1887 / 270 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 17 Nov 1887 18:00:01 GMT) scan diff

Geschworenengerihte auf weitere zwei Fahre“, wobei die Regierung die Erklärung abgab, daß sie im Laufe der gegen- wärtigen Landtagsperiode ein neues Preßgeseßz vorzulegen beabsichtige, welhes besondere Rücksicht auf die Verhältnisse der inkorporirten Grenze nehmen werde. Nachdem jedoch der Landtag im ersten Jahre seiner Thätigkeit mehrere wichtige Auf- gaben, das Budget, die Verlängerung des finanziellen Ausgleichs mit Ungarn , die Kompletirung der politishen Reorganisation u. f. w. zu erledigen habe, könne die Reform des Preßgesezes Aer niht vorgenommen werden; die Gültigkeit des obcitirten

eseßes laufe aber indessen ab. Sektions-Chef Klein hob die Unhaltbarkeit der Geschworenengerichte hervor, weil dieselben niemals, selbst dann nicht, wenn subzjektiv und objektiv das Verbrechen bewiesen wurde, den Angeklagten schuldig sprachen. Dies sei gleihbedeutend mit der Aufhebung der Rechtspflege. Der Oppositionelle Brlic gab zu, daß die Geschworenengerichte falsch urtheilten , doch empfahl er die Beibehaltung derselben als Ausdruck der öffentlichen Meinung und der Kontrole des RNechtsbewußtseins des Volkes. Der Banus betonte, im Lande dürfe die Verbreitung falscher Begriffe über Geseßlichkeit amtliher Handlungen und des Hasses gegen die Grundgeseße des Landes nicht geduldet werden. Referent Egersdorfer bemerkte, die Preßjury sei niht der Ausdruck der öffentlichen Meinung, sondern der Meinung der Agramer Bürger gewesen. Der Bericht wurde in der gestrigen Landtagssißung vorgelegt.

Groporitannien und Jrland. London, 15. November. (A. C.) Am 23. d. findet in Balmoral die Taufe Der neugeborenen Tochter des Prinzen und der Prin- zess1n Heinrich von Battenberg statt, und Tags darauf kehrt der Königliche Hof nah Windsor zurü.

Die Königin hat dem Parlaments-Mitglied Henry Stafford Northcote, zweitem Sohn des verstorbenen Lord Jddesleigh, den Baronetstitel verlichen; derselbe wird nun- mehr den Namen Sir Stafford Northcote führen. Der Herzog von Norfolk begiebt sich Anfangs Dezember als außerordentlicher Gesandter der Königin nah Rom, um dem Papst den Dank der Monarchin dafür auszudrücken, daß er Monsgr. Ruffo Scilla nah London sandte, um sie anläßlih ihres RNegierungs-Jubiläums zu beglück- wünschen. : /

Die Regierung hat Sir Charles Warren wegen der erfolgreichen Unterdrückung des Aufruhrs auf dem Trafalgar-Square beglückwünscht. Der Prozeß gegen den Parlaments-Abgeordneten Graham und den Sozialistenführer John Burns wegen Angriffs gegen die auf dem Trafalgar-Square aufgestellte Polizei, welcher heut im Bow-Street-Polizeigericht zur Verhandlung kam, wurde ve r- tagt und die Angeklagten gegen Bürgschast freigelassen. Von den Polizeigerihten wurden gestern 60 bis 70 Personen wegen Betheiligung an den am Sonntag statt- gefundenen Ruhestörungen verurtheilt. Die meisten hatten Geldstrafen zu erlegen, während ein Dugend Gefängnißstrafen von 14 Tagen bis 6 Monaten abzubüßen haben.

Acht von mehreren Musikkapellen begleitete Depu- tationen besuhten gestern den Parlaments-Abgeord- neten Pyne, welcher \sih der gerichtlihen Verfolgung entzogen, und die dem Herzog don Devonshire gehörige Schl oßruine Lisfinny, nachdem er dieselbe stark be- e, zum freiwilligen Verbannungsort gewählt hat. Pyne egrüßte von einem 90 Fuß hohen Fenster herab seine Freunde, und ließ sich dann an der anderen Seite “an einem Seil herunter, worauf er die ihm zugedahten Adressen in Empfang nahm. Jn seiner kurzen Ansprache bemerkte er: die Polizei solle es nur versuchen, den 100 Fuß steilen Felsen hinaufzuklettern. Er habe vor Allem Tabak für drei Monate, und dann werde das Parlament eröffnet.

16. November, Abends. (W. T. B.) Nach einer offiziellen Bekanntmachung sind die Magistrate sámmt- liher Stadtquartiere Londons bereit, morgen, Freitag, und Sonnabend, Spezialkonstabler in Eid zu nehmen. Der „Globe“ will wissen: die Regierung hätte für die Eventualität weiterer im Westend stattfindender Unruhen die Vereidigung von 20 000 Spezialkonstablern beschlossen.

17. November. (W. T. B.) Delegirte der Lon - doner radikalen Klubs hielten gestern Abend eine Vexr- sammlung, in welcher beschlossen wurde, bis zur legalen Entscheidung der Frage keinen weiteren Versuch zu machen, auf dem Trafalgar-Square eine Versammlung abzuhalten, jedoh am nächsten Sonntag im Hydepark eine Kund- gebung zu veranstalten, um gegen die Einsperrung OD'Brien's zu protestiren.

Frankreich. Paris, 15. November. Ueber die Ve r- handlungen der Enquête-Kommission am gestrigen und heutigen Tage meldet die „Fr. C.“:

