1908 / 46 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 22 Feb 1908 18:00:01 GMT) scan diff

@ JIch will nicht den Vorwurf erheben, daß die Richter Bosheit oder Feindseligkeit die [k8\chichten anders behandeln, aber es wird doch in der Geseßgebung noch heute zwishen Menschen erster und ¿weiter t

passiert. und die F aus Absicht, niederen Vo

Klasse unterschieden. Man denke nur an die Wahlrechte kleiner Bundesftaaten, bei denen die Arbeiter als minderwertig betrachtet werden. Die Polenvorlage ist au nit geeignet, die Auffassung von einer bestehenden Rechtsgleihheit zu stüßen. Es \{heint manchmal, als ob die Minister ledigli ausführende Organe sind. Aus diesem Gesichtswinkel heraus betrahte ih auch den Erlaß des preußischen Ministers des Innern über den Aufenthaltszwang ländlicher Arbeiter. Dieser ist eine große Belästigung auch für die Landwirte, die keine Arbeiter haben erhalten können. Der Erlaß kann aber auch für die industriellen Arbeiter Konsequenzen haben. Wenn der Bund der Landwirte gegen die Landarbeiter vorgeht und ihnen Arbeits- bedingungen diktiert, so ist alles in Ordnung, wenn aber die Land- arbeiter ih gegen solches Vorgehen wehren, werden sie mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft. Das ist doch keine Rechtsgleichheit, das sind barbarische Bestimmungen. Aber auch die gewerblichen Arbeiter sind durch die Gesetzgebung vielfah \{lechter gestellt als die Arbeit- geber. In Breslau ist ein Arbeiter zu 3 Monaten Gefängnis ver- urteilt, ledigli, weil er zu einem anderen sagte: „Wir werden uns in der Versammlung noch mit Ihnen beschäftigen.“ Auch bei der Staatsanwalishaft herrshen außerordentlich verschiedene Anschauungen. (Der Redner führt verschiedene Einzelfälle an.) Bei einem Streik in Bielefeld wurde sogar § 361 Strafgeseßbuch, betreffend die Unterhaltungspfliht gegenüber der Familie, herangezogen und ein Arbeiter auf Grund desselben zu 3 Wochen Haft verurteilt. Solche Fälle sind es, die den Glauben an eine Klafsenjustiz auffommen lassen und nähren. Mit solchen Richtersprüchen wird das Koalitions- recht der Arbeitir in seinen Grundfesten erschüttert. Nun i eine Vorlage zur Sicherung des Koalitionsrechts seinerzeit in Aussicht 'ge- stellt worden; ich möchte um Auskunft ersuhen, ob und wann eine solhe Vorlage an den Reichstag kommen wird. Das Recht der Tarif- verträge muß festgelegt werden, wie es unsere Resolution und eine Resolution der Nationalliberalen fordert. Eine Jllustration für die Notwendigkeit solher Rechtsnormen i} die Auslegung, die dèr im Buchdruckgewerbe geschlossene Tarifvertrag gefunden hat. Obwohl § 4 dieses Vertrages, der dea Unternehmerm zur Pflicht machte, nur im Verband deutscher Buchdrucker organisiernte Gehilfen zu beshäftigen, aufgehoben worden i}, wird nah wie vor diese Beseitigung des § 4 gerade von großen Berliner Firmen, auch von folhen, die auch Reichstagsdruksachen herstellen, ignortert, die Firmen Hermann, Sittenfeld, die Druckerei der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ tellen nur Verbandsmitglieder ein und weisen anderweitig organisierte Buchdrucker, so die Mitglieder des Gutenbergbundes zurück. Das geschieht entgegen ausdrücklicher Uebereinkunft. Solchen Vorkommnissen müßte ein Riegel vorgeschoben werden; wir wollen Koalitionsfreiheit, nicht Koalitionszwanz!

Vizepräsident Dr. Paasche ruft nachträglich den Abg. Frank wegen des gegen den Abg. von Maltan gebrauchten Ausdrucks schnoddrige Bemerkung zur Ordnung.

Von dem Abg. K i 4 (Zent.) wird beantragt, unter Ablehnung des Antrags Bassermann den Reichskanzler zu ersuhen, mit tunlihster Beschleunigung eine Reform der Vorschriften über das Strafreht, das Steafvetfahren und den Strafvollzug in Beziehung auf jugendlihe Personen in die Wege zu leiten.

Abg. Dr. Müller-Meiningen (fr. Volksp.): Der Abg. Basser- mann spra gestern von der Resolutionenflut, die alimählich Mode geworden sei. Auch wir stehen auf dem Standpunkt, daß es sehr gut wäre, wenn zwishen den Parteien eine Vereinbarung ge- troffen würde, um diese Resolutionenflut für die L etwas einzudämmen Wir haben von Anfang an keinen Antrag gestellt, aber was soll man tun, wenn der Wettlauf einmal beginnt; da müssen au die anderen diligentiam präfstieren, den Wettlauf mit- machen, und dann geht die Sache uferlos weiter. Wenn ih nun zu den einzelnen -Resolutionen Stellung nehmen darf, so muß ih ge- stehen, daß die gestrige Erklärung des Staatésekretärs über die Resolution Albrecht und Genossen, betreffend die Gewährung von Diäten an Schöffen und Geshworene, mih nicht befriedizt hat. Er hat do selbst zugestanden, daß die Sache reif wäre zu einer legis- latorishen Lösung. Ich bin auch kein so großer Optimist wie

