1907 / 68 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 16 Mar 1907 18:00:01 GMT) scan diff

Religionsunterriht lediglich ermahnt

gesagt wurde, die Diözesanen vielmehr wurden, den Religionsunterriht in der Schule durch einen solhen in Haus und Kirche zu ergänzen, so wurde doch diese Proklamation des Erzbischofs von der radikalen Presse und leider auch von einem Teile der Geist- lihkeit in dem Sinne ausgelegt, als ob der Erzbishof den SZulstreik billige und zu dessen Verbreitung auffordere.

Die Folgen jenes Aufrufs des polnischen Komitees sowie des erzbis{chöflihen Hirten|chreibens und der an leßteres in der Presse geknüpften Kommentare war ein plöglihes Aufflammen des Stul- streiks, Während am 1. Oktober 1906 sich in der ganzen Provinz 3372 Kinder geweigert hatten, im Religionsunterriht deutsch zu antworten, \{chnellte die Zahl mit dem Schulanfang alsbald auf 31739 empor, um in den nähsten zwei Wochen zu dem Höchstbetrage von etwa 48 000 zu steigen. Diese Zahl bedeutet etwa die Hälfte aller derjenigen Kinder polnisher Muttersprache in der Provinz Posen, welche in Volkss{hulen zur Zeit den Religtonsunter- riht in deutsher Sprache erhalten. Ich muß es als ein er- reulihes Zeichen des in der polnishen Bevölkerung trotz aller Hezereien noch vorhandenen gesunden Sinnes bezeihnen, daß der Schulstreik keine größere Ausdehnung gewonnen hat, obwohl an seiner Entfahung und Aus- breitung mit allen nur mögliGen Mitteln in gewissen- losester Weise gearbeitet worden ist. (Widerspru bei den Polen.)

Ganz besonders hat sich bei dieser Arbeit natürli die polnische Presse aller Richtungen hervorgetan. Zunäh't wurde den gut- gläubigen Lesern eingeredet, sie seien €s dem Gehorsam gegen ihren Erzbischof \chuldig, ihre Kinder in den Schulstreik eintreten zu lassen. Habe doch der Erzbishof selbst durch seinen Hirtenbrief zu dieser Bewegung das Signal gegeben. Bei dieser Dar- stellung kbandelten viele Nedalteure \{chwerlich in gutem Glauben. Denn, wie aus den Aeußerungen der polnischen Presse selbst erkellt, war ihnen sehr wohl bekannt, daß der Erzbishof unter dem 2. August 1905 ein Schreiben an den Erzbischof Poptiel von Warschau gerichtet hatte, in welhem er dessen Auftreten gegen den Shulstreik auf russishem Gebiete in den wärmsten Worten billigte. Er bezeihnete in jenem Schreiben das Auftreten des genannten Erzbischofs gegen eine solche Bewegung der Jugend als „wahrhaft begeisternde Worte der BesWwörung und Mahnung“. Das hielt die polnishe Pré:sse im vorigen Herbst aber keineswegs davon ab, den Erzbishof von Stablewski als einen Förderer des Sculstreiks zu feiern.

Unter Bezugnahme auf diesen Hirtenbrief wurde den Leuten ferner nah demVorgange der „Gazetta Grudziadzka“ von allen Seiten eingeredet, daß fie fich einer {weren Sünde s{chuldig machten urd gegen die Vorschriften ihrer Religion verstießen, wenn sie ihre Kinder nicht zur Teilnahme an dieser Bewegung anhielten. „Der Katholik, der die deutshe Sprahe im Gebet und im Religionsunterricht an- wendet“, warnte die „Gazeita Torunska“, „steht mit einem Fuße in der [lutherischen Kirhe.“ „Lobe Gott nicht in fremder Spraßhe“, beißt es in einer anderen Zeitung, „denn ich will Dir eine alte Sache erzählen, daß auch der Teufel hinterm Ofen das Gebet in deutsher Sprache spriht!" (Pfui! rechts.)

Meine Herren, aber nicht nur an die religiösen Gefühle, sondern auch recht weltlihe Eigenshaften der großen Menge wurde appelliert, um sie zur Teilnahme an dem Schulstreik zu bewegen. Die polnische Presse benutte bei dieser Einwirkung in raffiniertester Weise das Rezept von Zuckerbrot und Peitsche.

Einerseits wurden die streikenden Kinder nah allen Richtungen gelobt, sie wurden als Märty:er der heiligen polnischen Sache hin- gestellt, sie wurden untcr Namensnennung in enthusiastisher Weise verherrliht, es wurden ihnen Belohnungen versprohen, groß- sprecherisch2; die Lehrer vezspottcnde Aeußerungen wurten ibnen in dcn Mund gelegt, in einzelnen Fällen vorgekommene Unbotmäßigkeiten, wie das Zerreißen der deutschen Religionsbücher, wurden verallgemeinert und als Heldentaten gefeiert. In Posen wurde einzelnen sogar bares Geld angeboten, wenn sie einen Streik Eervorriefen,

In gleicher Weise wurden die Eltern, die ihre Kinder zum Scul- streik anhielten, mit Lobsprüchen übers{üttet.

Auf der anderen Seite erfuhren die Kinder, welGße an dem Streik nicht teilnaßmen oter ihn wieder einftellten, den \{ärfsten Tadel. Sie wurden als Verräter, als „niederträhtige Shmeichler“ hingestellt, deren man sich \{chämen müsse.

Diejznigen Eltern, welch-e ihre Kinder zum Ungehorsam nicht aufreizten, wurden nicht nur mit beleidicenten Ausdrücken wie „Vaterlandéverräter*, „Feiglinge“, „Dummkspfe" usw. belegt, sie wurden in nicht mißzuverstehender Weise mit dem gesellschaft- lihen, ja mit dem wirtschafilichen Boykott bedroht! Ihre Namen wurden mit dem Zusaß veröffentlicht, daß sie ihren Kindern verboten bätten, zu streifen, obwohl sie vom polnischen Gelde lebten und darauf Nücksich{t nebmen sollten. Der e Dztiennik Kujawéki“ z. B. veröffentlichte eine ganze Liste solter Namen und fügte hbirzu: „Die städtiske polnishe Volksgesamtheit wird für ihr Verhalten gegenüber jenen Eltern die entsprechenden Schlüsse ziehen, gegenüber jznen Vätern, von denen der eine, der Kaufmann ist, alle Verarlafsung bätte, sch mit seinen Lantsleuten solidarisch zu erklären“.

