1908 / 44 p. 8 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 20 Feb 1908 18:00:01 GMT) scan diff

mann (I Breslau), Vogt (Sprottau), Dr. Brucks (l at (e B, Be

Dr. Sommerlat (Fra a. M.), 0), Dr. Prein (T urg), Dr. Bene

(Cöln), Dr. Frankenstein (Karlsruhe), Zuckermann (Ill Qa)

fift. Aerzte der Landw. 1. Aufgebots: Dr. Schmidt (Fr

M.), Dr. Gähtgens (Neutomishel), Dr. Kaselowsk Ga Berlin); zu Asfist. Aerzten: die Unterärzte der Res.: Schrot Belgard), Dr. Wittneben (ITIl Berlin), Findeisen (Bitterfeld), Gahmig (l Braunschweig), Dr. Heinrich, Dr. Ei cke (1 Breslau), Dr. Baba (Bromberg), Dr. Bungart, Dr. Liebreich (Cöln), Dr. Moeller Fei Dr. Westdickenberg (I Dortmund), Dr. Krüll (Düffeldorf), Dr. Poser (Eisena), Dr. Pietsch- mann (Elberfeld), Hensell (Hanau), Dr. Hauser (Karlsruhe), Dr. Becker (Kiel), Dr. Assmann (Köniasberg), Dr. Knierim, Hellmuth (Marburg), Dr. Wilhelm (Meiningen), Dr. Flas- kamp (Münster), Dr. Kolbe (Naumburg a. S.), Stchloßhbauer (Potsdam), Komes (Preußisch-Stargard), Dr. Mathar (Rheydt), Dr. Zachen (Schwerin), Dr Pigors (Swinemünde); die Unterärzte der Landw. 1. Aufgebots: Dr. Jaenisch (IIl Berlin), Dr. Abée (Hildesheim), Bierhoff (Marburg). Dr. Gottschalk, Oberarit der Res. (Burg), für die Dauer seiner durch Diensibeshädigung ver- ursahten Dienstunfäbigkeit die geseßlihe Pznsion bewilligt. Der Abschied mit der Erlaubnis zum Tragen ihrer bisberigen

(l Ham bewilligt: den Stabsärzten der NRes.: Dr. Dinkelacker

Dr. Be (Sto

(I Hamburg). Dr. Borchhard (Posen); - den Stabsärzten der Landw.

1. Aufgebots: Dr. Heller (IT Braunshweig), Dr. Thielemann

C Hop, Dr. van Nes (Hannover), Dr. Trohe (Hirschberg), r. Strangmeier (Lingen), Dr. Ritter (Minden).

Der Abschied bewilligt: Dr. Lieven (Aaten), Stabsarzt der Ref., Dr. Hager (Stettin), Stabsarzt der Landw. 2. Aufgebots, Dr. Pittius (Aschersleben), Dr. Krefft (IITl Berlin), Dr. Wingen- roth (Mannheim). Oberärzte der Landw. 1. Aufgebots, Dr. Goedcke (Deutz), Oberarzt der Landw. 2. Aufgebots.

Dr. Havemann, Stabsarzt der Landw. a. D. in Neuklofter in Medcklenburg, zuleßt von der Landw. 1. Aufgebots (Wismar), die Er- Iaubnis zum Tragen der Uniform der Sanitätsoffiziere des Be- urlaubtenstandes erteilt.

Gvangelishe Militärgeistliche.

12. Februar. Scheibe, Div. Pfarrer der 8. Div in Torgau,

zur 10. Liv. nach Posen, Backhaus, Div. Pfarrer der 21. Div. in

Mainz, zur §. Div. nach Torgau, Tiesmeyer, Div. Pfarrer der

33. Div. in Met, zur 21. Div. nah Mainz, Hobohm, Militär-

bilf8geistliher der 2. Gardediv. in Berlin, zur 33. Div. nah Meß,

j¡um 15 Februar d. I. verseßt. Streckenbach, Pfarrvikar in

Jauer, als Militärbilfsgeiftliher unter Zuteilung zur 2. Gardedio. in Berlin angestellt.

XITI. (Königlih Württembergisches) Armeekorps.

Offiziere, Fähnriche usw. Ernennungen, Beförde- runaen und Verseßungen. Im aktiven Heere. Stuttgart, 13. Februar. Hubec, Major und Bats. Kommandeur im Inf. Regt. Kaiser Wilbelm, König von Preußen Nr. 120, beim Landw. Bezirk Horb, Hölder, Rittm. und Komp. Chef im Trainbat. Nr. 13, beim Landw. Bezirk Ulm, zu Bezirksoffizieren ernannt unter Stellung zur Disp. mit der geseßliden Penfion. Häußler, Major beim Stabe des Ulan. Regts. König Karl Nr. 19, mit der geseßz- lihen Persion und der Erlaubnis zum Tragen feiner bisherigen Unis ine ¿zur Disp. gestellt und zum Pferdevormusterungskommissar in

avensburg ernannt.

Abschiedsbewilligungen. Im aktiven Heere. Stutt- gart, 1. Februar. Frhr. v. Brusselle-Schaubeck, Oberlt. im Ulan. Regt. König Wilbelm 1. Nr. 20, der Abschied bewilligt.

Stuttgart, 13. Februar. v. der Lübe, Oberstlt. z. D. und

ferdevormu"“eruvgskommifsar in Ravenéburg, auf sein Gesuch vcn einer Dienstftellung enthoben, mit der Erlaubnis zum ferneren Tragen der Uniform des Drag. Reats. König Nr.26. Gramm, Oberlt. im 10. Inf. Regt. Nr. 189, Mörschel (Han 8), Lt. im 9. Inf. Regt. Nr. 127, diesem mit der geicptifen Pension, der Abschied bewilligt.

Im Beurlaubtenstande. Stuttgart, 13. Februar. genie! (Lubreigöburg), Oberlt. der Landw. Kav. 2. Aufgebots, der

chied bewill Stuttgart, 13. Februar. Dr.

Im Sanititätskorps. isher, Odberstabs- und Regts. Arzt im Ulan. Regt. König enfion und der Erlaubnis

ilbelm 1. Nr. 20, mit der geseßlichen ¡um Tragen der bisherigen Uniform der Abschied bewilligt.

Deutscher Reichstag. 105. Sißung vom 19. Februar 1908, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

ad zweiten Beratung steht der Entwurf eines Geseßes, betreffend die Feststellung des Reichshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1908, und zwar: „Etat für die Reichs- justizverwaltung“.