er, zu glauben, daß die Strafprozeßreform, auf die er in diesem Zusammenhang hinwies, so einfach und leihk wäre. Es wird hier wesentlich auf den Inhalt ankommen. Der Deutshe Reichstag und au die Einzelstaaten haben {on seit langer Zeit diesen Wunsch ausgesprochen, und ich möchte bitten, daß endlih die Sache reihs- eseßlih geregelt wird. Was die Refolution, betreffend den chuß der eleftrishen Anlagen, anbetrifft, so sind bereits früher Klagen von der Elektrizitätsindustrie über das bestehende Gesetz laut geworden. Dieses Gese ist nach vnserer Ueberzeugun unzureihend. Wir haben bereits 1900 darauf hingewtefen, dah es das einzig Nichtige wäre, wenn der Diebstahlsparagraph einfa auf diese Materie ausgedehnt werden würde. Jeßt ergibt ih, daß eine ganze Reihe von flagranten Diebstählen von E Ger Kraft ungestraft vorkommen konnte. Was die Resolution über die Tarifverträge betrifft, so stehen wir diesen Friedens- orçanisationen, wie man sie bezeihnet hat, auch sympathisch gegenüber. Es mag zwar unter Umständen zweifelhaft sein, ob die Sache zur Regelung bereits reif ist, ob die Schematisierung dieser Verträge bereits jeßt möglich ist, aber wir sind gern bereit, uns an |der Lösung dieser überaus wichtigen sozialen Frage zu beteiligen, und wic werden beide Resolutionen auch unsererseits annehmen. Der Antrag der Sozialdemokcatie bezügli der Beseitigung des Zeugniszwanges ist eine alte liberale Forderung. Auch wir find der Ueberzeugung, deß der Erlaß des Reichskanzlers zwar gut gemeint war, aber sehr wenig prafktishen Wert hatte. Im Interesse weitester Kreise und vor allen Dingen der deutschen Presse muß mit dieser Bestimmung reiner Tisch gemacht werden. Was die Zeugnisverweigerung der Abgeordneten betrifft , so hat der Abg. Gröber dafür plädiert, daß sie separat behandelt werde bei der Beratung des Etats des Reichstages. Wir würden aber dann die Sache dreimal intenfiv behandeln müssen. Wir haben es bereits im vorigen Jahre getan beim Etat, werden es bei der Strafprozeßordnung tun, und nun foll es auch noch zum dritten Male gesehen. Ueber diese Frage ift sih die große Mehrheit des Reichstags in der Hauptsache vollständig einig. Wir bitten unseren Antrag anzunehmen, der uns besser erscheint als der sozialdemokratishe. Es liegt kein politisches Bedürfnis vor, die Immunität au auf die Vertretung kommunaler Körperschaften auszudehnen. Dem Abg. Varenhorst gegenüber stehen wir auf dem Standpunkt, daß ein Parlament, das nicht einmal H:rr im eigenen Hause ist, von vornherein ein s{chwächliches Parlament is und der nôtigen Autorität entbehrt. Wir haben wahrhaftig allen Grund, diese Autorität des Reichstags, Ruhe und O zu geen, und auch der Präsident muß die Möglichkeit aben, das Recht des Reichstags gegen die Polizei unter allen Umständen zu wahren. Was den Antrag der Sozialdemokratie auf Einführung weiterer Sondergerichte anlangt, so frage ich, wo follen wir denn bleiben, wenn immer wieder neue Spezialgerihte kommen? Das muß chließlih mit einem großen moralischen Kater auf allen Seiten enden. as wird nicht alles verlangt an Sondergerichten. Kaufmannsgerichte haben wir s{hon, nun werden auch noch ‘Sondergerichte verlangt für Bureaugehilfen, ländliche Arbeitergerihte, Gesindegerichte, Patentgerichte, Frauengerichte, Morengeris und zwar für literarische, musikalische, photographische, künstlerische Angelegenheiten. (Zuruf: Jugendgerichte !) awohl, alle möglichen Sondergerihte. Diese Zersprengung unseres ganzen Rechtswesens im Sinne unserer alten Patrimonialgerichte machen wir niht mit. Man klagt über die Weltfremdheit der deutschen Richter. Je breiter die Basis der Tätigkeit der deutschen Richter is, desto größer wird ihr Wissen und ihre Tätigkeit s: {chränkt man aber fortgeseßt ihre Tätigkeit ein, o werden jene Klagen nicht verstummen. Ländliche Gerichte wären bei der Rechtlosigkeit der ländlichen Arb:iter geradezu ein Wahnsinn.

Hes Arbeiter zu Schöffen und Geshworenen machen und für ihre vollständige Gleichstellung sorgen. rst dann könnte man eventuell nen Gedanken näher treten. Der Antrag des Zentrums wegen er Selbstbeköstigung und angemessenen Beschäftigung der Ge- fangenen is ebenfalls eine alte liberale Forderung. Das Bu des Architekten Feuth zeigt, welhe geradezu russischen Zustände bet uns noch zum Teil in den Gefängnissen bestehen. Man hat diesen Mann geradezu gequält. Aber noch viel shlimmer ist die Behandlung der Frau. Diese völlig unschuldige arme Frau ift glei einer ver- verbrechêrishen vorbestraften Dirne behandelt worden ; und da muß ¡dem rechtlih denkenden Sep iiben geradezu Schamröte und Zornesröte ns Gesicht steigen. Selbst die Post hat die Wahrheit der Behauptungen * des Verfassers bestätigt. Solche Fälle wirken eradezu aufreizend; sie sind das beste Agitationsmittel für die ozialdemokratie. Man merkt es dem ganzen Buh an, daß dieser vielgeprüfte Mann der Sozialdemokratie bereits verfallen ist. Die Resolution Heinze wegen einheitliher Regelung des Straf- vollzuges spriht ebenfalls cine alte liberale Forderung aus. Die Sache kostet natürlich viel Geld, aber sie ist ein wahres Kulturwerk, namentlich zum Besten der Jugendlihhen. Der Fürst Bülow hat in setner Blockrede vom 30. November 1907 gerade diesen Punkt besonders hervorgehoben. Es wäre sehr erfreulich, wenn sobald wie möglich eine Reform in diesem Sinne in die Wege geleitet würde. Scharf müssen wir uns gegen die Resolution des Kollegen von Liebert wegen der Deportation wenden. So aus dem Handgelenk kann eine solhe Frage niht gelöst werden; die t einer derartigen Maß- regel sind gar niht abzusehen. Die Gefangenen zu Agrikulturzwecken nach Neupommern zu s{chicken, is wirklich überflüssig; dazu würde au. die Lüneburger Heide, auch das preußishe Pommern ge- nügen. Eine Denkschrift kann man ja verlangen; aber der Ausgang wird, wie ih meine, ein negativer sein. Der neue Antrag Kirsch er- leihtert uns die Zustimmung zu der Forderung, für die Jugendlichen ein besonderes Strafreht, Strafverfahren und Strafvollzugsreht zu erlassen. Die Hauptsache. bleibt vor der Hand eine verständnisvolle Handhabung der bestehenden Strafbestimmungen; aber da hapert es ganz bedeutend. Wer denkt niht an den Fall, wo ein Junge, der einem anderen etne Kindertrompete wegreißt, wegen Straßenraubes verurteilt wird! In einem anderen Falle sind Kinder, die, weil sie niht auf die Straßen der Stadt gehen können, sih aufs Land hinaus be- eben und, nahdem sie vorher einen Automaten zu bestehlen ver“ sucht haben, draußen aus einer Feldhütte ein paar wertlose junge Hunde \stehlen, zu 4—6 Monaten Gefängnis verurteilt worden, da nah dem Auss rue des Staatsanwalts einmal eîn Exempel statuiert werten müßte. Die Jungen, die im ganzen Jahre kein Getreidefeld und keinen Wald sehen, die eingeschlossen e in thren erbärmlihen Straßen, müssen, wenn in keiner Weise für sie gesorgt wird, auf dumme Gedanken kommen. Es sind weiter nichts als Lausbubenstreihe, die fo drakonisch von unseren Richtern bestraft werden. Jm englischen Unterhause is im Februar eine Bill eingebracht, die den nah meiner Meinung einzig richtigen Weg für unsere künftige Geseß- ebung verzeichnet. Danach sollen während der Untersuhungshaft ugendlihe nur in besonderen Anstalten, nie in Gefängnissen ge- halten werden. Die Gefängnisstrafe wird für Perfonen unter 16 Jahren vollständig abgeschafft; sie werden nur an Besserungs- anstalten überwiesen. Auf diese Art würde au bei nns vorwärts zu kommen sein. Es ist geradezu ein Raubbau an der menschlihen Natur, wenn das Zusammenpferhen von Jugendlichen mit alten Verbrechern so weiter fortgeht. Ih möchte bitten, endlih von der administrativen bedingten Begnadigung zur geseßlich bedingten Verurteilung über- zugehen, die wir seit Jahren anstreben. Die Vorstrafenregister follten nah bestimmter Frist gelösht und niht die Zeugen dur Verlesung ibrer Vorstrafen moralisch und ges{äftlich ruiniert werden,

