1908 / 132 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 05 Jun 1908 18:00:01 GMT) scan diff

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. Flußkbt. „Tsingtau“ gestern von Hongkong nah Canton gegangen.

è

Sachsen.

In der gestrigen Sißung der Wahlre chtsdeputation wurde der Wortlaut des zu erstattenden anderweiten Vor- berichts, der heute zur Verteilung an die Abgeordneten gelangen soll, festgestellt. Nach dieser Feststelung überreichte der Re- gierungsfommissar eine Zuschrift es Staatsministers Dr. Grafen von Hohenthal an die Wahlrehts- deputation worin, wie. das „W. T. B.2- meldet, die Königlihe Staatsregierung das an sie gerichtete Ersuchen der Deputation ablehnt, nah dem im Kompromiß aufgestellten Grundsäßen eine Abgrenzung der Wahlkreise vor- zunehmen, und worin des weiteren die Gründe für diesen Beschluß dargelegt werden. Nach Verlesung dieser Zuschrift erklärte sich der Geheime Regierungsrat Heink persönlich bereit, an der Wahlkreiseinteilung mitzuwirken, doch bat er ausdrüdlich, diese Arbeit nicht als eine Arbeit der Staatsregierung anzusehen. Der Vizepräsident Opig stellte fest, daß sih die Parteien in ihrem Kompromiß über die Wahlkreiseinteilung geeinigt häiten und nur noch die Ausführung der vereinbarten Grundsäße ausstehe. Die Deputation dankte dem Regierungs- vertreter für seine freundliche Bereitwilligkeit und vertagte ih alsdann bis Ende September.

Mecklenburg-Schwerin.

Der außerordentlihe mecklenburgishe Landtag hat gestern Beschluß über die prinzipielle Stellungnahme zu der die Verfassung betreffenden Regierungsvorlage gefaßt, und zwar durch Abgabe von Standeserklärungen. Die Landschaft er- klärte, auf der allgemeinen Grundlage des Regierungsentwurfs weiter verhandeln zu wollen. DieserBeschluß erfolgte mit 39 gegen 7 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen von Rostock und Wismar. Die Ritterschaft entschied sih mit 291 gegen 65 Stimmen zu Gunsten des Vorschlags der 16 Kommissionsmitglieder für das M an der landständishen Basis und erbat von der Regierung eine entsprehende neue Vorlage.

Oesterreich-Ungarn.

Jn der gestrigen Sißung des Staatseisenbahnrats erkannte der Eisenbahnminister Dr. Derschatta gelegentlich eines Dringlichkeitsantrages wegen unverzügliher Einbringung eines Geseßes zur Ausriólne einer Eisenbahninvestitionsanleihe die Dringlichkeit der A usgestaltung und die Jn- vestitionsbedürftigkeit des gesamten österreichischen Eisenbahnnetzes an und führte, „W. T. B.“ zufolge, aus:

Hierher gehöre die Ausgeßaltung ter Pyrrhabahn zum Schnell- zug8verkehr für die zweite Verbindung mit Triest. Die Nordbahn braude auch, wean der Donau-Oderkanal gebaut werde, unbedingt eine Sleisvermehrung. Hierzu komme die Ausgestaltuing von Stationen usw. Die Investition füc die Nordbahn w?:rde sich auf 100 bis 130 Millionen belaufen. Für das gesamte Staatseisenbahnneg ein- \chließlich der Nordbahn komme die Beschaffung von Waggons und Loko- motiven hinzu, ferner für das alte Staatsbahnneßz die Herstellung des zweiten Gleises und auf vielen Strecken Auswechselung der Schienen, Erweiterung der Werkstätten. Was nun das Investitionéprogramm betreffe, fo sei daz Minimum an Lokomotiven- und Waggonbedarf für die nächsten drei oder vier Jahre 620 Lokomotiven oder 62 Millionen und über 15090 Waggons oder 98 Millionen. Hierzu komme noch der obén bezeihnete Bedarf. Bezüglih der Deckung frage es sich, -ob eine Investitionsanleiß2 aufzunehmen fei oder die Deckung aus der laufenden Gebarung zu erfolgen habe, Der Minifter spra die An- ficht aus, daß vom Standpunkt des Finanzministeriums eine In- vestition8anleibe für Deckung des sehr großen Bedarfs praxkiish und zweckmäßig wäre. Wenn jedoch wie 1997 Kassenbestände zur Ver- fügung ständen, brauche man nicht zur Aileihe zu {reiten und könnte die Kafsenbestände beranziehen.

Das österreihishe Abgeordnetenhaus seßte in der gestrigen Sißung die Beratung des Budgets fort.

Nach dem Bericht des „W. T. B.“ bedauerte der bg. Waldner, daß ‘die Wahrmundaffäre zu einer politishen Matifrage geworden sei, und appellierte an alle ohne Ausnahme, die Stellung tines Universitätslehrers sowie die eines Richters nihi unter den Partet- spruch und ‘die Regieruag8willkür zu stellen. Die deutschen Hoch- \hulen müßten der Stolz der Deutsczen bleiben und die Ecbaltung des deutschen Volks auf der Höhe der geistigen Kraft und Kultur für die Zukunft sichern. Einer Gemein- bücgshaft mit den Christlihsozialen ständen fortwährende Kämvfe der Christlihsozialen gegen den deutshen Geist entgegen. Der Abg. Massar yk führte aus, der Fall Wahrmund sei ein typi- \ches Beispiel, wie ein freier Forscher aus seiñer Partei und aus der Kirche hinausgeekelt, wie er verhegt un» ungereht verurieilt werde. Der Redner vrotestiert dagegen, daß das Minifterium und die Inns- bruckder Fakultät die wifsen\haftliz2 VBetätigung Wahr- munds sel6st am Seminar behindern, un® erklärte, es handle sch gar nicht um eine Angelegenheit Wahr- mund , sondern um den unüberbrückbaren Gegensaß zwischen der orthodox:n Relizion und der modernen Wissenschaft, um jenen auch in Oesterreich unazfhaltbaren historishen Kampf, der zur Trennung von Staat und Kirche und zur Trennurg von Schule und Kirhe führen müsse. Alle Freidenkenden müßten mit ihren Sympathien auf Seite der freien F-rshung und der fortschritilihen Studentenschaft steben. Der Abz. Hruban \syrach sein Be- dauern aus, daß ein Vectreter des tihechischen Volkes zum Anwalt TWahrmunds geworden sei, der die Freiheit der WissensGaft zur Ver- gewaltigung des Gewissens und der Glauben?2freiheit mißbraucht habe.

