politishen Freunden heute wiederum außerordentli wenig gefallen. Die verbündeten Regierungen denken zwar nicht an eine Aenderung, wie ürst Bülow erklärt, was hat aber eine solhe Erklärung für einen ert, wenn der oberste Beamte des Reichs dieses Wahlrecht als das- jenige bezeidnet, was am allerwenicften auf die Reife des Urteils, E Bildung und politishe Erfahrung Rücksiht nimmt. Man muß d unwillkürlich auf den Gedanken kommen, daß die verbündeten Regié- rungen und der Reichskanzler di-ses Wahlrecht zu D su würden, sobald sie nur glauben, daß dies ohne \chwere Ershütterung tes Staatsganzen wöglich is. Wir müssen daher sehr auf der Hut sein und dafür sor„en, daß in den Reichstag wie in die Landtage nur wirklihe Freunde des allgemeinen, gleihen und direkten Wahl- rechts kommen. Gerade die Haltung in der ay realege ist ein Prüfftein für einen Abgeordneten sowohl wie für einen Minister, denn der Unterschied, den der Reichskanzler zwishen dem Reich und Preußen gemackt hat, kann uns niht überzeugen. Vor allem hat er gar nicht versuht, einen Unterschied zwishen dem Bundes- flaat Preußen und den anderen süddeutschen Bundes- staaten zu machen, die ihr Wablrecht moderner gestaltet hahen. Der Kanzler stellte die Reform des Kommunalwablrechtes als not- wendige Konsequenz der Reform des preußishen Wahlrechtes dar. Das ftimmt keineswegs, hat man doch geduldet, daß das preußische und das deutshe Wahlrecht vier Jahrzehnte hindurch neben- einander bestanden; da wird auch ein anderes Kommounalwahl- recht neben dem preußishen Landtagswahlreht bestehen können. Der Abg. Lat: mann meinte, wir verfolgten mit unserer Wablrechts- bewegung nur Parteipläne; nahdem der Kanzler uns dargelegt hat, wie s{chlechte Geschäfte wir mit dem Reichstagswahlreht machen würden, brauen wir uns gegen diesen Vorwurf des Abg. Lattmann niht mehr zu verteidigen. Wir betreiben mit Rücksicht auf die Millionen entrechteter Wähler in Preußen ohne Nücksicht auf Partei- ¿wee diese. Wahlrehtsbewegung. Der Abg. Lattmann wollte wohl mehr eine Stihwahlrede für Norden-Emden halten. Der Abg. Latts- mann hat dem Aba. Naumarn Schauspielerei vorgeworfen; er muß ein sehr {lechter Menschenkenner sein, wenn er Gemütsbewegungen, wenn er das Reden mit dem Herzen mit Schauspielerei verwehselt. Dem Abg. Lattmann ganz besonders steht es {lecht an, von Demagogie zu reden, ihm, der eben erft aus dem Wahlkreise Emden-Norden zurück- ekehrt ift. Niemand ist dort demagogischer aufgetreten als er. (Zuruf : Lüge! Unwahr !) Die Deutsch-Sozialen haben in dem leßten Wahlkampf in Waldeck einen gemeinen Schwindel getrieben, das will ich Ihnen, Herr von Liebermann, wenn Sie darauf Wert legen, beweisen. (Große Unruhe rehté; Vizepräsident Ka e m p f ruft den Abg. Na a b wegen des Zwischenrufes „Lüge“ zur Ocdnung.) Die „Kreuzzeitung“ und die „Post“ haben sich über die „Erfolge“ der agrarish-antisemitishen Agitation in Emden-Ncrden sehr abfällig a: gesprochen. Wir empfehlen dem Hause die Annahme der Resolution Heckscher, die den Reichs- kanzler ersucht, zu veranlafsen, daß die verfafsungsmäßige Ausübung der ftaatsbürgerliden Rehte des Beamten an \sich niemals als ein Verhalten angesehen wird, durch das der Beamte sih der At die fein Beruf erfordert, unwürdig zeigt, daß Beamtenaus\hüsse in allen Verwaltungen eingeseßt, die wir1shaftlihen Reichsbetri-be der Gewerbeinspektion unterstellt werden und die Dienftterhältnisse der auf Vertrag angestellten Personen mindestens denjenigen Bedingungen entsprechen, die durch die Gesetzgebung den privaten Unternehmungen vorgeschrieben sind. Es, gibt nicht bloß die von dem Abg. Lattmann an- eführten Beamtenkategorien, sondern noch viel mehr, und der Reichs- ailer würde dem Hause einen Dienst erweisen, wenn er eine Denk- {rift über die Rechtsverhältnisse der Beamten ausarbeiten und dem Reichstage zugehen lassen wollte. Die Koalitionsfreiheit der Beamten muß geschüßt werden; natürlich kann dabei für die dauernd mit ensionsreht angestellten Beamten von einem Streikreht nicht die ede fein, was von ihnen aber auch gar nicht verlangt wird. Aber im übrigen können wir niht billigen, daß die Vereinsfreißeit der Beamten auf bestimmte Bezirke oder bestimmte Kategorien be- schränkt wird. Wir fordern desgleichen volle Ve:sammlungsfreiheit für die Beamten, das volle Petitionsreht und das volle Wahl- recht, das Grundrecht aller Rechte, avch für die Beamten. Jch er- innere hier nur nochmals an den Fall Schellenberg, der noch dazu nicht einmal einer der s{chlimmsten Beweise von Maß- regelungen gewesen ift. Eine sehr s{chlimme Aeußerung eines hohen preußishen Beamten ist kolportiert worden, es hieß, die Beamten würden sich wohl nit erlauben, ihrem Unmut über das Ausbleiben der Befoldungsverbesserung Ausdru zu* geben, denn man habe ja die öffentliche Wahl. Das Dementi des Staatssekretärs v. Bethmann Hollweg im preußischen Abgeordnetenhause genügt mir niht; ih wünsche, daß au hier ausdrücklich von seiten der Regierung erklärt wird, daß die Beamten bei der nähsten Wahl volle Wablfreiheit genießen werden. Wir verlangen ferner für die Beamten Meinungsfreiheit in Wort und Schrift und freien Verkehr mit den Abgeordneten eines arlaments. Zur Abstellung von Mißständen, ohne daß dazu erft die effentlihkeit angerufen zu werden brauht, würden ih Beamten- aus\chüfse durchaus eignen; deehalb unterstüßen wir auch diese Forderung der Beamten.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Jnnern, Staatsminister von Bethmann Hollweg:
Meine Herren! Es war mir niht mögli, die Aeußerungen des Herrn Borredners über eine angeblite Bemerkung eines höheren preußischen Beamten in bezug auf das öffentlihe Wahlreht genau zu verstehen. Jh glaube, ihn dabin verstanden zu haben, ein höherer preußischer Beamter habe ausgesprohen: zum Glück bestehe ja in Preußen das öffentlihe Wahlrecht — mit dem Hintergedanken, man könne die Oeffentlichkeit des Wahlrechts mißbräuhlih benutzen gegen die Ausübung des Wahlrehts durch Beamte. Mir if eine solche Aeußerung eines höheren preußishen Beamten biéher unbekannt ge- blieben und ih halte fie so für unmöelich. (Sehr richtig! rehts. Widerspruch in der Mitte.)
