1930 / 77 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 01 Apr 1930 18:00:01 GMT) scan diff

Neichs- und Staatsanzeiger Nr. 77 vom 1, April 1930, S, 4,

Monatsausweis über die Reichseinnahmen und -ausgaben im Monat Februar 1930 des Rechnungsjahres 1929 (Beträge in Millionen Reichsmark.)

A. Ordentlicher Haushalt. Aus dem Vorjahr, und zwar: a) Sollbestand zur Deckung restliber Verpflichtungen (‘Ausgabereste abzüglih der Einnahmerefste) b) Mebreinnabme gegenüber der Auégabe Mithin Feblbetrag

200;3 45,9 154,4

Jahres! oll (Haus- baltéjoll) ein!chl. Entwurf des Nachtrags und Rech- nungstoll der Vor- jahrsrefîte davon Borjahrs- reste)

Ist-Einnahme oder Ist-Ausgabe

seit Beginn des Nech- nungs- jahres bis ein\{chI. Januar |

1930

im Februar | zusammen

1930

Fahrestoll ( Daus- haltsfoll) entl. Entwurf des Nachtrags und Rech- nungsfsll der Bor- jahrêreste davon Vorjahrs- reite)

Fst-Einnahme oder Fst-Ausgabe

seit Beginn des Nech- nung8s jahres bis eins{l. Januar 1930

im Februar | zusammen

1930

] Einnahmen. 1. Steuern, Zölle und Abgaben 2, BVerzin)ung aus den Borzugtaktien der Neichsbahn - Gefell- schaft . Veberihüsse der Post u. d. Neichédruckerei : a) Post C

9 246,0 j 7 901,4

51,2

b) NReichsdruckerei

c) Nückzahlung des 2 »kAFn Ht Betriebskapitals der Neichsdruderei

„Aus der Münz-

pragung

a. Neparations\fteuer der Deutschen Neichs- bahn-Ge]ellschaft

5, Sonstige Verwal- tungeeinnahmen:

Neichsarbeits- ministerium

Neichswehr- ministerium

41,0

17,2 (0,8)

17,9 39,4 83,0 43,1

Neichsjustiz- ministerium Neichsverkehrs8- ministerium ,… . Neichsfinanz- ministertum Uebrige RNeichsver- waltung « .

10 249,4

Einnahme insgesamt (149 5}

Il. Ausgaben. 1. Steuerüberweifungen an die Linder

3 297,9 (10,5) 2. Bezüge der Beamten und Angestellten(aus- \{ließl.Rubegehälter R 863,3 : (0,9) 3, Veriorgung u. Nuhe- gehälter einschl. der Kriegsbeschädigten- renten j 1 780,7 (0,1) 4. Innere Kriegslasten 375,9 (57,6) 9, Neparationszah- lungen : a) zu Lasten des NReichshaushalts . b) aus der Nepa- rationéssteuer der Deut)chen Neichs- bahn-Gesell\chaft 5a. Sonstige äußere Krieagslasten 6. Sozialversicherung

6a. Zuweisung an die Knapp!|chaftl. Pen- fionsversiherung 7. Kleinrentnerfür}orge 8. Krijenunterstützung tür Arbeitsloje 8a. Wertschaffende Ar- beitslosentürtorge 8b. Arbeitslo}enversiche- rung Es 9, Neichs\chuld: Verzinsung Tilgung Anleiheablöjung

und

10. Schußpolizet 11. Münzprägung . .

12. Sonstige Ausgaben : Reichstag

Auêwärtiges Amt .

Neichsministerium des Innern

Reichsarbeits- mintstertum

Neichswehr- ministerium: Heer

Plarine i

Neichsministerium tür Grnährung.u. Landwirtschaft

Neichsverkehrs-

ministerium 109,9

149,9 T,3

(21,6)

118,6 (19,0)

98,7 (—2,1) 31,5 (—1,5) 10 686,8 (349,3)

102,6

Reichsfinanz- ministerium

7,0 81,9

74,9

Allgemeine Finanz- verwaltung 39,9 25 42,4

Vebrige Neichsver- waltung . 21,6 2,6 24,2

Ausgaben insgesamt 8 399,2 884,5 | 9283,7

Mithin: Mehrausgabe Mehreinnahme

B, Außerordentliher Haushalt.

Aus dem Voriahr, und zwar: : Fehlbetrag am Schlusse des- Nehnungsjabres 1928 .

62,2 233,1 295,3

. 904,5

I Einnahmen.

