1909 / 3 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 05 Jan 1909 18:00:01 GMT) scan diff

E E E

Die vereinigten Aus\hüsse des Bundesrats für Handel und Verkehr und für Justizwesen hielten heute eine Sigung.

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Dertha am 1. Januar von Messina abgegangen, am 2. Januar Mittags in Neapel eingetroffen und Abends wieder nah Messina in See gegangen. ; :

S. M. S. „Bussard“ ist am 2. Januar in Durban eingetroffen und geht übermorgen von dort nah Daressalam

in See. S. M. S. „Charlotte“ ist vorgestern in St. Thomas

(Kleine Antillen) eingetroffen und geht am 9. Januar von dort nah Horta auf Fayal (Azoren) in See.

S. M. Tpdbte. „S 90“ und „Taku“ sind am 3. Januar von Schanghai nah Nanking abgegangen. :

S. M. SS. „Fürst Bismarck“ und „Tiger gehen heute von Hongkong nah Saigon in See.

Oesterreich-Ungarn.

Der Kaiser Franz Joseph hat den türkishen Bot- chafter Reshid Pascha, „W. T. B.“ zufolge, gestern in L etlicher Audienz empfangen. Der Botschafter überreichte, nachdem er vom Kaiser begrüßt worden war, sein Be- laubigungsschreiben und stellte alsdann die Herren der Botschaft Vor. L

Jn einer gestern in Pas abgehaltenen Sißung der deutshen Landtags- und Reichsratsabgeordneten ist, obiger Quelle zufolge, beschlossen worden, die Obstruktion im do bumis@eu Landtage fortzuseßen.

_ Großbritannien und Frland. Wie das „Reutershe Bureau“ erfährt, wird der Besu ch des Königs und der Königin in Berlin in der zweiten Woche des Februar erfolgen.

Frankreich.

Dem „Matin“ zufolge ist der Marineminister Picard damit dne: eine ArtsJnventur der gesamten Kriegs- flotte aufzustellen, die ein genaues Bild der Seemacht Frank- reihs gewähren und als Grundlage für die zu gewärtigenden Kammerdebatten über die Umgestaltung der Marine dienen soll. Behufs Feststellung des Mg entprogranunis soll demnächst der höhere Marinerat einberufen werden.

Nußland.

Der Präsident der Duma Chomjakow hat, nach einer Meldung des „W. T. B.“, den Vertretern der Presse mit- geteilt, daß er vorgestern während der Audienz beim Kaiser alle von der Duma und den Kommissionen behandelten laufenden Angelegenheiten sowie die Jnterpellationen und Zwischenfälle in den Dumasißungen berührt habe. Er habe den Eindruck erhalten, daß alle Gerüchte über die Möglichkeit eines Erfolgs der auf die Auflösung oder die Beseitigung der Duma gerichteten Jntcigen zweifellos unbegründet seien.

Serbien.

Nach einer Meldung des „K. K. Telegraphen-Korrespondenz- bureaus“ haben der Minister des Jnnern Mil of azpttemiti ch und der Finanzminister Popowitsh sich endgültig, ent- schlossen, zurückzutreten. \

Bulgarien. L

Die bulgarische Regierung ist, wie das „K. K. Telegraphen- Korrespondenzbureau“ meldet, von Konstantinopel verständigt worden, daß man dort geneigt sei, die Verständigungs- verhandlungen wieder aufzunehmen und voraus- sihtlih wegen Festsezung der Entschädigungssumme eine nach- giebigere Haltung einzunehmen. Jnfolgedessen hat, wi in amilichen Kreisen versichert wird, der Ministerrat beschlossen, den Minister Lia ptshew Ende der laufenden Woche als Delegierten zur Wiederaufnahme der Verhandlungen nah Konstantinopel zu entsenden.

Die Sobranje hat, „W. T. B.“ zufolge, in ihrer gesirigen Sißung das Budget für das Jahr 1909 an- genommen. Einnahmen und Ausgaben balanzieren mit 153 162 000 Francs. Für die Opfer der Erdbebenkata- strophe in Jtalien hat die Sobranje 50000 Francs be-

willigt.

Die Tagung der Sobranje ist bis zum 13. Februar ver- längert worden. Die Weihnachts- und Neujahrsferien dauern

bis zum 23. Januar. Asien.

Jspahan ist in der Gewalt der Bachtiaren, die selbst zur Wiederherstellung der Ruhe sreiten. Nah Meldungen des „Reutershen Bureaus“ wurde während des vorgestrigen Tages mit zeitweiligen Unter- brehungen gekämpft, bis die Ankunft von Verstärkungen der Bachhtiaren der Partei der Unzufriedenen ein offenbares Uebergewicht gab. Eine Anzahl Soldaten suchte im englischen Konsulate Zuflucht. Der Gouverneur , dessen Palast von Einwohnern geplündert wurde, ist zurückgetreten. An seiner Stelle hat sich der Anführer der Bachtiaren zum Gouverneur

von Jspahan proklamiert.

Die „Morning Post“ meldet aus Schanghai, daß Yuanschikai vorgestern Peking heimlih verlassen habe und

in Tientsin angekommen sei.

leihe Ver- tigkeit der sle an der verschiedenen Nichtung und dem

Fall innerhalb 100 km im Durchschnitt halte teilung von Land und Wasser und die ver Erdrir.de; erkennbar sind

verschiedenen Wert der Schwerkraft, welche das rodukt aller jener

: ig der Schwerkraft gibt daher das Mittel an die Hand, die Abweihungen des Geoïos vom mathemati- ermitteln und mehr oder weniger genau handelt sich bei M L A den Richtung na em Erdmittelpunkt, Stärke der Schwerkraft in verschiedenen Teilen der Grdobe: fläche. Fene sind gering, immer nur lokal, vorkommendenfalls kaum einige in der Nähé der Küsten bis zu 10 Bogen- Diese jedoch ergibt erheblihe, genau meßbare und wich{tige Aufschlüsse vermittelnde Verschiedenheiten. „Schwerkraft" wird zutreffend defintert als „die Größe der Geshwindigkeit cines fallenden Körpers / B stimmung besißen wir im Pendel ein ausgezeihnetes Mittel, setner Schwingungen : der Schwerkraft ab. Sorgfältige Pendelvergleihe bilden daher

der Schwerkraft.

