer und den achtstündigen für Frauen und Jugendlihe in der Gesamtindustrie vorschrieb. Wenn dieser Vorschlag zu weit ging oder im Augenblick niht annehmbar war, warum ift er denn vom Reichstag einfach in den Papierkorb geworfen ? Dieser Antrag war von neun Zentrumsabgeordneten, darunter von dem Abgeordneten für Crefeld, Reichensperger, unterstüßt worden. Wir müssen unbedingt auf dem Gebiet das Frauenshußzes ein \{chnelleres Tempo einschlagen. Die Zahl der in der Industrie beschäftigten Frauen hat in den leßten Jahren \tark zugenommen, noch stärker aber die TE der Kinder und Mädchen unter 16 Jahren, die. zu industriellen Arbeiten herangezogen werden. Es ift geradezu unhaltbar, daß in der Berg- und HPüttenindustrie, einer der \{chwersten und gefährlichsten Industrien, noch immer etwa 70000 weiblihe Arbeiter beschäftigt werden. Ih ersuhe den Kollegen Trimborn, seinen großen Einfluß auf die obershlesishen Bergwerks- und Hüttenbesiger auszuüben. Wenn diefe die Frauenarbeit abschaffen, dann wird es auch in ganz Deutshland gehen. Die kürzeren Arbeitszeiten von 8 und O haben fich sehr gut bewährt. Sie haben nicht zu einer Verminderung der Produktion geführt. Wir können nichts Besseres tun, als die anständigen Werke, die diese kürzere Arbeitszeit bereits eingeführt haben, gegen die Shmuyß- konkurrenz der anderen Werke zu \hüßen. Der Staatssekretär sprach si für Arbeitskammern aus. Dur das Gesetz für die Landwirtschafts- kammern haben die landwirtshaftlißen Unternehmer eine reine Patercieerlreung bekommen, durch die Handelskammern die Jn- dustriellen. Der Abg. Trimborn hat außerdem im preußishen Land- tage eine Interessenvertretung für die Detaillisten verlangt. Da follte man uns doch wenigstens das Neht einräumen, neben den reinen Unternehmervertretungen auch eine Arbeitervertretung zu haben. Die Frage, ob wir Arbeiterkammern oder Arbeitskammern ein- führen sollen, is nicht eine Frage des Prinzips, fondern eine reine Zweckmäßigkeitsfrage. Warum ist man denn für Arbeitskammern, nicht Arbeiterkammern? Ein hervorragender Kenner der Sozialpolitik hier in diesem Hause, Professor Hitze, sagt, den ersten geseßgeberishen Vorstoß zur Einführung von Arbeitskammern haben die Sozialdemokraten {on 1878 ge- mat. Ich konstatiere dies ausdrücklich. Warum is man auf unseren Vorschlag seinerzeit niht eingegangen? Ging er zu weit, was ja von unseren Vorschlägen immer gesagt wird, so konnte man ihn ja amendieren. Wir haben danach auch wiederholt Arbeitskammern verlangt, aber wir von der Gewerkschaft Haben inzwischen aus den Erfahrungen, die im Inlande und Auslande gena sind, die Ueber- zeugung ges{chöpft, daß es praktischer ift, niht Arbeitskammern, sondecn Arbeiterkammern zu fordern, für die sich der Cölner Gewerkschaft3- kongreß von 1905 mit großer Mehrheit ausgesprochen hat. Ste sehen also, daß die Sozialdemokratie, wenn fe von dem Vorzuge eines anderen Vorschlags überzeugt ist, diesem sehr gern folgt. Die Herren von der freisinnigen Partei brirgen den Antrag auf Arbeitskammern ein, aber die Hirsch-Dunckerschen Gewerkyereine haben stets Arbeiterkammern verlangt. Wenn wir die Stimmen der Arbeiter beachten wollen, so ist unzweifelhaft die Mehrheit der organisierten Arbeiterschaft S für Arbeitskammern, sondern für Arbeiterkammern. Die Theoretiker, vor allem der Professor Martens, wollen natürlich von einer Arbeitervertretung nichts wissen das ist eben

Standpunkt der Theoretiker und Uebermenschen. Dabei muß doch zugegeben werten, daß die Arbeitskammern, wo sie bestehen, ziemlich versagt haben, während z. B. die italienischen Arbeiterkammern sehr segensreih auch nach dem Zeugnis des | fende rio Harms gewirkt haben. Wir verlangen reine Arbeiter- ammern; mit Arbeitskammern is uns nicht gedient. Was das Berufsvereinsgeseßz etrnlh so fand es im Zentrum eine verschiedene Beurteilung: rend der Abg Trimborn es noch zu hüten versuchte, hat es der Abg. Giesberts in Grund und Boden geredet, ein Beweis, daß sich,

