1908 / 25 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 29 Jan 1908 18:00:01 GMT) scan diff

verlezte, ¡wei sind geslorben, das dritte ist

Leben. Sofort hat der „Berliner Lokal-Anzeiger“

einige Saverständige gewandt und sie um Gutachten gebet

erste, der \sih vernehmen ließ, Herr Dr. Albert Moll,

über diesen noch ganz unbekannten Täter dahin aus, daß die Ver mutung naheliege, daß man es viel eber mit einem Geifteskranken zu tun babe, weniger mit einem serual Perversen, obwobl diese Leute bäufig erblih {wer belastet seien, und der Herr Medizinalrat Dr. „Leppmann meinte, hier könnten auch andere Motive zu Grunde liegen, man fönnte eher an die Tat eines Verrückten denken, der etwa von religiösen Wahnidren erfüllt sei, es könne auch ein echter Luftmord von einem Geisteékranken verübt worden sein. Wenn ih im vorigen Jahre hervorgeboben hatte, daß die Psyhiater sich dtoch mehr in aht nehmen sollten, mit cinem öffentlichen Urteil bervorzutreten über Menschen, die man noch gar nicht fennt, so bleibe ih jeyt dabei. Ich würde es für

rihtiger halten, wenn die Herren auf folche Anfragen schwiegen oder

Wenn ein medizinisher Sachverständiger

die Beantwortung ablehnten. muß er doch eine gewisse Vor-

ih {hon vorber so festgelegt bat, do eingenommenkteit baben, wenn es zur gerihtlihen Verhandlung fommt; darum empfehle ich doch darin mehr Zurückhaltung. Wir steben alle unter dem Eindruck und weite Volkskreise mit uns, daß es eine öffentliche Gefahr bedeutet, daß man bei Kapitalverb: ehen immer wieder fragt: baben sie die Tat getan als geistig Gesunde oder als geistig Kranke? Ih rerweise bloß auf Allenstein. Wenn jemand vor zwei Monaten au nur den leisesten Zweifel an der Zu- rechnungsfäbigkeit der beiden Mörder bätte laut werden lassen, er bâtte das schwer zu verantwo ten gehabt. Heute sind der Offizier wie die mörderis%e Gattin shon beide im Irrenhause, um auf ibren Geisteszustand beobachtet zu werten. Es ist eine wirklihe Gefahr, daß bei allen diesen Gelegenheiten und gerade bei den s{wersten Verbrehen immer und immer wieder der Zweifel an der geistigen Zurehnungsfähigkeit nicht bloß erhoben, sondern daß darn au meistens dem vsychiatrishen Gutachten stattgegeben wird. Wie oft sich diese widersprechen, haben wir in zahlreiden Gerichtéverhandlungen gesehen. Auf diese Gefabr muß aufmerksam gemacht werden, denn alle diese Zustände und Verbältnisse dienen niht dazu, in der Bes völkerung den Respekt vor der Rechtsprehung zu mehren, namentli wenn der Verdacht hinzukommt, daß man gerade bei den Verbrechern aus böberen Gesellshafteshihten diesen Weg mit Vorli:be eins{lägt. Fch kann deshalb den Minister nur bitten, diesen Anregungen, die ih îm Namen meiner politishen Freunde gegeben habe, eine gewitle Bes

atung zu schenken. : l E u meinem Bedauern bin ich ge¡wungen,

Abg. Noeren (Zentr.): n Be j ch geiwu den Ausführungen des Abg. Rewoldt, soweit sie die Mündlichkeit des Wir würden, wenn wir ihm

