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kreise diesen Geschäften | heranzieh will. Arbeiterkreise zu \ iten Oanr en
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Alle diese Einzelheiten können aber Verzögerung der Refe erklären. Das retardierende Moment, welches in der -Anregung des Or. Adickes liegt, man müsse zuvor noch die englische Rechtspflege studieren, kann niht dahin führen, daß noch länger an dem überlebten Schematismus in der Strafprozeßordnung festgehalten wird, dieser Schematismus kann {hon vorher eiae werden. Ein solher Schematismus liegt auch in der Gerichts- verfassung vor. Kollegialgerihte brauchen „wir gewiß, aber das größere Kollegialgeriht brauht deswegen noch nit besser zu sein als das kleinere. Worauf es ankommt, ist eine tüchtige und schnelle Rechtspflege. Mit der Größe der Gerichte darf man nit über ein bestimmtes Maß hinausgehen, wenn man dem einzelnen Richter nicht das Gefühl der Verantwortlichkeit nehmen will. Die Strafprozeß- ordnung ist besonders reformbedürftig ; fe muß in modernem Sinne, wie es uns zugesichert worden ift, ausgestaltet werden.
Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:
Meine Herren! . Es wäre nicht richtig, wollte ih leugnen, daß seit dem Tage, als das Reichsjustizamt von neuem die Vorarbeiten für die Strafprozeßreform wieder in die Hand nahm, bis zu den erften Ergebnissen dieser Vorarbeiten längere Zeit verflossen ist, als das hohe Haus erwarten durfte. Jh darf hinzufügen, längere Zeit, als wir im Reichsjustizamt selbst angenommen haben. (Hört! Hört!)
Meine Herren, wir im Retichsjustizamt sind mit der Straf- prozeßordnung seit langer Zeit so eng verbunden, daß fih daraus für uns von selbst das Verlangen ergibt, möglichst bald zu einem Abschluß dieser {on alzulange \sich hinziehenden Reform zu kommen. Aber auf der anderen Seite wäre es auch niht richtig, anzunehmen, daß bei der Verzögerung, die in den Vorarbeiten leider eingetreten ist, Erwägungen oder Umstände maßgebend mitgewirkt hätten, die niht in der Sache begründet wären, daß, wie man vielleiht aus den Worten des ersten Herrn JInter- pellanten annehmen könnte, finanzielle Bedenken entsheidend ins Ge- wicht gefallen wären, oder daß bei irgend einer Bundesregierung oder bei ‘irgend einer Instanz einer der hohen Regierungen das Bestreben obwaltete, die ganze Neform auf Nimmerwiedersehen zu verschieben. Meine Herren; das ift nicht der Fall und ih werde mir erlauben, über die Phasen während der legten Entwicklung der Reformfrage Ihnen einige nähere Mitteilungen zu machen, die Sie erkennen lassen, worin die Verzögerungen beruhten, und die Sie vielleiht au be- stimmen werden, ein milderes Urteil „denjenigen Instanzen gegenüber zu fällen, die bei den Vorarbeiten solange zu einem weiteren Fort- schritt noch nicht hatten gelangen können.
Was den Herrn Reichskanzler bit, meine Herren, so hat er jeßt, nachdem die Königlich preußische Regierung mit thren exsten grundsäßlichen Entschließungen über die Reform zum Ziele gekommen ift, den bestimmten Willen ausgesprochen, daß die Reform mit allen Mitteln von seiten der Neichsverwaltung fortgeführt werden folle, und er hat mir den ausdrüdcklihen Auftrag gegeben , diese seine Stellung hier im Reichstage zum Ausdruck zu bringen.
Nun, meine Herren, erinnern Sie {G — und die beiden Herren JInterpellanten haben ja auch den Umstand {on berührt —, daß wir nah Wiederaufnahme der Reform zunähst eine Kommission berufen hatten, die den Auftrag erhielt, alle wihtigeren, hier in Betracht kommenden Fragen zu prüfen. Diese Arbeiten der Kommission haben zwei Jahre in Anspruch genommen und diese beiden Jahre, meine Herren, müssen Sie billigerweise von dem Schuldkonto der Re- gierungen doch abshreiben; denn daß vor dem Abs{luß dieser Arbeiten die Negierungen ihrerseits zu den wichtigsten Problemen niht Stellung nehmen konnten, liegt auf der Hand. Als die Kommi!sfion mit ihren Beschlüssen fertig war, haben wir niht versäumt, sofort die Ver- handlungen und thre Resultate in vollem Umfange der Oeffentlichkeit zugänglich zu machen.
Die Vorschläge der Kommission haben nun in der Oeffentlichkeit eine Beurteilung gefunden, die an sih wohl geeignet war, den Fort- gang der Reformbemühungen zu verzögern. Die Vorschläge der Kommisfion, die von den beiden Herren Interpellanten hier, wenigstens im großen und ganzen, lobend anerkannt wurden, nah meiner Ansicht mit vollem Rechte, find in der Oeffentlichkeit anfänglih fo vielen Anfeindungen begegnet, daß die Regierungen stußig werden konnten und jedenfalls zunächft die Frage prüfen mußten, ob denn die Kritik die an die Kommissionsvorscläge gelegt wurde, in der Tat berechtigt sei? Aber es wurden darüber hinaus und in Verbindung damit auch Forderungen gestellt, alsbald {hon in den ersten Monaten, nachdem die Verhandlungen der Kommission veröffentliht worden waren, Forderungen auf eine Ausgeftaltung des Strafprozesses, die den Regierungen die Frage nahe legen konnte, ob angesfihts solcher Strömungen im Volke über- haupt die Zeit gekommen fei, an die Strafprozeßreform ernstlich heranzutreten. Denn, meine Herren, wenn wir eine Reform baben werden, werden wir fie nur haben auf einem Wege vorsihtigen Maß- haltens, wie ibn die Strafprozeßkommission gegangen ift, nicht aber auf dem Wege ftürmisher Sedanken, die eine Umgestaltung unseres Prozesses bedingen, wie sie, glaube ich, die Mehrheit dieses Hauses niemals bewilligen wird.