wie es jeßt immer wieder geshieht. Eine Nethe von Zu- schriften zeigen mir, daß es sich hier um geradezu ergreifende Vorgänge handelt. In diesem Zusammenhange möchte ih auch auf

die Grausamkeit aufmerksam machen, die in der Ausstellung von Geburtsurkunden voreheli dur nachträglihe Heirat legitimierter Kinder liegt. Auf diese Weise drückt man den Leuten das Brandmal der ane Geburt für die Zeit ihres Lebens auf. Was ift es für eine Logik, dat wenn jemand eine Stunde nach der Eheschließung der Eltern zur Welt kommt, er ein Vollbürger ist, wenn aber eine Stunde vorher, er in den Augen gewisser Behörden ein Paria ift; dem läuft die unehelihe Geburt Zeit setnes Lebens - nah. Hins sihtlih der Ausbildung der jungen Juristen kann ich auf eine Neihe höchst vernünftiger Verordnungen unseres aa Justiz- ministeriums hinweisen. Es unterstüßt jeßt das Verfahren, daß die jungen NReferendare in der Industrie und im Bankwesen be- \chäftigt werden und auf diese Art einen Blick für praktishe Fragen bekommen. Ich halte dies für eine sehr gute Einrichtun, die auch anderen Justizverwaltungen zu empfehlen ist. Es läßt sich nit leugnen, daß die Staatsanwaltschaft in Deutschland sich einer steigenden Unpopularität erfreut. Meiner Auffassung nah hat auch der Fall Harden nit gerade zu einer Vergrößerung des Ruhmes der S Q an d ans gedient. Jch hätte zwar allen Anlaß auf diese Sah:n näher einzugehen, da merkwürdigerweise Oberstaatsanwalt Dr. Jsenbiel bei der formalen Behandlung des Prozesses sich außer auf meinen verstorbenen Freund Lenzmann auch auf mich als Gewährsmann bezogen hat. Ich weiß nicht, welche Aeußerungen von mir der Oberstaatsanwalt im Auge hatte, bezweifle aber, daß der Tatbestand, der von mir vorgebrahten Fälle irgend- wie mit dem im Molike-Hardenprozeß in Vergleih zu seßen war. Ich halte auch die formale Behandlung der Sache geradezu für eine juristishe Ungeheuerlihkeit. Bei der Besprehung dieses Falles hat der Reichskanzler in seiner Blockrede vom 30. November von der Be- [g des Wahrheitsbeweises bei Privatklagen gesproher. Das st eins der gefährlihsten Schlagworte, die aus der Erregung über einen einzelnen Fall heraus leiht entstehen können. W128 wäre aus dem Grafen Cuno Moltke geworden, wenn der Wahrheitsbeweis aus- eshlossen gewesen wäre Das Verfahren“beti unsern Gerichten, daß jedem eugen fein ganzes Vorleken bis auf die Kindesbeine nahgerechnet wird, daß er moralisch nackt dem Gerichte vorgeführt wird, ist ein Pans sondergleihen. Hier muß ein großer Takt vorausgeseßt werden, und viel- leiht kann auch das Neichsgericht mit seiner Judikatur etwas neten Nachdem hier wiederholt von der lex Heinze gesprochen ist, will auch ih mi, einer alten Liebhaberei folgend, mit einigen Worten dieser interessanten Materie zuwenden. Jch vermisse eigentlich den Kollegen Noeren und seine Rede über die Sittlichkeit, die er bereits im Ab- geordnetcnhause gehalten bat. Das konzentrishe Treiben in den Landesparlamenten ist auch mir auern verdächtig; es ist eine Stimmungmache, die mehr an das Gemüt als die Kenntnis des Gesetzes appelliert. Jh betone von neuem, daß ih mit meinen polis- tischen Free der s{ärfste Feind des literarishen Zelotentums bin. Ih habe auch in Wort und Schrift auf die \{chweren Sünden hingewiesen, die ein Teil unserer Presse durch die Ausshlahtung gewisser Prozesse auf nimmt. Aber darüber kann kein Zweisel beftehen, daß in unserer Geseßgebung und der Judikatur unseres NReichsgerichts es wahrhaftig nicht liegt, wenn der elendeste Shmuß sih taatas noch immer vor uns breit macht. Ich verwahre mir mein Material, das ih seit Jahren auf- \peichere, für die Zeit, wo die Reden vom Reden zu Taten übergehen, um eine lox Heinze-Debatte zu provczieren. Aber neben dem vielen Schmuy, den wir gern mit bekämpfen, steht ein finsterer, asketischer, geradezu pathologischer Zug der Prüderie. Ih will gar nicht von den Verstümmelungen sprehen, die in einer Reihe von Städten an Denkmälern vorgenommen wurden, was aber foll» man sagen, wenn jeßt sogar das Sturmlaufen gegen das Baden der Jugend in E losgeht. 28 findet man in den Kreisen, die so oft Raten, daß fie die Sittlich- keit und deren Vertretung in Erbpaht genommen hätten, für Auf- fassungen über die Sittlihkeit und die Art und Weise, wie man die Unsittlichkeit bekämpfen müsse. In einem Flugblatt, dessen Snhalt auch durch die Presse gegangen is, wird als die Quelle alles * sittliGen Uebels die laszive Damentoilelte und

