1909 / 41 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 17 Feb 1909 18:00:01 GMT) scan diff

Nichfamtliches.

Deutsches Reich. 4 Preußen. Berlin, 17. Februar.

Seine I S der Kaiser und König nahmen gestern vormittag im hiesigen Königlihen Schlosse die Vorträge des Chefs des Militärkabinetts, Generalleutnants Freiherrn von Lyncker und des Chefs des Admiralstabs der Marine,

Admirals Grafen von Baudissin entgegen.

Jhre Majestät die Kaiserin und Königin empfingen heute im hiesigen Königlichen Schlosse in Audienz den Rektor der Königlichen Friedrih Wilhelms-Universität, Geheimen Justizrat, Professor D. Dr. Kahl, den Rektor der Technischen Hochschule, Geheimen Baurat, Professor Borrmann und den Pastor Müllensiefen.

gra rae et

Der Bevollmächtigte zum Bundesrat, Senator Dr. Fehling ift nah Lübeck abgereist.

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M.S. „Victoria Luise“ vorgestern in Cadiz eingetroffen und geht am 25. Fe- bruar von dort nah Lissabon in See.

S. M S „Dertha 1t gestern in. Cadiz eingetroffen und geht am 20. Februar von dort nah Ferrol in See.

S. M. S. „Fürst Bismarck“ ist mit dem Chef des av ddig anti vorgestern in Labuan (Nord-Borneo) ein- getroffen.

S. M.S. „Jltig“ ist gestern von Hankau nach Kiukiang

(Yangtse) abgegangen.

Cassel, 16. Februar. Der 34. Kommunallandtag des Negierungsbezirks Cassel ist gestern durch den Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau Hengstenberg mit folgender Rede eröffnet worden: E

Geehrte Hexren! }

Namens der Königlichen Staatsregierung heiße ich Sie au bei Ihrem diesmaligen Siltnaientteta willkommen. Wir alle stehen noch unter dem frishea Eindruck der Naturereignisse, die vor kaum mehr als einer Woche au unser Land betroffen haben. Wenngleich hier nicht Verheerungen wie in anderen Teilen unseres Vaterlandes eingetreten sind, so will ih do auch an dieser Stelle der mens{chlichen Teilnahme Ausdruck geben, die uns alle bei dem Gedanken an das be- \chädigte Hab und Gut unserer Mitbürger erfüllt.

Ihre Beratungen beginnea diesmal früher als in den beiden leizten Jahren. Der Grund hierfür liegt in der Dringlichkeit, die Fhre Verwaltung denjenigen Vorlagen beimißt, die die Beamten des Bezirksverbandes betreffen. Die Vorlagen über die Re- gelung der Dienst- und Besoldungsverhältnisse dieser Beamten wollen den Vorgängen im preußischen Staate folgen, zugleich aber den besonderen Verhältnissen des Bezirksverbandes in einer nach Ansicht Ihrer Verwaltung angemessenen Weise Rechnung tragen. Wenn es troy der hierdurch entstehenden erheblihen Pehrbelastung gelungen ist, von einer Erhöhung der Bezirksabgaben abzusehen, so darf dies abgesehen von dem voraussihtlich demnächst zur Ver-

abschiedung gene Geseg über die Abänderung des Landeg-

kreditkossengeseßes in erster Linie der sparsamen und vorsorglichen Aufstellung des Hausbaltsanschlages für 1909 verdankt werden, Neben diesen Gegenftänden wird Sie der Ihnen vorgelegte Entwutf einer Wanderarbeitsstättenordnung beschäftigen. Er ist aus längeren und fchwierigeren Beratungen bevorgegangen, aber, wie ih hoffe, geeignet, als Grundlage für die Ausführungen Jhres sozial so bedeutsamen vorjährigen Beschlusses zu dienen. Die Königliche Staatsregierung hat Zhnen Vorlagen nicht zu machen. In ihrem Namen begrüße ih Ste mit dem Ausdruck der Hoffnung und des Wunsches, daß Zhre Beraiung?zn dem Bezirksverbande zum Segen gereihen mögen, und erkläre im Allerhöchsten Auftrage den 34, Kommunallandtag des Ne- gierung2bezirks Caffel für eröffret.

