1908 / 47 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 24 Feb 1908 18:00:01 GMT) scan diff

auszubilden haben und keine Offiziere, an denen leider bei dem Ueber- fluß der akademish Gebildeten kein Mangel ist. Ih kann nur wünschen, daß in diesem Sinne der Kultusminister mit dem Handels- minister Hand in Hand qus In bezug auf das Maschineningenieur- wesen kann ih dem Minister nur die Mahnung zurufen: Laß Dich von dem System Riedler niht umgarnen!

Ministerial direktor Dr. Naumann: Ih würde den Ausdruck „übertrieben“ niht gebrauht haben, wenn ih geahnt hätte, daß der Vorredner ihn auf seine eigenen Aeußerungen bezogen hätte. Jch habe ihn auf die ihm von verschiedenen Seiten zugekommenen Mit- teilungen bezogen. Dem System Riedler werden wir nah den Aus- führungen des Vorredners näher treten; es wird in aller Unparteilich- keit geprüft werden, ob die Auffaffung des Vorredners zutreffend ist. Was die jeßige Frequenz der III. Abteilung der Charlottenburger Hochschule anbetrifft, so ist sie nah Ansicht der Regierung greß genug. Die Abs teilung wünscht dringend, daß die Frequenz zurückgeht. Das ist auf \sahlihe Gründe zurückzuführen und foll der Vertiefung des Studiums dienen. Was das Verhältnis der Maschinenbauabteilung zur Schiff- bauabteilung betrifft, so ist legtere im vorigen Jahre an den Minister mit dem Antrag hberangetreten, es möchte in größerem Umfange als bisher der Unterriht der Maschinenbauabteilung übertragen werden. Denn die Ausbildung ihrer Studierenden erfolge zum größten ‘Teil durch die Professoren, die dér Maschinenbauabteilung angeharen: Der Minister bat angeordnet, daß auch die Maschinenbaua teilung sich zu diesem Vorschlage äußern folle. Die Maschinenbauabteilung hat am 30. Januar dazu Stellung genommen, und zwar in ganz anderem Sinne als dec Abg. Dr. Beumer in der Budgetkommission. Die Sciffbauabteilung ist niht vernachlässigt, sondern, wie ihr \{chon der Minister Studt zugesagt hat, besonders gepflegt worden und wird au weiter gepflegt werden. In dem vom Vorredner erwähnten Laboratorium werden die Studierenden eingehend unterrichtet, und es sind auch einige Arbeiten abgedruckt. In dem Laboratorium des Professors Niedler find seit vier Wochen die Vcaschinen teilweise aufgestellt. Professor Riedler hat sih verpflihtet, die übrigen alsbald noch auf- stellen zu laffen. Ueber das Verhältnis der technischen Hochschulen zu den Mittelshulen und Maschinenbaushulen {weben Verhand- lungen zwishen dem Unterrichtsminister und dem Hantelsminister. Die Bedürfnisse werden geprüft werden, und wir werden zu einer

Einigung kommen.

Abg. Dr. Beumer (nl.): Meine herbe Kritik bezieht \ih auf die im Maschineningenieurwesen herrschenden Mißstände. Tatsache ist, daß Professor Riedler noch für 38 400 Maschinen nach-

zuliefern hat.

Bei den Ausgaben bemerkt

Abg. Münsterberg (fr. Vgg.): Die tehnishen Hochschulen unseres ganzen Landes stehen vollkommen auf der gleihen Höbe wie unsere Universitäten. Nah den Worten des Königs foll ein Unter- \hied zwishen beiden nicht mehr bestehen. Ich hoffe, daß sich dies niht nur auf die Verleihung von akademishen Graden bezieht. Ein Uaiversitätsprofessor hat allerdings vor kurzem einmal aus- gesprochen, die tehnishen Hochschulen seien eigentlih keine wissenschaftlihen Anstalten. Man darf zum Beweise des Gegenteils nur auf das große Maß geistiger Arbeit hinweisen, das an den tech- nischen Hochschulen geleistet wird, wenn ihnen auch die befondere Aufgabe zufällt, praktisGen Zwecken zu dienen, Wissenschaft und Leben, Wissen und Können zu vereinen. Wir müssen ver- langen, daß beide Institute gleihmäßig behandelt werden. Die hauptsächlidhsten Unterschiede aber find folgende : der Professor an der Hohshule unterliegt wie jeder Beamte dem preußischen Pensionsgesez. Die Univerjitätslehrer haben Anspruch auf ihr ganzes Vorlesungshonorar bis zu 3009 A und bis zu 50 9% des über- \chießenden Betrages. Bei den technischen Hochschulen kennt man einen \olhen Verteilungsmaßstab niht. Dort hat der Professor nur Anspruch auf ein Viertel des Vorlesungshonorars. Die Universitäten haben das Präsentationsrecht zum Herrenhaus. Die tehnishen Pro- fefsoren werden zwar auch ins Herrenhaus berufen, aber der freie Wille der Staatsbehörde is nicht dasselbe wie ein kraft des Gesetzes beigelegtes Ret. Bei der Univerfität wird der ordentliche Professor voa der Fakultät erwählt, bei der Technischen Hohschule wird er er- nannt. Au bei der Rangordnung besteht ein wesentliher Unter- schied: die R bie ta haben durhweg den Nang der Râte zweiter Klasse, die der tehnischen Hochschule dritter lafse. Diese materielle und ideelle Differenzierung muß beseitigt werden.

Minister der geistlihen, Unterrihts- und Medizinalargelegen- heiten Dr. Holle: Die Universitäten und die Tehnishen Hoch- \chulen stehen fih von tländig gleich und werden auch dem emäß von der Zentralverwaltung behandelt. Im übrigen sind fie in ibren Zielen natürlich ganz vershieden und baben ihre besonderen Aufgaden. In der Beziehung kann natürli eine gleitmäßige Be- andlung niht Play greifen. Die Gehälter an den Universitäten LER ih hiftorisch entwickelt; sie sind für Berlin und die Landes- universitäten in verschiedener Höbe festgeseßt; aber dem Vorredner ist bekannt, dah mit jedem Professor je nah der Beurteilung, je nach seiner wissenshaftlichen Bedeutung individuelle Gehaltésäßge vereinbart werden. Das Präsentationsrecht der Universitäten beruht auf Geseg. Für die Technishen Hohshulen ift der Erlaß eines solhen Gesetzes nicht notwendig geworden, weil von ihnen ein Vertreter aus Aller- bôcstem Vertrauen ins Herrenhaus berufen is. In den Forderungen der Professoren an den Technischen Hochschulen liegen gewisse Schwierig- keiten. je find viel höher und erfordern so hohe finanzi:lle Mtttel, wie viellciht nur noch die Medizinalprofessoren an den Universitäten. Die Gleichstellung der Rektoren der sämtliGen Technishen Hoch- \chulen mit den Rektoren der Universitäten und dem Rektor der Technischen Hochschule in Charlottenburg wird- in wohlwollende Er- wägung gezogen.