Meine Herren, ih habe aber aus einem anderen Grunde das Wort ergriffen. Es if heute und vorgestern von verschiedenen Herren Rednern gefragt worden nach dem Stande der Arbeiten für eine Reform des Staatsangehöcigkeitegesezes. Meine Herren, der Herr Reichskanzler hat zu wiederholten Malen hier im Reichstag die Reformbedürftigkeit des Staatsangehörigkeitêgeseßzes vom 1. Juni 1870 anerkanut und bedauert es lebhaft, daß es bisher unmöglih gewesen ist, dem Reichstag eine entsprechende Vorlage zu mahen. Darüber dürfte kein Zweifel sein, daß jenes Gesez denjenigen Wandlungen nicht mehr Rechnung trägt, die das Deutshe Reich seit dem Erlaß des Gesezes durhgemacht hat, — niht der Autbreitung, die das Deutsh- tum in überseeishem Handel und Verkehr gefunden hat, niht der Er- höhung des Wertes, den das Deutshtum im Auslande genießt, nicht der Erkenntnis, daß wir alle die Deutschen, die draußen im Dienste des Vaterlandes Arbeit leisten, nicht fahren lafsen dürfen und nicht fahren laffen wollen.
Die Arbeiten wegen der Reform des Staatsangehörigkeitsgeseßzes sind leider im vergangenen Jahre auf einen toten Punkt geraten. Sie müssen, meine Herren, bedenken, daß eine ganze Reihe f\taatlih wichtiger Interessen bei der Reform zu berücksihtigen bleibt. Jh kann aber, nachdem seit geraumer Zeit die Arbeiten wieder auf- genommen find, die Hoffnung aussprechen, daß es nunmehr in kurzer Zeit gelingen wird, dem Reichstag eine Reformvorlage zu machen. (Bravo! links.) Die Nichtlinien dieser Reformvorlage werden dahin gehen, dß der Verlust der deutshen Staatsangehörigkeit erschwert und die Wiedererwerbung der deutschen Staattang: hörigkeit erleichtert wird. (Bravo! rets.)
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gere Et D P Seele M de er die a e em en en im all- Siveiten den Ansichten der Äleawirgenden Mebrbeit des Hauses, ins-
besondere seine Bemerkungen über den Dreibund. In der auswärtigen
resse zeigte sih in der leßten Zeit eine gewisse Feindseligkeit gegen- ; chen I | gedrungen an Aeußerlihkeiten und wird infolgedessen oberfläGlid,
fes Deutschland in bezug auf das Sandschakbahn- Projekt. ene
resse hâtte die Pflicht gehabt, zu prüfen, ob hierdurch wiiklih die
teressen Italiens und Englands verleßt werden. Für den internationalen Verkehr hat diese Santschakbahn nur eine minimale Bedeutung. glaube, die Aufregung war deskalb überflüssig, und es wird nicht {wer sein, einen Ausgleih zwish n den österreihishen und italienishen Interessen auf dem Balkan herbeizuführen. Dem Antrag Albrecht wegen Erwerb und Verlust der Reichsangebörigkeit stimmen wir zu. Daß eine Deutsche, die im Auélande einen Ausländer heiratet, ihre Reichs- angéhörigkeit verliert, wollen wir gelten lafsen, aber daß dies auch dann geschieht, wenn sie hier im Inland einen Ausländer heiratei halten wir für eine große Härte. In England is es anders. Auch in der kleinen Schweiz ist versucht worden, den Verlust der Staats- angebtörigkeit zu v-:rhindern. Es is das auch mit Nücksicht auf die Kinder von größter Wichtigkeit. Die Arbeit ter Zentralauskunftéftelle verdient böchste Anerkennung. Daß der Abg. Naumann demagogish geptegen hat, kann ih nit finden. Er ist ja eine eigene Persönlich- eit und hat eine glänzende Rhetorik. Er fpricht mit Eleganz und s{hweift mit dem größten Seiftesreihtum über alle Realitäten des Lebens hinweg. Die Einführung des allgemeinen gleihen Wahlrechts hat jedenfalls auf die breiten Massen des Vo!kes im Süden be- ruhigend und ausgleihend gewirkt. Der Reichskanzler bätte wenigstens die geheime Stimmabgabe in Preußen in Aussicht stellen können.
Die Diskussion wird geschlossen und das Gehalt des Reichskanzlers bewilligt.
Zur Geschäftsordnung bedauert der
Abg. E rzberger (Zentr.), daß es ihm durch den Schluß der Dis- kussion unmögli geworden fei, den Antrag seiner Partei wegen des Koalitionsrechts der Beamten näher zu begründen.
Es folgen persönliche Bemerkungen der Abgg. Vonder- \cheer (Zentr.) und Potthoff (freis. Vgg.).
