ih na Amerika ergoß, verstanden in unsere Ostmarken zu leiten, und wäre es auch nur zum Teil gewesen, — meine Herren, die polnische Frage wäre heute gelöst. i
Also, meine Herren, ih komme zu dem Schluß, daß die Möglich- keit, die polnishe Frage ohne Kampf zu [Iôsen, rundweg verneint werden muß.
Meine Herren, auch Ihre Kommission hat si, wie ih mit Freuden konstatieren kann, auf diefen Standpunkt der Regierung
gestellt und hat {ih dieser Ueberzeugung angeschlofsen.
Ich komme nun zu der zweiten Frage: welhe Mittel muß der Staat anwenden, um zum Ziele zu kommen? Meine Herren, wollen wir diese Frage beantworten, fo müssen wir uns darüber klar werden, worin denn eigentlich die
polnishe Gefahr beruht. Meine Herren, sie beruht darin, daß die
großvolnische Bewegung in dem Maße an Intensität zunimmt undi in dem Maße immer mehr die ganze Bevölkerung ergreift, wie"
Wohlstand und Bildung bei dieser Bevölkerung zunehmen und damit das nationale Selbstbewußtsein wächst. Meine Herren, gegen diesen Prozeß, den wir bei allen Völkern beobachten können, kann der Staat direkt nichts tun. Dieser Prozeß wird {ih [langsam vollziehen, wenn der Staat ihm passiv gegenübersteht, er wird sich stürmisch ent- wickeln, wenn der Staat energische Gegenmaßnahmen trifft, ents widckeln aber wird er si unter allen Umständen. Wirklich beeinflußt wird diese Bewegung nur dur den Erfolg. Feder Erfolg, der die Ausfiht auf Verwirklihung der nationalpolnischen Aspirationen stärkt, der stärkt auch die Bewegung, und jeder Mißerfolg \{wächt
die Bewegung.
Meine Herren, welche Erfolge erstrebt nun gegenwärtig die polnishe Bewegung? Früher haben die Polen versucht, durch törihte ganze ausfihtslose Putshe und Revvlutionen ihr Ziel zu erreichen; heute wenden sie ganz andere, praktishere und wirksamere Mittel an, nämlih folgende: erstens wirtshaftlicheStärkungund die kulturelle Hebung des polnishen Volkes, und zweitens die Verdrängung der Deutschen aus den Ostmarken. Beides soll dienen als Vorbereitung für den Tag, den sie ersehnen, den Tag der Befreiung, der Volk und Land für die polnish-nationale Sache bereit finden soll. Meine Herren, gegen die Bestrebungen auf kulturelle Hebung läßt ih ja eigentlih kaum etwas einwenden. . Ist ja do der preußishe Staat aufs eifrigste bestrebt gewesen, die Polen Fulturell zu beben. Meine Herren, ich kann auch nit sagen, daß ich darin eine wesentlihe Vergrößerung der polnishen Gefahr sehe; denn in dem Make, in dem die ganze Lebenshaltung der Polen zunimmt, nimmt auch die Möglichkeit für die Polen ab, die Deutshen dur Unterbietung zu bekämpfen.
Meine Herren, ganz anders steht es nun mit den Bestrebungen, die Deutschen zu verdrängen. Hier liegt die eigentlihe großpolnishe Gefahr, denn mit dem Gelingen dieser Bestrebungen wächst für die Polen die Mögli§hkeit, sich von Preußen loszureißen, falls je einmal Preußen in Not kommen sollte, und wähst vor allen Dingen die ganze Spann- kraft und Stoßkraft der polnischen Bewegung, während im Gegensaß dazu jede Zunahme der deutshen Bevölkerung die Hoffnung der Polen verringern und dadur die polnische Bewegung {wächen muß. Aljo, meine Herren, in der Ansiedlungspolitik haben wir ein wirksames Mittel gegen die Polen. Meine Herren, neben den im Boykott zum Ausdruck kommenden Bestrebungen, die Deutschen aus den polnischen Landesteilen zu vertreiben und zu verdrängen, wirkt nun aber au die starke Bevölkerungsvermehrung der Polen ganz besonders zu Gunften der Polen. Diese starke Volksvermehrung hat ihren wahren Grund in dem starken ländlihen Kleinbesißer und Arbeiterstand, der in diesem Umfange den Deutschen fehlt, und den zu schaffen unsere Aufgabe sein muß. Es wird ja vielfah behauptet, daß das polnische Volk an und für fi fruMtbarer sei als das deutsche. Meine Herren, diese Be- hauptung ist zunähst niht erwiesen. Es ist ja rihtig, daß im allgemeinen ein Volk, das auf niedrigerer Kultur steht, fruhtbarer ift als ein Volk, welches auf höherer Kulturstufe steht, uud es ist vielleiht möglih, daß gegenwärtig aus diesem Grunde noch eine etwas stärkere Vermehrung der Polen stattfindet. Aber wenn wir sehen, wie die ganze Lebenshaltung der Polen mit der ganzen Entwicklung der Ostmarken in den leßten Jahren fortgeschritten ist, wenn wir zum Beispiel die Zunahme der Löhne betrachten, fo ergibt sih, daß diese Differenz in nicht langer Zeit ausgeglichen sein wird, sodaß wir nicht fehlgehen, wenn wir sagen, daß in Zukunft die deutshe Landbevölkerung fh prozentual ebenso vermehren wird wie die polnishe. Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Ansiedlung, wie sie heute von der Ansiedlungékommission betrieben wird, dasjenige Abwehrmittel ist, das sich aus der Kampfesweise der Polen heraus mit logischer Not- wendigkeit ergibt. Es folgt ferner aus dem Gesagten und aus der TatsaXe heraus, daß bisher von keiner Seite — das betone ih be- sonders — ein anderes wirksames Mittel genannt worden ist, daß die Ansiedlung tatsächlich das einzige wirksame Mittel zur Bekämpfung der Polen ist. Meine Herren, das haben die Polen fehr wohl erkannt, sehr viel besser als wie viele Deutsche, die von dem Ansiedlungsgeseß von 1886 nihts wissen wollten. Das ersehen Sie hon aus dem fanatishen Kampfe, der gegen die Ansiedlungskommission von polnisher Seite eröffnet worden ist; das ersehen Sie daraus, daß jeder Pole, der an die Ansiedlungskommission verkauft, von seinen Landéleuten boykottiert wird, und Sie sehen es daraus, daß die polnischen Par- zellierungsbanken soviel Grundbesiß als möglich den Deutschen zu entreißen suchen, um so ein Gegengewicht gegen die Tätigkeit der An- siedlungskommission zu schaffen.
