1887 / 283 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 02 Dec 1887 18:00:01 GMT) scan diff

pern. Würde man die Zölle ermäßigen, so würde der Jn- andspreis nicht niedriger werden, sondern Rußland würde seine Getreidepreise erhöhen. Jn Ztalien sei die Mahlsteuer aufgehoben, ohne daß das Brot bi ier geworden sei; das Gleiche sei hier nah Aufhebung derselben Steuer der Fall ge- wesen. Der Landwirth müsse unzufrieden werden, wenn er sehe, wie die Getreidepreise zur Verkaufszeit um 20 bis 30 Proz. fielen. Redner hoffe, daß, im Anschluß an diese Vor- lage eine ernste Reform und eine durchgreifende Kontrole der Produktenbörse herbeigeführt werde. Redner und C lehnten auh die Verantwortung für den Fall einer Verzöge- aus in Folge Verweisung an die Kommission ab. Ob die Zuckersteuer ein Vortheil für die Landwirthschaft sein werde, sei ungewiß; daß die Branntweinsteuer es nicht sei, liege auf der Hand, und bei dieser habe man von extrem agrarischen Ansihten gesprohen. Der Kampf gegen die Getreidezölle sei gekennzeichnet dur das Banket im Zoologischen Garten als ein Kampf der Großstädte gegen das platte Land. Die Ausdehnung des Getreidebaues in Deutschland auf die weiten Moorflächen und leihten Sandfelder sei in Folge des billigen künstlihen Düngers möglih. Er erinnere nux an die Verwendung der Thomasschlacke zur Düngung. Durch den Untergang des Bauern- und des Ritter- standes würde der Staat seine festesse Stüge verlieren; den alten Familienbesiß würden allerlei Jndustrie- ritter an sih reißen, die nur Güterschlächter seien. Das wäre eine Folge, wenn der Reichstag was Gott verhüten wolle sich niht auf der Höhe der Situation befände. Wenn man den seßhaften ländlichen Arbeiterstand zum Wandern bringen, wenn man das alte schöne Verhältniß zwischen Arbeit- gebern und Arbeitnehmern auflösen wolle, dann möge man die Vorlage ablehnen. Daß die Abgg. Singer und Lorenzen die Vorlage ablehnten, sei begreiflih; nicht so das Zögern der Nationalliberalen und der Centrumspartei, die doh die Furcht vor einer leeren Phrase nicht abhalten könnte. Der Abg. Bamberger sei der Vater der Schuß- zöllner in Deutschland, denn seit der Einführung der Gold- währung seien Zölle nothwendig, und Redner und seine Freunde würden noch heute auf die Zölle verzihten, wenn die Währungsfrage nah ihren Wünschen geregelt würde.

Bei Schluß des Blattes ergriff der Abg. Dr. Barth das Wort.

___— Uebernimmt ein Geschäftsvermittler den Auftrag eines Grundstücksbesißers zur Vermittelung des Verkaufs des Grundstücks gegen eine Provision, und läßt sich der Vermittler von dem Kauflustigen für seine Vermittelungsthätigkeit gleich- falls Provision versprehen, ohne dem Verkäufer dies anzu- zeigen, so kann nah einem Urtheil des Reichsgerichts, IV, Civilsenats, vom 17. Oktober d. J, im Geltungsbereich des Preuß. Allg. Landrechts der Vermittler vom Verkäufer die vereinbarte Provision nicht verlangen, auch wenn sih eine Kollusion des Vermittlers mit dem Käufer zum Schaden des Verkäufers nicht nachweisen läßt.

Der General-Lieutenant von Körber, Jnspecteur der 3. Feld-Artillerie-Jnspektion, hat Berlin *nah Abstattung persönlicher Meldungen wieder verlassen.

„Sachsen. Dresden, 1. Dezember. . (Dr. J.) Der Ständeversammlung ist ein weiteres Königliches Dekret, den Bau mehrerer Sekundärbahnen betreffend, zuge- angen. Aus der Zahl der von der vorigen Ständever- ammlung der Regierung zur Erwägung überwiesenen Eisenbahnprojekte sind diejenigen, welhe den Bau der Mügligthalbahn, ferner den Bau der Bahnen von Berthelsdorf nah Großhartmannsdorf bezw. Langenau und von Baußen nach Kamenz, sowie den Anschluß von Kunewalde an das Staatseisenbahnneg betrafen, als der Aus- führung vorzugsweise bedürftig, ausgewählt worden. Ferner sind die Projektêunterlagen für eine in der Hauptsache zum Transport von Produkten des Erzbergbaues bestimmte Bahn von Halsbrüde nah Freiberg, sowie dem bezüglichen ständishen Antrage entsprehend für cine Zweigbahn von Schlettau nach Krottendorf generell bearbeitet und fertiggestellt worden. Die Höhe des für die Bahn von Baußen nah Kamenz aufgestellten Kostenanshlags hat noch zu Erörterungen darüber Anlaß gegeben, ob es niht angängig sei, den Bauaufwand durch eine veränderte Tracirung der Linie abzumindern. Diese Erörterungen sind noch nicht zum Abschluß gekommen. Außerdem sind noch tehnische Vorarbeiten für shmalspurige Sekundärbahnen von ODschaß nah Strehla und von Taubenheim über Oppach, Beiersdorf und Schönbach nah Dürrhennersdorf in Angriff genommen worden.

Württemberg. Stuttgart, 1. Dezember. (St.-A. f. W.) Der König und die Königin sind, laut telegraphischer Nachricht, heute Vormittag in erwünschtem Wohlsein “in Florenz eingetroffen.

__Vaden. Karlsruhe, 1. Dezember. B. T. B) Die Zweite Kammer begann heute die Berathung der an den Großherzog zu richtenden Adres} e. Jn derselben wird der tiefen Bewegung der Volksvertreter über die {weren Sorgen, welche alle deutschen Gemüther erfüllen, Ausdruck ge- geben : vereint mit dem Großherzog, heißt es in der Adresse, rihten sich die bangen Blickte auf Se. Kaiserlihe und Königliche Hoheit den Kron- prinzen. Durchdrungen von innigstem Mitgefühl erhebe die Kammer in der Zeit der Prüfung bittend und hoffend ihre Gedanken zu dem Allmächtigen, dem gnädigen Lenker der Geschike der Herrscher und Völker. Die Kammer werde unter Wahrung der freisinnigen Grundlagen der kirh- be Geseßgebung jeden Vorschlag auf Aenderung in diesem Gebiet einer zugleih wohlwollenden und sorgsamen Prüfung unterziehen. Die übrigen in der Thronrede an- gekündigten Entwürfe werden zustimmend kommentirt.