Neichs-

wo es sich um praktische Fragen handelt, der Arbeiter mit dem Arbeiter zusammenfindet. Viel wi ger als dieses den kleinlihsten Polizei, geist atmende Geseg is ein einhelllihes freiheitlides Ver, eins- und Dersammlungorese, dann können Sie den Berufsvereing, entwurf ruhig noch einige Jahre im Aktenshranke weiter trockn-y lassen. Auch der Kollege Giesberts hat den gleihen Standpunkt öffentli vertreten. Der Graf Posadowsky sprach bei jener Beratung freilich das \{chlimme Wort aus, es liege im Staatsinteresse, die Unterschiede in der deutschen Arbeiterschaft zu vertiefen. Das läuft praktis hinaus au die systematische Organisation des Verrats in der deutschen Arbeiter, haft. Der neue Kollege Behrens hat ja schon auf die neueste Gründung auf diesem Gebiete, auf die rein konfessionelle Arbeiterorganifation hingewiesen. Die „gelben" Gewerkschaften, die Streikbreherbrüder- schaften, die vom Reichs-Lügenverband begünstigt werden, halte ih für eine der unmoralischsten Schöpfungen, die es gibt, Will man leistungsfähtge Organisationen, welche die Innehaltung der Tarifverträge garantieren, dann darf nichts unternommen werden was die Einheitlichkeit der Arbeiterbewegung irgend stören könnte. Die theoretifchen Sozialpolitiker haben ja dem Entwurf sofort ihren Segen geben wollen; die Arbeiter aber, die praktishen Gewerk schaf1ler jeder Richtung haben sofort herausgefunden, daß dieses Gesey die große leistungsfähige Organisation zershlagen müßte, darum sind fle cinmütig dagegen eingetreten. Der Abschluß von Tarifyerträgen nimmt in raschem Tempo zu ; dieses System muß ausgebaut, gesetz ih gesichert werden, das wird aber durch solche Polizeigeseße geradezu verhindert. Der Abg. Behrens und heute der Abg. Henning werfen uns immer unsere Unfruchtbarkeit vor und reden in einem Atem dabei immer wieder von den freien Gewerkschaften, Diese haben 1905 allein für Rechts\chuß über 1 Mill, für Gemaßregelte über 2 Mill., für Neiseunterstüßungen 6 Mill, für Arbeitslosenunterstüßungen 10, für Keankenuntérstützunen 9 Millionen ausgegeben! Die für diese bumanitären Zwecke geleisteten Unterstüßungen betragen allein 34 Mil, lionen ; im ganzen aber haben die Gewerkschaften in einem Jahre für folche Zwecke niht weniger als 52 Millionen ausgegeben ! gr die Aufdeckung sozialer Mißstände, sür die Beseitigung folher Miß- stände haben die Gewerkschaften Erstaunlihes geleistet; fie haben fich nicht auf den Staat verlassen, sie haben auch keine Zölle oder die Einführung von Kulis verlangt, sondern sie haben bst die Initiative ergriffen, und es wäre ein seltsam-ex Effekt der Neuwahl, der neuen Aera der Sozialpolitik, wenn hier ein Gefeß angenommen würde, das diese Organisation zer- {lägt und ihre Leistungen aufhebt. Man rechnet auf die „nationalen“, auf die christlihen Gewerkschaften. Die- jenigen, die den Gewerkschaften terroristishe Tendenzen ' vorwerfen, sollen erst einmal vor ihrer eigenen Tür kehren. Die Herren Unter- nehmer terrorisieren nicht nur uns, die Gemwerk\chaftsmitglieder, sondern auch ihre eigenen Beamten, Ich bin zufällig im Befiße eines vertraulichen e eines Schreibens deg Vor- standes des Oberschlesishen Berg- und Hüttenmännish:en Vereins, wodurch die Beamten zum Austritt aus gewissen Organisationen ge- ¿wungen werden, ganz ähnlih, wie es die Reeder in Hamburg ihren eigenen Kapitänen gegenüber betrieben haben. Aelt, nlihes kanx man weder den sf\reizn, noch den cristlihen, noch den Hirsh-Dunckershen Gewerksh3ften nahweisen. Innerhalb der Arbeitershaft muß das Ziel die Einheit sein; einheitliG muß das Unternehmertum bekämpft werden. Und wir kommen dahin, wir gelangen zu dieser einheitlihen Organisation! Der heutige Abg. von Liebert denkt über die christlihen Gewerkschaften genan ebenso wie von den Sozialdemokraten ; predigen genau ebenso den Klassenkampf, {reibt er, wie diefe. Aehnlicke Beispiele lafsea sfih aus den Kreisen des Untern-hmertums noch zahlreich anführen. Unser Ziel in der Arbeitershaft muß diesen Bestrebungen gegenüber auf die Einheitlichkeit gerihtet sein; der Streit um die Weltanschauung kann nicht innerhalb der Organisationea ausgefochten werden. Wir Sozialdemokraten find durhaus zur Mit- arbeit an einer guten Soztalgeseßgebung bereit; legen Sie uns nur gute Entwürfe vor! Die bürgerlichen Parteien haben ja hier stets die Mehrheit gehabt ; aber gesehen ist nihts, wenn nicht die Arbeiterscha