{en Sphäroïd zu

zu bestimmen. Untersuchungen

um die verschiedene

Bogensekunden und nur minuten betragend.

ersten Sekunde“. Intensität

Verschiedenheiten Diese Beobachtungen erfordern aber einen kom- plizierten Apparat, denn die Feblerquelle, wie der Einfluß des Lust- drucks, das Mitshwingen des Apparates, sind zablreih, und es beda1f zu ihrer Bestimmung und Ausshaltung noch fehr komplizierter Mit folhen Instrumenten sind um die Mitte des vorigen Jahrhunderts eine Reihe von Mefsungen ausgeführt worden ; volle Genauigkeit wurde indessen erst erzielt, als durh den Oester- reicher Sterneck das kurze Pendel in Anwendung kam. nahm die Pendelbeobahtung einen großen Aufshwung. gnügte sich nicht mehr mit relativen Bestimmun sondern bildete ihre Methoden zu solher Feinheit aus, daß sich heute die Dauer einer Pendelshwingung bis auf wenige Zehnmillionstel der Im Jahre 1891 betrug

Untersuhung

Kontrollapparate.

en und Verzleichen,

Sekunde genau bestimmen i der Stationen für Pendelbeobahtungen 350, 1895 bereits 8 1395, und gegenwärtig sind 20009 über den ganzen Erdball verteilte Stationen für die Messung der Schwerkraft in Tätigkeit. Sie haben Gesamtarbeit zusammenzufassende

„Sichtvare Massenan-

Erdoberfläche h unterirdische Defekte kompensiert, unterirdishe Defekte durch Verdichtungen oben.“ Das belehrendste Beispiel hierfür bietet das Himalayagebirge, dessen im Durchschnitt 4000 m mächtige Masse von durchs{chnittlich 2,4 dur einen entspretenden Defekt KAehnliße Erscheinungen st die Kompensation nicht gleichmäßig an üdrande vorhanden, sondern wesentlich mehr nah Süden vershoken. Schon Baku liegt außerhalb der Kompensationszone. Auch Steiermark und Tirol bieten interessante Beispiele. Unterhalb der Tiroler Alpen ist ein relativer Mafsendefekt in der Erde vorhanden. Wie er sih in Wirklichkeit in der Erdkcuste verteilt, ist nicht an- gebbar; doch ist es wahrscheinli, daß die oberen Schichten beseßt sind. Bei den Tiroler Alpen {eint indessen keine vollständige Koms- pensation vorhanden, vermutlich aber fehlt wenig daran. Die Maxima der Defekte fallen niht mit den Marximis der Erhebungen zusammen. Im Falle der Tiroler Alpen {eint das Maximum des Defekts nah Norden versetzt, wohl infolge eines bei Bildung der Alpen süd. nördlich gerichtet gewesenen Druckes. Festzuhalten und bisher überall festgestellt ist, daß solche Kompensationen überall vorhanden find, wenn auch nicht in tem Sinne, daß die einzelnen Gebirgékämme für sih allein kompenstiert sind, vielmehr beziehen fh die unterirdishen Kompensationen meist Man darf sich aber diese unter- irdischen Defekte keineswegs als Hohlräume vorstellen, es genügt zu ihrer Erklärung die Annahme von Dichligkeitsverrirgerungen von wentgen Prozenten. Im weiteren Verlaufe seines Vortrages führte Professor Hecker die zurzeit benußten Beobahtungsinstrumente in Lichtbildern vor und gab yon den Ergebnissen einer Reike U. a. wurden, eva | a 22 Stellen Messungen auf einer Linie von Kolberg zum Riesen- gebirge ausgeführt, desgleihen von Arkona bis Elsterwerda. leßtere Untersuhung ergab das bemerkenswerte Resultat, daß, während eine Vermehrung der Schwerkraft bei Mittenwalde sich durch die des Sperenberger der Annäherung

spezifishem Gewicht kompenfiert | unterhalb dér vorderindt bietet der Kaukasu seinem Nord- und

chen Halbinsel.

auf die Gebirgsgebiete im ganzen.

in mehreren Tableaus Anschauungen von Schwerkraftmefsungen innerhalb des Meridians,

Deutschlands. î der Richtun

Gipslagers

durch die Braunkoßhlerlager

an Elsterwerda rechifertigt, versagt bezüglich eines bei Neu-Strelihz festgestellten Marimums. Die Pendelbeobahtungen auf einer Linie Hadersleben—Coburg zeigte eine große Verstärkung der Shwerkraft bis zum Brocken; die besondere Untersuhung des Schwerkraftverhaltens im Harz ergab ein Maximum | des Ueberschusses bei Andreasberg, dagegen Depressionen an 29 O des Oberlandes. Unter dem Bodensee und dem NRheintal liegt ein Massendefekt. e, | Während alle diese UntersuGungen übereinstimmend bewiesen haben, daß auf dem Festlande Abweichungen der Schwerkraft im all- | gemeinen kompensiert werden, entsteht die wichtige Frage: wie ver- halten ch in dieser Beziehung Kontinente und Ozean zueinander ? Die Beantwortung dieser Frage war lange Zeit aus dem Grunde niht möglih, weil Pendelbeobahtungen auf dem Schiff durch die Schwankungen, also durch die beständige Veränderung der horizontalen ?! Basis des Apparats ausgeschlossen waren. ! Unanwendbarkeit des Pendels in Wegfall kam, ¿. B. auf dem vom festeingeschlossenen Untersuchungen

Wo dieser Grund für die

ergaben solche einer sehr j

Verbindung mit der Feststellung : ozeanischen

Schwerkraft E Inseln, daß der Ozean wahrscheinlich die generelle Kompensation für ist es gelungen, S{hwerkraft- beob¿htungen mit großer Genauigkeit auch auf dem Ozean vorzu- nehmen. Dieser Fortschritt ist dem Norweger Moon zu verdanken, der für die Messurgen der Schwerkraft auf das Quecksilberbaro- meter zurückgriff, dessen aus mehrfahea Gcünden niht absolut genaue Angaben er durch die Temperaturen kontrolliert, bei denen Wasser ¡um Kochen gelangt. Der diese Bedingungen vereinigende Apparat, der im Lichtbilde vorg?zzeigt wurde, enthält fünf Quelsilberbaro- meter, deren M Cerngen ortan, PYotog A rae En | s eler Genauigkeit das Instrument arbeitet, zetgte der Bor-

E die Litivredens vergrößerte Kure der Barometer- | wäre aber auch die Hinzuziehung von Laienrichtern în den Berufungss \{hwankungen, die alletn durch Roll- und Stampfbewegung des Schiffes hervorgerufen werden und in Rehnung gezogen werden müssen, da auf jede 11 m auf und ab im Luftmeer sich der Barometerstand um 1 mm erniedrigt oder erhöht. Ebenso ist in Rechnung zu ziehen, daß die Sphäroïogestalt der Erde | steigerrden, am Acquator yerringernden Einfluß übt, in den Grenzen von + 2 mm und -——2 mm gegen den Mittelwert.

die Kontinente bilde. Neuerdings nun

den Polen

Mit diesem

Kunst und Wissenschaft.