Darauf wurden die Verhandlungen abgebrochen und die Sißzung geschlossen.

Vie das „W. T. B.“ meldet, haben sih die böh- mischen Studenten mit ihren deutshen Kommilitonen soli- darish erklärt und beschlossen, wegen der Sistierung der Vor- lesungen an der Jnnsbrucker Universität in den Streik zu treten.

Großbritannien und Frland.

Im Unterhause beantragte gestern der Abg. O’Grady (Arbeiterpartei) bei der Beratung des Etats des Auswärtigen Amts einen Abstrih als Protest gegen den offiziellen Besuch des Königs beim Kaiser von Rußland.

Fn der Begründung seines Antrazs leugnete D'Brady, „W. T. B.“ zufolge, entshieten jede Absicht, dem König zu nahe zu treter, und erkannte warm die Verdienste des Königs um den Frieden an, wider- spra aber diesem Besu, der eigen staatli®en oder repräsentativen Charakter habe, - und griff hefiig das russische Regierungssystem an. Der Abg. Mac Neill (Nationalist) b-hauptete, es sei ein Ver- fafsungsbruh, wenn der König zu einem solhen Besu ohne Kabinetis- minister ins Ausland gehe. Den diplomatischen Charakter des Besuchs be - weise die Tatsxhe, daß der Unterstaatssekretär Hardinge den König begleite, und die Antoecsenbeit Fishers und Frenhs zige den Zusammenha1g des Besuchs mit der Flotte und der Armee. Der Abg. Kettle

(Nationalist) exklärte, bie irische Partei wirte den Anirag O’'Grad unterstüßen. Fa den Augen e ee bedeute der Besu, daß Eng-" [land die Wesel Rußlanps indossiere und den Kredit des leßteren wiederherstelle# "Ser. Staatsfekretär des Auswärtigen Am!es- Sir Ezward Grey ertwide f hinsiWtlih des Besuchs in Nußland handle der Köntg auf den verfassungsmäßigen Nat seiner Minister, wie er es in allen Staatsangzekegenheiten tue; die Regierung trage für diesen wie füx alle Besuhe des Königs im Aus- lande die volle Verantwortung. E83 sei niht zuviel ge- sagt, daß der Eindruck und der - Einfluß der bisherigen Auslandsbesuhe des Königs wohltätig gewesen sei. Es fei richtig, daß der Unierstaatsfekretär Hardinge im Gefolge des Königs mitgehe ; doc tue er dies nit etwa an Stelle eines Kabinettsministers, und sofern er an der Erörterung diplomatisher Angelegenheiten teilnehmen follte, werde er dirs na genau denselben Vorschriften tun, wie ein Botschafter, der mit einem fremden Minister ober mit einem Hofe, an dem ek beglaubigt sei, eine Angelegenheit erörtere. Er sei gefragt worden, ob der Besuch eine besondere diplomatis@e Bedeutung in dem Sinne habe, daß er zu einem Bündnis oder zu einem bisher noch nit bekannten Vertrage ¿wischen den beiden Ländern führen solle. Er halte es im britishen wie im autländishen Interesse für wünschenswert, ein für allemal jeden derartizea Eindruck zu be- seitigen. Es seien keine Verhandlungen über irgend einen neuen Ver- trag oder ein sonstiges Abkomm:n mit Rußland im Sange, und während des Besuchs würden auch keine solhen Verhandlungen an- geknüpft werden. od fei es durhaus wahr, daß der Besuch eine politische Wirkung - haben werde, und es fei zu wünschen, daß diese Wirkung für die Beziehungen beider Länder zueinander wohltätig sel. Der Besuch sei lange aufgeschobèen worden und wäre noch vor wenigen Jahren infolge von Zwischenfällen, die in aller Gedächtnis seien und die Beziehungen beider Länder beeinflußt hätten, unangebracht ünd faum mögli gewesen. Derselbe Einwand, der gegen die english-russischGe Konvention erhoben worden sei, werde jeßt gegen den Besu des Königs erhoden, nämli der, daß Rußland boykottiert werden follte, solange seine inneren Angelegen- heiten nicht den Beifall derer finden, die den Einwand er- heben. Die Folge einér solhen Politik würde für bcide Länder veréängnisvoll sein. Alles, was si seit Abschluß der Konvention in Asien ereignet hätte, habe gezeigt, daß die Eingriffe i Persien und an der indisGen Grenze die beiden Länder einem Konflikt mecklih näher gebraht Haben würden, wenn die Regierung die von einigen gewünschte Haltung eingenommen hätie. Alles habe gezeigî, daß die britishen Beziehungen entweder zum Frieden oder nah entgegen- gesezer Richtung hätten gebraht werden müssen. Wenn er wählen folle ¿wishen einer Politik, die von einer englis-russischen Kon- vention und von Verhandlungen nichts wissen wolle und die Dinge bs zu einem Abbruch dec diplomatishen Beziehungen treibe, und einer Politik dec Verständigung, fo erkläre er si für die legtere. Er sei für eiren ehrlihen und loyalen Versuch, daß beide Länder in Dingen, die ihre Interessen berühren, zusammenarbeiteten. Dabei bleibe er, und wenn das Haus diesen Standpunkt yerwerfe oder un- möglich mache, so falle er auh damit. Das sei eine Politif des Friz-den2. Einz andere Politik wücde möglicherweise den Krieg berbei- führen, gegen den die Arbeiterpartei protestiere. Der Besuch des Königs beim Kaiser voa Rußland. sei lange überfällig und habe ohne auffällige Unhöflihkeit niht länger aufgehoben werden können. Sei dies der richtige Zeitpunkt, um von der Regierunz zu verlangen, sie solle den Kaiser von Rußland benahrihtigen, daß der König, obwohl er dringend wünsche, ihn als Verwandten und perfönlihen Freund zu bezrüßen, doch einen merklihea Untecshied zwishen diesem Besuch und denea in andzcen Ländern mahen müsse, weil die Regierung die innere Politik Rußlands nicht billige? Ds würde den Besuch zu einer Beleidigung machen. Wenn die Regierung dem König raten wollte, eine solche Haltung anzunehmen, jo könnte fie ebenfogut das english-russishe Uebereknütæimen zerreißen und die Weiterführung der in- befriedigendem Vorschreiten befindlihen Erörterungen über die maze- donishen Reformen wäre lächerlih. D’ Srady habe gesprochen, als ob er die Mehrheit des rufsisWen Volïs vertrete. Er sei im Irrtum. Der Besuch sei allen gemäßigten und liberalen Elementen Rußlands er- wünscht, nur die extrem revolutionäre Partei und die extrem reaktionäâre Partei erhôöben gegen ihn Einwände. Die von der Arbeiterpartei befürwortete Politik würde dazu. führen, einer von diesen beiden Parteien in die Hände iu arbeiten. Die Frage einer Anleihe habe keinen Teil der Verhandlungen zwishen den beiden Regierungen gebildet, ab-r die Revolutionäre seien der AnsiŸht, die russishe Regierung beabsihtize eine Anleihe aufzunehmen, und sie wissea, daß ein Konflikt die Aufnahme einer An- [eihe erschweren würde. Was sie wünschen, sei klar, nämli alles in Verwirrung zu stürzen, und er frage, ob die englische Regierung solchen Umtrieben Hilfe leisten solle. Was die von der Arbeiterpartei gegen die russishe Regierung erhobenen Anklagen angebe, so sei er nit willens, auf die. inneren Aagelegenheiten Rußlands einzugehen, aber er gebe zu bedenken, daß die Mitglieder dieses Hauses, wenn sie eben von den Verbrechen der reaftionäcen Partei gehört hätten, sh auch der Verbrechen der revolutionären Partei erinnern möhten. Die Frage, die bas Haus stich selbst flellen sollte, sei die, ob das russishe Negierungssystem besser oder s{chlechter geworden sei. Aus der vollen Kenntnis der Berichte, welche die Negterung empfangen habe, sage er, daß es in den legten zwei Jahren entsieden besser ge- worden wäre. Ein VersuH, auf Rußland einen Druck zu üben, wie O'Hrady ihn empfehle, würde eine der gewünschten ent- gegeageseßzte Wirkung haben. Er erblike in Rußland eine große Rasse, deren bedeutende Kraft noch unentwickelt, teren Charakter noch im Werden sei und die sich mit neuen Ideen und neuer Tatkraft zu regen beginne. Diese Nafse habe eine große Zukunft und werde - eine große Rolle îin der Welt spi-len. Für den Welt- frieden könne und für die Woblfahrt Rußlands und Großbritanniens müsse viel abhängen von den Beziehungen zu einander. Die Vorredner meinten durch den Kurs, den fie verlangten, lediglih einea Bruch zwischen den beiden Regierungen zu empfehlen. Tatsählich empföhlen fle aber etwas, was im Laufe dec Dinge böôses Blut zwischen den beiden Völkern machen müßte. Die von der Regierung gegen- über Rußland und der Besuchtfrage eingenommene Haltung sei nüßlich und eúrli%. Er glaube nicht, daß irgend ein Land in der Welt das durch weniger liberal, weniger fortschriitli®, weniger stark werde, daß es mit England in guten Beziehurgen stehe. Im Laufe der weiteren Debatte trat Balfour nachdcücklich für die Regierung ein. Der Nba. Kair Har die erklärte, wenn der König dem Kaiser von Nußland einen offiziellen Besuch a“staite, so heiße das, die Grausam- keiten entschuldigen, füc die die Regierung des Kaisers von Nußland und“ dieser persönli verantwortlich seien. Für diese Aeußerung wurde Keir Kardie vom Spreher zur Ordnung ge- rufen, der erklärte, Keir Hardies Aeußerung fei einer befreundeten Macht gegenüber beleidigend. Keir Hardie weigerte sich zunächst, feine Neußerung zurüdckzuzichen, e-klärte fich dann aber bereit, das Wort Grausamkeiten zurückzunehmen, soweit es ih auf den Kaiser von Ruß- land und die rufsishe Regierung beziehe.