Abg. Rosenow (fr. Volksp.): Ueber Woblfahrtseinrihtungen und Verwandtes wird wohl an den technishen Hohshulen in Hannover und Aachén, sowie in München, Stuttgart, Zürich usw., aber nit in Charlottenburg gelesen, wo vielmehr ein Kolleg über Unfallverhütung ehalten wird. Auf mehrfahe Anfragen im Reichstage erklärte Graf osadowsky, es sei an die preußishe Regierung eine darauf bezügliche Anregung erfolgt. Natürlih müssen die Reichsbehörden den größten Wert darauf legen, denn es kbängt ja davon wesentlich der Erfolg der ganzen Arbeitershußgeseßgebung ab. Namentlich müssen die Betriebsleiter und Ingenieure eine gründlihe Ausbildung nah dieser Richtung bin erfahren. Man braucht ja nur die hohe Unfall- zahl z. B. im Betriebe der rheinishen Hütten- und Walzwerke an- zusehen, um die Dringlichkeit dieses Verlangens zu begreifen. Sn einer Bauarbeitershußzstudie eines Münchener Schriftstellers wird ausgeführt, daß weitere Crfolge auf dem Gebiete des Bauarkbeiter- \hutes nur dann erreiht werden könnten, wenn den Technikern bereits auf den Hochschulen die unbedingt erforderlihen gewerbebygienishen Kenntnisse beigebraht werden; dadur erst erkenne der Bau- unternehmer und der Architekt, daß es für ihn dem Bauarbeiter gegenüber niht, nur Rechte, jondern auch Pflichten gibt ; etwae, worüber bisher ‘so gut wie gar keine Unterweisung existierte. Das ist eine shwere Anklage, die aus der Welt geschafft werden muß. Es ist kaum noch ein Wort darüber zu verlieren, daß die eminente Krankheitsgefahr in allen mit Blei arbeitenden Industrien, sowie die unaufhaltsam fortschreitende Entwicklung der chemishen Ins dustrie mit ihren hô4st gesundheitsgefährlihen Betrieben die Forderung der gewerbebygienishen Ausbildung der Ingenieure immer dringliher werden lafsen. Die. Industrie ist sich heute, darüber einig, daß die Erhaltung von Leben und Gesundheit der Arbeiter \{ließlich den Arbeitgebern Ne kommt. Auch von weitshauenden Technikern ist das hon zugegeben worden, ebenso ergibt sih das aus den Berichten der Gewerbeinspektoren. Werden nun solhe Vor- [efungen:an den technishen Hochschulen eingerichtet, fo sollten fie nit von reinen Theoretikern, sondern von Männern gehalten werden, d auch über ein gewifffscs Maß von Praxis verfügen. Jm Etat für 1906 befand fh bereits eine Forderung von 1500 G für einen Dozenten der Gewerbehygiene; der Betrag ift aber wieder verschwunden. Ih begreife nicht, wie das- hat stattfinden können.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Holle:

Meine Herren! Die Ausführungen des Herrn Vorredners find sehr beahtenswert. Die Unterrichtsverwaltung hat aber bereits auf dem Gebiet der Hygiene verschiedenes getan. In Aachen ist hon eine Dozentur für Bauhygiene eingerihtet, und in Berlin eine Dozentur für Gewerbehygiene geschaffen. Die Verwaltung ist augen- blicklih auf der Suche nah einer geeigneten Kraft, die die leßt- genannte Dozentur übernehmen kann.

Damit schließt die allgemeine Debatte.

Bei den Ausgaben für die Tehnishe Hochschule in Aachen betont ;

bg. Macco Ce daß seine Ausstellungen vom vorigen Jahre BE E rg E e E der Denen P bte u

t auf die hem und elettro e 4

E hätten; er dankt dafür, daß der Hohschule das Eisenbahngelände zur Verfügung gestellt worden sei.

Bei den Ausgaben für die am 1. Januar 1909 zu er- öffnende Technische Ho tri in Breslau (es sind im Etat die Mittel für aht Professuren in Aussicht genommen)

bemerkt Abg. Dr. Wagner (kons.): Die Handelskammer in Breslau hatte

{on im Jahre 1905 dem Staatsministerium den Wunsch ausgesprochen, in der neu zu errihtenden Technishen Hochschule in Breslau auch für den Unterricht in den Handelswissenshaften zu sorgen. Im vorigen Jahre hat sie von der zuständigen Stelle den Bescheid erhaltea, daß es nicht angängig wäre, in der von ihr gewünschten Form derartige Vorlesungen einzuführen. Es wurde ihr geraten, doch in freierer Form bandelswi enshaftlihe Vorträge zu ver- anstalten, woran die Studierenden der Technischen Hochschule teilnehmen fönnten. Diese Antwort hat die Handelskammer nicht befriedigt. Sie wünscht ja gar nicht eine besondere handelstehnische Abteikung an der Hochshule, sondern nur Vorlesungen auf handelswifsenschaft- lihem Gebiete an der Hochschule vielleicht im Nebenamt, jedenfalls aber unter staatlicher Autorität. Die Interessenten sind bereit, ihrer- seits Zuschüsse zu den Kosten oder eine angemessene Garantie zu leisten. Vielleicht entshließt si der Minister doch noch, den Wünschen der

andelskammer näher zu treten. ; 9 Ministerialdirektor Dr. Naumann: Der Minister hat sih wieder-

holt bereit erklärt, nah dieser Richtung helfend einzugreifen. Es foll an der künftig zu errichtenden Howhschule in Breslau den Professoren ge- stattet sein, Unterricht in den Handelswifsenschaften au für andere zu erteilen; es kann nur nicht der Wunsh auf Eingliederung dieses Unterrichts in den Organismus der Hohshule erfüllt werden. Die Aufgaben der Technishen Hochschule sind feft umgrenzt, und an den bestehenden Grundsäßen darf nit gerüttelt werden. Die technischen Hochschulen haben den Zweck, bestimmte Beamtenkategorien für den Staat vorzubilden, höhere Techniker vorzubereiten, und darüber hinaus- zugehen, empfiehlt sfih nicht, aber der Minister ist, wie gesagt, bereit,

elfend einzugreifen. E Abg. Dr. W agner (konf.): Gegen diesen rualagl Wen Standpunkt

läßt sih ja niht ankommen, aber vielleicht läßt fih die Sache auf dem Wege eines Kompromisses machen, dadur, daß den Interessenten für diesen Unterriht Räume der Technischen Hochschule zur Verfügung gestellt werden. i

Das Ordinarium der Technischen Hochschulen wird genehmigt.

