1930 / 149 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 30 Jun 1930 18:00:01 GMT) scan diff

Situation in Deutschland die Tätigkeit des Reichsarbeitsministers stark im Mittelpunkt der Erörterungen und auch im Mittelpunkt der Angriffe steht, ist eine Selbstverständlichkeit. Die deutshe Depression hat ihre mannigfaltigsten Ursachen. Der Krieg und die Juflation haben in Deutschland eine gewaltige Kapital- verwüstung und Kapitalverschiebung gebracht. Von 1925 bis 1928 sind jährlich 224 bis 3 Milliarden Mark fremdes Kapital nach Deutfchland geflossen, womit 750 000 bis eine Million Menschen Arbeit und Brot verschafft werden konnte. Dieser Kapitalzustrom hat im leßten Fahr im großen und ganzen aufgehört. Das Gegenteil trat ein: 1929 sind im Hinblick suf die unübersichtlichen weltpolitishen Verhältnisse, die mit der Umgestaltung des Dawes-Planes zusammenhängen, und aus anderen Gründen große Mengen deutshen Kapitals ins Ausland geflossen. Der bedeutsamste deutsche Wirtschafstszweig, die Landwirtschaft,

arbeitete ferner in den leßten Fahren mit Unterbilanz; sie ist

somit für die deutschen gewerblichen und andustriellen Erzeugnisse

nicht ausreichend kauffräftig. Schließlih haben wir in den leßten

Jahren nicht nur in der Priwatwirtschaft, sondern auch in der

öffentlichen Wirtschaft über unsere Verhältnisse gelebt. Fett

müssen Reih und Gemeinden mitten in einer Depressionsperiode

mehr als drei Milliarden kurzfristige Schulden teilweise tilgen

und zum anderen Teil in langfristige Schulden umwandeln.

Durch diese Finanzpolitik ist naturgemäß das Vertrauen zur

deutschen Staatsführung und zur öffentlihen Verwaltung stark

ershüttert worden.

Neben der Landwirtschaft nimmt das Baugewerbe eine der bedeutsamsten Schlüsselstellungen in der deutschen Volkswirtschaft ein. Hauptauftraggeber des Baugewerbes isst in Deutschland hon seit Fahren die öffentlihe Hand. Wenn in der öffentlichen Hand die Finanzen niht in Ordnung sind, wenn infolgedessen die öffentlichen Körperschaften die Bauaufträge stark drosseln, wenn sie, anstatt Geld für erststellige Hypotheken zum Wohnungsbau geben zu können, verstärkt direkt“ und indirekt zur Konsolidierung der vorhandenen kurzfristigen Schulden beitragen müssen, dann ist ganz naturgemäß, daß die Arbeitslosigkeit im Baugewerbe stark steigen muß. (Sehr richtig! im Zentrum.) Die an- gedeuteten, zwishen öffentliher Finanzwirtshaft und Bauwirt- haft bestehenden Zusammenhänge bedingen, daß gegenwärtig im Baugewerbe allein 500 000 bis 600 000 Arbeiter weniger be-- schäftigt sind als um die gleihe Zeit des Vorjahrs. (Hört, hört! im Zentrum.) Unsere Etätswirtschaft ist zum großen Teil an der {lehten Lage unserer Bauwirtschaft huld. Heute erhalten die Länder und Gemeinden nahezu die Hälfte ihrer Ausgaben vom Reich zugewiesen. Damit versorgen sich die Länder zunächst selbst, dann erst kommen die Gemeinden. Dazu kommt, daß der Wohnungsbau bei der heutigen Zinspolitik so gut wie unmögli ist ohne Hauszinssteuer, die ebenfalls öffentlihe Mittel sind. Für das Baugewerbe, dessen stärkster Auftraggeber, wie gesagt, die öffentlihe Hand ist, ist unter den veränderten Verhältnissen im Vergleich zu früher der Beginn des Etatsjahrs zum 1. April - ohnehin {hon sehr ungünstig. Wenn aber die Etats des Reichs, der Länder: und Gemeinden auch noh sehr viel später als zum 1. April verabschiedet werden, dann wirkt das im Hinblick auf das, was ih bis jebt gesagt habe, geradezu kätastrophal für die frühzeitige Jngangsezung des Bau- gewerbes. (Sehr rihtig! im Zentrum.) Für unsere öffentliche Finanzpolitik und infolgedessen für einen großen Teil der aus ihr resultierenden Wirtschaftspolitik in den leßten Fahren über- haupt muß ich persönlih jedwede Verantwortung ablehnen, und war deswegen, weil ih seit fünf Fahren in diesen Fragen stets Prediger in der Wüste gewesen bin. 1925, als die drakonischen Steuern, die 1923 zur Markstabilisierung eingeführt werden mußten, um 214 Milliarden Mark gesenkt wurden, habe ih ge- fordert, daß daraus starke wirtshaftspolitishe Folgerungen ge- zogen werden müßten. Das ist niht geschehen. Dex damalige Reichskanzler Dr. Luthex hatte die feste Absicht, ist aber dur eine ganze Anzahl Strömungen aus dem Hause hiex daran ge- hindert worden. Der Steuersenkungsaktion von 1926 habe ih mih auf das nahdrücklihste widerseßt; ih stand zum Schluß allein auf weiter Flur. Auch der Art und dem Ausmaß der Beamtenbesoldungsreform von 1927 habe ich mi, wie allgemein bekannt ist, widerseßt. Seit dem Abbruch des passiven Wider- stands an Rhein und Ruhr, seit der Markstabilisierung hatten wir jedenfalls keine Regierung mehr, die wirtshafts- und finanz- politisch so viele Trümmerhaufen wegzuräumen hatte als die gegenwärtige. (Sehr richtig! im Zentrum.) Daß in einer solhen Situation der Avbeitsminister, ganz gleih, wer er sei, nicht all den Wünshen Rechnung tragen kann, die an ihn herangetragen werden, ist eine Selbstverständlichkbeit, (Zustimmung im Zentrum.) Kein Mensch, der politisch zu denken versteht, glaubt daran, daß man auf die Dauer eine Sogialpolitik machen kann, die von der Finanz- und Wirtschaftspolitik eines Landes losgelöst ist und für sih allein betrahtet wird. (Sehr richtig! im Zentrum.) Wirt- shafts-, Fiwanz-, Steuer- und Sozialpolitik müssen vielmehr im Zusammenhang gesehen werden. (Sehr gut! im Zentrum.) Auch das war in den leßten Fahren vielfach niht der Fall.