es forderte und die Sozialdemokratie der Forderung Nachzruck ga

Wir wollen einen konzentrishen Angriff gegen die Scharfmacher und gegen die Parteten, die sich hier anders geben als in den Landtagen. Ist es Ihnen Ernst mit der Sozialreform, an uns wird es nitt fehlen. Wir werden in einem Tempo arbeiten, daß Sie erfiaunt sein werden. Wir wollen das Zusammenfafsen der Kräfte nah dem Worte: Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr! Erfüllen Sie die Versprehungen, die Sie dem Volke gegeben haben!

Abg. Bruhn (D. Rfp.): Keine Partei hat \o viel versprochen wie die Sozialdemokratie, auf das Halten kommt es ihr aber nit an, sondern nur auf die Stimmen der Wähler. Wir stehen nach wie vor auf dem Standpunkte, daß nur der allgemeine Befähigung nachweis dem Handwerk wirklih helfen kann. Hätte das Zentrum den Abg. Euler seinerzeit nicht im Stiche gelassen, so wären wir jeßt weiter. Große Gruppen im Handwerk, wie Schlosser und Schmiede, laffen \sich wohl vereinigen, um den Befähigungsnahweis für fie einzuführen. Wir müssen dem Großkapital sagen: Bis hierher und niht weiter! Einstweilen müssen wir uns mit dem kleinen De- fähigungsnahweis begnügen. Oesterrelch hat damit die besten Er- fahrungen gemaht und das Handwerk will ihn dort niht miffen. Man sagt uns, wir möchten uns doch zufrieden geben und nit reien. Nun, die Börse sollte au lieber ihr Geseires laffen ; aber das tut sie nit. Darum soll man es uns nicht verdenken, wenn wir immer wieder auf die s{chlechte Lage des Handwerks hinweisen. Man mache doch wenigstens den Versuch, das Handwerk aus den Fe eln des Pren zu befreien. Das Handwerk hat seine

nsiht niht geändert. Der Beshluß in Cöln ift nur uk eigen- artige Umstände zu stande gekommen. (Zwischenruf: Jacobs- Fötterl)) Ja, der bat {on oft seine Anshauungen geändert ; bet der Mehrheit ist das niht der Fall. Unser deut'ches Volk hät den Drang, selbständig zu werden und seinen Fleiß, feine Intelligenz zu betätigen. Die großen Warenhäuser erschweren es ihnen. Im Westen Berlins ist ein neues Kaufhaus entstanden. Wertheim hat nun seine Handwerksmeister aufgefordert, für dies Haus nicht zu arbeiten. Ein ame weigerte ih dessen, worauf ihm Wertheim zu Weihnachten seine Aufträge entzog. Wenn das so weiter geht, so muß der Hand- werker um jede Selbständigkeit kommen und ruiniert werden. L müssen geseßlihe Maßnahmen getroffen werden, um das unmögli zu machen. Ueber den kleinen Befähigungsnahweis hat der Staatb- sekretär ih heute nicht so entgegenkommend ausgesprohen wie früher. Gs fommt doch nicht darauf an, daß das Publikum nicht in ein unreelles Geshäft geht, denn vielfah kann es gar nicht unter- scheiden, ob das Geschäft solid ift oder nicht, sondern darauf daß das folide Geschäft gegen unlautere Konkurrenz ges{chüht wird. Sie wiffsen wohl, wie & im Kaufhaus Sonntag zugegangen Œs wurden Blusen im Werte bis zu 100 6 angeboten für 19,50 4 ; als die Leute aber darauf bestanden, diese Blufen u diesem Preise zu bekommen, wurden fie einfah hinausgeshmifsen

Den Forderungen auf Einführung der Nechtsfähigkeit der Berufs vereine, auf einen Maximalarbeitstag für Arbeiterinnen und auf & E Mprund von Arbeitskammern stimmen wir zu. Wenn den Lan arbeitern bessere Löhne gezahlt werden sollen, go müßten die Unter- nehmer in die Lage verseßt werden, ihnen bessere Löhne zahlen fönnen, die Landwirtschaft einträglich zu gea ee de nicht Grundbesißer, aber so \{chlecht ist die Lage der ug arbeiter nicht, wie man sie hinstellt, Die Wohnungen müssen werden, von Schweineställen im allgemeinen kann man aber nicht fpre