A. F. Die legte Fahsißung der Gesellschaft für Erd- funde im alten Jahre brahte einen Vortcag von Prof sor Dr. O Hecker aus Potsdam über „die Shwerebestimmung an der Erdoberfläche und ihre Dey uns für die Er- !

dkruste": Unter den verschiedenen Zweigen der Wissenschaft, die in den leßten Jahr- } zehnten teils neu erstanden, teils aus vochandenen fleinem Anfange empor- eblüht sind, verdient die „Geophysik“ genannt zu werden, die zu etner elbständigen Wissenschaft erstarkt ist. Cine der interessantesten von thr behandelten Fragen betrifft den Aufbau dex Erdkruste in physikalischer und chemischer Hinsicht. Nachdem dur Newton, Huyghens, Euler u. a. zweifellos festgestelt war, daß die Gestalt der Erde von der / Kugelgestalt abweiht und Bessel die Abplattung des Erdesphäroïds an den Polen auf 1/299 des Etrddurhaessers am Acquator festgestellt | hatte, fanden spätere Forsher, daß mehr oder weniger belangureihe Abweichungen von der mathematischen Sphäroïdgest ¿lt vorhanden | find, und gelangten so zum Begriff des „Geoï»8“ für die Gestalt der Erde. Die Ursachen dieser Abweihungen, die sih in jedem

mittlung der Massenverteilung in der Er

aber dur die Uebung dem Beobachter hanvlicher

kompyplizterten, ter | Leo bisherigen Schwierigkeiten

werdenden Apparat sind nunmehr alle } der Schwerkraftbestimmung auf dem Meer überwunden, und beretts | eine beträhtlihe Anzahl planmäßiger Beobachtungen gemaht worden, der oben angegebenen, zum Teil nur theoretischen rt, zugleich aber auch gezeigt haben, daß die Höhen- stôrungen der Sphäroïdmasse erheblich kleiner als bisher angenommen find. Wäre es anders, so müßte die Shwerkraft auf ozeanischen Fnseln sehr viel größer scin, als sie na den Messungen ist, \heinlih wird diese dur die Anziebung der Inselpfeiler felbst verringert. Im Zúahre 1901 unternahm der Vortragende seine erste Schiffsheob- | achtungsreise auf dem Atlantishen Ozean nach Bahia, | dabei bestätigt, daß auch auf dem Meere Kompensationen der aus | dem geringeren spezifishen Gewicht des Meerwassers sich notwendig er- | gebenden gertngeren Shwerkcaft stat!finden, l / | hältnismäßiz großen Dichte des Meeresbodens erklären können. zweite größere Reise von Bremerhavzn über Suez nah Australien, | San Frarcisco, Japan, mit Zwischenlandungen in Japan und Stam, und dur den Indischen Ozean zucück bestätigte volUkommen die vorher

| die zur Bestätigun Borausfichten gefü

die sich nur aus der ver- |

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anzusehen ist, ein Geseg, das zurzeit allerdings ncch Ausnahmen

u erleiden ans die sich wohl noch etwa dur besondere Verhältnisse beim Uebergang zur Tiessee aufklären werden. Nach allem kann man

bezügli des Verhaltens der Shwerkraft die Erdoberflähe in 4 Ge- biete O ti: Im Innern der großen Kontinente ist die Shwerkraft normal, an den Küsten derselben kleiner als normal, auf den Inseln ee als normal, in der Tiefsee normal. Die Ertkruste

o ichtet find, daß sie mit zunehmender Tiefe an Dichie zunehmen, U E nit fo gelagert find, um in Gleichgewiht2zustand zu

st aus let fit von sehr vershiedener Dichte aufgebaut, die kommen; zumal sie nicht flüssig, sondern fest sind. Hieraus ergibt

sih ein unvollklommener Ausgleich und die Folge, daß je spezifish

leichter seine Masse, um so böher ein Kontinent über den Meeres- boden hervorragen wird. Jn der sih anschließenden Diskussion verneinte der Vortragende die Frage, ob die von thm erwähnten Me Verhältnisse von Baku ihren Grund in dem Pettoleum- gehalt des Bodens haben könnten. Indessen sei noch vieles aufzuklären und das Gebiet des Schwarzen Meeres im be- sonderen in Fragen der Schwerkraft sehr interessant. Der nächste Sommer werde den Vortragenden zu eingehenden Unter- suhungen dorthin führen. Zwelfellos werde die Veryollklommnung der Methode auch zu weiteren Aufshlüfsen führen über den Bau der obersten Kilometer der Erdrinde sowohl, als über die Frage, ob in gewissen Tiefen des Ozeans hydrostatishes Gleichzewicht herrsche, wie es wahrscheinlich sci. Jn setnem Dark für den gehörten Vortrag hob der Vorsißende, ®Seheimer Bergrat Wahnschaffe den Wert dieser Untersuhungen für die geologishe Forshung hervor, im besonderen für die Kenntnis des Baues unseres deutschen Flach- landes. L

Die erste ordentlihe Sißung der Gesellshaft für Erd- funde im neuen Jahre brahte nah ciner kurzen Begrüßung dur den Vorsitzenden und einem ehrenden Nachrufe auf Geheimrat Friedrih Schmidt in St. Petersburg, der seit 30 Jahren Chren- mitglied der Geselshaft war und um die geologische Erforschung Rußlands und Sibiriens verdient ist, den vom Generalsekretär ver- lesenen Jahresbericht. Es ging aus ihm hervor, daß die Gesell {aft für Erdkunde zurzeit 1153 ordentliche, 60 korrespond'erende und 54 Ghrenmitglteder besißt, im ganzen 1267 oder 43 mehr als im Vorjahr. Es wurden 10 ordentlihe und 8 Falhsißungen während 1908 abgehalten, darunter die Jubiläumssißung vom 23. Mai. Die Gesellschaft i zurzeit an folgenden wissenschaftlicen Arbeiten beteiligt: an der Herausgabe des 13. Bandes der Bibliothoca geographica, an der Herstellung eines Jnhaltsverzeichnisses der Neröffentlihungen der Gesells@aft von 1863—1991 uad (aus den Mitteln der Nitterstiftung unterstüßt) an den Arbeiten der Herren Dr. Albert Tafel, Leo Frobentus, Dr. Gagel und Prof. G. von Zahn über die Ergebnisse ihrer Reisen und Spezialforshungen. Den Vor- trag des Abends hielt Seine Hoheit der Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg über das Thema „Vorläufige Ergebnisse der deutshen wissenshaftlichen Zentral- Afrika-Expedition 1907/8". Ueber diesea hochinteressanten Vortrag ist an dieser Stelle bereits bei einer früheren Ge- legenheit (vergl. Nr. 294 v. 14/12.) ausführlich berichtet worden, weshalb wir uns auf die Mitteilung beschränken, daß die überaus fesselnde Vortrag8wreise und der bedeutende Fnhalt dieser Ergebnisse einer fast einjährigen Forschungsreife au dor dem Forum der Gesellshaft für Erdkunde allseitigem und großem Beifall begegnete. Viel bewundert wurden au die [chônen farbigen Lichtbilder und die kinematographishen Vorführungen vom Besuch der Expedition beim Sultan Msinga von Ruanda.