Was würden die Beisiger dabei für eine Rolle spielen. Erst müssen wir Freiheit des Vereins- und Versammlungsrehs schaffen, die länd-

die Kostümnacktheit bezeihnet und auseinandergeseßt, daß leider Gottes in der legten Zeit von einer Zensur der Balltoiletten

ar keine Rede mehr sei. Es wird dort weiter gesagt, da a i fn ebreitet pat a ua.

in katholischen Kreisen diese Modekrankheit ausg

hier das Wort gilt: Je ausgezogener, desto anziehender. Eine

derartige Prüderie wirkt gera epu verwirrend und O nS en, st eine erbarmungswürdige, lächer-

Die Polizei im Leben der Kunst lihe Figur von jeher gewesen, ebenso wie der Ce eor sie wird es auch ewig bleiben. Die ganze Bewegung beruht auf der Ueber-

{äßung der Bedeutung einiger strafgesezliher Bestimmungen. Sie \prehen soviel von der Hebung der Sittlichkeit, r was tun Sie, was tun die deutshen Regierungen Positives, um die Sittlichkeit zu heben? Blutwenig! Der ; recht, bezüglih der körperlihen Ausbildung wird viel zu wenig etan von der Geg Ieruny. Erst vor einigen Tagen mußte der a E Kriegsminister dem bayerishen Kultusminister erklären, daß ür die körperlihe Ausbildung besonders zwishen dem 13, und 17. Jahre in den einzelnen Bundesstaaten noch viel zu wenig geschieht. In der ganzen Welt hält man die Verbreitung guter Literatur und Kunst für das beste Mittel gegen die Ausbreitung der Unsittlichkei. Da der Staat in Deutschland bezüglih der künstlezishen und literarishen Bildung der Massen beinahe voll- ständig versagt hat, weil er sih js oft 1elbst desavouiert, fanden \ih Tausende gebildeter Leute, um diese Unterlafsungssünde des Staates wett zu machen. Man hat ungefähr eine halbe Million Bücher verbreitet. Natürlih kann eine solhe Bibliothek auch nicht an den rößten Werken der Naturwissenshaften vorübergehen. Nun ge- sieht das Ungeheuerlihe, daß aus pietistisher Borniertheit, anders kann ih es absolut niht nennen, der geistige Durst der Massen und seine Befriedigung in jeder eziehung tadellos reglementiert werden foll, wie der Minister des gg M O sih ausgedrückt hat. Man \{chämt ih n vor dem Modernisten aufzustellen, auf dem Namen, wie Haeckel und Strauß stehen. Das ist ein Akt staatliher Tartüfferie. Ih erinnere nur an die Vorbereitung des Seminaristen auf die Kommunion durch die Lektüre des Faust und das Verfahren gegen ‘die Gesellschaft zur Verbreitung von Volksbildung. Ob Studt oder Holle, fchwarz ist der Kopf bis auf die Wolle. Gleihe Brüder, aleihe Kappen. Wir können ohne weiteres uúnseren bayerischen Kultusminister gegen den preußishen austaushen. (Zuruf des Abg. Gröber.) Auf diesem Gebiete der Kulturpolitik, Herr Kollege Gröôber, gibt es für uns kein Kompromiß. Das Verhalten des zweiten

größten deutshen Bundesstaates zeigt uns die großen Gefahren für :

das Reih. Das möchte ‘eine nette Reform des Reichsstrafgeseh- buhes werden, die aus solhem Schwarßkopffshen Geiste kommt. Das ift der Geist der lex Dent aber auch der seligen Umsturz- vorlage von 1892. Vom Geiste Ublands, Fichtes und Lessings war in den legten Tagen im preußischen Abgeordnetenhause verfluht wenig zu spüren. Es bestätigt ih “eben, daß in diesen Kulturfragen der Liberalismus ganz allein auf \ih selbst angewiesen ist. Hier heißt es für den Gesamtliberalismus, die Augen aufmahen und diejenigen modern denkenden konservativen Elemente beizeiten warnen, Herr Kollege von Oldenburg, die niht gewillt sind, sih als Vorspann des Klerikalismus verwenden zu lassen. Sie besorgen lediglih die Ge- \chäfte des Klerikalismus mit einer derartigen blinden Orthodoxie und einem derartigen. Zelotismus (Huhu! im Zentrum). Diese tierischen Laute bin ih aus der bayerischen Abgeordnetenkammer hon gewöhnt. Hier handelt es L um Gegensäße in der Weltanshauung, den Schuß der wissen\chaftlihen Freiheit und vor allem, das zeigen die Verhandlungen im bayerischen und preußischen O Eee um die Emanzipation des Staates aus der übermächhtigen Gerpalt der Kirche. In diesen großen kulturellen Fragen wird der Liberalismus den Kampf rücksihtslos und zu jeder Zeit unbedingt aufnehmen in dem Bewußtsein, daß dieser Kampf zum Segen des ganzen deutschen Bürgertums und seiner freiheitlihen Entwicklung ist.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Das leßte Thema des Herrn Vorredners berühre ih nicht, es hat für das Reichsjustizamt keine aktuelle Bedeutung. (Sehr richtig! Heiterkeit rechts.) Dagegen möchte ih auf einige Ausführungen des Herrn Vorredners eingehen, welhe den Strafvollzug betreffen. Der Herr Verredner hat uns, wie früher und an und für sh ganz mit Recht, seine Ansihten über die Notwendigkeit des Strafvollzugs hier dargelegt und hat bei dieser Gelegenheit auch einen Fall aus dem preußishen Strafvollzug erwähnt, von dem aus er einige recht un- günstige Schlaglichter auf die Strafvollstreckung in Preußen fallen zu lassen versuchte. Diese seine Ausführungen beruhen, wie ich glaube, auf tatsählih niht zutreffenden Vorausseßungen und sind auch un- gerecht in den Folgerungen, die der Herr Abgeordnete daran geknüpft hat. Ih muß leider, um die Behörden, die hier beteiligt find und denen vom Herrn Vorredner Vorwürfe gemaht wurden, zu entlasten, auf gewisse persönliche Verhältnisse eingehen, obwohl es mir unangenehm ist, denn ich muß dabei Dinge berühren, die für die Beteiligten in der Oeffentlichkeit besser ungesagt blieben.