Nun, meine Herren, wir haben im Reichsjustizamt uns durch diese kritishen Beanstandungen nicht abhalten lafsen, die Sache weiter zu betreiben. Wir haben noch in demselben Jahre 1905, in welchem die Beschlüffe der Kommission bekannt gemaht wurden, Vertrauen8männer aus den Justizverwaltungen derjenigen Bundesftaaten hierher ein- geladen, welche bei der Ausarbeitung von Juftizgesezen hauptsächlih beteiligt zu sein pflegen. Wir haben uns bei dieser Gelegenheit zu unserer Senugtuung überzeugen können, daß auf Grund der klärenden Kommissionéverhandlungen im großen und ganzen die Anschauungen si so weit genähert hatten, daß wir mit einigetSicherbeit zu den weiteren Vor- arbeilen übergehen konnten. Das ReichŸZJustizamt hat si darauf an die preußishe Regierung gewendet und ihr diejenigen Gedanken vorgelegt- von denen wir nach den v:rtraulihen Vorbesprehungen annahmen, daß sie maßgebend sein könnten für die weiteren Beschlüsse. Nun erbob sich im Schoße der Königlih preußischen Regierung sofort ein Bedenken, das auch bereits bei den vertraulihen Minifterialkonferenzen der Bundesstaaten zum Ausdruck kam, aber damals zunächst nit ver- folgt wurde, das aber von großer praëtisher Bedeutung werden mußte, wenn es in der Tat berechtigt war.
Meine Herren, die Kommission hatte vorgeshlagen, die Shöffen- geriht8verfafsung durch alle Gerihte durchzuführen, und bei den Ver- tretern der Regierungen war, wenn ih von den Schwurgerichten ab- sehe, die Geneigtheit vorhanden, diesem Vorschlage Folge zu geben, aber vorbehaltlih der Frage: wird es in der ‘völkerung au genügend Laienmaterial geben, um alle Gerichte ‘gus- reihend mit Latienrihtern zu besegen? Diese Fräge erathtete
die. preußische Justizverwaltung nicht nur von so großer praktischer Bedeutung, f\ondern hielt sie auch für so zweifelhaft, daß man be- \{loß, darüber im ganzen Staatgebiet nähere Erhebungen anzustellen. Der preußishe Herr Justizminister hat demzufolge die Oberlandes- gerihte veranlaßt, zuverlässige Ermittlungen anzustellen darüber, ob es möglich sei, die Gerichte zu beseßen in dem Umfange, wie es die Beschlüsse der Kommission zur Folge haben würden. Die Erhebungen, meine Herren, erforderten naturgemäß eine gewisse Zeit, die Sie bei
Ihrer Beurteilung, der amtlichen Dispositionen doch beahten müssen.
Die Erhebungen sind verneinend ausgefallen. Aus den Berichten der Oberlandesgerichtspräsidenten ergab fich ganz zweifellos — und der preußishe Herr Justizminister ist der Auffassung beigetreten —, daß zu einer Beseßung der Gerichte mit Schöffen in dem Umfange, wie es die Strafprozeßkommission vorgesehen hatte, wohl in einigen, immerhin großen Teilen des preußischen Staatsgebiets das Material vorhanden sei, aber in anderen Gebieten niht vorhanden sei, und daß man des- halb in diesen Gebieten an die Durhführung der Schöffengerichts- verfassung in vollem Umfange nicht denken könne. (Oh! oh! bei den Sozialdemokraten.) Damit trat, meine Herren, an die preußische Negterung die Frage heran: will man überhaupt den Gedanken der Schöffengerihtsverfafsung festhalten? will man ihn vielleiht nur teilweise durchführen ? oder welchen Weg soll man nun einshlagen ?
Als diese Frage noch s{webte, trat nun aber die Bewegung ein, von der auch die beiden Herren Interpellanten gesprochen haben: die Veröffentlihungen, die der Herr Oberbürgermeister Adickes über die künftige Gestaltung .des deutschen Prozesses mit interessanten Hin- weisen auf die englis@en Erfahrungen veranstaltete. Von diesen Versöffentlihungen konnte man damals sagen: fie waren ein juristisches Erecignis, denn selten hat eine Veröffentlichung, selten haben neue legiélatorise Vorshläge in der Weise weite Kreise zu neuen Gedanken und Wünschen angeregt wie diese. Daß die Vorschläge des Herrn Oberbürgermeisters Adickes in ihren leßten Zielen mit einer deutshen Gerihtsverfafsung, wie wir sie uns denken, nicht vereinbar find, das hat wenigstens der eine der Herren Inter- pellanten hier {hon bemerkt. Das ist auch die Anschauung der Neichsyerwaltung und ih für meine Person stimme darin überein mit dem preußischen Herrn Justizminister, der sh ja darüber {hon im Hause der Abgeordneten ausgesprochen hat; ih zweifle auch nit, daß die übrigen Bundesregierungen im wesentlihen derselben Auffassung sein werden.
Aber auf der anderen Seite, meine Herren, enthalten die Reden und die Schriften des Herrn Adickes doch fo viele geistvolle An- regungen, die weiter erwogen werden mußten, daß es ganz verständlih ist, wenn darüber auch wieder eine gewisse Zeit hinwegging. Sie brachten vor allem die Anregung, die ebenfalls von den Herren Inter- pellanten berührt worden ist, ob niht im Laufe der Zeit in unserer Rechtspflege ein Richterapparat \sich entwickelt habe, der die Gerichte so \{werfällig mae, daß die Bevölkerung und die Rechtsprechung in gleiher Weise darunter leiden, — und daraus erwuchs die Frage, ob man niht eine Vereinfahung in der Beseßung der Gerichte eintreten laffen könnte.