Nun wird ja von allen, die das gei kennen und wirkli gesehen haben, unumwunden anerkannF®aß es ein Kulturwerk ersten Ranges ist. Es wird aber von den Gegnern des Geseyzes behauptet, daß seine Vorteile durh die Nahteile, die es im Gefolge gehabt, überwogen werden. Es wird dem Geseße vorgeworfen, daß es den Gegensaß zwishen Deutshen und Polen verschärft hätte. Das hätte natürlih auch jede andere ernste Maßregel getan, die von seiten der Regierung ergriffen worden wäre. Es wird dem Geseh ferner vor- geworfen, daß es dazu beigetragen habe, mehr den deutschen als den polnishen Grundbesiß zu dezimieren. Auch dieser Vorwurf ist ja rihtig, aber dazu ist die deutsche Ansiedlungskommission eben durch die Polen gezwungen worden, die den Erwerb aus polnisher Hand verhindert hahen. Daraus können wir ‘doch aber nur den Schluß ziehen, daß es rihtiger gewesen wäre, mit der Enteignungs- vorlage früher zu kommen. Ebenso steht es mit den Vor- würfen, daß durch die Tätigkeit des Ansiedlungskommission eine ungesunde Preissteigerung
auf dem Gütermarkte hervor- -
gerufen worden sei. Auch die Tätigkeit des polnishen Parzellierungs- banken fällt niht dem Geseß von 1886 zur Last, niht dieses Geseß hat versagt, sondern die Kampfesweise der Polen hat uns Schaden zugefügt. Die rihtige Schlußfolgerung kann also niht sein, daß wir die Ansiedlung aufgeben, sondern daß wir die Machenschaften der Polen nahdrüdcklich bekämpfen. Das ist die einzig logische Schluß* folgerung, die wir aus dem Verhalten der Polen ziehen sollten.
Meine Herren, nun wird von Ihnen die berehtigte Frage auf- geworfen werden: Kann denn - die Kolonisation so weit ausgedehnt werden, daß das Ziel, in den Ostmarken eine deutsche Landbevölkerung zu schaffen, die der polnishen die Wage hält, erreiht wird? Meine Herren, diese Frage ist in ihrer Allgemeinheit zn verneinen; denn es gibt allein in der Provinz Posen 450 000 Polen mehr als Deutsche. Ganz anders stellt sich aber die Frage, wenn wir die einzelnen Landes, teile für fh betrachten. Dann finden wir, daß dieser Ueberschuß von 450 000 Polen der Hauptsache nah in den südlichen Teilen der Provinz sigt; wo wir große Landstriche mit einer rein polnischen Bevölkerung haben. Anders steht es mit der nördlihen Hälfte der Provinz und den an- grenzenden gemishtsprahigen Landetsteilen der Provinz West- preußen. Hier ist jenes Ziel sehr wohl in absehbarer Zeit zu er- reihen — vorausgeseßt natürlih, daß der Regierung die nötigen Mittel dazu nicht versagt werden. Meine Herren, Sie wissen ja, daß wir vor allen Dingen Besiedlungsland brauchen; daß wir aber dieses Besiedlungsland freiwillig niht bekommen können, wenn wir nit den ganz unentbehrlihen deutshen Großgrundbesiß weiter dezimieren wollen; daß wir daher das Land nit anders als auf dem Wege der Enteignung erhalten können.
Nun weiß ich sehr wohl, daß gegen die Enteignung große Bes denken besonders ethisher Natur erhoben werden. Man sagt, sie set grausam und deshalb unmoralisch. Aber, meine Herren, zwingen uns denn die Polen nicht durch ihre Kampfmaßregeln dazu, diese Maht- mittel zu ergreifen? Würden wir die Enteignung brauchen, wenn die Polen es ihren Landsleuten nicht unmöglich maten, Besiß an Deutsche zu verkaufen? Meine Herren, die Polen können \sih wahr- haftig nicht darüber beklagen, wenn sie in einem Kampf, den sie selbst heraufbeschworen haben, au Wunden empfangen. “Nun läßt ih einwenden — und dieser Einwand is auch gemacht worden —, daß die Enteignung gerade die friedlihen und am Kampfe uns{huldigen Elemente treffen könne. Das ist an si richtig; es findet aber um so mehr statt, je mehr die Bewegungsfreiheit der Regierung ein- geshränkt wird und je mehr die Regierung verhindert wird, da zu kaufen, wo sie kaufen will und dabei die Rücksihten walten zu lassen, die ihr ja in gleiher Weise am Herzen: liegen wie Ihnen. Die Auswahl der anzukaufenden Grundstücke ist ja freilih in erster Linie von dem gewollten Zweck abhängig; aber die Ansiedlungs- kommission wird in den seltensten Fällen gezwungen sein, gerade ein ganz bestimmtes Grundstück zu nehmen ; sie wird vielmehr — vor- ausgeseßt, daß sie in ihrer Bewegungsfreiheit niht beengt wird — in den allermeisten Fällen in der Lage sein, den loyalen Mann zu shonen. Meine Herren, daß es uns trodem allen s{chwer fällt, so harte Maßregeln zu ergreifen, ist um so mehr erklärlih, als wir eine ge- wisse Achtung vor dem Nationalgefühl der Polen haben müssen. Es ift ja au, das hat der Herr Ministerpräsident {hon erwähnt, der Königlichen Staatsregierung chwer geworden, ih zu dem Ents- {luß dur(hzuringen, aber wir haben dazu kommen müssen, weil wir, ein jeder Einzelne, die Ueberzeugung erlangt haben, daß es nit anders geht. Auch das Abgeordnetenhaus hat diesen Prozeß durchmahen müssen, und ih hoffe, daß auch Sie, meine Herren, sich bei eingehender Prüfung davon überzeugen werden, daß ¡wingende nationale Gründe, daß die Sicherheit des Staates ge- bieterisch diese Maßregel fordern.