Aber im Interesse der Behörden, die in dem Falle tätig gewesen sind, bin ih genötigt dazu; der Herr Vorredner hat mich dazu ge ¡wungea. Es handelt sich um den Fall des Architekten Feuth. Wenn Sie die Akten dieses Falles zu lesen Gelegenheit hätten, würden Sie vermutlich an der Entwicklung des ganzen Verfahrens vor Gericht und der Polizei sehr wenig Interesse nehmen ; aber es ist damals eine

recht interessant geschriebene, romanhaft aufgepußte Broschüre er-

schienen, die den Fall Feuth illuftriert und so darstellt, als wenn die armen unschuldigen Feuthshen Eheleute s{hrecklich s{chlecht von den Behörden behandelt worden wären, die unshuldige Frau insbesondere, die niemandem etwas zuleide getan hätte, dennoch verhaftet wurde ohne Grund, die \{chlecht behandelt wurde von der Polizei, und \{ließ- lih von dem Gerichte freigesprohen wurde von der gegen fie'er- hobenen Anklage, derart, daß auch niht der Shimmer eines Verdachts gegen sie bestehen blieb.

Gestatten Sie mir, Jhnen die Persönlichkeiten, die dur die Broschüre sich selbs vor der Oeffentlichket produziert haben, afkten- mäßig vorzuführen. Der Architekt Feuth war in Vermögensverfall ge- raten, er hatte bereits, bevor di: hier berührten Vorgänge {ih ab- spielten, den Offenbarungzseid geleistet, er kaufte dennoch eine Villa in Kolonie Grunewald, ließ aber als Eigentümerin dieser Villa seine Ehefrau eintragen. Es dauerte nit lange, dann fanden in dieser Villa zahlreihe Pfändungen stait, wie das ja nach den Vorgängen leit erklärlich ist. Jn der Zeit vor dem Februar 1906 hatte der Ge- rihtsvollzieher jeden Tag eine oder mehrere Pfändungen bet dem Feuthshen Ehepaare vorzunehmen. Während des Februar 1906 follten gepfändete Möbel und sonstige Gegenstände aus der Villa abge- holt werden, der Gerichtsvollzieher ershien mit dem Möbelwoagen, fand aber die Villa verschlossen, auf Klingeln und Klopfen wurde nicht geöffnet, und der Gerichtsvollzieher war genötigt mit Hilfe eines Schlossers si den Zutritt zu der Villa, in der die gepfändeten Gegenstände fh vorher befanden, zu vershaffen. Da stellte sid heraus, daß zunächst niemand in dem Hause zu finden war, {ließli entdeckte man beide Eheleute in einem Versteck, den Ehemann in einer Bodenkammer unter einer Rolljalousie. (Hört! hört! Heiterkeit.)

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Abg. Frank hat voUständig '

Fn- und Ausland, einen s\taatlihen Index von

zum Deutschen Reichsanzeiger und K

M 46.

(S@luß aus der Ersten Beilage.)

Während das Ehepaar aber in dieser Weise ermittelt wurde, zeigte ih, daß sämtlihe Sachen, auh die gepfändeten, aus der Villa ver- Ueber den Verbleib verweigerte der Ehemann die Bald darauf stellten mehrere Gläubiger Strafantrag

{wunden waren.

Auskunft. wegen Pfandbruchs und strafbaren

wegen \{chwerer Urkundenfälshung lief ein. Jm Vernehmungstermin der die ersten Ermittlungen leitete, erschien nur der Ehemann, der vor dem Amtsvorsteher wie sich weiterhin ergab wahrheitswidrig angab, daß seine Schwiegermutter unter Mitnahme der gepfändeten Möbel nach Bern gereist und ihn und

vor dem Amtsvorsteher,

ihre Tochter, seine Frau, plöglidh

wurde von ihm auch {riftli an den Amtsvorsteher eingegeben, und er dabei die Unvorsichtigkeit, die Erklärung aus der Villa heraus zu datieren, die vorher bereits zwangsweise geöffnet worden war und in der sich überhaupt niemand mehr befand. Nach diesem dramatishen Eingang fänden dann noch verschiedene Beschwerden und Anzeigen wegen Betrugs und anderer Nechtswidrigkeiten statt. Darauf wurden die Leute, deren Wohnung nicht zu ermitteln war, von der

¡war beging

Straße weg verhaftet.

Meine Herren, wenn man eine Behörde in Versuchung führen will, jemanden zu verhaften ohne ausreihenden Grund, dann kann man es wirklich nit kesser anstellen, als es diese Leute getan haben!

(Sehr richtig!)

JFch glaube, wenn dieser nüchterne Tatbeftand der Broschüre, die die Ebeleute zur Illustrierung ihres Geschicks veröffentlihten, voraus- dann hätte die Schrift kaum den Anklang ge- ihrer anziehenden Darstellung gefunden hat, und vermutlich hätte dann au der Herr Vorredner den Leuten seine Nun is} eins richtig, und das ist zu bedauern. Bei der Behandlung der Frau im Gefängnis sind Regel- widrigkeiten vorgekommen kleiner Art, wie sie in jedem großen Gefängnis vorkommen können —, durch Verschulden wesentlich des Diese NRegelwidrigkeiten sind gerügt worden, und die Aussichtsbehörde hat das Nöôtige getan, um hier Ab-

geshickt worden wäre, funden, den sie vermöge

Sympathien nicht zugewandt.

weiblihen Aufsichtspersonals. hilfe zu hafen. Aber ih glaube,

besserung bédürften.

Geseßes beruhen, sondern Natur der beteiligten Beamten

der Fall wieder geeignet, die Mitglieder des hohen Hauses zu warnen vor solhen zu ihrer Kenntnis gelangenden Darstellungen mit An- klagen gegen die Behörden unter romanhaftem Aufpuß und besonders interessanter Einkleidung. Gewöhrlich ist der Hintergrund ganz anders beschaffen. Dieser Fall zeigt wieder, wie vorsihtig man sein muß, wenn man, um die Behörden zu beshuldigen, die von den Betei- ligten erzählten Dinge hier vorbringt. Die liegen eben meist anders, und zwar dann regelmäßig zu Lasten derjenigen, die der Oeffentlichkeit wahrheitswidrig ihre Mitteilungen machen, wie das das Feuthshe Ehepaar getan hat. Sie werden unter diesen Umständen Nachsicht mit den Beamten und den Behörden haben, die von dem Herrn Vor- redner in seinen Ausführungen getadelt worden sind und kleinere Ver- sehen sihch allerdings haben zu Schulden kommen lassen.