Unter den einmaligen und außerordentlichen Ausgaben für die Tehnishen Hochschulen befindet sih eine ganze Reihe von Titeln für die künftige Tehnishe Hochshule in Breslau.

Abg. Dr. Wagner macht darauf aufmerksam, daß darin sich auch ein Titel für unvorhergesehene Ausgaben befindet. E3 sei rihtiger, solhe Ausgaben im nächsten Etat unter einen Titel „Ins-

gemein“ zu telle. : 4 Das Extraordinarium wird bewilligt.

Bei den ordentlihen Ausgaben für das Medizinals

wesen weist

Abg. Dr. Ruegenberg (Zentr.) auf die große Bedeutung der Kreisärzte hin und beschwert Fi über das langsame Tempo, in dem die nicht voll besoldeten Kreisärzte in voll besoldete Stellen einrüden. Auch die Pensionierungsverhältnifse der nicht voll besoldeten Kreis- ärzte bedürften dringend einer Verbesserung.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Holle:

Auf die leßte Anregung des Herrn Vorredners möchte ih be- merken, daß die Angelegenheit der Kreisärzte mir besonders am Herzen liegt, weil mir wohl bewußt ist, welche Bedeutung die Erhaltung gesundheitlich einwandfreier Verhältnisse für unsere Volk3massen hat, und daß diese Sorge im wesentlihen bei uns in den Händen der Kreisärzte liegt.

Bei Vorlegung des Kreisarztgesezes war davon ausgegangen, daß die nit Vollbesoldeten die Regel bilden, während die Vollbesoldeten nur ín ganz vereizzelten Fällen in Betrat kommen sollten. Die Praxis hat mehr und mehr dahin geführt, die Zahl der vollbesoldeten Kreisarztstellen zu erhöhen, und diese Entwicklung wird weiter gehen, weil die Anforderungen der Aufsihtébehörden an die Tätigkeit der Medizinalbeamten stets gesteigert werden, da die Sorge der Behörden für die Gesundheit der Bevölkerung in den legten Jahren stets gestiegen ist und voraussihtlich weiter zunehmen wird.

Wenn nun in diesem Jahre sechs neue Stellen eingestellt find, so ist das eine Zahl, wie sie bis dahin noch nit erreiht ist, die aber gegenüber der großen Zahl von 470 verbleibenden nit voll Befoldeten nur eine kleine if. Hiernach werden in Zukunft 43 vollbesoldete Kreisärzte vorhanden sein, denen nur 6 voll Besoldete gegenüberstehen.

Wenn der Herr Vorredner auf die Pauschalierung der Reisever- gütungen der Kreisärzte hingewiesen und diese Anordnung bemängelt hat, so darf ih bemerken, daß die Verwaltung damit nur den Vor- gängen gefolgt ist, die bei einer großen Zahl anderer Beamten bestehen, eine Einrichtung, die für den Beamten viele Vorteile hat. Es hört die Einzelliquidation auf, er bekommt seine Pauschalsumme und kann frei disponieren, ohne Einwendungen befürhten zu müssen, er ist durhch diese freie Disposition in der Lage, seine Reisen billiger und ¡weck- mäßiger einzurihten. Die Pauschalierung selbt ist auf einer durchaus günstigen Grundlage erfolgt, günstiger wie bei anderen Beamten, und zwar so, daß 90%/% der Gesamtkosten, die 1905 entstanden sind, in den Fonds hineingegeben sind. Davon werden 80 %/% verteilt, 10 9% als Reserve zurückbehalten, um solchen Beamten, die zu einer besonders gesteigerten Reisetätigkeit genötigt worden, nacträglich durch entsprehende Zuschüsse helfen zu können. Fh darf insbesondere den Herrn Vorredner darauf hinweisen, daß im Fall des Ausbruchs einer Epidemie und einer dadurch herbet- geführten Jnanspruhnahme über das sonst übliche Maß der Reisen hinaus die Aufsichtsinftanz den betreffenden Kreisärzten eine. besondere Entschädigung dafür zuteil werden lassen wird. (Bravo!) Bezüglich der Amtsunkostenentschädigung der Kreisärzte sind Berichte einge- fordert und unterliegen z. Zt. der Prüfung. Die Prüfung ift noch nicht beendet. :

Kreisärzte gleihmäßige Summe von 2250 4 bei der Pensions»

berechnung neben der Besoldung zu Grunde gelegt werden. Das be-. deutet natürlih für die niht voll besoldeten Kreitärzte eine ganz wesentlihe Verbesserung und namentli auch eine Gleichstellung aller Beamten dieser Kategorie, die während ihrer Dienstzeit dieselben Funktionen versehen und daher au auf eine gleihbemefsene Pension

Anspruch haben. Die Erledigung dieser Angelegenheit hängt zusammen mit der

Vorlage soll noch in dieser Session geschehen. Nach dem Zustande- kommen dieses Gesezes wird die Abänderung des jehigen Etats-

vermerks über die Pensionierung erfolgen. Es war darum auch eine vorherige Einstellung in den vorliegenden Etat nit möglich. Sie wird erst durch den nächsten Etat zur Ausführung kommen.

Die Anregung, das Beamtenfürsorgegeseß von 1903 auf die Kreisärzte auszudehnen, wird in wohlwollende Erwägung genommen

werden. (Bravo!)