Nah weiterer lebhaftec Debatte wurde der Antrag O'’Gradys mit 225 gegen 59 Stimmen abgelehnt. Die Minder- heit bestand aus den Mitgliedern der Arbeiterpartei, wenigen irishen“Nationalisten und einigen Radikalen.

Rußland.

Der Hauptmarinestab hat dem Admiralitätsrat einen Entwurf zur Reorganisation der Flotte vorgelegt. Dieser Entwurf sieht, „W. T. B.“ zufolge, die Unterstellung der Seestreitkräfte der Ostsee, des Schwarzen Meeres und des Pacifishen Ozeans unter drei besondere Befehlshaber vor, die vom Kaiser ernannt werden, dem Marineminister unterstellt und mit weitgehenden Befugnissen ausgestattet sein sollen.

Einem in der Geseßsammlung veröffentlihten Befehl des Kaisers zufolge treten am 14. Juli d. J. bis zur Be-

stätigung der Projekte bezüglich der Reorganisation der

na folgende zeitweilige Maßnahmen in Kraft :

Die Leiter aller Seeftreitkräfte des Baltishen und des SWhwarzen Meeres sowie im Stillen Ozean werden Chefs der Seekräfte benannt, Die Posten eines Dberkommandeurs der Flotte und der Häfen und des Chefs der Seeverteidigung des Baltischen Meeres und des Oberkommandeurs der Schœarzmeer - Flotte und Häfen werden aufgehoben. Die Hafznkommandeure sind bezüglih des ODekonomie- wesens un"mittelbar dem Gehilfen des Marineministers, in allen fonstigen Beziehungen dem Marineminister unterstellt. Die Hafenkommandeure find verpflihtet, nah Maßgabe der Mittel ihrer Häfen den Vorschlägen des Chefs der Seekräfte bezüglich der Vervollständigung und Ergänzung der Schiffe nahzukommen. Der Posten eines Oberkommandeurs der Flotte und der Seekiäfte des Bal, tishen Meeres wird erst aufgehoben, sobald die Erritung einer Stadthauptmannschaft in Kronstadt Wege der Gesetzgebung bes

stätigt scin wird. Ftalien.

Jn der Deputiertenkammer sprah gestern bei der Beratung des Budgets des Auswärtigen der Minister des Aeußern Tittoni über die mazedonishen Re- formen, die Balkan-Eisenbahnen und über die Be- ziehungen Jtaliens zur Türkei.