Abg. Cla tages (Soz.): Der Abg. Heinze sagte gestern, wenigstens auf dem Gebiete der Zivilrechtspflege sei von Klafsenjustiz niht die Nede. Ih kann das nicht zugeben. In den leßten Jahren ist eine ganze Reibe von Urteilen gefällt worden, welche den Arbeitern ihre Rechte verkürzen, namentlich ihr Koalitionsrecht. Ein Fall be- fonders spricht Bände. Er zeigt, wie man durch eine Hintertür den Arbeitern das Koalitionsrecht beschränkt. Klafsenjustiz muß heutzutage berrshen, folange gelehrte Richter die Rechtsprehung in der Hand haben. In Hamburg ift das Niveau am tiefsten gesunken. Der Hamburger Hafenarbeiterverband hatte, gestüßt auf sein dur

die Gewerbeordnung garantiertes Recht, vor dem Zuzug von Arbeitern gewarrt. Als diese Warnung erschien, klagte der ÜUnternehmerverband gegen jenen Verband. Dann erging das ungeheuerliße Urteil, daß

der Verband bei Vermeidung einer Haftstrafe von 4 Wochen es zu unterlafsen habe, den Zuzug von Hafenarbeitern nah Hamburg zu bintertreiben. Dies Zivilurteil verftößt in krassester Weise gegen die Bestimmungen des B.-G.-B. und gegen die Bestimmungen über das Koalitionsrecht. Solche Urteile können nicht aufrecht erhalten werden, werden fie aber aufrecht erhalten, so baben wir ein Recht, zu sagen, daß die Klafsenjustiz auch in die Zivilrechtspflege ein- gedrungen ift. Früher hon schrieb ein Referent an den Rand eines Schriftstückes, als der eine der beiden Kontrahenten als Sozialdemokrat bezeihnet war: aha! Die Richter sind gar niht in der Lage, da, wo es sih um Arbeiter handelt, objektiv zu urteilen. Im Hau-Prozeß und in anderen Prozessen hat man die Presse zu beeinflufsen gesucht. Worauf war der Tumult bei diefem Prozeß zurückzuführen? Nicht auf die Sozialdemokratie, sondern auf die Sensation, die eine gewisse Presse hervorruft. Die Menge bestand aus j-zner Masse Zeitgenossen, die Schundromane, Diebsstücke ujw.

perjchlingt, je blôöder, um so besser. Daß wir eine Klafsenjustiz haben, ist auch its von badischen und bayerishen Richtern zugegeben worden. Es hat mich gefreut, daß gestern der

Abg. Heinze das Bestehen einer Klassenjustiz anerkannt hat. In der Tat kommt der deutshe Richter höchst selten dazu, die Sozialdemokratie in ihrer wahren Natur kennen zu lernen; seine einseitig kapitaliftishe Grziehung macht ihm das unmögli. Ein guter Teil dieser Weltfremdheit beruht qus darauf, daß unsere Gesetz- scbund von antisozialem Geifte erfüllt bis auf wenige: gen Ns äge zum eren. Solange die Richter niht aus a ilen des Volkes ges [t werden, ist an eine erung nicht zu denken. Die meisten Richter können allerdings gar nicht begreifen, daß man es für möôglih hält, daß sie niht urteilen, wenn es um Arbeiter handelt. fragt man fich, wie ein studierter J über- baupt Urteile fällen kann, die wir als drakonisch bezeichnen müssen.

lich mate. Als er in der Derbanblung auf das Reichsarbeits- Der Vorsigende vertrat die eigentümliche Ansicbt Suhworrihtangen ngen müßten erft angebracht werden, ein Unfall pasfiert wäre! Derselbe Vorsitzende meinte, wenn die Arbeiter mit den n Löhnen, die wahrhaftig Hungerlöhne waren, niht zufrieden seien, so wären a ! wurde der de gewerk- schaftliche te wegen Beleidigung verurteilt, aber zu welhem Strafmaß? Zu sechs Monaten ängnis! Er hatte eben die Majestät der Firma Schichau beleibigt. An demselben Tage wurde in Berlin gegen einen Shußmann verhandelt, der zu einer anftändigen Frau sagte: „Du Sau, was ftehs| du hier herum“, und {lug fie mit dem Säbel. Ein Assistenzarit wollte als Zeuge vernommen werden. Es wurde ihm der Eingang zur Polizei ver- wehrt, er wurde beschimpft und in eine Arrestzelle gesteckt. Er wurde dann vom Polizeihauptmann befreit. Das Gericht hat angenommen, der Schußmann sei betrunken gewesen usw., und die Strafe? 100 Geldstrafe! Hier hantelt es fh ja nur um eine Frau, nur um eine Shamlosigkeit gegen diese! Und in Elbing sech3 Monate gegen einen Arbeiter, der in Ee Weise die Interessen der Arbeiter vertritt! Aber au gegen der werden geradezu bhorrende Urteile efällt. So wurten zwei Kinder von 12 und 13 Jahren wegen Ge- ährdung eines Eifenbabhnzuges in Beuthen zu je einem Jahr Gez- fängnis verurteilt. (Zuruf rechts: Schon ein Jahr her!) Deshalb bleibt tie Tatsahe d bestehen. Es freut mich, taß Sie aus den vorjährigen Verhandlungen wenigstens etwas behalten baben. Der Redakteur Braun von der inzwishen eingegangenen Neuen Gesellshaft druckte eiren Artikel aus dem fozialdemekratishen Blatt in Frankfurt a. O. ab, der \sich über diesen Fall und das richterliche Urteil verbreitete; er wurde angeklagt und in erster Instanz ver- urteilt. Das Reihsgeriht hat durch sein Revisionsurteil in diesem Falle fih_ selbft eine klaishende Obrfeige versezt, indem es seinen früheren Standpunkt, daß ein rihterlihes Urteil eine wissenshaftliche Leistung sei, verließ, um der öffentlichen Kritik solher Urteile die Bahn zu verlegen. Die Stellung vollends, die das preuß {e Abgeordneten- haus in dieser Frage einnahm, will ih weiter nicht charofterisieren, es war einfah eine Beleidigurg des Nichterstandes. Aus allen Teilen der Bevölkerung müssen die Richter genommen werden, und zwar auf Grund des allgemeinen, gleihen, geheimen und direkten Wablrechts, wenn wir zu wirklicher, diefen Namen verdienender Rechtsprehung kommen sollen. Daß rihterlide Urteile niht mehr fritisiert werden dürfen, ist ein Tiefstand des Rechtsbewußtseins, wie er tiefer niht gedacht werden kann, wie er in keinem anderen Kulturlande denkbar ist. Wo hohe Geld- und Gefängnisftrafen gegen Arbeiter er- kannt werden, kann man annehmen, daß der Richter auch sonst durch ein hobes Maß von Unkenntnis \ich autzeihnet. Einen Arbeiter, der gegen einen Strafbefehl von 5 Tagen Ge- fängnis, weil er Zettel verteilt hatte, Einspruch erboben hatte, herrschte der Richter an: „Nehmen Sie die Berufung zurück, forst gibt es das Doppelte.“ Als der Arbeiter das ablehnte, steigerte der Nichter in seiner Erregung seine Androhung bis zu vier Wochen Gefängnis. Der urs parteiishe bohgebildete Richter leistete fih auch im weiteren Verlauf der Verhandlung die Ansprache an den Arbeiter: „Halten Sie das Maul !*, als der Mann gegen einen der vorgeshlagenen Zeugen Ein- fpruch erh-ben wollte. Die Richter haben das Bewußtsein ihrer Strafbarkeit gar nicht, weil fie eben Arbeiter nicht als gleihwertig ansehen. Soll das aber zuläsfig sein, warum seßt man dann nicht sofort unzurechnungsfähige Personen auf die Nichter-