In der gestrigen Sitzung der Untersuchungs-Kommission wurden nach Rochefort und Reinah noch Veil-Picard und Charles Laurent als Eigenthümer und Chefredacteur des „Paris“, Portalis vom „XIRX. Siècle“ und JFoly, Chefredacteur des „Moniteur universel“, vernommen, Der LeBtere erklärte, er hätte nur in seinem Blatt veröffentlicht, was er anderêmo fandz Portalis brahte mit Wohlgefallen wieder die Geschichte der bei ihm begangenen Diebstähle, der en er eine politishe Bedeutung beimißt, aufs Tapet, weigerte sih, anzugeben, wober er die Informa- tionen ges{chöpft hatte, die seinem Alarmartikel als Grundlage dienten, und versicherte u. A., die Fürstin von Beauffremont hätte Wilson 160 C600 oder 180 000 Francs als Lohn für seine Vermittelung in ihrem berüchtigten Sccidungéprozeß zukommen lassen. Die eine Hälfte wäre von der jetzigen Fürstin Bibesco baar, die andere durch den Ankauf von Aktien der „Petite France“ bezahlt worden, und da diese leßtere Zahlung nicht regelmäßig erfolgte, hâtte Wilson in dem Bankhause Seillière, wo ein Theil ihres Vermögens lag, Opposition erhoben. Veil-Picard gab seiner Verwunderung darüber Ausdruck, daß man ihn auhh citirt hätte, da Hr. Laurent dazu da wäre, vor dem Aus\chuß wie im „Paris“ zu erzählen, was er über Wilson wüßte. Charles Laurent erzählte in der That, was er s{chon in seinem Blatt über die Mißbräuche Wilson's vorgebracht hatte, wie dieser die Gebrüder Dreyfus, Kon- zessionäre des Guano von Peru, als Unter-Staatssekretär im Finanz- Ministerium zum Schaden dcs Staats begünstigte, wie er die Steuer- einnehmer zwang, sich seiner Druckereien in Beauvais, Tours, Dijon auéschließlih zu bedienen, wie er im Jahre 1881 an- läßlich der damaligen Anleihe im Hinblick auf die Bestimmung, der zufolge im Falle der Ueberzeihnung nur die Zeichner eines ein- zigen Titels volle Befriedigung erhalten, die anderen hingegen ver- hâltnißmäßig herabgeseßt werden sollten, eine Liste aufseßte, einen diden Band von Namen, die er aus kem Adreßbuch Bottin heraus- {rieb und diesen noch vor der Emission der damit betrauten Direktion übergab, damit sie Einzeltitel auf die angegebenen Namen ausl'eferte. Die Lijte wurde zwar von dem Bureauchef angenommen. aber dem Finanz-Minister Magnin mitgetheilt, welcher fie als eine Rarität behielt und der Sache keine Folge geben ließ. Endlich behauptete Laurent : Wilson hâtte mit dem General d'Andlau ein Kreuz der Ehren-

legion für 80 000 Fx. an einen großen Landwirth Mittel-Frank- reihs verkauft, und erbot si{, den Namen eines Konkursmassen- verwalters anzugeben, welcher den \{chriftlihen Beweis dieser That- sache besißt. Es soll’ ein Band Briefe vorhanden sein, der auf diesen andel Bezug hat und welchen ein Geschäftsagent für eine gewisse umme hergeben würde. Den Namen des Mannes theilte Laurent nur dem Präsidénten der Kommission, Desmons, mit, der sich mit Salis (von der Linken) und de la Ferrière (von der Rechten) unverzüglih aufmahte, um von dem Untersuchungsrichter A tthakTin zu erwirken, daß er sofort eine Haus- suchung vornehmen lasse. Der Untersuchungsrichter glaubte nicht, die Herren von der Kommission ohne Weiteres empfangen zu können und rieth ihnen, si vorerst an den Staatsanwalt zu wenden. Erst in dessen Begleitung konnten die Abgeordneten die ihnen mitgetheilte Denunziation mahen. In dèn Wandelgängen der Kammer hieß es, die Haussuchung hätte zu keinem Resultat geführt, da die ie Bai Person alle auf die Angelegenheit bezüglihen Papiere be- eitigt hat. | Heute ‘wurde die Baronin de Seillière von der Enquête- kommission vernommen, um Über die von Rochefort gemachten Ent- hüllungen Auskunft zu geben. Sie erklärte : „Ich kann nur wieder- holen, was mir der Baron gesagt hat, nämlich, daß er fortwährend genöthigt gewesen sei, Hrn. Wilson Geld zu geben, um Konzessionen von Lieferungen zu erhalten.“ Er habe demselben? sona ungefähr zwei Millionen gegeben und außerdem noch viel Geld für scine Journale, ohne jedoch Großes von ihm zu erlangen. Hr. Wilson habe auch die Schritte gethan, um ten Baron Seillière unter Kuratel stellen zu lassen. Sie sahen sich alle Tage im Elysée. „J ch habe keinerlei geschriebene Beweise für meine Behaup- tungen. Der Baron sagte mir nur, daß er Hrn. Wilson fo viel Geld gebe, weil dieser ihm nüßlih sein könne. Von dem Che über 10 000 Fres. weiß ich nichts. Im Allgemeinen kann ih keine be- stimmten Thatsachen mittheilen, sondern ich gebe nur einen Eindruck wieder.“ Darauf wurde Hr. de Ma chy, Direktor des Bankhauses Seillière, vernommen. Er sagte: „Der bekannte Check ist niht auf unser Haus gezogen, sondern auf ein kfleincs Bankhaus, welches der Baron als eine Informations- agentur gegründet hatte. Ih habe niemals den Baron äußern hören, daß er Geshäftsbezichung mit“ Hrn. Wilson habe Ich glaube nit, daß zwischen Baron Seillière und Hrn. Wilson Beziehungen hin- sichtlich der Lieferungsverträge unseres Hauses bestanden. Unsere Fabrik von Militärtudßen und unser Bankhaus bilden nur ein Unternehmen, und es wäre schr überraschend, daß Hr. Seillière Verträge für die Fabrik abgeschlossen haben sollte, ohne daß das Bankhaus davon wußte. Seit mindestens zwölf Jahren bilden die Fabrik und Bankhaus nur Eins. Was die Beschlaglegung auf Depots der Frau von Beauffremont betrifft, so ist eine solche allerdings geschehen auf den Antrag einer in Warschau wohnenden Person, doch wir haben keinerlei Depots für Frau Beauffremont.“ Hr. Mayer, Direktor der „Lanterne“, erzählt, daß in Folge des Guano-Prozesses der Ge- brüder Dreyfus zwei Mitglieder des Handelsgerichts dekorirt seien und daß ebenso auf die Mitglieder des Appellhofes vom Elysée aus Einwirkungen versucht wurden. Weiter machte derselbe noch einige gleichgültige Ausfagen über die Affaire Aukbanel. Die Kommission hat ferner Briefe von dem Buchdrucker in Beauvais sowie von dem Gerichts-Berichterstatter der „Répu- blique française“ erhalten, worin diese gegen die Aussagen der Herren Lament vom „Paris“ und Joly vom „Moniteur“ protestiren. Der Bank - Direktor Sennelt, bei dem der vielgenannte Cheque Seillière- Wilson bezahlt wurde, hat eine Klage gegen das „XIX,. Siècle“ angestrengt, um herauszubekommen, wie der Cheque oder dessen Facsimile in die Hände des Chefredacteurs gekommen ist.