Mecklenburg - Schwerin. Schwerin, 1. Dezember. (W. T. B.) Der Großherzog und die Crobberiontn begeben sih morgen über Paris nah Cannes, um dort während des Winters Aufenthalt zu nehmen. Der Land- tag in Sternberg hat heute eine Landes-Beihülfe von 759 000 M für den Büß ower Kanal bewilligt.

Oldenburg. Oldenburg, 1. Dezember. Das dem Landtage vorgelegte Budget für das Fürstenthum Lübed {ließt ab mit einem Uebershuß von 191 680 M für 1888, mit einem Fehlbetrag von 21 610 # für 1889 und mit einem Fehlbetrag von 29 540 M für 1890. Der Etat für das Fürstenthum Birkenfeld weist für 1888 einen Ueberschuß auf von 286 800 A und einen Fehlbetrag für 1889 und 1890 von 11 200 M bezw. 6000 # Zu beiden Etats ist ebenso wie bei dem für das Herzogthum be- merkt, daß, nahdem die geseßgebenden Faktoren des Reichs

si über ein Geseg, betreffend die Entschädigung unschuldig Verurtheilter, niht haben einigen können, der Bundes- rath das Vertrauen ausgesprochen habe, daß in den Bundes- staaten überall in ausreihender Weise für die Beschaffung der Geldmittel Sorge getragen werde, welche erforderlich seien, um den bei der Handhabung der Strafrechtspflege nachweisbar unschuldig Verurtheilten eine billige Entshädigung zu gewähren. Der Bundesrath gehe hierbei davon aus, daß die Gewährung der Entschädigung in das Ermessen des Landesherrn gestellt werde. În blefein Sinne seien bei den außerordentlichen und unvorhergesehenen Ausgaben „Entschädigungen für unschuldig Verurtheilte“ erwähnt.

. Oesterreih-Ungarn. Wien, 30. November. (Wien. Abdp.) Aus den Landtagen liegen ge nur spärliche Mittheilungen vor. Es haben nunmehr fast sämmtliche Landesvertretungen ihre vorbereitenden Arbeiten beendet, so daß die Plenar- sibungen hinfort rascher aufeinander folgen können. :

__— 1. Dezember. (W. T. B.) Die „Wiener Abendpost“ erinnert aus Anlaß des am 2. Dezember k. J. bevorstehenden Regierungsjubiläums des Kaisers an die unvergeß- liche Feier des 25. Gedenktages sciner Thronbesteigung dur segensreih fortwirkende humanitäre Akte und fügt hinzu, es würde den Wünschen des Kaisers gewiß vor Allem entsprechen, in solch segensreih wirkender Weise auh die Vollendung des 40.

Regierungsjahrs zu feiern. Was die von zahlreichen großen Kreisen in loyaler und patriotisher Gesinnung getroffenen Vorbereitungen anbetreffe, um namentlih die Fortschritte der Kunst, ndustrie, Wissenschaft und Bodenkultur während des denkwürdigen Zeitabschnitts darzulegen, so würde der Kaiser diese Darle ung der geistigen und materiellen Erstarkung der Kraft und Blüthe der Monarchie mit Befriedigung und lebhafter Theilnahme begleiten. Den Gedenktäg selbst aber wünsche der Kaiser niht zum Anlaß einer feierlihen Begehung zu nehmen, da er überzeugt sei von der stets bewährten Anhäng- lichkeit seiner treuen Völker und von der Festigkeit des Bandes, welches zum Segen des gemeinsamen Vaterlandes Fürst und Volk so innig verbinde. Agram, 30. November. (Wien. Ztg.) Bei der Ersaß- wahl in Flok wurde Simonovic (national) gewählt. Jn der Klubsißung der Nationalpartei skizzirte der Banus die Antwort auf die Interpellation Amrus. Hiernach erfolgte die Suspendirung des Bürgermeisters Bado- vinac auf Grund der bestehenden Geseße; die Untersuchung gegen denselben werde dur den demnächst zusammentretenden Verwaltungsaus\{chuß erfolgen. Die Klagen wegen Hint- anseßung der Agramer Gemeinde-Jnteressen seien unbegründet.