öInsgesamt 354,0 1)

178,8

343,0 178,8

1336,9 11,0 (997,8)

1027,6

darunter aus Anleihen

IL. Ausgaben. 1, Wohnungs- u. Sied- lungswejen . . ..

2, Arbeitslosenversicher. 2a, Wertichaffende Ar- beitslojenfür}orge

3. Verkehrswesen (Aus- bau der Wasfser- straßen usw.)

3a. Rückkauf v. Schuld- verschreibungen usw. De Des ¿4 e 4. Darlehen zur Fort- führung begonnener Eisenbahnen : 4a. Beteiligung d. Neichs an derPreuß.Zentral- genossen|\chaftsfasse 5, Reparationszahlungen 6, Innere Kriegslasten

7. Vebr. Reichsverwaltg.

52,1 150,0 40,9

48,7 150,0 40,9

92,0 (27,9) 150,0

42,5 (42,5)

68,5 62,3 65,9

(16,5)

49,0 49,0

4,2 0,1 4,3

0,5

5,0

0,5

_—— _——-

0,2 5,2

360,6 7,3 | 367,9

Ausgaben insgesamt .

17,6 13,9

Mithin: Mehrausgabe . a Mehreinnahme . i 3,7 1) Darunter 80,7 Mill. Reichsmark Erls58s aus den von den Trägern

der Invalidenversiherung zu übernehmenden Schuldverschreibungen oder Schazanweisungen des Reichs 4 des Reichshaus haltsge}etzes

für 1929). Abschluß. A. Ordentlicher Haushalt. Feblbeltag aus dem VBorlar. i Mehrausgabeaus den Monaten April 1929 bis Februar 1930 Ergibt Fehlbetrag am Ende des Berichtsmonats (Februar 1930) Gs 449,7 B. Außerordentlicher Haushalt. Fehlbetrag aus dem Vorfjahr . . A 904,5 Mehrausgabe aus den Monaten April 1929 bis Februar 1930 13,9 Ergibt Fehlbetrag am Ende des Berichts- monats (Februar 1930) Insgesamt Fehlbetrag (A und B)

154,4 295,3

918,4 1368,1

Stand 28, 2. 1930 in Mill. NM

Der Kassen | o U1 bestand betrug am 28. 2. 1930: . aus der Begebung von NReichswechseln . . . aus der Begebung unverzinsliher Schaßz- anweisungen é L

. aus der Aufnahme kurzfristiger Darlehen . . . aus der Jnanspruchnahme des Betriebskredits bei der Reichsbank L ¡Ae . Sollbestand zur Deckung von Ausgaberesten aus dem Jahre 1928 (nach Abzug der Einnahme- reste) : ; i . 2001 am Schlusse des Rechnungsjahres 1928 war rechnungs8mäßig beim ordentlichen Hauthalt ein Fehlbetrag vorhanden von 1541)

_nah Abzug dieses Betrages verbleibt netto | ein Sollbestand von : é

380

1063 248

6

zusammen .

Dieser Betrag ist wie folgt verwendet worden :

1. zur vorläufigen Deckung des Fehlbetrags des außerordentlichen Haushalts am Schlusse des Nechnungsjahrs 1928 ; ; s

2. Mehrausgaben des ordentlichen Haushalts gegenüber den Ginnahmen in den Monaten April 1929 bis Februar 1930 E

Mehrausgaben des außerordentlichen Haus- halts gegenüber den Einnahmen in den Monaten April 1929 bis Februar 1930 g 14 . Darlehn an die Preußishe Zentralgenossen- schattsfasse Tra i 50 . Sonstige rechnungsmäßig noch nit verbuchte Auszablungen (Gehalts- und Nentenzahlung

für ‘März, Vorschüsse, Ultimobedarf) 426

1659

Der Kassenbestand bei der Reichshauptkasse und den Außenkassen beträgt 54

2, Der Stand der |chwebenden Schuld.

am 31. Jan. | 28. Febr. 1930 1930

Beträge in Mill. NM

am

999,0 | 1062,7

391,1 380,2

(310/5) | (299,7) 254,1 | 248,0

44,0 5,6

. Unverzinélihe Schayzanweisungen . . . . . Umlaut an Reichswechseln . S Davon am offenen Geldmarkt begeben . Kurzfristige Darlehen . E . Betriebskredit bei der Reihsbank . ° .-Schaßzanweijungen, ausgefertigt auf Grund des Geießes über das Abkommen zur Bei- legung der finanziellen Streitigkeiten zwiichen Dentrchland und Rumänien vom 8. Februar 1929 Ls E A E . Verpflilhtungen aus früheren Anleihe- operationen s

30,0

94 1735,9

30,0 9,4

——— —————

1727,6- |

Preußischer Landtag. 153. Sißung vom 31. März 1930, 12,15 Uhr. (Bericht d. Nachrichtenbüros d. Vereins deutscher Zeitungsverleger*.)