Meine Herren, deutlicher kann man dos nicht mit dem wirtshaftlichen Boykott droben, wenn man ih nicht ftraf- rechtlich oder zivilrechtlich verantwortlißh mahen will! Und dieselben Blätter, die auf solche Weise die von dem Publikum abbängigen Ge- \hâftzleute durch Verrufserklärungen zwingen, sch tem Schulstreik anzus§ließen, sheven sh nicht, ihren Lesern einzureden, daß tiese Be- wegung aus dem innersten Herzen des polunishen Volkes s\pontan bervorgequollen sei! Jch fann das nur als eine wahrhaft widerlihe Heuchelei bezeihnen. (Sehr rihtig! rech!s und bei den National- liberalen.)

Die polnis@en Zeitungen begnügen fih aber niht, dur An- erkernung und Tadel, durch Lobe2erbebungen einerseits, dur Be- \{impfurg-n und nicht mifzuverstehende Drohungen andererseits ihre Landsleute zur Beteiligung am Schulstreik zu veranlafsen sie nennen das: die Leute „aufklären“ —. Um ihre Aufreizungen auf fruchibaren Boden fallen zu lafsen, tat die polnishe Presse und tut si? leider noch beute außertem alles Menschenmöglihe, um die großen Massen zu erbittern und gegen die Behörden aufzubringen. Lügen und Verleumdungen find dabei die tägli benuzten Mittel. Besonders die Lehrer und Sgulaufsihtsb-amten haben in den

leßten Monaten eine wahre Flut von Verleumdungen in der polnishen Presse des In- und Auslandes über sich ergehen lassen müssen. Dabei wurden sie in gleiher Weise beschimpft, gleihviel ob sie strenge oder milde den Kindern gegenübertraten. Jede Züchtigung der Kinder, auch wenn sie durhaus berechtigt war und mit dem Religionsunterriht oder dem Schulstreik an sich in gar keiner Verbindung stand, wurde als einz Mißhandlung dieser Kinder wegen verweigerter Antwort im deutshen Religionsunterriht dargestellt. Gerade als Scheusale wurden manche Lehrer geschildert, die {ih der einreißenden Disziplinlosigkeit der Kinder gegenüber zu körper- lichen Zühhtigungen genötigt fanden. Wie dabei mit der Wahrheit um- gesprungen wurde, möchte ih Ihnen an zwei Beispielen erläutern.

Im Oktober v. J. erschien im „Dziennik Posnanski* ein Artikel, in dem ein polnischer Ar¡t heftig angegriffen wurde, weil er \ich geweigert habe, einem „furchtbar mißhandelten“ Knaben ein ärztliches Attest über die Mißhandlung auszustellen, Einige Tage darauf erließ der Arzt selbst eine Berichtigung, daß er das Attest um deéwillen verweigert habe, weil er gar keine Spur der angeb- lihen Mißbandlung gefunden und Mühe gehabt habe, den aufdringlihen Vater loszuwerden. (Heiterkeit.)

Durch die polnische Presse und aus ihr übernommen in deutsh:n, ja selbsst in autländischen Zeitungen wurde im November vorigen Jahres die Nachriht verbreitet, in einer Schule sei ein Knabe sogar entblößt und auf den nackten Körper gezüchtigt worden. Es wurde dies als ein bezeihnendes Beispiel der preußischen Barbarei und als eine „nackte Tatsache * dargestellt. (Heiteikeit. )

Wie liegt nun aber die Sache wirkliß? Ein besonders fauler und frecher Junge sollte wegen Trägheit im Deutschen einige Stockschläge erhalt:-n. Als der Lehrer ihn überlegte, entdeckte er, daß der Schüler drei Paar Hosen übereinander anhatte (Heiterkeit), deren oberste niht cinmal ordentlich zugeknöpft war. QDa forderte ihn der Lehrer auf, die oberste Hose herabzuziehen. Er behielt bei der Züchtigung aber immer noch zwei Paar Hosen an. (Hetiterkeit.) So entstehen polnische Schauermärchen !

Derartige Verleumdungen der Lehrer und Schulaufsichtsbeamten fanden sich, wie gesagt, niht nur in ershreckendem Maße in der inländischen, sondern dank der vortrefflichen Verbindungen der groß- polnischen Agitatoren mit zahlreihen Blättern des Auslandes au in der außerdeutschen Presse diesseits und jenseits des Ozeans. Da die Beleidigungen und Verleumdungen \{ließlich s\trafrechtlihe Ahndung fanden, so fühlten sich einzelne Blätter veranlaßt, selbst ihre Berichterstatter zu bitten, doch mit der Wahrheit gewissenhafter umzugehen. So bat der „Dziennik Kujawetki"“ am 6. November 1906, als er zur Rictigstellung einer grob entstellten Nachricht sich genötigt sah, seine Korrespondenten „dringend, ihm nur solche Tat- sahen zu berichten, von deren Wahrheit sie si persönliH überzeugt hätten. Dur das Berichten unwahrer Nachrichten maten sie nur sich und der Redaktion unnötige Unannehmlichkeiten.“ Aehnliche Vorhaltiungen haben noch andere polnische Zeitungen ihren Bericht- erstattern gemaht. Selbst der „Le“, vielleiht datjenige Blatt? das neben der „Gazeta Grudziaska*“ im ganzen Schulstreik am rüdcksichtslosesten geheßt und verleumdet hat, {reibt am 29. No- vember v. J.: „Die geehrten Korrespondenten bitten wir, uns nur die reine Wahrheit mitzuteilen, da ungenaue oder gar lügenbhafte Nachrihten unserer Sahe schaden und unfer Vertrauen zu den Korrespondenten {wähen." Daß diese Mahnungen seitens der Berichterstatter genügend beahtet wurden, vermag ih aber leider nit festzustellen. Die Regierurgen in Posen urd Westpreußen haben fortgeseßt zahlreiße Berichtigungen auf Grund des Preßgesezes den Blättern übersenden müssen. Jn Dutenden von Fällen, in denen die Hetereien und Verleumdungen gar zu arg waren, mußte eine gerihtlihe Beslrafung der NRedakteure oder ihrer Gewährsmänner veranlaßt werden.