fühle? Sind das keine Beispiele von Klafsenjustiz? Für schwere Beleidigung und E Vfnng eines Beamten durch einen adligen Nichtstuer erkennt der Richter auf ganze 20 #4 Geldftrafe !

Ein Amísanwalt verhängt über einen Arbeiter, der in der Verhand- lung auf die Fr2ge des Amtsanwalts, mit wem er verheicatet sei, ent- gegnet batte: „Ich verftehe das niht, ih weiß niht, was Sie meinen“, eine dreità ige Haftstrafe wegen Ungebühr, und der Richter sagte ihm naher: „Sehen Sie, Sie würden hier niht fißen, wenn Sie sih niht bätten verhezen [assen !* Drei Tage wurde verhängt und das Urteil wurde vollstreckt; es kann auch auf Geldstrafe erkannt werden, aber drei Tage mußten es sein. Ift das keine Klafsenjufstiz ? Russische Geheimpoliziften läßt man in die preußishen Gefängnisse Suftiministerdecartin seinen mmtlien Wirkungökreis bineiapsushen eft 2

minister en kung T äßt? Ein Arbeiter, der ein kleines Scherzwort gegen einen Kameraden E brauht, das diesem mißfallen, wird zu 14 Tagen Gefängnis ver- urteilt, ein jüngerer Herr aus der vornehmen Gesellschaft, der seine eigene Mutter verprügelt, kommt mit £0 4 davon. Wenn Horden von randalierenden Studenten den Verkehr ftôören, so hat das nichts auf fih, ergeben fie sh in Beamtenbeleidigungen, wie: Sie Dreck- haufen! Stecken Sie Ihre lGmußige Nase nicht in alles hinein !, so werden sie mit 5 bestraft. Gehen Arbeiter harmlos spazieren und rufen: Wahlreht! so \chreitet die Schußmannschaft mit der

Waffe ein, und der Pro wird den Leuten wegen Auf- ruhrs usw. gemacht. Das heißt doch Prämien auf die Noheit segen; nennen Sie mir einén Fall, wo ein Arbeiter, der ih

[0 Robeiten hat zuschulden kommen lafsen, mit 5 Geld- trafe davongekommen wäre! Aber die vornehmen Rowdys sind für Polijei und Gerichte beinahe ein noli me tangere. Wir verlangen gleiches Recht für beide Teile. (Zuruf.) Sie können doch von mir nicht verlangen, daß ich alle Fälle, die mir zur Verfügung stehen, bier

vortrage; ih müße ja dann die ganze Session bindurch sprehen! In Berlin versezte ein randalierender Student einer Dame auf der Straße eine Ohrfeige und beshimvfte

sie auf das gemeinste; er wurde von dem S{öffengerichte zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, das Reichsgeriht aber setzte die Strafe auf 300 4 herab, der klarfte Bewei?, daß Roheits- delikte, wenn sie von Angehörigen der besißenden Klafse begangen werden , anders bemessen werden als diejenigen von Arbeitern. Vor kurzer Zeit standen ein Jngenieur, ein Kaufmann, ein Student und ein Schriftsteller unter der Anklage s{hamlosester Beleidigungen egen Frauen und Mädchen auf offener Straße. Die Angeklagten bâtten für irrfinnig erklärt und in einer Anstalt untergebracht werden müssen. Diese gröblichen Beleidigungen wurden ab:r mit 100 M4 Geldstrafe geahndet. Diejenigen, die dieselben politishen Ansichten vertreten wie diese Herren, s{hreien dann im Abgeordnetenhause, daß folhe Schamlosigkeiten s{ärfer bestraft werden müßter. (Zurufe: Insinuiert !) s ist nicht infinuiert, wenn ich Tatsachen anführe. Wenn Sie durhweg in ganz Deutschland, besonders in Preußen und Sachsen, weniger in Süddeutschland, finden, daß die Wohlhabenden milder bestraft werden wie die Arbeiter, dann ist das ke:n Zufall mehr. In einem anderen Falle erklärte der Richter angeklagten Arbeitern, daß sie kein Recht bâtten, Streikposten zu ftehen, bestritt ihnen also das ihnen ausdrücklich gewährleistete Recht. Die Arbeiter wurden, weil durch ihr Verhalten die Aufrechterhaltung der Ordnung gefährdet sei, zu zwei Tagen Haft verurteilt, nur weil sie auf Aufforderung niht weitergegangen waren. Ein Student, der einen Auflauf ver- ursaht hatte, wurde zu einer Geldftrafe von 200 Æ verurteilt, nahdem er ausdrüdcklich erklärt hatte, daß er niht betrunk-n gewesen sei, Das Berufungsgericht setzte die Strafe auf 15 #4 berab, indem es annahm, daß, wenn der Student auch felbst gesagt babe, er fei niht betrunken gewesen, das Vordergeriht dies do auf Wuns des Studenten vorausgeseyt habe. ‘Auf Roheiten von Beamten und Polizisten werden geradezu Prämien ausgeseßt. Ein Polizist, der einem Bergarbeiter mit der Faust mehrmals ins Gesicht und auf den interkopf geschlagen hatte, wurde mit 75 #4 Geldstrafe belegt. oh fkrafser ist der Unterschied, wenn es sih um die Strafvollstreckung handelt. Jn einem Fall, wo es fu um den Verwandten eines s g ers handelt, ift die Strafe seit 4 Jahren niht voll- ft angereiet fteht-es, wenn es sich um Sozialdemokraten und rbeiter delt. Das ift eine geradezu demoralisierende Justiz. FS möchte Jhnen nunmehr unsere Anträge zur Annahme empfeblen.