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

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M 63.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

die Landwirtschaft einträglih, \o kann auch die Arbeits- zeit der Arbeiter verkürzt werden, dann wird auch die Leute- not vershwinden. Der Kollege Mugdan hat den Landarbeitern das Koalitionsreht geben wollen, darauf kommt es niht an, sondern auf die Verbesserung der Lage der Landwirtschaft. Der Abg. Mugdan, gegen den ih sonst ja nichts habe, muß hier seine Ansichten korrigieren ; wir gehören ja jeßt zum nationalen Block. Wollten wir heute den Landarbeitern das Koalitionsredt einräumen, so käme das darauf hinaus, die Landarbeiter den Sozialdemokraten a auszu- liefern. Darum sind wir nicht für jenen Vorschlag, die Verhältnisse in der Landwirtschaft sind doch ganz anders als in der Industrie denken Sie nur an die Zeit der Ernte —, glaubt etwa der Abg. Mugdan, die Landarbeiter würden auf den Winter warten, um zu ftreiken ? Der Terrorismus der Sozialdemokratie ist kein Märchen, wie die Genossen behaupten, sonden eine. gerihtskundige Tatsache. Die Ni:derlage der Sozialdemokratie bei den Wahlen wäre noch viel niedershmetternder gewesen, wenn eine rihtige Mittelstandsparole von der Regierung ausgegeben worden wäre.

Hierauf wird die weitere Besprehung der Jnterpellation

abgebrochen.

Eingegangen isst eine Jnterpellatiion der Polen Abg. Seyda u. Gen.), betreffend die Ausweisung von Sulern in den polnischen Landesteilen. : y

Vizepräsident Dr. Paasthe schlägt vor, die nähste Sißung am Montag 2 Uhr abzuhalten und auf die Tages- ordnung die Jnterpellationen, betreffend die Reform der Straf- prozeßordnung, sodann diejenige, betreffend die Beeinflussungen bei den lezten Wahlen, und endlih diejenige wegen der Ver- hältnisse der Privatangestellten zu seßen. i

Auf den Antrag des Abg. Korfant y (Pole), dem sich die Abgg. Dr. Wiemer (fr. Volksp.), Liebermann. von Sonnenberg (wirtsch. Vgg.) und Singer (Soz.) an- \hließen, wird die Fortseßung der eben abgebrochenen Be- sprechung, zu welher noch sieben Redner gemeldet sind, mit sehr großer Mehrheit als erster Gegenstand auf die Montags- tagesordnung geseßt.

Schluß gegen 31/3 Uhr. (Jnterpellationen.)

Nächste Sizung Montag 2 Uhr.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 30. Sißung vom 9. März 1907, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sizung is in der vorgestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden. :

Das Haus seht die Beratung des Etats der Eisen- dahnverwaltung, und zwar die Besprehung der Zug- verbindungen, fort.

Abg. von Veltheim-Sch{chönfließ (konf.) wünschbt Ausdehnung des Vorortverkehrs über Tegel bis Velten mit Rücksicht auf das dortige Töpfereigewerbe, das feinen Absay auss{ließlich in Berlin habe. Der vorige Minister habe sich in dieser Angelegenheit sehr wohlwollend geäußert.

Minister der öffentlihen Arbeiten Breitenba h:

Meine Herren ! ortsverkehrs mit Velten ebenso wohlwollend gegenüber wie mein Amtsvorgänger und werde bemüht sein, sie zu einem guten Ende zu führen. Die Veihandlungen zwischen den Ressorts über die Durch- führung dec Maßnahme sind noch in der Schwebe, es ist auch noch niht festgestellt worden, in wieweit die Gemeinden etwa bereit sein werden, zu den sehr erheblihen Kosten einen Beitrag zu leisten. Aber die Frage ist nicht. sistiert, sondern ihr wird Fortgang gegeben werden.

Abg. Eichstädt (freikons.) bittet um bessere Verbindungen für die Stadt Mewe bei Martenwerder. L E

Abg. F ranken (nl.) wünscht, daß die D-Züge zwischen Duisburg und Dortmund mehr über Altenessen und Gelsenkirchen geführt würden, während sie jeßt fast aus\{ließlich über Essen führen. i

Abg. Zieshóé (Zentr.) tritt für den Ausbau der Strecke Schweid- nig—Zobten—Breslau zum Vollbahnbetrieb ein. Ferner habe ein Zug von Breélau über Sommerfeld nah Berlin in Sommerfeld wegen Rangierungen 13 Minuten Aufenthalt, dies ließe fih ver- meiden, und der Zug könnte dann in Breslau 10 Minuten später abgelassen werden.