In derselben Weise wie dur die Presse und fas genau nah demselben Rezept ist in den leßten Monaten durh zahllose Volks- versammlungen auf die polnishe Bevölkerung eingewirkt worden. Wenn in einem Dorfe der Schulfireik nicht recht in Be- wegung kommen wollte, wurde sofort auf Anregung der Zeitungen eine Versammlung einberufen, in der die Familienväter in ganz derselben Weise mündlich be- arbeitet wurden, wie dies im übrigen durch die Presse geschah.

Es ist dahcr nicht zu verwundern, wenn diese von den polnischen Agitatoren lTedigliH aus politishen Gründen entfahte und ge- shürte Bewegung mehrfah zu groben Ausschreitungen geführt hat. Man hat sich ni§t darauf beschränkt, den Lehrern die Fenster- scheiben einzuwerfen, sie zu bedrohen und zu beshimpfen, man ist in einzelnen Fällen zu Mißhandlungen der Lehrer und zu Be- schädi zungen der Shulräume geschritten. Fast noch \hlimmer als diese glückliherweise nur vereinzelt gebliebenen Ausschreitungen zeigt sich die Wirkung des Schulstreiks aber in der dteuiliG zu Tage tretenden Verwilderang der Schuljugend. Diese gegen die belehende Wronung ufzltetlten Und mit großs polnishen Ideen zu erfüllen, ist ja zweifellos der Hauptzweck der eigentlihen Leiter der ganzen Be- wegung. Diesen Zweck haken sie leider in traurigem Maße erreiht. Den Schaden von der ganzen Bewegung wird aber {ließli die polnish s\prechznde Bevölkerung selbst zu tragen haben. Dieser ganze ebenso unpädagogische2 wie unkir&liße Scchulftreik wird ¿zweifellos so enden, wie es die Berliner „Germania“ in einem sehr beahtenswerten Artikel {on am 11. November 1906, wie folgt, vorausgesagt hat:

Ießt prügeln die Lehrer die Kinder, weil si- troßig und ungehorsam sind; bald werten die Eltern die armen Kinder prügein müssen, weil sie auh im Hause unartig, slörrisch und unbotmäßig sind und nach einigen Jahren werden die herangewachsenen Kinde: ihre Eltern prügeln,

(lebhafte Zustimmung rechts und bei den Nationalliberalen. bei den Polen) die sie in ihren jungen Jahren zur Nichtahtung der Autorität und ¡ur Unbotmäßigkeit angehalten haben.“ * (Lebhafte Zustimmung rechts und bci den Nationalliberalen. spruch bei den Polen.)

Die unter Verleßung der bestehenden Schulordnung, unter Zuwiderhandlung gegen Strafgeseßze und unter Anwendurg geradezu roher, vom Standpunkte dec Pädagogik durchaus verwerfliher Mittel durhgeführte Witerstandsbewegung lecte der Negierung die Erwägung

unbär. dig,

Unruhe

Wivder- '

nahe, ob dieser Widerstand nicht durch Anwendung der

Mittel, insbesondere auch hoher Zwangsstrafen, alsbald zy sei. Wenn ih im übrigen der Herr Abg. Styhel gegen di lihe Zulässigkeit solWer Zwangsstrafen heute ausgesprochen

bitte ih ihn, aus den gedruckten Entscheidungen deg verwaltungsgerihts eine Belehrung darüber zu entnehmen, h die Unterrichtsverwaltung jederzeit befugt ist, ibren Anordnungen via

cite V bren e redt,

hat, s D

,

Zwangsstrafen Folge zu geben und vor allen Dingen auh die Sjz,

rungen der Schulordnung durch Zwangsstrafen zu beseitigen,

Die Regierung hat davon in vorsihtiger Abwägung aller Gründ für und wider im Bereih der Provinz Posen vorläufi z Abstand & nommen, und auch die von manchen Seiten empfohlenen Mittel L Schließung der streikenden Schulen, Aus\{hließung der widerspenft; E Kinder, Beseitigung des Religionsunterrihts in der Schule für t Dauer des Streiks, nicht angewendet. Sie hat sich beschränkt auf die führung von Nathsißstunden für die nit antwortenden Kinder und N sonstige Ditziplinarmittel. Die hierdurch den Lehrern erwadsene A gabe war eine besonders schwierige; sie erforderte Besonnenheit & Selbstbeherrschung. Aber zum Ruhme des Lehrer standeg sei es gesagt, daß derselbe, abgesehen von ganz vereinzelte, Ausnahmen, in unentwegterPflihttreue und mit gro d: Takte der Aufgabe gerecht geworden ist. (Lebhafter Beifall rechts und bei den Nationalliberalen. Widerspru bet den Polen, Dank der ruhigen und festen Haltung der Regierung ist “e Streik in langsamer, aber stetiger Abnahme begriffen. Die Zahl der widerspenstigen Kinder ist innerhalb der leßten 4 Monate dox rund 48 000 auf 25 000, der Schulen von etwa 750 auf 590 zurü, gegangen. Jn Westpreußen streiken nur noch 5000 Kinder in 180 Schulen.

Sollte die Stimme der Vernunft bei den unverantworilihen Leitern und Hetern der Bewegung niht endli die Oberhand ge winnen, fo bleiben \härfere Maßnahmen, so bedauerlich es auch seix würde, unvermeidlih. Aber diz Unterrihtsverwaltung sicht dey weiteren Verlaufe der Sache mit Ruhe entgegen, denn auf ihrer Seite ist nicht bloß die Macht, sondern auch das gute Recht. (Lebhafter Beifall rets.)