Was den Strafvollzug selbst betrifft, so habe ich in früheren Jahren verschiedentlih Gelegenheit gehabt anzuerkennen, daß eine ge- seyliche Regelung des Strafvollzugs im Reiche nötig ist. Ich habe darauf solange das Strafensystem unseres künftigen neuen Strafrechts nit mit einiger Sicherheit zu übersehen ist, wir außer Stande seien, an die Ausarbeitung eines solchen Geseyes zu gehen. Den. vor allem müssen wir doch wissen, welche Strafarten und Strafeinrihtungen in Zukunft unsere Geseßgebung vorsehen wird. In dieser Beziehung sind wir nun ein Stück weiter gelangt. fertig, der Entwurf eines neuen Strafgeseßbuhes wird im Sommer fertig gestellt, natürlich in erster Lesung, aber doch so weit, daß wir darüber orienttiert sind, mit welhen Faktoren wir bei einem Straf- vollzuggeseß in Zukunft zu renen haben; und wir können unter diefen Umständen in Autsicht nehmen, sobald wir von den Ausführungsarbeiten, Denkschriften, Begründungen usw. für den Entwurf der Strafprozeß- ordnung entlastet sind, au an die Ausarbeitung eines StrasvolUlzug- gesetzes zu gehen. Ich glaube, damit wird den Wünschen des Herrn Vorredners einstweilen entsprohen sein.

I kann aber nur wiederholen, das Sirafvollzugsgeseß wird alle die Fälle von Unregelmäßigkeiten im Strafvollzug, die hier im Laufe der Jahre zur Sprache gekommen sind, nicht für die Zukunft ver- hindern können; denn alles, was wir bei der Erörterung solcher Un- regelmäßigkeiten regelmäßig haben feststellen können, lag nicht in den Vorschriften, sondern in den Personen, die berufen waren, die Vor- schriften zu handhaben; und Personen, die nah dieser Beziehung un- zulänglih sind, wird es unter dem besten Geseße auch noch in Zukunft

nur immer

mich früher

geben.

Meine Herren, gestatten Sie mir, an diese Ausführungen noch eine Bemerkung über die Strafregister anzuknüpfen, die ja auh der Herr Vorredner berührt hat, in einer Weise, die ih vielfach als Es ift richtig, daß die Einrichtung unserer Strafregister die Beamten und die Behörden leiht verleitet, mehr Gebrauch von dem Inhalt derselben zu machen, als im einzelnen Fall durch das Bedürfnis der tatsählichen Festftellungen nôtig ist. In welcher Weise wir in dieser Beziehung auf die Praxis eine bessernde Ein wirkung üben können, das unterliegt gegenwärtig Ver- handlungen zwischen dem preußischen Herrn Justizminister und der Reichsjustizverw altung; und ih hoffe, es wird si daraus ein Resultat

zutreffend anerkennen kann.

ergeben, das wir einflweilen und

meine Herren, aus dem Falle, den ih Ihnen hier aktenmäßig vortragen habe, wird niemand den Schluß herleiten Eönnen, daß unsere Strafvollzugseinrihtungen einer geseßlihen Ver- Es handelt sich hier um Regelwidrigkeiten, die immer auch unter dem \{chönsten Geseß vorkommen werden;

denn es sind Menschlichkeiten, die nicht in den Vorschriften des auf die Mängel der individuellen

Eigennußes. Auch eine Anzeige

verlassen habe. Diese Erklärung

l

zurückzuführen sind. Dagegen ist

zurückziehen müssen, daß,

Die Strafprozeßordnung ist

Zweite Beilage

Berlin, Sonnabend, den 22. Februar

ansehen dürfen. Für die Zukunft wird ‘aber auÿ die Strafprozeß- ordnung Einschränkungen bringen, die den oft vorgekommenen und, wie. ih anerkenne, mit Recht beklagten Uebelständen abhelfen sollen. F kann auch in dieser Beziehung die Herren nur auf die Straf- prozeßordnung vertrösten, von der, wie ich wiederhole, zu hoffen ift, daß sie in kurzer Zeit zur allgemeinen Kenntnis gelangen wird.

(Bravo !)

Abg. Prinz zu S{önaih-Carolath (nl.): Die Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung is hier mehrfah in die Debatte ge- zogen worden. Ich danke dem Präsidenten, "daß er mir außer der Reibe das Wort gegeben hat. anz plôßlidy ist von der Regie- rung in Liegniß, Kirnchen- und Schulabteilung, eine Verfügung ergangen, in der gewarnt wird, Mitglied der Versammlung zu werden, Beiträge an sie zu geben und Bücher von thr zu beziehen. Diese Verfügung ist, ohne daß thr die geringste Zusicherung irgend welcher Art gegeben worden“ wäre, zurückgezogen worden. Damit war zunähst für die Gesellschaft der Fall erledigt. Nun kamen die Debatten im preußischen Abgeordnetenhause und die Erklärung des Kultusmînisters. er Kultusminister hat zunähst erklärt, wir hätten uns verständigt. Das is richtig. Um diese Ver- ständigung zu fritisieren, müßte man doch diese Verständigung kennen. In der Presse war die Rede von gewissen beanstandeten Büchern. Die dort genannten Bücher stehen gar niht im Katalog der Gesellshaft (Zuruf des Abg. Gröber). Nachdem der a mir das Wort gegeben hat, müssen Sie mih s{on bis zu nde anhören, Herr Kollege Gröber. {Fortdauernder Lärm im Zentrum ) y Vizepräsident Kämpf: Der Fall ist von dem Abg. Dr.

Müller-Meiningen zur Sprache gebras! worden, und ih erachte es für selbstverständlih, daß dem Abg. Prinzen zu Schönaich-Carolath Gelegenheit gegeben wird, zu antworten. Das entspricht den Geboten des Hauses ; 6 erteile daher nach wir vor dem Abg. Prinz zu Schônaih das Wort. l

Aba. Grö ber ersucht zur Geschäftsordnung ums Wort. ¿Der Vizepräsident Käm pf erteilt es ihm. Die Bemerkungen des Abg. Gröber gehen in dem Lärm für die Tribüne verloren; darauf meldet sih auch der Abg. Dr. Mugdan. (fr. Volkep.) zum Wort, erhält es und weist darauf hin, daß auch der Abg. Dr. Frank den Fall der Gesellshaft zur Verbreitung von olfébildung ernähnt habe.