So stehen wir jeßt, nachdem der Neue Plan angenommen ist, vor der furhtbaren Wirklichkeit, daß wir in den leßten Fahven vielfah in Jllusionen gelebt, daß wir Schein für Wirklichkeit gehalten, daß wir infolgedessen in unserer ganzen Politik ein großes Maß von Vertrauen vertwirtshaftet haben, das wir in nächster Zeit wieder erarbeiten müssen. (Sehr gut! im Zentrum.) In einer solhen Situation kann innerhalb einer Regierung, sie mag zusammengeseßt sein, wie sie immer will, kein einzelner Minister ein populäres Sonderdasein führen.

Damit komme ih zu den akuten Fragen der Sozialpolitik, den konkreten Aufgaben des Arbeitsministeriums. FJch will mih heute in der Hauptsache an das halten, was in dieser Stunde zur Erörterung steht.

Mit am stärksten umkämpft is gegenwärtig das Schlihtungs- wesen. Fn weiten Arbeitgeberkreisen sieht man in dem Schlichtung8- wesen und der Sogialversicherung die Hauptursache unseres gegen- wärtigen Elends. Diese Auffassung halte ih für falsch. England hat nicht das ausgebaute deutshe Schlihtungswesen. England hat viel größere Bewegungs- und Expansionsmöglichkeit in der Welt als wir. England hat niht so wie wir mit dec lanFfristigen

Kapitalverknappung zu kämpfen. Und troydem ist die englische

Gésamtwirtshaftsverfassung bestimmt niht günstiger als die deutshe. (Sehr wahr! in der Mitte und rech:s.) Wo Schatten- seiten im deutshen Schlichtungswesen und in der Lohnpolitik vor- handen find, werden sie in weiten Arbeitgeberkreisen zu stark auf- getragen. Man berücfichtigt dabei zu wenig die Tatsache, daß das Gros der deutshen Arbeiter zu den fleißigsten, leistungssähigsten | und auch leistungäwilligsten Arbeitern Europas gehört. (Sehr wahr! in der Mitte und rets.) Es kommt nicht bloß darauf an, | was man den deutshen Arbeitern an Löhnen, was man sür sie an Sozialabgaben entrichtet, es kommt auch darauf an, was für die Löhne und die Sogiallasten geleistet wird. (Sehr wahr! in der Mitte und rechts.)

Fm ganzen muß man sich freilich darüber klar sein, daß der amtliche deutshe Schlihtungsapparat nicht ständig in dem Tempo und in dem Ausmaß arbeiten kann, wie das nah der Staats- umwälzung und in den ersten Jahren nah der Jnflation möglich und notwendig war. Schon am Schlusse der Amtszeit des Herrn Dr. Brauns und während der Tätigkeit meines Herrn Amts- vorgängers Dr. Wissell ist die Zahl der für rechtsverbindlich er- klärten Schiedssprüche stark zurückgegangen. Auch in nächster Zeit wird sparsam mit Verbindlichkeitserklärungen verfahren werden müssen, wenn es sich um Vorgänge von weittragender wirtshaftliher Bedeutung und um prinzipielle Fragen ‘handelt. (Sehr wahr! bei der Wirtschaftspartei.)

Der Schiedsspruch von Oeynhausen hat in Deutschland große Beachtung gefunden. Dazu die folgenden Bemerkungen: Der leßte Konflikt in der Eisenindustrie des Westens spielte sich im November/Dezember 1928 ab. Er wurde nah großen Frrungen und Wirrungen vom Herrn Kollegen Severing dadurch beigelegt, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorher sih verpflichtet hatten, sih einem Schiedsspruch des Herrn Kollegen Severing zu unter- werfen. Dieser Schiedsspruch enthielt eine Akkordschußklausel dahin, daß Kürzungen an den Akkordlöhnen nur bei organisatorischen und technishen Veränderungen zulässig seien. Dadurh war es in den leßten 124 Jahren möglich, daß ein sehr großer Teil der Ar- beiter im Akkord bedeutend über die Tariflöhne hinaus verdiente. Nach der Kündigung des Manteltarifs wiesen die Unternehmer bei den Verhandlungen auf den bedeutenden Rückgang in der Erzeugung hin. Jm Rheinland und Westfalen hatten wir eine Gesamteisengewinnung im Mai 1929 von 946 000 Tonnen die Hunderter lasse ich weg —, im Mai 1930 von 686 000 Tonnen. Jn Deutschland insgesamt hatten wir im Mai 1929 eine Gesamt- eisengewinnung von 1 151 000 Tonnen, im Mai 1930 von 859 000 Tonnen. (Hört, Hört! im Zentrum.) Arheitstäglih þro- dugierten wix im Jahre 1929 37129 Tonnen, im Fahre 1930 27 731 Tonnen. Jm Betrieb befindlihe Hochöfen waren im Mai 1929 104, im Mai 1930 86 vorhanden. Dazu fommt, daß bei einem großen Teil der Tarife in der Eisenindustrie die Afford- shußklausel niht besteht, die für Rheinland und Westfalen vor- handen wax. Jn anderen Tarifen besteht die Akkordshußklausel sehr abgeshwäht. Jn dem Tarif der Großstadt-Metallindustrie Bayerns lautet die Akkordshußklausel:

„Stücklöhne, welhe ausprobiert und festgelegt sind, sollen bei gleihbleibendem Geschäftsgang und bei gleichbleibender Arbeitsverrihtung niht geändert werden.“ 5

Die Unternehmer brachten daher vor, daß die Leistungskapazität der einzelnen Betriebe infolge der wirtschaftlihen Krise tmmer weniger ausgenußt werden könnte; je mehr die Bestellungen zurückgingen, desto größer sei der Leerlauf und desto geringer sei die Rentabilität. Und diese Produktionsvorgänge berücksichtige offenbar die Akordshußtzklausel niht genügend. Gerade solche Vorgänge seien aber für die Rentabilität oder vielmehr für die Unrentabilität der Hüttenwerke viel wesentlicher als techmnishe oder organisatorishe Verbesserungen, bei denen au nach der Afffordschußklausel Veränderungen in den Aktkordlöhnen zulässig seien. Dagu kommt, daß in allen eisenschaffenden Ländern Europas mit Ausnahme von England, so in Belgien, Luxem- burg, Frankrei, Tschechoslowakei, Polen, sehr viel niedrigere Löhne gezahlt werden als in Deutschland. England ist insofern Deutschland voraus, als es sehr viel Eisen und Stahl für seine Kriegs- und Handelsflotte benötigt und als es weiterhin Fahr für Jahr große Eisenbahnbauten mit englischem Material in Jndien durchführt.

Jn Berücksichtigung dieser Gesamtlage stand ih bezüglich der Eisenindustrie von Nordwest vor folgenden zwei Möglichkeiten. Erstens: man läßt die Sache laufen, man schafft einen tariflosen Zustand. Das hätte in vielen Werken zu 20 vH., 25 und mehr vH Lohnabgzug geführt, wie es auch in den übrigen Bezirken der Fall ist. Heute redet man so hestig von der Notwendigkeit von Lohnkürzungen. Aber schon seit drei Vierteljahren sind in Deutschland die Alkordlohnkürzungen auf der ganzen Linie în einem sehr starken Maße durhgeführt. Davon spriht man aber in der Oeffentlichkeit gar niht. Auch in der Metallindustrie sind in einer ganzen Reihe von Bezirken und Werken in den leßten drei Vierteljahren Alkordlohnabzüge von 20, 25 und mehr vH erfolgt. Diese Dinge wären für Nordwest gang bestimmt eben- falls eingetreten, und dadurch hätten wir in Deutschland auch in Nordwest vor einem größeren Arbeitskampf gestanden, den wir im Hinblick auf unsere Gesamtlage in der gegenwärtigen Stunde nit ertragen können, und der weiterhin bestimmt für- die Ar- beiter nit erfolgreich verlaufen wäre. (Sehr richtig! im Zentrum.) Das Schlußergebnis wäre gewesen, daß ein großer Teil der Hüttenarbeiter entlassen, und das Heer der Arbeitslosen vermehrt worden wäre, (Zustimmung in der Mitte und rechts.) Dagu kommt noch ein zweites. Die Unternehmer konnten für ihre For- derung starke Gründe vorbringen. Behandelt eine Reichs- regierung in einer so \{chwierigen Situation wirklih starke Gründe, ganz gleich, von welher Seite sie vorgebvaht werden, als Luft, nimmt sie in einer Stunde, in der die Mutlosigkeit und der Pessimismus der deutshen Wirtschaft größer sind, als sie je seit dem Fahre 1923 anzutreffen waren, auf diese Beobachtungen keine Rücksicht, dann schafft man gewaltsam und mutwillig neue Arbeitslosigkeit. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.) Der „Deutsche Volkswirt“ von Stolper schrieb denn auch unter Bezug auf den Schieds\pruch:

„Ohne Zweifel wäre ein Teil der Unternehmer recht froh, wenn sie durch Stillegung der Betriebe die Möglichkeit

| lihfeitserflärung. Jh bin der festen Ueberzeugung, daß ih u

| troffen habe, sowohl im Jnteresse der deutschen Gesamtwirtsg,

‘Neichs- ‘und Staatsanzeiger ÑNr. 149 vom 30. Juni 1930, S. 2,

schaft und bejonders Für die Jnteressen der Arbeiter wäre

diesem Augenblick, da die Konjunkturbe!ebung wesens,

dem Einfluß psychologisher Faktoren abhängt, „ein A

Wirtschaftskampf geradezu katastrophal. d (Sehr richtig! in der Mitte und rets.)