Verfahrens betrafen, entgegenzutreten. : j folgten, zu dem alten preußischen Gerichtsverfabren zurückfehren, das wir glückliherweise seit 1879 verlaffen haben. Ih bin ein un- bedingter Anbär ger des mündlichen Verfabrens, und mit mir find es wobl auch die meisten meiner Freunde. Dagegen kann ih den Aus- führungen, die der Abg. Rewoldt wie der Abg. Strofser über die Oeffentlichkeit der Gerihtéverhandlungen gemadt hat, nur in vollem Maße zustimmen. Namentlich bei den leßten Skandalprozef|en wurde es unangenehm empfunden, daß die Oeffentlichkeit nicht ausges{lofsen wurde, und infolgedefsen der ganze Schinuß und die internsten sexuellen Vorgärge dur die Berichie der Preffe in jedes Haus und jede Familie hineingetragen wurden. Auf der anderen Seite muß man aber bedenken, daß grundfäßlich unsere Geritsverhandlungen öffentlih sein sollen, um die Rechtsprehung zu fontrollieren und das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität und Unabbängigkeit der Rehtsprehung zu befestigen. Die Oeffentlich- feit soll nur au8geschlofsen werden, wenn Sitte und Ordnung es ver- langen. Ob ein folcher Autnahmefall vorliegt, können oît die Gerihte vorher gar niht wissen, da fie dle Aussagen der Zeugen no% nicht kennen. Es wird tem Anstandsgefühl der Bericht- crítatter übcrlafsen werden müfsen, sih in solchen Fällen die ge- ziemerden Schranken aufzuerlegen. Gerade bei den leßten Sfandals- prozessen hat unsere angesehenere und vornehmere Presse ih nehme keine Partei aus über diese Verhandlungen nit berichtet, während allerdiogs der sensations[üsterne Teil der Prefse mit sihtlihem Behagen den Schmuß breitgetreten hat. Sollte ein Appell an diese Presse keinen Erfolg haben, dann wäre es allerdings wünschenswert, daß die Gerichte mehr von ihrer Befugnis, die Prefse auszuschließen, Gebrauch machten, namentlich in Privat- flagesahen, wo es sich um interne Familicnangelegenheiten handelt, wo man sich oft davor scheut, das Gericht anzurufen. Bei man@cken Gerichten hat sich der Brauch eingeshlicken, daß in Fällen des § 184 des St.G.B., wo es sh um die Verbreitung un- ¡üchtiger Bilder und Schriften handelt, regelmäßig sogenannte Künstler und Biieraten als Gutahhter herangezogen werden , und daß dann auf diese Gutachten hin das Urteil, meist ein freisprehendes, gefällt wird. Der Abg. Bassermann hat bereits im Neichstage ausgeführt, er habe fein Verständnis dafür, daß man zur Aus- legung des Be ihm der juristi‘che 2 nd gesunde Menschenverstand ftill. C ob ein solches Produkt künsilerish au darum, ob das Bild oder die Schrift ¡u Recht beftehenden Rechisausfafjung ne! ; lihe Volksempfinden zu verlegen und zur Lüsternheit anzuregen. Darüber kann ein Kaufmann und Gewerbetreibender ebenso gut entsheiden wie ein Richter. Glaubt ein Richter, dies richt tun zu können, so ist er überhaupt nit fähig, seines Amtes zu walten. Nehmen Sie z. B. an, ein Künstler wolle eine Unzuchtészene dar- tellen, er tut dies auch, und zwar mit dem ganzen Raffinement einer aus\chweifenden Phantasie und der ganzen Technik der Kunst. Dieses Machwerk fällt zweifellos unter § 184. Hier hat einzig und allein der Richter zu entscheiten. Eine ganze Anzahl von Autoritäten hat ih in diesem Sinne ausgesprochen ; ih nenne z. B. Hans Thoma, der in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ ih dafür ausfprah, daß man zur Beurteilung solher Fragen vor Gericht feine Stbriftsteller, Künstler und Aerzte berufen sollte, sondern Eltern, Lehrer und Erzieher, wenn der Richter niht selbst sih ein Urteil zutraute. Dieser Ansicht haben sich auch andere hervor- ragende Künstler und Literaten, wie Leirner, anges{lofsen. Im bayerishen Abgeordnetenhause bat vor 14 Tagen der Justiz- minister erklärt, daß die Richter selbst zu entscheiden bätten, ob ein Bild unzüchtig sei oder nicht. Vielfah werden aber Verleger oder Händler auf Grund der Gutachten von irgend welchen Künstlern oder Literaten freigesprohen. Die Anschauung des Künstlers ist wegen seiner Berufstätigkeit, wegen des ganzen Milieus, in dem er si be- wegt, nicht für das allgemeine sittlihe Volksempfinden maßgebend. Ein Angeklagter findet aber leiht minderwertige Künstler oder Literaten, die solde Machwerke _verteidigen. Selbst der Abg. Stadthagen wurde einmal als Sachverständiger berufen. Seine Anschauung kennt man ja aus seinen Reden bei der Be- ratung der lex Heinze. Ich verlange niht vom Justizminister, daß er in die Unabkängigkeit d-r Rechtsprehung eingreift, aber wenn sich allgemeine Mißbräuche im Prozeßverfahren eirs{hleichen, so kann er auf deren Abstellung hinwirken, und er sollte die Staatsanwaltshaften anweisen, in folhen Fällen wirkliche Autoritäten für ein Gegengutachten heranzuziehen. Wie weit die Freisprehungen auf Grund der angeblihen Sachverständigen- gutahten gehen, ersehen Sie aus diesen photographishen Aufnahmen nah dem Leben, die ich auf den Tisch des Hauses niederlege. (Die Abgeordneten umdrängen den Tisch des Hauses, um die niedergelegten Bilder zu besehen.) Die Sachverstäadigen legten diesen Bildern einen hohen fünstlerishen Wert bei, tatsählich sind sie aber nur geeignet, die Sinnlichkeit zu reizen. Diese Bilder sind freigegeben und fönnen nun unter Kindern und Frauen verbreitet werden bis in das entlegenste Dorf hirein. In manchen Blättern wimmelt der Inseratenteil von Annoncen pornographischen Charakters. Millionen und aber Millionen werden für solche Annoncen bezahlt. Die Ver- [eger und Händler müssen also ihre Rechnung dabei finden. ier liegt der Grund für den sittlichen Niedergang unseres Volkes.

Ñerstand still. Ich meine, da steht einfa der Es bandelt si doch hier niht darum, ausgeführt ift oder nicht, sondern unzühtig ist, d. h. nah der

geeignet ist, das sitt-

Begriffs „unzüchlig* noch Sachverständige zuziehe; da stehe

Der ostitution über herrscht überall Ratlofigkeit; man m E ein em wählen, wie man will, es wird nichts helfen, wenn niht eine Generation heranwähst, die {on in

der ierun rt wird.

ibr auf Schritt und Tritt aufdrängen und ihr Herz vergiften. ë Behörden zeigen auf diesem Gebiete eine Zaghafligkeit, Nachsicht und Milde, die nirgends weniger angebracht ift bier. Der Staat hat das größte Interesse daran, val die Reinheit des Volkslebers erhalten bleibt. Eine sittlich reine Nation wird an Körper und Wesen gesund sein ; des sollte die Regierung ¡um Schuße der Sittlich- keit energish vorgeben.

Justizminister Dr. Beseler:

Meine Herren! Die Ausführungen der Herren Vorredner be- rühren zumeist das Gebiet der Legiélative. Ih werde au, soweit fie etwas anderes behandelt haben, darauf zurückfommen, und die einzelnen Gebiete, welhe von den Herren berührt worden sind, der Reibe nah erörtern. g

Begonnen wurde mit der Zivilprozeßordnung, und es ist von dem Herrn Abg. Rewoldt tes weiteren auseinandergeseßt worden, wie er sih wohl eine Reform der gesamten Prozeßordnung denkt, dabei hat er auf die Punkte hingewiesen, welche er als besonders wenig glüdcklich gelôft in dem geltenden Eeseß erachtet. Ih habe {on neulich kurz mitgeteilt, wie gegenwärtig der Stand dieser Frage ist, und ih kann nur wiederbolen, daß binnen kurzem im Bundesrate die Entscheidung darüber fallen wird, wie die Vorlage, die zur Zeit von den verbündeten Regierungen ins Auge gefaßt ist, im einzelnen zu gestalten sein möchte. Der Gedanke, hon jeßt auf eine Neufaffung der ganzen Zivilprozeß- ordnung einzugehen, ist nicht neu. Er ift auch wobl erwogen worden ; indessen ift man doch der Meinung, daß die Frage nit sckon fo geklärt sei, daß sie sih alébald in eine Gesetzesform kleiden ließe, und namentlich muß ih betonen, daß dabei die Ansichten so sehr weit auteinandergeben, daß ein Erörtern dieser Gesamtfrage eine sehr lange Zeit erfordern würde im Verglei zu dem, was jeßt projektiert ist. Man könnte fast sagen, alles das, was jet zunächst von den Re- gierungen in Angriff genommen werden soll, würde ad kalendas Graecas vertagt werden. Selbstverstäntlih werde ich die Anregungen, die für die Bildung des garzen Gesetzes heute gegeben worden find, wie alles, was in dieser Rihtung an mi herantritt, in ernste Ers- wägung nehmen, und es ift nit auêgeshlofsen, daß sh auch in ab- sehbarer Zeit eine Geftaltung wird finden laffen, die das allgemeine Prozeßreckcht betrifft.