Vizepräsident Käm p}: Die Bemerkung des Abg. Mugdan be- stätigt meine Auffassung ; ih gebe daher nah wie vor das Wort dem Abg. Prinzen zu S önaih-Carolath. |

Abg. Prinz zu Schöônaich-Carolath versucht weiter zu \prehen, vermag sih aber, da die Unterbrehungen des Zentrums fortdauern, nur sehr langsam und allmählich Gehör zu ver- hafen. Er wiederholt, daß die in der resse en Bücher in den Katalogen der Gesellshaft gar nicht existieren, und fährt dann fort: Lediglih in einem Nébenkatalog, der vorigen Juni herausgegeben worden is und versuhs8weise bestimmt is für einige populär - wissenschaftliche Wanderbibliotheken , sind * diese Bücher enthalten. Wir haben viele Tausende von Volkébiblio- theken, aber nur einige 20 Wanderbibliotheken. Wir drängen unsere Volksbibliotheken niemand auf, die Bücher werden nicht von uns versandt, sondern bei uns beftellt. Der Minister hat mir gegenüber feine Bücher

namhaft gemacht, keine Bücher auf den Index gestellt; “er hat die Auswahl der Bücher lediglich mir selbs überlassen. Jh kann nicht einsehen, wie man nun der Gesellshaft und ihrem Vorstand vorwerfen kann, daß sie unzulässiger Weise nachgegeben haben. Die genannten Bücher sind von uns nur in zwei bis fieben E gefordert worden ; das beweist, daß die Nachfiage nah diejen Büchern doch nicht so groß ist, wie man vielleicht annehmen könnte. Nähere Mitteilungen behalte ich mir für die Sißung des Zentralaus\{husses der Ge- sellschaft, die ih für Montag einberufen habe, vor. Es braucht niemand das Vertrauen zu der Gesellschaft zu verlieren. Die Gesellschast wird wie bisher geleitet werden; ih habe sie übernommen von Heinrih Rickert reihgesegneten Andenkens; Q werde sie in seinem Geiste fortführen, unbekümmert um alle Angriffe, von welher Seite sie au kommen. Die Gesellshaft bezieht weder cinen Staats- noch einen Neichszuschuß. Unser Volk hungert und dürstet nah dieser Lektüre ; zu einem Träk- täthen-Verein können wir niht herabsinken, sons würden uns unsere Freunde im Lande verlassen. Wir verteilen gute, patriotishe Bücher, wir pflegen die Liebe zu Kaiser, Fürst und Vaterland, aber in einem freiheitlihen Sinne. Mit solchen Angriffen treibt man unsere Freunde ledigli in das Lager der Sozialdemokratie.

Abg. Freiherr von Malyan (dkons.): Der Abg. Frank hat mir vorgeworfen, daß ih den Abg. Stadthagen mit dem Vornamen angeredet habe. Ih habe das zweimal getan, ih habe niht gewußt, daß das niht der Sitte des Hauses entspriht. Im übrigen sehe ih gar keinen Schaden darin, daß man mi Ludolf anredet. Dann hat der Abg. Frank behauptet, ih machte hier Unterschiede zwischen bürgerlihen und adligen Abgeordneten. Von einem \o hoh gebildeten Manne wie dem Abg. Frank hätte ih \solchen Vorwurf niht er- wartet. Ih mache auch niemand einen Vorwurf wegen sciner Kon- Einem R geo ne der en Maren nus E

ließlih die Galle überlaufen, wenn er dre unden lang die u i Justiz so angreifen hôrt. Der Abg. Frank sagte, das ehren- gerihtlihe Urteil gegen den Abg. Stadthagen solle im Vorwärts abgedruckt sein. In der von ihm genannten Nummer ist das Urteil nicht abgedruckt, sondern nur eine von Stadthagen selbst ver- faßte Darstellung. Aber in Band VI der Entscheidungen dcs Ehren- gerihts deutscher Rechtsanwalte ist es abgedruckt, und auf Grund desselben halte ih alle meine Behauptungen aufrecht, insbesondere, daß seine Angabe im Handbuch für den Reichstag in Widerspruch steht mit den Tatsachen. Er is verurteilt wegen Verschleierung eines Tatbestandes und wegen zu hoher Gebührenerhebung. Im übrigen möchte ich nochmals ganz furz die Ansicht vertreten, daß ein Mann, der von seinen eigenen Standeégenossen wegen so \{chwerer Mee bertesueng audgeligten ist, nicht berufen ist, den deutschen Richtern ier Moral zu predigen. Me Abg. Weruet b. Rfp.) protestiert gegen die {weren Vorwürfe, die der polnishe Abg. Seyda den „hafkatistishen“ Richtern in den polnischen Landesteilen gemacht hat. Die Gewährung von Diäten an Schöffen und Geshworene müsse so bald wie irgend möglih Tat- fahe werden. Die Resolution wegn einheitliher Regelung des Strafvollzuges werfe ebenfalls eine öhst dringlihe Forderung auf, der Fall des Hauptmanns bon öpenick allein \chon gebiete, daß endlich der Strafvollzug modernisiert werde. In dem Punkte des Gutachtens bezüglich des Geisteszustandes der ürstin Wrede sei formell nicht gegen das Geseß verstoßen worden. Aber er interpretiere den § 81 dahin, daß unter öffentlichen JIrren- anstalten staatlihe oder unter Aufsicht des Staates stehende An- stalten zu verstehen seien. Das Irrenwesen müsse überhaupt resorwiert werden, und das Strafgeseßbuh dahin, daß der Hehler wie der Stehler in solhen Fällen zu bestrafen sei. “Mit Recht habe der Abg. von Malyan hervorgehoben, daß gleihes Recht für alle vor- handen sein müsse; ohne Ansehen des Glaubens, “Standes und der Nationalität me die Gerichte entsheiden. In manchem könne er,

fession.

‘als Handwerker zum Justizetat das Wort nehme.

öniglich Preußischen Staatsanzeiger.

1908.