Die zweite Möglichkeit, von der ih sprach, war die Verb

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unter den Möglichkeiten, die mir gegeben waren, das Richtige wie auch im Jnteresse der Arbeiter der Eisenindustrie von Nz,, west. Die Arbeiter in ihrer Mehrheit haben sih im Hing: darauf, daß der Geschäftsgang sehr {hlecht war, daß die Kapazi der Hochöfen nit ausgenußt ist selbst wenn heute noch 30 Pr zent der Hochöfen stillgelegt würden, würde deswegen kein einzigg Kilo Eisen in Deutschland weniger erzeugt, da ja die Kapazität ,; sah auf andere Hochöfen übertragen werden kann; wir ste gegenwärtig vor der Situation, daß die Hochofenkapazität weg in Deutshland noch in Europa voll ausgenußt wird, sondern dg die Ausnubung höchstens 60 Prozent beträgt; wir könnten j Europa nahezu das Doppelte mit den vorhandenen Hochöfen q Eisen und Stahl herstellen, als es gegenwärtig der Fall ist also die Arbeiter haben si im Hinblick darauf, daß sie im Aktoy in großer Zahl weit über dem Tariflohn verdienten, und daß ay die jeßige Regelung vorsieht, daß die Lohngrenze beim Akt mindestens 15 Prozent über dem Tariflohn liegen muß, mit d Politik, die ih gegenüber der Eisenindustrie von Nordwest 4 trieben habe, und die nah meiner Ueberzeugung sachlich dura rihtig war, einverstanden erklärt. Die Akkordshubklausel ließ fi in der bisherigen Fassung bei der gegenwärtigen Lage nitt ay rechterhalten. Und ohne diese Klausel wäre in vielen Betriebs bestimmt eine Lohnkürzung um mehr als 20 Prozent, und zw ein Abzug von den Spitenakkordlöhnen erfolgt. Die Arbeitged wollten ursprünglich einen durchscnittlihen Abzug von 10 Proze den ih dann auf 714 Prozent zurückgedrängt habe. Was je zustande gekommen. ist, ist nicht etwa nah dem Willen der intra sigenten Arbeitgeber des Ruhrgebiets geschehen. Nein, diese intra sigenten Arbeitgeber wollten ein zweites Mansfeld; sie wolli keinen Schiedsspruch; sie wollten ebenfalls einen Kampf und sagte „Jeßt wollen wir einmal die freien Kräfte spielen sassen!“ genau wie bei den Auseinandersezungen zwischen Unternehne und Gewerkschaften, wo man eine Basis zur Gesundung der Vit schaft suchte. Dabei hatte auch ursprünglich der intransigente 2 der Arbeitgeber erklärt, daß sie in der gegenwärtigen Stunde, i sie die Starken seien, keine Veranlassung hätten, sih mit den Ÿ werkschaften zusammenzuseyen. Auch der intransigente Teil d Arbeitgeber in Nordwest stand auf demselben Standpunkt. 2 dann die Fntransigenz zurückgedrängt worden ist, daran ist d Arbeitsminister niht ganz unshuldig. (Bravo! im Zentrum.) Der Herr Kollege Severing hat vor 14 Jahren den beid Seiten geraten, sie möchten bei Ablauf des Vertrages eini Monate vorher miteinander Fühlung nehmen. Mit mir hat d Deutsche Metallarbeiterverband, der den Tarif kündigte, n Fühlung genommen. Die sozialdemokratische Presse hat at lezten Woche mehrfach gefragt, wie ich als chemaliger L schaftssekretär einen solchen Schied8spruch habe für verbis ih d flären können. Die Gründe habe ih Jhnen 1m einzelnen al einandergeseßt. Fm gangen sage ih aber dazu das gleiche, w vor einigen Wochen meine englische Frau Kollegin gesagt 1 Jn der Pariser Sihung des Verwaltungsrats des Jnterna A Arbeitsamts hielt der Führer der französischen Gewer! englishen Frau Arbeitsminister entgegen, sie hätte in ee | jener Frage früher einen andern Standpunkt Anden Ea in der Sizung. Darauf gab ihm Frau Bonfield qur UN früher habe sie an den Sitzungen als Vertreterin cine 7 | verbandes teilgenommen, heute aber nehme sie an ber N A Repräsentantin der englischen Nation teil. (Sehr gut! im ris J und rets.) Als Repräsentantin der E e 4 sie weitergreifende Gesichtspunkte zu berüdsihtigen als : tretecrin eines Berufsverbandes. (Lebhafte Zustimmung

Mitte und rets.)

- Aus dem Gesichtswinkel man für ein Land mit sehr nissen nit Politik machen. (Erneute uu

Jn den leßten Wochen ist vielfa gesagt urt y 4 dex Eisenpreise sei nicht ausreichend. (Sehr ri 4 a Sozialdemokraten.) Die Eisenindustriellen von Nor A mix versprochen, die Eisenpreise um einen höheren E senken, als die Senkung der Akkordlöhne ae t Versprechen haben sie gehalten. (Zurufe links.) aus im Hinblick auf die ganze Weltlage und s fd Eisenmarkt die Preissenkung ausreichend ist, das steh al aûdern Blatt. (Zustimmung links.) : Gegenwärtig Birtihal mein Betreiben einige Sachverständige des qn Ott ministeriums im Ruhrgebiet, um die Breigtalinns jer fett Stelle zu überprüfen, und sobald ih den Dariss ing Md in Sänden habe, werde ih der Oeffentlichkeit Mi in nell (Zuruf von den Kommunisten: Die Lohnsenkung Laidei Gie Wenn Sie selbst Eisenhüttenavbeiter E Vang Vort {nell niht urteilen. Jch habe mir au stun Z “litit hind halten lassen, wie man am shnellsten in die Prei Z ie fi sehen könne. Dabei stellte sich eben heraus, v n deé Preispolitik sehr shwierig hineinzusehen ist, un S6 für weil einmal sehr langfristige Verträge mit vente ga Eisenbezug bestehen, und weil au sonst sehr Ln e N nisse vorliegen. Da müssen tatsählih schon sehr n geben t handlungen stattfinden, damit man rihtige D am Reih Oberflächlihe Zahlen hätte ih au hon heute mitteilen können.

Abschließend möchte ih zu dem K sagen: Wenn wix das Sclichtungswesen «eil jefe E die Tarifverträge halten wollen, dann müssen L at gewi in großen wirtschaftlichen Depressionsperioden 2 ; Elastizität gehandhabt werden. (Sehr rihtig* G Wenn ih von Australien absehe, gibt es kein é ä Welt mit einem ebenso staatlich derartig ausgebau L wesen wie Deutschland, es gibt kein zweites 0 L fest gebu dem ein so großer Bruchteil der Löhne und Gehä

eines Berufsverbandes allein A schwierigen wirtschaftlichen Verh Zustimmung.)

gewännen, die Lager zu räumen. Aber für die Gesamtwirt-

; 8haltsauê! ist wie in Deutshland. J sagte shon 1m Haush

hesteigert werden.