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (kons.): Die Leidenschaftlichkeit der Herren von der polntshea Fraktion kann ih nit verstehen. Die Herren sollten bedenken, daß die Polen in Galizien, wo sie die Majorität haben, ganz anders verfahren, als wir jy Preußen, wo wir cine maßvolle, gerechte Verwaltung haben, Um was handelt es sich eigentlih? Darum, daß die Verwaltung verlangt, daß in der preußischen Schule iy allgemeinen deutsch gesprochen wird, und daß sie nur die polnishe Sprahe im Religionsunterricht zuläßt, wo die Kinder des Deutsben noch nicht so mächtig sind, um dem Religions, unterriht Verständnis entgegenzubringen. Die Polen meine aber, daß die Kinder felbst zu entscheiden hahen und niht die Schulverwaltung, wie verfahren werden fol, Wenn man sfich das vergegenwärtigt, wie kann man dann dozu kommen, von religiöser Vergewaltigung zu spcehen! Bis zy dem Sculstreik hat niemand daran gedaht, daß diefer Zustand, der seit Jahrzehnten so bestanden hat, in Wid.r pruch stehe mit den Anforderungen der katholischen Religion. Die katholische Kirde nimmt ia der Bretagne und in Jrland eine andere Stellung gegen die Muttersprache ein a’s bei uns. Es ist also eine leere Phrase, zu behaupten, daß die katholische Religion verleßt werde. Es handelt sid nicht um eine Forderung des Menschenreh!8 an der Rligion, fondein um einen nationalen Kampf. Da is für uns der Stand- punkt gegeben. Die Polen stoßen mit ihren nationalen Forderung auf einen nationalen Staat, und dieser kann sih nicht selbit aufgeben. Wenn den Polen nachgegeben wind, verlangen sie alsbald den polnischen Unteriicht in allen Shulfähern und {hließlich die volnisdhe Sprache überhaupt in den polnischen Landeeteilen. Mözen die Polen ihren nationalen Stantepunkt hier vertreten, ih habe Verständnis dafür, aber wie können Sie (zu den Polen) es ver- antworten, daß Sie zum Deckmantel Jhrer nationalen Poutik Ihre eigenen Kinder gemaht haben, die in Achtung vor der Autorität der Lehrer und der Otrigkeit und den Vorschriften der Schule erzogen werden sollen! Sie haben einen Konflikt in den Kindern entfesselt, der einmal Konsequenzen nid nach Ihren Wünschen haben wird! Im nationalen Kampfe soll man nit seine Kinder vocshicken, sondern selbst vorangehen Die Negierung hat verständige Maßregeln angewendet, aber ih fürhte, fie allein werden einen Erfolg niht haben. Die Wirkung liegt nicht bei den Kindern, sondern außerhalb der Kinder ; die Regierung wird erst Erfolge haben, wenn sie gegen die Eltern selbst vorgeht. Wir weiden die Regierung bei solden Maßregelx unterstüßen. Worüber beklagen Sie sih, meine Herren Polen? Sie klagen über Barbarei und menshenunwürdige Zustände, Aber wer ist es denn gewesen, der Ihnen Kulturzustände gebraht hat, die Sie niemals zuvor gekannt haben? Wer tat Ihnen Wohlstand gebracht, eine so geregelte Verwaltung, wie man sie faum jemals in polnishen Ländern kennt? Es is undank- bar von Ihnen, wenn Sie sich als die Gemißhandelten bin stellen. Wir werden und können die Regierung nicht im Sk! lassen, wenn sie ihre Autorität in der Shule aufrechterhalten will. Geben Sie Ihren Widerstand auf! Wir müßten uns selbst aufgeben, wenn wir den Stantparkt der Regierung verlassen würden!

Abg. Dr. Dittrich (Zentr.): Wir müssen es durchaus mißbilligen, wenn die Schule und die Kinder in die nationalen Kämpfe hinein

gezogen werden. Aber die Polen kehren die religiöse Scite hervor; j

der Erzbischof sagte, es handle sich um die Gefährdung der Serie und um das Seelenheil. Es stehen sich hier die Autorität der Gel lichen und tie weltliche urd pädagogisd;e Autorität gegenüber. Wer dat da zu entsheiden? Ich meine, die Schulaufsichtsbehörde sollte im (ip verständnis mit den Geistlichen die Frage des Unterrichts ent heiden. = fragt sich ledigli, ob das Kind sür die ihm gebotene r:ligióse Lehre do? nôtige Verstäntnis mitbringt. Die Ki: che steht über den Nationalitäïer: In einer fremten Sprache wird man niemals so warm und [9 #8 empfinden können wie in der Muttersprache, und die ganze Bedeutun des Relizionsunterrichts ist zu bemessen nah den Wirkungen auf Gemüt. Ob diese Vo auss hungen in den Schulen in Po o Westpreußen und Ober'chlesien vorhanden sind, darüber konn die Autoritäten entscheiden, aber niht wir in diesem Hause- 4 Swulftreik ist aber durhaus verweiflich. Schule und Sit müssen in der Erziehung harmcnisch zusammenwirken, und des halo Ñ es nit angebrackcht, daß die Eltern die Kinder zum Widerstand ce die Schule verai lassen. Jn den Kindern wird dadunch cin ges s Korflikt hervorgerufen, der ihrer Entwicklung nur schädlih sein 28 Daß die Regierung den Schulstreik nicht ruhig binnatm, sondern E den gebotenen Mitteln einschritt, ist wohl begreiflich. Aber T urzel fragen, ob cs nit richtiger gewesen wäre, das Ucb.l an der oft zu fassen und die zu besirafen, die tie Kinder zum Streik V Ee: haben, anstatt die Kinder das Verg-hea der Eltern büßen zu e Man muß “bedenken: sunt pueri, pueri puerilia ai Die Maßnahmen ggen die Eymnasiasten finden wir éunges erdcntlich hart und bitter, weil unverdient. Die L i Leute werden aus ihrer Laufbahn einfa herauégeworfe# E sehr bestimmte und wissen niht, was sie anfangen sollen. Es e zu wünschen, daß die Regierung in dieser Bezichung eine Zen und eintreten ließe. Wir yom Zentrum bedauern den Sh e hand hoffen, daß er bald cin Ende finden möge, und daß diese

lungen dazu beitragen mögen, dem Streik ein rasches Gde u im Interesse der Schule, der Eltern und der Kinder. Wenn der

