1907 / 103 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 29 Apr 1907 18:00:01 GMT) scan diff

i e mre R T R R E U E H L

Sara Me C E M E E T E

erren von der Linken erklärt, daß sie niht in der Lage wären, für die ogenannte Oftmazkenzulage zu stimmen, wenn die Zulagen widerruflich gemacht würden. Ein inzwischen eingebrahter Antrag Pachnike will, daß die Zulagen nit widerruflich, eri unwiderruflih gewährt werden. Bei dieser Sachlage sehen sich beide konservativen Parteien gerngk für den Antrag Pachnicke zu stimmen, um überhaupt den Reichs- eamten zu dieser Zulage zu Bethe, Ich bedaure, U wir uns in dieser Notlage befinden, und ich möchte den Wunsch an die Reichspostverwaltung und die verbündeten Regierungen richten, daß, wenn dieser Antrag angenommen werden sollte, sie sich dann au geneigt zeigen follten, ibnt zu entsprehen. Die Regierung hat i E seinerzeit unwiderruflichen Zulagen nicht abgeneigt gezeigt.

as die Beamtenfrage selbst betrifft, fo sollte der Reichstag fich in der Erörterung der zahlreihen Petitionen Beschränkung auferlegen, nahdem eine umfassende Gehaltsaufbesserungsvorlage in Aussicht ge- stellt ist. Jch betone deshalb auch meinerseits nur, daß ich mich den Ausführungen des Abg. Dröscher über die geringen Gehaltssäß? der Unterbeamten in den ostelbishen Gebieten durhaus anschließe. Wunderbar ist, daß trog alledem der Dans zu diesen Stellen immer noch ein fehr großer ist, und der Bedarf bisher immer gedeckt werden konnte; dennoch muß etne wesentlihe Neform durch Erhöhung der Gehaltss\äße Plaß greifen. Was die mittleren Beamten be- trifft, so freue ih mich, in ihrer Denkschrift den Gedanken aufgenommen zu sehen, den ich selbst {hon vor Jahren vertreten habe, daß nämlich an die Vorbildung und Ausbildung unserer Pu mit Rücksicht auf ihre späteren Funktionen zu viel An- orderungen gestellt werden. Eine ganze Reihe von mehr äußerlichen Funktionen unseres Postdienstes ließe sich durh tüchtige Leute mit Elementarbildurg versehen. In der Eisenbahnverwaltung werden eine Menge viel wihtigerer und chwierigerer Geschäfte von ehemaligen Militäranwärtern ohne höhere Schulbildung durchaus befriedigend wahrgenommen. Es wird also zu erwägen sein, ob niht wirklich zwischen den mittleren und unteren Beamten eine Klasse eingeschoben werden kann, der jeßt mehr äußerlihe Funktionen übertragen werden, so daß auf diese Weise eine Möglichkeit geschaffen wird, die bereh- tigten Wünsche der petitionierenden Beamten zu befriedigen. Die Herren behaupten, daß die taa die gleihwertigen rbeiten erheblich höher bezahlt, als der Staat und das Reich. Es wäre durchaus notwendig, hierüber einmal Material zu beschaffen. Sollte es sich herausstellen, daß die Privatbeamten der ähnlichen Betriebe, wie die bei den Straßenbahnen usw., ein ungleih höheres Gehalt beziehen als die Postbeamten, so würde dies entschieden die Wünsche der leßteren erheblih unterstüßen. Man wird allerdings bei solhen Ermittlungen die Vorteile der Staatsbeamten, ihre Pension usw. mit berücksihtigen müssen. Jn einem industriellen Unternehmen, dem ih nahe stehe, wird fogar das Abiturientenexamen als Vorbildung verlangt, ein Zeichen, daß auch kaufmännische Be- triebe eine wissenshaftlihe Vorbildung beanspruhen. Es wäre auch zu erwägen, ob nicht ein gewisser Verkehréluxus beseitigt werden könnte. In Berlin findet eine zwölfmalige Briefbestellung statt. Dem großen Publikum würde wohl damit gedient sein, wenn flatt dessen feitanial bestellt würde. Man könnte auch hier und da die Einnahmen erhöhen. Da unsere Telegrapheneinnahmen die Kosten nicht tecken, so könnte man vielleiht den Minimalsag der Telegramme von 50 auf 60 4 erhöhen. Man kann niht nahprüfen, inwieweit die postalischen Ausgaben im Postetat sehen. Es müßte einmal festgestellt werden, welche Einnahmen notwendig sind, damit die Postverwaltung ihre Ausgaben wirklich vollständig deckt. Dazu Cre auch der Nachweis über die die Postverwaltung betreffenden nleihen für die Erweiterung des Telegraphennetzes, die Pensions- beträge usw. Dann würde sh ermitteln lassen, ob der Verkehr wiiklich das einbringt, was er einzubringen hat. Jch möchte die Verwaltung um die Erfüllung meiner Wünsche bitten.

Staatssekretär des Reihsshaßamts Freiherr von Stengel:

Meine Herren! Was die fogenannten Osimarkenzulagen anlangt, von denen der Herr Vorredner soeben auch gesprochen hat, so möchte ih mir gestatten, daran zu erinnern, daß im Jahre 1904 die verbündeten Regterungen durch den Reichshaushaltëetat eine Summe angefordert hatten von im ganzen etwas über 800 000 Æ zu folchen Zulagen für die mittleren und unteren Beamten der Neichspost- und der Heeres- verwaltung in den östlihen Provinzen Preußens, in Posen und den gemischtsprachigen Bezirken Westpreußens. Diese Zulagen waren im Etat für 1904 von seiten der verbündeten Regierungen im Anschluß an die Regelung der Angelegenheit in Preußen als widerruflih ge- dacht. Der Reichstag hat damals jener Forderung keine Folge ge- geben. Darn ist im Etat für 1905, und zwar allein noch für den Etat der Reichspostverwaltung, eine Forderung eingebraht worden von im ganzen 200000 Æ, um jenen Beamtenkategorten, deren ih vorhin gedachte, wenigstens Unterstüßungen gewähren .zu können. Auch diese Forderung hat eine Annahme von seiten des hohen Hauses nicht gefunden. Nun sind die verbündeten Regierungen in den Jahren 1906 und 1907 auf jene Forderungen nicht mehr zurück- gekommen. Jeyt find aus der Mitte des hohen Hauses heraus ver- schiedene Anträge gestellt worden, welche den Gedanken der ver- bündeten Regierungen aus dem Jahre 1904 wieder aufnehmen, aller- dings mit der Aenderung, daß, wie aus dem Antrage Or. Pachnicke hervorgeht und ih nehme an, daß die Mehrheit dieses hohen Hauses die Absicht hat, \sich auf diesen Antrag zu ver- ständigen —, diese Zulagen einen unwiderruflichen Charakter er- halten sollen. JIch war nun bisher noch niht in der Lage, Erörterungen innerhalb der verbündeten Regierungen zu ver- anlafsen, welhe mich in den Stand seßen würden, heute eine materielle Erklärung zu den vorliegenden Anträgen abzugeben. Ich kann das um so weniger, als gerade der Antrag, auf den es mir hauptsächlih anzukommen scheint, und der sih vermutlih zu einer Resolution verdihten dürfte, erst vor wenigen Minuten gedruckt in meine Hände gelangt ist. Ih muß mi deshalb heute auf die Er- klärung beshränken, daß ih für den Fall, als die Refolution in diesem hohen Hause Annahme finden sollte, den verbündeten Regierungen ihre Stellungnahme zur Resolution bis zur dritten Lesung vorzu- behalten habe.