Antrag Einrichtung von Schiedsgerichten will in erster Linie die ländlichen Arbeiter und das Gesinde aus ihrem Hörigkeitêverhältnis befreien. Sie find bisher eigentlich rechtlos und s{ußlos ; fie müssen

Ein Arbeiter in Elbing hatte ein verbreitet, in dem er tie Unfälle in der Séblbaas&e: Fabrik ben Unterrichtes unst,

denen diese auf gerihtlihe Entsheidung verzichten. Sind die Kaufmanns- gerte núgliG, warum soll e Borteil nicht au den ländlichen Ar-

teil werden? Die Vorenthaltung des Rehtsweges muß doch ouch in Ihrem Sinn die Landfluht befördern. Der Abg, Spahn verlangte eine Instanz, die darüber zu wachen habe, E Landesgesetgebung nicht in die Reich8geseßgebung übergreift. Zu diesem UVebergriff gehört die Verfügung des preußis Miniiters des Innern über die Zulassung der ausländischen Arbeiter und die Lösung einer Legitimationékarte. Sie greift aufs allertieffte in das Reichs- recht ein. Wie kommt der Minister vai eine Anordnung über das Paßwesen zu treffen für ganz Deutshland? Seit wann ist der preußishe Minifter Minister für Deutshland ? Die Einführung ter Legitimationskarte für die austländishen russishen und öôöster- reihishen ländlihen Arbeiter ist ungeseßlich; der Ausländer hat verfafsungsmäßig dasselbe Reht wie der nder. Die Fremden- polizei und das Paßreht ift Reichesahe. Spiybuben wird die Ausweisung nicht angedrokbt , Arbeitern. Das is eine Beleidigung der Arbeiter. WidergeseßliG ist auch, daß an die Stelle des Gerichts die Entscheidung des Landrats bei -Aus- weisung treten foll; diese Bestimmung verftößt aber au gegen den Handelsvertrag. Die ausländishen Arbeiter werden mit einer Steuer von je 2 Æ belegt, das ist ebenfalls ungeseßlich. Ausländer können nach dem Reichsgeseß nur au2gewiesen werden wenn bestimmte strafbare Handlungen vorliegen. Preußen maßt sh beute das Recht an, die Ausländer auszuweisen entgegen den Be- stimmungen der Handelsverträge, die den Angehörigen des betreffenden Staates das Recht einräumen, sich in dem anderen Staate auf- zuhalten. Eine Ausnahme if ausdrücklich in dem Vertrage mit Kolumbien gemaht worden. Die Ausweisungen sind geradezu ein Ver- tragsbruch, und es ift eine Aufforderung zum Vertragsbruch, wenn der preußische Minister des Innern fich anmaßt, für ganz Deutschland eine solche Verfügung zu erlassen. Will sich West- und Süddeuts{land ein folhes Vorgehen des preußischen Polizei- ministers gefallen laffen? Die preußische Verfügung peitsht ¡um Vertragébruch an. (Lachen rechts.) Sie lachen, denn Sie wissen, Exrekutionen können wir in Preußen niht vornehmen. Eine Erekution

verlange ih auch nit; aber ih frage, wie man ein solches verfafsungt-

widriges Vorgehen gestatten kann. Der Arbeiter soll rechtlos und wehrlos gemaht werden. Eine solhe Justiz ist Klassenjustiz in der verwerflihsten Form. Ihre Gesellshaftsordnung macht Bankrott, und fie ist niht in der Lage, dem Gerechtigkeit zu geben, der re4t hat, dem Arbeiter.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Was die Frage des Herrn Vorredners betrifft wegen der Legitimationtverbältnifse fremdländisher Arbeiter, so be- daure ih, daß der Herr Vorredner ih mir gegenüber so sehr bemüht hat. Das Neichsjustijamt ift für die Frage, die er hier aufgeworfen hat, nicht zuständig. (Zuruf bei den Sozialdemokraten : Wie immer !) Was heißt das: wie immer? In den Fragen, in denen ih keine Legitimation habe, hier im Hause zu \prechen, spreche ih nicht; ih spreche nur in den Fragen, die meinem Ressort zustehen. Diese Frage gehört in das Refsort des Neichsamts des Innern, und wenn der Herr Vorredner und mit ihm das hohe Haus eine Aufklärung in dieser Frage haben will, so ist die Gelegenheit gegeben, beim Etat des Reichéamis des Innern sich mit diesem Gegenstande noh zu be- \chäftigen.

Zu den übrigen Ausführungen des Herrn Vorredners glaube ih mich mit einigen Bemerkungen begnügen zu sf\ollen. Meine Herren, die Ausführungen des Herrn Vorredrers sind nitt neu. (Sehr richtig! rechts. Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Ich hatte {on öfter das Vergnügen, fie zu hören. Ih habe es meistens vorgezogen, nit zu antworten; aber heute fiel mir bei seinen Ausführungen eine Bemerkung ein, die ih mir zurückgelegt hatte aus der Lektüre des sozialdemokratishen Berichts über den Parteitag, der 1905 in Jena ftattgefunden hat. Auf dem Parteitag in Jena wurde auch die Frage der Klafsenjuftiz angeschnitten, und dort er- klärte ein angesehenes Mitglied der soztaldemokcatishen Partei das Folgende : i

Es ift nôtig, einmal das ganze Problem der Klassenjuftiz auf dem Parteitag zu erörtern; ich bin überzeugt, daß eine folche Verhandlung sowokl praktishe Früchte tragen, als au vor allen Dingen eine ungeheure agitatorische Wirkung üben wird.

(Hört, bört! rets.)

Abgesehen von den Militärmißbhandlungen, ift es die Klafsen- juftiz, die die Massen aufpeitscht und aufregt.

(Hört, hört! rechts. Sehr rihtig! bei den Sozialdemokraten.) Nun, meine Derr itiionilgigs niht, daß die Ausführunçen des Herrn Vorredners Q sehr aufregender Natur waren. (Heiter keit und sehr rihtig! Lärm und Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Aber, meine Herren, es gebt mit derartigen Ausführungen im Hause wie so oft: sie werden nachher in die Parteipresse übernommen urd sie bekommen dort eine andere Färbung, und dann sind sie, wenn sie es au hier nicht waren, draußen ein willkommenes Agitationémittel, deswegen möthte ih einige Worte dazu sagen. (Zuruf bet den Sojialdemokraten: Glauben Sie dadurch haben?) Ih meine nur: das if der einzige Grund, weshalb ih noch einige Worte sage. (Unrube bei den Sozialdemokraten.) Das ift der Grund, weshalb ich noch einige Worte sage, sonst würde ich wie in früheren Jahren, die Rede dem Urteile des Hauses überlaffen.