Der Preußische Landtag beginnt in seiner heutigen Plenar- sizung die zweite Beratung des Kultusetats für 1930, und zwar beim Abschnitt 1 „Ministerium und allgemeine Zwedcke, Volks\chullehrerbildung, evangelishe und kätholische Kirchen und Synagogengemeinden“. Auf der Regierungsbank hat der Kultusminister Dr. Grimme mit seinen Beamten Plaß genommen.

Der Hauptauss{huß, für den Abg. Dr. Steffens (D. Bp.) berihtet, hat etwa 50 Anträge zum Kultusetat vorgelegt. Der Berichterstatter erörtert diese Anträge, die u. a. für etne enge Zusammenarbeit zwishen Parlament und Ministerium einen be- sonderen Kulturausshuß des Landtags verlangen und außerdem wünschen DEMAn des Berechtigungsunwesens, Neuordnung der Ferien, Kalenderreform mit dem Ziele, das Österfest festzu- legen, Stärkung der Schulgesundheitspflege, T 4 und Kodifizierung des zum Teil veralteten Shulrehts, gründliche und vordringliche kulturelle Betreuung der Grenzgebiete, besonders im Osten, baldige und zufriedenstellende NeEE U GEUng des Vertrags mit den evangelishen Kirchen. Finanziell sei der Kultusetat im allgemeinen durchaus- nicht opulent aufgestellt. Sehr be- dauierli® sei die geringe Dotation der Landesbühnenorganisation, die Not der Theater in den Grenzgebieten. Angesichts des Wortes des neuen Ministers Grimme, er fühle sih als Exponent einer Macht- und Parteigruppe, warnte der Berichterstatter den Minister vor solcher Einseitigkeit. Gerade der Kultusminister habe die Jnteressen der Gesamtheit zu beachten. Der Kultus-

seitigen Verständnis seines großen Vorgängers Wilhelm von Humboldt und dessen Lehrmeisters Goethe haben. Weiter vom Aus\{huß zur Annahme empfohlene Anträge verlangen u. a,, daß öffentlihe Versammlungen für die. Schuljugend der vor- herigen behördlihen Erlaubnis N sollen, ferner verstärkte Mittel für den Bau von Studentenhäusern, Ausbau der Uni- versitäten und Krankenanstalten, Led des humanistishen Gymnasiums, Maßnahmen gegen den Versall ländlicher Schul- häuser, Verstärkung des Ens der Frauen auf die Erziehung der Mädchen au in den Landschulen, wesentlihe Verringerung des Fehlbetrags der staatlichen Theaterbetriebe usw.

Abg. König (Soz.) berichtet über die Ausschußverhand- lungen zum Volksshulwesen. Er bedauert dabei, daß der Staats- rat die vorläufige Vorlage auf besseren Schullastenausgleih für das platte Land bzw. die Novelle zum Lehrerbesoldungsgeseß ab- gelehnt habe. Die generelle Reform der Schullastenverteilung würde 45 Millionen kosten, ein Betrag, den der Finanzminister zur Zeit nicht zur Verfügung stellen wolle. Augenblicklih seien noch etwa 8000 Funglehrer beschäftigungslos. Der Landtag werde sich aber schr bald mit der Frage befassen müssen, wie dem zukünftigen Lehrermangel in Preußen zu begegnen jei. Die von den pädagogishen Akademien kommenden Lehrer würden bereits in absehbarer Zeit für den Bedarf niht ausreichen.

Abg. Graue (Dem.) referiert über die Ausshußverhand- lungen und Beschlüsse zur geistigen Verwaltung. Er hebt den Wunsch hervor, mit den catgeien Kirchen baldigst zu einem Vertragsabshluß zu- gelangen und verteidigt die Höheren Zu- wendungen an die Kirchengemeinschaften. Er erinnert u. a. auch an den Ausshußbeschluß, die geseßlihen Feiertage, auch den Buß- tag, so neuzuregeln, daß die Heilighaltuna der Feiertage überall gewährleistet ist.

Minister für Wissenshaft, Kunst und Volksbildung Grimme: Da das lebte Haushaltsjahr nur zu einem Bruchteil in meine Amtszeit fällt, darf ich mir gewiß ebenso wie shon im Hauptauss{chuß erlauben, es auch hiex in erster Linie den Herren Abteilungsleitern zu überlassen, daß sie Jhnen auf die Fragen antworten, die sich mit Vorgängen des verflossenen Fahres be- schäftigen. Wohl aber haben Sie heute, wo ih zum erstenmal Gelegenheit habe, vor diesem hohen Hause zu sprechen, ein Recht darauf, die grundsäßlihe Stellung des neuen Ministers zu seiner

Fragen meines Ressorts ershöpfend behandeln könnte. Für diest Stellung gibt das Regierungsprogramm des Kabinetts Braun die selbstverständlihe Grundlage. Jch darf mich auf diese beziehen

Vorweg aber ist es niht nur eine Höflichkeitspflicht, sondern empsinde ih es als Bedürfnis, daß ih an dieser Stelle meine Herrn Amtsvorgängers gedenke. Das ist um so selbstverständ licher, als jeder, der Herrn Staatsminister Becker in den lange! Jahren seiner Ministershaft und seines Staatssekretariats kennen gelernt hat, weiß, was der Preußische Staat und darüber hinaus

und eigenem Gepräge verdankt, deren Name über Deutschland hinaus im internationalen Geistesleben Klang und Geltung besißt (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.)