Abg. Bahmann (nl): Das Schnellzugspaar, das dazu bestimmt war, eine s{nellere Verbindung zwischen Hamburg und dem westlichen Teile der Provinz Schletwig- Holstein herzuslellen, geht nur bis Husum, sodaß der Kreis Tondern, mein Wahlkreis, unberück- fichtigt blieb. Bestätigt sh die durch die Zeitungen gehende Nah- rit, daß das Schnellzugé paar bis Tondern durchgeführt werden soll, und zwar so, daß der von Tondern- etwa um 8 Uhr abgehende Zug Hamburg an die von dort abgehenden bedeutenderen Züge anschließt, fo würde dies in meinem Wahlkreise mit großer Freude begrüßt werden, xamentlich wenn auch noch auf allen nah Tondern führenden Bahnen die Frühzüge so früh gelezt werden, daß sie Anschluß an den ge-

nannten Schnellzug finden. Außerdem wünscht der Redner noch die Herstellung besserer Verbindungen zwischen dem Osten und dem Westen |

der Provinz, insbesondere im Norden und dort au die Her- stellung besserer Verbindungen zwishen den cinzelnen an Neben- chnen derselben Hauptbahn liegenden Städten, z. B. Hadersleben und penrade.

Nbg. von Baumbach (kons.) bittet, die großen Schnelzüge }

zwishen Frankfurt und Cassel auch in Treysa halten zu lassen; die Bewohner hätten darum petitioniert, Landrat und Kreisaus\{huß hätten ih dafür ausgesprochen. emer empfiehlt der Redner die Herstellung besserer Anschlüsse von Cassel nah Homberg. 5

Abg. Freiherr von Bodenhausen (fkon!.) wüns{ht bessere Schnellzugsverbindungen seines Wahlkreises Schweiniß-Wittenberg nah Berlin und München und befünwortet, daß die nah Dresden fahrenden Schnellzüge nicht so oft halten möhten ._ Abg. Metger (nl.) ersuht um eine Haltestelle für die Swnell- jo in Sörup, um einen Spätzug von Flensburg nah Süderbrarup owie um einen Badezug Berlin— Lübeck—Flensburg bis Hoyerschleuse a endlih um die Revision der Bestimmungen über die Sonntags- arten.

Abg. Dr. Volt (nl.) wünscht Verbesserung der Schnellzugs- berbindungen von Obbrfhlesten nach Berlin, namentlich komme der Zug früh in Berlin {on um #6 Uhr an, zu einer Zeit, wo man weder geschäftlihe Angelegenheiten besorgén, noch Anschluß zur

Ich stehe der Frage der Einführung des Vor- |

Zweite Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußishen Staatsanzeiger.

1907.

Berlin, Montag, den 11. März

und Berlin würde genügende Abhilfe s{hafen. Ferner wünscht der Redner bessere Verbindungen zwischen Gleiwiß und Kattowitz sowohl über Zabrze wie über Beuthen und Königshütte und direkte Ver- bindungen für die beiden leßtgenannten Städte. Endlich müsse aus dem obershlesishen Industriebezirk die Verbindung nah dem Beskiden- gebirge auf der Kaifer-Ferdinand-Nordbahn eingerihtet werden, denn man müsse jeßt auf der Grenzstation über eine Stunde auf den An- {luß an diese Bahn warten. Außerdem unterstüße er den vom Abg. Junghenn geäußerten Wunsch, daß seine Vaterstadt Hanau Haltepunkt für die zwei Hauptschnellzüge zwischen Frankfurt und Berlin und umgekehrt werde.

Abg. L üdicke (fr. konf.): Seit Jahrzehnten werden lebhafte Wünsche geäußert für Ausdehnung des Vorortverkehrs von Berlin über Tegel nah Velten. Die Eisenbahnverwaltung hat das abhängig gemacht von der finanziellen Beteiligung der daran beteiligten Gemeinden ; Belten is aber vorläufig finanziell zu {chwach dazu. Man muß doch aber bedenken, - wie sich der Verkehr nach Berlin dadur heben würde. Auch für die Strecke Berlin—Lehrte is eine Ausdehnung des Vorortverkehrs bis Döberiß sehr am Platze. Ein Stieskind der Eisenbahnverwaltung ist Spandau. Ih will nicht so weit gehen in meinen Wünschen, daß etwa alle D-Züge dort halten, wie es in Potsdam geschieht, aber hin und her könnte den Spandauern doh wohl etn D-Bug zur Verfügung stehen. Spandau muß auch gleich den anderen Einbruchs\stationen des Vorortverkehrs von Berlin, wie Wannsee, Fürstenwalde, Nauen, Oranienburg 2c. zu einer solchen Station erklärt werden, sodaß man dort in Schnell- und D-Züge übergehen kann. S '

Abg. von Bülow-Homburg (nl.) wünscht bessere Verbindung zwishen Frankfurt a. M. und Homburg und zwishen den Städten Friedberg und Homburg. :

__ Abg. vonSchubert (Hospitant der Natlib.) weist darauf hin, daß in starken Industriegegenden, wie im Saarrevier, es au im sozial- politishen Interesse läge, wenn die Arbeiter bei ihren Fahrten von der A nach der Arbeits\tätte recht günstige Fahrverbindungen hälten. Diese Arbeiter besäßen zumeist eigenes Land, dadur würde das Heimatsgefühl in ihnen gestärkt und ihr Wohlstand gefördert ; aber es müsse thnen dafür auch der Zugang zu der Arbeitsstätte so leiht wie möglich gemacht werden. In Neunkirchen z. B. müßten die Arbeiter beim Umsteigen eine halbe Stunde warten. Cine Petition an die Eisenbahndirektion in Saarbrücken sei deshalb unter- wegs, und der Verkehrsminister möge das Seinige zu einer günstigen Entscheidung beitragen.