Abg. Dr. Heis ig(Zentr.) weist unter Bezugnahme auf die amtlichen Mitteilängen der E O ilung des Kultusminifteriums darauf hin, daß die Sachsengängerei, noch mehr aber der Ab- und Zugang der Ausländer sehr viel zur Verbreitung der übertragbaren Krankheiten beitrage. Viele ausländishe Arbeiter müßten vom 15. Dezember bis 6. Januar nah ihrer Heimat zurückgehen und kämen daun als Bazillenträger wieder zu uns. Impfungen, Desinfektionen usw. müßten alljährlih wiederholt werden. Augenblicklich leide der Often und besonders Oberschlesien unter der Besorgnis, daß die echten Pocken eine weite Verbreitung erhalten könnten, zumal die grassierende Influenza die Schußpockenimpfungen verzögere. Der Redner berührt ferner die amtlihen Mitteilungen über das Kindbetts- fieber, das vielfah auf fkriminellen Abortus oder Hebammen- pfusherinnen zurückzuführen sei. Die Etatsposition von 50 000 4 zur Förderung des Hebammenwesens sei zu begrüßen, aber man werde \{ließlih um ein Hebammengeseß niht herumkommen. Im E wesen der ländlihen Arbeiter sei {hon vieles verbessert, a vielfach seien die Wohnungen der ländlichen Besißer noch \{chlechter als die der Arbeiter. Die obligatorishe Leichenshau dur Aerzte könne auf dem Lande, wo sie am nötigsten wäre, wegen der bohen Kosten niht eingeführt werden, und dort, wo fie nach der Einführung der Änzeigepfliht für übertragbare Krankheiten entbehrlih sei, könne sie zu argen sanitären Uebelftänden führen. Denn man habe z. B. aus Ersparnisrücksichten Kinderleichen in die Sprechstunde des Arztes gebraht. Der Redner ersucht namens seiner politishen Freunde um eine Mitteilung, wie weit die Leichenshau eingeführt set, und bittet um Aufhebung dieser kostspieligen, fast gänzlich nußglosen, ja gefahrdrohenden Einrichtung, die selbst nach amtlichen Mitteilungen vielfa als drückend von der Bevölkerung empfunden werde. Geheimer Obermedizinalrat Dr. Kirchner : Die Befürchtung, daß die ausländischen Arbeiter Krankheiten einshleppen, ist berehtigt, und Fahr für Jahr müssen für die Abwendung der Gefahr immer mehr Koften aufgewendet werden. Eine Pockenepidemie im Regierungsbezirk Oppeln ist jedoch niht zu befürhten; es sind nur vereinzelte Fälle vor- gekommen, die si auf 14 Ortschaften in 7 Kreisen verteilen. Die regelmäßigen Impftermine haben zum Teil verschoben werden müfsen, aber die Bimpbe ist auch troy der späteren Impfung wirksam. Die ausländischen Arbeiter werden hon seit Jahren beobachtet und werden nit hereingelassen, wenn sie sich_ nicht an Ort und Stelle auf Fnfektionskrankheiten untersuchen lassen. Bei den Verhandlungen über das Reichsgeseß zur Bekämpfung der gemein efährlihz:n Krankheiten sowie bei denen über die bezüglichen D n Geseße ist immer hervorgehoben worden, wie wichtig die Einführung der obligatorischen Leichenschau sei. Bei dem ersten Fall einer Podkenerkranung im Fahre 1905 konnte weiteres Unheil nur mit Hilfe der Leichenschau verhindert werden, da nur dadurch der Ee aufgeklärt wurde. Es ift bereits vorgesehen, daß bei der Gefahr einer Epidemie die obligatorische Leichenshau angeordnet werden kann. Wir haben bisher davon Ab- stand E d PMigaianiWe Tr SemGan allgemein einzuführen, e besteht aber beretts in 2 rtschaften. N Ao Lüdicke (frkons.): Die niht voll besoldeten Kreisärzte sind vielfach in einer wenig beneidenswerten Lage, namentlich dann, wenn ibre amtlihe Tätigkeit sh so gesteigert hat, des sie eine Privat- praxis nicht mehr ausüben können. In diesem Falle müssen sie zu voll besoldeten gemacht werden. Man brauht nit zu befürchten, daß sie dadurh aus der Praxis herauskommen. Jedenfalls muß für Vermehrung der Stellen der voll besoldeten gesorgt werden. Einerseits kann der Mann in einer niht voll besoldeten Stelle nit bleiben, wenn er feine Privatpraxis mehr ausüben kann; anderseits fommt der auf Privatpraxis angewiesene Kreisarzt leiht in ein \chiefes Verhältnis zu den übrigen Aerzten wie zu seinen Patienten. Die erwähnte Pauschalvergütung für Kreisärzte, an die besondere Ansprüche beim Ausbruch von Seuchen gestellt werden, beläuft fih auf nur 1700 Æ und bleibt damit z. B. hinter derjenigen der Bau- beamten zurück. Die heutige Besoldung der Geri tsärzte, drei Stufen von 1800, 2250 und 2700 #, dazu pensionsfähige S von 1200 M, stellen sich ebenfalls als keineswegs efriedigend dar. Endlich lenke ich die Aufmerksamkeit des Ministers auf die Notwendigkeit erweiterter Krüppelfücforge, für die gegenwärtig lediglih die Privatwohltätigkeit aufkommt. Es gibt W Ls Krüppel unter 15 Jahren, für die zum Teil ar nichts geschieht. 4 r i le Botausénne dafür ist aber eine einwandsfreie Statistik. Eine solche is hon im vorigen Jahre aufgenommen worden, ihre Ergebnisse werden uns wohl demnächst vorgelegt werden. An Stelle des bisherigen Zustandes empfiehlt sih die Ausdehnung des Ausführungs- gesetzes zum Unterstüßungswohnsißzgese auf die Krüppel, Die daraus erwahsende Belastung für die Provinzialverwaltung dürfte freilih fo groß sein, daß wahrscheinlih eine sehr erheblihe Staatsdotation er forderlich werden wird. Vielleicht empfiehlt si auch ein gemischtes System, die Unterbringung in Privatanstalten mit staatlicher Unier- stüßung. Jedenfalls ist es hon vom Standpunkte der Menschlichkeit Seis daß auch die Regierung hier eingreift.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Holle:

Meine Herren! Bezüglich der Krüppelfürsorge ist im vorigen Fahre vom Regierungstisch die Erklärung abgegeben, daß die Re- gierung dieser Frage wohlwollend gegenüberfstehe, aber zunächst eine

Erhebungen sind inzwischen veranlaßt; das Material ist eingegangen und wird zur Zeit verarbeitet. Sobald die Bearbeitung so weit ift, wird die Entscheidung zu treffen sein, wie den Krüppeln geholfen werden soll. Dèr Herr Vorredner hat bereits darauf hingewtesen, daß dabei verschiedene Wege in Betraht kommen, die natürlich er wogen werden müssen. Ih halte es für bedenklih, die Fürsorge den Provinzen aufzuerlegen, - da fie als Entgelt eine neue Dotation be anspruhen würden. Wegen dieser Schwierigkeit wird die Ginschlagung dieses Weges noch manche Bedenken haben.

(Sé&luß in der Zweitén Beilage.)

Bezüglich der Pensionierung wird in Zukunft an Stelle des bisherigen

dreijährigen Gebührendur{hschnitts eine feste, für alle nit volbesoldeten

Vorlage des Gesetzes, betreffend die Gebühren der Kreisärzte. Diese

Diesem großen Mangel muß abgeholfen weiden, -

Statistik über die Zahl der Krüppel bejhafen müsse. Diese statistischen .

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußischen Staatsanzeiger.

M 47.

Berlin, Montag, den

24. Februar

1908,

{S{[uß aus der Ersten Beilage.)