Meine Herren, die Klaffsenjustiz wird im Volke nicht so ver- standen, wie das Wort hier im Hause gemeint ist. Das Volk ver- steht unter Klassenjustiz ein Verfahren, wo der Richter mit Bewußt- sein eine Partei, die einer bestimmten Klase angehört , gegenüber anderen Parteien, die anderen Bevölkerungsshihten angehören, zurüd- seßt. Hier im Hause wird diese Volksauffassung sehr vorsichtig um- gangen; bier im Hause beißt es immer: wir wissen ja, unsere Nihter find durchaus unbefangen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten : Nicht immer!) Meistens, wollen wir also sagen. Aber sie verstehzn die

Arbeiterverhältnisse nicht, sie wissen die Verhältnisse nicht zu würdigen, unter denen die Arbeiter leben und tätig find, und deshalb urteilen sie fals. Meine Herren,

wenn das rihtig wäre (Zuruf bei den Sojialdemokraten: Es ift rihtig!), dann würde daraus folgen, daß in Fragen, die die Arbeiter- interessen berühren, nur Mitglieder der - sozialdemokratischen Partei als Richter urteilen sollten. (Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Andere Leute sind ja angeblich niht da, die die Verhältnisse des Arbeiterstandes rihtig zu würdigen vermögen. (Zuruf bei den Sozial- demokraten : Abgeordneter Heinze hat doh dasselbe geäußert !)

(S@{luß in der Dritten Beilage.)

die Möglichkeit haben an te zu wenden, zu denen s trauen BDte Es n Leute Verträge mit ländlichen Mbeiten, in

etwas widerlegt zu,

Dritte Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

M 44.

Berlin, Donnerstag, den 20. Febrüar -

1908.

(Schluß aus der Zweiten Beilage.)

Run, meine Herren, verfolge ih die Lebenéäußerungen der sozial- demokratishen Partei mit einiger Aufme:ksamkeit, und da ist es mir immer aufgefallen, daß, wenn es Interefsengegensäße und Interessen- fireitigkeiten innerhalb der sozialdemefratishen Partei gab und hier ein Organ der Partei in irgend eine Vertrauenéstelle berufen wurde- äber diese Interefsenstreitigkeiten zu urteilen, niemand mehr als die Genossen dabei waren, diese Stelle in ihrer entsheidenden Tätigkeit zu verurteilen als ungerecht und einseitig. Also Meinungen in der Partei selbst gehen dabin, daß die Genoffen die Arbeiterinterefsen nicht unbefangen zu beurteilen wissen. (Lebhafte Unruhe bei den Sojial- demokraten.) Meine Herren, Ihre eigenen Blätter haben das oft genug erkennen laffen. Und da, meine Herren, tritt ein Mitglied der sozialdemokratishen Partei hier auf und trägt in der Weise, ‘wie wir es bei dem Herrn Vorredner gewohnt sind, die Vorwürfe vor, die er glaubt den bürgerlihen Gerihten machen zu können. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Heinze!) Der Abgeordnete Heinze wird sich son selbst äußern. (Zuruf bei den Sozialtemokraten : Er hat fich ja hon geftern geäußert. Glocke des Präsidenten.) Das habe ih ja, gehört! (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Was haben Sie dazu zu sagen.) Darauf habe ih gar nichts zu sagen. Das berührt mih nihi. (Unruhe bei den Sozialdemokraten. Glocke des Präsidenten.) Lassen Sie mih doch einmal sprehen; Sie können ja nachher Ihre Bemerkungen maten. Also, meine Herren, ih sage nur: in dieser Weise, wie wir es gehört, wagt es ein Mitglied der Partei, in welcher es zahlreihe Glemente gibt, die in Streitfällen mit den Ent- scheidungen, die von ihren eigenen Genoffen ausgehen, niht zufrieden sind, die Richter des bürgerlihen Staates zu verunglimpfen.

Nun hat ja der Herr Vorredner eine Anzahl von Einzelfällen gebraht, die das beweisen sollen, was er hier zur Beschuldigung der Richter vorgebraht hat. Meine Herren, dieses Mittel in seinen Händen kenne ih au aus früheren Zeiten. Wenn ih dann, nachdem die Verhandlungen des Reichstags vorüber waren, und ih nicht mehr ¡um Worte kommen konnte, festzustellen in der Lage war, wie die Dinge sich verhielten, verhielten sie fich gewöhnlih nicht so, wie fie bier im Hause vorgetragen wurden. Aber fie waren hier in der Oeffentlichkeit vorgetragen, ohne daß eine Berichtigung erfolgen konnte. JIch will aber ausdrücklich zugeben, und habe öfter Selegenheit gehabt, das zu erklären, daß Vorgänge au in der Justiz unseres Landes vor- kommen, die tadeln8wert sind (sehr rihtig!) und im Interesse der Würde unserer Rechtspflege nicht vorkommen sollten. Damit kann aber das nicht bewiesen werden, was der Herr Vorredner hier zu be- weisen unternahm, solche Vorgänge bleiben unter allen Fällen Aus- nahmen (Widerspru bei den Sozialdemokraten. Sehr richtig! rechts), damit wird der deutshen Justiz niemals der Stempel der Klafsen- justiz aufgedrückt, und das war die Absicht, die der Herr Vorredner verfolgte. Diese Absicht kann er mit solchen Fällen niemals ers reihen.

Wenn der Herr Vorredner bei ‘den Beispielen, die er hier an- geführt hat, unter anderem einen Fall, ih glaube aus einem \{lesishen Städtchen, anführte, in dem der Rihhter gesagt haben foll : Wenn Sie den Weg der Berufung beschreiten, bekommen Sie das Doppelte der Strafe, wenn eine solche Drohung in der Tat gefallen sein follte, so würde ich das aufs tiefste bedauern, das er- sheint nah meiner Meinung nicht würdig des Richters. Ich glaube aber, die Dinge werden da auch wieder etwas anders liegen, und die Farbe, die der Sache hier gegeben wird, wird niht Stich halten, sobald wir einmal den Dingen auf den Grund gehen. Immer- hin wäre ein solcher Vorgang bedauerlich, aber nie und nimmer ge- eignet, das wiederhole ih, den Vorwurf zu rehtfertigen, den der Herr Vorredner erhoben hat, als sei die deutsche Justiz eine Klafsen- juftiz. (Sehr rihtig! rechts.) Der Herr Vorredner hat dann einen anderen Fall erwähnt aus einem kleinen märkishen Städten, wo eine Lokalzeitung, wie ih glaube, sih eine strafrechtliche Verfolgung jugejogen hat, weil von ihr die Mitteilungen, die er hier auf der Tribüne des Reichstags über das Gebahren eines Richters gegeben hat, ebenfalls gebraht worden waren. Der Fall ist mir so weit be- annt, daß ih sagen fann, er ift Gegenstand der Prüfung seitens der preußishen Justizverwaltung gewesen, und auf Antrag des zuständigen Landgerichtspräsidenten, der die Verhältnifse doch kennen gelernt hat, ist gegen das betreffende Blatt, das die ehrenrührigen Mitteilungen veröffentlit hatte, eine Verfolgung eingeleitet worden. Meine Herren, nachdem eine gerihtlihe Prüfung des Sachverhaltes ftatts-

gefunden hatte, nachdem auf Antrag des zuständigen Land- geriht8präsidenten gegen dieses Blatt eine strafrechtliche Verfolgung eingeleitet worden war, bringt dennoch der