Abg. Hamecher (Zentr.) : Ein Vergleich der Staats- und Reichs- beamten mit den AOERGSe llen auf Grund von ftatistischen Unterlagen wird sehr große Schwierigkeiten haben, weil die Grund- äße für die Bezahlung der Angestellten in Privatgeshäftsbetrieben urhweg bei jeder Firma, wenn niht bei jedem Angestellten, einen speziellen Charakter tragen. Der Staatsbeamte muß meist sehr VeRE sein, e vielseitiger als der Privatangestellte, der infolge der durhgeführten Arbeitsteilung immer mehr oder weniger Spezialist sein wird. ea der Betrieb bei der Eisenbahn- verwaltung s{chwieriger und komplizierter ist als bei der Post- Var wang, möchte ich mit der Beschränkung zugeben, wenn nicht bei der Cisenbahnbehörde eine [e strenge Dienstgliederung durh- rohe wäre, wie sie fich für den Postbetrieb nicht eignet.

araus folgt, daß b den Eifenbahnbetriebsdienst höhere Ansprüche sowohl in der Ausbildung wie in der Fähigkeit und Arbeitsleistung estellt werden müssen. Den Einnahmeausfall aus der Herabseßung des Portos können wir nicht ertragen. Wir können doch auch bei den Tarissäßen im Postve:kehr nit völlig auf das Prinzip von Leistung und Gegenleistung verzichten. Aus den Gntschließungen des Bundes- rats auf die Beschlüsse des Reichstags ersehen wir, daß Anordnung getreffen ist, daß an Festta m e von der Bevölkerung in einer

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eise pte werden, die die eit und den él, vg R größtenteils ruhen läßt, Dienstbeshränkungen je nah den örtlihen und Verkehrs-

bedürfnifsen eintreten sollen. Ferner werden an Sonntagen u. a. nicht mehr bestellt Postanweisungen, Geldbriefe, Pakete. Wir freuen uns des Erreihhten und als sihtbares Zeichen der Anerkennung und des Wunsches, auf dem betretenen Wege fortzufahren, haben wir die Resolution Graf Hompesch eingebracht. Wir hoffen, mit dem darin Geforderten der Verwaltung in ihrem Bestreben nah vermehrter Sonntagsruhe und Sonntagsheiligung Etac enzuouimen Sodann hat die Zentrumöspartei in einer Resolution die erweiterte Benugzung der Telephoneinrihtungen und die Verbilligung der Kosten dafür befür- wortet. Diese Forderung, die wir {on wiederholt erhoben haben, ist geeignet, eine Entlastung des platten Landes und eine Verteilung der Ausgaben nah Gerechtigkeit und Billigkeit herbeizuführen. Die Resolution Ablaß wegen der erhöhten Anrechnung des Nacht- und Sonntagsdienstes werden wir annehmen. on einer einheitlihen Regelung der Bestimmungen für Drucksahen und Postkarten kann

"man heute niht mehr reden. Schreibt man die Worte „Herzlichen

Glückwunsch* auf eine Postkarte, so kostet das 5 4, schreibt man sie auf eine Visitenkarte und steckt diese in einen Umschlag, so kostet das nur 3 §. Es gibt eilige und nihteilige Drucksachen ; es findet sich aber keine genaue Bestimmung über die äußeren Unterschiedsmerkmale. Andere Kuriosa bestehen im Ortsverkehr. Da kostet eine Drucksache von 250 Gramm im offenen Brief 5, unter Streifband 10 §! Die Abschnitte der n; dieser bes und Pa aaresen ollten etwas

vergrößert werden; dieser bescheidene Wunsch würde sich ohne große Schwterigkeiten erfüllen lassen. Ein weiterer Wunsch mancher Kreise geht auf Vermehrung der Briefmarkenautomaten. Der be- treffende, langjährig erprobte, geradezu ideale Apparat funktioniert ausgezeihnet; er sondert sogar falshe Geldstücke aus. Auch im Auslande, speziell in England, hat er große Anerkennung gefunden. Da wäre es doch wohl angebracht, auch in Deutschland selbst die Er- findung auszunußen. Das Interesse großer olksfreise erregt der Wunsch der Abholung der Zeitungen für E tungen vom Zuge selbst; die hohe Gebühr für Bahnhofsbriefe, 12 4 monat- lih, kann derartigen Geschäften doch nicht zugemutet werden. Die Zeitungsexpeditionen würden gern bereit sein, die besondere Ver- packung und Bezeichnung der Zeitung€pakete vorzunehmen. Gewisse Schwierigkeiten erwachsen ja der Abfertigung in den Bahnhofswagen, auf der anderen Seite stände aber auch eine gewisse Entlastung und Ersparnis. SchließliÞß wünscht man im Publikum, namentli in den Kreisen der Presse, daß in den Zeitungsausgabe- stellen nicht so bäufig wie jeßt mit dem Personal gewethselt

werden möchte. Die verschiedenen Anregungen des Abg. Gröber bezüglich der Postpersonalstatistik im vorigen Jahre haben erfreuliherweise durchweg Beachtung gefunden, was ih mit