Auch diese Frage befand sich noch in der Erörterung, als dann der Kongreß der bekannten internationalen kriminalistisGen Vereinigung im September vorigen Jahres zu Frankfurt zusammentrat. Meine Herren, die internationale kriminalistische Vereinigung ist eine Gesell- haft von hoch angesehenen juristischen Praktikern und Gelehrten, welche insbesondere auch die Verbesserung unseres Strafprozesses sh zur Aufgabe gestellt hat. Aus den Reihen der kriminalistishen Ver- einigung waren den Vorschlägen der Strafprozeßkommission ganz be- sonders heftige Gegner erwachsen. Veröffentlihungen der internationalen kriminalistishen Vereinigung gingen darauf hinaus, das ganze Gebäude, das die Strafprozeßkommission, die im Reihsjustizamt getagt hatte, auf- geführt hatte, bis in den Grund zu erschüttern. Wir konnten also, als wir hörten, daß die deutsche Gruppe der internationalen krimi- nalistisGen Vereinigung in Frankfurt demnächst zusammentreten werde, wohl gespannt darauf sein, was nun denn in dieser sahkundigen und illustren Versammlung für Vorschläge zur Reform des Strafprozesses bervortreten würden, und es kann in der Tat doch niemandem, der
sih damals mit der Reform des Strafprozefses zu beshäftigen hatte, |
ein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er abwarten wollte, welche | und gegen die Urteile der Strafkammern bei den chwersten Straftaten.
Stellung der Frankfurter Kongreß zu der Frage einnehmen würde. Meine Herren, da muß ich nun sagen, bei aller Ho®achtung vor der internationalen kriminaliflishen Vereinigung und ibren Bestrebungen: ihr Kongreß und seine Beshlüfsfe waren für uns eine EnttäusGung, Sie endeten mit einer Negation. Sie stellten fest, daß wir zur Zeit noch nicht in der Lage seien, zu keurteilen, wie der deutsche Strafprozeß richtig organisiert werden könne. Sie führten zu der Meinung, daß es zunächst der Einsetzung einiger Kommissionen bedürfe, die die Aufgabe hätten, hier
bei uns in Deutschland näher zu prüfen, wie denn der gegenwärtige |
Prozeß gehandhabt werde, was für Ergebnisse er in der Praxis auf- weise in den verschiedenen Landesteilen, was für Folgen ih daraus für die geseßgeberishe Umgestaltung der Prozeßordnung ergeben würden. Sie führten ferner zu dem Beschluß, eine besondere Kommission nieders- zuseßzen, die England kerecisen, dort durch die Inaugenscheinnahme der Einrichtungen in ihrer praktishen Funktionierung in Anlehnung an die Gedanken von Adick-s feststellen sollte, was denn in der Tat ih wohl eigne, aus dem englischen Prczeß übernommen zu werden in den deutschen Prozeß. Nun, meine Herren, eine Verwaltung, die etwa von der Ab- ficht fih bâtte leiten lafsen, die Fortführung der Verhandlungen über den Strafprozeß dilatorish zu behandeln, hätte keinen besseren Grund für ihr Verhalten finden können als den Hinweis auf jene Verhand- lungen in Frankfurt am Main. Unserer preußischen Regierung hätte man es kaum verargen können, wenn sie damals gesagt hätte: nun wollen wir ers abwarten, was die internationale, fkriminalistishe Vereinigung auf Grund ihrer Erhebungen für Beschlüsse fassen wird. Das aber is in Preußen nicht geshehen, sondern da hat man sih auf den Standpunkt gestellt, daß wir nicht zu warten brauhen, bis auf die in Frankfurt gewollte Art und Weise ermittelt sein würde, wie die geltende Prozeßordnung in unserem Vaterlande funktioniert, wie die Verhältnisse angebli in England liegen und was daraus für uns sich zur Nachahmung eignen könnte. Die preußische Regierung ha? sich troydem, daß die Beschlüsse der inter- nationalen friminaliftishen Vereinigung vom September vorigen Jahres noch nicht zur Durchführung gekommen sind, ihrer- seits über die Grundlage s{chlüssig gemacht, die sie für das neue Prozeßverfahren, als geélgnet betrachtet. Diese in legter Zelt von der preußishen Regierung gefaßten Beschlüsse beziehen fich zu-
nächst auf die Gerichtsverfassung, aber sie treffen damit do den wichtigsten und au s{chwierigsten Teil der ganzen großen Reformaufgahe, Sie find naturgemäß nicht maßgebend für die übrigen Bundes, regierungen; denn diese haben das Recht, auch ihre Meinung im Bundesrat geltend zu machen, die Beschlüsse der preußischen Re, gierung sind für den Bundesrat nicht entsheidend und sollen eg nit sein. Unsere Aufgabe im Reiche aber wird es sein, über die preuß hen Beschlüsse mit den Bundesregierungen in Verbindung zu treten und vermöge defsen zu einem gemeinsamen Reformplan zu gelangen Weil aber doch diesen Beschlüssen vermöge der Stellung der preuß, hen Negierung ein besonderes Gewicht beiwohnt, fo möte ih unter dem Vorbehalt, den ih vorhin ausgesprochen habe, au Jÿnen von dem Inhalt Kenntnis geben, um Sie zu überzeugen, daß es in der Tat nicht nur bei der Reichsverwaltung, sondern auch bej den einzelnen Regierungen, insbesondere bei der preußischen Regierung die bestimmte Absicht ist, die Reformarbeit ernsthaft zu betreiben. Na