Großbritannien und JFrland. London, 30. November. (A. C.) Die gestern Abend erschienene amtlihe „London Gazette enthält einen Erlaß der Königin, wonach das Parlament einstweilen weiter bis zum 183. Januar n. J. vers E er arquis von Hartington und der Schaß- kanzler AeE trafen gestern in Dublin ein, E L langgéplanten undgebung der dortigen liberalen Unio- niste beizuwohnen. Lord Hartington- wurde bei seiner Ankunft in Kingstown von einigen Leuten mit ischen empfangen, und die Polizei abi sofort drei Verhaf- tungen vor. Die drei verhafteten Personen wurden später dem Polizeirichter vorgeführt unter der Anklage, bei der Ankunft Lord Hartington's eine Ruhestörung verursacht zu haben. Es stellte sich heraus, daß sie dem englischen Staatêmann eine Adresse zu Gunsten des Homerule-Plans Gladstone's überreichen wollten, die derselbe nicht annahm, worauf sie ihrer Unzufriedenheit darüber durch Zischen Aus- druck gaben. Der Polizeirichter sprach die Angeklagten frei mit dem Bemerken, daß ihr Benehmen ihre Verhaftung nicht recht- fertige. Abends fand die große unioni stishe Kundgebung in der Leinster Hall statt, welche ungeachtet ihres riesigen Umfanges die Theilnehmer nit alle zu fassen ee, Unter den Anwesenden befanden sich die Herzöge von Leinster und Abercorn,' Lord Stalbridge, sowie viele andere Pairs, Mit- glieder des Unterhauses, der Gouverneur der Bank von Jrland, der Direktor der Sternwarte, Vertreter der Universitäten und des Barreaus, die Präsidenten der verschiedenen wissenschaft- lihen Gesellschaften und Jnstitute, die Vorsigenden fast aller irischen Eisenbahn- und Dampfschiffahrts-Gesellschaften, sowie die Elite der Dubliner Gesellschast. Der Marquis von Hartington und Mr. Goschen wurden enthusiastish be- grüßt. Mr. Wigham, der Ehrensekretär der Dubliner Handelsk ammer, führte den Vorsiß und verlas eine Adresse der 1300 Mitglieder zählenden Kammer, worin den beiden Staatsmännern Bewunderung und Dank ausgedrückt wurde für ihre entschiedene und fonsequente Opposition gegen die „verderblichen und gefährlihen Pläne, welche zur Zer- stückelung des Neichs in Vorschlag gebraht worden“. Lord Hartington hielt alsdann eine längere Rede, im Verlauf welcher er zuvörderst seine Sympathie ausdrückte mit der Exekutive, den Beamten und insbesondere der Polizei, die jeßt Angriffen von Männern ausgeseßt seien, denen sie bis vor Kurzem ebenso loyal und treu dienten, wie sie der jeßigen Regierung dienen. Es lägen keine Beweise dafür vor, daß, wenn Jrland ein beschränktes Maß von Homerule gewährt würde, der Ehrgeiz der Nationalisten befriedigt jein würde. Es sei im Gegentheil jeder Grund für die Annahme vorhanden, daß“ dies niht der Fall sein würde. Selbst wenn die Mehrheit in Jrland zu Gunsten von Homerule die Industrie, das Gewissen und die überlegte öffentliche Meinung wirkli repräsentirte, dürfte es die Pflicht des Parlaments sein, eine Forderung zu verweigern, 1elche nachtheilig für das Reich im Ganzen sein würde. Es gebe keinen Gegenstand, über welhen Jrland eine Gesetzgebung wünschen könnte, den nicht das britische Parlament zu erledigen vermöchhte. Die Minderheit, welche Homerule nicht wolle, bestehe A aus jenen Klassen, von denen die Wohlfahrt rlands hauptsählih abhänge. Unter den 86 parnellitischen Abgeordneten Jrlands gebe es keinen einzigen Vertreter kom- merzieller und industrieller Unternehmungen. Wie in dem Fall des Königreichs Schottland könnten alle gerehten natio- nalen Bestrebungen a Lem, vollauf befriedigt werden, ohne Rekurs zu dem ge ährlihen Auskunfstsmittel, ein Sonder- parlament herzustellen. Wenn die irischen Führer unwider- Guie fee Mes Bi Pen in das englische wollten, würde ihnen Aufmerksamkeit für i Sn L Theil werden. M B a e Î

ezember. (W. T. B.) Die von der Zucker- konferenz zur Berathung über die Frage der Rae:

in den Lägern ernannte Kommission besteht aus

englischen, österreichischen, französischen, deutschen und bel

schen Delegirten. Graf Kuefstein führt den Vorsitz

1.. Dezember, Nachts. (W. T. B.) Bei der Parlamentswahl im Londoner Gemeindep. Dulwich an Stelle des jüngst zum Richter ernannte ezir servativen Howard wurde der Konservative Ma (M0 4621 Stimmen gegen den Gladstonianer Henderson Pen 2609 Stimmen erhielt, gewählt. Die konservative Met hat sih im Vergleich mit der vorigen Wahl um ein Wi verringert. entge

Frankreih. Ueber die räsiden fta fri liegen heute folgende Depeschen E r T. L Ha ftskris

Paris, 1. Dezember, Nachmittags. Die Mini traten heute Vormittag unter dem Vorsig Grévy's e Elysée zu einer Sißung zusammen. Grévy theilte d selben mit, daß er, da die Lage sich verändert bof! den Kammern heute keinerlei Mittheilung 0 lassen werde. Der Minister-Präsident Rouvier a

diesen Entshluß Grévy's zur Kenntniß dex Kammern brin

und denselben mittheilen, daß das Kabinet aufs ss Entlassung gegeben habe. Wie verlautet, A Ged j sofort um die Bildung eines neuen Kabinets bemühen N

„Jn der Deputirtenkammer mate der Ministe Präsident Nouvier die Mittheilung : Präsident Gren, habe die Absicht kundgegeben, eine Bot \ chaft an die Kanm: zu richten, sei aber von dieser seiner Absicht wiede zurückgekommen. Bei dieser Lage der Sache gebe d Ministerium von Neuem seine Entlassung. (Wieda holter Beifall auf allen Bänken der Linken). Ricard Präsident der Union der Linken, beantragte hierauf Sibung zu unterbrehen. Cuneo von der Rechten rie „besser wäre es, die Kammer aufzulösen!“ Die Sißung wir fortgeseßt. Der Senat, dem dieselbe Mittheilung ni der Kammer gemacht wurde, seßte seine Sißung bis 4 Uhr aut _ 1. Dezember, Nachmittags. Auch die Deputirte) kammer seßte ihre Sißzung bis 4 Uhr aus. Rouvie begab si inzwischen zu Grévy, um ihm von derx Untey brehung der Sißung Mittheilung zu machen. Gerü weise verlautet: Flourens werde mit der Bildung eins Kabinets beauftragt werden.

In der Umgebung des Palais Bourbon haben sil etwa 3000 Personen angesammelt. Aus der Mitte der Men wurden einzelne Nufe: „nieder mit Ferry!“, andere dageget „es lebe Grévy!“ gehört. Die Polizei machte die Zugänge z Kammer frei und verhinderte die Menge, stehen zu bleibe Gegen 3 Uhr hielt Déroulède eine Ansprache an d Menge, die mit Hochrufen auf Grévy und General Boulangi {hloß. Von anderer Seite wurden die Rufe: „nieder mit Ferd und Grévy! laut. Frgendwelche ernstere Zwischenfälle si Pl as E Die S Garde u

lzeimannschasten haben den ganzen Plat zwischen de Palais Bourbon und den Qucis E Der Eintritt in das Palais Bourbon ist dem Publikum unt sagt; die in dessen Nähe befindliche Menge betrug gegs 31/2 Uhr etwa 5000 E meist Neugierige. An d Zugängen zum Elysée herrscht Nuhe.