Im einzelnen if, soviel ich mich erinnere, besonders hervors gehoben worden, daß die Vereidigungen in Prozessen zu weiten Raum einnehmen. Meine Herren, das erkenne ih obne weiteres als richtig an; es ist das ein Gedanke, der in den anderen Staaten, die bei der Gesez&bung mit in Betracht kommen müssen, ebenfalls Wurzel ge- faßt hat, und es ist auch die Absicht, bei der bevorstehenden Vorlage diese Frage in dem Sinne mit zu lösen, daß die Vereidigungen in geringfügigeren Sachen tunlihst eingeshränkt werden sollen. Das wird ih im großen und ganzen wohl erreihen lassen, wie ih hoffe. Es wird da dem rihterlichßen Ermessen ein gewiffer Spielraum ge- geben werden müssen; und ich möhte bemerken, daß fich das nicht bloß auf das Zivilrecht erstrecken soll, sondern daß, soweit bisher die Arbeiten in der Vorbereitung der Strafprozeßordnung gediehen find, au dort für die geringeren Straffälle ähnliche Einrichtungen geplant werden. Ich zweifle au nicht, daß fie die Zustimmung der maß- gebenden gesetzgebenden Faktoren später finden werden; denn mich dünkt, die Vernunft spriht dafür.

Ich möhte nicht weiter eingehen auf die prozefsualishen Fragen, die ja sehr interessant find, aber zu sehr minutiôsen juriftisGhen Grörte, rungen führen, wie sie bei der Etatsberatung wohl nit gerade er- wartet werden. D

Dann ist auf anderen Gebieten hervorgehoben, die Sittlichkeit werde niht genügend geschügt durch die jeßt bestehenden Geseßze. Meine Herren, au das erkenne ih an; ih erkenne es unumwunden an und bin der Meinung, daß die Gesezgebung hier wird eingreifen müssen. Für jegt wird es darauf ankommen, die Oeffentlichkeit im Interesse der Sittlichkeit auszuschließen, soweit das Gesetz es zuläßt. Ich habe die Anklagebehörden bereits darauf hingewiesen, daß sie überall sorgfältig ihr Augenmerk darauf rihten und von der ihr zustehenden Be- fugnis, Anträge zu stellen, welche sich in dieser Richtung bewegen, Gebrauch machen sollen. Die Wirkung diefer Anträge kann ih natürli nit garantieren, die Entscheidung steht mir niht zu; immerhin darf mit Sicherheit erwartet werden, daß, wenn derartige Anträge gestellt werden, sie auch die sorgfältigste Prüfung bei den entscheidenden Behörden finden werden. Es ist ja denkbar bei der sehr verschiedenen Gestaltung aller menshliden Verhältnisse, daß hier und da au Fälle der in Rede ftehenden Art der Verhandlung in ter Oeffentlichkeit bedürfen, aber es wird stets auf das sorgfältigste geprüft und erwogen werden müfsen, wohin sich der S&werpunkt der Interessen neigt. Im allgemeinen gehören derartige Fragen nicht vor die Oeffentlichkeit. (Sehr richtig! rechts.)

Es ist dann auch auf den Beleidigungéparagraphen hingewiesen, namentilich auf den § 186 tes Strafgesezbuhs. Das is meines Erachtens ih sprehe das offen aus ein Gesezeëparagraph, der außerordentli unglüdcklich gefaßt ift. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, Sie wissen, daß die Strafgesetzgebung, niht nur die formelle Strafprozeßleitung, sondern auch das materielle Straf- recht sehr gründlihen Grörterungen zur Zeit untersteht. Die Vor- arbeiten sind weiter gediehen, als im allgemeinen angenommen wird. Die erste Lesung eines Gesetesentwurfs dur eine Kommission, die mit großer Hingebung gearbeitet hat, wird binnen kurzem beendet sein, und es wird ih daran eine weitere anschließen, um demnächst die für ein so ungemein wichtiges und weit umfassendes Gese richtigen Grundlagen zu finden, die dann noch weiteren Erörterungen in den verschiedensten Kreisen unterzogen werden müssen. Schon bei den ersten Vorarbeiten hat man auf den § 186 sein besonderes Augenmerk zu ri&ten allen Grund gehabt. Die im Wege vergleihender Rechts- wissenshaft vorzenommenen Untersuhungen haben ich möhte es an dieser Stelle hervorheben durch die mit größtem Erfolge von einem Kreise von Gelehrten durchgeführten Arbeiten einen Ueberblick gewährt über die Gesezgebung auf diesem Gebiete in allen den Ländern, die dabei in Frage kommen können. - Dabei hat sih nun das nach meiner Meinung für uns ungünstige Ergebnis gezeigt, daß hin- sichtlich der Wahrheitsbeweisführung in Beleidigungéfragen wir die einzigen sind, welche sie so unumsthränkt j¡ulafsen, wie wir es tun. (Hört, hört! rechts.)

Am entschiedensten stellt sich zur Sache Japan. Dieser Staat

Staaten des romanishen Rechts: Frankrei, Italien, die auth seh; weit darin gehen. Auch im englishen Reht wird die Frage in gan; anderer Weise gelöst als bei uns. Man unterscheidet do libel und slander. Libel beteutet bö8willige Verbreitung ehren, rühriger Tatsahen durch Druck oder sonstige sichtbare slander bagegên die Éhrverlegzung, welhe fich jemand auf ander Weise hat zu Schulden kommen lassen. Im ersten Falle ift der B, weis der Wahrheit sehr beshränkt. Der zweite Fall ift dem Zivil, recht zur Verfolgung überwiesen. - Es wird dabei bekanntli unte Umständen auf sehr hohen S&hadensersaßz erkannt, aber wegen slande findet das eigentlihe Strafreht keine Anwendung. Kurz, das (r, gebnis ist, daß wir in Deutschland einen Wahrheit2beweis ¿ulafse, wie er sonst nit bekannt ift, und das ift eine Folge der Beftimmurz des § 186 und der weitgehenden Auslegung, welche sie in der Regt, sprechung gefunden hat. Es war dies meines Erachtens nah de; Meinung des Gesezes nit erforderli. Aber die Praxis bat fig ausgebildet, daß Behauptungen verleßender Art vielfah in weiten Umfange ¡um Beweise gestellt werden, wenn der Beleidiger diesen Beweis führen will. Da werden sogenannte IlUlustrationstatsager, die ein allgemeines Bild von dem Gegner geben sollen, und By, kauptungen über sein sonstiges Verhalten zum Beweise geftellt, au statt nur die bestimmt behaupteten wesentlihen Tatsachen zu prüfy und si nicht ins Ungemefsene zu verlieren. Diese Praxis will ig sicher niht loben, ich kann fie aber durch VerwaltungEvetfügurgez nit beseitigen. Da kann nur die Gesetzgebung helfen.