Die Deputirtenkammer hat heute das Geseß, betr. die Erhöhung der S{hulkehrer-Besoldungen, mit 385 gegen 142 Stimmen angenommen. : i

15. November. (Köln. Ztg.) Die Boulangisten-Blätter „Paris“, „Petit Journal“, ein Theil der radikalen Presse und die monarchistishen Blätter verlangen den Rücktritt des Präsidenten. Dagegen s{chreibt das Journal „La Paix“: :

„Welches Interesse können sie haben, die Erledigung der Präsi- dentschaft herbeiführen zu wollen? Die gesunde Vernunft follte genügen, um begreiflih zu machen, wie unvorsihtig und {chädlich es für die Republik wäre, wenn man zu den gegenwärtigen moralischen Wirren noch die aus einer präsidentiellen Krise erwabsende Wühlerei hinzufügen wollte. Die Monaristen, welche uns so oft den Vor- wurf gemacht haben, daß die Nepublik in die höchste Staatsgewalt durchaus keine Stabilität gebracht babe, seßen sih_ mit sich selbst in Widerspruch, indem sie verlangen, daß der einzige Staatschef, welcher cs zu einer neunjährigen Präsidentschaft gebracht hat, abdanken folle ; und sie werden in ihren Bemühungen, eine Präsidentenkrise zu ver- ursachen, von den Republikanern unterstüßt. Letztere arbeiten auf diefe Weise unbewußt, aber ganz thatsächlich den Prätendenten in die Hände. Man müßte übrigens Hrn. Grévy, den Mann der Pflicht, \hlecht kennen, wenn man annehmen wollte, daß er si einem Häuf- lein von Politikern unterwerfen werde, welhe jeden Vorwand zur Agitation aufs Eifrigste ausbeuten, aber durchaus nicht behaupten können, daß sie im geringsten Grade die öffentlihe Mei- nung oder diejenige der Volksvertretung darstellen. Die Nation würde gegenwärtig mit dem größten Bedauern eine präsidentielle Krise eröffnet sehen. Jedermann begreift, daß dadur das Land unzähligen und höchst gefährlichen Konflikten entgegengehen würde. Hr. Grévy darf diefe Gefahren niht unberücksichtigt I Er muß einsehen, daß es seine Pflicht ist, auf dem Posten zu bleiben, den ihm die Ver- treter der Nation anvertraut haben, um über die Sicherheit der Verfassung und der Republik zu wachen. Dieser Pflicht wird er nicht untreu werden,“ :

Der „Temps“ berichtet :

„Die Vollmacht zur Wilson’s wird nicht vor Donnerstag verlangt werden. Der genaue Stand der Sache is folgender: In Folge von Nahh- forshungen während der leßten drei Tage ist der Üntersuhungs- rihter Athalin der Ansicht, daß Entwendungen und Unter- shiebungen von Briefen stattgefunden haben. Athalin will jedoh noch den Deputirten Laroche - Joubert vernehmen, der Pa- pierfabrikant ist. Auch will Athalin noch den Bericht der Kommis- sion erwarten, die in die Papierfabrik abgesandt wurde, welche das Papier für die Deputirtenkammer liefert. Unter diesen Verhältnissen wird Athalin ers morgen dem General-Prokurator das Ergebniß seiner Untersuchung zustellen und der General-Prokurator seine An- träge in der Sache stellen. Höchstwahrscheinlich wird der General- Prokurator, im Fall er sich für Verfolgung gegen Wilson ent- scheidet, das Gesuch um die Erlaubniß am Donnerstag vor die Kammer bringen. Wie versichert wird, würde Wilson bloß als Mit- E verfolgt werden ; die Haupturheber seien Gragnon und

oron.*

Wilson erschien heute Nachmittag um 21/9 Uhr vor dem Untersuchungsrichter Athalin, der heute Frau Limouzin und Leonary von Neuem vernommen hat. Die Haus- suchungen, welhe in Folge der Aussage von Laurent vorgenommen wurden, blieben ohne Ergebniß: die Papiere waren bei Seite geschafft und E Die Budgetkommission nahm heute den Vortrag des Ministers des Auswärtigen, Flourens, entgegen und ent- schied sih dann mit 14 gegen 1 Stimme für die Streichung des Kredits für die Gesandtschaft beim Vatikan. Jnfolge der Weisungen des Grafen von Paris hat die Gruppe der Rechten des Senats eine Abordnung an die Gruppen der Rechten der Deputirtenkammer geschickt, welche für den Fall einer Präsidentschaftskrisis eine Verständigung dahin bewirken soll, daß die Rechte weder für Freycinet noch für Ferry stimmen soll. !

gerichtlichen Verfolgung

16. November, Abends. (W. T. B.) Die parlamen- tarishe Untersuhungskommission hörte heute den Justiz-Minister Mazeau. Derselbe lehnte es ab, den Untersuchungsrichter zu ermächtigen, das Resultat der gestrigen Vernehmung mitzutheilen, und erklärte: die Unter- suhung müsse geheim bleiben. Der Minister wolle nit annehmen, daß die geseßgebende Gewalt in die richter: lihe Gewalt eingreifen wolle. Die Kommission vernahm sodann den Polizei-Präfekten Gragnon, welcher leugnete, Wilson’sche Briefe an irgend Jemand gaus- geantwortet zu haben. Wie eine Vertauschung stattgefun- den haben sollte, könne er sih nicht erklären. Die Kom- mission wird morgen eine kontradiktorische Verneh: mung der Herren Nouvier, Faillières und Gragnon und sodann Wilson's vornehmen. Der „Ga ulois“ ist wegen seines Artikels, überschrieben „Vive le roy“, in An- klagezustand verseßt worden. :

17. November. (W. T. B.) Der Untersuchun gs- ri@ter vernahm gestern den Sekretär Wilson's, der nur ausweichende Antworten gab. Die Voruntersuchung soll nun- mehr geschlossen und die Akten dem Staatsprokurator eingesandt werden. Dem „Journal des Débats“ zufolge dürfte der Prokurator keine Entscheidung treffen, vielmehr die er: haltenen Fnformationen vor die Enquête-Kommission bringen,

Der „Agence Havas“ zufolge wird vielfah ange- nommen, daß gegen Gragnon, Goron, Wilson und dessen Sekretär gerihtlich vorgegangen werden wird, Die Blätter glauben, die heutige Sißung der Kammer werde entscheidend sein. Man befürchtet eine Minister-, wenn niht auch eine Präsidentschafts-Krisis. Mehrere republikanisàe Deputirte verschiedener Gruppirungen ersuchten Lockroy, die Juitiative zu einer Plenar- versammlung zu ergreifen, in welcher ein leitendes Comité zur Vorbereitung und Ausführung der Entschei dungen der republikanischen Majorität ernannt werden soll. Locckroy wird sich vorläufig mit den Präsidenten der Gruppen ins Einvernehmen seßen. Die Polizei verhaftete drei Jndividuen, welche gestanden, Geld erhalten zu haben, um den Direktor des „XIX. Siècle“ niederzuschlagen. Das Gerücht über die gerichtliche Verfolgung des „Gaulois“ bestätigt sih bis jeßt nicht. Mehrere Blätter melden, der Ministerrath hätte gestern eine Sitzung ge- halten, doch is von dessen Entschlüssen nichts bekannt.