*) Mit Ausnahme der durch Spervdruck hervorgehobenen Rede der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

(Fortseßung in der Ersten Beilage.)

Verantioortl. Schriftleiter: Direktox Dr. T yrol, Charlottenburg Verantwortlich für den Anzeigenteil: Réchnungsdirektor Me n gering in Berlin.

Verlag der Geschäftsstelle (Mengering) in Berlin. Druck der Preußishen Druckerei- und Verlags-Aktiengesell schaf! Berlin, Wilhélmstraße 32.

Sieben Beilagen

1) Feststehende Zahlen aut Grund des Abschlußergebnisses für

1928, die sih im Laufe des Jahres nicht verändern.

(einshließlich Börsenbeilage und drei Zentralhändelsregisterbeileagn:

minister pee viel von der freien Geistigkeit und dem viel- |

Aufgabe kennenzulernen, ohne daß ih auch nur die wesentlichen|

das deutsche Geistesleben dieser Persönlichkeit von geistigem Rang

Jch verzicht(

_ zum Deutschen Reichsa

Nr. 77.

(Fortseßung aus dem Hauptblatt.)

darauf, hier sein Werk zu würdigen, denn das hieße, einen Vor- trag über die Geschichte des Preußischen Kultusministeriums der Nathkriegszeit halten. Jch muß au davon absehen, die Per- sönlichkeit zu würdigen, denn das hieße und da darf ih mir ein Wort des Herrn Abgeordneten Lauscher zu eigen machen —, über jemand schon gleichsam einen Nekrolog sprechen, dessen Können und Erfahrung, ‘wie ih hoffe, bald wieder zur Mitarbeit am Staats- und Geistesleben Preußens eingeseßt werden wird. Aber das eine historishe Verdienst soll doch genannt sein: Als weithin geahteter Repräsentant deutsher Kultur hat Herr Minister Becker eine Versöhnung von Staat und Geist erstrebt und möglich gemacht. Um dieser Aufgabe willen hat er mit per- sönlichem Mut auch jene Verunglémpfungen ertragen, die allmäh- lih zum würdelosen Stil derer geworden sind, die die Säuberung unseres öffentlihen Lebens mit dem Beschmuten des politischen Gegners beginnen. (Bravo! links. Unruhe rechts.) Dem

geistigen Deutschland war zwar die Mitarbeit am neuen Staat | hon dadurch leiht gemacht, daß in diesem Staat zum erstenmal |

in der Geschichte unseres Volkes die Autonomie der freien geistigen Person Verfassungsgrundlage geworden ist. Aber nur eine Persönlichkeit, die in si selbst ein Stück des geistigen Deutschland repräsentierte, konnte dur ihr staatsbejahendes Bei- spiel das Signal zur Mitarbeit der geistigen Schichten an der Republik geben. Daß unser junger Staat in der Person des Staatsministers Becker cine solhe Persönlichkeit mit dem Willen zur Syntheke von Staat und Geist gefunden hatte, wird auch der politishe Gegner um so höher werten, als das Kennzeithen dieser Nachkriegsjahre auf politishem Gebiet sonst niht gerade die Neigung zur Synthese gewesen ist.

War doch, ja, ist doch noch gerade das ein Merkmal unserer Zeit, daß ihr der Blick für das über alle Gegensäßlichkeiten hin- weg Verbindende fast völlig verlorengegangen ist. Er mußte ver- lorengchen, weil wir troß der vor allem in der Jugend auf- gebrochenen Sehnsucht nach neuer Bindung eine JFdee, die alle zusamnenzufassen vermöchte, noch immer vermissen. Und so ist es eine objektive Zwangsläufigkeit, daß sich die Arbeit jedes Kultusministers auf dem Hintergrund einer ershütterten Kultur zu vollziehen hat. Er muß, will er niht- nur kulturelle Fassaden- probleme sehen, bei aller seiner Arbeit die Tatsache in Rechnung stellen, daß zu der wirtshaftlihen Bedrängnis unserer Volks- genossen für weiteste Schichten eine Antwortlosigkeit auf die Frage hinzugetreten ist, welchen Sinn unser Dasein, ja, ob es überhaupt einen Sinn über die materielle Sicherung der bloß vegetativen Existenz hinaus besißt. Während frühere Geschlechter noch in einer gemeinsamen Ueberzeugung von der Sinnhaftigkeit der Kultur und in dem Glauben an die Objektivität geistiger Werte gesichert ruhten, hat uns die Unsicherheit des Wertefühlens bis an den Rand dés Leugnens geistiger Werte überhaupt ge- führt. Wenn wir ‘diese Not auch nicht dadurch bannen, daß wir sie bereden und besprechen, so dürfen wir doh über den parla- mentarischen Alltagskämpfen nicht vergessen, daß wir in dieser Anarchie der Werte, in dieser Preisgabe eines dem Dasein Sinn gebenden Zieles von Absolutheitsgeltung leben.