Herr Vorredner diesen vorläufig noch nicht gerihtlich klargestellten Fall bier vor, um damit einen Gindruck auf das Haus zu erzeugen zu Ungunsten des Richters. (Sehr richtig! rechts.) Das ift meiner Meinung nah unzulässig. Damit gehe ih über die einzelnen Fälle, die der Herr Vorredner vorgebracht hat, hinweg. (Zuruf von den Sozialdemokraten : Der Fall Rohmen ?) Der Fall Rohmen fällt hier nit hinein, und die Art und Weise, wie der Herr Abgeordnete über diese ganz außerhalb des Reichsjustizrefsorts liegenden Verkbält- nisse gesprochen hat, enthebt mich der Notwendigkeit, fie zu berühren; ih halte es nit für angemessen, darauf weiter einzugehen. (Sehr rihtig! Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.)

Wenn aber, abgesehen von diesen einzelnen Fällen, der Herr Ab- geordnete behauptet hat, daß die deutshen Richter überhaupt niht im stande seien, die Verhältnifse der Arbeiterwelt, denen fie doch zum Teil sehr nakße stehen, ju würdigen und rihtig zu beurteilen, und wenn er ferner gesagt hat, regelmäßig, oder ich glaube sozar, er sagte, in allen Fällen, würden, wenn es fih um Arbeiter handele, drakonische Urteile gefällt (sebr rihtig! bei den Polen), wenn es si aber um Leute aus anderen -als Arbeiterkreisen handele, Urteile viel milderer Art, so weise ich das als eine Beschimpfung des deutschen Nithterstandes, die das Pfliht- und Rehtsbewnßtsein der

deutshen Richter in Frage stellt, hiermit zurück! (Zustimmung rets. Unrube bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, wir haben in unserem deutshen Strafgeseßbuch eine Bestimmung, wonach ein Beamter, auch ein Richter, der sih bei der Leitung oder Entsheidung einer Rechtsfache vorsätlich zu Gunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts s{uldig maht, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft wird. Handlungen wie die, die hier in Frage stechen, würden eine Beugung. des Rechtes darstellen. Es handelt sich in der Meinung des Herrn Vorredners vielleiht nicht um vorsäßliche Versündigungen der Gerichte, aber dieser Spruch. steht über dem Hause, in dem die deutsche Justiz ihres Amtes waltet, in seinem Geiste foll fie sih verhalten, äuch wenn eine ftrafrechtlihe Schuld niht in Frage ist. Und wenn au die Strafe, die das Strafgeseßz- buch verhängt, nur vorsäßliche - Pflihtverleßungen trifft, so bin ih doch überzeugt, daß überall, wo es sih zufolge eines leihtfinnigen oder frivolen oder fonft tadelhaften Verhaltens eines Richters um eine Rechtébeugung auch nur fkleinster Art ¡um Naghteil eines Mannes aus den Arbeiterkreisen handeln sollte, dies verurteilt werden würde von den Justizverwaltungen wie vom Reichstag und von der ganzen öffenilihen Meinung! Ueberall, auch in den Riterkreisen, würde eine solhe Rehtsbeugung auf Ver- achtung stoßen. Wie kann der Herr Abgeordnete es unter diesen Um- ständen wagen, ju sagen, die deutshe Justiz sei eine Klassenjustiz? (Zuruf von den Sozialdemokraten: Der Richter Heinze hat es au gesagt!) Wenn der Herr Abg. Heinze es gesagt haben sollte, so bin ih anderer Meinung. Ich bin der Meinung, daß in der deutschen Justiz wie in jeder Rechtspflege auch Irrtümer vorkommen und Mängel si jeigen; aber ih kann es niemals zugeben, daß des8- halb der deutschen Justiz der Vorwurf der Klassenjustiz gemaht wird! (Zuruf von den Sozialdemokraten: Heinze ist selber Richter!) Meine Herren, wenn hier im Hause von Klafsenjustiz gesprochen wird, dann ist es etwas anderes wie draußen im Lande. Hier im Hause werden die Einzelbeshwerden darunter zusammengefaßt; draußen im Lande versteht man etwas ganz anderes darunter. Draußen im Lande versteht man unter Klassenjustiz und es gibt Kreise, die dabin wirken, daß diese Auffaffung bleibt und gekräftigt wird das absihtlihe ungerechte Verhalten der Richter der bürgerlichen Kreise gegenüber den Arbeitern. Das ift es, was ih bekämpfen muß; eine Verbreitung und Stärkung dieser Auffaffung würde allerdings dazu beitragen, das Vertrauen in die deutshe Justiz zu ers{üttern, und weil diese Gefahr durch Reden, wie wir fie gehört haben, leiht er- ¡eugt und weitergefördert werden kann, deshalb halte ich es für meine Pflicht, dagegen zu protestieren. Es gibt keine Klafsenjustiz in Deutschland! (Bravo! rechts. Lachen bei den Sozialdemokraten.)