Abg. Geisler (Zenic.): Das flädtishe Untersuhungsamt für Nabrungs- und Genußmittel und Gebrauchsgegenstände in Glag ist 1907 dur das Ministerium für Medizinalangelegenheiten für eine öfentlihe Anstalt im Sinne des Reichsgefeßes von 1879 erklärt worden. Jede Untersuchung kostet 6 #; eine große Anzahl von Nahrungêmitteln und Gebrau&sgegenständen ist für untersuhungépflichtig erflärt worden ; es müssen Proben eingeliefert werden von Brot, Bier, Branntwein, Butter, Käse, Honig, Zucker, Kakao, Limonade, Pfeffer, Zimt, Kümmel, Abziehbildern, Bilderbogen, Farbenkasten, Gummi- fâmmen, Gummishläuchen und allen anderen denkbaren Nahrungsmitteln und GebcguSgenennandan, Die damit für die Bevölkerung ver- bundene Belästigung hat außerordentlihe Aufregung und Unzufrieden- heit hervorgerufen. Es wird damit entschieden zu weit gegangen ; es geht dabei viel zu schematisch und bureaukratish her. an könnte dech die Sache zu einem großen Teil der Polizei überlassen. Die Untersuchungen find auch viel zu teuer. Die Unterhaltung des In- stituts kostet 50C0 M, die jährlihe Einnahme berecknet sih auf etwa 13 600 M ; Uebers{chuß 8600 A Ein UVeberschuß braucht doch über- haupt nicht herauszukommen. Die Untersuchung muß weniger vexatorish gestaltet und die Gebühr erheblih herabgeseßt werden. Ih bitte den Minister, dahin zu wirken.

Abg. Q u ebl (konf.): Jch kann mi den Ausführungen des Abg. Geisler nur anshließen. Auch im Regierungsbezirk Liegniy herrscht eine tiefe Verstimmung über die Organisation der Nabrungsmittel- untersuchung und über die empfindlihe Belastung der Gemeinden. Zunächst hat diefe ganze Maßregel zu einer Vermehrung des Schreibwerks geführt. Die Regierung in Breélau hat über die Art der Proben eine seitenlange Anweisung herautgegeben, und es ist kaum mögli, diese Anweisung zu befolgen, wenn man nit ein wirkliher Sachverständiger ist, Der Amtsvorsteher muß außerdem noch einen Fragebogen über jede einzelne Untersuhung ausfüllen; das ist für die kleinen ländlichen Amtsbezirke sehr drückend. Es wäre ritiger, das Institut der Kreis- ärzte für solhe Zwecke zu verwenden. Was die Kosterfrage anbetrifft so hat die Stadt Liegniy dadur eine erhebliche Einnahmequelle auf Kosten der anderen Städte und des platten Landes im Regierungs- bezirk. In der Provinz Brandenburg wird für jede Untersuchung, die auf Veranlassung der Landwirtschaftskammer erfolgt, nur 3 M. bezahlt. Die Auêwakl der zu untersuhenden Objekte geschieht schr \{hematisch; man fragt nit: sind die Nahrungsmittel verdorben oder nit, sondern man sagt : pro Kopf der Bevölkerung werden so und so viel Proben eingeshickt. In den ländlichen Amtsbezirken ist der Produzent viel- fa gleichzeitig Konsument, z. B. was Brot, Gemüse und einen großen Teil des Fleishes betrifft. Da is die Untersuchung absolut niht notwendig. Es bleibt also nur ein kleiner Teil von Nahrungs- mitteln übrig, die man auf dem Lande kauft. In den großen Städten liegen die Verhältnisse ganz anders. In den kleinen Städten hat der Krämer einen ganz beslimmten Kundenkceis, er muß befürten, seine Kunden zu verlieren, wenn er ihnen gefälschie Nahrungsmittel verkauft.

Abg. Marx (Zentr.): Was die nit voll beschäftigten Kreisärzte betrifft, es handelt sich um 2 sämtlicher Kreisärzte, so kann ich mich dem Wunjche des Abg. Nuegenberg nur anschließen. In bezug auf die Nahrungsmittelkontrolle ist zuzugeben, daß dur die jeßige A1t der Kontrolle den Gemeinden sehr drückende Kosten auferlegt werden. Nun könnte man sagen, daß diese intensive Art der Nahrungs mittelkontrolle von verschiedenen Seiten dieses Hauses und des Reichstages gewünscht sei. Der Antrag Engelsmann von 1905 ging aber dahin, daß die Nahrungémittelkontrolle, des Weins, nach einbeitlihen Grundsäßen unter Bestellung besonderer Beamten im Hauptamt geregelt werde. Unsere Ab- sicht ging dahin, eine Kontrolle sowobl des Weins wie der übrigen Nahrungsmittel durch hauptamtlichß angestellte Beamte, und zwar auf Staatskosten vornchmen zu lassen. Dieser Ab- sicht widersprehen aber die seitdem erlassenen Verordnungen. Die Weinkontrolle durch Kontrolleure im Hauptamt beschränkt sich auf die Hauptweingegenden des Staates. Das ift nun an sich sehr dankbar zu begrüßen, das genügt aber nicht. Man sollte auch in die Orte gehen, wo der Hauptkonsfum von Wein stattfindet. Namentlich sind es Berlin, Hamburg und Stettin, wo der Wein Bea der Weingegenden wächst. Hier ist eine sehr energishe Kellerkontrolle

insbesondere

notwendig. Diese Städte haben viel dazu beigetragen, däß der gute Ruf unserer Weine bei uns gesunken is. Es müssen Jedenfalls auf diesem Gebiete einheitlize Maßregeln dur-

geführt werden. Ueber die Höhe der Kosten beschwert man ih mit Recht, dann aber auch darüber, daß in den verschiedenen Be- ¡infen ganz verschieden verfahren wird. Die Nahrungsmittelfabrikanten haben natürlicherweise über die Definition des Begriffs Nahrungsmittel ganz andere Anschauungen, als die Konsumenten. Es müssen hier einbeitliße Grundsäße aufgestellt werden, namentlich auch darüber, wo diese Untersuhungen anzustellen sind. Die Gerichte kommen jeßt S zu Freisprehungen, die der gesunde Venschenverstand nicht eht.