Die Humboldt - Akademie gibt soeben ihr Vozlesungs- verzeihnis für das erste Vierteljahr 1909 heraus. Die Hörerzahl der Akademie hat sich von Jahr zu Jahr vermehrt. Im leßten Viertel- jahr wurden in 149 Zyklen 6205 Hörerkarten ausgegeben gegenüber 5846 im gleichen Quartal 1907. Für das kommende Studtensemester wurden die Zuschläge zu den Hörgebühren zum größten Teil beseitigt und, wo sie noch bestehen, wesentlich herabgeseßt. Ferner is zum ersten Male die erste Vorlesung, abgesehen von den Vorträgen in den Muscen und einigen Ausnahmen, freigegeben worden. Für dieses Vierteljahr (Be- ginn 7. Januar) sind 160 Vortragszvklen vorgesehen, hiervon ents fallen auf Naturwissenschaften und Medizin 17, Philosophie und Neligionsphilosophie 24, bildende Kunst und Musik 29, Literatur- geschichte 20, Kulturgeschichte, Völker- und Länderkunde 16, Unterrichts8- kurse in Krankenpflege, Sprachenkunde, Photographie usw. 54. Das

| Vorlesungsverzeichnis is in den Buchhandlungen sowie im Haupts-

bureau des Wissenschoftlihßen Zentralvereins in Berlin W. 39, Potédamerstraße 27 b, Villa 2, für 10 S zu haben.

Außerorden tlihe Versammlung. der Landesgruppe „Deutsches Neich*“ der Internationalen kriminalistishen Bereinigung.

Gestern vormittag trat die Landesgruppe „Deutshes Reich® der

| S&nternationalen kriminaliitishen Vereinigung zu einer außerordent- { lichen Taaung im preußishen Abgeordnetenhause zusammen, um zu

dem veröffentlihten Entwurf einer neuen Strasprozeß- ordnung Stellung zu nehmen. Nahdem auf Vorschlag des Ge- heimen Justizrats, Professors Dr. von Ust (Berlin) der Unterstaatssekretär ¿. D., Professor Dr. von Mayr (München) zum ersten, der Generalstaatsanwalt Dr. Geßler (Dresden) ¡um jweiten Vorsißenden, der Sirafarstaltsdirektor, Ge- heime Regierungsrat von Engelbert (Mannheim) und der Amtsrichter Dr. Friedeberg (Berlin) zu Schriftführern gewählt worden waren, erstattete in der gestrigen, ersten Sißung der Land-

| gerihtsdirektor a. D. Dr. Aschrott (Berlin) ein Generalreferat über

den Gesetzentwurf. Der Redner führte aus, der Entwurf bilde im allgemeinen einen Fortschritt, er enthalte aber eine Reihe von

| Mängeln. Erfreulich sei in dem Entwourf die klare Form, die s{chöne,

verständlihe Spracke. Es sei in dem Entwurf alles in dem ver- ständlihsten Deutsch logisch geordnet. Zu billigen sei die Einschränkung der Oeffentlichkeit bei dem Strafverfahren gegen Iugendlihe und beim Puizatklagevecfahren und die Gin- führung der Berufung gegen Strafkammerurteile. Ein weiterer Fortschritt sei die Hinzuziehung der Laien bei der Strafkammer. Zu wünschen

instanzen. Er müsse jedoch mitteilen, daß in einer vorgestern abgehaltenen Kommission#sizung die Gegensäße in diejen Fragen zu einer sehr lebhaften Auseinanderseßung Anlaß gegeben hätten. Mit Freuden sei zu begrüßen die Erweiterung des ÜUntersuchungs- verfahrens, sodaß der Staatsanwalt niht in allen Fällen Anklage erheben müsse. Zu tadeln sei anderersetts, daß den verhafteten An- geklagtea nicht von vornherein ein Verteidiger zur Seite gegeben werde. Das Beschwerdereht gegen die Verhastung allein sei keines- wegs ausreichend gegen eine ungerechtfertigte “agb Wenn auch der Entwurf noch so manhe Mängel habe, so könne man thn do nit ein- fa ablehnen. Gs würde sich vielmehr empfehlen, an dem Entwurf mit} zuarbeiten und so weit, als tunlich, Verbesserungen einzuführen. Er wolle nit leugnen, daß diejenigen, die volle Arbeit auf dem Gebiete der Strafprozeßreform erstreben, eine gewisse Selbstentsagung üben, wenn sie den Entwurf annehmen und wenn sie sih bereit erklären, an demselben mitzuarbeiten. Der Entwurf habe derartige Mängel, daß, wenn ein neuez deutsches Strafgeseßbuh in Ca treten werde, sich die Notwendigkeit ergeben dürste, wiederum eine Reihe von Aende- rungen in der Strafprozeßordnung vorzunehmen. Man werde also in dem nächsten Jahrzehnt auf dem Gebiete der Strafprozeßreform niht zur Ruhe kommen. Das sei zu beklagen. Schuld daran sei die Regierung. Diese sei vor einer Zerceißung der Neform der Strafprozeßordnung und des Strafgeseßbuchs hin- länglich gewarnt worden. Immerhin sei ein großer orte ritt auf dem Gebiet der Strafprozeßreform ¿zu verzeichnen. Es wäre daher verkehrt, zumal da die Regierung und der Reichstag der

ewonnenen Üeberzeugungen, wie die Kompensation auf dem Peeere

alifindet, sodaß sie nit mehr als Hypotheje, sondern als gültiges Geseh

Annahme des Entwurfs im großen und ganzen geneiat seien, thn ab- Cuteinten: Yamit würde die Internationale kriminalislishe Vereinigung