Abg. Gröber (Zentr.): Der Abg. S cbthagen sprach von Klafsenjustiz und brachte e Reihe von Einrzelfällen vor, die wir richt nachprüfen können. Er führte sogar einen Fall an, wo der Staatsanwalt eine Geldstrafe beantragt hatte, das Ge- riht aber auf 2 Monate Gefängnis erkannte. Dieser Fall if doch nicht geeignet, zu erhärten, daß Klafsenjuftiz bei uns herrscht. Wenn Studenten nach der Meinung des Abg. Stadthagen außer- ordentlich \chonend behandelt wurden, so können wir das den Richtern doch nicht so sehr zum Vorwurf machen. Nah meiner Meinung würden au jugendliche Arbeiter in gleiher Lage nit hart angefaßt werden. Es fällt mir gar nicht ein, zu bestreiten, daß manche strafrehilihen Urteile anfechtbar sind, daß fie sehr ver- schieden ausfallen. Bei der Strafabmefsung kommen doch auch ver- schiedene Momente in Betracht, ob der Betreffende vorbestraft ist usw. Daß Fehler vorkommen, s{chwere Fehler vorkommen, ift un- bestreitbar. r ih bestreite, daß es sih um eine parteiische Justiz, eine Klassenjusti; handelt. Man kann nicht sagen, daß der ganze deutshe Richterstand eine parteiishe Justiz übe, weil einzelne solcher Fälle vorkommen. Wir wissen, daß die Strafbemefsung bei Be- leidigungen oft viel ju niedrig ist. Es Herrsht darüber große Un- zufriedenheit. Die Gerichte werden allmäblich abgestumpft, sodaß auch in schweren Fällen ein mildes Urteil gefällt wird. Das ift aber mens{lich, es wird au vorkommen, wenn sämtlihe Richter aus sozial- demokratischen Kreisen entnommen find. (Zwischenrufe bei den Sozial- demokraten : Versuen Sie es do!) Wir wollen es lieber nicht ver- suhen. Au bei Roheitsdelikten kommen die Angeklagten oft viel zu leiht weg. Wir klagen ferner und haben hier wiederholt im Hause darüber Auseinandersezungen gehabt, daß die Verfeblungen gegen die Be- stimmungen der Arbeitershußzgeseßgebung fo gering geahndet werden; wenn da die Richter zum Teil die hohe soziale Bedeutung dieser Be- stimmungen nicht genügend erkennen, so muß man das bedauern, kann es aber verstehen, denn der Richter sucht in der Gewerbeordnung vielleiht niht so sehr einen Strafkoder, wie er es gegebenenfalls müßte. Daraus kann man aber kein allgemein abfälliges Urteil gegen den Richterstand ableiten, und das kann man auch nitt aus den paar Duzerd Fällen, die der Abg. E anführte und die noch vermehrt werden könnten, denn fie fallen kaum ins Gewicht gegenüber den Hunderttausenden von Urteilen, die jahraus, jahrein gefällt werden. Die Vorführung dieser Aus- nahmefälle aber ist geeignet, Unruhe und eIonquis in das ganze Volk zu tragen. Die Ausführungen des Abg. Heinze waren großen- teils sehr interessant und seine Anregungen nahahmenswert. Es läßt sih niht leugnen, daß unsere Re t8pflege binter der modernen Entwicklung zurückgeblieben ist. Wir tasten nah Reform, haben aber immer noh keinen befriedigenden Ausweg gefunden. Warum find wir zu Gewerbe- und Kaufmannsgerihten gekommen, warum hat die amtsg-rihtlihe Praxis nicht genügt? Sie war nit volks3- tümlih ; die Richter waren nicht imfstande, diese Fälle volks- tümlih zu behandeln. Von ihrer ersten Vorbildungs- und Aus- bildungszeit bleiben die Richter in einer infen Abgeschlofsenheit und in einem den Erscheinungen des Grwerbslebens gegenüber ¡u engen Gesichtskreis. Das ist nicht etwa eine Schuld der Richter, sondern der Verhältnisse. Der sonderbare Vorschlag, die Referendare durch Deutshland herumzuwürfeln, e eint mir nit ganz ¡weckmäßig; ob die aus dem Norden dem Süden willkommen wären, und umgekchrt, wäre noch zu untersuhen. Befserurz kann nur kommen, wenn man den Juristenrihtern Laien an die Seite setzt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Leitung der Verhandlungen muß in der Hand eines Fahmannes bleiben, die Juristenrihter sind besser als ihr Ruf, und als Gesetzeskenner braucht man die Juristen. Die praktische Erfahrung des Lebens, das Rechts- Qn tsein des Volkes soll aber mitreden, und darum gehören in die Gerichte die Laien hinein. Kommen wir einmal zu dieser Zusammen- sezung der Gerichte, wie wir sie bei den Kaufmanns- und Gewerbe- gerihten jeßt Haben, so brauen wir keine Sondergerichte mehr. Zur diesmaligen Debatte liegt eine solhe Flut von Refolutionen vor, daß man \fich kaum noch darin zureht findet. Da if auch die Resolution wegen des Strafverfahrens

und Strafvollzuges; dieser timmen wir zu. Daß der außerordentlich wichtige Antrag Bafsermann wegen der Jugendlichen in dieser Mafse der Anträge verschwinden muß und niht gesonderter Behandlung unterworfen werden fann, müfsen wir sehr bedauern. Unsere Straf- aefetgebung- nimmt keine Nüdcksiht auf die besonderen Bedürfnisse des jugendlichen Arbeiters. Hoffentlich wird bei der Revision der Straf- projeßordnung oder {hon vorher durch Spezialgesez hier ein be- friedigender Fortshritt gemahi. Der Antrag von Liebert wirft das Thema der -Deportation auf. Wir können uns au beute nicht für diese Art der Sirafvollstreckung, auch niht in der vorgeschlagenen orm, erwärmen. Unser Antrag wegen der Selbftbeköstigung Und bsibeshäftigung hat {hon früher dem Haufe vorgelegen. Man hat eingewendet, der Antrag schaffe zweierlei Recht. Das trifft nit iu; schon das bestehende Gese gibt hier gewisse Befugnisse. Diese Bestimmungen seben wir lieber durch genaue positive Normen ersetzt, inebesondere hinsihtli der COeE Die Refolntionen Albrecht und Ablaß wegen der Gewährung von Diäten an Schöffen und Geshworene weihen darin von einander ab, g der Antr Albrecht auch von Reisekosten spriht, mährend der Antrag Abl diesen Fehler vermeidet; wir werden für den leßteren stimmen. Die Anträge, welche die munität der Reichstagëabgeordneten usw. betreffen, haben ihre Hauptbedeutung niht auf prozefsualishem Gebiete; ihre politishe Bedeutung käme bei dem Etat des Reichétags entschieden mehr zur Geltung. Die Refolution Albreht wegen Errichtung von Sondergexihten für die Streitig- keiten von Bureaugebilfen, ländlihen Arbeitern und Gesinde mit ihren Arbeitgebern können wir nicht annehmen. Wir wären ein- verstanden, daß die Kompetenz der Gewerbegerichte entsprehend aus- gedehnt wird, aber wir find gegen die Schaffung weiterer Sonder- gerihte. Die Resolution wegen des Zeugniéverweigerungsrechtes aller an Zeitungen beshäftigten Personen geht uns in solcher Allgemeinheit zu weit. Warum jollen übrigens die Zeitschriften niht auch diese Freiheit erhalten? Der Resolution Ablaß wegen der Beseitigung der Härten bezüglich der wvorehelihen Kinder stimmen wir zu. Unser Jnitiativantrag zum Etat des Reichsamts des Innern wegen der Tarifverträge i jeßt, weil ein gleih- artiger Antrag Junck vorliegt, mit zur Verhandlung gestellt. Wir sehen heute in Deutshland mehrere tausend Tarifverträge ¡wischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen in Gültigkeit. , Weder das B. G.-B. noch die Gewerbeordnung beschäftigt sich mit den Tarifverträgen, und es ift . mißlich, fich auf eine Auslegung der be- treffenden Bestimmungen zu verlaffen. Die Judikatur des Reichs- gerihts und anderer Gerichte stehen mit einander in Widerspru. Der Tarifvertrag ist keine Kampf-, sondern eine Frieden8organisfation, nicht eine Verabredung über künftig zu erlangende befsere Bedingungen, sondern er enthält diese Bedingungen selbst. Es handelt fich aud niht um die Erlangung künftiger befserer Lohnbedingungen, fondern oft um ihre Erhaltung. Einzelne Gerichte haben den Tarifvertrag als einen Arbeitévertrag erklärt, andere als eine Offerte für einen künftigen Arkbeitsvertrag. Beides if ein JIrrtum. DY Arbeitgeber ist niht verhindert, sein Geschäft aufzugeben, der Arbeiter niht, fich anderweit * eine Arbeit auszufuchen. Welche rechtliche Wirkung geht nun aus dem Tarifvertrag hervor? Er ist ein recht- lih verpflihtender Vertrag. Daraus folgt, daß die Arbeitsordnung niht Bestimmungen enthalten darf, die dem Tarifvertrag zuwider- laufen. Ein Arbeiter aber, der aüs der Organisation ausscheidet, wird während der Dauer des Vertrages an diesen gebunden fein. Die Kündigungsbedingungen müßten geseßlich geregelt werden. Noch weiter zu gehen, würde bei der Flüsfigkeit dieser ganzen Bewegung bedenklih sein. Die Frage der Sicherung der Innehaltung der Tarifverträge müßte Hand in Hand gehen mit der Rechts- fähigkeit der Berufsvereine, mit der Koalitionsfreiheit der Arbeiter. Vor allem aber handelt es sih darum, die Tarifverträge auf eine eselih rechtlihe Grundlage zu stellen; alles andere wird der Zu- funft zu überlaffen sein.