Bezüglih der mazedonishen Reformen erinnerte der Minister, laut Bericht des „W. T. B.“, daran, daß er schon in seiner Rede vom 11. März diz Notwendigkeit betont habe, das europäishe Konzert aufrecht zu erhalten und die Vollmachten der Finanzkommission sowie die Tätigkeit der Gendarmerie zu erweitern, Sobald de8halb die von der russishen Negterung ausge- arbeiteten neuen Vorschläge bekannt gewesen seien, habe Italien fich beeilt, mit Oesterreih-Ungarn voll und ganz thnen zuzustimmen. England habe erst weitergehende Vorschläge vorgelegt, dann hätten zwischen England und Rußland Verhandlunger: bz¡üglih eines gemeia- samen Projekies ftaitgefunden, und alles deute darauf hin, daß man bald zu einer völligen Verständi ung gelangen werte, und es fet sogar niht unwahrs@einli%, daß diese Verständigung das Ergebnis der bevorstehenden Entrevue von Reval sein werde. ;

Bezüglich der Balkanbahnen führte der Minister dann aus, daß die von gewissen Seiten vorausgesagten Zwistigkeiten unter den verschiedenen Mächten nit eirgetreten seten. Deut|\chland fei auf dem Boden geblieben, auf dem es von Anfang an im Einver- vehmen mit Italien gestanden habe. Deutschland habe der Hohen Pforte geraten, dem Bau der Eisenbahnen, die zum Wohle der Türkei beitrazen würden, feine Hindernisse zu bereiten, und es habe der Pforte besonders empfohlen, die vorbereitenden Arbeiten für die Linte Donau—Adrtatishes Meer zu genehmigen. Was Gagland anbetreffe, so habe shon am 16. März, gleih nach der Rede Tittonis, Sir Edward Grey dem italiénishen Seschäftsträzer erklärt, daß seine Politik in nichts von der Tittonis abweiche. Tittoni sagte weiter: die Bzrziehungen Italiens zu England in dkeser Frage seien stets von dem größten Vertrauen, und von Herzlichkeit geleitet ge- wesen. Er habe son in seiner lezten Nede mitgeteilt, daß Oefter- reih-Ungarn keinen Ginspruch gegen die Linie Donau—Adriatish2s Meer erhoben habe. Später habe fiH die Haltung ODester- reich - Ungarns infolge des fortgeseßten aufrihtig freund- \chaftlihen Meinunzsauetaushes den italienishen Interessen immer noch günstiger erwiesen. Am 13. Mai habe Fceiherr von Aehrznthal die italienishe Negierung benachrichtigt, daß der österreihisch- ungarische Botichafter in Konstantinopel der Pforte erklärt habe, feine Regierung fiebe allen Balkaneisenbahnen sympathisch gegenüber und unterstüge deshalb niht nur die Konzessionsanträge Bulgariens und Griecens lands, sondern auch die Serbiens bezüglich der Linie Médare— Stimlia, die der erste Teilabschnitt der Eisenbahn Donau Adriatisches Meer sein würde.

Bezügliche der Beziehungen Italiens zur Türkei führte Tittoni aus, die Entsendung des Seschwaders set vollständig gerecht- fertigt gewesen durch die Erklärung der Türkei, die Eröffnung italie- aischer Postämter mit Gewalt hindern zu wollen. Die öffentliche Meinung Italiens habe das Vorgehen der Regierung gebilligt. Er wolle die Gelegenheit benußen, um feine ganze Dankbarkeit den ver- bündeten wie den befreundeten Mächten auszudrücken für die einmütige und herzliche Unterstützung, die sie Jtalien in der Frage der Postämter în Konstantinovel haben zuteil werden lassen. Der Minister erklärte dann , weiter, die Frage des Ankaufs von Immobilien in Tripolis durch Italiener sei mit der Türkei noch nicht geregelt. Um die Gesinnungen darzutun, von denen die italienische Regierung gegenüber der Pforte beseelt ist, verlas Tittoni ein Zirkular, das er an die italienisGen Konsuln irt der Türkei gerihtet hat und in dem er die italienishen Konsuln auf das bestimmteste anweiît, beständig die herzlihsten Beziehungen zu den türkischen Lokalbehörden zu unterhalten. Die Politik Jtaliens in der Türkei, fuhr Tittoni fort, sei einfach und klar. Sie beruhe auf der Aufrechterhaltung der Integrität der Türkei. Jeder Gedanke einer territorialen Okkupation in der Türkei liege Italien fern. Jtalien denke richt daran und habe nie daran gedacht, einen Teil des türkishen Gebiets zu beseßen. Jtalien sei der Türkei gegen- über von Gesinnungen aufrihtiger und her¡liher Freundschaft erfüllt, uad Italiens Wunsch sei, diese Freundshzft zu entwickeln und zu festigen. Dafür verlange Italten von der Pforte nur, daß die türkischen Behörden die Tätigkeit italienischer Staatsangehöriger, die sich in der Türkei wirtschaftlihen Unternehmungen widmen, niht hindern; Italiener dürften in der Türkei keine andere Behandlung erfahren, als die Angehörigen anderer Nationen. In gewissen Kreisen habe man anscheinend geglaubt, daß die orientalischen Angelegenheiten die guten Beziehungen Italiens zu Fraukreih \{ädigen fönnten. Nichts le iger, Jtaliens Beziehungen zu Frankreih seien ausge» zeichnet.

Tittoni sprach dann noch von dem Aufenthalt des Deutschen Kaisers in Venedig und von seiner dortigen Begegnung mit dem König Viktor Emanuel, die Gelegenheit geboten habe zu einer Béekandung der herzlichen Freundschaft zwischen den beiden verbündeten Herrschern. Aub der Besuh des Fürsten von Bülow in Nom habe gestaitet, wiederum die völlige Identität der zwishen Ztalien und Deutschland auf dem Gebiete der internationalen Politik bestehenden Gesichtspunkte festzustellen und zu zeigen, daß die Gerüchte, die man über eine den italienischen Interessen wenig entsprechende Haltung Deutslands in der Frage der Balkanbahnen oder in Tripolis in Umlauf gescht batte, jeder Begründung entbehren. Im Gezenteil babe Deutschland in diesem Augenblick und in denselben Fragea Italien neue Beweise seiner aufrihtigen Freundschaft und seiner Bündnistreue gegeben. S@ließlich erwähnte der Minister das NRegierungsjubiläum des Kaisers Franz Ioseph, der in seinen Staaten und in der ganzen Welt etne fo hoh? Autorität und ein so großes Ansehen genieße und der seine ganzen Kräfte einem Friedens8werke gewidmet habe. Es sei ganz natürlih, daß der König von Jtalien sih den bei dieser Gelegenheit stattzehabten Kundgebungen besonders an dem Tage an-

eshlossen habe, an dem Kaiser Franz Ioseph die Huldigung des Kaisers

Wilhe!m und der deutshen Fürsten entgegengenommen hätte. Der Minister {loß mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß die loyale Politik der Regierung die Billigung des Parlaments fifiden werde.