bedingte Verurteilung {ugendlicher Verbreher. Oberlandesgerichts-

ausgeshaltet werden. Die aug könne jedoch nur eine be- dingte sein. Es seten 3 Hauptforderungen zu stellen: 1) die Hinzu- ziehung von Laien in den Berufinaditffanzen: 2) die Selbständigkeit des Hauptverfahrens unter vollständiger Abtrennung des enigen Vorverfahrens, 3) die vollkommene Umgestaltung der Verfolgung des Strafverfahrens seitens der Staats8anwaltschaften. Ohne Erfüllung dieser drei Forderungen sei der Entwurf für die Internationale kriminalistische Vereinigung unanrehmbar. Den Staatsanwaltschaften sei in dem Ua eine viel zu große Machtvolllommenheit eingeräumt. Der Justizminister habe sogar das Recht, bei etner Reihe von Delikten, insbesondere bei Uebertretungen, die Staatsanwaltscaften anzuweisen, Anklage zu erheben. Im Volke würden gegea dieses Verfahren politishe Bedenken erhoben werden. Es dürfte dahin führen, daß gewisse politishe Uebertretungen verfolgt, andere dagegen nicht ver- folgt werden. Der Nednec wandte sich alsdann dem Ver- fahren gegen Jugendlihe zu. In dieser Beziehung seien ja auch no mehrere Mängel vorhanden, doch sei ein großer Fortshriit zu verzeihnen. Selbst wenn der Entwurf ab- gelehnt werden sollte, sei man dieser Einrichtung wegen dem Staatssekretär des Neichsjustizamts zu großem Dank verpflichtet. Aus Anlaß der Einführung der Berufung sei die Entscheidung über alle heute von den Strafkammern abgeurteilten Delikte als erster Jnstanzen- stelle etnem Richter als Vorsißendem und 2 Schöffen als Beisißern übertragen. Es müsse nun dafür gesorgt werden, daß der Vorsißende ein tüchtiger Richter sei. Nicht in der Zahl der Nichter, sondern in der Richterausroabl liege die Gewähr für eine gute Rehtsprehung. Der tüchtige Richter werde vollständig imstande sein, auch bei \s{wereren Verfehlungen die Verhandlungen in geeigneter Weise zu führen, ja es kEônne nur eine Shwähung setner Autorität herbeiführen, wenn man ihm einen zweiten rechtsgelehrten Nichter zur Seite stelle. Die Fünfzahl im Kollegium sei für die end- gültige Entscheidung zweifellos von großem Wert. Wo keine Be- rufung zugelassen sei, sei fie eine wertvolle Garantie gegen eine unge- rehtfertigte O zumal da zum Shuldspruch 4 Stimmen ge- hôren; wo jedoch Berufung zugelassen sei, liege diese Garantie in der Berufungsinstanz. Allerdings dürfe man nicht junge Ricter oder gar Assessoren zu Vorsißenden wählen, sondern alle den Borsiß älteren Richtern übertragen, die in der Bevölkerung ein gewisses Vertrauen genießen. Der Redner verbreitete ich dann über das Loyalitätsprinzip und die Privatklage. Er \{loß: Professor Dr. Nagler in Basel sage, der Straf- prozeß bilde den Gradmesser für den politishen Sinn eines Volks. Möge das deutsche Volk bei der Reform des Straf- prozesses sich hohe Ziele stecken. Geheimer Justizrat, Professor Dr. von Liszt (Berlin) {loß sich den Darlegungen des Vorredners über Mängel des Entwurfs einer neuen Strafprozeßordnung an. Ober- bürgermeister Dr. Adickes (Frankfurt a. M.) führte aus: Der Entwurf schreibe für die Strafkammern zwei rechtsgelehrte Richter und dret Schöffen vor. Er sei gleihfalls der Meinung, daß ein rechts- gelehrter Richter genüge. Dieser müßte allerdings in hoher Stellung sein. Bei zwei Richtern würde einer ein jüngerer Richter setn, Er würde also nit die erforderlihe Autorität . genteßen. Das Streben gehe dahin, den Nichter von unnötiger Arbeit zu entlasten. Dîie Einführong der Berufung in Strafsachen sei eine ganz neue Sae. Bis zum 1. Oktober 1879 habe wohl für alle Straf- delikte eine Berufung, aber nur unter großen Beshränkungen be- standen. Die jegige Einführuyg der Berufung solle aber eine voll- ständig unbeschränkte fein. Sie sei infolgedessen eine ganz neue Sache, die jedoch erörtert werden müsse. Er könne es auch nit billigen, daß in allen Fällen Berufung zulässig sei. Wenn es si ¿. B. nur um NRechtsfragen handle, da dürfe doch die Revision ge- nügen. Nach dem Entwurf sei es aber nötig, erst die Berufung dur(- zuführen, ehe man Revision einlegen könne. Wenn z. B. wegen einer Polizeiverordnung eine Verurteilung erfolge, und es \ih ledigli um die Frage handle, ob die Polizeiverordnung zu Recht bestehe, sei die Berufung doch Feind überflüssig, es genüge vollauf die Nes vision. Ebenfo dürfte es vollständig unnötig sein, gegen die Straf- zumessung eine Berufung einzulegen. Auch in diesem #Falle dürfte die Revision vollständig genügen. Wenn bet der Strafzumessung das Ergebnis der Berufungsinstanz sei, daß anstatt auf 10 auf 6 1 oder bei s{chwereren Fällen anstatt auf 8 auf 5 oder 4 Monate erkannt werde, so sei das doch im allgemeinen- ziemli gleihgültig. Man dürfe auch nit vergessen, daß dur derartige von den unteren Gertihten abwe chende Urteile der Berufungsgerihte die rihter- liche Autorität leiden würde. Die Obergerichte dürften niht vergessen, daß die Urteile der Unterrichter im Ansehen des Volkes nicht leiden dürfen. Er sei der Meinung, daß, wenn es zur Entscheidung komme, der Entrwourf mit einer Rethe von Aenderungen zur Annahme gelangen werde. Amtsgerichtsrat Köhne (Charlottenburg) äußerte ih hierauf über das Strafverfahren gegea Jugendliche. Professor Dr. Lipmann (Kiel) führte aus: Die Bestimmung über das Necht der Ablehnung der Geschworenen seitens der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten in der jeßigen Fassung halte er für vollständig überflüssig. Eine Ablehnung dec Geschworenen dürfe nur exfolgen wegen Bes forgnis der Befangenheit, wie es bereits bezüglih der Ritter eingeführt sei. Es sei daher nit erforderli, daß 18 Geshworen- bei Bildung der Geshworenenbank anwesend seten. Außerdem würde es sich empfehlen, die Rechtsbelehrung des Borsißenden an den Beginn der Verhandlungen zu verlegen. Der Vorsitzende müßte den Ge|hworenen noch „vor Beginn der Beweisaufnahme ein klares, unpartetis{es Bild über die Sache geben. Es müßte dann, ebenfalls vor der Beweisaufnahme, dem Staatsanwalt und der Verteidigung das Wort zur Ausführung ihrer Behauptungen gegeben werden. Dadurch kämen die Geschworenen in die Lage, ih ein rihtiges Bild

über die Sache selbst zu mahen. Sie wüßten alsdann, worauf es im |

wesentlihen ankomme, und wären in der La e, geeignete Beweis- anträge zu stellen. Im weiteren set nit e E daf die Tätigkeit „eines Scchwurgericht3vorsißenden eine geradezu künstlerische Befähigung erfordere. Deshalb sei es notwendig, nicht nah einem gewissen Schema Schwurgerihtsvorsizende zu ernennen, sondern, nur alte bewährte Richter zu diesem Amte zu berufen. Staatsanwalt Dr. Feisenberger (Magdeburg): Er könne dem Landgerichtsdirektor Dr. Aschrott darin nicht Béiftiinzmen, daß die Kollufionshaft entbehrt werden könne. Es wird ohnedies nur in dringenden Fällen von dem Rechte der Kollusionshaft Gebrauch ge- macht. Ferner sei es ein Uebelstand, daß ein Verhasteter zunächst dem Richter vorgeführt werde. Der Staatsanwalt kenne infolgedessen den Verhafteten niht. Er habe daher auch kein Interesse daran au‘ prüfen, ob die Verhaftung geboten sei, da er ch sage: &Du brauchsstt nihcht richterliher zu sein, als der Nichter.“ Wenn der Verhaftete zunähst dem Staatsanwalt vorgeführt werden würde, dann wäre der Staatsanwalt bedeutend {hneller und besser in der Lage, ih über die Notwendigkeit der Verhaftung zu informieren, als der Richter, da dem Staatsanwalt ganz andere Mittel zu Gebote ständen und er auch die Wege kenne, die einzushlagen seien, um das Eerorehen, dessen der Verhastete beshuldigt werde, festzustellen. r gebe zu, daß die Strafprozeßordnung noch sehr mangelhaft sei, Wenn sie aber niht nur Brot gebe, sondern auch Steine, h set sie doch nit a limino abzuweisen, da sie immerhin ce Reihe von Verbesserungen bringe. Professor Dr. Freud en- hal (Frankfurt a. M.) erachtete es nicht für richtig, în hervor- Fogender Weise Lehrer bei den Jugendgerihtsböfen als Schöffen eranzuziehen. Lehrer seien wohl Sachverständige, man könne dann aber gus mit demselben Rechte bei Jagdvergehen Fö1ster hinzuziehen. et dürften wohl oftmals geneigt sein, auf Freisprehung der g gendlidhen Verbrecher zu erkennen. Landgerichisrat a. D. Dr. bej ann (Berlin) stimmte dem Professor Dr. von Liszt darin et daß das Pau livetfabren von dem Vorverfahren streng getrennt erden müsse. an müsse aber die Betonung auf die Akten Tegen and darauf hinweisen, in welcher Weise die Uften zustante kommen. Hud empfehle etn Wers odren wie es in England sei, wo zunächst ein ontradiktorisches Verfahren vor dem Polizeirihter statifinde. Der edner plädierte ferner für ein Kindergeseßp und für die