Soviel über die Vorlage im allgemeinen. IFch komme nun zu den Beschlüffen der Kommission. Ich habe {hon in der Kommission zahlenmäßige Nachweise über die
Folgen der Kommissionsbeshlüsse gegeben. Ich habe diese Zahlen, welche ja in großer Eile aufgestellt waren, nochmals prüfen lassen, ferner au diejenigen Zahlen, welche sih auf den in der Kommission gestellten Antrag Wilms beziehen, der ja in dem Antrage von Wedel- Piesdorf in der Hauptsache jet wieder aufgelebt ist. Endlich habe ih die Zahlen prüfen lassen, welhe der Berichterstatter Dr. von Dziembowski in seinem Schlußworte als Referent gegeben hat. Die Prüfung hatte folgendes Ergebnis: Der Herr Referent nimmt an, daß nah den Kommissionsbes{hlüfsen für die Enteignung 70 000 ha verfügbar würden. Diese Zahl ist, wie ih nahweisen werde, etwas zu hoh gegriffen. Sie umfaßt aber außerdem alle diejenigen Güter- die in Gegenden liegen, in welhe wir bisher unsere Ansiedlungs- tätigkeit niht erstreckt haben und wohin wir sie auch in nächster Zeit nicht erstrecken werden.
Zweitens nimmt der Herr Referent an, daß jährlich 2000 ha durch Besitzwechsel für die Enteignung frei werden würden. Meine Herren, es ist möglih, daß diese Zahl zutrifft; es ift aber zu be- merken, daß es sich hierbei nur um die Veräußerung von mehr als zehnjährigem Besiß handelt, also nur um älteren polnischen Besitz, und daß solcher Besitzwehhsel seitens der Polen nah der Annahme des Ert- eignungsgeseßes möglichst vermieden werden wird. Es kann \ih hierbei außerdem aber auch um deutschen Besiß handeln, der in polnische Hände übergeht. Ob nun folher Besitzwechsel unter dem Druck der Enteignung noch stattfinden wird, können wir gegenwärtig nicht übersehen. -
Drittens hat der Herr Referent angenommen, daß jährlih 4000 ha polnischer Besiß freihändig von der Ansiedlungskommission gekauft werden wird. Diese Annahme entbehrt jegliher Begründung. Wir haben in ten leßten fünf Jahren durchschnittlich nur 1880 ha kaufen können, im leßten Jahre noch niht einmal 1300 ha. Da nun der mobile polnishe Besiy nach den Kommissionsbes{lüfsen unter die Enteignung gestellt wird und wohl kaum zu erwarten ist, daß alter polnisher Besiy freihändig der Ansiedlungskommission angeboten wird, so s{rumpft diese Zahl auf ein Minimum zusammen.
Dann hat viertens der Herr Berichterstatter den vorhandenen Landbestand der Ansiedlungskommission als verfügbar bezeihnet. Das ist vollständig unzulässig, denn die Ansiedlungskommission könnte ja ihren Landbestand nur dann aufbrauchen, wenn sie liquidieren, also ihre Tätigkeit ganz einstellen wollte. Will sie weiter arbeiten, \o muß sie sich den bisherigen Bestand von 60000 bis 70000 ha weiter erhalten. i
Sie muß die Güter wenigstens zwei Jahre in Händen haben, um sie vorzubereiten, zu drainieren, Wege anzulegen, und in Kultur zu
bringen, die ganzen Vermessungen und Einteilungen zu mahen, Bauten zu errihten usw.
Was nun die Kommissionsbeschlüsse anlangt, so will ih mich auch dazu noch kurz äußern. Bezüglih der Wirkung dieser Beshlüsse hat ih bei genauer Prüfung folgendes ergeben : es sind für die Ent- eignung in den beiden Provinzen verfügbar 62 832 ha, und wenn wir den Antrag Wedel in Betracht ziehen, so würden es werden 81 292 ha. Von diesem Land liegt nun aber in dem eigentlihen Ansiedlungsgebiet der geringere Teil, nämlich nah den Kommissionsbeshlüssen 26 426 ha und nah dem Antrag Wedel 38 443. Von diesem Land geht aber noch ab nah den bisherigen Erfahrungen 19,7 9/4 für Wege, Wald, Wasser usw., sodaß im ganzen nur 21220 verbleiben nah den Kommissionsbeshlüssen, und nah dem Antrag Wedel 30 870 ha für die eigentlihe Anfiedlung.
Ih komme nun zu den Kommissionsbeschlüssen, resp. zum Antrag Wedel. Ih muß zunächst dankbar anerkennen, daß die Mehrheit der Kommission sich den Gründen der Königlihen Staats- regierung nit hat verschließen können, und ih für die Enteignung ausgesprochen hat. Aber, meine Herren, die Kommisfion hat aus dem Wunsch heraus, das Mittel möglihst {chmerzlos zu gestalien, die Ent- eignung so abgeschwächt, daß sie als wirkungsvolles Mittel niht mehr anzusehen ist. Die Königliche Staatsregierung steht naturgemäß nah wie vor auf dem Standpunkt, daß sie ihre Vorlage für die beste an- sieht, weil sie glaubt, nur damit volle Erfolge erzielen zu können, Sie hat sich aber mit den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses ein- verstanden erklärt, weil sie zu der Ueberzeugung gekommen ift, daß fie mit den 70 000 ha plus dem, was freihändig zugekauft werden kann, teils von Polen, teils von Deutschen — wir werden ja auch deutsche Güter in einzelnen Fällen kaufen müssen —, plus dem, was aus Domänenland zur Verfügung geftellt werden kann, imstande fein wird in den Landesteilen, die ih eben bezeichnet habe, also der nörd- lihen Hälfte der Provinz Posen und den angrenzenden Teilen der Provinz Westpreußen, das angefangene Ansiedlungswerk ganz oder doh zum allergrößten Teil fertig zu ftellen, sodaß die Ansiedlungs- kommission dann sagen kann: Wir sehen unser Ziel eine deutsche Landbevölkerung anzusiedeln, die der polnishen die Wage hält, in diesem Landesteil erreiht, wir können hier unsere Arbeit einstellen. Die Ansiedlungskommission würde hierzu um so eher in der Lage sein, als sie nah den Beschlüfsen des Abgeordnetenhauses in der Lage sein würde, nur die Güter zu enteignen, die wirklich für ihre Zwecke ge- brauht werden können.