Der Alterspräsident, Bürgermeister Hold gab in seiner Erwiderung den ehrfurchtsvollen Gesinnungen des Kom- munallandtages gegenüber Seiner Majestät dem Kaiser und König Ausdruck, und die Versammlung {loß \ich dieser Kundgebung in einem auf Seine Majestät ausgebrahten Hoch lebhaft an. -

Nachdem hierauf der Kammerherr Rabe von Pappen- heim zum Vorsißenden und der Oberbürgermeister Dr. Gebeshus zum |jtellvertretenden Vorsißenden durh Zuruf gewählt und die erforderlichen Ausschüsse gebildet worden waren, wurde die Sitzung geschlossen.

Sachsen-Coburg-Gotha.

Seine Königliche Hoheit der Fürst Ferdinand von Bulgarien traf gestern, „W. T. B.“ zufolge, in Coburg ein und begab sih später mit Jhren Durchlauchten den Prinzen Philipp und Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha nah der fkatholishen Kirche, wo aus Anlaß des Todestages Zhrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Klementine von Sachsen- Coburg und Gotha cine Trauerfeier stattfand. Am Abend trat Seine Königliche Hoheit der Fürst Ferdinand die Rücf- reife nah Bulgarien an.

Oesterreich-Ungarn.

Nach einer Meldung des „W. T. B.“ hat die Prager Staatsanwaltschaft gestern über hundert Haussuchungen in den Wohnungen ts{hechisch-nationaler Abgeordneter und Re- dakteure vorgenommen und zahlreiche Aktenstücke beshlagnahmt. Es handelt stich um gs der Organisatoren der Prager Straßenkrawalle und des Boykotts déuiscér Waren. Von den aussuhungen wurden u. a. die Abgeordneten Choc und lofac, gegen die eine strafgerihtlihe Untersuhung ein-

ee ist, sowie die Abgeordneten Burival und Slama troffen.

Großbritannien und Frland.

Das Parlament ist gestern unter dem üblichen Me vom König Eduard mit einer Thronrede er-

et worden, in der es, „W. T. B.“ zufolge, heißt:

Die Wärme des Empfanges, die sich bei unserem Besuch in Berlin bei allen Klassen der Bevölkerung ¡eigte, hat einen starken Gindruck auf mich gemaht und mih wit hoher Genugtuung ecfüllt. Es hat der Königin ebenso wie mir aroße Freude bereitet, mit dem Kaiser Wilhelm und der Kaiserin wieder zusammenzukommen. Ich bin der Ueberzeugung, daß der Ausdruck bes herzlien Willkommens, das uns in Berlin geboten wurde, dazu beitragen wird, diese freund- jhaftlihen Gefühle zwi\hen den beiden Nationen, die für ihre gegen-

seitige Wohlfahrt und die Erhaltung des Friedens so wesentlih sind, ju flärten. E Beziehungen zu den fremden Mächten sind nah wie vor freunds{chaftlich. i Die Thronrede berichtet sodann über den befriedigenden Fortschritt in den Verhandlungen über die ausstehenden Fragen mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Vertrag, wonach die Benußung der Wasserwege an der canadischen Grenze geregelt wird, ist abgeschlossen worden, ebenso ein Uebereinkommen mit Hilfe Canadas und New Foundlands, das die nordamerika- nische Fischereifrage einem Schiedsgeriht überweisen will. Die Thronrede erwähnt sodann die Erneuerung der Schieds- gerihtsübereinkommen mit Frankreih, Jtalien und Spanien und fährt fort: lte Lage in Persien bilde nach wie vor einen Grund zur