Dank konstatiere. Die Statistik selbst zeigt, E das durh\chnitt- liche Leistungsmaß der Beamten sich mehr und mehr der Mittellinie erfreuliherweise annähert; wir hoffen, das allmählich das Maß von 48 bezw. 54 wöchentlichen Dienststunden erreiht werden wird. Auch die Prozentzahl der Teilnahme am Gottesdienst hat sich weiter zum Besseren gewendet. Beim A weise ih auf den Uebel- stand hin, daß die dritte Woche Erholungsurlaub vielfach nur dann gewährt wird, wenn der ganze Urlaub ohne Kosten für die Postkasse gewährt werden kann, wliceo die Verfügung dahin geht, daß die dritte Woche den Beamten, die an sih nicht darauf Anspruch haben, in dem Falle gewährt werden foll, daß der Post keine Kosten daraus erwachsen. Diese Handhabung der betreffenden Bestimmung erzeugt bei den Postbeamten natürlih Mißstimmung. Für eine authentishe E:klärung über die Frage würde ich dem Staatssekretär sehr dankbar sein. Die wirtschaftlihe Lage der unteren und weiter Kreise der mittleren Beamten ist eine überaus traurige und bedrängte, wie auch die Kom- mission anerkannt hat. Den Bemühungen des Reichstags ist es ge- lungen, die Teuerungszulage in Gestalt der mehr oder minder ver- bindlihen Zusagen der verbündeten Regterungen für das näbste Jahr zu erreihen. Es ist dabei auch sehr viel von dem Wohlwollen der Verwaltung für die Beamten gesprohen worden. Es ift ein natür- lier Zustand, daß die Vorgeseßten von Wohlwollen für ihre Unter- gebenen erfüllt find; aber mit dem Wohlwollen allein ist es nicht getan. Die Lebenshaltung der Beamten ist seit der leßten Gehalts- regulierung sehr wesentlich verschlechtert worden, vor allem dur

die Lebenêmittelteuerung, was ebenfalls eine Verschlehterung der Lebenshaltung oder Schulden bedeutet. Auf die vielen uus, wo sich Beamte, von der Not des Lebens getrieben, an ihnen

anvertrauten Kassen vergriffen haben, will ich hier niht hinweisen ; es wurde aber auf öffentlihen Kongressen darauf hingewiesen, daß die selbständigen Privatexistenzen in Handwerkerkreisen üs. die Teuerung besser überstehen können als die Beamten und man {loß das aus der Zunahme der Darlehnsgesuhhe aus diesen Kreisen; auch wurde liber die Zunahme der Konkurrenz der Privatarbeit in den Kreisen der Postbeamtenfrauen, namentlich der Assistentenfrauen, geklagt. Diese Symptome dürfen niht übersehen werden. Die große Unzufricdenheit im Postpertona ist ganz allgemein, von den oberen bis zu den unteren Beamten. Die Postdirektorzn \treben die gehaltlihe Gleich- stellung mit den Posträten an. Die Postinspektoren wünschen ebenfalls, daß bezüglih threr Wünsche ganze Arbeit gemacht werde. Die Postsekretäre wünschen die allgemeine Durhführung des Dienstalters\tufensystems. Junge Oberpostpraktikanten erhalten diese Zulage, ältere Post- Sig niht. Die A und Telegraphensekretäre sind gegenüber en Sekretären der Lokalbehörden benachteiligt in ihrem Gehalt, zumal die Anforderungen bei der Arisuns weit höher sind. rüher waren Oberassistenten und Assistenten vershiedene Stellen ; päter trat eine Vershmelzung zu Gunsten der Oberassistenten ein. Die Assistenten stehen in ihrer Beförderung hinter Assistenten anderer Beamtenklassen zurück. Nachdem die Gehälter der übrigen Assistenten erhöht worden gn können auch die

ost- und Telegraphenassistenten auf eine Erhöhung ihres Gehalts nspruch machen. Die Unterbeamten find in Rücksiht auf ihre wirtschaftliche Lage noch viel s{limmer daran als die Assistenten. Nur eine minimale Zahl hat Aussicht auf eine gehobene Stelle. Die Unterbeamten wünschen in ihren Säßen auf 1200 bis 1600 4 gebracht zu werden, die Landbriefträger wünschen mit den Postshaffnern und Briefträgern in eine Besoldungsklasse zu kommen, da sie dieselbe Vorbildung haben. Der Antrag Ablaß über die Aenderung der | i n für die mittlere Beamtenlaufbahn if uns durchaus ympathish ; wir werden dafür stimmen. Die Entwiklung des Post- und Telegraphenverkehrs drängt naturgemäß zu einer solhen Regelung. Der Vorschlag würde gewisse Unstimmigkeiten in der Dienstverteilung aus der Welt schaffen. Bei der Eisenbahn ist die Sache hon ähn- lih geregelt. Auch in der Postverwaltung können minder wichtige mechanische, sich E Dienstgeschäfte der mittleren Beamten auf neu zu scaffende niedere Beamtenklassen übertragen werden. Der Vorschlag ist für die niederen Beamten sozial in- sofern von Vorteil, als er thnen ein weiteres Fortkommen ermöglicht. Der ganze Vorschlag würde Ee O auh finanzielle Ersparnisse im Gefolge haben. Wie ftellt sich die Verwaltung zu einer Ver- ringerung des Diätariats im nächsten Jahr? Die Telegraphen- arbeiter wünschen u. a. eine Erhöhung threr Löhne, Dienstkleidung und einen anderen Titel. Das Charakterbild des Wohnungsgeld- zushufses {chwankt in der Geschichte. Der Wohnungs eldzusduk ist Mle nur ein Zuschuß zum Gehalt, es sind jeßt Erhebungen über die Wohnungsmieten im Gange. Bei der Berehnung der Mieten müßte auh auf die Raumverhältnisse und die Lbensmittelpreise Rück- cht genommen werden. Diese Preise sind in den verschiedenen Orten ehr verschieden. Bei der Festseßung des Wohnungsgeldzushusses würden auch die Schul- und Steuerverhältnisse berücksihtigt werden. Auf die unzulänglihen ODiensträume und auf den gesundheits\{chädlihen Nachtdienst der Postbeamten is {on oft hingewiesen worden. Au bestimmten Bahnposten gibt es Beamte, die nur bei Naht Diens tun; man nennt sie Mondscheingruppe. Dieser Dienst ift Cert kräfteaufreibend. Ein unangenehmes Kapitel is die politische Beeinflussung der Beamten. Sh gehe nur ungern darauf ein. Ohne Zweifel wird das Reichspostamt mit den Vorkommnifsen nichts zu tun haben. Es handelt sich um Mißgriffe Meno Organe. Im Königreih Sachsen sind durch die Vermittlungsstellen / den Beamten Sammellisten vorgetag worden zu Gunsten des Netichs- verbandes zur Bekämpfung der Sozialdemokratie. Die Bekämpfung

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der Sozialdemokratie an sich auch niemand behaupten wollen, demokratie nicht bekämpft. politisch und er bekämpft

ist sehr lobenswert, eg wird daß das Zentrum die Sozial. Der NReichsverband ift eminent b auch ganz andere Parteten oder würde F bekämpfen, wenn er es für notwendig erachtet Jedenfalls ist es zu verwerfen, daß durch eine Postvermittlungsstell; die Beamten in dieser Weise beeinflußt werden. Jn einem Ort Le: Baden ist im Schalterraum ein Plakat angebracht mit der Aufforde. rung: „Wählt Weißhaar.“ In München-Gladbach berief der Tele: am eter die Aufseher und Unterbeamten zu si und ma

nen klar, wie sie zu wählen hätten, nämli einen national gesinnten ;