Demgegenüber haben nun die Beschlüsse der Kommission und auch der Antrag Wedel den großen Nachteil, daß sie einmal viel zu wenig Land zur Verfügung stellen, welches zum Teil für die An- siedlung wenig geeignet ist, weil es eben niht dort liegt, wo sie es braucht, sondern welches sie dort nehmen muß, wo zufällig in den leßten zehn oder zwanzig Jahren der Besißer gewechselt hat. Eine planmäßige Durchführung des Ansiedlungswerkes, worauf von allen Seiten und auch von seiten der Königlichen Staatsregierung immer der Hauptwert gelegt worden ist, würde mit diesen Vorschlägen nicht zu erreichen sein.
Meine Herren, wenn nun nach der ursprünglihen Regierungs- vorlage und auch nach der Vorlage des Abgeordnetenhauses zu er- warten war, daß unter dem Drucke ter Enteignung polnischer Besiy und besonders der mobile junge Besiß freihändig zu erwerben sein würde, so ist das nach dem Antrage der Kommission und dem Antrage des Herrn von Wedel ausgeschlossen. denn gerade dieser junge mobile Besiß würde ja dann enteignet werden müssen. Daß aber alter polnisher Besiß, der nach den Kommissionsvorschlägen gar nicht enteignet werden könnte, der An- fledlungskommission freihändig angeboten werden würde, das ist, wie ih {hon ausgeführt habe, vollständig ausges{lofsen. Schon jetzt ist ja ein solhes Angebot äußerst selten; in Zukunft werden die Polen aber sicher alles tun, was in ihren Kräften steht, um den Uebergang von Land in deutschen Besiß zu verhindern. Schon jeßt macht die polnishe Rettungsbank in Posen es sch zur Aufgabe, den kranken und hochvershuldeten Besitz in polnischer Hand zu sanieren; das wird in Zukunft mit noch größeren Mitteln ängestrebt werden. Es würde also in Zukunft nach den Kommissionsbeshlüfsen und nah dem Antrage Wedel polnisher Besiß nur auf dem Wege der Enteignung erworben werden können, wofür nach den Kommissionsbes{lüssen 21.220 ha und nah dem Antrage Wedel 30 870 ha tin Frage kämen.
Meine Herren, es kann nun doch wohl keinem Zweifel unter- liegen, daß ein so geringer Erfolg die Anwendung einer so folgenschweren Maßregel wie die Enteignung nicht rechtfertigen würde.
Als ein Vorteil der Kommissionsbeshlüsse ift es allerdings an- zusehen, daß das Recht zur Enteignung für die zum Verkauf kommenden Grundstücke dauernd, für alle Zeiten verliehen wird, während nach den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses diese Befugnis nur verliehen wird, solange die 70000 ha nicht er- {pft sind. Meine Herren, leider wird diefer Vorteil der Kommissionsbeshlüsse fast vollständig illusorisch gemacht dadurch, daß die Kommissionsbeshlüfse der Ansiedlungskommission viel zu wenig Land zur Verfügung stellen und dadur die Ansiedlungskommission zwingen, nur um das zur Besiedlung nötige Land zu bekommen, bet jedem Besiywechsel fofort mit der Enteignung vorzugehen. Meine Herren, das muß dazu führen, daß die unlauteren Manipulationen, über die wir uns bisher {on zu beklagen hatten, auch weiterhin, nur in etwas anderer Form, zur Anwendung kommen werden. Denn während bisher der Deutsche, der an die Ansiedlungskommission ver- kaufen wollte, der Ansiedlungskommission ein bindendes Kaufangebot von polnischer Seite vorlegte und dadur die Ansiedlungskommission ¡um Ankauf zu animieren suhte, wird er in Zukunft einfa seinen Besiy an einen polnishe# Strohmann auflassen, und die Ansiedlungskommission, von der er weiß, daß fie um Land in Not ist, damit zwingen, diesen Besiy zu enteignen
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
. 1 590.
(S@luß aus der Ersten Beilage.)
Sie können sagen: das muß die Ansiedlungskommission wissen, ob das ein Sheingeschäft ist. Meine Herren, ebenso wenig wie das bisher zu erkennen war, wird es in Zukunft zu erkenren fein, ob es sih um ein Scheingesckäft oder um ein ernstes Geschäft handelt. Ein Risiko geht ja der betreffende Pole, der als Käufer auftritt, überhaupt nit ein ; denn er wird durch Sondervertrag nicht nur seine Provision sichern, sondern er wird sich auch dagegen sichern, daß er nicht Verluste erleidet, wenn etwa der Enteignungspreis unter den Kaufpreis fallen würde. Auch der deutshe Verkäufer läuft keinerlei Nisiko; denn Sie werden mir zugeben, daß bei der Enteignung ein guter Preis immer herauékommen wird, und wenn bei dem Scheinkauf der Preis recht hochgesezt ist, dann ist sogar nicht ausgeshlossen, daß das auf den Enteignungspreis einwirkt. Der Uebelstand auf dem Gütermarkt, den wir vermeiden wollen, bleibt also bestehen. Die Ansiedlungs- kommission wird gezwungen sein, auch in Zukunft jedem einzelnen Gute weiter nahzulaufen; sie wird ferner gezwungen sein, weiter deutschen Grundbesiß zu erwerben, den deutshen Grundbesitz, den wir doch s{honen wollen, zu dezimieren — kurz und gut, die alten Uebel- stände bleiben bestehen.