Neichs- und Staatsanzeiger Nr. 149 vom 30. Juni 1930. S. 3.

G

daß in Deutschland etwa 46 Milliarden Löhne und Gehälter be-

hlt werden, und davon sind nah meiner Schäßung 35 bis 38 Milliarden in Form von Beamtengehältern und Tarifvertrags- löhnen gebunden. (Hört, hört! im Zentrum.) In Feinem Lande gibt es soviel nationale und Bezirkstarife wie in Deutschland und diese Errungenschaften lassen sich meines EraŸtens, wie ge- sagt, nur halten, wenn in {weren Depressionsperibden sie etwas elastisch gehandhabt werden. (Zurufe links.) Auf die Kartelle fomme ih nachher auch noch!

Jn Deutschland ist man weitgehend geneigt, iz Extremen zu denken und zu handeln. (Sehr richtig! im Zentrum.) Jm vorigen Herbst hielt man die Steuersenkung für den einzig rettenden Weg aus der deutshen Wirtschaftsmisere. Augenblicklich ist die „Lohn- senkung“ allenthalben Schlagwort geworden. Dabei kommt man zu Vergleichen, die unhaltbar, die falsch sind. Zunächst sollte als selbstverständlich angesehen werden, daß zwischen 1914 und 1930 der Weltkrieg und die Staatsumwälzung liegt. Für die deutsche Arbeiterschaft ist daher niht nur politisch, sondern auch wirtschaft- lich und sozial das Fahr 1914 ein falscher Vergleihs- und Aus- gangspunkt. Auch Vergleiche zwischen Beamtengehältern und Arbeiterlöhnen mit dem Fndex von 1914 und 1930 führen in die Jgrre. Vor 1914 hatten wir kaum den zehnten Teil der heutigen Arbeitslosigkeit und der Kurzarbeit. Kürzlih kamen einige Berliner Maurer zu mir und sagten mir, daß die Berkiner Atfordmaurerkolonnen bei gleiher Arbeitszeit heute 25 bis 30 vH Steine mehr vermauern als 1914. Weiterhin sagten mir die gleihen Herrren: Gebt uns wie vor 1914 regelmäßig wieder neun Monate Arbeitsgelegenheit im Jahre mit Ausnahme der Regentage, dann wollen wir über unsere Löhne gern mit uns reden lassen! (Lebhafte Zustimmung im Zentrum.) Bei der heutigen wirtshaftlihen Gesamtsituation sind die Stundenlöhne der Arbeiter und die Fahresgehälter der Beamten nicht mitein- ander vergleihbar. F bin mir darüber klar, daß unser heutiges Preisniveau ungesund und nicht haltbar ist. (Sehr richtig! im Zentrum.) Fch rechne auch damit, daß die jevige sinkende Welt- preistendenz keine vorübergehende Sache, sondern eine Dauer- ersheinung ist. Fch lasse mi auch nicht von der steigenden Ausfuhr blenden. Fch bin vielmehr der Ueberzeugung, daß bei unserer heutigen Kartell- und Konventionspolitik ein großer Teil der Ausfuhr zu Lasten unserer Fnlandspreise geht (sehr richtig! im Zentrum), ein Zustand, der ungesund ist und keine Dauer- ersheinung werden darf.

Wir kommen um eine baldige Preissenkung niht herum. Und darüber besteht auch weitgehende Meinungsübereinstimmung. Aber an dieser Stelle beginnt der Streit darüber, wer den Anfang machen soll. (Lebhafte Zustimmung und Heiterkeit.) Jch möchte allgemein sagen: Die Preissenkung muß vorausgehen. (Zuruf von den Kommunisten: Nicht die Lohnsenkung?) Nein, ih sage auódrücklih: Die Preissenkung muß vorausgehen. Die Preis- senklung ist auch in Nordwest vorausgegangen, einen Monat vorher. Die Preissenkung ist am 1. Juni in Kraft geseßt worden, und die Lohnkürzung tritt am 1. Juli ein. Lohn- senlungen allein führen meines Erathtens bestimmt niht zum A Sie sind volkswirtschaftlich falsch und auch nit durch- UYrdar.

Jh habe shon mehrfach folgendes Zahlenbild im Haushalts- ausshuß und auch an anderer Stelle gebraucht. Die Landwirt- haft produziert jährlich Werte von 12 bis 13 Milliarden Reichs- mark, wovon sie 8 bis 9 Milliarden Reichsmark verkauft. Diese Verte können noch um einige Milliarden Reichsmark gesteigert werden (sehr vihtig! im Zentrum), um damit noch 1 bis 14 Mil- lionen Menschen in Stadt und Land beschäftigen zu können. Jnsgesamt leben von der landwirtschaftlihen Tätigkeit im engeren Sinne gut 15 Millionen Menschen in Deutschland, Dieser Rreis von Menschen kann also noch vergrößert werden. Wir führen sodann jährlih für 13 bis 14 Milliarden Reichsmark aus, ind davon leben etwa 8 bis 10 Millionen Menschen in Deutsch- land, Auch. diese Ausfuhr muß noch um einige Milliarden Mark Auch davon können noch einige Millionen Nenshen mehr leben. Löhne und Gehälter werden in Deutsch- land an 46 Milliarden Reichsmark bezahlt. Davon entfallen auf den Jnnenmarkt denn die Löhne und Gehälter, die bereits für die Ausfuhr bezahlt werden, müssen abgerechnet werden —, auf Reih, Länder, ‘Gemeinden, öffentliche Betriebe, Fndustrie, Handel, Gewerbe und Verkehr mindestens 40 Milliarden Reichsmark, und bon diesen 40 Milliarden Reichsmark leben ungefähr 40 Millionen Nenschen. Wenn man daher in Deutschland bei dieser Be- Wlkerungsstruktur die Löhne ohne die Preise senkt, dann ver- lhärft man die Krise. (Sehr richtig! im Zentrum und bei den Sozialdemokraten.) Wenn man die Preise nur ebensoviel lenkt wie die Löhne, dann erleihtert man zwar die Aus- fuhr, schafft aber im Jnnern so gut wie gar keine ver- sre Kaufkraft (sehr richtig! im Zentrum und links), ein Zustand, durch den keine ausreichende Neubelebung der Wirt- Dn erfolgen kann. (Sehr wahr! bei den Deutschen Demokraten.) | h | der deutschen Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur ist ein | slarker Antrieb der Wirtschaft nur möglich, wenn die Preise mehr | Nt werden als die Löhne. (Sehr richtig! im Zentrum und bei