Wer die Schwere dieses katastrophalen Zustandes ernst nimmt und sieht, daß die Existenz geistiger Wert unabhängig davon ist, ob sie der einzelne anerkennt oder nit, der weiß dreierlei: er weiß er stens, daß jeder seine Kraft an die Ueber- windung dieses Zustandes seßen muß, daß also die Blicköffnung für die Welt objektiver geistiger Werte heute mehr denn je erstes Ziel aller Erziehungsarbeit zu sein hat; er weiß zweitens, daß diese Ueberwindung die Kraft au des stärksten Einzelwillens überschreitet, daß also gar nihts anderes die fortshreitende Sinn- verringerung der Kultur aufhalten kann, als eine Veränderung der WVillensatmosphäre der gesamten Oeffentlichkeit. Und endli drittens weiß er, daß diese UVeberwindung grundsäßlih jenseits der Grenze der möglichen Wirksamkeit bloßer Verwaltungsmaß- nahmen eines Staates liegt. Er verlangt nicht vom Staat die Lösung einer Aufgabe, die nun einmal mit bloß staatlichen Mitteln nicht zu bewältigen ist; denn der Staat ist kein Souverän, der der Kultur von sich aus Zwette seßt. Der Staat erhält um- gekehrt seinen Wert überhaupt erst von der Kulturidee her, in deren Dienst er steht, und er ist um so werthaltiger und hat eine um so größere Existenzberechtigung, je höher die Kultur steht, um derentwillen er als notwendige Rechtsorganisation fungiert. Bei diesem Verhältnis von Staat und Kultur ist nit der Staat autonom, sondern die Kultur. Wer das Verhältnis so sicht, muß darauf verzichten, sich als Ansager eines Programm? hinzustellen, das mit der Prätention auf kultur \{chöpferi\che Biele aufträte und das sih nicht im Rahmen des dem Staate Möglichen hielte. Angebraht ist alles Programmatische nux in- soweit, als es darauf abzielt, der Kultur die Vorausseßung für ihr freies Wachstum zu schenken, ihr die Bedingungen zu garan- tieren, unter denen sie sih entfalten kann, und ihr die Hemmnisse aus dem Wege zu räumen, die \sich ihr entgegenstellen Denn der Staat macht nicht die Kultur, aber er macht sie mögli. Nur, wenn wir das Verhältnis vermag sich jene Spannung von Geist und Organisation, von kfultureller Freiheit und staatliher Macht zu lösen, die sih stets einstellt, wenn entweder der Staat in das freie Wachstum geistiger Güter eingreift oder wenn der Geistesarbeiter die Freiheit des Schaffens und Forschens, die ihm der Staat schenkt und garantiert, in Jene Ungezügeltheit der Kritik umbiegt, die das Fundament der kulturellen Freiheit, den Staat selbst, bedroht. So sehr die Kultur dem Staat gegenüber autonom ist, so wenig steht der einzelne Geistesarbeiter dem Staat als absoluter Souverän gegenüber.

Ih habe geglaubt, diese theoretisierenden Ausführungen machen ¿u sollen, weil die allgemeine Wertunsicherheit sogar dazu geführt hat, daß selbst diese eben entwickelten elementaren Grenz- aufrichtungen beider Mähte verkannt werden, und weil man in- folgedessen heute vom Staat und seinen ausführenden Organen verlangt, was nicht des Staates ist, sondern Sache der nicht in

von Staat und Kultur so sehen, |

Erste Beilage nzeiger und Preußischen Staatsanzeiger

Berlin, Dienstag, den 1. April

einer Organisationsform auffangbaren und niht reglementier- baren geistig-seelishen Kräfte der Nation. Lassen Sie mih nah einigen Richtungen hin grundsäblihe Folgerungen für meine Arbeit aus diesen allgemeinen Söhen ziehen.