Nach der Rede Tittonis, die vom Hause mit lebhaftem Beifall aufgenommen wurde, wurde die Weiterberatung des

Budgets des Auswärtigen auf heute vertagt.

Amerika. Wie das „Reutershe Bureau“ meldet, ist gestern der

S R e lern ga p eatras zwishen den Vereinigten Staaten von Amerika und Uruguay unterzeichnet worden.

Asien. Nach einer Depesche der „Kölnischen Zeitung“ hat der

im

Schah Teheran verlassen.

Wie der „Nowoje Wremja“ aus Djulfa gemeldet wird, sind große Mengen von Kurden in Urmia eingedrungen, wo eine Panik ausbrach, die Bevölkerung floh und die Bazare

eshlossen wurden. Jn Taebris soll Anarchie herrschen und er Gouverneur machtlos sein, persishe Truppen sollen zahl- rei desertieren.

Nah einer E des „W. T. B.“ sind die Afghanen, die e fbn beseßt hatten, von da nah Osten vor- gegangen. Sie führen 900 Kamellasten geschmuggelte Ge- wehre und Munition mit, die vermutlih an der Mekranküste gelandet und für die indishe Nordwestgrenze bestimmt sind.

Afrika.

Das diplomatishe Korps in Tanger und die scherifi|he Delegation haben, „W. T. B.“ zufolge, die Reglements, be- treffend den Stadtzoll, den Handel mit affen und Explosivstoffen und die Zollniederlagen, genehmigt. Dadurch werden die Reglements in Marokko e

Nach einer P des Admirals Philibert is der Kreuzer „Desaix“ auf der Reede von Mogador vor Anker egangen. Jn Mogador werden zweihundert Mann vom Machfen auf Kriegsfuß gebraht, um die nah Marrakesch be- stimmte Mahalla zu vervollständigen. Die Lage ist allenthalben

ruhig.

Statistik und Volkswirtschaft. Tin- und Ausfuhr von Zuder vom 21. bis 31. Mat 1908. Einfuhr | Ausfuhr im i

m Spezial- | Spezial- handel handel

dz rein

Gattung des Zuker3

Verbrauchszucker (rasftnierter und dem raffi- nterten gleihgestellter Zuker) (176a/) 520

Nohrzucker (176 a) 258 Davon Veredelungsverkehr 36

Rübenzucker: Kristallzucker (granulierter) (176 b) 18

Rübenzucker : Platten-, Stangen- und Würfel- zucker (176 c)

Rübenzucker: gemahblener Melis (176 4)

E Stücken- und Krümeizucker

e!)

Rübenzucker : gemabtene Raffinade (176)

NRübenzucter: Wrotzuler (160) ....

Rübenzucker : ias (176 h)

RNRübenzucker: Kandis (176 1)

Anderer Zucker (176k/n)

Rohrzucker, roher, fester und flüssiger (1786 k) .

Rübenzucker, roher, fester und flüssiger (176 1)

Anderer fester und flüssiger Zucker (flüssige Naffinade einschließlich des Inyvertzucker- sirups ‘usw.) (176m) . .

Füllmafsen und Zuckerabläufe (Sirup, Me- lasse), Melassekraftfutter; Rübensaft, Ahorn- faft (176 n)

Zuckerhaltige Waren unter steueramtliher Aufsicht :

Gesamtgewicht Menge des darin enthaltenen Zuters . Berlin, den 5. Juni 1908,

Kaiserliches Statistishes Amt. van der Borght.

146 978

119 604

8 867 4 784

4 198 2 946 1716 3 482 1781 142 841

142 668

Ein- und Ausfuhr einiger wihtiger Waren i handel in der Zeii vom 21. bis 31. Mai 1 den Monaten Mai der beiden leßten Fahre.

dz = 100 Kg.

Einfuhr Ausfuhr

21.—31. Mai 1908

137415

Monat Mai 1908 | 1907 358145] 440111

Monat Mai

1908 56313

1907 40315

Baumwolle. Flah3, ge- brochen, ge- {chwungen a R an], ge- brochen, ge- s{chwungen U. A ®) Jute und Jutewerg . Ga m Schwei Freude wolle im Shweiß .

231081 28131 19918 3952 15427 45194

43207

31736 150062 80302

24115 144068 69229

7427 5651 1057

6913 10022

844 742

__ 36645) 77583] 108390 219/ 445 1149 Eisenerze « +13393317| 8071318] 8606734] 917353| 2668781] 2759341 Steinkohlen 4139308/10766878/1119056115969585/18428720/13662670 Braunkohlen|2542276| 7469594] 7085909 10382) 390452| 22665

Erdôl, ge- reinigt. , .| 127869| 413290] 392594] 2958| 790| 207 Chilesalpeter 224507| 764150} 1127982 7498| 31332 55301 oheisen , .] 60487| 240766] 493957 93629| 145023] 252760 upfer 1 51485] 155761] 120275 1485) 4832 4095 *) Außerdem Durchfuhr im Monat Mai 15 564 4z. Berlin, den 5. Juni 1908.

Kaiserlihes Statistishes Amt. van der Borght.

Die Finanzen des Reichs und der deutschen Bundesstaaten.

In dem eben erschienenen Vierteljahr3heft zur Statistik des Deut- lden Reichs veröffentlicht das Kaiserliche Statistishe Amt eine Dar- beh Ung der Finanzen des Reichs und der deutshen Bundesstaaten. Sie Ce s wiederum die Ausgaben, Einnahmen, wihtigere Bestandteile es Staatêvermögens sowie die Squlden.

a e Nachweise beziehen fich durhweg für die Voransläge auf ibe nungéjahr 1907, für die Staatsrehnungen auf das Rehnungs- Insgesamt betragen die Staatsausgaben nah dea Voranschläge lie), adebftagten E Mltionen Mark (darunter 158 S

s n u V e

415 außerordentliße). ndesftaaten [lionen Mark (darunter

Die Staatseinnahmen belaufen sich bei den Bundesstaaten auf

Mark; davon find außerordentlihe Einnahmen (aus Grundsiock, An- lehen und sonstigen Staatsfonds) 142 bezw. 400 Millionen Mark.