n Sozialdemokraten.) Nur dadurch wird zusäßlihe Kaufkräft wehaffen. : Wenn aber die Preise gesenkt werden, dann können | Ÿ die Löhne der Preisentwicklung angepaßt werden. Das be- gi keine Senkung des Reallohns. (Sehr richtig! rechts, ‘in fes itte und bei den Sozialdemokraten.) Einer Senkung der | fa öhne auf breiter Front müßte ih mi nahdrücklihst wider- S weil damit bei der deutschen Bevölkerungsstruktur für die *

[he Wirtschaft nichts gewonnen wäre. (Zustimmung.)

Via dem Nillimeter freilich kann man in der komplizierten - rup L Volkswirtschaft nicht abmessen, ob jede eingelne Berufs- a bei Preissenkungen über oder unter dem heutigen Roal- nit legt. Der Preis wird zudem nicht allein und in der Regel k, D überwiegend vom Lohn bestimmt. Die Lohnquote dla vis ist heute in den meisten Fällen in Deutschland geringer Ov ,

n bin gewöhnt, die Dinge, die an mi hevangebraht werden,

« oberflählih zu prüfen. Mir paßt es beispielshalber ganz ay nicht, daß die öffentlihe Hand in Deutschland der größte lstraggeber ist und dabei der Baukostenindex immer 20 bis

M S den legten Wochen, wo wir ja ein verstärktes ) ogvamm herausgeben wollen, den Dingen nach- hort und habe folgendes festgestellt. Die Herstellungskosten S Se e S m Deutschland in Stadt und Land teilweise zum halben Preis m AA T E O egi ggr igte ard eis hergestellt fann man gegenwärtig U A B annehmen. Davon sind rund 40 vH e G echnungen mit 32 vH und auch solche nit , ih nehme also den Durchschnitt der einzelnen Bau- R —, ih sage, von den 7500 Reichsmark, die eine Wohnung s O 40 vH oder 3000 Reichsmark Bauavbeiterlöhne. e pap va ese ga 5 vH, so macht das mark 7950 Reihsm E tôstet die Wohnung anstatt 7500 Reich8= diese Din S E Wenn ih die Hauszinssteuern und all ge außer Betraht lasse, so muß ih gegenwärtig bei unserer Hypothekenunordnung (sehr wahr! im Zentrum) 10 vH Os S ih diese 150 Mark, bie id "an. Loliu- 16 Mart E Juung spät, so bringt das bei 10 vH Zinsen Wohnun E Man 1,25 Mark monatliche Ersparnis an der L ebe lete. enn man dagegen den deutschen Zinsendienst vdnung bringt, wenn man die Kapitalevtragsteuer für fest- verzinsliche Papiere beseitigt und auf den Pfandbrieftyp von 7 vH hinsteuert der deutsche Zinsendienst ist heute als ein großes Chaos anzusehen, denn bei einem Reichsbankdiskont von 4 vH kosten langfristige Anlagen immer noch 9 bis 10 vH Zinsen —, wenn man dahin steuert, daß auch die langfristigen Kapitalanlagen alles in allem um 2 vH gesenkt werden, dann bedeutet das für eine Wohnung von 7500 Mark eine jährliche Ersparnis von 150 Mark oder eine Mietserleihterung von 12,50 Mark im Monat. (Hört, hört! im Zentrum und links.) Daß man bei solher Sachlage die Bauarbeiterverbände nicht dahin bringen kann, bei Preissenkungen in der Bautwirtschaft mit Lohnsenkungen den Anfang zu machen, liegt doch auf der Hand. (Lebhafte Zustimmung im Zentrum und bei den Sozial- demokraten.)

: Ih halte, wie gesagt, die sinkende Weltmarktpreistendenz niht für eine vorübergehende, sondern für eine Dauererscheinung. Wenn dem aber so ist, dann müssen auch wir in Deutschland zu einer Senkung der Preise kommen, und dazu gibt es viele Mittel. Da nenne ih in erster Linie die Lockerung der Kartellwirtschaft. (Sehr gut! im Zentrum und bei den Sogialdemokratett.) Jh habe mi shon seit Wochen mit diesen Fragen beschäftigt. Ledig- lih deswegen, weil der Herr Kollege Dietrih vier Wochen krank war, sind wir in den Dingen nicht weitergekommen. Herr Kollege Dietrich beurteilt diese Dinge ebenso wie ih. Jh sage also: erstens Lockerung. der Kartellwirtshaft, zweitens Ordnung im deutshen Zinsendienst, drittens Verringerung der Preisspanne ¿wishen Erzeugung und Verbrauch, insbesondere bei den Agrar- produkten (lebhafte Zustimmung), viertens Vereinfahung und Verbilligung der Lebensführung in allen Schichten des deutschen Volkes. (Lebhafte Zustimmung.) Wenn in allen diesen Dingen gleihgeitig vorgegangen wird, dann garantiere ih, daß ih auh das Gros der deutschen Arbeiterschaft dahinbringe, daß sih ihre Löhne dex deutshen Preisentwicklung anpassen. Aber daß man bei diesem Chaos alles auf die Karte Lohnpolitik seyen kann, ist bei unserér Bévölkerungsstruktur eine Unmöglichkeit. (Lebhafte Zustimmung im Zentrum und!' bei den Sozialdemokraten. Zu- ruf von den Kommunisten: Die Deutschnationalen sind sehr zu- frieden damit!) Das ist mir gegenwärtig und Sie werden noh ernstere Worte von mir hören völlig Wurst, wo ih in diesem Hause in ernster Stunde Beifall ernte. (Heiterkeit und Zustimmung.) Unsere Lage ist gegenwärtig viel zu ernst; wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Wir haben seit 1923 keine so ernste Situation mehr gehabt wie gegenwärtig. (Sehr wahr!) 1923 hat das deutshe Volk die Situation gesehen, weil es die Papiermarkfeyen in der Hand gehabt hat. Heute ist unsere Lage niht so klar erkennbar, weil unser Volk nicht wie 1923 für Papierfeen arbeiten muß. (Lebhafte Zustimmung.)