1. Dezember, Nachmittags. Als die Kammer u 4 Uhr die Sizung wieder aufnahm, beantragte Viet (radikal), daß das Haus in Erwartung der ihm zugesagt( Mittheilung die Sigung bis um 6 Uhr weiter vertag Die Kammer nahm den Antrag mit 531 gegen 3 Stimm an. Der Senat hat sich bis um 8 Uhr vertagt.

1. Dezember, Abends. Die Deputirtenkammé nahm Abends 61/, Uhr die unterbrochene Sißu wieder auf. Der Minister-Präsident Rouvier zeig an, daß er dem Präsidenten Grévy den heutigs Beschluß der Kammer mitgetheilt und dies Entschließungen Grévy's geändert habe. D selbe habe erklärt: er habe niemals beabsichtigt , eint Konflikt mit dem Parlament herbeizuführen, und werde d Kammer wie dem Senat seinen Entschluß morgt durch eine Botschaft kund thun. Grévy habe au d Annahme der Demission des Kabinets abgelehn welches sonah die Geschäfte fortfü hren werde. (V fall.) Die Kammer vertagte sich hierauf bis morgen Nad mittag 2 Uhr.

Die Menschenmenge, die sich von Nachmittags an der Umgebung des Palais Bourbon angesammé hatte, hat sih ohne weiteren Zwischenfall zerstreut.

__ Der Senat vertagte sich, nah Wiederaufnahme d Sibung, um 8 Uhr, ebenfalls bis morgen Nachmittag 2 Uh

1. Dezember, Abends. Jn dem heute Nachmittag

Elyfée, nah der 4 Uhr-Sizung der Kammer, stattgehabt

Ministerrath forderte Grévy, nachdem ihm Nouvier

Bedeutung des von der Kammer gefaßten Beschluss ta O hatte, jeden der anwesenden Minister z Aeußerung seiner Ansicht auf. Alle Minister erklärten üb einstimmend, daß ihnen der unverzögerte Rücktritt des Pu sidenten der Republik nothwendig erschiene. Grévy ( widerte darauf : nicht er, sondern die Kammer sei es, die F jeßige Lage geschaffen habe; die Kammer müsse also auch è Verantwortung vor der Geschichte tragen, und erklä sodann, daß er morgen seine Demission geben werl Der Senat hatte sih, als er von der Absi des Präsidenten Grévy, keine Botschaft an die Ka mern zu richten, unterrichtet wurde, ebenso wie Kammer mit der Erklärung vertagt, sicherte Mittheilung des PräsidentenGrévy erwar Jn Parlamentskreisen nimmt man als gewiß an, d die morgen zu erwartende Botschaft Grévy's dess Demission enthalten und daß der Kongreß am Sonnabe zusammentreten wird. Die Plenarversammlung, welcher alle Nepublikaner eingeladen sind, bleibt auf Vormittag am Tage des Zusammentritts des Kongresses Versailles festgeseßt. Als Déroulède

den Kammerpalast ieß, {lug den Weg nach pa asi verließ {

dem Stadthause ein, rihtete Ansprah

an die ihm folgende Menge und forderte dieselbe al

„Hoh Grévy!“ zu rufen, Die Menge antwortete mit Rufen: „Nieder mit B, Demission! - Demissio! Schließlich zerstreute die Polizei die Manifestanten U verhaftete Déroulède, als derselbe der Polizei d Gehorsam verweigerte, Déroulède ließ sich zwar n( dem Polizeiwachtlokal ühren, P aber gegen se Verhastung mit dem Bemerken, daß die Polizei kein R6 Me lhn zu verhaften : es sei ein konstitutioneller und [ega uf, den er ausgestoßen habe. Etwa eine Stunde ps wurde Déroulède wieder in Freiheit gesetzt. Derse

von Menschen gesäubei

daß er die zu

ih alsbald in das Redaktionslokal des „Fntransigeant“ A Protest gegen seine Taae zu entwerfen. M 9, Dezember. Der gestrige Abend war sehr be- wegt. Zahlreiche Gruppen hatten sih auf den Boulevards und an den Zugängen zum Elysée angesammelt, doch kam feine ernstliche Unordnung vor. Gegen zwanzig Personen wurden verhaftet, aber alsbald wieder freigelassen. Die Polizei versihert: sie habe Déroulède und Louise Michel vorübergehend verhaftet, um dieselben den Feindseligkeiten der Menge zu entziehen. Noch vor Mitternaht hatte aris wieder seine gewohnte Physiognomie angenommen. Die Journale meinen: nah dem gestrigen Tage könne Grévy seine Demission niht mehr hinausschieben. Die meisten sprechen ihre volle Billigung der ebenso würdigen, wie ruhigen Haltung der Kammern aus; es sei zu hoffen,

daß sich hieraus eine Einigung der republikanischen Parteien bezüglich der Präsidentenwahl entwiceln werde.

Ftalien. San Remo, 1. Dezember. (W. T. B.) Heute Mittag passirte ein aus drei deutschen Kriegs- shiffen bestehendes Geshwader hier vorbei und salutirte den Kronprinzen durch 21 Kanonenschüsse.

Spanien. Madrid, 1. Dezember. (W. T. B.) Bei der heutigen Eröffnung der Cortes wurde eine Thron- rede verlesen, in welher der Dankbarkeit für die Anhäng- lichkeit und Liebe des spanischen Volkes Ausdruck gegeben und erklärt wird: der innere Friede sei gesichert und die Beziehungen zu den anderen Mächten seien herz- liche. Die Thronrede theilt. sodann mit, daß der Sultan von Marokko, welcher von der loyalen Freundschaft Spaniens überzeugt sei, um den A einer neuen Konferenz zur wiederholten Prüfung der Konvention von 1860 ersucht habe. Bei Erwähnung der Kolonien gedenkt die Thronrede. der auf den Philippinen, auf Mindanao und den Sulu-Fnseln stattgehabten siegreihen Kämpfe und sagt: die spanische Flagge werde daselbst überall behauptet werden.

Türkei. Konstantinopel, 30. November. (Wien. tg) Die von der Pforte vorgeschlagenen Aenderungen der Suez-Kanal-Konvention sind von geringer Bedeutung und mehr die Form betreffend. Die hauptsächlihste Modifi- fation besteht darin, daß die Pforte den Vorsiß für den türkischen, nicht für den ältesten Konsul, in Anspruch nimmt.