Beunruhigung. Die egierung wünsche nicht, von dem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes abzugehen, fet aber zuglei der Ansicht, daß die dortige Lage sereteris die Ein- führung von repräsentativen Einrichtungen erheishe, um die Ver- wirkliGung von unumgänglihen wirtshaftlihen, finanziellen und administrativen Reformen zu sihern und das Land zu be- ruhigen, da die igen Unruhen zahlreihße kommerztelle und ökonomishe Interessen Großbritanniens und Rußlands in Persien gefährdeten, worüber zurzeit ein Meinungsaustaush zwischen diesen beiden Regierungen statifinde. Der Köntg freue sich annehmen zu können, baß die Aussichten auf eine Lösung dec Schwierigkeiten auf dem Balkan si jeßt gebessert haben, und hoffe aufs ernsteste, daß eine alle interessierten Staaten befriedigende Lösung erreicht werde. Er set überzeugt, haß die e e (Tre Moronserent, die zurzeit in London tage, bald zu einer Verständigung gelangen werde. Große Genugtuung habe thm die Aufnahme der Maßnahmen zur Verbesserung der indishen Verwaltung bereitet.

__ Die Thronrede geht sodann auf die Vorbereitungen zu einem engen Zusammenschlu der südafrikanishen Kolonien und auf die Konferenz in Kapstadt ein, die den ersten Schritt hierzu bedeute, und erklärt:

Infolge HeriGedtner Ursachen, unter denen die Altersversicherung und dite notwendig gewordene Erhöhung der Aufwendungen für die Flotte zu nennen sind, werden die Ausgaben dieses Jahres diejenigen des lehten Jahres erheblich überschreiten. Die Beschaffung der für den Staatsdienst erforderlihen Miitel wird deshalb fehr ernste Er- wägungen nötig machen, und es ist infolgetessen zu fürchten, daß für die anderweitige Gesezgebung weniger Zeit verfügbar scin wird.

Sodann kündigt die Thronrede die Wiedereinbringung der irishen Landbill an, beschäftigt sih weiterhin mit der Frage der Arbeitslosen, die die sorgfältige Beachtung der Regierung finde, und stellt eine Vorlage, betreffend eine bessere Organisierung des Arbeitsmarktes durch ein System des Austausches gleihwertiger Arbeit in Aussicht, womit andere Pläne zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit würden verbunden werden können. Ferner kündigt die Thronrede eine Vorlage, betreffend die Einrihtung von Handelsämtern für gewisse Zndustriezweige, an, in denen vorzugsweise zu Hungerlöhnen gearbeitet wird, und eine Vorlage, die das Anlandbringen und Verkaufen von Fischen verbietet, die in den an Schottland grenzenden, für den Fischfang verbotenen Seegebieten gefangen worden sind.

Jn der an _ die feicrlihe Eröffnung des Parlaments sich anschließenden Sißung des Ober- und Unterhauses wurde die Adresse auf die Thronrede beraten.

Im E erflärte der Marquis of Lansdowne im Laufe der Debatje bezüglih des Besuchs des Königs und dexr Königin in Berlin, er s¿ae_niht zu viel, wenn er bemerke, daß kein neueres Ereignts vom britmzci Volke mit größerer Sympathie aufgenommen oder von thm miß größer Freude zur Kenntnis genommen worden sei, Ohne Widerspru befürchtea zu müfsen, könnte er sagen, baß der Besuch des Königs und der Königin hervorragend zeitgemäß und sichtlich erfolgreih gewesen sei, und es bestehe aller Grund zu der Hoffnung, daß der Besuch weitreihende Resultate nüßlichsten Charakters haben werde. Er lönne keine Worte finden, die kräftig genug seien, um seine Bewunderung auszudrücken für die unermüdlihe Energie, mit der der König solhe nüßlihen Aufgaben übernehme. Jeder Besuch habe bestehende Freundschaften befestigt oder neue Freundschaften ges{lossen. In dem gegenwärtigen Falle handele es sich um zwei große Völker, die eng verknüpft seien durch die Bande gemeinsamen Ursprungs und gerneinsamer Charalktereigen- schaften. Es gebe niht zwei Völker, die geeigneter wären, Seite an Seite in der Vorhut des mens{li@en Fortshritts voran- zuschreiten. Es sei daher erfreulih, daß die belden DETGE in diesem besonderen Augenblide die Freundschaft