Gerade weil uns der Ziel, das unserer Arbeit eine einheitlihe Richtung geben könnte fehlt, kann jeder einzelne den in uns allen lebenden Willen zur Kultur nur auf der Grundlage seiner persönlihen Wert- seßzungen betätigen. Auch ein Kultusminister muß versuchen, aus der ihm eigenen Weltanschauung zu wirken. Wer einer «Fdee ivirklih verbunden ist, dient ihr, wo er au steht. Nur darf er nie vergessen, daß er als Minister für und mit Menschen zu arbeiten hat, die das Unbedingte, die das legte absolute Ziel ihrer Arbeit

anders sehen als er. Weder der einzelne Minister noch der |

Staat darf es sich einfallen lassen, eine bestimmte Kultur- anshauung zu der absolut gültigen machen zu wollen. Das aber

gemeinsame Glaube an ein absolutes |

bedeutet: Der Staat als Fundament, auf dem si das freie Wett- |

spiel der verschiedenen geistigen Richtungen vollzieht, hat | G k j Gs e mas , gegen- | meinen ï e Sei ines Ressorts ih hi über jeder dieser Richtungen die Pflicht zur Toleranz. (Zu- | im Tiatae A rege ugri meer e deu A

stimmung.) Diese Pflicht läßt nicht zu, daß der Unterrichtsminister den

tungen von Staats wegen bevorzugt oder die Verfolgung anderer aus einem großen Nahbarlande wahr sein sollten ih weiß nicht,

stellen —, dann kann ih für meine Person nur sagen, daß ih

wand besteht, die niht zu durhbrechen ist. (Bravo!) Es ist nit Sache des Staates und ist niht Sache des Unterrihtsministers,

deutsche Volk durchziehen, zu werten; wir haben weder eine Staats3- religion noh eine staatlihe Lehrmeinung. Und ih möhte an-

den Grenzen der Möglichkeit des Staates sieht. (Sehr gut!) Es ist Folge jener Toleranz, die ihre Kraft aus der gläubigen Be- jahung des geistigen Kampfes als des besten Mittels der Meinungsklärung zieht. (Sehr richtig!)

Mißverstehen würde diese Toleranz allerdings der, der meinen sollte, daß sie dem Gegner ein Recht auf unbegrenzte Schimpffreiheit verbriefte. (Lebhafte Zustimmung.) Diese Toleranz verträgt sih vielmehr sehr wohl mit einer höchst intole- rablen Haltung gegenüber einem politishen Rowdytum (sehr rihtig!); jede Toleranz findet ihre natürliche Grenze an einer Intoleranz, die darauf ausgeht, das Fundament zu unter- höhlen, auf dem die Ausübung der Tugend der Toleranz allein mögli ist, den demokratischen Staat. (Sehr gut!) Solange

politishe Gruppen ‘ihren jugendlichen Mitgliedern zur Pflicht |

machen, bei geistigen Auseinanderseßungen die Person des Gegners aus dem Spiele zu lassen und solange sie im Staat den unaufhebbaren Rechtsboden für solch ein geistiges Ringen athten,

so lange wird sie jeder Kultusminifter als Bundesgenossen am |

Werk der Erziehung zum Staat und zum geistigen Menschentum bejahen.

nicht radikal ist, kein Herz hat. Aber ein seiner Verantwortung bewußter Erziehungsminister muß Front dagegen machen, wenn diese Jugend in die politishe Arena als bloßes Werkzeug hinab- steigt. Der Staat, der die Bahn frei machen will für den Menschen als Träger geistiger Werte, darf nicht die Toleranz des Shwachen gegen die zum Grunddsaßz machen, die bewußt jene Ueberheblihkeit in der heranwahsenden Generation groß- züchten, die den Träger der eigenen Meinung von vornherein höher wertet als den Gegner und die dazu verführt, daß Unter- schiede der Auffassungen hinübergespielt werden auf die Ebene der Moral, gleihsam \#o, als sei die andere Meinung Ausdruck minderen Menschentums, und als messe sich der Wert eines Mensthen schon an der Gesinnung, die er sih ins Knopfloch stet. Wir brauchen eine Jugend, die sich in unserem Zeitalter der Knopflohgefinnung gegen die Seuche des Klischee-Denkens be- wußt immunisiert. (Lachen rechts.) Wir brauchen eine Jugend, der es zwar selbstverständlih ist, daß sie auch in den Fragen des staatlihen Lebens im ernsten Ringen zur Klarheit des Urteils kommt, der es aber sogar staatsdienlicher erscheint, wenn sie sich mit französishen und englishen Vokabeln abplagt als daß sie jongliert mit einer unverstandenen parteipolitishen Vokabulatur. Wir aber sollten uns in diesem Einen wenigstens verbunden fühlen, daß die Sathe der Jugend über dem Hader der Parteien steht. (Sehr richtig! bei der Sozialdemokratishen Partei, bei den Deutschen Demokraten und im Zentum.) So lebendig sollte {hon in der Jugend der Wille zur Objektivität geworden sein, daß es {hon ihr eine Selbstverständlichkeit ist, daß das religiöse oder das nationale Erleben eines Menschen niht an die Vorausseßung der Zugehörigkeit zu bestimmten Parteien gebunden ist. Es muß ihr ebenso cine Selbstverständ- lihkeit sein, die subjektive religiöse Wahrhaftigkeit au dem zu- zubilligen, der meint, daß eine Wirtschaft ohne den Hebel des Egoismus nit bestehen kann, wie dem, der als Sozialist davon durchdrungen is, daß das Festhalten am Egoismus als Trieb- feder der wirtschaftlichen Prosperität dem Geist des Evangeliums zuwiderläuft. Es wäre eine Tat von gar nicht abzus{häßender nationalpädagogisher Bedeutung, wenn die parteipolitischen Gruppen aller Lager aufhören wollten, politische Erziehung mit parteipolitisher Festlegung zu verwechseln. Wir Erwachsenen sollten den Fdealismus der Jugend mobil mathen zum Kreuzzug gegen den Ungeist der politischen Verleumdung. Denn aller Dienst am Staat muß heute mit der Entgiftung und Ver- anständigung de8 politischen Kampfes beginnen. (Sehr richtig! bei der Sozialdemokratischen Parteï, bei den Deutschen Demo-