Die Vorlage des Abgeordnetenhauses vermeidet es demgegenüber, die Ansiedlungskommission in diese s{chwierige Lage zu ‘ seten, weil sie ihr genügend Land zur Verfügung stellt. Nach der Vorlage des Abgeordnetenhauses und nach der Regierungsvorlage würde die Ansiedlurgskommission in dec Lage sein, den betreffenden polnishen Besiger auf seinem Grundbesiß sigen zu lassen; dann würde er entweder Besitzer bleiben um den hohen Preis, zu dem er das Gut gekauft hat, oder der Deutsche, der verkauft hat, würde gezwungen werden, den Grundbesiß zurückzunehmen, und die ganzen Unkosten, die Kosten der doppelten Auflassung und so weiter tragen. Daß das ab- \hreckend wi1ken würde, wenn es ein paar Mal zur Anwendung käme, das, meinr Herren, werden Sie wobl einsehen.
Die Kommission hat nun ihre die Enteignung eirs{chränkenden Beschlüsse in der Absicht gefaßt, die mit der Enteignung verbundenen Härten nah Möglichkeit abzushnächen. Die Königliche Staats- regierung verfolgt du:haus dieselben Ziele; auch sie wüns{cht die Härten so weit einzushränken, wie tas mit den Zwecken der ganzen Vorlage irgend vereinbar ist. Das ist von der Königlichen Staats- regierung {hon so oft erklärt worden, und es liegt auch so sehr im eigentlichen dringendsten Staatsinterefse, daß wohl fügliÞh Zweifel daran nicht mehr bestehen können. Die Staatsregierung will aber von Fall zu Fall feststellen, ob zur Enteignung geschritten werden muß, während die Kommissionsbeshlüfse auf geseßlihem Wege fest- [legen wollen, ob die Enteigaung stattfinden darf oder nit.
Meine Herren, die Kommissionsbeshlüfse führen infolgedefsen zu einer vollständig mechanishen, der Eigenart des einzelnen Falles gar niht gerecht werdenden Entsckeidung. Sie entziehen alten Grundbesiß, der sehr gut ohne Härten enteignet werden könnte — ih nenne nur den Besiß, der sehr hcch verschuldet ift, dessen Eigentümer gern ihren Besitz abtreten wollen, es aber aus Furt vor dem polnischen Boykott nicht tun ; ih nenne ferner Besiß, der von den Besigern gar nicht bewohnt wird, deren Besitzer vielleicht im Auslande wohnen, die ihren Besitz alfo nur als eine Geldquelle ansehen, — kurz und gut Besitz, der sehr gut ohne irgendwelche einshneidende Härte enteignet werden kann. Andererseits würden die Kommissionsbeshlüsse, und das bitte ih besonders zu beahten, die Regierung zwingen, rücksichtslos alles zu enteignen, was dur die Beschlüsse freigestellt wird, weil der Regierung anders Land nicht zur Verfügung steht.
Meine Herren, die Kommissionsbeshlüfse begehen aber vor allen Dingen — und das ist ihr Hauptfehler — den großen Fehler, nicht das zwingende Staatsinteresse, sondern die Interessen der ¿u Ent- eigne: den in den Vordergrund zu stellen. Sie nehmen dadurch dem Gese seinen Erfolg, lafsen ihm aber seine Nachteile und machen es zu einer den Gegner reizenden, thn aber niht gefährdenden Waffe.
Die Königlihe Staatsregierung kann daher in den Kommissionsbeshlüssen ein brauchbares Mittel zur Durchführung des ihr durch die Ver, hältnisse nun einmal aufgeziwungenen, zur Ver- teidigung des Deutshtums in den Oftmarken und für die Sicherheit des Staates absolut not- wendigen Kampfes nicht erblicken. Sie sieht allerdings in dem Antrag Wedel zweifellos eine Verbesserung der Kommissions- beshlü}se, und fie entnimmt daraus mit Freude den Wunsch, es zu einer Verständigung kommen zu lafsen, kann aber auch den An, trag Wedel nicht als ein brauhbares Mittel, zum Ziele zu kommen, bezeihnen. Andererseits würde eine Ablehnung des Enteignungsgesetzes einen Sieg des Polentums und eiren Schlag gegen das gesamte Deutshtum in den Oftmarken bedeuten (sehr richtig ! rechis), von dem es sich nie wieder würde erholen können. Meine Herren, wir fstchen einer harten Wirklichkeit, einer harten Not- wendigkeit gegenüber, die, wie der Herr Referent hon sagte, aus den Schwächen früherer Zeiten hervorgegangen ift. Nicht dur halbe Maßregeln, sondern nur durch Einsegen unserer ganzen Kraft, nur durch den Willen zum Sieg, wie das ein Mitglied dieses Hauses in der Kommission treffend ausdrückte, werden wir den Sieg erringen, werden wir den Gefahren vorbeugen, deren rehtzeitige Vorbeugung unsere Pflicht ist.
Meine Herren, die Königlihe Staatsregierung bittet Sie daher, unter Ablehnung der Kommissionsbeshlüsse und des Antrages Wedel die Vorlage des Abgeordnetenhauses wiederherzustellen, welhe ein, wenn auch nicht vollkommenes, so doch brauchbares Mittel für eine erfolgreihe Polenpolitik bildet.
Fngviiden ist ein Antrag des Oberbürgermeisters Dr. dickes eingegangen, unterstüyt durch die Herren Vo Bere von Falcken stein, Dr.Schmoller, Beer u. a., der die lse des Abgeordnetenhauses im wesentlichen wiederherstellt. Aus-
P
Zw e ite Beilage
Berlin, Donnerstag, ‘den 27. Februar
eschlossen sollen von der Enteignung sein: Gebäude, die dem
g : Pavbtrde
offentlihen Gottesdienst dienen, Grundstücke im Eigentum von Kirchen und Religionsgesellschaften m
ferner im Eigentum von ausdrücklich als milde anerkannten Stiftungen, sofern der Eigentumserwerb vor dem 26. Februar
1908 vollendet war.