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(Bonn) bemerkte, er sei im großen und ganzen mit dem Ent- wurf einverstanden. gei begrüßen sei es, eon der Entwurf va Schuß der Jugend, die Erweiterung der Schsö engerihte und die Einführung der Berufung bringe. Oberlandesgerichtsrat, Professor Dr. Harburger (München) führte aus: Fn Süddeutschland werde der Entwurf im allgemeinen günstig aufgenommen. Allerdings würden noh verschiedene Bedenken geltend gemacht. Die Kollusions- haft sei seiner Meinung nah nicht zu entbehren. In Bayern set es nur durch Anwendung der Kollusionshaft möglich geroesen, dem Unfug des Haberfeldtreibens ein Ende zu bereiten. Er erachte es für not- wendig, auch gegen die Strafzumessung Berufung zuzulassen ; dagegen halte er im NRevisionsverfahren, in dem es ch doch lediglich um MRechtsfragen handle, das mündlihe Verfahren für entbehrli%. Justlzrat Dr. Mamroth (Breslau) bemerkte : Es denke niemand daran, einen S@uldigen der Strafe zu entziehen; es sei aber notwendig, die Strafprozeßordnung derartig zu gestalten, A nicht ein Unschuldiger verurteilt oder zu {arf be- straft werde. Wenn gesagt worden, der Entwuf gleihe dem Mädchen aus der Fremde, das jedem eine Babe bringe, so sei das bezüglih der Verteidigung keineswegs der Fall. Vom Standpunkt des praktischen Verteidigers könne er sid mit dem Entwurf ganz und gar niht einverstanden erklären. Der Nihter der Tatfrage habe eine zu große Macht. Wenn nun aber erst in etner Strafkammer nur drei rechtsgelehrte Richter \sißen, dann werde es dem Angeklagten viel s{werer sein, ein Nichtschuldig zu erzielen. Das Vorverfahren fei in keiner Weise geändert. Dem Untersuchungsrichter stehe eine un- beschränkte Macht zu; es gebe gegen dessen Verfahren kaum eine Be- s{chwerde, Das Beschwerdegericht habe ihm in einem Falle geantwortet, gegen das Verfahren des Untersuhungsrichters lasse sich nichts drein- reden. Es fei unwahr, daß von Kollusionsverhaftungen nur in beshränktem Maße Gebrauch gemaht werde. E3 kämen zahl- lose ungerechtfertigte Verhaftungen vor, gegen die nur sehr s{chwer anzukämpfen sei. Dem Verteidiger sei es au un- gemein erschwert, mit dem Angeklagten im Untersuhungsverfahren

gemacht und ihm eine Frist von 8 Tagen getellt, ohne daß der Ver- teidiger eine Ahnung davon habe. Bei verhafteten Ane lt werde es auch erforderlich, dem Verteidiger wenigstens von der Zustellung Kenntnis zu geben. Ein weiterer Mißstand set, daß über das Wieder- aufnahmeverfahren das verurteilende Geriä;t zu befinden habe, Es sei wider die menshliche Natur, daß ein Nichter einseche, er habe si geirrt. Deshalb sei es auch zu beklagen, daß das Neich8gericht nur in fselteneren Fällen bei Aufhebung eines Urteils die Sache zur nohmaligen Entschetdung an ein anderes Gericht verweise. Es wäre notwendig, au praktische Juristen zur Beurteilung des Entwurfs heranzuziehen. Dr, jur. B reithaupt (Caßel) äußerte, er set eben- falls der Meinung, daß der Strafrichter eine zu große Gewalt aus- übe. Erforderlich sei es, die Tätigkeit des Strafcichters nicht lediglich als DurÄgangss\tation zu höherem Verwallungsdienst anzusehen ; dadur erziehe man nur das Strebertum. Es würde ich dringend empfehlen, \pezielle Strafrichter auszubilden und diese lediglih im Pre zu beshäftigen. Alsdann trat eine Pause ein.

Nach Wiederaufnahme der Verhandlungen spra Professor Dr. yon Lilienthal (Heidelberg) über „weiterge hende Durch- führung der Anklageform“. Die Ausführungen des Redners gipfelten in folgenden, von ihm befürworteten Leitsäßen: „I. Die wich- tigste Aufgabe des Vorverfahrens is die Vorbereitung der Anklage und der Verteidigung für die Hauptverhandlung. Für die Staats- anwaltscaft geschieht sie am besten dadur, daß, abgesehen bon ganz einfachen Fällen, die Ermittlung persönli ge[chteht, soweit nit Vor- untersuhung eintritt. Von seiten des Beschuldigten ist dazu erforderli : 1) größere Bewegungsfreiheit und deshalb möglichste Einschränkung der Untersuhungshaft besonders wegen Kollusionszefahr ; 2) ausgiebige Unterstüßung dur etnen sahkundigen Verteidiger und deshalb mög- list häufige Bestellung von Amt9verteidigern für mittellose Be- ee: 3) Unterftüßung durch die Behörden bei Vorbereitung des Gntlastungsbeweises und deshalb rechtzeitige Bekanntmachung mit dem Belastung8material in einem besonderen Termine, in dem die Anträge des Beschuldigten, au weitere Beweiterhebungen entgegenzunehmen sind. Eine Ablehnung muß begründet und mit der itteilung ver- bundea werden, daß dem Beschuldigten weitere Rechtsbehelfe zu- stehen. Die im Entwurf vorgesehene Parteienöffentlihkeit bietet eine weitere, aber für \ich allein ni&: ausreihende Unterstüßung des Beschuldigten bei der Beweisvorbereitung. IL. Die Anklageshrift des Staatsanwalts ist spezifiziert abzufassen mit genauer Mi dabe der | Beweismittel für die einzelnen tatsählihen Behauptungen. Der { Beschuldigte hat das Necht, in einem besonderen Termin dem Vor- ! fißenden des erkennenden Gerichts seine Einwände gegen die Anklage- | s{hrift vorzubringen und Beweisanträge zu stellen; deren Ablehnung