etont hätten, die nie hätte unterbrohen werden sollen und die, wie der König sagte, dem Weltfrieden diene. Der Staatssekretär der Kolonten Earl of Crewe führte sodann aus, er sei in der Lage, aus persönliher Beobachtung von dex außerordentlihen Herzlichkeit [sprehen zu können, mit der die Majestäten in Berlin empfangen worden feien, Diese Herzlichkeit sei vom Höchsten bis zum Niedrigsten ohne Unterschied der Gesellshaftsklasse oder des Berufs zur Schau getragen worden. Dem Tribut, den der Marquis of Lxnsdowne der Art urd Weise gezollt habe, in welcher der König sh immer willens gezeigt habe, persönlihe Unbequemlichkeiten auf sih zu nehmen, um einen so wichtigen Teil der Hercsch:rpflihten zu erfüllen, möŸte er ih anschließen. Besuche wie dieser, könnten nicht alles bewirken; sie tönnten nicht durch sich selbst beunruhigende internationale Fragen beilegen. Ste könnten dur: sh selbst auch nicht tiefbegründete inter- nationale feindliche Be beseitigen; aber in einem Falle, in dem es sich um Länder wie Deutshland und England handele, in dem keinerlei Grund für irgend etwas wie internationale Animosität vochanden sel, könne ein Besuh dieser Art nichts anderes hervorbringen, als hervorragend Gutes. Er wirke dahin, die ganze Atmosphäre zwischen den beiden Ländern zu verbessern. Soweit er aus persönlicher Kenntnis sprechen könne, könne er nah dem Gedankenaustausch, der in Berlin stattgefunden habe, sagen, daß der Wunsch, den dfe englishe Regierung an den Tag gelegt habe und der, wie er glaube, vom ganzen Lande geteilt werde, auch von denen geteilt werde, welche die Geschicke des großen Deutschen Reichs lenkten. Diesen Wunsch verslehe er so, daß die beiden Völker, ohne Bündnisse oder Verständigungen, zu denen eins von ihnen veipflihtet set, irgend wie aufs Spiel zu seyen, imstande sein sollten, jedes gegenüber dem anderen eine durhaus freundliche Haliung zu beobahten, und daß sie imstande sein follten, jede Gelegenheit zu einträhtizem Zusawmen- wirken zu ergreifen, nicht nur für die Aufrechterhaltung des Welt- friedens, sondern auch zur Förderung der vielen Interessen der beiden Länder, die h nicht einander widerstritten.

Im Unterhause sagte das liberale Mitglied Nogers in der Adreßdebatte, der Ton der Thronrede, . soweit sie von den inter- nationalen Angelegenheiten handle, sei erfüllt von Frieden und gutem Willen. Der Redner kam dann auf den Besuch des Königs und der Königin in Berlin zu sprechen und erklärte, der begeisterte Empfang der Majestäten werde dahin wirken, jedes Mißverständnis und jede falsche Auffassung der gegenseitigen Beweggründe, die auf dieser und jener Seite der Nordsee bestanden habèn mochte, zu beseitkgen, Gr sei überzeugt, daß die überwiegende Mehrheit der beiden Nationen ein aufritiges Verständnis und g-genseitiges gutes Einvernehmen wünsche. Hier- auf erklärte Balfour, er habe den Ausführungen Nog?rs über die auswärtigen Angelegenhei!'en nihts hinzuzufüzen. Bezüglich der auswärtigen Politik habe er hinsich'lich der von ter Regterung oder Sir Edward Grey unternommenen Schritte keinerlei Einwendungen zu machen. Was jedo Persien betreffe, so sei es ihm zweifelhast, ob die demokratishe Konstitution, die unt-r dem gemeinsamen Druck