Er wird sich dann des geistigen Radikalismus der | Jugend sogar freuen, weil es son so ist, daß, wer in der Jugend |

1930

kraten und im Zentrum. Zuruf und Unruhe rets.) Dann brauchten die parteipolitishen Shülerbünde dem Erziehungs minister kein Gegenstand der Sorge zu sein, wenn in ‘jedem ihrer Mitglieder jener heldishe Jnstinkt der Jugend lebte dem Gestrafftheit und Gezügeltheit Höher steht als Unbeherrschtheit, dem Haltung mehr gilt als Radau, und dem mehr imponiert als der Sklave der Phrase ein Diener der FJdee. (Sehr gut! beî der Sozialdemokratishen Partei, bei den Deutschen Demokraten und im Zentrum.) Wir brauchen eine Jugend, die weiß, daß, wer am Staate mitarbeiten will, kein Neutrum sein darf, aber immer tolerant sein muß.

Diese selbe Jdee der Toleranz wird meine! Haltuna zu den großen s{ulpolitishen Problemen bestimmen ‘die die religiöse und weltanschaulihe Seite unseres Shulkampfes bilden einer Toleranz den Konfessionen, aber ebenso auch den mfibde konfessionellen Kreisen gegenüber.

Weitere Folgerungen aus dén vorstehend gegebenen allge-

¡ ab, auf dieser grundsäßlichen Basis die wihtigen und drängenden

fulturpolitishen Auseinandersezungen gegenüber bestimmte Rich- | Probleme innerer wie organisatorisher Art bei den verschiedenen

Sthularten und der Hochschule zu erörtern oder über das Ver-

untätig mitansieht. Weun die Nachrichten über solche Decfoliitigan hâltnis von Staat und Kunst und die Beziehungen von Staat und

Religionsgesellshaften zu sprehen. Wohl aber liegt mir daran,

ob das der Fall ist und habe keine Mittel, das authentisch festzu. zwei grundsäßliche Fragestellungen, die sih in fast allen diesen

y hentish festz Teilen meines Ressorts in jeweils veränderter Gestalt immer solhe Methode, einen unliebsamen Gegner zum Verstummen zu arder auspvingen, nh gas c Worten wi or IERN. D bringen, verurteile (sehr gut!), und daß hier eine geistige Siheide- | spreche von den beiden großen Problemen des Berechtigungs-

wesens und des BVildungsprivilegs zwei Fragen, die in der öffentlichen Erörterung nicht immer flar auseinandergehalten

zwischen den religiösen und weltanshaulihen Strömungen, die das |- werden, die gewiß sih übershneiden, denen man aber nur gerecht

werden fann, wenn man sie begrifflich wenigstens getrennt sieht.

| Lassen Sie mih zunächst nur von dem Berechtigungss-

nehmen, daß, wer das Verhältnis von Staat und Kultur sieht, wesen im eigentlichen engeren Sinne sprechen.