muß begründet und mit der Belehrung über die weitere Beweisbefugnis verbunden werden. 111, In der Haupt- verhandlung hat der Staatsanwalt den Inhalt der Anklage- {rift mündli vorzutragen. Der Beschuldigte ist darüber zu ver- nehmen, was er zu seiner Verteidigung vorbringen will. Er ist darauf hinzuweisen, daß er Erklärungen niht abzugeben braucht. Jede inquisitorishe Befragung i verboten. Die Beweis- aufnahme leitet der Vorsißende, Die Akten des Vorverfahrens dürfen, abgesehen von antizipierender ‘Beweisaufnahme, dem Gerichte niht vorliegen. Die Führung des Entlastüungsbeweises darf nit beshränkt werden. Der es des S A M, 1 Str.-P.-O. ist beizubehalten. Die Zurückweisung von Beweis- anträgen ist dur einstimmigen Gerihtsbeshluß möglich, wenn sie offensihtlich nicht zur Sache gehören, auf Vers{leppung der Ver- handlungen gerichtet sind, unerreihbare Beweismittel oder Tatsachen betreffen, die das Gericht {on zu Gunsten des Angeklagten für er- wiesen hält. Unjulässige Beschränkung der Verteidigung bildet cinen absoluten Nevisionsgrund.* Professor Dr. von Lilienthal bezeichnete es u. a. als erforderlih, daß dec Staatsanwalt ebenfalls der Disziplinargewalt des Vorsißenden zu unterstehen habe. Es sei bekannt, daß dem Angeklagten zumeist der Staats- anwalt mehr imponiere, als der ganze Gerihi8hof. Gr habe seine Ausführungen in den Leitsäßen zusammengefaßt. Er wolle nicht, daß eine direkte Abstimmung über diese stattfinde, sondern es genüge ihm, wenn anerkannt werde, daß das, was er in den Leitsäßzen niedergelegt, den Bedürfnissen der Rechtspflege entsprehe, und daß es erforderlich sei, die Forderung in den Entwurf der Strafprozeßordnung aufzunehmen. Professor Dr. Mittermeier (Gießen) war der Ansicht, daß dem R zu wenig Rechte eingeräumt werden. Auch der Verteidigung ständen viel zu wenig Rechte zu. Es sei in dem Ent- wurf gesagt, dem Staatsanwalt könne die Anwesenheit im Vorver- fahren beim Untersuhungsrihter gestattet, dem Verteidiger aber brauche sie nicht versagt zu werden. Es müsse zweifellos in dieser Be- ziehung etne Abhilfe gesehen, denn nah dem Entwurf würde das Vorverfahren dem Ermessen der Polizei anheimgestellt werden. Rechtsanwalt Dr. Hugo Heinemann (Berlin) bezeichnete den Entwurf als eine bedeutende Verschlehterung bezüglih der Stellung der Angeklagten. Den Belastungszeugen S ihre Vorstrafen nicht mehr vorgehalten werden. Die Beweisaufnahme dürfe beshränkt werden, den Verteidigern könne die Anwesenheit im Vorverfahren gestattet werden, der Untersuchungsrihter habe jedoch jederzeit das Recht, den Verteidiger aus dem Zimmer zu weisen, wenn er eine Gefährdung des Untersuhungsverfahrens in der Anwesenheit des Verteidigers erblicke. Was habe auch die Anwesenheit des Verteidigers beim Vorverfahren für einen Sinn, wenn er nit eingreifen könne. Wenn er Fragen stelle, dann dürfte es oftmals vorkommen, daß der Berge er sagen werde: Jett halte ih eine Gesährdung des Voryerfahrens für vorltegend und fordere Ste auf, das Zimmer zu verlassen. Jeder Nechtsanwalt, der auf seine Würde etwas gebe, werde sih einer solhen Gefahr nit aussegen. Zum mindesten sei das Vorverfahren von der Haupt- verhandblung vollständig zu trennen. Amtsrichter Dr. Friede- berg (Berlin) bezeihnete es als dringend notwendig, die

Präsident a. D, Wirklicher Geheimer Rat Dr. Hamm

Vorakten zur auptverhandlung heranzuziehen. Wenn der Nichter das Bortebe und das Milieu des Angeklagten nit kenne, so werde es ihm unmöglih sein, zu einem gereWten

wenn dem Vorsißenden die Vorakten des Angeschuldigten ni liegen, er nicht in der Lage sei, den Geschworenen T Ea er Weise die Tat des Angeschuldigten vorzuführen. Es liege gerade im E des Anges uldigten, daß die Voraklten dem Vor- Pren genau be

zu sprechen. Es würden dem Angeklagten oftmals Zustellunger?

Beschluß bezüglich der Strafzumessung zu k V j - gerihtsrat, Professor Dr. Sa Gcene: (München) bemerkte E oftmals S{wurgerihtsvorsißzender gewesen und könne perlenn, daß,

yvor-

annt selten. Oberlandesgerihtspräsident a. D, ifliher Geheimer Rat Hamm (Bonn) oe 4 ebenfalls

für die Notwendigkeit des Vorlegens der Vorakten in der Hau tyer- handlung. Ohne diese könne der Vorsitzende {wer die Berg nver- leiten. Justizrat Dr. Mamroth (Breslau) führte aus: Ein großer Mißstand set es, daß den Verteidigern im Vorverfahren vielfa die Akten vorenthalten würden. Es halte ungemein \chwer, vom Unter- suhungsrihter die Akten zu bekommen. Die Verteidiger müßten viel Zeit aufwenden, um die. Akten lesen zu fönnen, selbst wenn das Verfahren bereits eröffnet sei. Die Akten befänden sih alsdann bet der Staatsanwaltschaft und zum Teil in der Gerichtsschreiberei. Die Alten würden den Vexteidigern vom Staats- anwalt vorenthalten mit der Begründung, daß eine Gefährdung der Untersuhung vorliege. Worin diese defteben

Die Verteidiger besuhten oftmals ihre verhafteten Klienten im Ge- fängnis, dies geschehe aber nur zur Beruhigun derselben, damit die Leute fehen, der Verteidiger interessiere fi

Kenntnis der Akten könne doch die Verteidigung gar nichts sagen. Die Gefahr einer Fluchtbegünstigung sei dech ausge- schlossen. Der Verteidiger handle nux im Interesse des An- geklagten, wenn er ihm sage, es liege ein so \{chweres Delikt vor, daß ein Haftbefehl erlassen werden könne. In folcken

solle, sei ihm nit klar.