Abg. Dr. Ablaß (fr. Volksp.): Ueber die einzelnen gestellten Resolutionen wird unser Parteigenosse Dr. Müller-Meiningen sprechen. Die von der nationalliberalen Partei angeregte Frage der Behandlung der jugendlichen Verbrecher ifi nah meiner Meinung spruchreif. Die Statistik zeigt eine bedauerlice Zunabme der jugendlihen Uebel- täter; ihre-Zahl ift in 23 Jahren von 30 600 auf 55 000 gestiegen. Die Jugend ift unser Stolz, unsere Zukunft; befindet fie fich auf ab- \hüssiger Bahn, so hat der Staat die Aufgabe, zunächst dafür zu sorgen, daß die Jugend so lange wie möglich im Hause gehalten wird. Dazu gehört eine geseßlihe Ginshränkung der Kinder- und Frauenarbeit. G8 müfsen die Löhne erhöht werden, damit die Gltern niht auf die Mithilfe der Kinder angewiesen find. Wollen wir das sittliche Niveau der Jugend erböben, dann müssen wir sie abhalten von dem allzu frühen Umgang mit der Prostitution. Jch bin zwar nicht für Kasernierung, wohl aber für eine gewifse Lokalifierung der

rostitution, damit die Kinder nicht mit ihr in Berührung kommen. Vor allem ist dringend erforderlich, die geistige Ausbildung des Volkes so viel wie möglich ju beben dur eine möglihft gründlihe Propagierung der Volksbildung. Darum erachte ih gerade die Maßregel der Lieg- niger Regierung für ungemein beklagenswert. Es kann bundertmal ein preußischer Minifter auftreten und der Maßregel sein Placet geben, die Maßregel bleibt tief bedauerlich. Die Bestimmungen über die Strafbarkeit jugendliher Personen \ind mangelhaft. In erster Linie ift notwendig die Hinaufsezung des ftrafmündigen Alters von 12 auf 14 Jahre. Weiter wird zu prüfen sein, ob man nicht überhaupt das Augenmerk rihten foll auf besondere neue Grziehungsstrafen. Ein Kind, das noch die Schule besucht, sollte niht dem Strafrichter überwiesen werden. Die Erziehungs- strafen brauen ja niht milder zu fein als die gevigen esetlihen Strafmittel; ih denke da z. B. an die Zwangserziehung. Wenn man ein Kind bestrafen will, so muß man das Milieu berüdcksichtigen, in dem es lebt, das s{chlechte Beispiel, das ihm gegeben wird, usw. Oesterrei, Holland sind uns auf diesem Gebiete {hon voran- geaangen. Auf dem Gebiete des Strafprozesses sollte auch vor dem Schöffengerichte den Jugendlichen unter 16 Jahren ein Verteidiger gegeben werden. Das Kind steht doch immer noth unter der Zucht- gewalt der Eltern und des Staates. Das Kind sollte unter allen Umständen vertreten werden durch seinen geseßlihen Vertreter oder durch andere Personen. Ob sich eine Einschränkung der Oeffentlichkeit in solhen Prozefsen empfiehlt, möhte ih zur Zeit weder bejahen, noch verneinen. Vielleiht wäre es richtig, auch den Vormundschaftsrichter zuzuziehen. Wieweit Jugend- erichte sich bewähren werden, bleibt abzuwarten. Unter keinen Umständen nd wir für eine Zersplitterung der Justiz unt für Sonder- erichte. esondere Gefängnifse für Jugendlihe haben wir uicht. Das Kind darf aber unier keinen Umftänden mit Verbrehern zu- sammengesperrt werden, die eine längere Freiheitsstrafe verbüßen. Das Geld muß vorhanden sein, um die Jugendlichen in besonderen Gefängnifsen unterzubringen. Einen Beitrag zur Beurteilung des Fürsorgegesetes hat der \{hauderhafte Fall geliefert, der fih vor dem wurgeriht in Hirschberg abgespielt hat. Drei Fürsorgezöglinge wurden wegen Ermordung teils zum Tode, teils zu Gefängnis teils zu Zuchthaus verurteilt. Der Vor- fißende und die Richter waren einig, daß ein Zeugen- material, wie es in diesem Prozeß aufgetreten war, im Zulerelse der Rechtspflege vor Gericht niht wieder erscheinen dü:fe. Auch die Kreissynode in Hirschberg hat fi mit den Zuständen in dem Rettungs- haus befaßt. wurde als verwunderlih bezeichnet, daß niht shon