/ d, wird die Unterrichtêverwaltung sich aber fragen müssen, ob t O Sis gewissen Sinne den Wünschen der polnischen Bevölkerung

d nkommen kann. Auf dem zarten Gebiet der Religion muß die

eald orventlih vorsihtig vorgehen und sich niht von Regie uns lassen Es wird den Charakter der Schule nicht

le Peru ie tigen, wenn man den NReligionsunterriht niht in ‘den

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nationalen Politik stelt. Es is vorgeschlagen, den Dien rsunterricht so lange in der Muttersprache zu erteilen, bis die Ser in den Kommunionsunterriht des Geistlichen kommen. Wenn tin cle und die Geistlichen zusammenwirken, werden die Geistlichen de Beicht- und Kommunionsunterricht fo intensiv gistalten können, v alle etwaigen Unvollkommernheiten beseitigt werden. Wenn man ta hershlesicn nach den Würschen der Geistlihen den polnischen seligiorsunterricht in der Mittel- und Oberstufe zuließe, würde man olen die Hauptwaffe der nationalen Agitation nehmen. Jhre Opposition gegen die deutshe Schule würde dann mint estens er- Himen. Wenn der P wiederhergestellt is, muß der Kirche ein rößerer Eirfluß auf den Neligiontunterriht eingeräumt werden. Huch den Falkshen Erlaß ist diefer Enfluß auf ein Minimum herabgeseßt worden. Wir bedauern also den Schulstreik und hoffen, daß 24 die dazu berufen sind, ihm recht rasch ein Ende bereiten im Interesse des Staates, der Kirche und der Familie. : : Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole): Sie dürfen uns nicht ver- übeln, wenn wir diese Frage mit einer gewissen Schärfe behandeln. Der Minister bestreitet, daß es Grundsaß der katholifhen Kirche ist, daß der Religionsunterriht in der Mutterspracbe erteilt werden soll. Jm Tridentinishen Konzil i} dieser Grandsaß abzr absolut festzelegt, mud dana haben alle Bischöfe für ihre Diözesen diesen Grundsaß betont. Es ist ganz ausgeschlossen, daß Kinder von aht Jahren, wean sie in die Mittelstufe eintreten, der deutschen Sprache so máhtig sind, daß fie das richtige Vecständnis für den deutschen Religion8unterriht haben. Bis 1873 herrschten in der preußischen Shulverwaltung ganz andere Grundsäße, als dann in der Ver- ordnung über die Unterrihtssprache von 1873 zur Geltung gebracht wurdea; bis dahin herrshte der einzig vernünftige Grundsaß, daß der Unterricht ia der Muttcrsprahe erteilt werden müsse. r konservative Redner hat mit großer Schärfe ecklärt, dh seine Partei die jeßige Richtung der Schulverwaltung aufrechterhalten und unterstüßen werde Die Schule is aber nur dazu da, das Familienleben und die Erziehung in der Familie zu unterstüßen, und dayon kann bei dem Unterricht in einer fremden Sprache gar niht die Nede fein. Es ist möglich und wah: scheinlich, daß der Schulstreik aufhöct, und das wird der Regierung angenehm sein, aber damit höôrt die Unzufriedenheit nicht auf, der Stachel bleibt. Die Erfolge des Unterrichts der polnischen Kinder können bet dem j/zizen System nur geriag sein; wenn die Kinder die Squle verlassen haben, verlernen sie die deutshe Sprache wieder in einem Jahre. Und der Unterciht in der polnishen Sprache kommt gleichfalls zu kurz, sodaß die Kinder vielfach niht Polnisch lesen und schreiben lernen. Oas ganze System der Volkeshule muß in den polnischen Landes- teilen geändert werden, und es bleibt nihts anderes übrig, als den Religionsunterriht in die Hände der Kirhe zu legen. Die Untecrihtsverwaltung ist auf einen toten Strang gzraten, se will niht zurückweihen. Was wir aber verlangen, ist ein Ver- langen der Bevölkerung. Die Schuld trägt die Schulverwaltung, wenn keine geordneten Verhältnisse hergestellt werden können. Auch die Schulinspektoren und die Lehrer tragen die Schuld, weil sie ein Uebermaß von Schulzucht angewendet haben. Nur durch Gerechtigkeit wird es möglich sein, den Frieden wieder herzustellen zum allgemeinen

Besten. Minister der geistlichen 2c. AngelegenheitenDr. von Studt:

Meine Herren! Der Herr Abg. von Jazdzewski hat es wiederum,

wie son in der Budgei1kommission, als einen unumstößlihen, unter allen Umständen zu befolgenden Grundsaß der katholischen Kirche be- zeichnet, daß der Religtonsunterriht in ten Volksschulen in der Muitersprahe zu erteilen sei. Wäre diese Behauptung richtig, so würde der Zustand, der seit Menschenaltern in den ge- mischt sprahigen Landesteilen der Monarckie herrsht, son längst Veranlassung gegeben haben, um von autoritatiy - kirchlicher Seite eine grundlegende Aenderung herbeizuführen. Das ift tat- sählih niht der Fall, und es ist kost charakteristisch, daß die Ver- \uhe, eine Aenderung in dem bestehenden faktischen Zustand herbeizus führen, und jenen angeblihen Grundsay der katholischen Kirde unter allen Umständen zur Geltung zu bringen, immer nur von einem be- stimmten Agitationsgebiet ausgehen. Soweit dies Agitationszebiet niht seine Wirkung übt, hört die Geltendmachung dieses Grundsatzes auf, wie die täglihe Erfahrung lehrt. SHhon allein dieser tats sählihe Zustand - beweist, daß der Herr Akgeordnete nit im Reht ift. Die Hochacktung aber tor ter Gelehrsamkeit und der Gewissen- haftigkeit des Abg. von Jazdzewski hat mich veranlaßt, nachdem cr neulih mit so besorderer Prägnanz diesen Grundsaß wieder theoretisch zur Geltung gebracht hat, nech eine erneute Erörterung der Sache bon unterrihteter Seite vornehmen zu lassen, und ich muß um Nach- scht bitten, wenn ih in aeternam rei memoriam nunmehr diese Dulegungen dem hohen Hause zur Kenntnis bringe.

Die allgemeia vom Herrn Abg von Jazdzewski vertretene Auf- fassung, das unter allen Umständen der Religionétunterriht nah den Grundsätzen der katholischen Kirke in der Muttersprache zu erteilen sel, ist eine irrige. Sie wird in erster Linie gestützt auf Besiimmungen im 7. Kap. der 24. Sitzung des Konzils von Trient, woselbst vor- geschrieben ift, daß die Geistlihen vor der Spendung der Sakramente deren Bedeutung und Nutzen den Gläubigen pro suscipientum captu étiam lingua vernacula si opus sit et commode fieri poterit ju aiflären haben.