Graf von Mirbach: Ich habe früher gesagt, ohne diz organi-
it Korporationsrechten, !
sierte revolutionäre Bewegung des Schulstreiks würde die Regierung |
er nicht dazu gekommen sein, eine Enteignungsvorlage ein- zubringen, und sie würde auch keine Zustimmung in beiden Höuseru des Landtags finden. Auf diesem Standpunkk stehe i noch heute. Das Nationalitätsprinzip, das 1859 Napoleon 111. inaugurierte, hat in allen Völkern die bedeutendsten Bewegungen erzeugt. Vor 1859 bestanden die herzlichsten Beziehungen zwischen Deutschen und Polen, wie ich mich noch aus meiner Jugendzeit erinnere. Die Schärfe des Gegensatzes trat erst mit der Ansiedlung ein, und darüber kann man \ich midt wuntern. Es wurden Staats3mittel, die von allen Staatsbürgern, auch von den Polen, aufgebracht waren, verwendet, um die Polen autzukaufen. Die polnishe Führung be- findet sich im Auélande, namentli in Lemberg, und sie wird au leider von der Geistlichkeit unterstüßt. Durch die Ansiedlung hat diese Agitation große Stärkung erfahren. Die Polen wissen, daß sie sih niht auf die Defensive beschränken dürfen, fondern selbst zur Offensive übergehen müfsen. Wir dürfen nicht vergessen, daß gerade unsere Ansiedlungskommission diese Bewegung Ene hat. Die Denkschrift der Regierung enthält nur dié Kreditseite des Unternehmens, denn wit einer Drittelmilliarde läßt sich ganz gut kolonisieren, aber ih vermifse die Debetseite, d. h. die Stärkung und Sanierung der Polen. Von einer polnishen Wirtschaft ist heute niht mehr die Rede, die Polen find sehr gute Wirte; Sie können in der Provinz Posen mit der Lupe nah einem derangierten Gut suchen. Nun will die Regierung auch noch das Recht einer Enteignung haben. Darin liegt ein Zugeständnis des Mißerfolges unserer Anfiedlungspolitik. Fürst Bülow erklärte im Abgeordnetenhause — ich folge ihm darin nit unbedingt —, das Geseß von 1874 gebe die Befugnis der Ent- eignung auch auf diesem Gebiete, aber er fügte hinzu — dafür bin ih ihm dankbar —, die Regierung wolle auf Grund dieses Gesetzes doch diese Enteignung nicht versuchen, weil der Gesetzgeber seinerzeit daran nit gedacht habe. Bei dem Geseße von 1874 handelt es fih nur um wirtshaftlihe Unternehmen, und dabei wird niemals das ganze Eigentum g*nommen ; und diese Expropriationen vollziehen fih im Interesse der Anlieger der betreffenden Gegend selbst. Es handelt si dabei um wirtshaftlihe Vorteile, die nur zu erreihen find durch eine teilweise Enteignung. Hier is es anders; das Grundstück wechselt seinen Eigentümer, der Staat seyt einen anderen hinein, und zwar ohne Gewähr, daß dieser dableibt und der Zweck erreiht wird. In der Kampfesstimmung, die unser Volk augerblicklich durchzieht, übersicht man diese Dinge. Die baltishen Deutshen sind die zuverlässigsten Landeleute, aber die baltishen Barone baben si über die Beamten und das übrige Volk ein wenig erhoben. te haben dadurch eine Mißstimmung gegen \ich im russishen Volke erregt; welcher Entrüstungssturm würde nun in Deutschland entstehen, wenn die russishe Regierung die Balten enteignen wollte? „Was du nicht willst, das man dir tu?, das füg? au keinem andern zu!" Jch appelliere also an Ihre Gerechtigkeit. Wer der Regierung den Enteignungsgedanken eingegeben bat, hat ihr keinen guten Dienst erwiesen. Für die zweijährige Dienstzeit konnten wir seinerzeit im Neichstag stimmen, weil wir die militärischen Autoritäten für uns hatten, und weil es sich um keine Gewissensfrage handelte; hier aber versagt mein Gewissen. Jn der inneren Politik muß man die Stimme des Gewissens fragen. Zwar greift hier die äußere Politik mit hinein, und man könnte sagen, die Maßregel ift deswegen not- wendig. Ich könnte dieser Ansicht folgen, wenn die Maßregel entshieden einea Erfolg hätte. Aber ih bestreite diesen E- folg. Sollen die 70 000 Hektar genügen, den Erfolg zu erreichen? Nein, damit erreicht man sehr wenig. Und wenn wirklich ein Erfolg erzielt wird, so steht demgegenüber eine Vershärfung und Ver- tiefung der polnischen Frage, wie wir sie noch nit erlebt haben. Gibt es etwas Zwingenderes, als wenn den Polen gesagt wird: Ihr seid jeßt rechtlos? Ich gehöre mit meinem Besiß der Provinz ODst- Preugen an, meine engere Heimat würde gefährdet, wenn die slawische Masse uns trennte von dem preußischen Staate; ih kenne also die Gefahr sehr wohl. National zu sein, nehmen wir ebenso in Anspru wie die Herren, die auf der Gegenseite stehen. In einem Großstaat E die Nationalitäten si unterordnen, damit muß der Großstaat renen, und man kann niht wie die Shwärmer sagen : Die Nationalität über alles! Die innere Kolonisation — auch ein Bismarck konnte Fehler machen — war ein Fehler. Man weist darauf hin, daß Bismarck selbst an die Enteignung gedacht hat, aber keiner hat so wie er auf dem Standpunkt der Erhaltung des Grund- eigentums gestanden. Ich hätte den Eisenbahnminister sehen mögen, der es gewagt hätte, durch ein ine Genb das dem Fürsten