Mann, wie ihn sihch die Regierung wünschte. Wer gemein : brauhte erst nit näher gesagt zu werden. Ih bitte den Stan sekretär, ein kurzes Wort zu sagen, daß soldhe Fälle Tünstig nit mehr vorkommen. Eine gründlihe Reform der Disziplinar- geseßgebung entsprehend dem höheren Bildungsstand des Beamten, tums wäre zeitgemäß. Bis zur Aenderung - des Gesetzes wäre wenigstens eine andere Handhabung der Disziplinarbestimmung wünschenswert. Auch hier mat der Ton die Musik. Der Ton der Vorgeseßten gegen ihre Untergebenen läßt noch viel zu wünschen übrig. Es wird - noch immer zu viel Geldstrafe angewandt; es müßte davon nur in den alleräußersten Notfällen Gebrauch gemacht werden, Berufungen und Beschwerden seitens bestrafter Beamten finden bet den oberen Behörden keine günstige Aufnahme. Der Betreffende muß si wie bei einem niedrigen Torweg sehr tief bücken und ist in steter Gefahr, oben anzustoßen. Eine Statistik über die Verteilung der Geld- und Ordnungsstrafen auf die verschiedenen Gegenden wäre

sehr erwünsht. Das Vereinigungsrecht der eamten if eine Kulturforderung, Die Beamten besißen dies Rest {hon jeßt, aber seine Anwendung is ihnen versagt, (g

besteht noch immer das Verbot für die Unterbeamten, si einem Verbande anzuschließen, der sich auf das ganze Reich erstreckt, Dieses Verbot halte ich für ungeseßlih, weil ein unzweifelhaftes staatsbürgerlihes Ret der Beamten dadur auf administrativem Wege aufgehoben ist; ih bitte den Staatssekretär, dieses Verbot bald aus dem Wege zu räumen, denn sein Plaß t höchstens im Postmuseum zu finden. Die Forderung unbeschränkter Gewährung des Vereinigungsrechts is um \o angebrachter, als in Preußen einige Fälle vorgekommen sind, die sehr bedenklih stimmen müßen, Der Landwirtschaftsminister hat dort in Anknüpfung an eine Bemerkung der Zeitung des Vereins preußischer Forstschußbeamten einen Erlaß herausgegeben, der den Forstshußbeamten unter Androhung von materiellen Nachteilen verbietet, dem , Verein preußisher Forsibeamten"“ anzugehören. Der preußische Finanz- minister von Rheinbaben äußerte sch im Abgeordnetenhause über die Gefahren gewisser Fachzeitungen ganz ähnli Auch der preußishe Landwirtschaftsminister verbietet in dem Er- laß die Vereinigung der L für den gesamten Staat; er will sie auf Regierung? ezirke zusammendrängen. Es muß ge- wünscht werden, daß hier eine mildere Auffassung Plat greift, und daß man nit zu der Annahme gezwungen wird, daß diese Erlasse böse gemeint sind. Was i stff, muß au einmal gesagt werden können, Die Ausführung des Finanzministers war {hon ganz allgemeiner Natur; es wäre hier im Interesse der Fahhzeitungen an ebracht ge- wesen, bestimmte Namen zu nennen. (Präsident Graf zu tolberg: habe Ihnen einen sehr weiten Spielraum gelassen, aber derartige Ausführungen haben mit der Neichéspostverwaltung nihts mehr zu tun, Ich bitte Sie, sich an diese zu halten.) Se Crlasse, die verbieten, daß Beamte sih mit den Abgeordneten in Verbindung scten gegen die Beamtenveretnigungen, find sowohl unzulässig als auch unwirksam; die Petitionen, welhe die Beamten doch auch absenden können, gewinnen erst dadurch greifbare Gestalt. Die Beamten haben doch auch das politishe Wahlreht; sie müssen also auch über thre eigenen Angelegenheiten ih ein Urteil bilden dürfen. Cin schiefes Urteil, wie es ja auch fonst wohl nit selten vorkommt, darf man niht zum Anlaß rebhmen, den Beamten dieses Recht zu nehmen. Die Beamtenshaft i|st durchaus nicht gran oppositionell gesinnt ; sie wird gegebenenfalls sid niemals dem Ver- ständnis für die Notwendigkeiten vershließen. Möge die Reichspost- und Telegraphenverwaltung darauf sehen, daß auch in dieser Ver- waltung Beamtenausshüse und Beamtenkonferenzen eingeführt werden, wie man in der Arbeiterschaft damit sehr gute Erfahrungen gemaht hat. Ih empfinde es {chmerzlich, daß in dieser Verwaltung von einer Annäherung an die konstitutionelle Idee, wie sie do heute herrshend ist, noch nicht die geringste Spur si vorfindet. Der Staatssekretär wird ih ein großes Verdienst erwerben, wenn er hter Wandel schafft. 3 F Duffner (Zentr.)] befürwortet den folgenden Antrag des entrums :

„Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, im Interesse der länd- lichen Bevölkerung eine weitgehende Grleihterung der Telephon- einrichtung und Telephonbenußung in den kleinen Ortschaften event. unter gerehterer Nepartierung derx Kosten zwishen Stadt und Land herbeizuführen.“

Der Redner befürwortet weiter einc Erhöhung des Wohnungsgeld- zushusses für die Unterbeamten, Teuerungszulage, Nachtdienst- entshädigung und höhere Vergütung für die Postdienststelleninhaber und Postagenten. Ferner spriht er sich für die Erfüllung ver- schiedener Wünsche der im Ausland beschäftigten Post- und Tele- graphenbeamten aus und verbreitet si{ch von neuem darüber, s die Postinspektorenstellen in Baden zu einem großen Teile mit Nicht- badensern beseßt feten.

Hierauf wird gegen 41/2 Uhr die Weiterberatung auf Montag 1 Uhr vertagt. orher: Erste Lesung der drei Beamtengesehßentwürfe.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 54, Sißung vom 27. April 1907, Vormittags 10 Uhr. (Beriht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sißzung is in der vorgestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus seht die dritte Beratung des Staatshaus- ga eas für das Rechnungsjahr 1907 im Etat des

inisteriums der geistlihen, Unterrihts- und E Seen bei dem Kapitel des Evangelischen Oberkirchenrats fort.