wie ih es mir vorhin zu skizzieren erlaubt habe, daß der in diesem | Verzicht nicht Folge einer Toleranz aus Shwäche und Unent- | gaben der Lösung harren, wird niemand in Abrede stellen. Jh shiedenheit, vielmehr die Folge einer Toleranz aus Achtung vor | Weiß, wie bitter notwendig es ist, sie shnellstens praktisch in An-

| griff zu nehmen. Andererseits aber möchte ih doch gleih anm

Daß hier für den Staat dringendste uud allershwerste Auf-

Anfang meiner Tätigkeit mit aller Deutlichkeit zweierlei aus- gesprohen haben, nämli, daß es erstens notwendig ist, den be- rechchtigtea und von niemand weggewünschten Ansturm gegen das übersteigerte Berechtigungswesen nun nicht zu verwechseln mit dem ungerethtfertigten Anstürmen gegen die in keiner Gefsells shaftsordnung der Welt wegzuschaffenden Tatsache, daß es auch ein sinnvolles Berehtigungswesen gibt. Denn die Berechtigungen sind die natürlichen Sicherungsvorkehrungen der Gesellschaft da-

| gegen, daß lebenswihtige Tätigkeiten niht von Menschen aus-

geübt werden, die niht dafür geeignet sind und infolge ibrer mangelnden Sachkenntnis zu einer Gefahr für den Bestand der Gesellschaft, mag sie nun kapitalistish, sozialistish oder kommu- nistish organifiert sein, werden würden. (Sehr gut! rets.) Wollten wir sie abschaffen, würden wir ihre Wiedereinführung

| sehr bald verlangen. Aber damit kein Mißverständnis entsteht:

Von dieser Tatsache, daß es au ein berechtigtes Berechtigungs- wesen gibt, bleibt die andere Tatsache gänzlih unberührt, daß die Gesellschaft dieses Konto längst weit überzogen hat. So ist das zweite, das ih sagen möchte, dics, daß wir den übertriebenen Hoffnungen auf die vermeintlihe Allmacht der staatlichen Organîís sation als eines absoluten Allheilmittels eine sehr nüchterne Er- klärung entgegenstellen müssen: Der ungesunden Uebersteigerung des BVerehtigungswesens, dem Berechtigungsfieber, ist mit den Mitteln der Organisation allein nicht beizukommen, mit solchen des Staates jedenfalls nur in geringem Umfange und mit solchen des Unterrichtsressorts shon mal so gut ivie gar nit.

Denn wie liegen doch die Verhältnisse? Die Unterrichts- verivaltung hat an dem Berechtigungswesen folgenden dreifachen Anteil: Die Schule stellt Zeugnisse aus, die über die Schul- bildung hinausführenden Einrichtungen machen den Eintritt von dem Nachweis oénes bestimmten Kenntnis- und Fertigkeitsstandes abhängig, und endli, die Unterrihtsverwaltung stellt Beamte ein. Jch glaube, über diesen leßten Punkt kann ih hinwegs- gehen: Der zahlenmäßig übrigens verschwindend geringe Bruch- teil der Beamtenshaft kann in der Unterrichtsverwaltung nicht nah anderen Grundsäßen eingestellt werden, als in den maß«- geblihen Beamtenressorts. Ganz anders verhält es sih dagegen mit dem Eintritt in weiterführende Vorbildungsaustalten. Hier liegt in der Tat für die Unterrichisverwaltung ein Ansabßpunkt, Es wird meine Sorge sein, zu prüfen, wie man hier dem mix selbstverständlihen Grundsaß gerecht werden kann, daß ent“ sheidend für die Aufnahme nicht aus\s{ließlich der Nachweis eines bestimmt wvorgeshriebenen Bildungsganges sein sollte, sondern die Feststellung, daß die erfolgreihe Mitarbeit gewähr4 leistet ist, gleihgültig, auf welchem Wege \ih der einzelne die Vorausseßung für diese Mitarbeit geschaffen hat. (Sehr gut! bet der Sozialdemokratishen Partei, den Dentshen Demokraten und im Zentrum.) So ist, um ein gewiß kleines Beispiel zu erwähnen, niht einzusehen, warum eine Volksshülerin, die gern Kinder- gärtnerin werden möhte, niht auch Vollshülerin einer Frauen- s{hule soll werden können, wenn fie sih in dieser Shule nah einiger Zeit der Mitarbeit als Gastshülerin den Jnhaberinnen des Lyzealabshlußzeugnisses als ebenbürtig erwiesen hat. Um eine entsprechende Regelung, die auch Volksshülerinnen den Weg zur Jugendleiterin eröffnet, werde ih bemüht sein.

Nun aber zu dem Hauptanteil der Schule am Berehtigungs- wesen, der Ausstellung von Zeugnissen. Von der Schule aus gesehen bedeutet sie nihts weiter als eine Quittung über den erfolgreihen Besu bestimmter Klassen, wodur allein das in Frage stehende Problem noch niht im mindesten berührt wird. Diese an sich unvermeidlihen Schulzeugnisse werden nun aber von den Verwaltungs\tellen, von den kaufmännischen Be- trieben, von den Werkstätten, von den Wirtschaftsverbänden zumt Maßstab für den Eintritt în ihre Laufbahn gemaht, so daß