Neben dem Schlichtungswesen und neben der Lohnpolitik ist gegenwärtig in allen Ländern mit s{chwierigen Wirtschafts- verhältnissen am meisten die Arbeitslosenversiherung umkämpft. Ueber die Arbeitslosenversiherung habe ih mich în den leßten Wochen {hon mehrfah öffentlih geäußert, Die Arbeitslosen- versicherung ist 1927 fo. aufgebaut worden, daß mit den Bei- trägen 700 000 Versicherte unterstüßt werden konnten. Fm vorigen Jahre rechnete man im Sachverständigenausshuß mit 1,1 Millionen Arbeitslosen für den Durchschnitt einer Konjunktur- periode, während 1929 im FJahresdurhshnitt 1275 000 Haupt- unterstüßungsempfänger vorhandew waren. Bei ihren Vor- schlägen an den Reichstag geht die Reichsregierung für das Fahr 1930 aus von 1,6 Millionen Hauptunterstüßungsempfängern und 400 000 Krisenfürsorgeberechtigten. Unter diese Ziffern darf nah Auffassung der Reichsregierung keinesfalls Heruntergegangen werden, wenn wix niht im Herbst eine große Enttäuschung er- leben wollen. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten und im Zentrum. Zuruf von den Deutschnationalen.) Praktish und in Wirklichkeit wird mit höheren Ziffern gerehnet werden müssen. Dieser Annahme sucht die Reichsregierung zu begegnen durch ein Arbeitsbeschaffungsprogramm, mit dem sie hofft, 900 000 bis 300 000 Menschen beschäftigen zu können, und auf das - ih zum Schluß meiner Darlegungen noch kurg ein- gehen werde.

Was die Frage der Avbeitslosenversiherung anlangt, so stand ih bei Uebernahme des Reichsarbeitsministeriums vor der Ver- einbarung der Parteien, daß der Vorstand der Reichsanstalt für Arbeitslosenversiheoung der Reichsregierung Reformvorschläge zu unterbreiten habe. Von diesen Vorschlägen geht der Geseß- entwurf, der dem hohen Hause vorliegt, im wesentlichen aus. Béi der gegenwärtigen Gesamtlage konnte ih diese Vorschläge um so wentger auf die Seite schieben, als bei ihrer Ausarbeitung wiederum niht etwa die radikale Richtung im Avbeitgeberlager durchgedvungen ist. Jn den Tagen nah der Abstimmung hat auch der „Vorwärts“ anerkannt, daß die radikale Richtung im Arbeitgeberlager bei dieser Abstimmung zurüdckgedängt worden ist. Jm Mittelpunkt des Problems der Arbeitslosenversicherung standen und stehen im leßten Jahre die These „Sanierung der Arbeitslosenversihevrung ohne Leistungsabbau!“ und die Anti-

nkte höher ist als der übrige Index. (Hört, hört!) Nun

these „Keine Beitragserhöhung ohne gründlihe Reform der

«

Awrbeitslosenversiherung!“ Nachdem ein ganzes Jahr lang um diese These und Antithese gekämpft worden is, und eine An- näherung der beiderseitigen Auffassungen niht hat erzielt werden können, hat es sthließlich in Ser gegenwärtigen Stunde keinen Zwedck, wieder da anzufangen, wo wir mit dem Beginn der Sach- verständigenkonferenz vom Sommer lezten Jahres begonnen haben. (Sehr wahr! im Zentrum.) Jch sagte kürzlih vor der deutschen Presse, die Reichsregierung wolle versuchen, das Arbeits- losenproblem mit normalen parlamentarischen Mitteln und nicht etwa mit Mitteln der Diktatur zu meistern. Weiterhin sagte ih vor der Presse, daß die Reichsregierung wegen der Frage der Sanierung der Arbeitslosenversiherung eine Reichstaosauflösung au vermeiden suche, weil eine Reichsdagsauflösung zur Folge hätte, daß im Herbst und Winter, auf wenige Monate zusammen- gedrängt, Reichsetat und Arbeitslosenversiherung niht mehr in Ordnung gebracht werden könnten, weil, wenn wir bis zum Herbst warten, wir sehenden Auges wieder in dieselbe Lage und Pumpwirtshaft hineinsteuerten, aus der wir uns nah großen Mühen und Anstrengungen vom Dezember 1929 bis April 1930 langsam herausgearbeitet haben.