Abg. Dr. Fervers (Zentr.) wünscht, daß die nörtlihe Rhein- provinz, besonders die Stadt Düsseldorf, besseren und direkten Verkehr mit Süddeutschland erhalte.

Abg. Dr. Lotichius (nl.) befürwortet einen neuen Zug auf der Strecke Niederlahnstein St. Goarshausen Wiesbaden—Homburg und einen neuen Blißzug zwischen Berlin—Frankfurt a. M., der von Berlin resp. Frankfurt Vormittags £10 Uhr etwa abfährt. -

Abg. Bartling (nl.) dankt dem Minister für die verschiedenen neuen Einrichtungen, die im Anshluß an den neuen Bahnhof in Wiesbaden getroffen sind, namentlih dafür, daß die Schnellzüge von Cöln na Frankfurt über Wiesbaden geführt werden. Eine Stadt wie Wiesbaden mit 150000 Einwohnern und einem Fremden- verkehr von 140 000 Personen könne man nicht vom durhgehenden Weltverkehr aus\{hließen.

Abg. Gerhardus (Zenir.) wünscht eine zwishen dem Westerwald und dem Taunus.

Abg. von Wentzel-Belencin eons empfiehlt bessere Verbindung für die Stadt Meseriß durch bessere Anschlüsse in Bentshen und Landsberg. Ein Zug zwishen Warshau und Berlin möge über Bentschen fahren. Wenn man von Breslau über Lissa nah Bentschen fahre, müsse man in Lissa stundenlang warten. Er habe gehört, daß die Shmuckanlagen bei dem Bahnhof Lissa heruntergeshlagen werden follten, um Arbeiterwohnhäufern Plaß zu machen. Er bitte den Minister, dies zu verhindern. Schließlih wünscht der Redner einen Frühschnellzug von Posen nach Berlin. :

Abg. Hoeveler (Zentr.) unterstüßt den {on geäußerten Wunsch von Verbesserungen auf der Linie Hamm—Osterfeld—Cre- feld—Aachen und wünscht Anschluß für die Kreise Mörs und Geldern an das Nuhrgebict sowie weiter Schnellzüge auf den Linien Barmen— Crefeld und Düsseldorf— Crefeld. I

Abg. Wolff- Lissa (fr. Vgg) wünscht Schnellzüge von Lissa

kürzere Verbindung

| über Bentschen nah Berlin, da die jeßige Fahrt über Sagan 40 Kilo-

meter länger fet. j

Abg. Klausener (Zentr.) empfiehlt eine Verbesserung des Lokal- verkehrs für Aachen. i

Abg. Dr. Faßbender (Zentr.) tritt für die Einrichtung einer Schnellzugshaltestelle auf der Station Lipla der Strecke Cöln Euskirchen ein und begründet diefe Forderung mit der ausgedehnten Industrie und den an den verschiedenen Kreisbahnen gelegenen Ort- schaften, sowie den Interessen der zahlreihen Geschäftsleute, die mit dem Braunkohlensyndikat in Verbindung stehen. L

Abg. Cahensly (Zentr.) wünscht eine vermehrte Schnellzugs- verbindung auf der Strecke Limburg—Frankfurt a. M,, befonders für die Teilstrecke Ntedernhausen—Frankfurt a. M., sowie eine Schnell- zugsverbindung Limburg—Frankfurt und zurück, die den Ausbau eines zweiten Gleises erforderlih machen würde. Auch beklagt er den Mangel an Verbindungen auf der Strecke Limburg—Niedern- hausen zu der Hauptstadt des Negierungsbezirks Wiesbaden. Die hessishe Ludwigsbahn habe früher einen eigenen durhgehenden Wagen geführt, während man jeßt immer umsteigen müsse.