Jn der Abstimmung wird zunächst der Antrag Hompesch wegen Schußes des Wahlgeheimnisses angenommen; ebenso der Antrag Heinze, betreffend die vom Reiche den Gemeinden L liefernden Wahlurnen. Dagegen wird der Antrag der
ozialdemokraten auf Einführung des allgemeinen gleichen, geheimen und direkten Wahlrehts für alle über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlehts nah Maßgabe der Verhältniswahl gegen die Stimmen der Sozial- demokraten und einiger Pren (Potthoff, Naumann, Hermes u. a.) abgelehnt. Der Antrag Pn auf Ge- währung des Koalitionsrehts für die Reichsbeamten wird gegen die Stimmen der Rechten angenommen. Ebenso der
ntrag Lattmann, der den Beamten, Handwerkern und Arbeitern in Reichsbetrieben gestatten will, Ausschüsse aus ihren Reihen zu wählen, und. der Antrag Behrens wegen Herausgabe einer Denkschrift über Art und Umfang der Einwanderung ausländisher Arbeiter für landwirt-
schaftliche und gewerblihe Unternehmungen. Abgelehnt wird ferner der Antrag der ozialdemokraten, wonach Ausweisungen von Ausländern aus einem
deutschen Bundesstaate nur auf Grund eines richterlichen Urteils zulässig sind, das auf Grund reihsgeseßliher Vor- schriften über die Zulässigkeit von Ausweisungen ergangen ift. Die Resolution Storz wegen Reform des Geseßes über Erwerbung und Verlust Ter Bundes- und Staatsangehörigkeit wird einstimmig angenommen, desgleichen die Resolution Beck- Heidelberg, die sih auf dênselben Gegenstand bezieht. Die Abstimmung über die Resolution Brandys wegen einer Enquete zur Untersuhung der politishen Verhältnisse der polnischen Bevölkerung im Deutschen Reiche wird eine nament- lihe sein und morgen erfolgen. Die Resolution Heckscher wird, soweit sie sich aufdie verfassungsmäßige Ausübungder staats- bürgerlichen Rechte des Beamten und I die Dienstverhältnisse der auf Vertrag angestellten Personen bezicht, angenommen, soweit sie sich auf die Einrichtung von Beamtenausschüssen und auf die Unterstellung der wirtshaftlihen Betriebe des Reichs unter die staatlihe Gewerbeinspektion bezieht, abgelehnt. Damit is die Beratung des Etats des Reichskanzlers erledigt. Beim Etat des Auswärtigen Amts bemängelt der Abg. Dr. Ofann (nl.), daß für die Aufnahme in die diplo- matishe Karriere nicht allein Tüchtigkeit und Kenntnisse entscheidend zu sein schienen; es kommæe heutzutage niht allein darauf an, daß ein Diplomat \ich auf dem Parkett zu bexegen wisse, sondern daß er auch das Leben kenne. Auch in den bürgerlichen Kreisen fänden \ih geeignete Kräfte. Allerdings spiele die Firanzfrage sehr mit, denn die Gehälter eins{ließlich der Repräsentationskoften genügten béi weitem nicht. Von anderen Ländern würden auch Bürgerliche als diplomatische Vertreter zu uns geshickt. Tüchtige Kräfte würden aber jeßt durch die absolute Ausfichtslosigkeit ihres Gesuches von einem folchen abgeshreckt. Auch die Ausbildung unserer Diplomaten genüge niht mehr, vor allem müßten fie auf dem Gebiete des industriellen und kaufmännishen Lebens bewandert sein, dies aber könnten fi: nur in großen heimischen Betrieben, auf Handelshochs{hulen und bei Handelskammern lernen. Der Redner bittet ferner, bei Au3- chreibung öôffentliher Arbeiten im Auslande, diese auch in Deutsch» land bekanntzugeben, damit heimische Bewerber \ih beteiligen können.
Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Wirklicher Geheimer Rat von Schoen:
Meine Herren! Der Herr Abg. Dr. Osann hat die Frage der Reform des diplomatishen Dienstes wieder berührt und mir damit niht unwillkommene Gelegenheit gegeben, zu sagen, wie ih persönlich über diesen Punkt denke. Der Wunsch, daß etwas in der Diplomatie anders, etwas besser werde, ist ja bereits vor einem Jahre bier in diesem hohen Hause geäuße:t worden. Der Wunsch entspringt einem Interesse an auswärtigen Dingen, das an sich mit Dank zu begrüßen ift. Er enthält aber auch, wenn auch in sehr diskreter Forrà, eine Kritik an dem Bestehenden und s{heint auf der Annahme zu be- ruhen, daß bei der Auswahl des diplomatischen Peisonals einseitig und engherzig verfahren werde. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Nun glaube ih ja wohl annehmen zu dürfen, meine Herren, daß im allgemeinen die Meinung über unsere deutshe Diplomatie etwas wohlwollender geworden ist als noch vor einem Jahre, und ih nehme mit Dank Akt von den anerkennenden Worten, welche wiederholt in der legten Zeit in diesem hohen Hause unseren Vertretern auf der Haager Friedenskonferenz zuteil geworden sind. Vielleicht, meine Herren, findet ih gelegentlich noch einer oder der antere unserer Diplomaten, der \sih besser erweist als sein Ruf.