Rußlands und Englands eingeführt werden folle, alle wierig- keiten in wirtshaft!liher und kommerzieller Hin dckt e werde. Auf die Flottenfrage werde er bei späterer Gelegenheit zurüd- kommen. Der Redner besprah sodann die Finanzpolitik der WMegterun und die Verwaltung der trishen Angelegenheiten. -— L führte der Premierminister Asquith aus, binsichtlich der ntwidcklung der Dinge im nahen Often habe England sein äußerstes getan um eine friedlihe Lösung der Schwierigkeiten zu sichern, die sid erhoben hätten, und er werde in Zukunft das gleiche tun. Er bediene sich nicht einer s{chmeichlerischen und Stn Ausdruckz- weise, wenn er sage, daß kein Mann in Europa an dieser s{wierigen und wohltätigen Aufgabe so beharrlich gearbeitet habe als Sir Edward Grey, und er würde seiner Pfliht nicht gerecht werden, wenn er niht gleichzeitig im Namen der englischen Regierung die staatsmännischen Eigenschaften und die Mäßigung anerkennte, mit der Kiamil Pascha die Verhandlungen der Türkei mit den fremden Nationen während dieser Monate voll Schwterigkeiten und Gefahr geleitet habe. Er hoffe, daß Kiamil Pashas Nahhfolger dessen Politik fortseßzen werde; sie schiene eine solhe zu sein und sei, wie er hoffe, eine solhe, die eine Lösung der ¿wischen der Türkei einerseits und Oesterreich - Ungarn beziehungsweise Bulgarien andererseits \{webenden Fragen gewährleiste dur ein Kompromiß, das für alle Beteiligten ehrenvoll und für die Tiukei selbst nicht nachteilig wäre. Die anderen noch zu [lôsenden Probleme beträfen Serbien, Montenegro und Kreta; sie seien wentger bedenklih, aber sie erforderten nichtsdestoweniger kluge und sympathische Behandlung. Die Uebereinstimmung hinsichtlih des Prinzips einer Einigung zwischen der Türkei und Oesterrei - Ungarn einerseits und zwischen der Türkei und Bulgarien andererseits sei ein gutes Vor- zeichen und habe die Friedensaussihten in jenen Lagern roesentlid herbessert. Die Regierung sei von den Umständen, die während der leßten paar Tage zu einem Wechsel in der Zusammenseßung der Regierung zu Konstantinopel geführt hätten, nicht vollkommen unterrichtet, aber selbs wenn sie es wäre, so würde es doch nicht ihres Amts sein, die Ereignisse dort zu kommentieren. Was die inneren Angelegenheiten des ottomanischen Kaiserreichs anlange, so habe die Regterung nur einen beständigen, bleibenden Wunsch, der von allen Parteien geteilt würde, nämlich die Türkei dur die Reform der Verwaltung so gestärkt und von neuem so gekräftigt zu sehen, daß sie ihre Zukunft auf der Grundlage der Freiheit und Billigkeit zu entfalten vermöge. Welche Ziele die 1ürkishe Regierung auch ver- folgen möge, die Politik dieses guten Willens werde auch weiter- hin die herzlihe Sympathie Großbritanniens für ih haben, das alle Zeit bereit sein werde, ihr bei der Vollendung der \{chwierigen Aufs gabe der Verwaltungsreform jede Hilfe angedeihea zu lassen, die sie wünschen möge und dke zu leisten mögli wäre. Was die politisheLage in Persien anbetreffe, so sei diese außerordentli unbefriedigend. Von Monat zu Monat gehe es dort s{hlechter und schlechter, und es fei keine Aussicht auf Besserung vorhanden, ebe nit der Schah die Versprechen erfülle, die er seinem Volke tn wohl erwogener L gemacht habe. Der Wunsch der britishen Regierung wäre es, fortgeseßt in der Lage zu sein, der Politik der Nichtintervention treu bleiben zu können, aber es wäre unmögli, die Gefahr zu verkennen, die in der Fortseßung der vorhandenen chaotishen Unordnung liege, die eine Einmischung von außen leiht hervorzurufen vermöge. Die britishe Regierung hâtte in Verbindung mit Nußland dem Schah mehr als cinmal an- geraten, seine Versprehungen zu erfüllen. Weiter könnte die britische egierung niht gehen, ohne si felbst in eine sol? direkte Ein- mishung einzulassen, die sie zu vermetden wünshe. Großbritannien werde in keiner Weise an etner Anleihe oder an irgend etner anderen Form der Unterstüßung des Schhahs teilnehmen, folange er an seiner gegenwärtigen unheilvollen Politik festhalte. Die britishe Regierung sei häufiz in Verbindung getreten mit der russischen, deren Interessen in enger und direkter Beziehung ständen mit den britischen, und die Regierung sei froh, Rußlands Ansichten über die Lage in Uebereinstimmung mit den ihrigen zu finden. In Beant- wortung etniger anderer Bemerkungen gab der Minister zu, daß sickch einige Teile Jrlands in beklagenswertem Zustande befänden, aber die Anwendung von Gewalt und Zwang würde keine Hilfe schaffen ; das bestehende Geseß müsse jedo nachdrücklich zur Geltung gebracht werden. Zum Schluß erklärte der Premtierminister, die Finan z- frage müsse den Hauptgrund der Beratung dieser Session bilden. Denderson gab der Freude der Arbeiterpartei über den Berliner Besuch Ausdruck. Wenn zwishen dem König und dem Kaiser so freundlihe Beziehungen aufreht erhalten werden könnten, wie zwischen den Volksparteien beider Länder, dann sei keine Wahrscheinlichkeit vorhanden für die unheilvolle Entwicklung der Dinge, die von ge- wissen Leuten prophezeit worden sei.