Unter den ordentlihen Ausgaben und Einnahmen der Bundes- staaten stehen die: Erwerkbseinkü: fte mit 2441 Millionen Mark in Auégabe urd 3355 Millionen Mark in Einnahme an erster Stelle. Der Hauptanteil hiervon entfällt auf die Staatseisenbahnen mit-1790 bezw. 2483 Millionen Mark in Ausgabe und Einnahme. Der Rest verteilt fich auf die Domänen, Forsten, Bergwerke, die Staatsdampf- {chiffahrt, Jost, Telegraph und die fonstigen Staatsbetriebe.

Die nächstwihligste Einnabmequelle bilden die Steuern. An Zöllen, Aufwand- und Verkehrösteuern erhebt das Reih 1351, die Bundesftaaten 185 Millionen Mark, letztere außerdem an direkten Steuern 534 Millionen Mark. i

Zablenmäßige Nachweise über das Staatsvermögen der einzelnen Bundesstaaten konnten nur ia Beschränkung auf wichtige Bestandteile erbracht werden. Neben Uebershüssen früherer Rehnungsjahre, ver- fügbarem S!aatskapitalvermögen usw. besißen die Bundesstaaten an PDomânen ein Areal von 758 454 ha, an Forsten 4985 663 ha. Die Staatseisenbahnen repräsentieren eine Länge von 51141 km und ein Anlagekapital von 14 110 Millionen Mark.

Die fundierten Staats\hulden beziffern sh zu Beginn des Ne- nungsjahres 1907 für die Bundesstaaten auf 12 887, “für das Reich auf 3644 Millionen Mark, die \{chwebenden Schulden betragen ins- gefamt 233 Millionen Mark, sie entfallen in der Hauptsache auf das Reich (160) und Hamburg (51 Millionen Mark).

Zur Arbeiterbewegung.

Die umfangreihen Lohnbewegungen in Mannheim dauern, wie die „Köln. Ztg.“ berichtet, fort. Bei der Firma Brown, Boveri u. Co., A.-G., die dem Rest ihrer Arbeiter kündigte, als ihr ein Teil von ihnen die Kündigung zugestellt haite, handelt es si um mehr als 1400 Arbeiter. Bei den Stein- arbeitern hat sich der Ausstand insofern geändert, als die Hälfte der Unternehmer den angebotenen Vertrag angenommen hat, worauf bei ihnen die Arbeit wieder aufgenommen wurde. e Syndikatfreie Kohlenvereinigung erklät, daß sie soviel Arbeitswillige aus Mannheim selbst habe, das die auswärtigen bereits fortgeshickt seien bis auf einen, den man auf seinen Wunsch noch behalten habe. Fast tägli kämen Angebote neuer Arbeitswilliger, doch sei sie niht in der Lage, mehr Leute zu beshäftigen. Zu der Lohnbewegung der Holz- und Hafenarbeiter erläßt der Allgemeine Arbeitgeberverband Mannheim-Ludwigshafen eine längere Erklärung über eine nochmalige Besprehung vom 1. d. M. vor dem Gewerbegerichts- vorsißenden. Die Frage, ob die Arbeiterverbände auf einer sofortigen Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung beharrten, wurde von dem Vertreter des Hafenarbeiterverbandes hinsihtlih der sofortigen Lohn- erhöhung bejaht, während sie vom Holzarbeiterverband verneint wurde. Die Arbeitgeber erklärten darauf, daß ihnen diese Erklärung genüge, um die Verhandlungen mit dem Holzarbeiterverband fortzuseßen. Der Gewerbegerihtsvor\sißende beabsihtigck nunmehr, das vollbesezte Einigungsamt in Tätigkeit treten zu lassen.

Aus Prag wird der „Frkf. Ztg.“ telegraphiert: Auf den Kladnoex Steinkohlenwerken der österreihish-ungarishen Staatsbahngesellsshaft brach ein Teilausstand aus. 800 Berg- arbeiter des Theodorshahts sind gestern niht eingefahren; sie fordern eine 30prozentige Lohnerhöhung.

Die Beerdigung des Arbeiters Lefol in Vigneux bei Paris, der am 2. bei dem Zusammenstoß zwischen streikenden Steinbruch -

meldet, Anlaß zu neuen Zwishenfällen. Die Gendarmen wollten die Streikenden verhindern, zu den Steinlagern vorzudringen, und forderten sie auf, si zu entfernen. Die Streikenden antworteten mit Beleidigungen und Drohungen, mit Stein- und Flashenwürfen. Die Behörden legen die äußerste Geduld an den Tag, doch scheinen neue Zusammenstöße unvermeidlich. (Vgl. Nr. 130 d. Bl.)

In Parma wurden, wie die „Frkf, Ztg.“ erfährt, unter Bei- hilfe der Regierung die Verhandlungen zur Beilegung des Landarbeiterausfstands aufgenommen.

Kunft und Wissenschaft.

Die philosophisch-historishe Klasse der Königlichen Akademie der Wissenschaften hielt am al eei unter dem Vorsiß thres Sekretars Herrn Vahlen eine Sigzung, in der Herr Schäfer den Zug König Lothars genen Böhmen im Jahre 1126 besprah. Die Quellen ge- tatten, die Hergänge verständliher zu erfafsen, als es bis jeßt geschehen ist; auch läßt sih einigermaßen wahrsheinlich mahen, wo der Schauplaß der Ereignisse zu suchen ist. Herr Pischel über- reichte die ate Auflage seiner Bearbeitung von Stenzlers Elementar- buch der Sanskritsprahe. München 1908.