Auf Bemerkungen der Abgg. Schmieding (nl.) und Heckenroth (kons.) erwidert der

Minister der geistlihen , Unterrihts- und Medizinal- angelegenheiten Dr. von Studt:

Meine Herren! Meine grundsäßliGße Stellungnahme zu der- artigen Fragen, wie sie durch den Herrn Abg. Schmieding heute er- örtert worden sind, habe ih in diesem hohen Hause {hon zu wieder- holten Malen kundzugeben die Ehre gehabt. Ich habe es abgelehnt, irgendwie materiell mi zu beschäftigen mit den internen Fragen der evangelischen Kirche, vornehmlich auh mit den auf den Bekenntnisstand bezüglichen. Diese Zurückhaltung is nit allein durch Rücksichten auf die Selbständigkeit der evangelishen Landeskirhe begründet, sie ist auch damit begründet, daß das hohe Haus als politische Körper- haft für die Erörterung derartiger Fragen, welche die Kirchengeseß- gebung ausdrüdcklich den kirchliGen Behörden und Vertretungen vor- behält, niht der geeignete Ort is. Es dient auch meiner Ansicht nah nicht dem kirchlihen Interesse und dem Frieden, dessen wir #0 notwendig bedürfen (sehr richtig! rechts), wenn in diesem hohen Hause solche Auseinanderseßungen erfolgen.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußishen Staatsanzeiger.

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¿ 103.

Berlin, Montag, den 29. April

1907.

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(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Herr Abg. Schmieding —— ih bin ihm für das Vertrauen dankbar, des er mir ausgesprochen hat mag sich hiernach nit wundern, venn ih es ablehne, irgend elne fahlihe Ecflärnng äber diese Frage abzugeben, ob ih mich übechaupt in den von thm erwähnten Streit hineinmengen kann. Es ist in den betreffenden Verwaltungt- geseyen für die evangelishe Landeskirche der älteren Provinzen aus- drúdlih vorgesehen daß der Kultusminister die Befugnis hat, persönlich oder durch Kommissare an den Verhandlungen der Generalsynode teilzunehmen. Jn der Generalsynode ist der Oct, wo diese Sache zur Sprache gebracht werden kann und muß, ch muß es umsomehr bedauern, daß heute hier wieder die Gelegenheit ergriffen worden ift, diese Angelegenheit vor dem Landtage vorzutragen, als in nächster Zeit ja bekanntli eine außerordentlidhe Sigung der Generalsynode der evangelischen Landetkirche der älteren Provinzen einberufen werden wird und dort aller Voraussicht nah ole Veranlassung vorliegen wird, den Fall ausgibig materiell zu erórtern,

Wenn der Herr Abg. Schmieding Bezug genommen hat auf diejenigen Ecklärungen, die ich hinsichtlich der Beseßung der Lhrstühle der evangelisch - theologishen Fakultäten hier abgegeben habe, so liegt das auf einem ganz andern Gebiet; da handelt es ih 1m das Etatsreht des Landtags. Und das Gleiche liegt vor hin- suhtlich der Pfarrergehälter. Jn beiden Beziehungen habe ich hier dem Landtage Rede zu stehen und habe dies auch wiederholt getan. her eine strenge Unterscheidung is zu ziehen gegenüber den- jenigen Fällen, wo es sich um Gegenstände der auss{hließlichen landesfirchlihen Gesetzgebung handelt. Da eine Kritik zu üben, würde nir vor diesem hohen Hause nicht zustehen; denn leßteres ist nit dazu berufen, über das Verfahren kirchliher Behörden, foweit es ih um jene internen Angelegenheiten der evangelischen Kirche handelt, ine materielle Erörterung eintreten zu lassen. (Bravo! rechts.)

Abg. Broemel (fr. Vagg.): Der Abg. Schmieding hat sh 6 die inneren Angelegenheiten der Kirhe niht gemischt, sondern nur die geseßlihe Grundlage der evangelischen Landes- firhe untersucht, und folche Dinge müssen vor dieses Haus ge- bracht werden. Uebrigens ist hier in dieser Hinsicht immer mit verschiedenem Maße gemessen worden, je nahdem es \sich um Jeußerungen von der Linken oder der Rehten bandelte. Die rechte Seite hat z. B. wiederholt über das theologische Studium usw. gesprohen, ohne daß hier irgend eine Verwahrung dagegen ein gelegt worden ist. Auch gegen die liberale Richtung in der Kirche \nd hier von der Rechten Ausführungen ,gemacht worden, die geradezu in das innere Leben der Kirche eingriffen. In dem Grade, wie wir bisher diese Dinge besprochen haben, find wir nah Maßgabe der Geseze durchaus dazu berechtigt. Es werden ja au) Mittel für die Kirhe vom Landtage bewilligt, und steht uns denn die evangelische Landeskirhe so fern, daß wir uns gar nit mit ihr beschäftigen dürfen? Aber hier handelt es sich gar idt um innere Angelegenheiten dec Kirhe, sondern um Vor- \hläge, die zur Abänderung der Gesehgebung gemackt worden find, welhe eine gesunde Weiterentwicklung des evangelischen Bekenntnisses ermöglichen. Diese Wetterentwicklung ist seinerzeit son gefordert

d worden von cinem Manne, dem au seine Gegner tiefe Frömmigkeit

niht absprechen können, vôn Schleiermaher. Es muß eine von den firhlihen Behörden unabhängige Beshwerdeinstanz geschaffen werden, an welhe die Gemeinden bei Nichtbestätigung appellieren können. Ds kann nur auf dem Wege der Geseßgebung geshehen, und der Undtag, der die kirhlihen Geseye gemaht hat, muß doch auch be- rehtigt sein, sie zu ändern. Es handelt sich hier um einen für viele Nitglieder der evangelishen Landeskirche unerträglichen Gewissens- ¡vang, Und deshalb bitte ih die Regierung, an eine Aenderung der Geseggebung heranzugehen.

Ein Schlußantrag wird angenommen. k Abg. Cass E U Ta ) legt Wert darauf, festzustellen, daß m das Wort abgeschnitten sel. :

Die Abgg. I S rbedéo: Gase und Meyer-Diepholz (nl.) acklâcen dasselbe. y

Beim Kapitel der Provinzialschulkollegien bemerkt

Abg. Cassel (fz. Volksp.): Der Ministerialdirektor hat in der ¡weiten Lesung wiederum, wie {on früher einmal, die Behauptung aufgestellt, daß es in Berlin vorgekommen sei, daß eine jüdische Lhrerin christhchen Religtonsunterriht erteilt babe. JIch muß mi wundern, daß der Ministerialdirek!or eine folhe Behaupiung aufstellen kainn. Es ift ja ausdrücklich bestimmt, daß der Religionsunterricht nr von Lehrern der betreffenden Konfession erteilt werden kann. Venn ein Rektor einmal dagegen verstoßen hat, so kann ih das nicht billigen. Aber der Fall liegt 12 Johre zurück, und wenn ein Rektor tinmal eine jüdishe Lehrerin ristlihen Religionsunterriht hat er- ttilen lassen, kann der Ministerialdirefktor doch nicht sagen, daß die Berliner Schulverwaltung christlichen Religtonsunterriht dur lüdishe Lebrkräfte erteilen lasse. Die Anstellung jüdischer Lehr- kräfte zur Vertretung ist im Verhältnis viel zu gering; eine tbangelische Lehrkcaft kommt auf 44, etne katholishe auf 53 und eine lüdishe auf 71 Kinder. In der Anstellung der weiolichen Hilfs- kräfte möchte ih bitten, eine etwas mildere Praxis walten zu lassen, jet werden sie alt und grau, ehe sie irgend eine Anstellung bekommen.