Darauf vertagte sich das Haus.

Frankreich.

Im gestrigen Ministerrat hat der Handelsminister Cruppi, „W. T. B.“ zufolge, den Geseßentwurf, betreffend Abänderung der D I Ung, unterzeichnen lassen. Der Minister der öffentlihen Arbeiten Barthou und der l eau Caillaux kamen über den Gesehentwurf, betreffend die Altersversorgung der Eisenbahn- beamten, überein. Darauf eze der Ministerrat die Prüfung der Vorschläge des Marineministers Picard fort.

Nußland.

Der Senat hat gestern nach Erörterung des Berichts des Ministers des Jnnern sein Gutachten in den beiden folgenden Fragen abgegeben: 1) ob der Uebergang aus dem mosaischen in den mohammedanishen Glauben Silâffig sei, und 2) ob die Juden, die zum Mohammedaniämus übertreten, von den gese" mäßigen Rechtsbeshränkungen zu befreien sind. Wie das „W. T. B.“ meldet, wurde die erste Frage vom Senat bejaht, die zweite verneint.

Jn der heutigen Morgensizung hat die Duma, obiger Quelle zufolge, das Agrargeseß in erster Lesung angenommen.

Spanien.

Der König A hat, laut Meldung des „W. T. B.“, auf Wunsch der deutshen und der englishen Regierung das Schiedsrichteramt in der Frage der Begrenzung der Wal fish-Bay übernommen.

Türkei.

Der türkishe Botschafter in London Nifaat-Pascha hat, „W. T. B.“ zufolge, die Berufung zum Minister des Aeußern abgelehnt. Jnfolgedessen hat der Minister der öffent- lichen Arbeiten das Ministerium der E Angelegen- heiten interimistish übernommen. Rifaat-Bey is zum Finanzminister und Essa d zum Katasterdirektor ernannt worden.

Serbien.

Wie „Stampa“ meldet, hat der Finanzau s \chuß gestern beschlossen, die Bewilligung von 11 Millionen Dinars für die HeereS8ausrüstung zu beantragen, da der Finanz minister erklärt hat, daß für diesen Betrag Deckung vor- handen sei.

Amerika.