Abg. von Böhlendorff - Kölpin (kons.): Mit dem internatio- nalen Fahrplan sieht es bei dem Verkehr zwishen uns und Italien sehr traurig aus. Wenn man z. B. von Genua nah Basel fahren will und in Mailand ankommt, so sagt einem kein Mensch darüber Bescheid, sondern man hört höchstens durch Zufall, daß man dort in einen anderen Zug umsteigen muß. Was dabei aus dem aufgegebenen Passagiergevyäck wird, weiß man niht. An der Grenge muß man auf das Gepäk warten und übernachten oder kann, wenn man weiter reisen will, bei der Zollabfertigung des Gepäcks niht zugegen fein. Unsere Vertreter sollten bet ter nächsten internationalen Fahrplan- konferenz deshalb recht deutlich mit den italienischen Vertretern sprechen. Auch unsere Schiffsanschlüsse in Genua müssen dabei be- \sprochen werden. Unsere ostasiatishe Linie erfährt wenig Rücksicht- nabme in Genua, Um 8 Uhr Abends wird das Schiff nicht mehr in den Hafen gelassen, so daß die Post sich um einen ganzen Ta( verzögert, und die Reisenden keinen Zug mehr erreihen können. F bitte den Minister um sorgsame Prüfung diefer Beschwerde.

Abg. Mar cour (Zentr.) tritt für eine bessere Schnellzugsberbindung von Koblenz über Güsten nah Berlin ein und wünscht, daß der Zug zwischen dem Niederrhein und München in Chrenbreitenstetn halten möge, daß ein Schnellzug oder wenigstens ein beshleunigter Personen- zug zwishen Duieburg und Crefeld eingerihtet und die Verbindungen zwishen Cöln und Kleve verbessert werden.

Abg. Dr. Glattfelter (Zentr.) wünscht bessere Verbindungen

für Saarlouis. Minister der öffentlihen Arbeiten Breitenbach:

Meine Herren! Eine große Fülle von Wünschen für die Ver- besserung und Ergänzung des Fahrplans ist an mich herangetreten.

eiterreise bekommen könne, sodaß man immer auf einige Stunden in das Hotel gehen müsse. Gin neues Zugpaar zwishen Sommerfeld

Jch bin den Herren außerordentlich dankbar, daß sie so reiches

Material hier zusammengetragen haben, und kann die Versicherung abgeben, daß wir das Material nach allen Nichtungen prüfen und sichten werden. Jh glaube aber hinzufügen zu dürfen und das bobe Haus wird aus der Vergangenheit dieser Versiherung Glauben schenken dürfen —, daß sich vieles im Laufe der Jahre verwirklichen wird. Dafür sprechen ja auch die Anerkennungen, die der Staats- eifenbahnverwaltung von den Herren Vorrednern in so reihem Maße zuteil geworden sind.

Damit schließt die Debatte.

Das Haus geht zu den dauernden Ausgaben über und diskutiert zunächst über die Titel der Beamtenbesoldungen.

Hierzu beantragt der Abg. Trimborn (Zentr.):

„die Regierung zu ersuchen, die noch vorhandenen Eisen- bahnbetrieb gfetoe täre in die Klasse der Bahnhofs-, Güter- und Kassenvorfleher zu überführen oder sie in Rang und Gehalt denselben vom Etatsjahr 1907 ab gleihzustellen.“

Die Abgg. Kopsch (fr. Volksp.) und Ernst (fr. Vgg.) beantragen :

„die Regierung zu ersuchen, ihr Einverständnis dahin auszu- sprechen, daß bis zur dritten Beratung des Etats das Gehalt der Lokomotivführer derart festgestellt wird, daß das Anfangsgehalt 1500 Æ, das Endgehalt 2500 M beträgt und die bisherigen Dienst- alters\ftufen beibehalten werden.“

Dem Etat ist eine Denkschrift über die Ergänzung der Verwaltungsordnung für die Staatseisenbahnen beigegeben. Danach sollen die bisherigen beiden ständigen Oberräte bei den Eisenbahndirektionen in größerem Umfange mit der ver- tretungsweisen Wahrnehmung von Präsidialbefugnissen in Einzelgeschäften betraut werden. Um die Oberräte in den laufenden Dezernatsgeschäften zu entlasten, sollen deshalb 14 neue Oberregierungs- und Oberbauräte eingestellt werden, sodaß statt der bisherigen 48 Oberräte künftig 62 Oberräte für die 21 Eisenbahndirektionen zur Verfügung stehen. Ferner soll für die gemeinsamen Angclegenheiten für den ganzen Staats- bahnbereich, die bisher von einzelnen Direktionen, namentlich von der Eisenbahndirektion in Berlin neben ihren örtlichen Aufgaben verwaltet wurden, eine neue Behörde mit der Be- zeihnung „Königlihes Eisenbahnzentralamt“ eingerichtet werden, das sih besonders mit den Betriebsmitteln, Oberbau, Sicherheitseinrihtungen, Verbesserungen der Anlagen, Betriebs- materialien, Wohlfahrtseinrihtungen usw. beschäftigen soll.

Berichterstatter Abg. Sch mieding refertert über die Kommissionss verhandlungen über die im Etat enthaltene Aufbesserung von Be- amten und die Steigerung der Whne; in der Kommission habe man die Ansicht ausgesprochen, daß eine Neuregelung aller Beamtengehälter eintreten müsse.