ch für sie. Ohne

Fällen könne der Angeklagte Dispositionen bezüglich seiner Familte,

Geschäflsverhältnisse usw. treffen. In den jeßigen Zeiten des Tele ons und des Telegraphen gehöre eine Flucht zu den Stone G sei ganz und gar dagegen, daß die Vorsitzenden in der auptyerhandlung von den Perfonalakten Gebrauh machen. Es wurde ge

akten enthielten niht nur Belastungs-, sondern au Entlastungsmomente. Um die entlastenden Momente geltend zu machen, genüge doch {hon die Anklageschrift. Der Staatsanwalt habe die Pflicht, nicht nur die belastenden, sondern auch die entlastenden Momente in der Anklage- {rift hervorzuheben. Im übrigen werde do die Verteidigung für die Geltendmachung der entlastenden Momente zur Genüge Sorge tragen. Der Vorsißende könne sich auch ohne die Personalakten ein genügendes Bild machen. Jedenfalls stimme er dem Professor Dr. von Lilienthal darin bei, daß der Grundsaß des 8 244 Abs. 1 des Entwurfs festgehalten werden müsse. D

der Bevölkerung zur Rechtsprehung sei ershüttert. Es sei dringend notwendig, daß dieses Vertrauen wiederhergestellt werde. Das könne aber nur geschehen, wenn die Angeklagten die Ueberzeugung gewönnen, daß thre Sache ers Wenn ein Angeklagter die Vernehmung seiner Zeugen verlange, dann müsse diese eben geshehen, anderenfalls halte er sich für uns{uldig verurteilt, Staattanwalt Dr. Reisenberger (Magdeburg) erwiderte dem Vorredner, daß jeder anständige Staatsanwalt dem Verteidiger ohne weiteres Einsicht in die Akten geben werde. Landgerichtsdirektor a. D. Dr. Aschrott (Berlin) führte aus: Dur die Verhaftung werde die Kollusionsgefahr nit beseitigt, da die Kollusion zumeist von Freunden und Verwandten begangen werde. Daß heute das Flüchtigwerden niht mehr so leiht gebe, sei fals. Wenn wir auch in den Zeiten des Telephons und Telegraphen leben, fo begünstige hier doch andererseits das Automobil, eventuell au der Luftballon die Flut. Professor Dr. Graf zu Dohna (Potsdam) hielt es auch für fals, daß der Vorsigende die Personalakten des Angeklagten in der Hauptverhandlung heran- ziehe. Der Vorfißende dürfe nicht von vornherein von der Schuld eines Angeklagten überzeugt sein, sondern müsse sh aus dem Gange der Verhandlung von der Schuld überzeugen. Es sei deshalb erforder- lid, daß der Saß: „Der Vorsigende leitet die Verhandlung* gestrichen und dafür gefeßt werde: „Die Beweisführung geschieht von den Parteien.” Professor Dr. von Lilienthal (Heidelberg) war ebenfalls der Meinung, daß der ene nicht von vornherein gegen den Angeklagten voreingenommen

haben dürfe.

agt, die Personals

as Vet:trauen

öpfend und unpartetisch behandeit worden set.

ein und sich bereits ein Urteil gebildet Hierauf wurde die Verhandlung auf Dienstag, Vormittags

94 Uhr, vertagt. Abends fand noch eine Versammlung von Aerzten statt, in der Geheimer Medizinalrat, Professor Dr. Aschaffenburg (Cöln) und Medizinalrat Dr. Leppmann (Berlin) über die Stellung der Acrzte zur Strafprozeßordnung sprachen.

Theater und Musik, *

Sqhillertheater O0. (Wallnertheater.) Das Schillertheater hat, um seinem Publikum einen heiteren

Abend zu bereiten, den alten Schwank „Charleys Tante* neu ein- studiert, dessen burleske Situationskomik auch hier ihre belustigende Wirkung ebensowenig verfehlte wie anderwärts. Metuvgeuál zum Gelingen des Ganzen ein geeigneter Darsteller für die das Stück tragende Verkleidungörolle unerläßlih. Einen folien befißt das Sthillertheater in Herrn Köstlin, der zwar minder drastisch ist als sein klassishes Vorbild Thielscher, dafür aber einen sehr liebenswürdigen Humor einzusezen hat, Die Be- sfuher der gestrigen Aufführung folgten seiner Leistung mit großem Vergnügen. Neben ihm bewährten sich die Damen Beer, olms, Maylor, Hold, die Herren Werner-Kahle, Kirschner, Förster, Werana. So dürfte denn der Schwank auch an dieser Stätte manche Wiederholung erleben.

ist

wald,

Im Königlihen Opernhause wird morgen, Mittwoch,

„Aida“ unter musikalisher Leitung dés Kapellmetsters Ble, mit Fräulein Salvatini in der Titelrolle, aufgeführt. Im beige Ltet die Beseßung: Radames : Herr Maclennan ; Amneris: Fräulein Ober ; Amonasro: Herr Hoffmann; König: Herr Griswold; Ramphis :

Herr Mödlinger; Prie\terin : Fräulein Urbanska ; Tänzerin : Fräulein Kierschner.

Im Königlihen Schauspielhause wird morgen das

Volkslustspiel von Heinrih Lee „Der Schlagbaum*" zum ersten Mal wiederholt. In den Hauptrollen sind e Herren Vollmer, Krausnec Bet Di Dee Gageling, D an Eichholz, V

ädt, Paris, Platen, un e Damen Buyte, , Abih, E e Schramm und Hausner bes{äftigt. s M A

anne-

(Der Konzertbericht befindet sich in der Zweiten Beilage.)

Mannigfaltiges.

Berlin, 5. Januar 1909. Das unter dem Protektorat Ihrer Majestät der Kaiserin stehende

Deutsche Hilfskomitee für Süditalien hat sich mit dem deutshen Generalkonsul in Neapel und dem Konsul Jakob in Messina in Verbindung geseßt. Messina wird geräumt. Jn Neapel sind bereits 30 000 fkranfe und gesunde il deutshe Hilfskomitee hat sofort 50 Lire an das dort aus dem deuts@en, österreichischen , enger u bla En Hilfskomitee ü

or abgesehen von den mit der Bahn zu befördernden Hilfserpedition alls [d die Notwéèndigkeit erweist, in Verbindung mit be Dtinbutae

fébedürftige gelandet.

nd \ch{weizerisWen Kon- : rwiesen. In Neapel konzentriert äufig die gesamte Hilfstätigkeit. Das Komitee beabsichtigt,

merika-Linie beziehungsweise den Norddeutshen Lloyd Dampfer

rashestens nach Süditalien zu senden, um dort Verwundete

und Notleidende aufzunehmen. Fortwährend laufen bedeutende

Se Lege aus ganz Deutschland ein, darunter von der a ceipz

Dr. Simon 3000 #6, James Simon 3000 #4, y s

heimen Kommerzienrat Goldberger 1000 #, Fabrikbesiger Berta

g 10000 M von dem Geheimen Kommerzienrat

E E Cie A E L E i G C S f B Etn i tir mr fai E E C A (R E RIRDEA E A Se S S Bi E t D R A A B L L C E E D R E R E E d r tb L R L T rz RL L L e T E E g

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