Wie dem aber auch sei, so glaube ih mit Ihnen einig zu sein, meine Herren, daß \sih bei der Beurteilung von diplomatiscken Personen und diplomatischen Dingen eine gewisse Vorsicht empfiehlt. In der Tat, die hauptsählihste und wichtigste Tätigkeit des Diplomaten vollzieht sih auf einem Gebiet, welches nit allen Blicken geöffnet werden kann. Nur derjenige, welcher vollen
Einblick in dieses vertraulihe Gebiet hat, wird in der Lage sein, ein zutreffendes und ershöpfendes Urteil über die Leifkungen und Fähigkeiten des einzelnen fafsen zu können. Für Außenstehende ist dies schwierig, wenn nicht unmöglih. Ihr Urteil haftet- not-
leiht \{hief, bei den besten Absichten unfreundlih, und es kann, wenn öffentlih vor dem Inland und Ausland ausgesprochen, leicht {ädlich
* und verleßzend wirken, um so verleßender, als es Leute trifft, die fich
niht wehren könren und wehren dürfen. |
Die Grundsäye, nah welchen bei der Auswabl des diplo- matishen Personals zu verfahren ift, sind diktiert von den Er- fordernifssen des Dienstes. Zu diesen Erfordernissen gehöri nun manches, was mitgebraht sein will, was nicht in der Karriere erf erworben werden kann. Es gehöten dazu neben den allgemeinen und besonderen Kenntnissen vor allen Dingen umfassende SpraŸhkenntuisse, und zwar eine sehr gründlihe Beherrshung fremder Sprachen ; die gewöhnlihen Kenntnisse eines Oberkellners genügen in dieser Be- ziekung niht. (Heiterkeit.) Es gehört ferner dazu, wie die Dinge nun einmal liegen, ein niht unbeträhtliches Vermögen, es gehört dazu eine gewisse psychische und physishe Anpafsungsfähigkeit, eine kapitelfeste Gesundheit, welche es erlaubt, von nördlihen Regionen nach dem Aequator und umgekehrt zu wandern. (Heiterkeit.) Es gehört dazu eine nit ungünstige äußere Erscheinung (Heiterkeit), ein festes Auftreten und, meine Herren, ein großes Maß gesellshaftlichen Shliffes.
Nun weiß ich sehr wohl, meine Herren — und der Herr Vor- redner hat die Güte gehabt, das selbst als seine Meinung zu äußern —, daß die Tätigkeit des Diplomaten sich heute niht mehr allein auf dem glatten Parkett vollzieht; es gehören dazu heutzutage umfassende allgemeine und spezielle Kenninisse. Darum müssen auch die Anforde- rungen gesteigert werden, und es muß bei der Prüfung der Anwärter und bei der Vorbereitung®zeit ein höherer Maßstab angelegt werden. Es haben Erwägungen über eine neue Prüfungsordnung und über die Frage ftattgefunden, in welher Weise den Anwärtern zum diplomatischen Dienst mehr Gelegenheit als bisher gegeben werden kann, fih fahlich und sahlich auszubilden. Diese Erwägungen stehen dem Abs{hluß nahe, und ih hoffe, in kurzer Zeit das Resultat derselben bekannt machen zu können. Ih möhte mih deshalb noch nicht auf die Einzel- heiten der neuen Prüfung8ordnung einlafsen, Iknen vielmehr uur kurz sagen, daß ich mir die Sache etwa, wie folgt, denke. Den jetzigen Zustand hat der HFerr Abg. Dr. Osann uns soeben geschildert. 2 :
f 0 Ich denke mir die Sache so, daß wir nah wie vor als Regel daran Jesthalten, solche jungen Anwärter anzunehmen, welche die erfte juristische Prüfung mit gutem Erfolg bestanden haben, was man in Preußen Referendare nennt. Anstatt von ihnen aber wie bisher zu fordern, daß sie eine juriftische Praxis von zwei Jahren hinter fich haben, werden wir fie jeßt sofort nah bestandenem R ferendarexamen annehmen und sie anfiatt wie bis jegt zwei Jahre vier Jahre in unserer Praxis be- schäftigen. Es ersheint mir beser, daß die jungen Anwärter diese Vorbereitungszeit bei uns im Auêewärtigen Amt, bei auswärtigen Missionen — und ih meine damit niht nur diplomatische, sondern auch konsularische, und darauf lege ih sogar den Hauptwert — ver- bringen, fondern daß fie diese Zeit auch verbringen in ciner Bank oder einem größeren Handelshause und an einer Handelshochschule, womöglih auch bei einer Handelskammer ; kurz ih lege den größeren Wert darauf, daß die jungèn Leute heutzutage mehr nah der wirt- \haftlihen Seite sih ausbilden und praktishen Sinn gewinnen als nah der juristishen. Sanz entbehren werden wir die juristishe Vorbildung nit können, deshalb, weil im diplomatischen Dienst Rechtsfragen einen großen Teil der Beschäftigung bilden; auch deswegen uicht, weil es Posten gibt, auf denen die Diplomaten als Richter zu fungieren haben. :
Wer über die Gesamtheit der erforderlihen Eigenschafien zu ver- fügen glaubt, kann sich zum Eintritt in den diplomatishen Dienst mit der Sicherheit melden, daß sein Gesuch rein sahlich geprüft wird. Es ift rihtig, daß sich heutzutage noch viel mehr Bewerber aus den sogenannten obersten Ständen bei uns melden, als aus den bürger- lihen Mittelklafsen. Das ist sehr einfach darauf zurückzuführen, daß fih in diesen sogenarnten oberen Schichten noch viel mehr Angehörige finden, die die vorhin erwähnten Vorbetingüungen (Vermögen, Sprach- kenntnifse 2c.) erfüllen. Diese Verkbältnisse zu ändern, liegt nicht in der Kraft meines Ri ssorts. Was wir tun können, das ift die rein fahlihe, vorurteilsfreie und wohlwollende Prüfung der Gesuche, die bei uns eingehen; und daran, meine Herren, soll es niht fehlen, soweit meine Amtsführung in Betracht kommt. Ich erkläre ausdrücklich, daß mir die Bevorzugung irgend eines Standes grundsäglih fern liegt.
(Bravo! links.)