Soll nun überhaupt der Wahrheitsbeweis zugelafsen oder n wesentli beschränkt werden? Notwendig ift es jedenfalls, daß taz Gese anders gestaltet wird. Die Frage if auch von mir eingeberd erörtert worden, in vielen Fällen wird nach meiner Meinung ti Beleidigung jedenfalls ohne Prüfung der Frage, ob fie auf Wabrkeit berube, ju beflrafen sein. Aber, meine Herren, das ift alles Sage der Legiélative, und ich bin vielleiht {on zu weit gegangen in meinen Ausführungen über diesen einzelnen Purkt, der hier angerezi worden ist.

Was die Oeffentlichkeit anlangt, so habe ich {on kur erwährt, daß man unter Umständen wohl Abhilfe schaffen kann dur ver ständiges Ermefsen bei der Auss{ließung oder Zulaffung. Nath den jezigen Gerichtsverfafsung8geseß ift es aber nit zuläsfig, bei Bz, [eidigungen ohne weiteres die Oeffentlichkeit auszuschließen; das geßt nur, wenn die öffentlihe Ordnung, insbesondere die Staatsficherbeit oder die Sittlichkeit, gefährdet ist. Aber bei Beleidigungsuntersuhungez fann es au aus anderen Gründen angezeigt sein, die Deffentlithkri auszusließen, und das ist jet eben nur unter den vorerwähntez Voraussetzungen möglich. Es wäre wohl denkbar, daß das Gesetz dahin ergänzt würde, daß bei Beleidigungéprozefsen, auch wenn fe nit die Sittlichkeit berühren, der Auss{luß der Oeffentlichkeit eir größere Ausdehnung finden könnte.

Nun hat der eine Herr Redner auch auf den Begriff der Minder wertigkeit hingewiesen, ich möchte sagen: auf diesen neumodisder Begriff. Er hat si aber entwickelt und findet Vertreter in de weitesten Kreisen; die Gesetzgebung kann ihn nicht ignorierer, sie muß fih damit beschäftigen . . . In welhem Sinne das späte der Fall sein wird, kann ih nit übersehen. Heute stehen wir au dem Standpunkt des gegenwärtigen Strafgeseßbuhs. Es ift zu ert- scheiden, ob jemand zurechnungsfähig ist im Sinne des Gesetzes ode nicht. Bei der Frage der Minderwertigkeit kommt besonders s{le{i: Veranlagung in Betracht oder eine gewisse Rükftändigkeit in der all gemeinen Lebensauffafung infolge s{chlechter Erziehung und übler Um- gebung, sodaß der Beshuldizte weniger \{uldig erscheinen mag alt derjenige, welher sich normaler Veranlagung und guter Erziehunz erfreut. Diese Fragen müssen jeßt erwogen werden auf Grund d# geltenden Rechts, und wie das im einzelnen Fall gesehen fann, if in die Hand der Richter gelegt. Ob später im neuen Gese dafür bestimmte Direktiven gegeben werden können, muß abgewartet werder.

Es ift au darauf hingewiesen worden, daß so bäufig jegt de Frrsinn bei Strafhandlungen behauptet würde. Diese Erscheinunz fann ih nicht in Abrede stellen. Meine Herren, sie begegnet wok! feinem bäufiger als mir; denn solWe Fälle werden vielfa im Justip ministerium bekannt, wenn die Begnadigungsgesuche geprüft werden.

Es ist insbesondere ein Fall aus Allenstein erwähnt worden. Dort handelt es sich um einen Offizier und eine Offiziersgattin, alio um Beschuldigte, die dem Militärgericht einerseits, andererseits den Zivilgeriht unterstehen. Ih kann mich über die Stellung der Ver waltung im Militärgerichtsverfahren niht äußern, sondern mi nur hinsichtlich der Zivilgefangenen aussprehen und bemerken, daß, wenn, zumal auch von ärztlicher Seite, angeregt wird, den Géèisteszuftard eines Beschuldigten zu untersuhen, es {wer ift für den Richter, diet Untersuchung abzulehnen. Welche Ergebniffe sie nachher haben wi!?, müfsen die Gerichte entsheiden. Ih glaube, auch der Herr Kriegt minister würde hinsichtlih des beshuldigten Offiziers sich in dieses Sinne ausfprechen können.

Gegen die Schandtaten, wie sie in der jüngsten Zeit bekannk 8 worden find, Taten gegen kbarmlose Kinder, gegen wehrlose Frau gegen Robeitsdelikte überhaupt streng einzuschreiten, erforder! det staatliche Interesse siherlih in hohem Grade. (Sehr richtig !) Die! Fâlle, die in hohem Maße widerlich und verabshcuenswert find, haber mih veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß fie eine besondere Av’ merksamkeit zur Pflicht maten, und daß die Anklagebehörde alles Spuren aufs sorgfältigste nahgehen müsse, damit, soweit es in unjere Kräften steht, der Schuß der Person gewährt wird. i

Es if ferner von einem der Herren Redner die Frage de! unzüchtigen Schriften und Kunftwerke behandelt worden. Er hat sich darüber beklagt, daß häufig ungeeignete Leute Sathverständige darüber gehört würden, während er meint, t bedürfe keiner Sachverftändigen, sondern diejenigen, zu entsheiden hätten, seien die Richter, und die könnten dieser Aufgabe genügen, auch ohne Sachverständige zu hôren. trifft gewiß häufig zu, denn im großen und ganzen handelt es Y um allgemeine menshlihe Fragen (sehr rihtig!) und keine wu y sondere Sa(kunde zu klärende juristishe. Aber wir haben g Gesetze, denen wir folgen müssen, und das Gesetz bestimmt, daß i dem Verfahren, das unter Zuziehung eines Staatsanwalt Anklageverfahren vor der Strafkammer stattfindet, das Éab verpflichtet ist, die vom Angeklagten gestellten Zeugen und verständigen zu vernehmen.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

läßt einen Wahrheitsbeweis überhaupt nicht zu. Ihm folgen die

zum Deutschen Reichsan

M 25.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Mag also das Geriht noch so wenig geneigt sein zu diesen Vernehmungen, so muß es fie doch stattfinden lafser, wenn es fih niht der Gefahr aussetzen will, daß sein Spruch für nichtig erklärt wird. Richtig \{heint mir der Gedanke, daß, falls ungeeignete Sach- verständige zu Wort kommen, man auch folhe zuziehen solle, denen man billigerweise mehr Vertrauen und besondere Sachkenntnis, soweit von [leßterer überhaupt hier gesprohen werden kann, zutrauen darf. Insofern ift dem Gedanken des Herrn Vorredners, daß die Anklagebehörden dafür sorgen follten, daß s{lechte Gutachten aufs Pf werden durch gute, sehr wobl näher zu treten. (Sehr richtig! rets,

Meine Herren, ih glaube, daß ih im großen und ganzen damit die Fragen, soweit fie heute erörtert worden find, berührt habe. Einzelnes ist noH gestreift worden. Ader ih konnte nicht übersehen, ob die Anführungen fh {hon zu bestimmten Anfragen oder An- regungen verdihtet hatten. Ich werde der ferneren Diskussion ent- gegenseben, um dann au über das weitere mi noch zu äußern. (Beifall.)