Jtalien. Rom, 12. November. Der Münchener „Allgemeinen Ztg.“ wird geschrieben: Fast alle Blätter ent: halten Beglückwünschungen des Kronprinzen Victor Emanuel aus Anlaß der Feier seines 18. Geburts- tages, mit dem er nach der Verfassung das regierungsfähige Alter erreicht hat. Jn warmen Worten drücken die Organe der verschiedensten Parteien das Vertrauen aus, den die erblichen Herrscher-, Bürger- und Soldatentugenden des Hauses Savoyen auch in dem Prinzen, der den Namen des ersten Königs Jtaliens trägt, einen würdigen Vertreter finden werden. „Auf den jugendlichen Prinzen“, sagt der „Popolo Romano“, „welcher heute nah der Verfassung aus dem minderjährigen Alter tritt, sind die sorglichen Blicke der Jtaliener gerichtet als auf Denjenigen, in dessen Zukunft die Zukunft Jtaliens beschlossen liegt. Möge der Prinz an diesem Tage, der ein Tag des Festes für das Königliche Haus und der Hoffnung für Jtalien ist, daran gedenken, daß, wenn ihm ein großes NRuhmes-Erbtheil zufällt, er nur die Ueberlieferungen seines ruhmreichen Hauses zu befolgen und nahzuahmen braucht, um \ih des Erbes werth und zu seiner Bewahrung fähig zu machen. Er ahme die unerschütterliche Treue gegen die Institutionen, die unerschöpfliche Liebe zum Volke, den ruhigen Wohlthätigkeits- muth des Vaters nah; er folge der Mutter in der milden Sanftmuth des Charakters und in der liebenswürdigen Ver- ehrung für die Literatur, die Wissenshaften und schönen

Künste. Zu dem jungen Fürsten, der heute, so zu sagen, die |

feierliche Weihe zum künftigen Herrscher empfängt, wenden sih voll Verehrung und Vertrauen die Herzen aller «Ztaliener, denen die strenge Erziehung, die ruhmvollen Ueberlieferungen, das lebendige und sprechende Beispiel der erhabenen Eltern die Gewähr für die häuslichen und Herrschertugenden des Sprossen Emanuel Philiberts bieten.“ Dem Prinzen sind Beglücckwünschungs-Telegramme von allen europäischen Höfen, sowie von allen Mitgliedern des Hauses Savoyen zugegangen. Die Ueberreihung des von dem Deutschen Kaiser bei diesem Anlaß verliehenen Schwarzen Adler-Ordens hat mit besonderer Feierlichkeit stattgefunden. Der deutsche Botschafter, Graf Solms wurde mit seinem Gefolge in drei Hof-Galawagen vom Palazzo Caffarelli abgeholt, am Fuße der großen inneren Schloßtreppe durch den Ober-Kammerherrn, Grafen Giannotti, empfangen und in den Salon vor dem Thronsaale geführt. Hier über: reichte er dem Kronprinzen, der von dem Militär- und dem Civilkabinet des Königs umgeben war, nachdem ev dem- selben das Botschaftspersonal vorgestellt hatte, die Insignien des hohen Ordens mit einer kurzen Ansprache, die der Prinz kurz erwiderte. Hierauf betrat der König mit dem General- Adjutanten Pasi den Saal und unterhielt sich längere Heil mit dem Botschafter, welcher hiernah mit dem gleichen Ceremoniell nah dem Kapitol zurückgeleitet wurde.

16. November. (W. T. B) Die Kammern sind heute von dem ( eröffnet worden, in welher es heißt: Ftalien, welches stark durch seine Waffen, sicher seiner Verbündeten und befreundet mit allen Regierungen sei, _sreite auf emporstrebender Bahn weiter und gehe in der Familie der großen Staaten jezt in der ersten Reihe; das Parlament könne sih N in aller Ruhe und allem Eiser mit den inneren Angelegenheiten und mit den bereits ungeduldig erwarteten dringenden Reformen be schäftigen. Die vorübergehende Vermehrung der Ausgaben für militärishe Zwece und bfentlie Arbeiten lasse es als nothwendig erscheinen, jede neue Anforderung an den Staatskredit zum Zweck des Baues neuer Eisenbahnen in engeren Grenzen zu halten. Wenn, wie man vertrauen dürfe, der Frieden erhalten bleibe, würden außerordentliche militärische Ausgaben nicht mehr im künftigen Budget erscheinen. Um jedo ein gutes Finanzregime zu sichern, müsse die Regle- rung die Kammern ersuchen, ihr aus\chließlih die Jn it iative für jeden Antrag betreffs neuer Ausgaben zu überlassen. Alle Wünsche und Bestrebungen des Königs und der Regierung seien heute der Erhaltung des

riedens gewidmet, der für Jtalien unerläßlich sei. n diesem Wunsche nah Frieden seien andere großt Staaten Europas ‘mit Jtalien ganz im Einvernehmen. oll einer außereuropäischen Frage bereite Jtalien ein gerechte militärishe Aktion vor, bei der es der R&

König mit einer Thronrede |

gierung auch nur darauf ankomme, einen ihrem guten Recht entsprehenden Frieden zu sichern. Nur dadurch, daß König und Regierung den Grundsäßen treu blieben, welchen die Nation ihre Existenz und die Dynastie ihren Ruhm ver- danke, nur dadurch, daß König und Volk vereint auf dem Wege der Freiheit bleiben, fönnten Jtalien für immer die Sympathien der Völker und die Gunst des Geschicks er- halten werden. Die Königin und der Kronprinz wohnten der Eröffnung bei und erschienen bereits vor dem König im Parlamentsgebäude, wo sie mit begeisterten Zurufen empfangen wurden. Der König war von den Herzögen von Genua und Aosta begleitet. Unter lebhaften Zurufen des Volks, unter Geshüßsalven und Glockengeläut betraten dieselben das Parlamentsgebäude.