Geheimer Medizinalrat Dr. Abel: Die Untersuhung der ver- dorbenen Nahrungsmittel und die Feststellung der Fälschungen ist doh niht so einfah, wie der Aba. Geisler ih das vorstellt. Es handelt sih zum großen Teil um sehr komplizierte, chemisch s{chwer nahweisbare Fälshungen. Im Auftrage des Herrn Ministers möchte ih vorschlagen, daß diejenigen Herren, welhe sich für die Nahrungs- mittelkontrolle interessieren, sih eire folhe Untersfuhungsanstalt an- sehen, wie sie hier beim Polizeiyräsidium besteht. Sie werden sh dann überzeugen, daß ein großer Leil der Fälshungen auch ins Land geht. Daß auf dem Lande sehr viele Leute, die Natural- wirtschaft betreiben, nur das genießen, was fie selbst e:zeugen, stimmt nicht ganz. Die Leute müssen auch Kolorialwaren jeder Art kaufen, z. B. Reis, Kaffee, Salz, Zucker, Essig, Oel usw., eine Menge Dinge, die zum täglihen Gebrauch dienen und haupt\ächlich verfälsht werden. In Berlin gibt es eine große Menge Fälscher- firmen, die mit Hilfe von Maschinen der Butter Wasser zufühten, und ¡war 50 Gramm pro Pfund. Der Nutzen, den sie davon haben, beläuft sh auf viele Tausende. Nah dem Nahrungsmittelgesez soll reine

re verkauft werden, wie sie die Natur liefert. Dieser Standpunkt hat si aber leider son verschoben. Man sfagt jeßt: normal ist das, was im Handel üblich ist. Jn einem Prozeß gegen einen Väter erkannte das Geriht auf Freispre{ung, weil der zu- gezogene Handelssachverständige sagte, der Konsument hätte wissen müssen, daß er für den deringen E keinen reinen Butter- Gen verlangen konnte. s ist unverständlih, daß das peridht überhaupt einen Sachverständigen hinzuzog. Was Butter- uhen ist, sollte auh der Richter verstehen. Es ist nun fine genügende Zahl von zuverlässigen Untersuhungsanstalten er- cihtet worden. Schon in den 9er Jahren is wiederholt geruht worden, mit Hilfe der alige eine ausreihende ¡aorungsmittelkontrolle durchzuführen. Leider is dieser Versuch C überall glüdlih gewesen. Es häfte au 1 ahe gelegen, die Sache Gi urch zu vereinfahen, taß man fie den Staatsorganen übertrug. ine derartige Regelung einer ftaatlichen Koatrolle ist aber meines lens in keinem- deut]chen Burdesstaate, abgesehen von den Freien y dten, vorhanden. Das Königreih Sasen, das erft vor ein wrd Jahren die Nahrungsmittelkontrole einheitlich geregelt e hat ausdrücklich davon abgesehen und hat die Kontrolle

f die Gemeinden übertragen. Die jetzige Art der Regelung {ließt

auch jede äußere Einwirkung und Benachteiligung der Kontrolle aus. Um nun den Anstalten eine genügende Tätigkeit zuzuweisen, war es nôtig, bestimmte Gebiete für sie vorzusehen. Es wird Ihnen im nächsten Jahre ein Tableau vorgelegt werden, aus dem Sie ersehen können, wie diese Auftèilung erfolgt ist. Um eine definitive Fest- stellung follte es sich aber dabei nicht handeln. Die Polizei- verwaltung kann die Untersuhung auch auf andere Gegenstände erstrecken, die sie für untersuhungsbedürftig N, Es foll auch untersucht werden, ob nicht die Gebührensäze hzrab- geseßt werden fönnen. Hinsichtlih der Weinkontrolle ist der Staat auf dem Prinzip stehen geblieben, daß er da, wo sih in der Ausübung der laufenden Kontrolle Schwierigkeiten ergeben, seinerseits die ihm zur Verfügung stehende Einrichtung dargeboten hat. Die Anregung des Abg. Quehl, den Kreisärzten die Kontrolle ¡u übertragen, ist nicht angängig. i

Ein Schlußantrag wird angenommen.

Es folgen persönliche Bemerkungen der Abgg. Dr. Heisig, Fishbeck und Geisler. M O

Gegen 41/2 Uhr wird die weitere Beratung des Kultus- etats auf Montag, 11 Uhr, vertagt.

Nr. 9 des „Eisenbahnverordnungsblatt3s“, heraus- gegeben im Ministerium der döffentlihen A vom 20. d. M., hat folgenden Inhalt : Erlaß des Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 18. Februac 1908, betr. Grundsäge für“das Entwerfen und den Bau von Lokomotivschuppen.

Land- und Forstwirtschaft. Die Land wirtshaftlihe Woche. *)

Von ¿Hietlengan Interesse war die Versammlung der O oft - und Weinbauabteilung der Deutschen ‘Landwirtschaftsgesellfcchaft, die unter Vorsiß von Oekonomierat Deg e nkolb im Saal des Klubs der Landwirte abgehalten wurde. Als erster Redner sprach Herr Carl Kanig-Wannsee über Obsternteverwertung des praktishen Landwirts. Wichtig - dünkt ihm vor allen, rechtzeitig zu ernten, aber nicht unreif, was, bei Kerr früchten zumal, bäufig geschieht, aus Besorgnis vor Diebstahl und Stürmen. Die Meinung, das ungenügend reif geerntete Obst reife na, ift unrihtig, es \{hrumpft auf dem Lager zusammen, und, bei Licht besehen, ift diefer Verlust häufig größer, als ein dur Diebstahl erlittener. Vor Frost brauht man bei Winterobst nit in Furcht zu sein und deshalb ee zu ernten, denn ein gelinder Frost \chadet nicht; aber man verabsâume nicht, Dauerobst mit der Hand, Spalierobst sogar möglichst mit dem Handshuh zu pflücken. Praktish ist es, sofort unter dem Baum zu sortieren, nah den OQualitätsbestimmungen „Tafelobst", „Wirischaftsobst und „Wirt- schaftsobst 2 auch Mostobst“, in das alte nit transportfäbige Früchte hincinkommen. Für den {bsaß kommen Großhandel und Kleinhandel oder Anteil an einer Genossenshaft in Betra§t. Eigenvertrieb ift

nur zu raten, wenn man mit feiner ganzen Kraft und Zeit den Obstbau als Hauptberuf betreibt, sons ift Ver- pahtung der Ernte odér ein Absch{luß mit Konserven-

fabriken das Richtige. Leßteres Verfahren bringt allerdings den Uebel- stand mit si, daß niemals alles Obst genommen winn, meist nur bestimmte Sorten, und daß große Ansprüche an Sorgfalt gemacht werden. Den Kleinhandel wird man aufsuchen müssen, wenn man viele Sorten zur Verfügung hat. Neuerdings haben sich die Obst- märkte als fehr nüßlih für den Produzenten bewährt. Zu warnen

ist vor dem eigenen Dörren, Einmachen, Vermosten usr. des Obstes als Mittel der Verwertung; denn man wird nie mit den Konservenfabriken konkurrieren können. Etwas

anderes ift es freilich, für den eigenen Haushalt Obsfterzeugnifse herzustellen. Das ift in bescheidenen Srenzen \ogar h, iét S. E zum Verkauf ungeeignetes und weniger gutes Obst geben wird.