Abg. Dr. von Campe (nl.): Ich habe mich gefreut, daß i diesen Ctat eine Summe eingestellt iît, die es S lea Cn ARRe d Ausbildungsfkursen teilzunehmen. Es kommt nit lediglich darauf an, reine Juriften zu erziehen, sondern folhe, die mitten im Leben stehen. Auf die Reform des Zivilprozesses gehe ih deshalb nicht ein weil wir bier zu keinem Resultate kommen fönner, wenn wir diese

spezifish innertehnishe Frage der Justizverwaltung hier diskutieren; |

dagegen möchte ih den Minister fragen, ob die Erörterung über die Einführung ciner Altersgrenze bei den Richtern zu einem gewissen Abschluß gelangt ist, und ob eine Abänderung des Disziplinarverfahrens in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Zu unserm Bedauern haben wir gebört, daß seitens der Justizverwaltung der Durchführung der Ent- [chuldungSvorlage der oftpreußischen Landschaft Bedenken entgegen- getreten sind. Ih würde es in hohem Maße bedauern, wenn diese Bedenken so shwerwiegend wären, daß diefe immerbin sehr wichtige Frage dadurch ins Stocken geriete. Der Abg. Strofser hat der

Wiedereinführung der Prügelstrafe das Wort geredet. Jch glaube nicht, | daß er mit diesen Ausführungen viele meiner Freunde auf seiner Seite |

baben wird, zumal er daran den durchaus unprafktishen Vorschlag geknüpst hat, daß im Interesse einer Garantie das Oberlandes8gerit in jedem einzelnen Fall entscheiden soll, ob die Prügelstrafe vollstreckt werden foll. Soll die Prügelstrafe wirken, so muß fie a tempo vor- genommen werden. Bei der Frage der Hinzuziehung von Sachverständigen find die Gerichte allerdings an eine Marschroute gebunden, nämlich bei den Strafkammern sind sie einfah zur Vernehmung der vor- geschlagenen Zeugen und Sachverständigen gezwungen. s ungemein bedauerlihe Vorschrift, es wird infolgedefsen sebr viel Zeit vergevdet. Mit dem Abg. Roeren finde ih es geradezu unbegreiflich, daß die Bebörden derartige Bilder, wie er sie vorgelegt hat, zugelaffen haben. Ich meine, daß die Gerichte solhe Bilder selbst beurteilen können. Was unzüchtig ist, muß jeder Mensch wifsen, der überhaupt Sinn für Zucht und Sitte hat. Bei der Erörterung der Reform unserer Beleidigungéprozesse will ich auf die Einzelheiten im s{webenden Prozesse nit eingeben. Die - NReformbedürftigkeit wird obne weiteres anerkannt. Wir sind der einzige Staat, der noh in solchen Prozessen den unglückseligen Wahrheitebeweis bat, der es ermöglicht daß alle möglihen Angelegenheiten vor Geridt dur den Kot ge- ¡ogen werden. Es ift rihtig, daß die Zulassung des Wahrbeits- beweises einem idealen Zug unseres Volkéempfindens entspriht ; aber etwas anderes ist es do, ob es nôtig ist, die Wahrheit in jedem einzelnen Fall_zu faaen. Jugendfünden hat s{ließlih dch jeder auf seinem Gewissen. Ist es wirklih nötig, diese Juge: dsünden noch nach Jahren unter die Lupe zu nehmen und womöglih in die Familienverbältnisse der Eltern und Voreltern einzudringen ? Hinficht- li der Führung des Strafregisters ist ja die Praxis dank dem Ein- greifen des Ministers eine mildere cenorden ; abèr sie befriedigt noch niht. Wenn die Strafverfolgung und selbst der Strafvollzug ver- jährt, ift es da nôtig, daß jede einzelne Strafe, die jemand vor [anger Zeit angetreten hat, immer weiter gebucht wird? In den Zeitungen stand noch unlängst ein Rundschreiben eines an- gesebenen Kommunalbeamten und Leiters einer großen Fabrik, daß es ihm sein garies Leben lang anhing, daß er als brotloser, be- sbäftizungslo)er junger Mensch einmal zwei Tage Haft bekommen batte. Nichts hat mich in meiner rihterlihen Tätigkeit weniger befriedigt als viele Privaifklagen; oft hat man das Gefübl, die volle Wahrheit doch nit herauszubekommen. Wir haben kein eigentli&es Vor- verfabren, der Betrieb liegt auss{ließlich in der Hand der Parteien und daher werden teils zu viele, teils niht genug Zeugen geladen. Die Parteien sind erregt und animes, es bandelt sich um Be- bauptungen, die in der Erregung gefallen find, die Aussagen find un- genau, und in der Hauptverhandlung weiß der Richter niht, um was es sib eigentli bandelt. Gerade in dem Privatflageverfahren entgleitet die Leitung den Händen des Richters und geht auf die Parteien und die Anwälte über. Ferner ist so tie Möglichkeit gegeben, in den Prozeß eine Sensation bineinzutragen. Sodann gehen kaum aus anderen Prozefsen so viel? Meineidsprozesse her- vor, wie aus P:ivatflagen. Ich würde es aufs böchste bedauern, wenn man das Privatklageverfahren noch weiter ausdehnte, anstatt es möglichst einzusbränken. Ich lege selb't auf das {öfen erichtlihe Verfahren großen Wert, aber ih bedaure doch, daß wüklih wichtige Prozesse gerade bei Beleitégungen im Schöffengericht entschieden S, Prozesse wie die der leßten Zeit, wo es \fich um ganze Sristenzen, ja um das Ansehen ganzer Verwsltungen, des Staats und. des Reichs, des ganzen Volks handelt, muß man mit den größten Garantien umgeben. Gerade bei solchen Fällen schreitet die Staat8anwaltschaft niht oft genug ein, die Praxis ist jedenfalls Lg umzogen. Wenn ih einem Nachtwäcter vorwerfe, daß er im enst geschlafen bat, fo erkennt der Staatsanwalt das öffentlihe “er pag g an, weil er in feinem Amt beleidigt ift!! Bei Privat- Fersonen wird das öffentlihe Interesse selten anerkannt. Daher B auch in Privatklagen oft auf zu geringe Strafen erkannt ; nan bôrt da das Argument, die Staatétarwaltschaft habe das qu entliche Interesse abgelehnt, alîo werde nicht viel daran sein. af ganze Tortur einer derartigen Sra über si ergeben zu ir ist nicht jeder geeignet. Gerade die Duellgegner sollten be- E aas die Gerichte oft versagen. Vor einigen Jahren wurde 2 E edakteur ia Berlin von einem aktiven preußischen General, , d.n die Se mit der Reitpeitshe traktiert. Es wird geradezu sib Selbsthilfe berausgefordert, weil das Reht versazt, es handelt r us eine Notwehr gegen das Versagen des Rehts. Es ift wirk- Kindeal, Vergnügen, wern man in ‘einer solch:n Verbandlung von Feld einen ai fozusagen seziert werden soll. Ein österreichischer die A Val mußte einmal wegen Verleumdung klagen, und troßdem S Se eumdungen als folWe nachgewiesen wurden, mußte er wegen R O und Dran do abgeben. Jn der öffentlichen Klage kann beser pee g ERT TUIER, Der Staatsanwalt kann die Sache arstellen, weil er andere Mittel dazu hat. Ferner kann