zukommen, die geseßlihen Bestimmungen reihen auch nach einer Auskunft des Berliner Polizeipräfidiums nicht aus. Diese Erklärung des Polizeipräsidiums müsse dem Reicbstage die Frage nahe legen, ob hier nit eiwas gesehen müsse. Ec beziehe ih in dieier Bes ziehung nicht etwa bloß auf konservative Zeitungen. Selbit die liberalen Berliner Neuesten Nachrichten verlangen eine Abhilfe. Der Deutsche Gastwirtsverband habe eine Aenderung des § 811 Z.-P.-O. gewünscht, der die Gastwirte gegenüber anderen Personen diffe:enziert, und eine Entschädigung für Schaden bei Krawallen gefordert. Das deutshe Volk verdiene ein besseres Necht, ein Recht, welches gut und brauchbar sei und-seinen Wünschen entsprehe. #4 Abg. Göring (Zentr.): Jch bitte um Entschuldigung, ih Fch will hoffen, daß ih diesmal meine Ausführungen werde machen fönnen, ohne zur Sache gerufen ¿u werden. Soll das Handwerk nicht das Aschenbrödel der sozialen Gesetzzebung sein, - so muß etwas mehr für dasselbe gesehen; es muß bei Submissionen der Behörde mehr berücksihtigt werden. Die Gefängnisarbeit muß eingeschränkt werden, der Staats- sekretär kann in diesem Sinne auf die bundesftaatliche Verwaltung einwirken, da ihm der Strafvollzug untersteht. Verschiedene Hand- werkskammern, insbesondere die von Liegniß, haben sfih a den preußi- hen Justizminister gewandt und einen Schuß des Handwerks gegen die Gefängnisarbeit erbeten. Neuerdings find diese Klagen auch vom Handwerkertag in Eisenach zum Ausdruck gekommen. Meine Fraktion hatte durch den Abg, Erzberger im Reichstag eine Resolution eingebraht, die zunähst “eine Denkschrift verlangt über die Wirkung der bisher erlassenen Vorschriften. Es haben nun Gr- hebungen stattgefunden, die uns aber nur zum Teil befriedigen können. Bei Arbeitélöhnen von 58 bis 70 4 für den Tag, wie sie, für die Gefangenen berechnet werden, können die andwerker niht fkonkurrieren. Ueber diesen Punkt und andere wichtige Punkte enthält die uns zugegangene Denkschrift nihts. Soll etwa in den Strafanstalten das freie Spiel der Kräfte zum Nußen des Groß- unternehmertums walten? Die Statistik \priht entschieden für diese Annahme. Nach den herrschenden Grunktsäßen ist anzunehmen, daß die Gefängnisse zu Fabriken für die Gro betriebe umgewandelt werden sollen. Alle Standesamtsregister z. B. werden in Straf- anstalten hergestellt, wodurch die Buchdrucker und Buchbinder empfindlich gescädigt werden. Die bestehenden Grundsäße müssen dahin geändert werden, daß auf die bestehenden freien Hand- werksbetriebe in der Nähe der Gefängnisse mehr Rücksicht ge- nommen wird. In den Grundsäßen für die Gefängnisarbeit steht au, daß die freie Arbeit nicht unterboten werden solle. Danach wird aber nicht verfahren, wie {hon die vorher angeführten Lohnsäße beweisen. Eine gänzlihe Beseitigung der Gefängnis- arbeit wünshen wir ja nicht, {hon aus erzieherischen Rücksichten Die Arbeitskraft der Gefangenen darf aber nit ausgenußt werden, um der freien Arbeit Konkurrenz zu machen. Mit den Unternehmern dürfen keine langfristigen Verträge von den Anstalten abgeschlossen werden, der Maschinenbetrieb in den Strafanstalten muß beseitigt und die Handarbeit durchgeführt werden; die Gefangenen dürfen , feine Maschinendiener sein. Das widerspriht dem Zweck der Straf- vollstreckung und \chädigt den hohachtbaren Stand der Handwerker. Weiter verlangen wir eine Einschränkung der Arbeitszeit der Ge- fangenen. Die Gefangenen follten sich mehr in freier Luft bewegen und in der Landwirtschaft, bei Kznalbauten usw. beschäftigt werden oder mit Arbeiten, die dem Veredelungsverkehr dienen. Es handelt ch hier um eine überaus wichtige Frage. Der Staats- ekretär des Innern hat der deutshen Landwirtschaft neulih seine Unterstüßung zugesagt, wir freuen uns darüber. Eine folhe Unterstüßung göônne ich auch der deutschen Arbeiters schaft. Aber eine ebensolhe Unterstüßung verdient au das deutsche e! wegen seiner großen Bedeutung für die Zukunft in seinem ampfe mit der Großindustrie.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Es ist für uns eine besondere Genugtuung, zu sehen, daß der Inhalt der Denkschrift über das Gefängniswesen, die im vorigen Jahre dem Reichstage vorgelegt wurde, und die uns viel mehr Mühe, Zeit und Arbeit gekostet hat, als Sie vielleiht glauben (Zurufe: Glauben wir !), mit folhem Interesse hier im Hause verfolgt wird, wie die Ausführungen des Herrn Vorredners es ergeben. Aber ih habe do einige Besorgnisse, ob die Denkschrift niht den Herrn Vorredner auch zu mancherlei Mißverständnifsen über die wirklichen Verhältnisse und infolgedessen zu unrichtigen Urteilen über die Intentionen der Regierungen und der Gefängnisverwaltungen - ver- [eitet hat.

Meine Herren, für die verbündeten Regierungen und für die einzelnen Gefängnisverwaltungen kann es ja kein dringenderes Interesse geben, als die Beschästigung der Gefangenen in den einzelnen An- stalten so einzurichten, daß die freie Arbeit und insbesondere die

Handwerkerarbeit möglihsstt wenig durch den Anstaltsbetrieb berührt wird; Einschränkungen nach dieser Richtung hin vorzunehmen, die die Anerkennung der in freier ehrliher

Arbeit tätigen Kreise gewinnen, kann ja den Verwaltungen mur Ans erkennung bringen und willkommen sein. Aber, meine Herren, das erste Gebot für die Gefängnisse ist: Arbeit muß da sein, der Ge- fangene muß arbeiten. Das gehört zu feiner Gesundheit, das gehört zu seiner Erziehung, und es wäre geradezu unmens{chlich, wenn man den Leuten nit ihre Arbeit geben wollte. Da ist denn nihts anderes zu machen, als diejenigen Arbeitsbetriebe für die Beschäftigung aus- zuwählen, die in ges{hlofsenen Räumen überhaupt h verwerten lafsen.

Nun hat der Herr Abgeordnete \sih daran gestoßen, daß die Denk- \hrift meint, es soll nußbringende Tätigkeit in den Gefängnissen statt- finden. Ja, soll denn die Tätigkeit, die den Gefangenen überwiesen wird, überhaupt keinen Nutzen bringen? Soll denn die Arbeit, die von den Gefangenen verrichtet wird, etwa wieder vernihtet werden ? Wenn Sie eine Arbeitstätigkeit haben wollen, die naher verwertet werden kann, so muß sie so eingerihtet werden, daß fie auh Nuyen bringt. Selbst der Gefangene muß das Bewußtsein von diesem Wert seiner Arbeit haben. Darin liegt ein moralisher Gewinn für seine Erziehung. Wenn es nach dem Wunsche des Herrn Vorredners gehen sollte, darn dürften keine maschinellen Einrichtungen getroffen werden in den Ge- fängnissen, es müßte nur Handarbeit in den Gefängnissen gestattet werden. Ja, meine Herren, damit würde man gerade die in Freiheit geübte einfahe Handwerkerarbeit am allerempfindlichsten treffen. Durch die maschinellen Einrichtungen wird ja zum Teil die Möglichkeit gegeben, die Betriebe in den Anstalten auf solche Produktionen hin- zuführen, welche den Betrieb der Handwerkerkreise niht berühren. Wollten wir alle maschinelle Arbeit aus den Anstalten entfernen, dann

zunächst als eine befriedigende Lösung

Redner, mit seinem Blockbruder Dr. Müller - Meiningen ein- ea fe "Den Schandsch1iften sei allerdings \s{chwer bei-

würden \ich die Folgen davon in sehr nachteiliger Weise für die freien