Bulgarien. Sofia, 1. Dezember. (W. T. B.) Die „Polit. Korresp.“ meldet, die hier anwesenden Vertreter der fremden Mächte hätten sih geeinigt, der Mutter des Prinzen Ferdinand, der Prinzessin Clementine von Coburg, einen Besuch abzustatten.

Zeitungsftimmen.

Jn einer historishen Entwickelung der sozialpolitischen Geseßgebung Deutschlands kommt das „Bromberger Tageblatt“ zu folgendem Schluß: / :

Die ganze Größe dieses Werks wird noch lange niht genügend gewürdigt, weil wir uns diesem Ziele allmählih genähert haben und allmählich hineingewachsen sind in das Gebiet der sozialen Reform, die hon als ctwas Selbstverständliches gilt. Aber man blicke nur zurü auf den zurückgelegten Weg und auf die Zustände, welche vor Erlaß des Krankenkassengeseßes obwalteten, so wird man erkennen, einen wie gewaltigen Fortschritt wir ' gemacht haben von der Unvoll- ständigkeit, Plan- und Regellosigkeit der Mittel, mit denen ein kleincr Theil der Arbeiter si gegen die Zeiten von Arbeiteunfähigkeit noth- dürftig zu {ügen suchte, bis zu der Organisation, welche jedem Arbeiter für diese e vollen, rechtlichen Anspruch auf Sicherung seiner Existenz gewährt. Das ist die Sozialreform Kaiser Wilhelm's! Möge auch ferner der Segen Gottes auf ihr ruhen!

Die „Staatsbürger-Zeitung“ äußert über die Reichstagsrede des Abg. Bebel :

._,_. Seitens der sozialdemokratishen Partei hat der Abg. Bebel das Wort genommen und im Allgemeinen nur wiederholt, was als das ABC dieser Partei bezeihnet werden kann. So hat der Redner herausgerehnet, daß der Arbeiterfamilie durch Erhöhung der Korn- preise eine Steuerlast von jährlich 30 46 aufgebürdet werde. Wir wollen gar nit untersuchen, ob eine Zollerhöhung eine derartige Er- höhung der Brotpreise nah sich ziehen würde; aber wir fragen Hrn. Bebel, wie er es bei dieser Klage über Steuerüberbürdung verant- worten will, wenn den Arbeitern zugemuthet wird, zu gewissen Hrn, Bebel sehr wohl bekannten Zwecken wöchentlich 1 4 macht jähr- lih 52 4 von ihrem Arbeitsverdienst herzugeben.

Was dieser sozialdemokratishe Abgeordnete in Betreff des Krieges im Jahre 1866 gesagt hat, ist durch den Ordnungsruf des Präsiden- ten gerügt worden, nicht aber das, was er in Betreff Elsaß-Lothrin- gens, der ehemaligen deutschen Lande, gesagt hat. Hat Hr. Bebel wohl daran gedacht, was einem Deputirten der Französischen Republik, und zwar von der Partei, der er selber zugehört, passirt sein würde, der die Chre Frankreihs in derselben Weise preisgegeben hätte, wie er die Ehre Deutschlands? Man spreche doch nit mehr von den Parteien, welche weiter für die Beibehaltung des Sozia- listengesezes eintreten werden. Von allen, die dies bisher

ethan haben, hat keiner so dafür gesprochen wie er. Mögen die Ar-

Bilan, welche für die Ehre des deutschen Vaterlandes mitgekämpft und geblutet haben, sih doch endlich von einem Manne wenden, der diese Ehre mit Füßen tritt. Unserer Ansicht nah hat der Abgeord- nete Bebel der öffentlihen Meinung in ganz Deutschland einen Schlag ins Gesicht verseßt, und an dieser ist es, ihn dafür öffentlih zur Ord- nung zu rufen,

In der „Berliner Börsen-Zeitung“ eröffnet der National: Dekonom Dr. Arendt eine Artikel-Reihe über „die Erhöhung der Getreidezölle“, in deren Einleitung sih folgende Bemerkungen finden : 4 ;

Manchesterthum und nationale Wirthschaftspolitik Freihandel oder Schutzoll ?

Die erregten Erörterungen über die Getreidezoll-Erhöhung lassen es wünschenswerth erscheinen, durch eine eingehendere Untersuchung den Werth der jeßt so oft gehörten Gründe und Gegengründe festzustellen.

Cs ist ein Unglück für Deutschland, daß die wirthschaftlichen Fragen bei uns Dbjekt des politischen Parteigegensaßes geworden sind,

An die Stelle der so nöthigen ruhigen Erwägung der Inter- Gen ist in Folge dessen ein Meinungs\treit getreten, der sachlichen

ründen keinen Raum läßt. Man weiß vorher, was man beweisen will, und da Gründe wohlfeil wie Brombeeren sind, finden sih die Beweisgründe hüben und drüben leiht zusammen und verfehlen auf N ihren Eindruck nicht, die von den Gegengründen nie etwas erfahren.

Auf diese Weise züchten die Parteien ihre Anhänger in bestimmten Anschauungen, bis \{ließlich die. „öffentlihe Meinung“ entsteht, die als Großmacht behandelt wird, und doch nur den Resonanzböden der Leitartikel und Schlagwörter darstellt. n

Mit einem gewissen Neid muß man auf wirths{chaftspolitische Er- örterungen im Auslande blicken. Man vergleiche nur den Streit um die Erhöhung der Getreidezölle in Frankreih und Deutschland. Bei uns sieht jeder gute Liberale in den Getreidezöllen eine Erfindung der