Wenn aber die Arbeitslosenversiherung weder mit dem

Artikel 48 noch mit einer Reichstagsauflösung in Ordnung ge- braht werden soll, sie vielmehr mit diesem Reichstag saniert werden muß, mit diesem Reichstag, der sich seit einem Jahr über die These und Antithese in der Arbeitslosenversicherung niht einigen konnte, dann scheint mir in der Tat zweierlei fest- zustehen. Erstens, daß ein schr viel anderer Weg, als ihn die Reichsregierung vorschlägt, nicht gegangen werden kann (sehr rihtig! im Zentrum); zweitens, daß die Neuaufrollung des Streites in seiner ganzen Breite und Tiefe uns in der gegen- wärtigen Stunde um keinen Schritt weiterbringt. (Sehr wahr! im Zentrum.) Zur Sanierung der Arbeitslosenversiherung oder zur Beschaffung der allerdringlihsten Mittel für die Krisen- fürsorgeberehtigten sind mindestens 700Millionen Mark notwendig. Wenn man den Wünschen der Gewerkschaften auf Einbeziehung aller aus der Krisenfürsorge Ausgesteuerten und den Wünschen der Gemeinden hinsihtlich der Mittelbeshaffung für die Wohl- fahrt8arbeitslosen Rehnung tragen wollte, dann wäre insgesamt 1 Milliarde Mark notwendig. (Hört, hört! in der Mitte.) Diese gewährt mir aber gegenwärtig kein Finanzminister, weder der vorherige noch der jeßige, weil er erklärt, daß der Reichstag ihm erst das genehmigen müsse, was für die Stunde absolut not- wendig ist; dann erst könne er über Zukunftsdinge diskutieren. Jm übrigen zeige mir jemand eine Reichstagsmehrheit, die mir diese 700 Millionen Mark genehmigt ohne irgendwelche Reform der Arbeitslosenversiherung. Wenn mir jemand diese Mehrheit zeigt, dann besteht zwishen Fhnen (nah links) und mir gax keine so große Meinungsverschiedenheit. (Sehr gut! Heiterkeit.) 5 Jm ganzen wäre es unpolitisch, die Arbeitslosenversiherung für sih allein sehen zu wollen. Das Arbeitslosenproblem ist in der nächsten Zeit vielmehr neben der rentablen Gestaltung der Landwirtschaft das Hauptproblem der deutshen Politik (sehr rihtig! im Zentrum), der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik und der Steuevpolitik. Jch muß offen gestehen: ih habe in den lezten Wochen bei dem Kampf um das Notopfer das deutsche Volk niht mehr verstanden. Wir müssen folgender Tatsache ganz lar ins Auge sehen: Steuererträgnisse, die Hunderte von Mil- lionen bringen sollen, sind bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge in Deutschland aus Volk und Wirtschaft niht mehr her- auszupressen. (Sehr richtig! im Zentrum und bei der Wirtschaft8- partei.) Das Fahr 1931 wird nit mehr, sondern weniger Steuer bringen als das Fahr 1930, und zwar destvegen, weil die in dem Krisenjahr veranlagten Einkommensteuern “im nächsten Jahr weniger Einnahmen bringen werden, und wenn das Sinken der. Weltmarktpreise anhält, werden im nächsten Jahr auch die Massenverbrauchs\teuern weniger bringen als in diesem Fahr.

Auch unsere gewaltige Avbeitslosigkeit kann nicht ganz plöß- lih guvückgedrängt werden. Wenn das so einfach wäre, müßte ja die englishe Labour Party-Regierung die unfähigste Regierung der Welt sein, die sie aber in der Tat nicht ist; denn daß die Engländer mit ihrer Kapitalkraft sich noch besser rühren können als wir, ist doch unbestritten. Wenn troydem in dem Jähre, in dem die englische Labour Party am Regieren ist, auch in England das Arbeitslosenproblem nicht hat gelöst werden können, dann muß man sih darüber klar sein, daß wir in Deutschland nicht von einem Tag zum anderen das Arbeitslosenproblèm zurüdck- drängen können.

In solher Situation gibt es keine andere Rettung als Sparen auf der ganzen Linie. (Sehr richtig! im Zentrum und bei der Wirtschaftspartei. Zurufe von den Sozialdemokratea: Aber an der richtigen Stelle!) Es ist nicht ausgeschlossen, daß im Herbst noch mit viel drakonisheren Maßnahmen gearbeitet werden muß als gegenwärtig, und ih bin der festen Ueberzeugung, daß vielleiht die Stunde kommt, wo dex ganze Reichstag am 31. März 1931 froh ist, wenn er mit dem, was ih heute dem Reichstag vor- schlage, sich begnügen kann. So sehe ih die Situation, und ih bilde mir ein, in den leßten fünf Jahren die Gesamtsituation in Deutschland im großen von kleinen Schattierungen abgesehen nicht falsch beurteilt zu haben.

In den leßten Wochen habe ih dem deutshen Volke Deutsch- lands Ausgabemwirtschaft in nackten Ziffern vorgeführt. J bin damit vielfah niht verstanden worden. Jh garantiere: nah einem Jahre werde ih von jeder Regierung und von jeder Re- gierungsfkoalition verstanden werden, ganz gleih, wer hier am Ruder ist. Wenn wir unsere Sogzialversiherung niht sparsam gestalten und ihre unsoziale Ausnußung auch die kommt vor aufs stärkste beshneiden, so stehen wir so bestimmt, wie zwei- mal Zwei vier ist, in kurzer Zeit mit unserer Sozialversiherung vor derselben KatastroÞHe, von der wir in den leßten Monaten mit unserer Finanzpolitik gestanden haben. Davon bin ich felsen- fest überzeugt, und ih mache eine andere Politik niht mit.

Je bin bereit, einige Schlacklen in dexr Sozialversiherung zu beseitigen. Wie die Arbeitslosenversicherung jebt geregelt werden soll, paßt mir in meiner persönlichen inneren Einstellung auch in manchem nicht; foweit die Krankenversiherungsreform in Frage kommt, glaube ih, daß ungefähr das Richtige getroffen wird. Aber darüber später bei dem Kapitel Sozialversiherung. Jh bin, wie

gesagt, bereit, die Shlacken an einzelnen Sozialversiherungs§-