Spezia, 16. November. (W. T. B.) Das. deutsche Geschwader ist heute Vormittag nah Neapel abgesegelt. Zu Ehren der deutschen Offiziere des Geschwaders fand gestern ein Ball statt.

Serbien. Belgrad, 16. November. (W. T. B.) Der Minister-Präsident Ristic berief für morgen sämmtliche in Belgrad weilenden Kron- und Volksvertreter zur Be- sprehung in Skupschtina- Angelegenheiten.

Bulgarien. Sofia, 16. November. (W. T. B.) Der Ministerrath beschloß, die Zahlungen des rume- lishen Grundzinses an die Pforte derartig zu regeln, daß die Zahlungen am 1. Januar beginnen und alsdann in Annuitäten erfolgen sollen. Das Uebereinkommen wird der Sobranje unterbreitet werden. Die Jnterpellation betreffs Einleitung des gerihtlihen Verfahrens wider die Urheber des Staatsstreihs wird heute in der Sobranje eingebracht.

Asien. Persien. Teheran, 15. November. (N. B.) Der Schah trifft schon Vorbereitungen für seine Neise nach Europa, welche er im nächsten Jahr anzutreten be- absihtigt. Der Schah wird im April von Teheran abreisen, Rußland, Deutschland, Oesterreich, Frankreich, England, talien und die Türkei besuchen und Ende September wieder in Persien eintreffen, sodaß seine Reise durch Europa fünf Monate dauern wird. Eyub Khan wird in einigen Tagen von Meshed nach Fndien abreisen. Seine gegenwärtig hier weilende Familie wird ihm dahin nachfolgen.

Zeitungsftimmen.

_ gn einem: „Zum 17. November“ überschriebenen Artikel sagt die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“:

Sechs Jahre sind heute verflossen seit jenem Tage, an welchem der damals neugewählte Reichstag am 17. November 1881 dur jene Allerhöchste Botschaft eröffnet wurde, in welher Se. Majestät der Kaiser im Namen der verbündeten Regierungen dem deutschen Volke deren Entschluß verkündigte, in eine Aera der positiven Sozialreform eintreten zu wollen,

Schwere Geisteskämpfe sind inzwischen um die geseßgeberischen Maßregeln geführt worden, welche bestimmt sind, jene Ankündigungen der Botschaft vom _17. November in die That umzuseßen. Abec dem Kampfe ist der Sieg der sozialreformatorischen Gedanken gefolgt, schwächer und {wächer ist der Widerstand geworden, der von jener Seite ausging, welche als höchstes wirthshaftlihes und soziales Prinzip den Individual-Egoismus betrachtet wissen will.

Noch bleiben wichtige Schritte auf dem mit jener Botschaft vor- gezeichneten Wege zu thun, heute aber, am Tage ihrer Verkündigung, liegt es nahe, ihren Wortlaut in Erinnerung zu rufen, damit ein Jeder si vergegenwärtigen könne, wie weit wir auf jenem, wer wollte es verkennen, s{chwierigen Wege fortgeschritten sind.

Nachdem das Blatt den Wortlaut der Botschaft gegeben, schließt es seine Betrachtung wie folgt:

Wieder einen gewichtigen Schritt weiter auf der Bahn der Sozialreform können wir gerade heute, am Tage der Verkündigung der sie einleitenden Allerhöchsten Botschaft, verzeichnen, indem wir in der Beilage dieser Nummer die Grundzüge zur Alters- und Invaliden- versiherung der Arbeiter mittheilen.

Die Sozialreform ist bestimmt, dem sozialen Frieden, feiner Wiederherstellung, wo er bedroht ist, und seiner Erhaltung zu dienen. In diesem Sinne wird sie wirken, wenn au erst nah Generationen ihre volle Wirksamkeit auf die nationalen Zustände sich entfalten fann. Aber dem Volke .follte immer wieder nahe gelegt werden, wie es die höchste Stelle im Reich war, welche den Anstoß zum Eintreten in die Sozialreform gegeben hat!

Jn der „Kölnischen Zeitung“ lesen wir:

Die verhältnißmäßige Besserung, welche unsece wirthschaftlihen Verhältnisse seit 1881 erfahren haben, die aber geflissentlih von ver- schiedenen Seiten in Abrede gestellt wird, ist in deutlicher Weise aus den Ergebnissen der Civilprozeß-Statistik ersihtlih, welche soeben für die Jahre 1884 und 1885 von dem Reichs-Justizamt ver- öffentliht wurden. Nicht etwa {on aus dem Umstande könnte dieser Schluß gezogen werden, daß die Zahl der ordentlihen faodesse, Mahnfachen und Urkundenprozesse ih seit 1881 über- gaupt um beinahe 59% vermindert hat, während doch die Bevölkerungszahl um mehr als 39% gestiegen ist, da diese

rs{einung auch auf anderweitigen Ursachen beruhen könnte, wie Furcht vor der Höhe der Prozeßkosten, der Wirkung der Unfall- versiherungsgeseße und dergleichen, sondern aus der Bewegung, welche die Wechselprozesse, die Arreste und vorläufigen Verfügungen, in zweiter Linie auch die Mahnfachen während dieser Periode auf- weisen Die Zahl der _Wechselprozesse bietet ein ganz besonders beweiskräftiges Mittel für die Erkenntniß und Beurtheilung der wirthschaftlichen Verhältnisse, da zunächst die handel- und gewerbe- treibenden Schichten der Bevölkerung von dem Wechsel Gebrauch machen, sodann die Ginklagung zumeist nur den Zweck verfolgt, einen formellen Titel für die Zwangsvollstreckung zu erlangen; die Ver- mehrung der Wechselprozesse würde deshalb zu dem Schluß berech- tigen, daß die Zahlungsfähigfeit in weiten Kreisen der Handel- und Gewerbetreibenden eine geringe ist, während die Verminderung zu der entgegengeseßten Schlußfolgerung Anlaß giebt. Es ist nun zu bemerken, daß die Zahl derselben si gegenüber 1881 um 2,8% vermindert hat, und zwar sowohl die amts- wie die landgerichtlihen ; s Vorjahre war die Verminderung sogar noch erheblih größer, sie etrug 9,3%/o, und die Steigung im folgenden Jahre ist hauptsählich den amtsgerihtlihen Prozeduren dieser Art zuzuschreiben. Die Ver- minderung zeigt int der Mehrheit der Ober-Landesgerihte, und zwar in so bedeutendem aße, daß sie in Bezirken mit bedeutenden Handels- O wie Frankfurt a. M. und Hamburg 17,4 und 12,1% beträgt und K Dldenburg sogar bis auf 43% steigt. Unterstüßt wird der Schluß, daß diele R dur die Hebung und Belebung von Handel und In- ustrie veranlaßt wurde, durch die Bewegung der übrigen Urkunden- ieciesse. Wenn dieselben auch von der größeren oder geringeren Be- Ee theit abhängen, welche si diese Prozeßform zu verschaffen gewußt at, do dienen do au sie erfahrungsgemäß in der Hauptsache zur