‘Bewußtsein

„beutegierigen Agrarier", bestimmt, den ohnehin reihen Großgrund- besißer aus den Taschen des arbeitenden Volkes unrechtmäßig zu be- reihern in Frankrei erkennen die radikalsten Republikaner, die do gewiß nicht Großgrundbesiger-Interessen vertreten, daß die Noth- lage der Landwirthschaft Ausnahmemaßreaeln erheischt, und beeilen sich, einen angemessenen Zollshuy herzustellen. Die Franzosen haben vor uns voraus, daß sie, bei aller Schärfe des politishen Gegensaßes, doch immer und besonders au in wirthschaftlihen Fragen allesammt auf nationalem Boden stehen. Hoffen wir, daß auch wir hierhin ge- langen, wenn bei uns die Generation von Königgräß und Sedan heranwähst. Heut führen die Männer von 1848 und die Männer der sehziger Jahre noch zu sehr das Wort. Ich gehöre nicht zu denen, welhe Über die Bestrebungen dieser Männer ohne Weiteres den Stab brechen, aber sie sind Vertreter eines Jdealismus, der politish von den Ereignissen überholt is. So sehr das jeßt allseitig Anerkennung findet, so wenig scheint es doch dem öffentlichen flar zu sein, daß die Ideen der Zeit vor Sedan auf wirthschaftlihem Gebiet noch heut nicht überwunden sind. Das wirth\chaftlihe Glaubensbekenntniß des Zeitalters von 1848—1870 ist das englishe Freihandels- prinzip, das mit seinem kosmopolitishen JIdealismus {ih trefflih den politischen Schwärmereien jener Tage anreiht. Heute aber , wo Deutschland in Wehr und Waffen jeder Zeit bereit sein muß, nicht nur um seine Weltmacbtstellung, sondern um seine Cristenz als Nation zu kämpfen, heut müssen wir au auf wirthschaftlihem Gebiet nur den nationalen Bedürfnissen Rechnung tragen und unsere Volkswirth- [Qn S von dem Gesichtspunkt nationaler Krafterhaltung eiten lassen.

In der besten aller Welten wäre das manchesterlihe laissez- faire, laissez-aller dîe rihtigste Politik. Niemand kann bestreiten, daß es für Handel und Verkehr angenehmer is, wenn keine Zoll- \chranken die Länder trennen; innerhalb eines Landes müßte das freie Spiel der Kräfte am besten jedem Einzelnen und damit der Ge- sammtheit frommen nur daß leider praktisch die Dinge anders liegen, als sie fi theoretisch ausnehmen. Die Gleichheit im freien Spiel der Kräfte besteht nicht, weil Geburt, Erziehung, Vorbildung, Kapital die Gesellschaft in wirthschaftlich Schwähere und Stärkere scheidet. Will man hieran rütteln, fo verliert man sich in sozialistishe Utopien. Jn dem ungleichen Kampf aber zwischen dem wirthshaftlich Stärkeren und wirthschaftlih Schwächeren droht naturgemäß der Stärkere den Schwächeren noch mehr zu {wähen und \ch{ließlich zu vernichten. Es ist die Sozialreform, die hier einzugreifen und den \hrankenlofen Konkurrenzkampf einzudämmen berufen ist. Mit der Manchesterpartei bin ih der Ueberzeugung, daß die der Neuzeit nicht mehr entsprechenden Verkehrs\{hranken fallen mußten, aber nunmehr tritt an uns die ge- waltige Aufgabe heran, eine Neuorganisation der Gesellschaft zu schaffen, die den Bedürfnissen der Gegenwart Rechnung trägt. Die Grundanschauung der \chrankenlosen wirthschaftlichen Freiheit mag von Haus aus eine idealistishe gewesen sein, praktis verkörpert sich in ihr das rüsihtslose Ausbeuterthum des wirthschaftlich Stärkeren, der Konkurrenzkampf wird zu einem Ver- nihtungskampf, der Mitmensch findet nur so viel Berücksichtigung, als er Nutzen haft, die Cthik vershwindet aus der wirthschaftlichen Welt, bis \hließlich die Gesellschast so weit aufgearbeitet ist, daß die Masse gewaltsam eine Ausgleichung herbeiführt. Das Mancester- thum führt prinzipiell und thatsählich zur sozialen Revolution, diese aber bedroht niht nur den Wohlstand, sondern auch die nationale Bedeutung unseres Volkes. Vom Standpunkt der nationalen Wirth- \chaftspolitik aus sind deshalb die Vertreter des Manchesterthums die unbewußten Helfer der fozialistischen Umsturzpartei, mindestens ebenso gefährlich als diese selbst; um so bedenklicher ist der große Einfluß, den diese Partei noch immer ausübt N Z

Greifen wir den innersten Kern der Zollfrage heraus. Ist das Interesse des Konsumenten oder des Produzenten maßgebender ? Diese Frage entscheidet. Giebt es nun wirklih lediglih Konsumirende ? Alle Güter, die bestehen, sind auf Arbeit zurücßzuführen, kein Kon- sument steht mithin außer Zusammenhang mit der Produktion. Ent- weder er produzirt selbst oder er verbraucht die Produkte Anderer. Auch im leßteren Fall ist er abhängig von dem Wohlergehen der Produktion. Der Beamte, der Rentner, der Kapitalist sind indirekt ebenso abhängig von dem Produktionsertrag als die Pro- duzenten selbs. Es besteht eine Harmonie der wirthschaftlichen Interessen, die nicht ungestraft einseitig durchbrochen werden darf. Auch der Handel beruht nicht darauf, möglichst billig zu kaufen, sondern möglichst gut zu verkaufen, und das ist nur mögli, wenn die breiten Massen des Volks kauffähig sind. Diese Massen aber hängen von der Thätigkeit der Industrie und der Landwirthschaft ab. Soll ein Land wirthschaftlich gedeihen, so muß die industrielle und landwirthschaftlihe Produktion #sch günstig entwickeln. Durch das ungeheure MNäderwerk des Verkehrs dringt dann überall hin Leben und Thätigkeit, bei f\teigendem Verdienst der arbeitenden Klassen können Preissteigerungen ertragen werden, jeder Konsument erhält dafür Entschädigungen irgend welcher Art. Tritt dagegen ein umfassendes Sinken der Preise ein, so wird der Vortheil des Konsumenten sehr bald durch s{chwere Nachtheile mehr als auf- gewogen. Für die Massen kommt namentlih die Arbeitslosigkeit in Betracht. Besser theueres Brod bei reichlihem Verdienst, wie billiges Brod als Almosen. Für den Einzel-Unternehmer entscheidet der Rein- ertrag, er wird lieber ein Geschäft machen, das bei 100 090 46 Umsaß 50 000 Gewinn abwirft, als ein Geschäft, das bei 200 000 / Umsaß nur 40 000 A Gewinn bringt. Bei der Volkswirthschaft als Ganzem kommt aber auch der Rohbetrag in Betraht. Für das Land ist es vortheilhafter, wenn eine größere heimishe Produktion geringeren Gewinn bringt, als wenn der Einzelne größeren Gewinn aus fremder Produktion zieht. Die eigene Produktion ernährt die Arbeit, belebt den Verkehr, hebt die direkten und indirekten Staatéeinnahmen. Für den Einzelnen ist es vortheilhaft, möglichst billig zu kaufen, für die Volkswirthschaft kann der billigere Preis Schaden bringen, wenn dur denselben der Gesammtumfang der heimischen Produktion ver- mindert wird. Dieser einfahe Sah ist es, welchen das prinzipielle Freihändlerthum verkennt.