Abz. Bockelberg (kons.): Es erfüllt uns mit ernsten Sorgen, ob es dem Eisenbahnminisier auch in Zukunft gelingen wird, die Eisen- bahnbeamtenschaft so straf in der Organisation zu erhalten, wie das bisher der Fall war. Sie wissen, daß bei einer so großen Zahl von Beamten auch einige faule Elemente vertreten sind. Man sollte bei der Eisenbahnverwaltung immer nur von einem Elitekorps sprechen. Es werden tatsählich allerdings große Ansprüche an die Pflicht- treue der Eisenbahnbeamten gestellt, denn jede Unpünktlichkeit und Gewissenlosigkeit macht \sich für die Sicherheit der Neisenden in bedenklihster Weise geltend. Wir find aber bereit, dem Minister alle Mittel zu gewähren, die er verlangen muß, um die Be- rufsfreudigkeit der Eisenbahnbeamten zu erhalten; wir \chrecken auch vor den großen Ziffern des Etats nicht zurück; wir freuen uns Joan daß es dem Minister gelungen ist, solhe Verbesserungen einstellen zu können. Auf der anderen Seite hoffen wir, daß es nicht gelingen wird, die Unzufriedenheit in der Beamtenschaft der Eisenbahn zu s{chüren, und daß der Minister sich seinem Vorgänger stets anschließen wid, der erklärt hatte, daß er allen sozialdemokratischen Bestrebungen auf das energishste entgegentreten würde. Den aus dem Hause gestellt-n Anträgen auf Aufbesserung einzelner Beamten- kategorien noch vor der geplanten allgemeinen Neuregelung aller Beamtengehälter können wir aber unsere Zustimmung nicht geben, denn wir würden eine Ungerechtigkeit in dieser Bevorzugung einzelner Kategorien erblick:n. Die geplante Ergänzung der Verwaltungs- ordnung sehen wir nach den Auseinandersezungen des Ministers darüber als keine mehanische, sondern als eine richtige Maßregel an ; wir bewilligen gern die geforderten Stellen der Oberräte. Ich hälte auch das Zentralamt für eine praktishe Maßregel und teile nicht die Befürchtungen, M es in unheilvoller Weise in die Geschäfte der Direktionen eingreifen könnte. Mit der Ergänzung der Verwaltungs- ordnung scheint der Minister einen glücklihen Griff gemacht zu haben.

Abg. Trimborn (Zentr.): Die Eisenbahnbetriebssekretäre befinden fich innerhalb der Beamtenschaft in etner anormalen Lage. Sie sind gezenüber den Eisenbahnsekretären hinsihtlih des Gehalts, der dienst- lihen Stellung und der Beschäftigungsart zurückgeseßt, troßdem sie zum Teil aus diesen h:rvorgegangen, ja sogar zum Teil ihre Schüler find. Wenn auch diese Beamtenkategorie der Eisenbahnbetriebs- sekretäre auf dem Ausfterbeetazt steht, so sind wir doch der Meinung, daß hier etwas geshehen muß, und hat ja auch das Haus, das \ich mit der Frage seit 1897 beschäftigt, zuleßt einen dahingehenden Antrag einstimmig angenommen.

Minister der öffentlichen Arbeiten Breitenbach:

Meine Herren! Der Antrag des Herrn Abg. Trimborn bezieht sih auf 2215 Beamte, davon 2109 nihttechnische und 106 tehnische. Ursprünglich, im Jahre 1894, waren es 6580 Betriebssekretäre; auf diese Zahl ist also die Gefamtzahl zurückgegangen. Ich kann nit leugnen, daß die historische Entwicklung der gegenwärtigen Stellung der Betriebssekretäre dafür \priht, dieser Beamtenklafse Entgegen- kommen zu zeigen; ih stehe den Bestrebungen sympathisch gegenüber (Bravo !), und ih werde bet der Gesamtregelung der Gehälter unserer Beamten, soweit sie noch nit berücktsihtigt find, mich für etne Befser- stellung der Betriebssektetäre erwärmen. Ueber die Art und Weise, wie dies zu geschehen haben wird, vermag ich mich heute noch nit auszusprechen.

Ih möchte aber doch empfehlen, meine Herren, niht darauf zu bestehen, daß die Betriebösekretäre bereits im Jahre 1907 berücksichtigt werden. Meine Herren, ich erlaubte mir neulich bereits, darauf hin- zuweisen, daß die Gesamtregelung der Gehälter für das Etatsjahr 1907 fast auss{chließlich Beamte des äußeren Betriebsdienstes in \{chwierigen Stellungen betrifft. Wenn wir jeßt die Betriebssekretäre berausgreifen würden, dann würden wir eine große Zahl von Be- rufungen heraufbeshwören, die gar niht abzuweisen wären. Also ih meine, man sollte sich gedulden, bis die allgemeine Gehaltsregelung

durhgeführt wird.