Das bei den Mühen und Unsitherbeiten des Obstabsazes im Groß- oder Kleinhandel empfehlen®werteste Mittel ift der a n Tar der Obstbauern zu einer Frishobstabsaßgenossenshaft. Die hiermit verbundenen Vorteile find in Kürze diese: Billiger Bezug von Verpackungsmaterial, gemeinsame und darum billigere öffentliche An- kündigungen, rihtige und rasche Au?nußung der Marktlage; Ueber- wachung von Sortierung, Verpackung und richtiger Sortenlieferung,

emeinfame und deshalb billigere kaufmännische Leitung, gemeinsamer

gerraum, bôhere Preise, billiger Tranëport durch Waggon- verladung, Ersparnis an Arbeitskräften durch die Zentralisation und beffer geschultes Personal. Das Kapital für den Ge- äftsbetrieb einer solchen Genossenshaft braucht nicht groß zu sein; es genügen im Anfang einige hundert Mark, um das erité Ver- packungsmaterial zu beschaffen. Die richtige Organisation und ein tüchtiger Geschäftsführer find die Hauptsahe. Notwendig ist, die Ge- nofsen schriftlich zu verpflichten, ihre ganze Ernte der Genossenschaft zur Verfügurg zu stellen, damit sie nicht in Versuhung geführt werden, die betoeniGal! nur zum Absay des minder- wertigen zu mißbrauhen. Jedes Mitglied ist natürlich im Ver- hältnis seiner Lieferung nach Menge und Güte am Erl33 be- teiligt. Man sollte nirgends, wo Obstbau in größerem Maßstabe getrieben wird, versäumen, mit folchen Genoffenschaften vorzugehen. Ihr Segen wird sih auch in anderer Nichtung zeigen; denn man wird gemeins id und für den einzelnen ohne große Mühe Erfahrungen machen über Obftbaumpflege, Sortenwahl, Düngung 2c. Befsere Leistungen werden die in ihrer Leistung Rücksländigen anregen, es jenen gleichzutun, die gegenteilige Wirkung ist ganz ausgeschloffen.

__ Ein zweiter Vortrag, den Professor Dr. Steglich- Dresden bielt, behandelte das Thema „Statik des Obstbaues*. Der Aus- druck mußte erst erklärt werden. Statik, so erläuterte der Redner, sei die Lehre vom Gleichgewicht, Statik des Obftbaues also die Lehre, wie man im Boden die Nähritoffe dauernd erhalte, die der Obstbau bedürfe, wie man es anzufangen habe, um dem Boden das mit Sicherheit zu erseßen, was ihm alle Jahre durch die Obsternte entzogen wird. Der ortragende ist nicht im Zweifel darüber, daß sein Verlangen, den Obstbau in dieser Richtung zu fördern, anfänglih Verblüffung hervor- rufen wird ; denn wie viele Obst¡üchter gibt es wohl, die bisher überhaupt daran gedacht haben, ihre Obstbäume zu düngen, wie viele, die \sich bestenfalls mit der Ueberlegung beruhigt baben, daß die Obstbäume ja . ues von den Nährstoffen nashen würden, die den Kulturen in hrer Nähe, Getreide, Kartoffeln, Gartenprodukte 2c., zugeführt werden ? Es bedar wohl des Beweises nit, daß mit folher Anweisung der Obstbäume auf unberechtigte neignung von Nähr- stoffen, die anderen Gewächsen, häufig von anderen Gigentümern, forgfältig zugemefsen sind, nah beiden Richtungen {chädlich is. Meist erhalten beide Kulturen dann zu wenig. Der Sonderauss{huß der „D. L-G.“ für Obstbaumdüngung hat deshalb langjährige und um- fangreihe Beobachtungen und Untersuhungen dur den Vörtragenden veranlaßt, deren Ergebnisse jeßt wenigstens für die vier Hauptobst-

*) Vergl. Nrn. 44, 45 u. 46 d. Bl.