Um das Prinzip des billigsten Marktes praktish ad absurdum zu führen, brauht man nur die Konsequenzen desselben zu ziehen, Nehmen wir an, die Preise sinken immer weiter, Getreide wird uns so billig zugeführt, daß die Erntearbeit bei uns \ich nit mehr be- zahlt maht. Unsere Aecker werden dann wüst liegen, unsere Fabriken stillstehen und das billigste Brot wird für das verarmte Volk zu theuer sein. Es giebt eine Grenze in allen wirthshaftlihen Ver- hältnissen. Wir müssen Sorge tragen, daß die belebende Konkurrenz auch des Auslandes nicht aufhört, aber wir müssen die heimische Pro- duktion {üßen, sobald dieselbe der ausländischen Konkurrenz gegen- über niht bestehen kann. Der vorübergehende geringe Nutzen des billigeren ausländischen Produkts kommt niht in Betracht gegenüber dem Schaden des Aufhörens der heimischen Produktion

_— Die „Berliner Politishen Nachrichten“ theilen Folgendes mit: ___ Veranlaßt dur die in immer weiteren Kreisen englisher Firmen- inhaber hervortretende Tendenz zur Anstellung deutscher Handels- gehülfen hatte die Londoner Handelskammer vor einiger Zeit an lämmtliche tonangebende Geschäftsfirmen der City ein Rundschreiben erlassen, welhes eine Reihe diesbezügliher Fragepunkte aufstellte. Nicht weniger als 35 9% der eingelaufenen Antwortschreiben konfsta- tiren nun, daß die betreffenden Firmenchefs deutshe Comptoiristen beshäftigen, während sehr viele solher Firmen, die einst- weilen noch englishes Personal im Dienst haben, einräumen, daß der Druck der geschäftliben Nothwendigkeit sie wahr- \cheinlih {hon binnen Kurzem zwingen würde, mit ihrer bisherigen Gepflogenheit zu brechen. Yast einig E sich die von der Londoner Handelskammer konsultirten Kaufherren dahin aus, daß sie nur um deswillen den Deutshen vor den Engländern den Vorzug geben, weil erstere besser für ihren Lebensberuf er- zogen und vorbereitet seien. Der erste und hauptsählihe Mangel der jungen englishen Comptoiristen bestehe darin, daß sie in 99

von 100 Fällen keiner einzigen fremden Sprache mähtig seien. Auf diesen empfindlihen Mangel in der kaufmännischen Ausbildung des englishen Handelsstandsnahwuchses legen die Brief- shreiber durchgängig den entscheidenden Accent, nicht ohne au in sonstiger, geschäftlicher wie persönlicher Hinsicht, die Ueberlegenheit der deutschen Handelsbeflissenen über ihre englishen Genoffen zu betonen. Einstimmig sind die Handelsherren der City sodann der Ansicht, daß das kommerzielle Erziehungssystem in England vollständig reformirk werden müsse, wenn die jeßige Situation sich nicht noch weiter zum Nachtheil der englishen Interessen verschlimmern jolle.

Statistische Nachrichten.

Das soeben ausgegebene Oktoberheft der Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reichs enthält, außer den auf den betreffenden Monat bezüglihen Nachweisen über die Waaren- Einfuhr und Ausfuhr, Zucker-Produktion, Preise wichtiger Waaren im Großhandel, Auswanderung 2c., eine Arbeit über die Produktion der Bergwerke, Salinen und Hütten im Deutshen Reich und in Luxemburg im Jahre 1886. ; /

Nach Mittheilung des Statistischen Amts der Stadt Berlin find bei den hiesigen Standesämtern in der Woche vom 20, November bis inl, 26, November cr. zur Anmeldung gekommen: 2566 Ebeshließungen, 900 Lebendgeborene, 35 Todtgeborene, 501

Sterbefälle.

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

Im Verlage von Fr. Schulze in Berlin 8W., Wilhelm- straße la, sind erschienen: die wohlgetroffenen Porträts Sr. Majestät des Kaisers und Sr. Kaiserlichen und König“ lihenHoheit des Kronprinzen. Pendants. Lebensgroße Brust- bilder in Oeldruck nah nach dem Leben gemalten Originalen von Th. Hell- wig und Prof. Anton Weber. 71 cm hoc, 58 ecm breit. Preis pro Blatt 10 Æ, mit Rahmen 20—30 Æ Die Köpfe dieser in Oelfarben- druck ausgeführten Poriräts sind von Künstlerhand noch besonders mit Oelfarbe übermalt, so daß sie niht allein den Eindruck wirklicher Oelgemälde machen, sondern auch wie solhe unvergänglich in der Farbe bleiben. Die Bilder eignen sich besonders zur Zierde von

chulsälen, Kasino's u. dergl. :