Ministerialdirektor D. Schwarhkop ff: Der Fall, daß in Berlin evangelischer Religionsunterriht durch eine jüdische Lehrerin erteilt worden ist, ist meines Wissens zum ersten Mal in diesem Jahre von mir erwähnt worden, und ih hatte dazu Veranlassung, da Herr Cassel selbjr ihn zur Sprache gebraht hatte. Ich habe dabet nur historisch mitget?ilt, wie die ganze Angelegenheit der Vertreterinnen in Berlin in Fluß gekommen is. Wenn ih den Ausdruck gebraucht babe, daß die städtishe Schulverwaltung Es Religions- interriht dur eine jüdische Lehrerin erteilen lasse, so habe ih von ter Schuldeputation als solcher niht gesprochen; der Rektor unter- seht aber der Schulverwaltung, und ih habe nur die Tatsache fest- bestellt, daß christlicher Religionsunterricht von einer jüdischen Lehrerin ttteilt worden is. Herr Cassel rief mir damals dazwischen, daß das nit die Schulverwaltung, sondern der Rektor veranlaßt habe, ind ih erwiderte sofort: „Das stimmt“. Mir kam es gar nit darauf an, od es die Schulverwaltung oder der Rektor war. Vie Zahl der Vertreterinnen verteilt 1e so, daß auf 4500 evan- felishe Lehrkräfte 403 evangelische Hilfskräfte, also 9 9/0, auf 500 fatholische Lehrkräfte 73 katholishe Hilfskräfte, also 15 9/0, und uf 50 jüdische Lehrkräfte 20 jüdishe Hilfskräfte, also 40 %, ent- fallen, Der Minister wird demnächst Gelegenheit haben, zu der (anen Vertreterfrage prinztpielle Stellung zu nehmen. Cine Hilfs- ‘)rerin war persönli bei mir und sagte mir, daß sie auf Anordnung esagt olulinspektors aus dem Amt entlassen sei. Ich habe ihr

, daß eine solde Anregung weder vom Minister noch vom

rovinzialshulkollegium getroffen sel, sondern von eincm städtischen

Bleis, M “en Auftrag vom Staat nicht gehabt habe. Neue organisatorishe Maßnahmen werden mit möglihster Nülsicht auf die pen D durdg n werden, der Minister denkt nicht aran, in schroffer Weise vorzugehen. E 4

Abg. Cassel meint, daß bei ver Anstellung der jüdischen Hilfs- d auch auf die Zahl der Kinder Nücksiht genommen werden müsse.

Beim Kapitel der U ie e A

Abg. Dr. Schroeder-Cafsel (nl. afür ein, daß auf den O N für fozialpolitishe Geseßgebung errichtet werde, speziell in Marburg. Ï

Geheimer Oberregierungsrat Dr. Elster sagt für Marburg etne wohlwollende Prüfung zu; - vorausfihtlich werde dort einem Professor ein solcher Lehrauftrag erteilt werden.

Beim Kapitel der höheren Lehranstalten tritt

Abg. Engelbrecht (freikons.) nohmals für die Anregungen des in zweiter Lesung gestellten und inzwischen wteder zurückgezogenen Antrages Arendt ein, wonach eine vermehrte Bildung bezw. Umwandlung von Gymnasien in Reformgymnasien stattfinden solle.

Abg. Cassel (frs. Volksp.) konstatiert, daß der Vorredner si in keiner Weise mit der Frage beschäftigt habe, welhe Schule die beste sei. Es komme vor allem darauf an, daß überhaupt höhere Lehr- anstalten in genügender Anzahl vorhanden seien; denn darauf würden Förster, Prediger, Gutsbesißer zunächst den meisten Wert legen, nicht darauf, daß es gerade lateinlose R seien. Der wirtschaft- lihe oder praktishe Nußen der Reformshulen mit gemeinsamem Unterbau für Realschulbildung und humanistische Bildung mag in einzel»en Fällen durhaus anzuerkennen sein, aber es würde ein schwerer Nachteil für die Kultur des deutschen Volkes sein, wenn die alten Gymnafien verschwinden würden, aus denen ja auch die großen Natur- forsher hervorgegangen seien, denen uaser Jahrhundert seine großen Fortschritte auch auf technishem Gebiete verdanke.

Darauf wird die Debatte geschlossen.

—% Abg. Dr. Arendt (freikons.) (zur Geschäftsordnung) bedauert, daß es ihm durch die Schließung der Debatte unmögli geworden sei, Herrn Abg. Cassel zu antworten. Herr Cassel habe Ausführungen gemacht, die mit einem Antrag nihts zu tun hätten, den Antrag werde er im nächsten Jahre wieder einbringen.

Beim Kapitel „Kunst und Wissenschaft“ bemerkt

Abg. Graf Praschma (Zentr.): In der zweiten Lesung war ich einer Dezentralisation unserer wertvollen Museumsshätße entgegengetreten. Professor Hillebrand aus Breslau hat nun in der „Schlefischen Zeitung" dazu Stellung genommen und auf die s{ädlihen Konsequenzen meiner Ansichten hingewiesen Ich denke nicht daran, die Provinzialmuseen mit ihren oft wertvollen prähistorishen Sammlungen verschwinden zu lassen; aber wohin würde es führen, wenn man das Berliner Museum für Naturkunde in 3 bis 4 Städte verteilte, oder die Berliner Aegyptishe Sammlung etwa nah Göttingen verlegte ?

Abg. Dr. Gers\chel (frs. Volksp.): Die Lehrwerkstätte der Kunst- gewerbeschule macht den Handwerkern eine unzulässige Konkurrenz durch ihre Arbeiten. So sind in der Holzbildhauerklafse 15 handwerksmäßig ausgebildete Gesellen neben den Schülern beschäftigt gewesen, die natür- lich Arbeiten gemacht haben, durch welhe dem Handwerk eine \chärfere Konkurrenz gemacht wird, als dieses vertragen kann. Diese Lehrwerk- stätten haben z. B. Holzarbeiten für diesen Sitzungssaal wie für den Sigzungsfaal des Herrenhau]es gemaht. Ueber die Kunitgewerbeshule in Breslau werden ähnliche Klagen laut; dort soll fogar niht nur in den Schulstunden, fondern auch des Nachts gearbeitet werden.