Der Herr Vorredner hat es auch als wünschentwert dezeichnet,
daß bei der Ausbildung der konsularishen Beamten mehr Gewicht als bisher auf die wirtshaftlihe Seite gelegt werde. Ich freue mich, sagen zu kônren, daß ih in dieser Richtung vollständig mit dem Herrn Vorredner übereinstimwe, und daß das Erforderliche bereits angeordnet ift. Wir gedenken, unsere angehenden Konsuln fernerhin vielmehr nach der praktishen und kaufmännishen Seite auszubilden, und zwar in der Weise, daß wir sie bei ihrem Durhgang durch das Auswärtige Amt mehr in der Handelsabteilung beschäftigen als in den anderen, dadur, daß wir darauf achten, daß fie längere Zeit eine Handels- bhohshule, eine Handelëeakademie besuhen und den Grfolg dieses Besuches nahweisen, dadurch, daß wir darauf betacht sind, daß fie, wenn es irgend möglich ist, praktisch in das kaufmännishe Leben einen Blick werfen und in einem größeren Kaufmannshause oder in einer Bank oder au in einer Handelskammer tätig find. Auf tiese Weise glauben wir, daß marchen Klagen Abhilfe geschaffen wird. Nur müssen wir uns dessen bewußt sein, daß die Wirkung dieser Aenderung \sich nicht von heute auf morgen geltend machen kann, und allzu große Hoffnungen darf man auf einen Umschwung insofern, glaube id, auch nicht seßen, als vielfah im Publikum noh irrtümlihe Anshauungen über die Fähigkeiten und Aufgaben unserer Konsuln herrshen. Der Konsul ist im Auslande der Berater und der Helfer der Deutschen, die draußen wohnen, und des Haudels- standes, der mit dem Auslande seine Verbindungen knüpft; er kann aber niht sein, wie das sehr häufig irrtümlich gedaht wird, der Agent oder Vertreter des Handeléstandes. Das liegt auf der Hand.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
zum Deutschen Reichsanzeiger und Königli
N De
{Sus aus der Gríten Beilage.)
Es ift auch niht nôtig, “daß er sih zu dieser Aufgabe dur{hzuringen sucht, die er tatsählich nicht durhchführen kann; denn dazu ist der deutshe Kaufmann selbst ta, urd ter deutsche Kaufmann hat si scinen Wez gebahnt durch die weite Welt und hat überall den deutshen Namen zur Ehre und zum Ruhm gebraht. Und wie ihm das in der Vergangenheit gelungen ist und in der Gegenwart ge- lingt, so wird es ihm auch, dessen bin ih sier, in Zukunft gelingen. (Beifall.)
Abg. Erzberger (Zentr.): Auf die Notwendigkeit einer Reform
* der Vorbildung der Diplomaten habe ih shon im vorigen Jahre hin-
gewiesen. Vielleicht legt uns der Staatssekretär eine Denkschrift über diese Verhältnisse vor... Auch das Mißverhäitnis zwischen bürgetlihen und adligen Diplomaten is bekannt. Der junge Diplomat muß bei der Auswahl seiner Eltern sehr vorsidtig seia. Jedenfalls ‘ ift mir aber der Geburtsadel noch lieber als der Einfluß der Plutokratie auf die auswärtige Politik. Das Auswärtige Amt sollie dafür sorgen, daß die größeren Konsulate von Schceibwe:k mehr entlastet werden. Vielleicht könnte die ganze Orgmnifation geändert werden; wie das zu gesehen hat, muß ih der Verwaltung überlassen. Daß der Reichskanzler engere Fühlung mit der Auslandsprefse nehme, kann ih au nur mit dem Abg. Bassermann wünschen ; eine gewisse Vorsicht wäre aber doch am Playe. Meine Ausführungen richten ih niht gegen den jeßigen Staatssekretär. So hatte z. B. ein englishes Blatt von einer Unterredung des Deutschen Kaisers mit einem englischen Staatsmann berichtet. Das wurde coffiziôs abzuleugnen gesut, ob- wohl die Richtigkeit der Mitteilung bewiesen war. Solche Ab- leugnungéversuhe müssen Mißtrauen gegen uns hervorrufen. Schließlih mödhte ih den Staatssekretär bitten, bei der Ver- staatliqzung der Gotthardbahn die deutshen Jntercfsen nah Kräften wahrzunehmen.
Abg. Ahlhorn (fr. Volksp.) {ließt sich den Ausführungen des Abg. Osann über die bessere Vorbildung unseres Diplomaterkorps in wirtshaftliher und handtlepolitisher Beziehung an. Unsere Vertretung in Marokko sei" gewiß eine außerordentli gute ; bei der vielversprehenden Entwicklung des deutshen Handels in Marcklo sei es aber sehr zu wünscken, daß ihm ein auêreihender Schuß durch Unsere Vertretung gewährt werde. Unter ‘den Uaruben in Casablarca habe der deutshe Handel {wer zu [eiden | wi es stehe die Existenz vieler Kaufleute in Marokko auf dem Spiel; wer entschädigt sie für die großen Verluste? Die Deutschen b:fürhten, daß ihnen der volle Schaden niemals erseßt werden För; ne, die deutshen Unternehmer müssen selbst sehen, wie fie zu ihrem Gelte kommen, sie genießen niht denselben Schutz wie die Franzosen. Treu und Glauben in Marokko seien im Schwinden, und es habe sih der Deutschen eine große Mutlosigkeit bemächtigt. Die Franzosen seien, wie es scheine, darauf aus, den deutschen Handel aus Marokko zu verdrängen. Der deutsche Ka:smann müsse immer mutloser werden, wenn er nicht den Schuß des Deutschen Reiches hinter fih habe.
Abg. Ledebour (Soz.) trägt die Beschwerde eines Tuiiden, Grnft Kullack in Brasilien vor, der auf Grund falscher Aussagen des Poliz:ikommifsars erft - verurteilt und dann im Schwur- erihieverfahren freigesprohen war, aber keine Entshädigung er-
ten hatte. Der Redner fragt, ob es endlich gelungen sei, genaue Aus- kunft über die Sache zu ermitteln, und ob die Gesandtschaft in Rio de Janeiro sih zu Gunsten ‘des Deutshea verwenden wolle. Der chinesischen Gesandtschaft solle dem Vernehmen nah der auf gelber Seide geschriebene Cheveitrag des chinesischen Kaisers zum Ankauf Ma worden sein, die Gefandtshaft aber den Kauf abae!ehnt haben, weil der Vertrag bei der „Beruhigungsaktion“ gestohlen wn sei. Es liege im deutschen Interesse, hierüber eine Grklärung zu geben.