Ich bitte um Entschuldigung, meine Herren, wenn ih hier den lateinishen Text verlesen habe. (Zurufe bei den Polen: Weiter lesen!) @s is aber zum Verständnis der Sache notwendig. Diese erwähnte Vorschrist bezieht sh einmal überhaupt nicht af den Schuluntecriht, sondern auf die Unterweisung von firhlißer Seite. Volksschulen in unserm Sinn2z bes standen damals bekanntli überhaupt nit. Die Vorschrift tellt im übrigen die lingua vernacula oder lingua vulgaris, d. h. die dem Volke ve:ständlihe Sprache, der offiziellen Kirchen- sprahe, dem Lateinischen, gegenüber. Dagegen betrifft sie keineswegs den Unterschied zwishen Muttersprache und Landeösprache. Schließlich shreibt sie eine Erklärung der Sakramente in der lingua vulgaris nur dann vor, wenn es notwendig ist und shicklich geschehen kann, Auf genau demselben Standpunkt stehen die staat- lien Verordnungen über den Neligionsunterriht in den Volks sGulen in der Provinz Posen. Es ist ausdrücklich vorge- \h:ieben, daß der Neligionsunterriht den Kindern polnisher Zunge ¡unäh{t in polnisher Sprache und erst dann in der deutschen zu er- teilen ist, wenn die Kinder zu einem hinlänglichen Verständnis diéser Sprache durch den anderwett erhaltenen Unterriht vorge- lhritten sind.

Hiermit is der vorerwähnte Grundsay der katholishen Kirche durhaus beahtet. Die Kirche ist welt entfernt es würde dies

{on ihrem unlversellen Charakter widersprechen

die Pflege der Muttersprahe eines einzelnen Volksstammes unter allen Umständen uny ohne Rücksiht auf entgegen- stehende staatliche Interessen zu verlangen, Es geht dies klar hervor aus dem beahtenswerten Breye, welches der Papst Leo X111, unter dem 20. Juli 1901 an die böhmischen und mährishen Bischöfe be, züglih der Sprachenfrage gerlchtet hat, E wirh dort mit Recht ausgeführt, daß es an sich niemandem verwehrt sei, accoptam a proavis linguam amare tueriíque velle, Dann fährt ver Papst aber fort: quod tamen doe cetoris privatorum juribus valet, valere hic etiam tuendum est, n6 quíd 0x corum prosecutione communis rei puhbl]l utilitas patiatur. (Sehr richtig! bei den Polea,) Das heißt, es bürfe tas Allgemeinwohl darunter nicht leiden, Fh kann übrigens noch cine speziellere päpstlihe Kundmachunz des jeigea Paypfles dafür anführen, daß die an unsern Volksshulen bestehenvz Regelung des Kelizionss unterrihts den kirchlichen Vorschriften vurch1u2 Stabe letzt

Unter dem 15. April 1905 hat der Papst Pius X Enzyklika : Acerbo nimis erlassen, dur welte vie Erteilung eta eingehenden kirhlihen Neligionsunterrihts fe le Fugerd und die Einführung einer besonderen doctrin christianase zur Unterstüßung des Pfarrklerus bei tieler Aufgabe v0 geschrieben wurde. Gegen die Ausdehnung der Vorschriften dieser Enzyklika auf Preußen haben die Bischöfe Preußens Üebzcein- stimmung mit dem Erzbishof von Freiburg und tem Bischof von Mainz bei der Kurte Einspruch erhobzn mit der Wegründung, daß in Pceuß:in für die religiöse Unterweisung der durh Kirhße und Swhule hinreihend gesorgt sei, und deshalb für die Einführung einer besonderen doctrinae christianae fein Bedürfnis vorliege. Der Papst kat dem Antrage der Bischöfe entsprohen und durch Schreiben vom 21. August 1905 diese beaahrihtigen lassen, daß dur die in Preußen bestehenden Einrichtungen, postulatis quorum mentio ac jussío in enclyclicie litteris acerbo nimis habetur, \chon vollauf genügt werde.

Daß in der Tat die katholische Kirche selbst bei der Unterroeisung der Kinder keineswegs immer deren Muttecsprache, vielmehr au jede andere, den Kindern verständlihe Sprache benußt, können Sie im übrigen, wie dies hon der Herr Abg. von Heydebrand bemerkt bat, aus der Praxis der Kirche in Icland und in der Bretagne erseh?n. Wie in der beachtenswertea Broschüre des Geheimrats Zimmer, des bekannten Keltisien an der hiesigen Universität, „Randglossen eines Keltisten zum Swhulstreik in Posen-Westpreußen und zur Osft- markenfrage“ ausführlih dargelegt wird, erteilt der iris{he Klerus durchweg und der bretonishe ganz überwiegend den Religtions- unterriht in englisher bezw. in französisher Sprade auch in folhen Gegenden Irlands und der Bretagne, wo die keltische Sprache als Volkssprach? vorberrsht. Wie bekannt, wird auch in den Klostershulen in den vlämishen Provinzen Belgiens der Religions- unterriht in großem Maßstabe in * französisher Sprache erteilt. Ebenso haben die katholishen Orden, namentlich die weiblihen Kon- gregationen zur Zeit des dritten Kaiserreichs, in den deutschen Kreisen des Elsaß mit Vorliebe den Religionsunterriht an die kleinen Kinder in französisher Sprache erteilt. In einem Rundschreiben des Präfekten des Niederrheins an die Unterpräfekten vom 28. Oktober 1859 wird deswegen die Eröffnung von Kinderbewahßr- anstalten dur Ordens8genossenshaften a!s vorzüglißes Mittel zur Ausbreitung der Kenntnis der französishen Sprahe empfohlen, von Kinderbewahranfstalten, tout cedit en français ‘de manière que lenfant est initió à cetts langue avec des idées et des concoeptions entièrement nouvelles, qui se fondent dans s0n jeune esprit.

Endlich bietet aber ein schlagendes Beispiel dafür, daß es unmöglich ein aus8nahmloser Grundsay der katholischen Kirche scin kann, den Religionsunterriht den Kindern nur in deren Muttersprache zu erteilen, das Verhalten der polnischen Geistlichen selbst.