Bismarck besonders am Herzen lag, eine enbahn legen zu wollen! Ich werde also gegen die Enteignung stimmen, aber die übrige Vor- lage annehmen, denn wir können die innere Kolonisation nicht mit einem Schlage abbrehen. Wohl aber können wir sie etwas langsamer prozedieren lassen. Das Wichtigste is die Erhaltung des deutshen Besißzes in den gefährdeten Landesteilen. Hätte man dahin gestrebt, die Rente des Grundbesizes im Osten zu erhöhen durch ausreihende Dotationen usw., so wäre das deutshe Kapital nah dem Osten gestrômt, und wir hätten das erreibt, was wir jeßt vermissen. Das haben wir versäumt. Das ist der Weg, ohne Kampf und ohne Bitterkeit zu Erfolgen zu gelangen. Ich bitte den Ministerpräsidenten, um die angesefsene deutshe Bevölkerung im Lande zu erhalten, die Mittel diefer Vorlage vielleiht in Ver- eus zu bringen mit dem Projekt der oftpreußischen Landschaft. Ferner ist zu berücksihtigen, daß es im Osten an Arbeitskräften feblt, und deshalb sage ih: stärken Sie die deutshe Bevölkerung! Die Zunahme des Steuersolls ift seit 1892 in den westlichen Dei bedeutend gestiegen, um 60 bis 709/06, in den östlihen Provinzen nur um 18 bis 309%». Wir wollen den Reichskanzler gern unter- stüßen, aber in dieser Gewifsensfrage kann man do einmal anderer Meinung sein. Unsere Entscheidung fällt unter den Gesichtspunkt : wie verträgt sie sih mit den Staatsinterefsen jeßt und in Zukunft ? Wir sehen in der Enteignung eine Gefahr, deshalb bitte ih, diese ab- zulehnen, im übrigen aber die Vorlage anzunehmen. Jch beantrage eine namentlihe Abstimmung über § 13a, beziehungsweise den Antrag Wedel und für den Fall der Annahme des § 13a auch eine nament- lihe Abstimmung über § 13. Sollte § 13 fallen, so müßte uns durch eine Vertagung die Möglichkeit gegeben werden, die Vorlage entsprehend umzugeftalten.
Oberbürgermeister Dr. Wilms- Posen: Ih danke der Regierung im Namen der Deutschen, die im Osten im Kampfe stehen, für diese Vorlage. Bisher hat fh niemand gegen die Erhöhung des An- siedlungsfonds ausgesprohen. In der Kommission ift Luer mit reude begrüßt worden der Vorschlag, für die Regulierung bäuer- icher Güter Mittel zu verwenden. Gegen die Mgusrun des Groß- grundbesizes sind in der Kommission Bedenken erhoben, die ih jed nit für zutreffend halte. Auch unter dem ottwellschen Regime wurden 1 Million Taler aufgewendet, um Großgrundbesiß anzukaufen und in deutshe Hände überzuführen. Die Seßhaftmachung der Land-
E E É T E D R. Da:
zu Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußischen Staatsanzeiger.
1908,
arbeiter würde eine der {chwierigsten Aufgaben sein. Es wird {wer
sein, die Arbeiter zu gewinnen, und noch s{chwerer, fie festzuhalten. Immerhin kann in langsamem Tempo damit vorgegangen werden. Gegen die absolute Enteigung in der Regierungsvorlage bestanden allerdiikgs erheblihe Bedenken. Die Fassung des Abgeordnet-nhaufes war auch keine wesentlide Verbesserung. Der Nückgang des deutschen Grundbesitzes in der Provinz Posen ist niht zu bestreiter, der deutshe Grofgrundbesiy ifft aber in dieser wesentlich auf Landwirtschaft angewiesenen Provinz dringend notwendig in der Selbstverwaltung und als Borbild für den kleinen Grändbesiß. Auf dem Gütermarkt haben sich Verhältnisse entwickelt, die t@sächGlich niht haltbar sind. Wir müssen vor allem dahin streben, den deutschen Mittelstand, die Gewerbetreibenden in der Provinz Posen zu erhalten und zu stärken. Die Ansiedlungskommission hat zu wenig Fühlung mit den Organen der Selbstverwaltung, es muß eine andere Organi- sation geshaffen werden, damit auch die Männer des“ praktischen Lebens ihr Votum in die Wagschale werfen können. Mir ist niht bekannt, ob Handwerkskammern und Handelskammern über dieje Vorlage gehört worden find. Die Ansiezlung hat selbsts verständlih auch erfreulihe Erfolge gehabt; “ver Goldftrom, der in das Land gekommen ist, hat auf allen Gebieten befruchtend gewirkt, namentlich bat die Anlegung der Dörfer dem Baugewerbe in den kleinen Städten Nußen gebracht. Eine Ver- \chiebung der Konfessionen ist gleihfalls zu bemerken, der Prozentsatz der Evang!lishen in Posen und Westpreußen betrug 1818 23, 1880 20, 1900 30 und 1905 34,5 9/0. Die Ansiedlungépolitik hat allerdings die Gegensäße verschärft, aber wie es heute obne die Ansiedlung wäre, ist \chwer zu sagen. Der genossenschaftliche Smne us der Polen geht \chon zurück bis in die secziger ahre. Keine8wegs hat die Ansiedlung die Segensäge fo verschärft wie der Boykott; und diesen Boykott hat zuerft in den siebziger Jahren ein Pole empfohlen. Unter dem Boykott leidet der Deutsche mehr als der Pole. — Jh persönli stehe auf dem Boden der Kommissionsbeschlüsse dieses Hauses. Der Gegensaß zwischen R und Deutsch muß seine Einigung finden în dem Namen reußen.