Abg. Dr. G örcke- Brandenburg (nl.) beschwert sich über einen Lan in dem ein Deutscher, der in Fräankreih 8 Jahre gelebt hatte, ei seiner Rückkehr nah Frankreih von einer Volkëmenge als Spion bedroht und um seine Stellung gekommen war, eine Gntschädigung wegen dieses entstandenen Schadens nicht habe erreichen können. Der deutschen Diplomatie hätte es jetenfalls gelingen müssen, wenigstens aus Billigkeitsgründen noch eine Entschädigung gegenüber Frankreich durchzusetzen.
Staatssekrctär des Auswärtigen Amts, Wirkliher Ge- heimer Rat von Schoen:
Meine Herren, in Anbetracht der vorgerückten Stunde glaube ih in Ihrem Sinn zu handeln, wenn ich mich mwöglichst kurz fafse.
Der Heir Abg. Erzberger hat es als einen Mißstand bezeichnet, daß bei unseren Behörden draußen — und er hat selbst einen Blick in eine Behöide getan — unendlih viele Schreibereien vorkommen, die, wie er sich ausgedrückt hat, zum großen Teil unnötig zu sein schienen. Jch teile diese Auffassung aus vollem Herzen. Meine Herren, Sie haben keine Ahnung, mit welchen Kleinigkeiten wir be- {chäftigt werden, sogar der Staatssekretär. Aber, meine Herren, es ist niht unsere S&uld, fondern meist die Schuld derjenigen, die fich an uns wenden. Auh im Auêwärtigen Amt wird das als ein großer Mißstand betrachtet, und ebenso bei den auswärtigen Missionen. Ich habe eine ziemlih lange Erfahrung hinter mir, ich war 20 Jahre im Auslande, ih habe immer Eifer und Liebe zur Sache gehabt; aber oft hate ich wirklich einen Seufzer darüber nicht unterdrücken können, mit welden Lappalien man \ich beshäftigen mußte. Jh will niht sprechen von dem Sekundaner, der die Diplomaten ‘um fremde Briefmarken bittet — das kommt nämlich au ziemlich häufig vor — (Heiterkeit), auG nicht von der Witwe, die schreibt, fie hâtte vor so und so viel Jahren einen Verwandten gehabt, dessen Namens sie sih nicht erinnere, und daß man den aus- findig machen folle (Heiterkeit), oder von jemandem, der glaubt, einen Onkel gehabt zu baben, der vor so und fo viel Jabren nah Amerika cder sonstwohin ausgewandert ift und natürli Millionen hinterlassen baben soll; und wenn man ihm \{hreibt: tas ift ein JIrrtum, der Mann hat gar keine Millionen hinterlassen —, dann glaubt er es nicht und kommt immer wieder mit neuen Schreiben. Wir haben im Auswärtigen Amt ganze Stöße von solhen Sachen, ebenso ist es bei den auswärtigen Missionen. Wir würden es mit Freuden begrüßen, wenn wir einen Weg hätten, der uns aus dem Lakyrinth herauthülfe. Wir baben uns darüber {on häufig die Köpfe zer- brochen, bisher aber noch nicht des Rätsels Lösung gefunden. Aber ih nehme gern die angebotene Hilfe an, und wenn der Herr Abg. Grzberger die Hand dazu bieten will, dann können wir vielleiht hinaue-
finden. (Heiterkeit.)
Zweite Beilage
Berlin, Freitag, den 27. März
Der Herr Abgeordnete Erzberger hat weiter einige Ungeshicklih- kéiten, die in der Presse vorgekommen sein sollen, zur Sprache gebracht. Was in einem japanischen Blatt gestanden hat, dessen Name mir nit geläufig ist, tafür find wir nit verantwortlich, Herr Abgeordneter Erzberger.
Was die Erzählung betrifft, daß in dem „Budapesty Hirlap“ eine offizielle Aeußerung niht Aufnahme gefunden habe, und daß diese troßdem dur das offiziöse Wolffshe Bureau verbreitet worden wäre, so kann ih folgendes dazu sagen. Die Sahe liegt, wie der Herr Abgeordnete sehr rihtig gesagt hat, vor weiner Amtszeit ; aber“ ich kann folgendes sagen: es ist uns von beahtenswerter Seite cin österreihisch-ungarisher Journalist sehr warm empfohlen worden. Er hatte den Wuns, vom Auswärtigen Amt einiges über das iu er- fahren, was wir über Ungarn und die Beziehungen zu Ungarn denken. Wir haben dem Mann mit Rücksicht darauf, daß er uns von sehr hoher Seite empfohlen war, einige Auskunft gegeben und haben ges glaubt, daß sie in dem Blatte, als dessen Vertreter er sh bei uns eingeführt hatte, ersheinèn würden. Diese kleine Aufzeihnung ist aber nicht in d-em „Budapesiy Hirlap® erschienen, sondern in einem anderen ungarishen Blatte. Wenn nun der Lapsus vorgekommen ist in dem Wolffshen Bureau, daß die zwei Namen von dem „Hirlap" und dem anderen ungarishen Blatte verwechselt, worden sind, so sind wir dafür nit verantwortlih; denn das Wolffshe Telegraphenbureau ist keine3- wegs eine offizióse Anstalt, sondern eine private Anstalt, die sich ihre Nachrichten auf ihrem eigenen Wege beshafft und ohne unsere Kontrolle weitergibt. Daß sie ihre Zeilen au uns zuweilen öffnet, das erkennen wir dankbar an.