forten, Apfel, Birne, Kirshe und Pflaume, vorliegen. Professor Stegli hat sein ftatishes System auf den Stammumjang der Bäume hte und für Nährstoffentzug dur Wachstum und Ernte von Zentimeter zu Zentimeter steigend Tabellen berech:.et und aufgestellt, die er vor- legte und nah denen der Obslbauer die Düngergaben zu bemessen hat. Als Fläche für die Aufbringung des Düngers hat sih das Quadrat bes zehnfachen Stammumfanges als geeignet erwiesen, es fällt bei ganz jungen Bäumen ungefähr mit der Baumscheibe ju- fammea. Es ist indessen durhaus nicht erforderli, jedem Baum seine Düngermenge einz-ln zuzumefssen, es genügt, wenn der ¿tr- mittelte Gesamtbedarf einer Pflanzung an Dünger auf “die betreffende Standorieflähe im ganzen breitgestreut werte. Leicht löslihe Düngemittel sind bei dem Tiefgang der Baumwurzeln natürlih zu empfehlen, organishe Düngemittel, wie Jauhe und Fäkalien, durch künstliche Pes bis zur Deckung des Nährs stoffbedürfnisses zu ergänzen. er Vortragende verbhehlt sich nit, daß die Ergebnisse seiner Untersuhungen im wesentlichen nur zur bisher vernahlässigten Dbstbaumdüngung anregen sollen, aber ntcht den An- spruch erheben können, die aufgeworfene Frage vollständig zu ershöpfen. Die rechte Antwort wird erst die Praxis geben. Ó In seinem S{lußwort bezeichnete der Vorsißende das von Pro- fessor Steglih überreichte Buch „Statik des Öbstbaues" als ein grundlegendes, dankenswertes Werk, dur das eine erfolgreihe Weiter- arbeit erst möôglih werde. Auh er ist nicht im Zweifel darüber, daß diese Arbeit - viel Kopfschütteln erregen wird, weil fie in Verhältnifse hineinleuhtet, die bisher gedankenlos als gegeben und unabänderlich angesehea wurden. Wie kommen z. B. die Anlieger an Chausseen, die mit Obstbäumen bepflanzt O dazu, die Obstbäume gratis mit dem ihren Feldern gegebenen ünger zu ernähren? Namentlich da, wo nicht einmal der Straßen- dung den Obstbäumen an der Chaufsee gelassen wird, wie es sich wes E R e 98. Hauptversammlung der Deutschen Landwirt- \chafts-Gesellschaft fand Freitagvormittag im Architektenhause statt. Den Vorsitz übernahm an Stelle des leider verhinderten dies- jährigen Präsidenten, Seiner Hoheit des Herzogs Albrecht von Württemberg, der Vizepräsident Graf Rantzau. Nah einer Neihe von geshäftlihen Mitteilungen erhielt das Wort der Prinz Georg zu Shönaich-Carolath - Saabor bei Grünberg i. Sl. zu einem Vortrage über „Reinblut und Landespferde-“ ¿ut Der Vortragende gilt in den Kreisen der Landwirte als eine Autorität in Züchtungsfragen. Die sehr zahlreiche Versammlung folgte deshalb den Ausführungen des Redners mit der größten Aufmerksamkeit. Sie beschäftigten sich im wesent- liden mit dem Nachweis, daß in den leßten Jahrzehnten bei uns große Fortsritte in der Pferdezucht und in der Gewinnung eines harafteristishen Reinblutes gemacht worden sind. Der Redner wies in dieser Beziehung auf Oldenburg, Ostfriesland, Hannover und S{hleswig- Holstein hin, au könne man hon von einem- ostyreußischen Typus spre@wen. Bei diesem gegenwärtigen Stande der NReinrpferde- zucht sei die Hoffnung gerechtfertigt, daß mit dem einmütigen Zusammen- wirken der betr. Regierungen, der Vereine und der Züchter manchen noch vorhandenen Notftänden der deutshen Pferdezucht ein Ende gesetzt und die Landeépferdezuht zu der Blüte geführt werden werde, für die alle Vorbedingungen vorhanden seien, Allseitiger, lebbaftester Beifall zeigte dem Redner, daß er den Meinungen der deutschen Landwirte Mretaen res gegeben wte: vrah sodann der Geheime Hofrat, Professor Dr. Wagner- Darmstadt zu dem Thema: „Die Düngungslehre im Licht e der Arbeiten der D. L.-G.* Nicht bloß theoretis, sondern au praktis Düngungsklehre zua treiben, so begann der Redner, ist das Hauptbeftreben dec gemeinsamen Arbeit auf dem Gebiet der seit einigen Jahren planmäßig organisierten Feldversuhe. Eine Lehre, die den Landwirt unterweist, wie er die höhstmöglihen Erträge von seinem Boden erreihen kann, ift begreifliherweise für ihn von ter größten Wic@tigkeit. Aber, um ihm den richtigen Weg zu zeigen, bedarf es scharfer Kritik der gemahten Beob- achtungen und großer Umsicht beim Ziehen von S{hlüfsen daraus. „Die Aufgabe der landwirtschaftilichen Versuhsstationen ift gewiß nicht leiht, wenn man bederkt, was berücksihligt werden muß. Der Vor- tragende gab eine Reihe überzeugender Beispiele dafür, was alles zu erwägen sei, ehe man in gegebenen Fällen der Frage der Aufstellung eines Düngungsplans näher treten könne. Viele Faktoren müfsen hierbei zu- fammenwirken. Nach ihrem geeignetsten Zusammenwirken zum Zweck des Höhsterktrages zu forsen, das ift die Aufgabe. Dabei muß man \ich von jeder Einseitigkeit freihalten. Eine solche wäre es, nur auf Steigerung der Erträge bedaht zu sein, ohne die Kostenfrage in das gehörige Licht zu rücken. Auch diese Meinung unterstüßte der Redner durch einleuchtende Rehnungen. Kein 2weifel darf uns vor allem be- \{leihen, daß wir an den wichtigsten Pflanzennährstoffen genügende SeaRE besißen resp. erzeugen, um dauernd die Bodenerträge “. ein Höchstmaß zu bringen Kalk, Kali und Phosphorsäure liefern uns unmittelbar oder mittelbar der heimische Boden bezw. unsere Industrie; ift doch Deutschland vor vielen Ländern begünstigt dunch große unters irdishe Schätze von Kalt und phosphorhaltigen Gisenerzen. Der eirzige Nähr stoff, der uns zur höchsten Entfaltung der Bodenkultur fehlen könnte, ist der Stickstof. Chilesalpeter geht seiner Ershöpfung entgegen, von Ammoniakfalz liefern unsere Kokereien wachsende, aber zum Bedarf in einem verschwindenden Verhältnis stehende Mengen; Knochenmehl, Hornmehbl und Fleishabfälle spielen gar keine Rolle, bleibt uns nur der aller- dings in unershöpflicher Menge vorhandene, aber riht ohne weiteres verwendbare atmosphärishe Stickstoff. Ihn in brauchbare Gestalt zu zwingen, erfreuen wir uns der Anwendung der Gründungung ;

doch aud) sie kann nicht allen Stickstof liefern, den unsere R nôtig haben. Haben wir deshalb zu fürchten, Stick- tof in der den Pflanzen gemäßen Form könnte uns jemals fehlen? Der Redner verneint die Frage mit Entschiedenheit unter Hinweis auf die neuen beiden Stickstoffquellen, die die Wifsen- chaft in Kalkfalpeter und Kalkstickstof ershlofsen bat. Diese Er- findungen, beide durchaus brauchbaren Stickstoff liefernd, wie die Felt- versuche beweisen, verbürgen die Entwicklung unserer Landwirtschaft,

ihre Unabhängigkeit von der Frage, ob fie je an Pflanzennährstoffen Mangel leiden könne. Diese Gunst der Verbältniffe voll zu nützen bedarf es nur der irtelligenten Arbeit der Landwirte, an der es wobl auch nie fehlen wird. Dem Redner lohnte großer Beifall.

Die 56 ordentliche Generalversammlung des Vereins der Spiritusfabrikanten in Deutschland wurde in Ver- hinderung des Ersten Vorsigenden, NRittergutsbesißers von Graß- Klanin, dur den Zweiten Vorsißenden, Rittergutsbesizer Schmidt am Freitagmiitag im Künstlertause eröffnet. Nah Verlesung des Jahres- und Kassenberichts empfing das Wort zum Bericht über die Arbeiten des perpangenen Jahres der Geheime Regierungsrat, Profefsor Dr. Marx Delbrü ck Aus m Bericht fei folgendes hervor- gen: Die Beschäftigung des Instituts für das Gärungs8gewerbe st auf allen Gebieten äußerst umfangreih gewesen, sodaß angemessene Erweiterung durch Neubauten nôtig war. Fertiggestent wurde als wichtigste Neuerung ein Maschinenlaboratorium, das sich mit ter Krafterzeugung, mit ihrer Auënüßung in Dampfmaschine, elektrisck{er Anlage und Kälteerzeugung befaßt. Die wirtshaftlißze Ab- teilung beschäftigte fich mit Prüfung und Förderung der in der

Er angewendeten Maschinen, im besonderen der trefflichen Kartoffelerntemaschine, „sowie vor allem der Kartoffeltrocknerei, von deren allgemeiner Einführung der höchfte Gewinn für die Landwirts