In der an demselben Tage unter dem Vorsitz ihres Sekretars Herrn Waldeyer abgehaltenen Sitzung der physikalish-mathemas- tishen Klasse las Herr Fischer über Synthese von Poly- peptiden. Dur Verbefferung der allgemeinen Methoden ist die Darstellung neuer Tyrosinpeptide und eines dem Glycylglycin ent- spreenden Acetals ermöglicht worden. Anhangsweise wird unter der Bezeichnung „Mikropolagrisation“ ein Verfahren zur Bestimmung des optischen Drehungsvermögens mit sehr kleinen Mengen beschrieben. Herr Planck legte eine Abhandlung von Professor J. Stark in Greifswald vor: Ueber die Spektra des Sauerstoffs (Dopplereffekt bei Kanalstrahlen). Es wird hauptsächlich die Lichtemission der Kanalstrahlen in Sauerstoff untersudt. Aus der Größe des maximalen Dopplereffekts wird ¿efolgert, e die Träger der Funkenlinien hochwertige positiveAtomionen sind. Ferner wird derDoppler- effekt bei Kanalstrahlen an den Serienlinien des Sauerstoffs fest- gestellt; die bewegte Intensität der Serienlinien in den Kanalstrahlen ift sehr gering, verglichen mit derjenigen ‘der Funkenlinien. Auch wird zum ersten Male der Dopplereffekt bei Kanalstrahlen an zwei AluminMmlinien (Duplet einer zweiten Nebenserie) beobahtet. S@chluß werden aus dem bis jegt vorliegenden Beobachtungsmaterial über den Dopplereffekt bei Kanalstrahlen einige allgemeine Folge- rungen über die elektrishe Dissoziation der chemishen Atome ge- zogen. Herr Plan ck legte eine weitere Abhandlung von Professor I. Stark in Greifswald und von W. Steubing vor: Ueber die \pektrale“ Intensitätsverteilung der Kanalstrahlen in Wassez stoff. Mit einem Spektrophotometer wird die Intensität der drei Wasfserstofflinien 4 652, £ 486 und 1 434 gemessen für den Fall, daß die Kanalstrahlen orthogonal zum Visionsradius laufen. Es ergibt sid, daß die spektrale Intensitätsverteilung der Kanal- sirahlen eine Funktion threr Geschwindigkeit ist; das Verhältnis der Intensität etner Wellenlänge zu derjenigen einer größeren Wellenlänge nimmt mit wasender kinelisher Energie der Kanalstrahlen zu, und ¿war. um so rascher, je kleiner das Verhältnis der Wellenlängen ist. Herr Rubner überreichte seine Werke: Das Problem der Lebens- dauer und seine Beziehungen zu Wachstum und Ernährung, München und Berlin 1908, und: Volksernährungsfragen, Leipzig 1908.

Die Große Berliner Kunstausstellung. V) v. A. Die Werke der Düsseldorfer Künstler sind, wie alljährlih, in den Sälen 11 und 12 untergebracht. Düsseldorf hat im besonderen Wert darauf gelegt, mit einer wirkli forgfältigen Aus- wahl von Arbeiten in Berlin vertreten zu sein. So finden sich au diesmal neben einer Menge lediglih füllender, erstaunlic- banaler Bilder nur einige, die der Tradition dieser altberühmten Kunst- stadt Ehre mahen und neben sorgfältig geshulter Technik auch frishes, modernes Leben wverraten. Am glücklihften ist die Landschaft vertreten. Eri von Wille hat wieder ein großes Gemälde aus der Eifel gesandt, großzügig in

4967 Millionen Mark, bei Reich und Bundesstaaten auf 7727 Millionen

*) Vergl. Nr. 121, 126 und 128 d. Bl.

arbeitern und Gendarmen getötet worden war, gab, wie ,W. T. B.“ -

Am |

in den Linien, rein und frei in der Stimmung. H. Liesegangs „Winter am Niederrhein“ ist von {lihtem E e 08 alle Arbeiten des Künstlers auszeihnet, erfüllt. Ern Hardt gibt in seinem „Sonnigen Februarmorgen" eine feine Lichtstudie, Erich Niku tow sft in dem etwas flächig gehaltenen Bild „Laufenburg am Rhein“ etne s{chöne dekorative Arbeit. Ganz ausgezeichnet in der Bewegung und în den frischen, leuhtenden Farben is das große Gänsebild von Adolf Lins. Eugen Kampfs „Dorfstraße“ gehört in ber rubtg s{chwermütigen Stimmung zu seinen \{chönsten Arbeiten. Halb in das Gebiet der Landschaft gehört auh noch Wilhelm Schmurrs Bildnis des Malers Clarenbach, denn der Künstler ist im Freien dargestellt, mitten in einer winterlihen Landschaft, deren feine, ver- \{chwimmende Farben mit großer Wahrheit gegeben sind. Vortrefflih ist aber au dex Künstler selbst dargestellt. Er steht vor einer auf- gespannten Leinwand, Pinsel und Palette in der Hand, und hält den Blick prüfend in das Land gerichtet, als präge er sih vor Beginn der Arbeit erst die ganze Stimmung dieses winterlihen Tages cin. Daneben hat noch Friß Reusing ein Bildnis feiner Mutter ausgestellt, das er- heblich besser if als seine anderen Porträts, und von Adolf... Schönnenbeck interessiert die gut ¿emalte Studie „Bildnis eines

Unbekannten“. Von Eduard von Gebhardt is ein neues Bild „der verlorene Sohn“ ausgeftellt, das aber nur wie ein ziemli un- digen Genrebild wirkt. Sehr gut ist freiliH der Ausdruck desg

oh'es.