Eine andere Preßangelegenheit hat Herr Erzkerger zur Sprache
j gebraht: ein englishes Batt, der „Manchester Daily Dispatch*“, hatte
ein angeblihes Gespräh, welhes Seine Majestät mit einem Staats- mann in Highcliffe gehabt haben foll, gebraht. Das Blatt hat nachher, als diese Nahriht von zuständiger Seite bestritten wurde, auf der Nichtigkeit seiner Angaben bestanden und hinzugefügt, daß es Gelegenheit gehabt hätte, die Aufzeihnung der Unterredung der Kaiserlihen Botschaft in London vorzulegen. Die Kaiserlihe Bot- schaft hätte Randbemerkungen gemacht und bestätigt, daß diese Unter- redung stattgefunden hatte. Hier liegt ein ZIrrtum vor. Diese Unterredung hat niht stattgefunden, wohl aber ist das rihtig, daß das, was die Zeitung geschrieben hatte, der Botschaft vorgelegt wurde, und daß Randbemerkungen gemacht wurden, und diese Rand- bemerkungen haben eben das, was in der Zeitung ftand, widerlegt. (Heiterkeit. — Abg. Erzberger: Es is auh be- stritten worten, daß es der Botschaft vorlag!) — Nein, das muß ih bestätigen: es ist richtig, daß es der Bot- schaft vorgelegt wurde, und die Botschaft hat einige Bemerkungen gemacht, aber ausdrüdlich gesagt, daß die Unterredung nicht statt- gefunden haben könne, und ebenso, daß diese Aufzeichnungen - nicht Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser vorgelegen haben.
Was die Interessen der Aktionäre der Gotthardbahn betrifft, so ist es bekannt, daß Verhandlungen in der Shweiz im Gange sind ¡wishen der betreffenden Gefellsckaft und der \{weizerishen Bundes- regierung. Ob diese Verhandlungen zu einem diplomatishen Ein- greifen Veranlafsung geben können, läßt sih heute noch nicht ersehen. Sollte das der Fall sein, so werden wir natürlih nicht versäumen, mit Nachdruck für die Interessen unserer deutschen Aktionäre ein- zutreten.
Der Herr Abg. Ablhorn hat von den Vertretern Deutschlands im Auéland gesprohen und dem ja so häufig berührten Gedanken wieder Ausdruck gegeben, daß es ihnen niht leiht falle, die deutschen Interessen draußen mit gehörigem Nachdruck zu {üten. Nun, meine Herren, meine Erfahrungen, die, wie ih eben die Ehre gehabt habe, ¡u sagen, auf 30 Jahre zurückzehen und -auf viele Orte im Ausland, widersprechen diefer allgemeinen Behauptung. Ich habe im Gegen- teil im Ausland immer und bei allen Regierungen, wo ih beglaubigt gewesen bin, gefunden, daß dort die deutshen Vertreter, die diplo- matischen und die konsularischen, den Ruf genießen, unerträglihe Leute zu fein, weil fie ewig und ewig und mit größtem Nachdruck für die Interessen ihrer Landsleute eintreten. Also ih glaube, daß die Anschauung, daß unsere diplomatishen und konsularishen Ver- treter nit genügend ihre Pfliht tun, doch sehr cum grano salis aufzunehmen ift.
Was irsbesondere die einzelnen Fragen betrifft, die Herr Abihorn berührt hat, die Hafenbauten in Tañger, in Larras, so glaube ih, Sie nit lange mit diesen Details aufhalten zu sollen und Sie auf das Weißbuch zu verweisen, was, wie ih hcffe, in zwei, höchstens drei Wochen Ihnen zugehen wird. Jh möhie noch auf die Bemerkung des Herrn Abg. Ablhorn erwidern, daß ein englisher Kaufmann in Marokko ge- äußert bätte, seine Landeleute seien dur ihre Vertreter weit besser geschüßt als die unsrigen. Unsere Nachrichten besagen genau das Gegenteil; die Engländer klagen in Marokko darüber, daß unsere sämtlichen Vertreter für unsere Landsleute dort in Marokko mit viel mehr Nachdruck und Erfolg eintreten als die englischen es tur, Jch stelle anheim, zwischen diesen beiden widersprehenden Nachrichten eine Mittellinie zu ziehen. (Heiterkeit.) Herr Ablhorn hat au der Meinung Auédruck gegeben, daß cinige deutshe Handelshäuser in Marokko von den Eceignissen, die sh jeßt {on seit einer langen Reihe von Monaten abspielen, so mitgenommen seien, daß fie vor dem Ruin ständen. Jch bedauere, au dieser Nachriht widersprechen ¡u müssen; die Quelle, aus welher Herr Ahlhorn ge\{chöpft hat, scheint etwas grau oder {warz zu sein. Wirklich, so {hlimm können die Sachen nit sein. Ih hobe noch heute eine Nachricht ke- fommen, wele sagt, taß der deutshe Handel in Casablanca, also demjenigen Ort, welher am meisten in Mitleidenschaft gezogen ist, sih seit dem 1. August v. J. bis 31. Januar d. F., in den Monaten also, in welhen in der intensivsten Weise die kriegerishen Ereignifse vor sich gegangen sind, sich bedeutend gehoben hat, und zwar um ein volles Drittel. J kann diese Angaben, die, wie ih sage, mir eben erst zugegangen sind, noch nicht nachprüfen, aber
ch Preußischen Staatsanzeiger.
1908,
so ganz zu verachten find sie wohl nit. Dann ist ein Punkt nicht aus den Augen zu vérlieren. Man sagt, der deutsche Handel sei in ten leßten Jahren fehr zurückgegangen infolge des französishen Ein- dringens. „Es ist rihtig, der deutshe Handel hat in früheren Jahren eine böbere Ziffer erreiht, sowohl was die Einfuhr als was die Ausfuhr betrifft; es ift aber nicht aus dem Auge ju verlieren, daß in Marokko die Kauflraft wie andertwo sehr abhängig ist von dem Ausfall der Ernte. Jn „den Jahren 1904, 1905 unb51906 hat Marokko im allcemeinen eine \{lechte Ernte gehabt, und es ist ganz natürli, daß infolgedefsen die Einfubr vom Aus- lande fich verringert hat, weil man in Marokko selbft niht in der Lage war, die Waren zu bezahlen. Dann kommt folgender Umstand hirzu: wenn in Marokko die Ernte \{chlecht ausfällt, dann werden die Lüden von Algier, Tunis und sonstigen Miitelmeergebieten gedeckt. Es handelt sich namentli um Mehl- und Grießeinfuhr ; die kommt zun größten Teil aus franzöfishen Gebieten. Es ift ganz natürli, daß, wenn eine gute Ernte eintritt, diese französishe Einfuhr fo gut wie hinwegfällt, und daß si dann die Zahlen wieder zu Eunsten des anderen Handels verschieben.