ers affung eines Titels zur Zwangsvollstreckung bei einem liquiden, ibr sih nicht weiter bestrittenen Anspruch; seit 1882 ist nun auch bei É p eine stetige Verminderung eingetreten, und zwar in cinem viel Sis een Umfange als bei den Wechselprozessen. Mit Aus-

dieser betrug die Verminderung im Jahre 1884 gegenüber b 27 °%%a_ und im folgenden Jahre sogar 47, wobei niht un- eahtet gelassen werden darf, daß die Verminderung bei den Land-

geren eine viel bedeutendere war als bei den Amtsgericten. liebe noch ein Zweifel darüber übrig, daß au diese Bewegung mit dem erfreulißen Aufshwung der nationalen Wirthschaft zu- sammenhängt, so müßte derselbe vcr den Erwägungen völlig ver- schwinden, zu welchen “die Bewegung der Arreste und vorläufigen Verfügungen den Anlaß giebt. Die Zahlen dieser sind vielleicht noch in höherem Maße eine Folge des Zustandes der wirthschaftlichen Verhältnisse als die der Urkunden- und Wehselprozesse. Gegenüber 1881 weist nun der Stand im Jahre 1884 einen Rückgang von 31,29% auf und derjenige des Jahres 1885 einen folhen von 348%, so da ih die Rechts\sachen dieser Art im ganzen Reiche während der Dauer von fünf Jahren um mehr als ein Drittel vermindert haben. Was diese Thatsache noch erfreulicher naht, ist der Umstand, daß in keinem Dber-Landesgerichtsbezirk der Stand des Jahres 1885 höher ist als derjenige von 1881, in den Bezirken von fünfzehn Ober-Landesgerihten wurde die für das Reich festgestellte Durchschnittsziffer überschritten, und zwar in fo erheb- lihem Maße überschritten, daß ¿- B. in dem Bezirke des Ober- Landesgerihts Bamberg die Verminderung mehr als die Hälfte, 99,1 %0, betrug. Nicht ohne Interesse ist es, daß unter diesen fünfzehn Bezirken si kein ostdeutscher befindet und daß nur zwei norddeutsche, Hamburg und Braunschweig, unter ihnen vertreten sind, während von den west- und süddeutschen nur ein einziger fehlt. Damit dürfte der ursähliche Zusammenhang dieses Rückganges mit dem Stande der wirthschaftlichen Verhältnisse für jeden unbefaagenen Beobachter in überzeugender Weise nachgewiesen sein, und es fann gegenüber den hämishen Angriffen auf die bisherige Wirthschafts- politik des Reiches kaum ein besseres Entkräftungsmittel geben, als den Hinweis auf die vorstehenden, zahlenmäßig festgestellten Er- \heinungen, die auch die tenderziöseste Verarbeitung der Statistik weder aus der Welt schaffen noch in ihr Gegentheil umwandeln kann. Die Veröffentlihung des Reichs-Justizamtes kommt gerade zu ge- legener Zeit, um den Gelehrten der demokratischen Presse, welche in den letzten Tagen Spalten über Spalten mit den Auslassungen über den angeblich statistisch bewiesenen Nückgang unserer sozialen und wirthschaftlihen Verhältnisse füllten, einen Dämpfer aufzusetzen.

___— Mit Bezug auf die Hinrichtungen in Chicago bemerken die „Hamburger Nachrichten“:

Für uns Deutsche sind die beiden Thatsachen :! daß die Mehrzahl der Chicagoer Anarchisten ein zu unsern Landsleuten zählte, und ferner, daß sich unsere Sozialdemokratie für die Begnadigung von Spieß und Konforten verwendet hat, von befonderer Bedeutung. Wir fehen an dem Vorgehen der nach Chicago ausgewanderten deutschen Nadikalen, die in der großen Republik Alles ungestraft unter- nehmen zu fönnen meinten, mit welchen Mitteln dieselben au daheim in Deutschland gekämpft haben würden, wenn sie niht gewußt hätten, daß man bei uns weit kürzeren Prozeß mit ihnen machen würde, und wir sehen ferner, wie wenig es unserer Sozialdemokratie mit ihrem angeblichen Abscheu gegen den Anarchismus und die An- wendung von Gewalt Ernt ist, da sie si sonst wohl nicht zur Für- sprecherin jener Dynamitarden gemacht hätte. Möchte denn durch den Chicagoer Anarchistenprozeß und das unvorsichtige Auftreten der Herren Bebel, Grillenberger 2c. anläßlich desselben au in Deutschland manchen N gewisjenlosen Agitatoren Mißleiteten die Augen geöffnet werden !“

en Die (englische) „Allgemeine Correspondenz“ meldet:

Wie der britishe Konsul in Valparaiso berichtet, geht die größte Menge des Chili-Salpeters nah Deutschland, um dort als Dünger im Rübenzuckerbau verwandt zu werden. Deutschland nimmt au die meisten chilenischen Häute und einen großen Theil der silber- haltigen Blei- und Kupfererze, welhe in den deutschen Regierungs- \{melzereien verarbeitet werden. „Deutschland“, so schreibt Konsul Newman, „ist jeßt unser großer Konkurrent in Chili, obgleih ‘es in einigen Fällen shwer hält, einzu- sehen, welhe größeren Vortheile es vor Großbritannien bietet. Theilweise mag es von der größeren Billigkeit der deutschen Häfen herrühren. London, Liverpool und die anderen englischen Häfen gehören zu den theuersten Europas. Die Ablieferung einer Ladung Salpeter in einem Vafen des Kontinents kommt dem Kauf- mann 4 Sh. die Tonne zu stehen, während sie in Liverpool oder London 5 Sh. oder oft 6 Sh. die Tonne zu stehen kommt.“