Das ist eine |

Zweite Beilage ; zeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

Berlin, Mittwoch, den 29. Januar

1908,

wesen ist. Auch würde man diese ewigen Wiederholungen der Prozefs vermeiden, wir hatten jet {hon den dritten oder Mecten Trgtelse Prozeß. Ueber den Prozeß Meosltke-Harden sprehe ich nicht, weil er no nit entschieden ist, aber während fonst durch ein Urteil der Be- treffende au in der Or ffentlichkeit gerihtet ist, hat hier die Presse das erste Urteil einfa umgeworfen. Da entsteht die Frage, ob nicht erft unter dem Druck der öffentlichen Meinurg das öffentlibe Interesse bejaht worden if. Herr Rewoltt bedau-rte, daß auch die „Kölnische Zeitung die Dinge in diesem Prozeß enthüllt hat, aber gerade die „Kölnisie Zeitung“ war die erste und einzige, die ibren Bericht abbra, als der Shmuß gar zu ara wurde. Wo der Staatsanwalt einschreiten soll, ist allerdings s{chwer zu sagen. Das öffent- lihe Interesse wird um so eher zu bejahen sein, wo es sh um öffentlihe Beleidigung durh die Prefse handelt. Es ift verkehrt, daß ein öffentl Interesse nur vorliegen soll, wenn eine Behörte oder ein Beamter in kezug auf das Amt be- [eidigt worden ift. Jh möchte glauben, wenn persönliche Qualitäten behauptet werden, die den Betreffenden als ffentliher Tätigkeit

könnten auf die öôffentlihen Funktionen oder auf die öfentlihen Be- ziehungen des Betreffenden, daß dann S en ae dffecaliches Interesse angenommen werden muß, und ih möchte den Minister | bitten, bier niht einengend, fondern erweiternd vorzugehen. Was | das englishe Verfahren betrifft, so läßt es, rihtet bin, den Wahrheitsdeweis zu, wenn ein öffentliches Interesse vorliegt; würden wir etwas Aehnliches einführen, so wäre die Hauptkalamiiät gehoben. Zum Schluß möchte ih auf

Vit einen Punkt zurückfommen, den auch einige Vorredner hon gestreif

t zurüd en, de 3 5 on getiretist haben, auf die Handhabung der Sißungspolizei und der Disziplin in den Gerichtssizurgen. Wir haben es erleben müssen,

oder des Amtes unwürdig bezeihnen oder bezichti f ? e 8 dig be zichtigen, ferner wenn die Gefahr vorliegt, daß diese behaupteten Qualitäten ‘Einfluß haben |

soweit ich unter- |

E E E E R É D LE-

daß die Parteien sich in die Haare gerieten und der Nichter mit |

vershrärften Armen zusah und dafür nihts übrig hatte, a!s die |

Ine Bemerkung: „Na, na, Sie sind ja wieder einmal auf Höhe! dem Vorsitzenden vollständig aus der Hand geglitten ift; wir mü}

sehr oft erleben, daß Bravo- nd Zischrufe Ta Zukbörercraum Tie und lauter werden. Das einzige, was darauf geschieht, ist, daß der Borfißende androbt, er werde, wenn das wieder vorkomme, den Zubörerraum: räumen lassen. Es mag das auch vorkommen; i er- innere mich freilid, nur ein einziges Mal gelesen zu baben, daß wirks lih geräumt wurde. Wir kommen damit dahin, daß der Gerichts- saal zum Theatersaal und zur Volksverfammlung herabgewürdigt wird. Das Bravorufen und das Zischen hat vor der Tür des Gerichts- saaleës Halt zu machen; hier soll Recht gesprohen werden fernab vom Geräush des offentlihèa Treibens. Wir haben es er- leben müfsen, und zwar in pointiertester Form, daß den Prozeß- beteiligten Lüge und Unwahrheit vorgeworfen sind, und der Richter hatte dafür bloß die zart abweisende Bitte: „Regen Sie sich do nit so auf“. | Wenn das Geriht nicht selbst die Beteiligten vor derartigen Ver- unglimpfur gen {üßt, dann fordert es ja geradezu zur Selbsthilfe beraus, dann untergräbt es Geseß und Net, während es der Hüter von Geseß und Recht sein sollte; hier liegt der tiefste Grund für die allgemein vorhandene Gerichts\{heu vor. Die Zeugen wollen nicht vor Gericht erscheinen, fie wollen mit dem Gericht nichts zu tun haben ; und fo kommen die Parteien nit zu ibrem Reht. In dem leßten Sensationéprozesse Moltke-Hardén hat Graf Moltke in seinem geradezu ergreifenden Ech{lußwort ungefähr gesagt: „Als Soldat konnte ih mi hier nicht so beschimpfen laffen, deshalb mußte ih den Kön'gsrock erst ausziehen.“ Das is die herbste Kritik eines Gerichtêverfabrens, die ich je gehört habe, und mir als Richter hat diese Kiitik die Shamröôöte ins Gesicht getrieben. Wohin soll es tommen, wenn in einem Gerichtshofe des Königs Nock sich niht mehr sehen lassen darf! Wenn so etwas gesehen konnte, verstebt man wobl was ein großer Rechtélehrer über diesen Prozeß gesagt hat: Hier zebt es an die Wurzeln von Recht und Gerechtigkeit; und ih möchte binzufügen: Noch mehr derartige Prozesse mit folhen Erscheinungen,

weit entfernt!