Nicht nur von mir, sondern auch von meinen Amtsvorgängern namentlich von den Herren von Gofler und Bosse, ist in diesem hohen Hause wiederholt darauf hingewiesen worden, in welchem Maße die polnishe Geisilichkeit in den Erzdiözesen Gnesen und Posen mit Hilfe des polnishen Beiht- und Kommunionunterrihts von Hause aus deutshe katholische Kinder potonisiert hat. (Hört, hört! rets.) Daß diese Behauptung zutrifft, dafür kann ih zunächst mich im allgemeinen auf eine Aeußerung des Herrn Abg. von Jazd- zewsfi am 8. März 1900 berufen, der als Grund für die ungenügende Seelsorge der deutschen Katholiken ganz ofen zugab, daß es in den Diözesen Gnesen und Posen wenigstens 59 9% fkatholische Geistlihe gebe, die niht deutsch predigen können. Wenn aber jemand niŸt einmal etne deutsche Predigt ausarbeiten kann, kann er felbstverständlih noch viel wenizer in deutsher Sprahe ReligionsunterriFt erteilen. (Sehr richtig! bei dea Nationalliberalen.) Er ist daher ohne weiteres gezwungen, auch im Beiht- und Kommunionunterricht d'e polrishe Sprache anzuwenden ohne Nüksiht darauf, ob sich unter seinen Beichlkindern solhe deutsher Muttersprache befinden. (Sehr wahr! rechts.) Nun leben, wie bekannt, in der Provinz Posen annähernd 159000 deutsche Katkoliken, die keineswegs auf cinige wenige größere Städte zusammengedrängt sind, sondern verstreut in der ganzen Provinz wohnen. Es wird nur eine geringe Zahl von Kirchengemeinden geben, zu denen nit auch einzelne deuts@e Katholiken gehören. Nah der von dem Herrn Abg. von Jazdzewski selbsi zugegebenen mangelnden Kenntnis der polnischen Geistlihen in der teutshea Sprae müssen daher notwendig eine ganze Reihe deutsher Kinder polnishen Beicht- und Kommunion- unterriht erhzltcn. Daß dies tatsählich der Fall ist, könnte ih Jhnen an einer großen Anzahl amtlich festgestellter Beispiele beweisen. (Hört, hört! rechts und bei .den Nationalliberalen.)

Meine Herren, zum Schluß muß ih sagen, daß der Herr Abg. von Jazdzewski heute wiederum eine lediglich vom Standpunkt der besonderen Verhältnisse in der Erzdidzese Posen-Gnefen von ihm be- gründete, vom Staat aber als unerfüllbar bezeichnete Forderung qufs gestellt hat. Daß wir diese Forderung nicht erfüllen, das is ganz er- flärlih ; die Schuld liegt nit auf unserer Seite. (Lachen bei den Polen.) Ein mit unerlaubten, verwerflihen Mitteln unter Verleßung der elementarsten pädagogischen Rücksichten und der elementarsten Nück- sicht auf Schulordnung, auf staatlihe Autorität begonnener Streik fann unmögli; von uns mit Konzessionen beantwortet werden.