Der Herc Akg. Ahlborn hat weiter noch zu Sprache gebracht, daß der Handel insbesondere in Casfablanca sehr gelitten habe durhch die Slhwierigkeiten, die \sich daraus ergaben, daß die französischen Truppen alle Leichterschiffe mit Besh!ag belegt hatten. Das if auch niht ganz zutreffend; mit Beschlag belegt hatten die französishen Kommandeure die Leichterschiffe niht, sondern sie batten regelmäßige Verträge mit den Besigzern abgeschlossen. Dch das ist ja nicht der wesentliche Punki. Tatsache ift, daß die Handelsleute in Ver- legenheit geraten sind, weil nit genügend Leichter da waren, um die Waren auss und einzuladen, da eben die Leichterschiffe durch die franzöfisen Truppen- und Materialtransporte in Anspru genommen waren. Wir haben fofort, nachdem wir davon Nach- riht erhalien haben, die rôtigen Schutte getan, um desen Uebel- ständen abzubelfen. Wir haben die Uebelstände bei ten französischen Behörden in Paris und bei den französishen Behörden in Marokko zur Sprache gebraht. Es hat allerdings etwas lange gedauert, bis NRemedur eingetreten ist ; aber sie ist eingetreten oder wenigftens so fiher zugesag!, daß nicht mehr daran gezweifelt werden kann, daß sie nun eintritt. Die französishe Regierung hat uns mitgeteilt, daß eine entsprehende Anzahl von Leichtershiffen in Toulon bereitkäge — die inzwischen viellei{t schon nach Casablanca gebra§t worden ist — daß ferner Leichterschiffe in Casablarca selbst gebaut würden, daß ferner der französishe Kommandant angewiesen sei, die Damwmpfbarkafse des Hafens zur Verfügung zu, Fellen. Kurz, es ist, glaube ich, alles geschehen, was unter diesen Umständen geschehen konnte. Nur möchte ih noch erwähnen, daß die Klagen nicht allein von deutschen Kauf- [leuten ausgegangen sind, sondern auch von anderen ; sie haben alle glei&mäßig unter diefen Uebelständen gelitten. Aber, wie gesagt, wir haben Grund, anzunehmen, daß die Uebelstände jeßt beseitigt sind oder wenigstens unmittelbar vor der Beseitigung stehen.
Der Herr Abg. Ledebour*- hat den Fall eines Deutschen, Kullack, zur Sprache gebracht, dem es in Brasilien s{lecht gegangen ist. Der Mann hat, wie Herr Ledebour rihtig angegeben hat, eine sehr unvorsihtige Handlung begangen, wenn sie nicht noch etwas shwerer einzushäßen ist. Er hatte sich beshwert gefühlt dadurch, daß eine Eisenbahngesellschaft ein Gleis über ein ihm gehöriges Ge- lände gelegt batte und mit der Auszahlung der Entshädigungssumme etwas im Nüdkstande war. Uebrigens war der Rückstand nicht sehr bedeutend; es hat sich da nur um 1} Monate gehandelt. Nach diesen 14 Monaten hat Herr Kullack die Geduld verloren und hat diese Eisenbahnanlage mit Dynamit in die Luft gesprengt. (Große Heiter- keit.) Er hat den Mut gehabt, das vorher sowobl der Eisénbahn- gesellschaft wie dem zuständigen Polizeikommifsar zu melden. Der Polizeikommifsar hat natürlich keine Zeit versäumt und ihn sofort am Kragen genommen. Herr Kullack if tann ins Gefängnis geseßt worden, was in Brasilien kein Vergnügen sein foll. Er ist aber regelmäßig vor Gericht gestellt worden und in erster Instarz — wie das Herr Ledebour ganz richtig dargestellt hat — freigesproßen worden, nahdem er {on vorher, wie ich noch bemerken will, auf Verwendung des zuständigen deutshen Konsuls provisorisch in Freiheit gesezt worden war. Er ist also vom Gericht erster Instanz * freigesprohen worden; aber
die Staatsanwaltshaft hat Revision oder Appell eingelegt, und die Angelegenheit {webt jeßt voch in zweiter Instanz. Wir müssen also abwarten, wie die Sache weiter vers
läuft, und sehen, ob wir Anlaß haben, diplomatisch in irgend einer Weise noch einzutrelen. Da mêchte ich aber doch nit ver- säumen, zu bemerken, daß von dem Vertravenémann, welcher bier die Angelegenheit des Herrn Kullack zur Sprache gebracht hat, ausdrücklih und wiederholt erwähnt worden ift, daß unsere dortige Vertretung, sowohl die konsulauishe wie die diplomatishe, keinerlei Schuld an irgend einer Versäumnis träfe; im Gegenteil, der Mann war sehr dankbar für die Unterstützung, welhe ihm zuteil geworden ist. Ob das Verhalten des Poli:eikommifsars gänzli einwandfrei gewesen ift, können wir beute auch noch nicht beurteilen. Das wird noch bei der Verhandlung vor der zweiten Gerichtsinstanz zur Sprache kommen, und ih nehme an — wir haben feinen Grund, das Gegenteil zu glauben —, daß die Rechtspflege in Brasilien \o ge- ordnet ift, daß Herr Kullack, wenn er wirklich uns{uldig if, oder wenn sein Vergehen sehr gering ist, wieder freigesprohea wird, oder mit einer geringen Strafe davonkommt, und daß der Polizei- kommissar, falls er wirklich gegen Pflicht und Diensteid gehandelt haben sollte, auch bestraft werden wird.
Der Herr Abg. Ledebour hat noch eine etwas mysteriöse Sache zur Sprache gebracht. (Heiterkeit.) Es ist uns in der Tat vor einigen Wochen von einem Manne, dessen Name -mir niht erinnerlich if, gefagt worden, er sei im Besiße eines chinesischen Schriftst?ckes, er wüßte nit, was es sei, und er bâte uns, es der chinesishen Gesandt-