der Auffaffung der preußischen Regierung sollen die Gerichte ich in Zukunft in folgender Weife aufbauen. Zuständig für die Veber- tretungen, also für die kleinsten Delikte, sollen sein die Amtsrichter ohne Zuziehung von Schöffen, im Sinne von Anregungen, die aus bon der Strafprozeßkommission gegeben sind. Zuständig für Ver, gehen und lei@tere Verbrehen follen sein Shöffengerihhte in der Einrichtung, wie wir sie jeßt haben, ein Richter mit zwei Schöffen, aber mit einer erweiterten Kompetenz nah oben hin. Wenn, im Sinne der Be, \{chlüfse der preußischen Regierung, den Schöffengerichten die Aburteilung der Uebertretungen genommen sein wird, weil diese kleinen Sathen einen folhen Prozeßapparat nicht rechtfertigen, wird in den Schöffen, gerichten Zeit und Kraft geschaffen sein, um auch s{chwerere Delikte an die alten Sck(öffengerihte zu verweisen. Es soll deshalb ein Teil der Straftaten, die zur Zeit bei den Strafkammern abgeurteilt werden, übergehen auf die Schsffengerihte nach der Tendenz des Ge, seßes vom 5. Juni 1905, der sogenannten lex Hagemann, daz ja auch schon die Kompetenz der Schöffengerichte erweitert hat, Für die {weren Delikte soll zuständig fein eine Strafkammer, aber in der gemischten Beseßung von Richtern und Schöffen. Damit wird von der preußishen Regierung anerkannt, daß die Schöffen gerihtsverfassung durhgeführt werden muß. Im Näheren hat man sich über die Beseßung mit Richtern und Schöffen, über die Zahl der einen und der anderen, noch nicht {chlüssig gemacht. Soll man die Zahl von 5 Richtern nehmen, soll man die Zahl von 7 Richtern wählen, wte die Strafprozeßkommission vorgeshlagen hat, soll man die Zahl herunterseßen, soll man etwa einen Richter und zwei Schöffen auch in dieser Strafkammerinstanz nehmen, wie foll man bier regulieren? Die preußishe Regierung is bis jeßt nur zu der Ansicht gekommen, daß der Vorschlag der Strafprozeßkommission, eine Beseßung von 3 Richtern und 4 Schöffen zu wählen, zu weit geht, daß eine solche Beseßung eine zu umständlice sein würde, daß man in diesem Punkte auf die Vorschläge der Straf prozeßkommission nicht eingehen könne.
Endlich, meine Herren, soll die Aburteilung der \{chwersten Ver brehen, wie bisher, bei den Shwurgerichten verbleiben, Jch habe {hon in einer vorigen Session die Ehre gehabt, dem Reichstag mit- zuteilen, daß in diesem Punkie angesihts der Auffassung der Königlih preußishen und Königlich bayerischen Regterung eine Abänderung der bestehenden Zuständigkeit vorausfihtlich nicht vorgeshlagen werte würde. Die preußishe Regierung hat nunmehr formell in diesen Sinne Stellung genommen.
Das ist die eine Seite der Frage: die Bildung der erfte Instanz. Was die zweite Instanz betrifft, meine Herren, so soll e natürli bezügli der Shwurgerichte bei dem bisherigen Verfahren verbleiben. Gegenüber den Urteilen der Schrourgerichte ist die Nevision, aber nit die Berufung zulässig. Dahingegen soll bei sämt- lihen übrigen Gerihten das Prinzip der Berufung dur{hgeführt werden. Darin tritt also die preußische Regierung den Vorschlägen bei, die in der Strafprozeßkommission gemacht worden sind. Die Bes rufung würde darnach gegeben sein gegen die Urteile des Amts rihters in Uebertretungssachen, gegen die Urteile — ich will hier die bisherige Bezeichnung beibehalten, sie muß ja später geändeit werden — der Schöffengerichte bei Vergehen und leihteren Verbrehen
Diese Berufungsinstanzen, meine Herren, sollen gebildet werden in der untersten Instanz, bei den Strafkammern oder bei den Shöffen- gerihten; das ist noch zu erwägen; im übrigen aber, soweit es sih also um die Berufung gegen die Urteile der Shöffengerihte und gegen diejenigen der Strafkammern handelt, bei den Landgerihten. Damit wird der Satz, der früher so oft im Schoße der verbünteten Re- gierungen diskutiecrt wurde, ob die Berufungsgerichte bei den Land- gerihten oder bei den Oberlandesgerihten errihtet werden sollen, im erfteren Sinne erledigt. dem Vorschlage entshlofsen: die Berufung soll sich abspielen bei den Landgerichten. Dies aber mit einer Maßgabe; einmal soll es nit ausgeschlossen sein, daß dort, wo kleinere Verhältnisse obwalten, eine Berufungskammer auch für mehrere Landgerichte eingerichtet werden kann, fo daß die an einem Landgerichte eingesezte Berufungskammer auch für solhe Urteile zuständig sein würde, die von den Straf- kammern anderer Landgerichte gefällt werden, und zweitens meine Herren, soll dort, wo räumlihe, persönliche oder sonstige Verwaltungsrüksihten dies nahe legen, äußerlih die Berufungskammern au anzuschließen an die Oberlandeë- gerichte, ohne daß sie als Instanz in deren Rahmen aufgeben; fit werden niht Berufungssenate, sie bleiben Berufungskammern. Das ist für die Verhältnisse solher Staaten gedaht, die niht so große Oberlandesgerichte eingerihtet haben wie Preußen, wo deshalb die Oberlandesgerichte den einzelnen Landgerichten näher stehen, als das in Preußen der Fall ist. i
Meine Herren, das sind Grundzüge, die wir jeßt mit den übrigen Bundesregierungen zu erörtern haben werden. Nach der Zeit die ins zwischen verflossen ist, seitdem die Protokolle der Strafprozeßkommission veröffentliht wurden, glaube ih, wird es für die übrigen hohen Re- gierungen außer Preußen niht {wer fallen, zu den Beschlüssen, die wir ihnen? unterbreiten, Stellung zu nehmen, und nachdem dies geschehen ist, muß für uns im Reichsjustizamt sich die Aufgabe e geben, auf diesem Unterbau den neuen Prozeß aufzubauen.
(Sé{luß in der Zweiten Beilage.)