1CBO

condregäatio

Eh Jugend

congregatio

(Sehr rihtig! Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Abg. Dr. Friedberg (nl.): Die Herren Polen setnen heute thren großen taulaméidadidien Tag haben zu wollen, aber sie werden dabei nicht auf ihre Nehnung kommen. Es ift ihr besonderes Miß- geshick, daß sie Herrn Styhel haben vorangehen lassen, der dur die ganze Art seines Vortrages, durch seine Uebertreibungen, durch sein Pathos einer nüchternen Beurteilung der Frage entgegengearbeitet hat und au feine Wi.kung bei denen haben wird, die seine Argumente vielleiht annehmen würden. Er tat au nit klug daran, aus der Schale zu Pplaudern, als er davon sprach, daß es si bei dem Schulstreik um Abwehrmaßregeln gehandelt habe. Damit hat er ausdrüdcklih zugegeben, daß hauptsäch- ich politishe. Motive zu dem Schulstreik geführt haben, und die ethishen Motive sekundärer Natur gewesen sind. Jch frage Ste: fann es ein ethishes Motiv überhaupt sein, wenn man die armen, unglücklihen Kinder vor ten Wagen der großpolnischen Agitation spannt? In betreff der angeblichen religiösen Motive finn ich dem Kultusminister nur beistimmen. Es ist in der Zat eigentümlich, daß die fkatholishe Kirhe bisher in anderen gemischtsprachigen Ländern niht auf Ausübung des Neligions- unterrichts in der Multersprahe bestanden hat. Uebrigens haben ih die Polen auch sehr |pät auf dieses relizió)e Motiv beionnen, benn die betreffende Verordnung stammt aus dem Jahre 1873, und jeyt erst ist es den Polen einzefallen, die armen Kinder in den Schulstreik hineinzutreiben. Also dieses Argument ist nicht recht ernst zu nehmen. Wir, die wir die (hre haben, diese Fragen vom Standpunkt der Erhaltung des Staates ¡u v:rtreten, müssen fragen, wohin folche Ansprüche führen follen ; wohin fäâme die Justiz, wenn jeder verlangte, daß er ten Eid nur in feiner Muttersprache ablegte! Herr von Jazdzewski hat erklärt, er als fatholisher Priester müsse diese Dinge besser verstehen. Wie kann ein einzelrer Pfarrer sich als Vertreter der katholishen Kirche binstellen, das steht doch nur den Bischöfen oder noch höheren Instanzen in der katholish:n Kirche zu. Aus der „Katholischen Rundschau“ entnehme ich, daß ein polnishes Kind in West- falen seinem Lehrer sagen mußte, daß sein Vater es zu Hause s{hlüge, wenn es deuts sprähe. Darüber wäre doch die Entrüstung des Herrn Stychel viel eher am Playe. Wenn solche Dinge schon in Westfalen vorko:nmen, wie groß mag dann die Verheßzung in Posen und Wesipreußen erst sein! Nun ist gesagt worden, daß die Lehrer gar keine Rücksicht nehmen auf solhe Kinder, die nur polnisch sprechen können und erst in die Schule aufgenommen werden. Das bestreite ih nah den Aufklärungen, die uns in der Kommission gegeben worden sind. Es wäre vollkommen sinnlos, wenn folche Kinder nur deutsch angesprochen würden. (Erneute Zurufe von den Polen: Das ist fal\ch! Das ift nicht wahr!) Warum follen denn Ihre (zu den Polen) Behauptungen richtiger sein als meine? Sind Sie Kreisschulinspektor, Herr Korfanty? Es wird bei uns so rücksihtsvoll verfahren, wie in allen anderen gemishtsprahigen Ländern auh. Zum Beweise dessen, wie not- wendig für die polnischen Kinder die Kenntnis des Deutschen ist, verweise ih auf Graubünden, wo man aus freiem Entshluß dazu gekommen ist, für den Schulunterriht das Deutsche einzuführen, auch für den NReligionsunterriht, weil man der Meinung war, daß jeder Mensch möglihst eine dec großen Kultursprachen beherrschen muß. Die Erteilung des Religionsunterrihts in der Muttersprache würde auch zu einer vollkommenen Polonisierung führen ; das i} ein geshickter Trick von Ihnen, Sie wollen den Religioasunterriht als Hintertür benutzen. Herr von Jazdzewski hat nun auch von pädagogishen Grundsäßen ge- \prochen, denn er ist viel zu klug, seine nationalpolnischen Motive zuzugeben. Aber mit den pädagogishen Grundsätzen ist es wie mit den religiösen. Es köanen auch ausgezeihnete Schulerfolge erzielt werden, wenn man fh bei dem Unterricht niht der Sprache bedient, die man sonst gewohnt ist. Man hat von Tendenzen in der Familie gesprochen, die man unterstüßen müsse, oder denen man entgegentreten müsse. Wir meinen, daß die Schule eine Veranstaltung des Staates ist, und daß nah den Lehrplänen der Schule ohne Rücksicht auf Tendenzen, die sih geltend machen können, der Unterricht erteilt wind. Erzwingen lassen sich solche Verhältnisse in den Familien doch nicht, denn das hat der Staat nicht in der Gewalt; er muß aber Staatsbürger heranziehen, die imstande sind, wirtschaftlich und politisch Bürger ihres Vaterlandes zu werden. Die preußishe Regierung muß in threr Haltung fest bleiben. Ich kann ihr di: Anerkennung nicht versagen, daß sie fest, aber auch außerordentlich maßvoll gewesen ift. Gegenüber der von polnisher Seite geübten ungeheuren Verheßung haben sih die Lehrer im Osten mit vielem Takt benommen, und i sage den deutschen Lehrern in Posen und Westpreußen den herzlichsten Dank dafür. Jch gebe zu, daß die Maßregel der Relegierung von Sqülern höherer Lehranstalten, deren Geschwister in den Volksschulen am Shulstreik teilgenommen haben, hart erscheint, aber wir befinden uns in einem Krtege, der uns aufgedrängt worden ift. Der Kultu8minister hat auch in Ausficht gestellt, daß solhe Maßregeln sofort zurückgenommen werden, wenn die Beteiligung der Geschwister am Swthulstreik aufhört, und das soll auch shon geschehen sein. Herr Stychel hat gesagt, die Haltung der polnischen Kinder im Schulstreik babe die Bewunderung der ganzen Welt errezt. Wenn die ausländische Presse diesen Er- \cheinungen gegenüber etnem Gefühle Ausdruck geben will, fo dürfte es nur das des Mitleids mit den armen versührten Kindern sein. Zu meiner Genugtuung sagte Herr Stychhel niht, daß auch die Eltern Bewunderung erregt hätten. Ich meine auch, daß deren Hung ganz andere Gefühle erregen müßte, denen ih hier nicht Auédruck geben will. Das Herz der Kinder wird in einer Weise vers giftet, die niht wieder gut zu machen ist. Die seitens der polnischen Abgeordneten beliebten Uebertreibungen wegen des „Barbarismus“ haben ja auch lebhaften Widerhall in Galizien gefunden, wo der dortige Landesmarschall die Kühnheit besaß, eine Erklärung wegen der Behandlung der Polen in Preußen abzugeben. Das ist eine Kühnheit gewesen, denn die Polen in Galizien hätten Urs1che, über ganz andere Dinge entrüstet zu sein. Am 21. Dezemb:er 1906 hat der Abg. Ritter von Jaroshky im österreihishen Reichsrat den dortigen Kultuêminister wegen der Behandlung der Nuthenen in Galizien interpelliert. Er hat dabei mitgeteilt, daß ein polnischer Lehrer den Kindern verboten hat, in die ruthenisWe Kunde zu gehen, daß er den ruthznishen Kindern ihre Muttersprahe als Umgzangs8- sprache verboten hat, und daß er zuleßt eigenmächtig über- haupt die ruthenische Sprahe im chulunterriht aufbo. Die Eltern beshwerten fi, und der Statthaltec versprah eine Unter- suhung. Es erfolgte dann der Bescheid seitens des K. K. Be- zirkshauptmanns, daß dec Lehrer einer der hervorragendstzn Schul- mäaner seines Bezinkes sei, und Beschwerden gegen ihn unzuläfsig seien. Ich frage Sie, hat man jemals in Preußen gehört, daf es polnischen Kindern verboten ist, iu die Kirche zu gehen? Können Sie nachweisen, daß Kinder niht zum polnishen Gottesdienst zugelassen worden sind ? (Der Redner veiliest noch mehrere Fälle aus der öôsterrethis{en Interpellation, nach denen in Galizien cine Unterdrückung der rutbenischen Sprache, besonders im Religion5unter- richt, stattgefunden habe.) Die große tragishe Maske, unter der die polnishen Nednec auftreten, haben wir keine Veranlaffung tragisch zu nehmen. Der preußische Staat hat ein gutes Gewissen, die Schul- verwaltung hat ihre Pflicht nah allen Richtungen getan, sie ist fest und maßvoll geblieben. Ih hoffe, daß sie auf diesem Wege bleiben wird; sie wird dabei die Unterstüßung der Mehrheit diefes Hauses

aben.

Y Abg. Freiherr von Zedliyg und Neukirch (freikonf.): Ich s{ick- voraus, daß die in den „Preußischen Jahrbüchern“ von meinem Freunde Delbrück v.rtretene Auffassung niht von der Mehrheit meiner Freunde geteilt wird. Der polnische Schulstreik hat drei Ziele gehabt ZunäSft hat man das Mittel des Schulstreiks in Preußen erproden wollen es sollte eine Krafiprote gemaht werden; fodann is zweifellos bezweckt worden, durch den Schulstreik den Teil der völkerung zu den polnishen Bestrebungen beranzuzieden, der

wie namentlih die bäuerlihe Bevölkerung, bisder za der volni Bewegung kühl verhalten hat; es follte eine S è Straz- und Sokolvereine, eine Probe der Volks

der polnisben Organisation gemact werden d ei Seite des SHulstreiks eine ganz untergeordnet: Rede d T

H »ck nur den Deckmantel gebildet für die delt Fen