für die Aufrechterhaltung der Würde des Gerichtssaales eintreten consul! Gewährung von Diäten an Schöffen und Geshworene stebe, wurde

und werde bei der Revifion der Strafprozeßordaung seinerzei i geregelt werden. Warum foll das denn nicht früber geidebén ck Wes: balb auf die allgemeine Revision warten? Man matt doch fo viel „Novellen“ ; warum wird niht auf diesem Wege auch eine Forde- rung erfüllt, welhe mit jenem Geseße inne:lih gar nichts zu tun hat welche aber durchaus der Gerechtigkeit entspriht und deren Zweck ist, auch dem minder Bemittelten die Beteiligung an der Rehtipr-chung mögli ¡u machen? Gegenwärtig werden diese Schichten, insbesondere die Arbeiter, von der Mitgliedschaft als Schöffen und Geshworene ausges{lofsen ; natürlich nit etwa auf ausdrücklihe Anordnung der Justizverwaltung, aber tatsählih ist der Effekt do derselbe, und jedenfalls sollte ein Hindernis dafür auf dem Wege der Erfüllung jenes Verlangens aus dem Wegze ge:äumt werden. Zur Sprache bringen möSte ih, daß bei einem bedeutenden auswärtigen Landgericht faft regelmäßig als Offizialverteidiger ein Referendar, niht ein Anwalt geftellt wird. Aus den Verhandlungen über die Strafprozeßordnung g7bt hervor, daß man an ein solches „in der Negel* damals nicht gedacht hat. Man karn doch auch nit davon ausgehen, daß die An- geklagten gewissermaßen Objekte bei der Ausbildung der Referendare find. Zu Bedenken gibt ferner eine Ersheinung Veranlafsung, welche sich beim Landgericht F-arkfurt a. M. als förmliher Brauch ein- gebürgert hat, daß nâämlich der Staa!sanwalt sofort gleizeitig ohne Rücksicht auf die Lage des Falles, Berufung erhebt, wenn der Angeklagte und Verurteilte sie einlegt. Berufung wird, sollte Man meinen, doch nur eingelegt, wenn es der Sathlage ent- spricht ; hier wird aber vom Staatsanwalt sogar Berufung eingelegt wenn ter Angeklagte dem Antrage gemäß verurteilt worden ift. Wir erkennen die Forkschritte der leßten Jahre nah der Richtung der Beseitigung des Hilfsrichtertums gern an, hoffen aber, daß noch mebr geschehen wird. Die Bestrebungen, das Verbleiben der Richter in ihrem Amte an eine bestimmte Altersgrenze zu binden, kann ih nicht billigen. Ich kenne speziell einen Richter, der {hen vor Jahren fein Jubiläum gefeiert hat in einer Rüstigkeit, “die manche jüngeren Teute vermissen lafsen, und so alter Richter gibt es viele. Da halte ih es nit für angebraht, folhe arbeitsfreudigen Männer nur wegen ihres Lebensalters von ibrem Amte zu entheben. Dem Abg. Rewoldt stimme ih bei, insofern au ih unsere Zioilprozefß- ordnung für reformtedürftig ansehe. Aber warum soll allein der, Amtsgerichtéprozeß dabei piofitieren und niht au der land- gerihtlihe? Ih bin durchaus dagegen, daß für Verhand- lungen, die die Sittlichkeit gefährden, -niht die Oeffentlich- keit au&ge\{lofsen wird. Aber gegen diz angekündigte Verschärfung der Geleßgebung muß ih mich wehren. Unser Prozeßverfahren gründit sih auf die Oeffentlichkeit, und dieses wohlerwogene Prinzip muß aufrecht erhalten werden, sonst könnte es [leiht geschehen,

der Privatfkläger dann mit seinem Eide bekräftigen, wie diz Sache ge-

daß auch in den, Fällen, wo weder die Sittlichkeit noch das

Wir haben erlebt, daß die Leitung der Verhandlung |

Staatswobl gefährdet find, geheim verbandelt wird

etwas Sonderbares, wenn eine hohe Persönlichkeit A m unter Auss{luß der Oeffentlichkeit freigesprohen ist. Da muß sfi ein, wenn auch nit berechtigtes Mißtrauen einsbleihen. Man soll doch nicht von einzelnen Geschehnifsen aus gleich eine Um- änderung ter ganzen Geseßzgebung verlangen und nach dem Minister rufen, damit er gewissermaßen mit der Fuchtel darein fährt Au die Erfahrungen, des Moltke-Harden-Prozesses Fnd viel zu sebr verallgemeinert. In ter Behauptung, daß in Vérbandlungen Be- En öfter nicht gerügt werden, [iegt etwas Wahres. Die Richter ahten în dem Bestreben, eine möglichst große Sathlichkeit walten zu lassen, bäufig niht darauf, daß es den Anforderungen der Sittlichkeit und des Anstandes entsprechend zugeht. Aber der Richter ift doch schon auf Grund der heutigen Gesetzgebung auch im s{chöfengerihtliden Verfahren in der Lage, gegen jede Un- gebühr einzuschreiten. Im Gegensag zu dem Abg. Strofser bin ih der Auffaffung, daß die Erklärung des Staatsanwalts 1m Moltke- Harden-Prozeß darüber, warum er die Anklage erst später erboben bat, nit als ausreihend erachtet werden fann. Die Scheu des Publikums, vor Gericht zu ersbeinen, sheint mir auf den fklaffen- den Widerspruch zwishen Nechtsprehung und Volkésbewukßitsein zurüdzugehen. Gerade das Shöffengeriht ist berufen, die lebendige Teilnahme des Volkes am Gericht ¿u wecken und zu stärken. Man soll nit Institutionen verantwortlich machen, wo es si nur um Handlungen der ausfübhrenden Organe handelt. Einzelne Prozesse beweisen nichts. Die Prügelstrafe ist bekanntli deëwegen abgeschafft weil fie verrohend gewirkt bat, und baben denn unter ibr solche Untaten abgenommen ? Waren damals solhe Verbrehen und An- klagen geringer ? Ich glaube, bei dieser Anregung bandelt es sich nur um ein Aufwallen mit Rücksicht auf die sich gerade jet bäufenden Verbrehen. Ich glaube, wir baben den Männern, die unsere Straf- und Zivilprozeßordnung geschaffen haben, viel mebr zu verdanken, als man heute manchmal annimmt. : a ä Abg. Peltasohn (fr. Vag.): In der Generaldiskussion des ( tats ist die Frage aufgeworfen worden, ob die Vermebrung der NRichterftellen um 125 in diesem Etat gerechtfertigt sei. Jch kalte sie niht einmal für ausreihend. Was die Altersgrenze« der Richter anbelangt, so kann ih darin dem Abg. Cafsel nicht beistimmen, wern ih au zugeke, daß es Richter genug gibt, die zu rechter Zeit ab- geben, wenn fie sih niht mehr im Befige ihrer vollen geistigen und körperlichen Kräfte fühlen. Der Redner gebt darn noch auf ie Straf- beftimmungen ein, die auf das Submissionéswesen Bezug haben “und er- klärt fich für eine Beseitigung des § 270 des Preußischen Strafgeseu- buches ; in der Judikatur sei es ftreitig, ob diese Bestimmung über- haupt noch zu Necht bestehe, und fie wirke ungünstig bei Verein- barungen von Handwerkern und kleinen Unternebmern, denen das Recht zusteben solle, zur Förderung ihrer Produktion sich zusammenzu- shließen. Die Aufbeburg des § 270 liege also auch im-Interefse der Förderung des Handwerks. Außerdem müsse die Verordnung von 1797 aufgehoben werden, die als Spezialgeses die Art des Schadens- ersaßes reguliert, die nah der Judikatur noch jetzt bestehen soll. Wenn folche Vereinbarungen gegen die guten Sitten verstießen, so würde das B. G.-B. geaügend Abbilfe hafen. T