Die preußishe Regierung hat sih i! f
gestattet sein, |
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
meine Herren, is von uns aber {on vorbereitet. Wir find in der Zwischenzeit nicht müßig gewesen und das ganze prozessuale System, wie wir es uns denken — abgesehen natürclich von den Modifikationen, die aus den früher uns noch nit bekannt gewesenen Beschlüssen der preußi- shen Regierung sich ergeben —, ist so weit vorbereitet, daß wir in nit zu langer Zeit mit dieser, gleiGwohl noch recht s{chwierigen Arbeit fertig zu werden hoffen. Es handelt sich immerhin, meine Herren, um einen Kodex von 400 bis 500 Paragraphen. Es erfordert Zeit, einen folhen herzustellen und unter den Justizverwaltungen zu vereinbaren, namentlich wenn es sih um fo diffizile Fragen handelt, wie sie vielfah beim Strafprozeß in Betraht kommen. Aber ich glaube do, daß wir im Reichsjustizamt in niht zu langer Zeit mit dieser Aufgabe fertig werden können, um unsere Arbeit dann der Beurteilung der Bundesregierungen und des. Bundesrats zu unter-
breiten. Fn jedem Falle, meine Herren, werden Sie aus diesen Mit-
tellungen über die Arbeiten, die in der Neihsverwaltung geführt worden find und geführt werden, und über die Entschließungen, die im Schoße der preußischen Regierung nunmehr gefallen find, wie ih hoffe, die Ueberzeugung gewinnen, daß es mit der Reformarbeit in allen Kreisen der Regierung ernst is und daß alles daran geseßt werden soll, um die Reform zu beschleunigen. Ich habe {hon erwähnt, daß der Herr Reichskanzler willens if, seinerseits, soweit seine Kräfte reihen, seine Ideen durchzuführen, und Sie können überzeugt sein, daß au beim Neisjustizamt der feste Wille besteht, die Sache in jeder Weise zu fördern: (Bravo!)
Auf Antrag des Abg. Bassermann (nl.) findet eine Besprechung der Jnterpellation statt.
Abg. Dr. Giese (dkonf.): Wir haben mit großer Freude vernommen, daß gerade die Frage der Einführung der Berufung und die Zuziehung des Laienelements zu den Strafkammern ihrer Lösung entgegengehen. Meine politishen Freunde halten die Einführung der Berufung für dringend notwendig und für ganz unabwendbar, faitbaiu im Militär- strafprozeß die Berufung eingeführt worden ist. Ob die Straf- fammern bestehen bleiben, oder ob andere Gerichte an ihre Stelle treten, ist dabei zunächst gleichgültig. Auh in der Frage der erweiterten Zuziehung des Laienelements haben wir er- freuliche Zusicherungen erhalten. Wir treten mit unserer Ueber- ¡eugung dafür ein, daß an die Stelle der Strafkammern Schöffengerichte treten. Mit den leßteren haben viele deutshe Staaten bis 1879 sehr ute Erfahrungen gemacht, z. B. das Königreih Sachsen. Sehr bieria wird es freilih sein, für die einzelnen Instanzgerichte die rdtige Mischung des berufsrihterlihen und des Laienelements ju fden. Wir wünschen niht, daß es zu einer Ueberspannung des Kienelements dabei kommen soll ; würde ein Uebermaß von Schöffen gefordert, so wäre ja die nôtige Anzahl qualifizierter Personen, ‘ wte wir von Preußen bereits hören, überhaupt niht zu gewinnen. Die Schwurgerichte durch große Schöffengerichte zu erseßen, ist auch nicht die Meinung meiner Freunde; jedenfalls aber follte an dieser Frage die große Reform felbst niht scheitern. Die übrigen Fragen werden ja in den Kommissionen, die ohnehin eingeseßt werden müssen, zu erörtern sein; wir sind durchaus dabei zur Mit- wirkung bereit. Wir hoffen, daß die neuen Maßnahmen ein ge- rechtes, gutes Strafverfahren verbürgen und das Vertrauen des Volkes in die deutshen Gerichte und in die deutshen Richter zu kräftigen und zu befestigen geeignet sein werden.
Abg. Stadthagen (Soz.): Seit über einem Dußend Jahre werden für diese Reform aus dem Reichstage Anträge gestellt, auch von den Sozialdemokraten. Woran liegt es, daß das Vertrauen zu der Rehtsprehung im Volke beinahe gleich Null ist ? Das hat man sh {on vor Jahren gefragt und wären die {on vor Jahren in diesem Sinne vorgelegten Anträge des Zentrums und anderer Parteien angenommen worden, so ständen wir heute nicht vor einer \o großen Deplacierung der Rechtspflege, wie sie in Deutschland ein- etreten ist. Die ungeheure Arbeit der großen preußishen Kommission hat zwax viel Papier vérbraucht, aber nichts Großes geleistet; so ¡temlih sämtliche Juristen und Nichtjuristen haben diese Arbeit für niht tauglih erklärt. Denn es handelt \sich nicht bloß darum, ob Berufung eingelegt werden soll oder nicht, sondern es handelt sfih um eine gerechte Ürteilsfällung und Rechtspflege. Heute hören wir, daß Preußen nicht bloß kein Geld, sondern au keine Kräfte hat, um enügende Schöffen zu bestellen, ein Beweis für die jammerhafte