Dr. Freiherr Lucius von Ballhausen: Ih muß zunächst der Auffassung des Grafen Mirbach widersprechen, daß erst durch das Ansiedlungswerk von 1886 die polnishe Agitation hervorgerufer' ift ; die Vorlage wurde 1886 eingebracht, weil die Agitation {hon be- standen hatte. Beï der Einbringung der Vorlage von 1586 hat der Regierung der Gedanke der Enteignung vollständig fern gelegen. Ih habe als damaliger Landwirtschaftsminister die Vorlage selbst eingebracht; Fürst Bismarck hoffte, durch den Ankauf von 100 000 bis 200 000 ha großpolnisGen Grundbesiges die Landfrage zu regeln. Es lag ihm viel daran, den einflußs reihen Stand der polnischen Großgrundbesißer zu beschränken. In erster Linie war beabsichtigt, den Großgrundbesiz als solchen in der Form von Domänen zu erbalten, erft in zweiter Linie wollte man au Parzellierungen für deutshe Ansiedler vornehmen. Es wurke au damals ausdrücklich betont, daß diese Maßregel sih nicht richtete gegen den fleinen polnishen Besi, den Bauern- und Arbeiterstand; ausgeshlofsen von der Tendenz des Gesetzes waren Ankäufe aus deutsher Hand. In den ersten 15 Jahren wurden auch in diesem Rahmen überwiegend großpolnif{we Besißungen aufgekauft; die Preise bewegten sich ¡wishen dem 60- und 80 fahen Grundsteuerreinertrag. Erst als Herr von Wilamowiß-Moellendo:fff und andere aus ihrer Tätigkeit als Beamte in Posen auêtraten, trat ein Wesel ein; die Preise stiegen \prunghaft auf das 260 fache des Grundsteuerreinertrages, und es wurden bald überwiegend nicht polnishe, sondern deutsche Besißungen aufgekauft. Die tatsählihe Cntwick.ung dieser zwanzig- jährigen Tätigkeit der Anfiedlungskommission hat es dahin gebracht, daß mit 350 Millionen etwa 359000 ha angekauft sind, davon aber nur 100 000 ha aus polnis@er Hand. Unter den Verkäufern aus deutscher Hand find auch deutshe Fürsten, die doch ibren Besi hâtten erhalten kör.nen, und die au Ansiedler bâtten ansetzen können. — Die uns vorliegende Denkschrift über die Tätigkeit der Anfiedlur gs- kommission konstatiert in durhaus objektiver Weise, daß \sih das Niveau der Provinz gehoben hat. Es ist hier sicher ein großes deutshes Kulturwerk geleistet worden. Aber es dürfte doh zweifel- haft sein, ob man den vorhandenen Preisfteigerungen gegenüber auf diesem Wege fortfahren soll. Die Regierung will nun diesen Schwierigkeiten durch die Enteignung begegnen. Ich habe aber gegen diese Vorschläge dieselben Bedenken wie Graf Mirbach; sie stellen einen Eingriff in die Nehts- und Staatsverfassung dar. Fürst Bismarck hat die bekannten Aeußerungen allerdings getan, es war aber nicht bei Gelegenheit der Beratung des Anfiedlung8gefeßzes, sondern bet dem Antrag Achenbah, der im allgemeinen auf Moaß- regeln zur Stärkung des Deutshtums gerihtet war. Wir, die König- liche Staatsregierung, haben damals in der Begründung des Ansiedlungsgesezes die Enteignung autdrückich abgelehnt. Ih habe damals in einer Entgegnung darauf aufmerksam gemacht, daß das Wort Enteignurg sih weder im Geseß noh in den Motiven finde, daß die Regierung die Enteignung niht wolle. Diese Erklärung war keine persönliche, sondern erfolgte namens der Königlichen Staat s- regierung. Ich gebe zu, daß man ein so großes Werk wie die An- siedlung nicht einfah abbrehen kann, aber es ift noch ein Vorrat für zwei Jahre vorhanden. Jedenfalls müssen Ankäufe aus deutscher Hand in Zukunft ganz ausgeschlofsen sein. Ich halte es auch nit für richtig, den Fus von Ausländern, von Nachkommen ehemaliger deutsher Ansiedler aus Rußland und Ungarn zu begünstigen, da dies für unsere Kultur keinen Fortschritt bedeuten könnte. Die Anfiedlungskommission sfollte ihre Tätigkeit in einem ruhigen Tempo fortsezen und zu irgend einer Zeit einen Abs {luß machen. E sind 75 Millionen reserviert worden, um die Stulden der kleinen Besitzer im Osten zu regeln, indem diese Gelegenheit bekommen sollen, ihre Belastungen zu einem möglichst geringen Zinsfuß zu erhalten. Jch glaube, daß dieser Weg ein ganz guter ist, es ist aber zu prüfen, ob er nicht die Neigung zum Schuldenmachen begünstigt. Das Ansiedlungswerk wind in andere Bahnen geleitet werden können, und dann werden wir in einigen Jahren weiter sehen. Auch ohne die Enteignung bietet die Vorlage noch genug. Ein Radikalmittel gegen die polnische Gefahr gibt es nicht. Wir müssen mit den Polen zusammen leben, fie genießen dieselben Rechte und
flihten wie wir, und wenn fie fich unterordnen, können wir in rieden mit ihnen leben. Etn Kriegszustand befteht niht, davon ônnte man nur reden, wenn wir einem Aufstande gegenüberftänden. Es ist kein Zweifel, das Preußen seinen Besiß aufrehterhalten wird ; sollte wieder ein Aufstand arren, L würde das eine Existenzfrage sein. Wir haben aber seit Jahrzehnten keinen bewaffneten Aufstand mehr erlebt, es ist deskalb eine übertriebene Besorgnis und zeugt von einem gewifsen Kleinmut, wenn man fagt, die polnischen rene könnten uns über Nacht verloren gehen. Die Polen müssen aber mit demselben Recht und mit derselben Billigkeit behandelt werden. Ih empfehle Ihnen deshalb, die Vors lage anzunehmen, jedoch ohne die Enteignung.
Graf von Mirba (zur tatsählihen Berichtigung): Ich habe niht gesagt, daß vor 1859 bezw. 1886 eine revolutionäre polnische Beweaung nicht bestanden habe, sondern nur, daß die Bewegung durch E Es der preußishen Regierung vershärft und vertieft worden