Geheimer Oberregierungsrat Dr. Schmidt: Es is von vorn- herein darauf gesehen worden, daß künstlerishe Arbeiten in den Lehr- werkstätten gemacht werden, die gewerblichen aber ausges{lossen find. Allerdings müssen die Werkstätten mit praktischen Arbeiten beschäftigt werden, damit sie das leisten können, w31s ihre Aufgabe ist; und es ist gegebenenfalis nötig, Gesellen zu beschäftigen, um Arbeiten machen zu lassen, an denen die Schüler lernen sollen; die Lehrkräfte reihen dazu nit aus. i : :

Abg. Dr, Hauptmann (Zentr.) wünscht die Anlegung eines Landesarchivs für historische Baudenkmäler, damit für deren Schuß und Erhaltung besser gesorgt werden könne.

Abg. Prie e (nl.) dankt dem Minister für die Entsendung einer Kommission ind Saarbrücken zur Untersuhung wegen künstlerischer Wieverherstellung und Erneuerung der evangelischen Ludwigskirche, und bittet, reihlihe Mittel hierfür zur Verfügung zu stellen.

Der Rest des Kultusetats wird ohne Debatte bewilligt.

Beim Etat des Ministeriums des Jnnern jeg der Antrag der Abgg. Brütt (freikons.), Schulze -Pelkum (kons.) und Dr. von Savigny (Zentr.) vorx: s „die Regierung zu ersuchen, dahin zu wirken, daß die Er- laubnis zum Betrieb alkoholfreier Gastwirtschaften und Shankroirtshaften von dem Nachweis eines vorhandenen Be- dürfnisses abhängig gemacht wird."

Abg. Brütt erklärt, daß er im CEinverständnis mit seinen Mit- antra;stellern den Antrag ¡ür diese Session zurückziehe, daß er aber nicht etwa den Abstinenz- und Temperenzbestrebungen habe entgegen- treten, sondern fie gerade habe unterstüßen wollen; er bittet den Minister, über diese Fragen bis zur: nächsien Session Erhebungen anstellen zu wollen. e i :

Abg. von Wentzel -Belercin (kons\.) lenkt die Aufmerksamkeit auf einen Erlaß der Minister der Finanzen, der Landwirtschaft und des Innern vom 1. Oktober 1906, wonach Umsahsteuerordnungen der Kreise nur genehmigt werden follen, wenn niht nur die unmittel- baren, sondern auch die mittelbaren Ankäufe der Ansiedlungskommission und des Fiskus steuerfrei bleiben. Die Kreise kämen dadurch bei der Einführung einer Umsaßsteuer in eine Notlage. Wenn au nicht verlangt werden könne, daß in jedem Falle der Fiskus Umfaßstcuern zahlen solle, so würden do durch diesen Erla) die Kreise in threr Steuerkraft wesentlich beeinträchtigt. Durch die Umsaßsteuer würde die Einkommensteuer wesentli erniedrigt werden können. Der Redner fragt an, ob dieser Zustand erhalten bleiben folle, und lenkt sodann die Aufmerk)amkeit des Ministers darauf, daß bei den Mißhandlungen der englischen Hafenarbeiter dur die Schauerleute in Harmnburg während des Hafenarbeiterstreiks die Kämpfe ih über die preußische Grenze hereingezogen hätten und dabët die Polizei nicht ausreichend gewesen sei, um Ruhe und Ordnung zu halten. Er weise deshalb wiederholt auf ‘die Notwendigkeit hin, die Geadarmen zu vermehren.

Geheimer Oberregierungtrat Dr. Freund erwidert, daß etn sachlihes Steuerprivilegium für die Anfsiedlungskommifsion dur das Geseß von 1886 gegründet worden sei, wonach sämtlihe Geschäfte der Änsiedlungs- kommission steuerfrei bleiben müssen. Der erwähnte Erlaß habe allerdinas diese Steuerfreiheit auch auf die mittelbaren Ankäufe der Kommission au3gedehnt. Wenn Kretse dadur geschädigt seien, so werde der Minister Gelegenhett nehmen, mit dem Finanz- minister zu prüfen, inwieweit eine Aenderung eintreten könne.

Abg. Shmedding (Zentr.): Durch verschiedene Zeitungen gin ; kfürzlih ein sonderbarer Gr!aß des Miniflers des Innern, der „Han- novershe Courier“ vom 2. April veröffentlichte ihn in dem Wortlaut, wonach zwar den Beamten das Recht gewährleistet sei, sich mit Petitionen an das Abgeordnetenhaus zu wenden, es dagegen mit dea Grundsätzen der Beamtendisziplin niht zu vereinbaren