chulung, die Preußen seinen Angehörigen zuteil werden läßt. Die Berufung wird yon allen Seiten ofoidert; es soll dabei aber nit zum Nachteil des Angeklagten das Recht der Berufung ebenfalls dem Staate gegeben werden, wie es allerdings die Kommission will; der Nuf nah Be- rufunggründet sich ja auf die s{hlehten Urteile zu Ungunsten der Beklagten. Ja, die Kommission will auch noch dem Staatsanwalt die Anschluß- berufung zugestehen in solchen Fällen, wo die Berufungsfrist längst abgelaufen ist! Ein solches Rechtsmittel der Berufung wäre cine enorme Vershlehterung der bestehenden Rechtspflege und ein Unikum in der Rechtspflege überhaupt. Wenn man reformieren will, muß man doch den Gründen des entstandenen Miß- trauens gegen die Gerihte nachforshen. Eine gute Instanz ift mir lieber als zwei s{hlechte. Eine Justizkommission, welhe Arbeiter, Handwerker und Bauern, die gesamte erwerbstätige Bevölkerung aus- geshaltet hat, kann gar niht ein Verfahren haben {hafen wollen, das die Grundlage der Justiz, die Gerechtigkeit, garantiert. Jch hätte nicht angenommen, daß auf diese Kommissionsvorschläge wieder A T: coipinien werden soll; ich hätte geglaubt, der Staatssekretär würde sie für G erklären. Die einzige wirklihe Garantie, die wir heute haben, daß der Richter gezwungen ist, wenigstens die vorgeladenen Zeugen zu hören, soll beseitigt werden! Da ist doch der bestehende Zustand der bessere. Heute steht der An- geklagte absolut {chußlos da, hon dem gewifsenhaften Richter gegen- über! Wir haben einen Prozeß gehabt, in dem der Angeklagte, weil er hon in der Voruntersuhung in unerhörter Weise gemartert und gepeinigt worden war, von den Geshworenen freigesprochen wurde! In zahllosen Fällen steht es so, daß die langen Prozesse n der Hauptverhandlung gar nicht nötig wären, das Hauptverfahren abgelehnt worden wäre, wenn nur die Voruntersuhung etwas weniger ahrlässig betrieben würde. Volle Garantie für das Ermittlungs-, ür das Vorverfahren ist unsere erste P oBering, Und nun die Staatsanwaltschaft! Wie kommt es, daß die Regierung nicht Richtern, sondern abhängigen Verwaltungsbeamten das Anklagemonopol gibt ? Die Staatsanwaltschaft gehört zu den {lechten Einrichtungen des Auslandes, sie entspriht dem Napoleonishen System. Der Staats- anwalt erhebt Anklage, je nahdem es ihm paßt, je nahdem es fich um einen Unternehmer oder Arbeiter, Hochgestellten oder Niederen handelt. Ich erinnere an die verschiedene Behandlung der Arbeiter und Unternehmer in der Frage der Grpressung, Die Richter sollen in
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Diese Arbeit ,
P E I E Ek i Md D M L Gie mi G R N i N tren S ISEE Pee N E E
Zweite Beilage
zum Deulshen Reichsanzeiger und Königlih Preußishen Staatsanzeiger. M 65.
Berlin, Mittwoch, den 13. März
solhen Dingen die Entscheidung treffen, sie müssen dann aber au unabhängig sein, politisch und religiös. Wir hatten uns hier darüber beschwert, daß in Frankfurt ein Mann über die geseßlich zulässige Frist in Haft behalten wurde, ehe er seinem ordentlichen Richter vorgeführt wurde. Ein Landgerichtsrat hat in einer Broschüre dargelegt, daß er, seitdem er gegen dieses Verfahren der Frankfurter Polizei remonstrierte, drangfaliert wurde. Die Richter müssen aber auhch ôfonomisch besser gestellt werden, wenn sie unabhängig dastehcn follen; sie müssen nit überlastet werden. Wie kann ein Richter objektiv entsheiden, wenn er, wie es vorgekommen ist, 55 Sachen an einem Tage erledigen soll! Aus dem Märchen der Unabhängig- keit der deutshen Richter muß eine Tatsache gemacht werden ; es darf durch Versezung von einer Kammer in die andere usw. die Unabhängigkeit der Nichter niht in ihr Gegenteil verkehrt werden. Wir hören jeßt {hon Unkenrufe der Scharfmacher- prefse auf Disziplinarverfahren gegen Mitglieder des Zentrums, weil sie dem Zentrum angehören, wie es seinerzeit den fortshrittlihen Richtern passiert ist. Jhnen (zum Zentrum) habe ih schon seinerzeit zugerufen, Sie könnten auch einmal Amboß werden. Strafkammern und Schöffengerichte sind heute ein Hohn auf die Un- mittclbarkeit und Mündlichkeit des Verfahrens. Der beste Vor- sißende ist abhängig von den Registrierungen der Polizei, die durchaus minderwertig sind. Es sollten Phonographen aufgestellt werden, wie auch in manchen Regierungskabinetts, um festzustellen, was wirklih vorgegangen und gesagt ist; dann würde man auch das Klatschen der Schläge hören, die auf manchen Polizeibureaus gegeben werden. Wie notwendig die Berufung ist, zeigt der Prozeß der Stiftsoberin Heußler. Wenn einem Wirklichen Geheimen Rat aus dem Neichsjustizamt dasselbe passiert wäre wie jener Stiftsoberin, wir hätten binnen drei Tagen das ganze Geseß; aber die Justiz rührt sih nicht, solange sie Hammer ist. Interessant wäre eine Statistik über die Untersuhungshaft, die Länge der Untersuhungs- haft und über die Fälle der ungerechtfertigten Untexsuhungshaft. Tausende und aber Tausende sind in Deutshland Tage, Wochen, Monate, selbst Jahre unschuldig in Untersuhungshaft gewesen. Es Vaeris „Tatsachen“ vorliegen, die den Verdacht des Fluchtversuhs reht- ertigen. Ac, Namen sind Schall und Nauh, solhe „Tatsachen“ können sehr leit Tonstruiert werden. In die Strafrehtspflege sollte das soztale Moment hineingetragen und den Ursahen der Verbrechen nachgegangen werden. Der bekannte Hauptmann von Köpenick war ja doch auch ein Opfer der Verhältnisse. Der Staat muß die Gesell- schaft so reformieren, daß solhe Verbrecher nicht existieren können. Die bisherigen Mißerfolge der Reform der Strafrechtspflege lassen erkennen, daß die Rechtspflege auch in Zukunft als ein Kampfmittel gegen die politishe Ueberzeugung mißbrauht werden wird. Da kann von einem Vertrauen zur deutfen Nechtspflege niht die Nede fein. Hierauf wird Vertagung beschlossen.