Im Verlage der Schulze’shen Hof-Buchhandlung (A. Schwarz), Oldenburg und Leipzig, ershien: „Afrikanishe FJuris- prudenz". Ethnologisch-juristishe Beiträge zur Kenntniß der ein- heimishen Rechte Afrikas von Dr. Albert Hermann Post’, Richter am Landgericht in Bremen. Mit Völker-, Länder- und Sach- register. 2 Theile in einem Bande. (Preis 6 4) Der Verfasser bietet einen interessanten Beitrag zur ethnologishen Jurisprudenz, deren Bedeutung für Rechtsgeshihte und Rechtsphilosophie seines Erachtens nicht zu untershäßen sei. Er erklärt, daß er nit die gesammte Literatur habe durchsehen können, was eine Arbeit von einigen Jahren erfordert haben würde. Er beabsichtige, mit dem gesammelten Material wenigstens einen vorläufigen Ueberblick der afrikanischen Rechtsbildungen zu geben und somit eine Unterlage zu schaffen, auf welher eine afrikanische Jurisprudenz weiter bauen könne. Eine große Anzahl der afrikanishen Rechtssitten seien nicht \pvezifish afrikanishe, sondern von universalrechtshistorisher Bedeutung und manche spezifish afrikanischen Rechtssitten erstreckten sih wieder über die stammfremdesten Völker des Kontinents. Ueberall überschritten die Rechtsbildungen die Sprachbezirke und sonstigen ethnographischen Abgrenzungen, fodaß es nah Ansicht des Verfassers keinen Zweck hat, sie in diese einzuordnen. Eine Beschränkung auf den afrikanischen Kontinent sei nur dadurch geboten gewesen, daß irgendwo eine Grenze angenommen werden mußte, und eine folche sei durch einen Erdtheil immerhin geboten. Aus diesem Grunde hat der Verfasser das Material nach Materien und nicht nach Völkern geordnet. Dem- jenigen, der sich für die Gesammtrehtsordnungen einzelner Völker und Stämme interessirt, wird dur ein genaues Register Gelegenheit gegeben, sich zu informiren, wie sich dieselben bis jeßt erkennen laffen. Das Werk, welches von einem außerordentlihen Fleiße zeugt, dürfte dem von ihm verfolgten Zweck genügen. Der Jurist von Fah wird in demselben viel Belehrung und Anregung finden; aber auch in nictjuristischen Kreisen wird das interessante Buch zahlreiche Leser finden: :

Aus dem Verlage von A. Haack in Berlin liegen uns die nachstehenden, praktish zusammengestellten Kalender für 1888 vor:

Für die Damenwelt, elegant ausgestattet, Haack's Damen- Kalender in seinem 14. Iahrgang als zierlihes Geschenk. Frau. Villamaria hat einen s\pannend geschriebenen größeren novellistischen Beitrag dazu geliefert, betitelt: „Sein Münd'l“. Ein photographisches Titelbild trägt zum besonderen Schmuck des in geschmackvollem Ein- band mit Golddruck und Goldschnitt hergestellten Kalenders bei.

Dr. Lange's immerwährender Notizbuh-Kalender bietet dur seine sinnreih erfundene Tabellenberechnung ein Hülfs- büchelhen für die Tasche jedes Gebildeten. (Preis 60 4.)

Ein praktisher Comptoirt-Kalen der mit Notizen, ein kleiner Wand- und Taschen-Kalender sowie ein kleiner Porte- monnaie-Kalender in sauberem Ledercinband mit Goldschnitt und Messingecken bilden den Schluß dieser Kalenderreihe,

Gewerbe und Handel.

Dem Geschäftsberiht der Weißbier-Aktien-B rauere i vorm. H. A. B olle für das Geschäftsjahr vom 1. Oktober 1886 bis 30. September, 1887 entnehmen wir folgende Angaben: Es sind versteuert worden: im Betriebsjahre 1884/85 8409 Ctr., 1885/86 12200 Ctr, 1886/87 14 400 Ctr. Malz Der Bedarf an Weizen- malz wurde in der eigenen Mälzerei hergestellt und 649 007 k (12 980,14 Cir.) vermälzt. Von den alten Aktien sind bis jeßt noch niht zur Konversion gelangt: 12 Stück über je 300 A Der Auf- sihtsrath hat die Dividende auf 5} °/o, vorbehaltlih der Genehmigung durch die Generalversammlung, festgeseßt.

Die gestrige außerordentlibe Generalversammlung der Vereinigten Deutschen Telegraphen-Gesellschaft ge- nehmigte den von der Direktion vorgelegten Entwurf des mit der Deutschen Reichs-Verwaltung abzuschließenden Vertrages wegen käuf- licher Ueberlassung der Kabel der Gesellschaft.

Die Liquidatoren des Frankfurter Bankveèreins in Liqu. haben, wie die „Frkf. Ztg." meldet, die Schlußrechnung auf- gestellt. Am 4. August 1886 haite das Guthaben bei der Deutschen Bank in Berlin 9 831 465 betragen. Dazu kommen 2% Zinsen vom 4. August 1886 bis 16. Dezember 1887 mit 268726 M, so daß im Ganzen 10100191 # oder abzüglih einer kleinen Gra- tifikation 10 100 174 A zur Verfügung stehen, was auf jede Aktie von 300 Æ nominal 313,67 #4 ausmacht. Der hierzu ausgegebene Bericht bemerkt, daß sämmtlihe buhmäßtgen Passiven des {Frank- furter Bankvereins bis auf 199,75 A für eine noch niht prä- sentirte Tratte und 213 # für noch nicht vorgekommene Dividenden- scheine getilgt wurden. Auch alle sonstigen Verbindlichkeiten des

rankfurter Bankvereins seien bis auf die noch weiter erwachsenden Liquidationskosten, welche vertragsmäßig von der Deutschen Bauk zu berichtigen bleiben, erledigt worden. Für einen gegen den Bankverein erhobenen, ganz unberechtigten und in erster Instanz bereits abge- wiesenen Anspruch im ungefähren Betrag von 2000 K resp. 6000 stehe zwar dem Kläger die Berufung nohch_ offen; es wurde jedoch für daherige Eventualitäten von der Frankfurter Filiale der Deutschen Bank dem Interessenten Bürgschaft geleistet derart, daß wegen dieses Gegenstandes die Ausschüttung niht weiter aufgehalten zu werden brauht. Demgemäß stellen die Liquidatoren für die auf den 16. Dezember einberufene Generalversammlung den Antrag, die Vertheilung des Vermögens vorzunehmen und diejenigen Aktienbeträge, welche bis zum 31. Dezember d. J. niht erhoben sein follten, zu Gunsten der Berechtigten bei der Königlichen Regierungs-Hauptkasse in Wiesbaden zu hinterlegen. ,

Die ordentliche Generalversammlung der Hannoverschen Eisengießerei sprach in Erledigung der Tagesordnung unter Ge- nehmigung der Bilanz die Entlastung für den Aufsichtsrath und den Vorstand aus und seßte die Dividende auf 9 % fest.