____— Vie „Vexrliner. Volittshén Nachrichten“ schreiben :

Bei Bespcechung der bekannten Maßnahme der Deutschen Reichs- bank in Saen der Nussenwerthe ist von einem hiesigen Börsenblatt darauf hingewiesen worden, daß dieser Schritt überrashend gekommen und eigentli Niemand auf denselben vorbereitet gewesen sei. Nach Ansicht des Börsenblattes wäre ein vorgängiger Hinweis von quasìi amtlicher Stelle wohl am Plaß gewesen, um dem unvermittelten Hereinbruch einer Deroute vorzubeugen, Wir nehmen es jenem Blatt, welchGes sih dur die konsequente Ignorirung der fort- gean Warnungen einer großen Anzahl deutscher Preßorgane )ervorgethan hat, nicht weiter übel, wenn es sih jeßt aus der Verlegenheit herauszureden sucht, müssen aber doch betonen, daß wenn die bon ihm gewünschte Mittheilung an quasï amtlicher Stelle erfolgt wäre, sie im Monat Juni, wo die Campagne von Neuem anhob, wahrscheinlich einen weit stärkeren Fall der russishen Papiere im Ge- folge gehabt hätte, umsomehr, als die damalige Lage auh noch mancherlei andere beunruhigend wirkende Momente aufwies, wohin- gegen jeßt mit durch die fortgeseßten Erörterungen unser Publikum Nnch allmählich daran gewöhnt hat, in seinem Vorrath an russischen R M einen keineswegs über alle Zweifel erhabenen Besiß zu erblicken.

Im Uebrigen aber muß cs doch eine völlige Verkennung der Situation genannt werden, wenn behauptet wird, die in Rede stehende Maßnahme der Deutschen Reichsbank hätte im Publikum eine Beunruhigung in Sachen der Sicherheit russisher Werthe erzeugt. Nein, die Beunruhigung war vorhanden, war längst vorhanden gewesen, und wer von dem thatsählihen Stande der Dinge Kenntniß hatte, der weiß, daß die mehr beregte Maßnahme der Reichsbank nur die Folge, nicht aber die Ursache des tiefgewurzelten Mißtrauens ist, von welhem das Kapitalistenpublikum fi gleihmäßig gegen Russen- werthe durchdrungen fühlt.

Die „National- Zeitung“ schreibt:

Für die bevorstehende Reichstagssession ist auch ein Vogelshutz- geseß angekündigt. Die Nothwendigkeit vershärfter Schußbestimmungen für nüglihe Vögel ist längst anerkannt und die Ankündigung wird daher allfeitige Zustimmung finden. Die Angelegenheit hat den Reichstag in früheren Jahren wiederholt beschäftigt. Zweimal hatte ver Abg. Fürst Se 0ST anenbua einen Geseßentwurf vorgelegt, und ebenso in den Jahren 1879 und 1883 die Regierung. Aber das Geseß kam infolge äußerliher Umstände niht zu Stande, und die Regierung ist dann mehrere Jahre auf den Gegenstand nicht zurüdckgekonmen. Es E daher jeßt in Deutschland sehr vershiedenartige und theilweise ehr ungenügende landesgeseßliße und landespolizeilihe Vor- schriften. Einer zeitgemäßen reih8geseßlihen Regelung s freilich wirksame internationale Vereinbarungen zur Seite gehen. Bekauntlich wird an unseren nüßlichen Vögeln im Auslande, nament- lih in Frankreich und Italien, noch weit mehr gefrevelt als in Deutschland selbst. Es sind freilich einige internationale Verein- barungen dieses Inhalts vorhanden, die praktishe Beobachtung der- selben läßt aber, wie allgemein anerkannt wird, viel zu wünschen übrig.

Eisenbahn- Verordnungs-Blatt. Nr. 33, Inhalt : Erlasse des Ministers der öfentlihen Arbeiten: Vom 3. November 1887, betr. Namen und Wohnorte der Vorsißenden und Beisitzer bezw. deren Stellvertreter bei den für Staatsrehnung verwalteten Eisen- bahnen in den Bezirken der Königlichen Eisenbahn- Direktionen. -

Vom 6. November 1887, betr. Einreichung der Fahrplan-Entwürfe

für Neubaustrecken. Vom 8. November 1887, betr. die höheren Lehranstalten, welche zur Ausstellung gültiger Zeugnisse über die wissenschaftliche Befähigung für den einjährig-freiwilligen Militärdienst berechtigt sind. Nachrichten.

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

München, 15. November. (Allg. Ztg.) Zur Feier des Namensfestes Sr. Königlichen Hoheit des Prinz- Regenten hielt die Königliche Akademie der Wissen-

haften in der prächtigen Aula ihres Neubaues beute Mittag eine Sestsißzung ab. Im Akademikerraum erschienen, von dem Akademie- Vorstand Reichsrath Dr. von Döllinger begleitet, die Königlichen Staats-Minister Dr. Freiherr von Luß und Freiherr von Leonrod, Staatsrath von Dillis, Regierungs-Präsident Freiherr von Pfeufer, Negierungs- und Polizei-Direktor Dr. von Müller und andere Ehrengäste und 40 Akademiker. Der Raum für das Publikum war bis zum leßten Plaß gefüllt. Zum großen Theil bestand das Auditorium aus Damen. Zunäcwst hielt Reichsrath Dr. von Döllinger mit unges{chwächter Stimme einen Bortrag über „Dante's Weissagungen“. Das Auditorium verfolgte den Vortrag, eine hochinteressante Abhandlung über Deutung und Schicksal der in der „Divina commedia“ niedergelegten Seher- blie, mit größtec Aufmerksamkeit. Die Hrrn. Klafsen-Sekretäre Pro- fessor Dr. von Prantl, Geheimer Rath Professor Dr. von Giefe- brecht und Professor Dr. von Voit verkündeten die {on mit- getheilten, zum Allerhöchsten Namensfeste erfolgten Neuwahlen der Akademie. Hierbei begrüßte das Auditorium mit besonderer Freude die Wahl des Prof. Dr. Heigel zum ordentlichen Mitglied. An den Verkündigungsakt reihte sih als Festrede ein Vortrag des Königlichen Gymnasial-Professors Dr. Karl Meiser in München, außerordent- lichen Mitgliedes der Königlichen Akademie der Wissenschaften, über das nationale Draiaa der Römer. Seine Untersuchung und Kritik erstreckte sh auf die vor und nah der republikg- nishen Zeit ges{chaffenen Dramenstücke. Aus der republikanischen Zeit sind 18 Reste von Dramen nationalen Charakters vorhanden. Nach der republikanishen Zeit ist als erster Versuch die fabula praetexta des Persius: „Nescio“ zu verzeichnen, dann um 75—76 n. Chr. das Drama „Cato“ des Maternus. Einer fehr eingehenden Betrachtung unterzog Redner das Drama „Octavia“, welches gewöhn- lih dem Philosophen Seneca zugeschrieben wird, allein bhöchstwahr- \heinlich Maternus zum Verfasser hat. Das Drama „Dctavia“ hat das unglücklihe Schickfal der Gemahlin des Kaisers Nero, Tochter des Kaisers Claudius und der Messalina, Schwester des Britannicus, zum Vorwurf. Das Drama \hließzt mit der Verbringung der „Octavia“ auf die Infel der Taurier auf Befehl des Nero, welcher Befehl gleichzeitig mit dem der Ein- äscherung Roms gegeben wird. „Octavia“ wurde auf der genannten Insel ermordet. Redner erörterte, daß das nationale Drama der Römer im Allgemeinen mehr in der Geshichts{hreibung zum Ausdruck gekommen sei, was die oft poetische Sprache der Geschichtswerke be- weist. Unter Hinweis auf ein Sonett Rudolf von Gottschall's legte der Festredner der deutshen Dichtung nahe, das Drama mebr aus Le nationalen Charafter unserer deutshen Geschichte entstehen zu assen.