Präsident Graf zu Stolberg: Am gestrigen Tage sind im preußischen Abgeordnetenhau e bei Beratung des Eisenbahnetats von einem Redner Aeußerungen getan worden, welche geeignet find, die Mitglieder des Reichstags zu verlegen. Jch gebe meinem Bedauern hierüber Ausdruck und weise diese Aeußerungen hiermit von dieser Stelle gebührend zurü.
Schluß 58/ Uhr. Nächste Sißung Miitwoch 1 Uhr. (Zusaßübereinkommen zu dem internationalen Vertrage über den Eisenbahnfrachtverkehr; Fortseßung der eben abgebrochenen Besprehung; Interpellation, betreffend die Verhältnisse der Privatbeamten ; Jnterpellation wegen Wahlbeeinflussungen.)
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 32. Sißung vom 12. März 1907, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)
Das Haus eht: die zweite Beratung des Staats- haushalts8etats für das Rechnungsjahr 1907 im Etat der Eisenbahnverwaltung bei den dauernden Aus- gaben fort. Zur Unterhaltung und Ergänzung der Jnventarien sowie zur Beschaffung von Betriebsmaterialien sind 160 435 000 4 vor- esehen, d. \#. 18 592 000 /( mehr als im Vorjahre, zur Unter- altung, Erneuerung und Ergänzung der baulichen Anlagen 238 063 000 M, d. \ 30 338 000 46 mehr, zur Unterhaltung, Erneuerung und Ergänzung der Betriebsmittel und der maschinellen Anlagen 207 541 000 (, d. s. 30 726 000 M mehr ; im Extraordinarium ist ferner ein Fonds von 50 Millionen zur Vermehrung der Betriebsmittel für die bereits bestehenden Staatsbahnen vorgesehen. Ueber den ersten Teil der Verhandlungen hierüber ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Minister der öffentlihen Arbeiten Breitenba ch:
Meine Herren! Der Herr Abg. Wagner richtet die Frage an mich, ob mit der Beshaffung von Heißdampfmaschinen fortgefahren werden soll. Das wird beabsihtigt. Wir haben im Jahre 1906 430 Heißdampfmaschinen eingestellt und für 1907 find 465 vorgesehen. Dieser Typ bewährt sich und wird hoffentlichß- noch große Erfolge bringen. Die Doppelbesezung der Maschinen erfolgt, soweit sie sih irgendwie wirtschaftlich rechtfertigen läßt.
Dann ift Herr Abg. Hilbck noch einmal auf die Wagenbeschaffung eingegangen und hat ih bezogen auf die Ziffern im Ordinarium und im Extraordinarium. Ich habe mir bereits im Eingang der Etats- verhandlung auszuführen erlaubt, daß niht weniger als 250 Millionen Mark für Beschaffung von Betriebsmitteln verwendet werden sollen, und daß aus diesen Mitteln nicht weniger als 28 000 Güterwagen beschafft werden werden. Der Güterwagenbestand wicd zunehmen von 324 618 am 1. April 1906, auf 347014 am 1. April 1907 und auf 370 366 am 1. April 1908; das sind Zunahmen von 6,9 9/6 und 6,7 9/0, in Summa 13,6 9/%. Das Ladegewicht wird aber erheblich mehr zu- nehmen, um 8,40%/0 und um 8,209/0, das sind zusammen 16,6 9/. Wenn man auch keine Garantie übernehmen kann, daß diese Mehr- beshafffung von Wagen dem Wagenmangel endgültig abhelfen wird, da wir niht wissen, wie der Verkehr zunehmen wird, so darf man doch hoffen, daß mit diesen Beschaffungen dem Wagenmangel im wesentlihen abgeholfen wird. Ueberdies findet die Beschaffung ihre Grenze in ter Leistungsfähigkeit der Fabriken; wir müssen uns unbe- dingt vor einer Ucberspannung der Großindustrie hüten.
Die Wünsche, den Wagenpark gleihmäßig auf die großen Ver- sandreviere zu verteilen, find durhaus berechtigt, aber wenn sie die
Er T E TE D I M r Irre En
1907.
Wagengestellungsziffern des leßten Jahres verfolgen in den einzelnen Monaten, so werden Sie finden, daß die Verwaltung mit Erfolg be- müht gewesen ist, tunlichs| einen Ausgleih für die großen Versand- reviere herbeizuführen. Wenn dies nicht immer gelungen ist, fo liegt es daran, daß der Ablauf der Wagen aus den Zuführungsgebieten zu den Versandrevieren nicht immer gleihmäßig sich vollzieht, ohne daß der Verwaltung eine Einwirkung hierauf zusteht.
Herr Abg. Macco hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Plüshbezüge in unseren Wagenabteilen 1. und 2. Klasse sanitär hohst bedenklich seien, und hat wörtlich ausgesprochen, sie steckten voller Unrat. Meine Herren, ich glaube, das geht zu weit. Die Verwaltung ist seit Jahren bestrebt, die Reinigung der Wagen so durchzuführen, daß sich die Wagenabteile in einem Zustande befinden, der dem Reisenden zum mindesten keine Schädigung an Gesundheit und Leben bringt. Wir haben auf den großen Stationen jeßt Entstaubungs- anlagen aufgestellt, die bekanntlich ausgezeichnet wirken und Voll- klommenes leisten. Wir werden dieser Frage dauernd im Sinne der Ausführungen des Herrn Abg. Macco unsere Aufmerksamkeit zuwenden.
Dann ist darauf hingewiesen, daß es den Reisenden nicht immer möglich ift, die Notbremse zu ziehen. Denjenigen, die ih einer be- sonderen körperlihen Länge erfreuen, gelingt es vielleiht, anderen weniger. Diese Frage ist erneut etner Prüfung unterworfen, die noch nicht abgeschlofsen ist.