sei, daß Beamte sich mit ihren Wünschen \chriftlich, mündli oder anderêwi? direkt an einzelne Abgeordnete wenden ; es müsse vielmehr erwartet werden, daß die Beamten an ihre vor- geseßten Behörden herantreten, die thre berechtigten Wünsche wohl- wollend prüfen und nach Möglichkeit berücksihtigen würden ; wenn troßdem Beamte sih an einzelne Abgeordnete wendeten, so hätten sie zu gewärtigen, daß gegen fie disziplinarisch vorgegangen werde. Ich hielt den Erlaß zunähst für ein Mißverständnis und hoffte auf eine L in den offiziósen- Blätiern. Jh würde mich freuen, wenn der Minister erklärte, die Blätter hätten sich einen Aprilsherz gemaht. Jh bitte um Auskunft, ob der Erlaß besteht oder nicht. Nah gewissen Anzeichen fürchte ih, daß er besteht, denn sonst hätten die offiziösen Blätter längst ein anderes erklärt, und außerdem is in den leßten Tagen eine völlige" Schweigsamkeit der Beamten ¿u beobahten. Ja, auf die Aufforderung, näheres Material über ihre geo bei- zubringen, haben Beamte geantwortet: Wir dücfsen niht mehr sagen. Es muß also ein solher Erlaß bestehen, dann hätte ih Be- denken dagegen. Der Erlaß mag recht gute Absichten haben, die Beamten mögen in den leßten Jahren mit ihren Wünschen zu stark an Abgeordnete herangetreten sein, aber das sind Einzele:scheinungen, die niht berehtigen, den Beamten allgemein thre staatsbürgerlichen Rechte zu nehmen oder zu verkümmern. Der Minister mag dies nicht wollen, aber die Form des Erlasses gibt zu Mißdeutungen Anlaß. Der Erlaß erkennt das Petitionsrecht an, droht aber diszipltnarishe Strafen an, wenn es gebrauht wird. Es ift doch nicht zu verstehen, warum Beamte, ftatt an den ganzen Landtag, sih nicht auch an einzelne Abgeordnete wenden können. Zudem wird beim Verbot nicht zwischen persönlichen Wünschen unterschieden, Gewiß gibt es Angelegen- heiten, über die Amtsvershwiegenheit herrshen muß, daneben aber auhch viele andere, für die Amtsvershwiegenheit nicht gilt, z. B. Wünsche nach Abänderung von Geseßen. Es kann leiht vorkommen, daß höhere Beamte die Abänderung cines als unzweckmäßig er- kannten Geseßes wünschen und dies einem Abgeordneten mittéilen. Und warum sollen Beamte Wünsche einer Hebung ihrer wirtschaft- Ac Existenz niht mehr Abgeordnet:n mitteilen dürfen? Dann stehen sie ja \{chlechter da als die übrigen Staatsbürger. Nach der Verfassung find alle Preußen vor dem Gefeß gleih und dürfen in Wort und Schrift ihre Meinung frei äußern. Der Erlaß enthält auch eine Herabseßung der Abgeordneten. Die Mitglieder beider Kammern haben die Interessen des ganzen Volkes, also auch der Beamten, wahrzunehmen. Nicht selten können die Beamten kein Gehör bei ihren Vorgeseßen finden, an wen könnten fie fich dann besser wenden als an Abgeordnete? Gewiß haben die Beamten das Petitionsrecht, aber ein Teil der Petitionen kommt hier nit zur Erledigung. Es gibt auch Unterbeamte, die ihre Wünsche nicht in einem Sÿriftsag als Petition aufsegen können, andere Beamte fönnen fich_nicht hinreihend mit ihren Vorgeseßten verständigen, ¿ B. die Streckenbeamten bei der Eisenbahn, deren Wünsche vom Vorsteher höhchsters im Vorbeigehen {nell angehört werden. Woher wollen ferner die Abgeordneten ihre Informationen über die Petitionen nehmen? Dem Grundfay „audiatur et altera pars“ entspricht das nit, wenn die Abgeordneten blindlings den Ausführungen der Regierungskommissare in der Kommission zu folgen haben. Im nächsten Jahre sollen die Gehälter der Beamten allgemein abgeändert werden ; wir aen do einiges Material darüber vorher beshaffen fönnen, um Stellung zu nehmen. Jch berufe mich auf eine qroße Autorität. Im Jahre 1882 hat auf eine Klage des Abg. Ritert der damalige Eisenbahnminister Maybach gesagt : Wenn ein Beamter sih mit einem Abgeordneten in Verbindung seßt, wie könnte ih das verbieten, das wäre ja eine Verkümmerung seiner Rechte. Regierungsfreundliher werden durch einen folhen Erlaß die Beamten gewiß niht; es erregt nur ihre Unzufriedenheit und das Gefühl, daß man ihnen unrecht tut, und es hat nur zur fo daß sie thre Wünsche uns anonym mitteilen, Jn den ersten Tagen find bereits sehr viele anonyme Briefe an uns eingelaufen. Das find doch traurige Folgen, und ih kann den Mivister nur dringend bitten, den Erlaß, wenn nicht aufzuheben, do rihtig zu stellen ; lieber wäre mir aller- dings, wenn er aufgehoben würde.

Minister des Jnnern Dr. von Bethmann-Hollweg:

Meine Herren! Die fo temperamentvollen Ausführungen des Herrn Abg. Schmedding geben mir erwünschten Anlaß, mich über die Verfügung, die er soeben kritisiert hat, hier auszusprehen. Die Ver- fügung ist erlassen, und der Herr Abg. Schmedding hat sie rihtig verlesen. Der Herr Abg. Schmedding hat die Verfügung \onderbar, er hat sie einen Aprilscherz genannt. Meine Herren, ich glaube, wenn der Herc Abg. Shmedding diese Verfügung nicht bloß sonderbar ge- funden und auch nicht nur als s{erzhaft angesehen hätte, sondern wenn er den Wortlaut genauer geprüft hätte, dann wäre er nicht zu den Ausführungen gekommez, zu denen er tatsäblich gekommen ift.

Er sagt zunächst, die Verfügung stehe in etnem inneren Widerspruch mit ih selber; im Eingang gestehe sie den Beamten ausdrücklih das Petitionscecht zu, und am Schlusse verbôte sie den Beamten, sich zur Ereihung ihrer Ziele unvorschriftmäßtiger Wege zu bedienen. Jch kann darin keinen Widerspru finden. Das Petitionsreht is ein verfassungsmäßiges Recht jedes Staatsbürgers, au jedes Beamten. Aber wenn ich auf der anderen Seite sage: wenn sich Beamte unvorschriftsmäßiger Wege, also auch anderer Wege als des Petitionsrechts, bedienen, können fie in Gefahr kommen, ih disziplinarisch strafbar zu machen, fo erblicke ich darin keinen Wibder- spruch.

Der Herr Abg. Smedding hat meinen Erlaß viel zu weit gedeutet, weil er seinen Wortlaut nit genau genug geprüft hat. Meine Herren, der Erlaß trifft nicht Besprehungen, Korrespondenzen der Beamten mit ven einzelnen Abgeordneten über allgemeine Fragen der Geseßgebung und Verwaltung, über Mißstände, die die Beamten auf diesen Gebieten wahrzunehmen glauben, über die Mittel, wie diesen abgeholfen werden kann, ganz gleihgültig, ob die Verbindung zwischen dem: Beamten und dem einzelnen Abgeordneten der Jnitiative des Beamten oder einer Anregung, einer Anfrage des Abgeordneten

entspringt. Das alles find Beziehungen, die vollkommen einwandfrei sind, die ich nicht verboten habe, und die lediglch an die selbstverständlize Vorausseßung geknüpft

find, daß der Beamte die - Pfliht der Amtsverschwiegenheit nit verleßt und diejenigen Formen in seiner Darstellung und Kritik beobachtet, welhe eine selbstverständlihe Forderung seines Beamten- verhältnifses sind. Es ist daher durchaus unrichtig, wenn Herr Scchmedding meint, ich hätte durch diesen Erlaß den Beamten den Mund verbieten wollen, ich hätte den Herren Abgeordneten die Mög- lihkeit, sih ju orientieren, beschränken wollen. Davon ist gar keine Rede; im Gegenteil, je genauer die Abgeordneten über die tatsäch-

\sahlichen und'

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