Die Münchener Künstlergenossenschaft hat die vier Gâle 20, 21, 22 und 23 eingeräumt erhalten. Sie bietet noch viel weniger als Düsseldorf und mag von der Münchner Kunst wobl nur einen sehr ungenügenden Begriff geben. Es bestätigt ch nur immer von neuem der alte Eindruck einer lebensfernen Kunst, die ihre Nichtung und ihre Gesetze nit bon der Natur, sondern von den nachgedunkelten Bildern alter Meister empfängt. Saal 29 enthält noch am meisten beachtenswerte Arbeiten. Hier hat Franz von Defregger einen Raucher ausgestellt, der noch immer seine große Begabung erkennen läßt. Von Harald Tillberg i ein Morgen im Gebirge von guter Stimmung zu sehen. Franz Grässel hat ein gutes Entenbild gesandt. Von Franz Pernat if ein rohes, aber plastishes Herrenbildnis zu sehen, von Friedri ch August von Kaulbach ein, feines Kinderköpfchen. In Saal 20 ist Oswald Gottfrieds „Spätsommertag im Main- tal“ wegen des {@öônen Gobelintons zu erwähnen und das Herren- bildnis von Heinrich Heidner, das bei manhen anderen Fehlern doch sehr lebensvoll im Ausdruck ist. In Saal 23 kat Paul Thiem eine stimmungsvolle Landschaft „Abend in Donauwörth* aus- geftellt. Die Luitpoldgruppe hat die diesjährige Ausstellung nicht beschickt, statt dessen der Künstlerbund Bayern, und mit diesem Tausch darf man wohl zufrieden sein. Auch hier herrscht der Os dunkle Atelierton vor, auch hier haben wir nur ganz elten das Gefühl, daß die Künstler uns einen unmittelbaren Natur- eindruck geben. Aber es ist doch eine vornehme und reie Kunst- übung, die wir hier kennen lernen, und wirklich {chöpferische und ge- staltende Künstler treten uns gegenüber. An erster Stelle müssen die beiden Brüder Georg und Raffael Shuster-Woldan genannt werden. Beide sind mit Porträts vertreten: der erste mit einem Kinderbildnis, das vielleicht etwas weich und matt in der Farbe ist, aber unendlich fein im Ausdruck und das in der Art, wie das Kind ins Freie gegen. den zarten Wolkenhimmel gestellt ist, das in dem feinen Zusammenklang der Tône von dem Feldblumenstrauß mit dem kräftigen Kinderköpfchen doch von hoher fünstlerisher Kultur zeugt. Das Gleiche läßt fh von Raffael Schuster-Woldans Damenbildnis sagen. Jm Geshmack lehnt es sih nahe an die englischen Porträts aus dem Anfang des vergangenen Jahrhunderts an. Aber man nimmt das gern hin, wenn die lebendige Frishe des Ausbrucks von dem inneren Schaffen des Künstlers Zeugnis ablegt. Auh Walter Geffcken is mit Bildnifsen vertreten. Bei ihm trêät das innere Leben der Gestalten hinter streng gebundenem Stil zurück, aber doch gewinnt man den Eindruck einer verborgenen Lebensenergie, die interessiert und fesselt. Ernst Liebermann, der bisher fast nur feine, träumerische Illustrationen ausgestellt hatte, zeigt hier, daß er bestrebt ist, neue Gebiete zu erobern. Sein Gemälde „Dämmerung und Lampenlicht“ erinnert niht nur in der klaren, kraftvollen Licht- A sondern auch in dem sfeelishen Stimmungsgehalt an gute, nordische unst. Von Rudolf Sieck sind mehrere zart gezeichnete, lihtgetönte Landschafts\skizzen zu beahten. Ein ganz eigenes Wort verdient Hans von Bartels mit seinen drei großen Aquarellen. Schon allein technisch bedeuten die Arbeiten ungemein viel. Wir baben wenige Künstler, die diese chwierige Tehnik mit solher Meisterschaft behandeln und ihr so viele Möglichkeiten abzugewinnen wissen. Aber auch der Gehalt der Bilder ist ein großer. Wundervoll sind Haltung und Ausdruck der holländishen Mutter. So individuell die Gestalt gegeben ist, wirkt sie doch wie ein unvergeßliher Typus.

In Saal 36 {ließt sch nun die leßte Sonderausftellung

an, die Künstlervereinigung der „Elbier“. Auch bier ist der Gefamteindruck durhaus groß und gut. Die Künstler wurzeln feit auf einem Heimatboden, der thnen immer wieder neue Anregung, immer wieder neue künstlerishe Eindrücke bietet. Und sie ringen um den großen Ausdruckl, um eine um- fassende Lösung ihrer Aufgabe. Hans Unger ist der großzügigste unter ihnen. Sein Gemälde „Mutter und Kind* ist sehr frei und ausdrucksvoll in der Bewegung, licht und reich in der Farbe. Georg Müller-Breslau gibt Phantasielandshafien von Bötlin- schec Farbenglut. Von August Wilckens interessicert das Bilb „Brautjungfern“, fkindlihe Bauernmädhen tin alter Tracht, die durh das dämmrige Kirchenschiff gehen. Arthur Bendrats „St. Marien“ ist etwas {wer und klebrig im Farbenauftrag, sein leuhtender ,Hafenkanal“ ist besser geglückt und interessiert, da er ihn auf neuen Wegen zeigt. Ferdinand Dorsch malt seine flimmungévollen Bilder aus der Biedermannzeit und von - Fri Beckert sind lite Sonnenstudien aus Meißen zu sehen. Den Abschluß der Gemäldeausstellung bildet die fingierte „Galerie eines Kunstfreundes“, die in den Sälen 42 und 43 japanische Arbeiten, in Saal 44 eine Sammlung modecner Arbeiten zeigt. Man wird die Ausführung der an si interessanten Jdee im hauen für fehr wenig geglückt halten müssen. In der Zu- ammenstellung der Kunslwerke hat der Zufall gewaltet, Es ist wohl nicht einmal “der Versuhß gemacht, einen feineren, perfönlihen Ton in die Galerie hineinzubringen, das leise Walten eines bestimmt ausgeprägten Geschmacks zu zeigen, das Privat- sammlungen gerade so besonders anziehend macht. Die japanischen Säle enthalten altjapanische Handmalereien und kleine Plastiken, Werke von feinster Ausführung und von jenem erlesenen Geschmack, dessen Einfluß wir in unseren modernen Werken in der mannigfachsten Weise spüren. Jhre Anordnung und Auswabhl ift reih und interessant. In der Galerie selbs t zweifellos eine Anzahl feiner, wertvoller Arbeiten zu finden, solhe von überragender Bedeutung feblen fast ganz, und vor allem ist die Zusammenstellung unbeschreiblich her- kömmli. Schon aus der diesjährigen Ausstellung könnte man zehn folcher Galerien bilden, in denen do nur das beste vieler Jahre ents halten fein sollte. Zwei Kinderköpfhen von Leibl, Ludwig Dett- ‘manns tiefleuchltendes Gemälde „Nast“, Landschaften von Oskar Frenzel und Richard Kaiser, die beide zu den stimmungsvollsten Land- schaftern unserer Zeit gehören, Adolf von Menzels Aquarell „Leichen- begängnis*, der trefflich ausdruck8volle Kopf eines alten Mannes von Rudolf Possin, Lenbahs Porträt von Adolf Oberländer und ein paar ausgezzihnete Straßenbilder von Franz Skarbina follen hervorgehoben werden. Die gute Einzelarbeit erfreut, der Gesamt- eindruck ist nur der eines mit vielleicht besonderer Sorgfalt zusammen - gestellten Ausstellungssaales.

Dr. Walter Gothan ist an der Königlichen Bergakademie in Berlin als Privatdozent für Paläobotanik zugelassen worden.