Der Herr Abgeordnete is auf eine Frage eingegangen, die im leßten Jahre die Oeffentlichkeit stark beshäftigt hat, und die Sicher- heit des Lebens der Reisenden in den Zügen betrifft. Es sind in der Tat einige sehr bedauerlihe Vorgänge zu verzeihnen gewesen, die Aufsehen erregten. Sie haben die Verwaltung zu einer sehr ein- gehenden Prüfung veranlaßt, und es ist festgestellt worden, daß die größte Sicherung der Reisenden dann vorhanden is, wenn der Wagen eine Grundrißanordnung hat, bei der eine Ueber- wahung des Wagens möglich is. Aus diesem Grunde bietet der Durchgangswagen, der fogenannte D-Wagen, eine besondere Sicherheit. Es ist aber auch erwogen worden, die Abteilwagen anders zu konstruieren, und es werden im Laufe dieses und der nächsten Jahre Versuche ausgeführt, die es jedem Reisenden ermöglichen, von der Zweckmäßigkeit der Einrichtungen sih zu überzeugen. Die Abteile sollen unter einander in Verbindung gebracht werden. Aber eins ist bei diesen Einrichtungen nicht zu vergessen, daß sie zwar eine größere Sicherung für den Reisenden bringen, aber auch gewisse Unbequemlich- keiten. Es wird eine gewisse Unruhe in den Zug gebracht, der {ih aus Abteilwagen zusammenseßt, die heute niht vorhanden ist. Das Schließen der - Wagentüren mittels Luftdrucks oder auf anderem medchanishen Wege ist nach Anschauung der Sachverständigen- kommission, die ih eingeseßt hatte, höht bedenklich. Derartige mechanische Einrichtungen in fahrenden Zügen, die einem starken NRütteln ausgeseßt find, können sehr leiht versagen, und dann würde das Gegenteil von dem herbeigeführt, was erstrebt werden soll; die innere Erregung der Reisenden würde sich in sehr unerwünshter Weise steigern. Die Reisenden werden nervos, wenn sie wissen, daß sie unter Umständen gar nicht aus dem Koupee herauskommen. Der Weg, den die Ver- waltung gehen will, durch den Grundriß der Wagen die größtmög- lihfte Sicherheit zu bieten, wird der richtige sein. Wenn wir gleih- ¡eitig in unseren shnellfahrenden Zügen, den demnächst zuschlag- pflichtigen Zügen, durchgängig D-Wagen eingestellt haben werden, wie in Ausficht gestellt wurde, werden wir das getan haben, was zweck- mäßig ist.
Abg. von Riepenhausen (tons): Es ift ja zu hoffen, daß nah den getröfenen Vorkehrungen dem Wagenmangel abgeholfen sein wird. Ich bitte den Minister, von den neuen Wagen einen erheblichen Prozentsaß den Bahnen zuzuwenden, die niht dem großen Durch- gangéverkehr dienen. Auf diesen kleineren Nebenstrecken bestehen Klagen über die Qualität des Wagenparks; es werden Wagen, die auf den größeren Linten nicht mehr laufen können, an diese kleinen Bahnen überwiesen, Wagen, die eigentli in die Reparaturwerkstätte
ebôren. Diese Klage betrifft auch die von Privatgesellshaften ges tellten Speise- und Schlafwagen. Auf der Sibirishen Bahn bin ih 14 Tage und 14 Nähte von Wladiwostok nach Berlin gefahren, und ich kann konstatieren, daß man auf dieser Bahn viel sicherer als bei uns und mit viel mehr Bequemlichkeit fährt. Das ist allerdings erklärlih, da dort nur mit 35 Kilometer Schnelligkeit gefabren wird. Besonders lernen könnten wir von dieser Bahn be- züglich der Beleuchtungseinrihtungen. Da hat man au transportable eleftrishe Lampen. Auch bei uns follte man in diesem Punkte aus dem Stadium der Versuche heraustreten. — Der Bahbnbof Stralsund bedarf dringend des Umbaues. Ich hoffe, daß auch bier bald ein- gegriffen wird; es mangelt namentlich an genügender Ueberdawung. Eine weitere Anregung möchte ih noch in der Richtung geben, daß der russishe Verkehr von Dirschau aus nah dem Westen niht allein über Berlin, sohdern auch über Stettin und Stralsund geleitet wird. Mit meiner Kritik habe ih keine Direktion besonders treffen wollen, am wenigsten den Eisenbahnpräsidenten von Stettin; ih freue mi im Gegenteil, daß der Herr Minister so viele unserer Verkehrswünsche
realisiert hat.
Abg. Wallenborn (Zentr.) regt nohmals einen größeren Schuß der die Eisenbahnzüge begleitenden Postwagen an, damit nicht bei Un- glüdsfällen die Postbeamten allein die Schwere des ganzen Unglüdcks zn tragen hätten.
Abg. Dr. von Bôttinger (nl.) regt mit besonderer Bezugnahme auf die Elberfelder Bahnhofsverbältnisse eine zweckmäßigere Anlegung der Wartesäle und Bahnhofseinrichtungen an.
Minister der öffentlihen Arbeiten Breitenbach:
Meine Herren! Der Herr Abg. von Riepenhausen hat darüber Beschwerde geführt, daß auf den Nebenbahnen Betriebsmittel laufen, die den Ansprüchen des Verkehrs niht genügen. Er hat bervor- gehoben, daß ein Teil der Betriebsmittel von den Hauptbabnen auf die Nebenbahnen abgeshoben wird. Wenn die Wagen fo beschaffen sind, wie der Herr Abgeordnete sie kennzeihnete, müssen fie zurück- gezogen werden; sie müssen entweder in die Werkstätten gehen, um ausgebefsert zu werden, oder sie müssen überbaupt auêkrangtiert werden. Dieser Frage wird besondere Aufmerksamkeit zugewandt werden.
Der Herr Abgeordnete hat dann den Zustand unserer S@laf- wagen bemängelt. Das hat mih in Erstaunen geseßt. Für den