Justizminister Dr. Beseler:

Meine Herren! Anknüpfend an die S{hlußbemerkung des Herrn Abg. von Campe habe ih von dieser Stelle aus beut zu erklären, daß von jeher Fehler vorgekommen sind bei der Rechtspflege und daß fie wieder vorkommen werden. Das beruht darauf, daß es menstli(e Einrichtungen sind, mit denen wir es zu tun haben. Daß man aber, wenn ein Fehler vorgekommen ist, rahber sagen TIönnte: dadur nähere ih die Rechtspflege dem Bankrott —, das ift eine Auffafsung, für die ih kein Verständnis habe. (Abg. Caffel: Sebr richtig!) Ich

j A drin c ç 2 möchte doch dringend davor warnen, solcke Verallgemeinerungen gelten

und wir sind e dem Bankrott der Rechtspflege nit mehr allzu | en ! Und das fage ih als ein Mann, der felbst mit Herz | 8: i j ständnis dafü und Sinn Richter ist, der eine hohe Meinung von ‘den E bes’ der [n E E E in DERLAS LNNE

Rechtépflege in unserem Staat bat, und der auÿ an dieser Stelle |

möchte; und deshalb möchte i dem Justizminister zurufen: Videat |

mir in der Kommission geantwortet, die Frage beshäftige den Bundesrat |

zu laffen. Das ift etwas, worauf ih keine andere Antwort geben S Herr Zbg. Caffel hat gesagt, es sei wünschenswert, daß die Schöffen und Geschworenen Diäten erhielten. Es wird das in der Kommission für die Strafprozeßordnung erwogen werden. Ich glauke,

Aba: Cassel (fe. B): A trage, wie es mit der | 20 m aëgemeiven die Stimmung in Deutschland dahin geht, daß

diesen Wünschen Rechnung getragen werden soll.

Den Referendaren auss{lieflih die Offizialverteidigung zu übers tragen, würde ih für einen Mißgriff halten. Sie sollen solhe nur fübren, soweit es zu ibrer Ausbildung erforderlih ift, und soweit die Sachen, um die es si handelt, es vertragen, daß auch weniger geübte Herren mit der Verteidigung des Angeklagten beauftragt werden. (Sehr rihtiz!) Jedenfalls ist irgend eine Weisung von der Zentral- stelle in dieser Beziehung siherlih ni§t ergangen.

Ebenso wenig ist von bier eine Weisung ergangen, daß die Staats anwaltschaft stets Berufung einlegen sollte, wenn im Schöffengerichts- verfahren Berufung eingelegt wäre von dem Angeklagten. Es ist mit- geteilt worden, daß in Frankfurt eine solhe Praxis herrshe. Mir ift das niht bekannt; würde eine derartige Praris beflehen, so würde ih sie nitt billigen.

Daß di: lex Hagemann in dem Sinne gewirkt bat, daß ih die Zahl der Strafsachen bei ten Strafkammern gemindert und mebr auf die Schöffengerichte übergegangen wäre, kann zugegeben werden. Zablen darüber anzugeben, bin ich niht in der Lage; aber die Er- fahrung, daß in der Tat eine derartige Ueberführung in merklihem Umfange Plat gegriffen habe, ift bei ter Justizverwaltung gema§t.

Auf den § 270 tes preußischen Strafgesezbuchs is der Herr Abg. Peltasohn ¡urückzekommen und hat das wiederholt, was ih vor 2 Jahren darüber gesagt habe. Es ift damals von mir die Frage weiter erwogen worden unter Verhandlungen mit den anderen be- teiligten Ressorts, und was das Submissionswesen anlangt, so war man übereinstimmend wohl der Ansicht, daß es dieses Schutzes, welchen der, ih will fagen, übriggebliebene Paragraph des ehemaligen preußischen Strafgefeßbuhs bot, niht bedürfe. Dagegen ift es doch sehr zweifelhaft, ob die Bestimmurg nit einen wesentlihen Schuß bietet für den, welcher das Unglüdck hat, der Zwangtvollstreckung zu unterfallen. Denn wenn es bei dieser zulässig ist, daß die Bietungs- lustigen unter sich abmathen, den Preis niedrig zu halten, so ift {ließlich der Arggeshädigte der Eigentümer, der wehrlos dem gegen- überstebt ; denn er hat es niht in der Hand, den Zuschlag zu versagen, O muß die Folgen tragen, welhe ih aus solchen Abmahungen

geben.

Ich gebe zu, daß diese ganze Frage ihre vershiedenen Seiten hat, und daß für die Aufhebung der Bestimmung manthes spriht. Ich habe schon beute darauf hingewiesen, daß die Strafprozeßgesetgebung