Schreib-Kalender für Damen 1888, Der unter dem Namen „Decker '\cher Damen- Kalender“ seit 26 Jahren in der eleganten Damenwelt beliebt und heimisch gewordene Kalender ist soeben in seinem 27. Jahrgang in R. von Decker's Verlag, G. Schenck, in Berlin erschienen. Seiner hocheleganteu Ausftattung sucht man in jedem Jahre innen und außen neuen Reiz zu verleihen. Der vorliegende Jahrgang enthält das Bildniß des jungen Prinzen Wilhelm (Sohn) in seiner erstea Uniform, präsentirend, Der Hofs und Geschichtskalender für alle Tage des Jahres ist erheblih erweitert, so daß das hübsche Kalenderhen abermals ein beliebter Gegenstand auf den Tischen der Damen bilden wird.

Die Nr. 47 des im Verlage von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig erscheinenden „Evangelish-Lutherishen Gemeiüde- blatts für die gebildeten Glieder der evangelischen Kirchen“ hat folgenden Inhalt: Ein wandernd Volk: 2) Die Wanderloosung. Luther's Leben und Luther's Person. Zum 10. November. Aus Luther's Briefen: 1) Aus der Zeit vor dem Thesenanschlag. Aus Luthers Auslegung von Jesaias 9. Die Provinzial-Synoden in Rheinland und Westfalen. Der sechste deutsche evangelische Kircengesangstag zu Berlin am 11. bis 13. Okto- ber. Verschiedenes: Ein moderner Naturwissenshaftler über Luther ; Ein oft gehörter Vorwurf; Fund von act «Unges{chwÄärzten Zeilen“ ; Die Weimarer Lutherausgabe: Doktor Martin Luther als Treckejunge ; Lutherfestspiel in Torgau.

Die am 19. d. M. erscheinende Ne. 2316 der „Illufstrirten Zeitung“ enthält u. A. folgende Abbildungen: Alexander IlIl., Kaiser von Rußland. Die zur Berathung über die Krankheit des Deutschen Kronprinzen nah San Remo berufenen Laryngologen : Dr, Hermann_ Krause (Berlin), Prof. Dr. von Schrötter (Wien), Dr. Moriß Schmidt (Frankfurt a. M.). Abgekämpft. (Amcrika- nische Wapitihirsche in der Brunst.) Originalzeihnung von Albert Richter. Christoph Willibald Ritter von Gluck. Zum 100jährigen Gedächtniß seines Todestages (15. November 1787). Herzog Ernst I1. von Sachsen-Coburg-Gotha.

Land- und Forstwirthschaft.

Se. Königliche Hoheit der Prinz Friedrich Leopold hat die Leitung der Rambouillet-Stammfshäferei auf dem kürzlih angekauften Gut Kollin bei Wisseck, Provinz Pecsen, dem Schäferei-Direktor R. Müller zu Eichenau, Kreis Thorn, übertragen.

Der Ausschuß der Deutschen Landwirthschafts-Ge- sellschaft trat heute hierselbst im Saale des Klubs der Landwirthe zu einer Sißung zusammen, um über die für das nächste Jahr ge- plante 2. Wander-Ausstellurg zu berathen. Die Ausstellung wird in den Tagen vom 7. bis 11. Juni in Breslau abgehalten werden. Sie_ zerfällt in eine Thiershau, bei der Pferde, Ninder, Schafe und Schweine zugelassen werden follen, und in eine Ausftel- lung landwirthschaftlicher Erzeugnisse, Hülfs\toffe und Geräthe.

Schwerin. Jn diesen Tagen ist von 50 angesehenen Herren verschiedener Parteien eine Petition wegen Erhöhung der Kornzölle im Sinne der Beschlüsse des Deutschen Landwirth- schaftsraths an den Reichstag beshlossen worden. Es wird darin beantragt, daß der Zoll von Raps und Rübsen auf 5 4, von Roggen und Weizen auf 6, Gerste und Hafer auf 3 (, Buhweizen und Hülsfenfrüchten auf

2 A erhöht und die Viehzölle verdoppelt würden. Alsdann werde der dar- niederliegenden Landwirthschaft ein wtrrltqec Schutz verliehen werden. Das die Petition betreffende Anschreiben ist von einer Anzahl größerer Grundbesiger, von 16 Erbpähtern sowie von mehreren Handwerkern und Kaufleuten unter rieben.

Gewerbe und Handel.

Nah der Bilanz und dem Gewinn- und Verlustconto der Aktien-Brauerei „Friedrichs8hsöhe“ (vorm. S per 30. September d. I. beziffert sich der Gewinn an verkauftem Vier und an Nebenprodukten auf 1 470 686 6 (1885/86 1 446 109 M), der Nußen an selbstgemälzter Gerste auf 27 730 46 (1885/86 14536 A), der Gewinn aus Verpachtungen 3506 M (1885/86 2943 6) und an BSinsen 17573 6 (1885/86 25 540 4). Dazu tritt der Vortrag von 6600 (1885/86 10827 M), fo daß der Bruttogewinn insgesammt 1526097 M beträgt (1885/86 1449556 M). Zu Abschreibungen werden 101488 (1885/86 103 746 M) verwendet, und zwar sind die ein- zelnen Abschreibungsposten wie folgt bemessen worden: 1F 9% auf die Immobilien 19 605 4, 20% auf die Mobilien 6330 M, 209% auf die Maschinen 23 477 4, 20% auf Wagen 6230 46, 2 % auf

Pferde 7525 A und 20% auf Fastagen 38319 4 Die Hypotheken-