Das amerikanische Repräsentantenhaus is gestern nah einer Meldung des „W. T. B.“, einen Gese entwurf angenommen, der bestimmt, daß alle amerikanische Häfen be- rührenden Ozeandampfer, die Passagiere an Bor führen, mit Apparaten für drahtlose Telegraphie binnen

resfrist versehen sein müssen. Nichtbefolgung der Vorschrift e vil lwefängnis bis zu einem Jahre und Galdstrate bis 23000 Doll. bestraft. / : :

Der Senat hat in seiner gestrigen Sißung, obiger Quelle zufolge, einen Abänderungsantrag angenommen, der die Große der zwei genehmigten Schlachtschiffe auf 21 000 Tonnen und die Kosten aus\chließlih der Panzerung und Ausrüstung auf 900 000 Pfd. Sterl. für jedes von beiden

ebt. 9 feft Die Senatskommission hat einen Zusaßantrag zur lottenvorlage angenommen, der es in das Ermessen des räsidenten stellt, die Hälfte der Flotte in den pazifishen Ge- wässern zu an Soweit dies tunlich ist, hat der Präsident schon jet die Befugnis, die Flotte zu teilen. Der gusab- antrag bedeutet daher, daß der Rohgrel eine derartige Aktion ausdrücklich befürwortet.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Bericht über die gestrige Sißung des Reichstags und der Schlußbericht über die gestrige Sihung des Hauses der Abgeordneten befinden sih in der Ersten und Zweiten

Beilage.

In der heutigen (33.) Sißung des Hauses der Ab- eordneten, welcher der Minister für Handel und Gewerbe elbrüdck beiwohnte, wurde die erste Beratung der Novelle um Allgemeinen Berggeseß sowie der denselben Gegen- and betreffenden Anträge der Abgg. Dr. Szuman (Pole),

Aronsohn (fr. Volksp.), Jmbusch (Zentr.) und Krause-

Waldenburg (freikons.) fortgeseßt. i

An der Debatte beteiligten sich bis zum Schluß des

Blattes die Abgg. Kapißa (Pole) und Wolff-Lissa

(freis. Vgg.).

Koloniales.

Die Expedition Sapper-Friederici.

Von Dr. Friederici ist ein weiterer Bericht aus Herberts- hóôhe (d. d. 9. November 1908) eingelaufen. Das „Deutsche Kolonialblatt*" entnimmt daraus die nachstehenden Einzelheiten :

„In einigen Tagen werde ich mit der „Langeoog“ nach Neus- Guinea abfahren. Ich möchte daher noch von hier aus einen kurzen Bericht erstatten.

Ich hatte die kleine Dampfpinasse der Neu-SWuineca-Kompagnie eWartert, um in ihr am 28. Okiober nah der Offenen Bai (Neus- P citrerii) zu fahren. Infolge eines Kesseldefekts blieb jedo nichts weiter übrig, als den s{chlechten Kutter „Baltic" zu nehmen. Um nicht zu viel Zeit zu verlieren, {iffte ih mich noch an temselben Abend an Bord des „Baltic* ein. Die Fahrt war höchst unglücklich. Zwar gelang es mir in Massikonajinka, drei ortskundige Führer zu er- langen, aber ich war vier Nächte und dreieinhalb Tage auf diesem Boot unterwegs, ehe ih mein Ziel, Vatu an der Offenen Bat erreichte. Durch die bevorstehende Abfahrt der „Langeoog“ war meine Zeit beshränkt ; meinen Plan, Neu-Pommern zu durchqueren, um auf der anderen Seite Herber18höhe wieder zu erreihen, konnte ich nun nur noch dur{hsühren, wenn ih im Innern einigermaßen

latte Bahn fand. Es stellte sich heraus, daß dies leider nicht der

fal war. Gleich am Morgen nach der Landung bra ih auf, ging urch3 Gebiet der Nakanai in das der Baining und erreichte {ließlich das Palifadendorf des Baininghäuptlings Kambule. Hier waren alle Verkehrs8wege nah Often zu Ende. Weder in Auesicht ge- stellte Bezahlungen noch Geschenke der verlockendsten Art vermochten mir einen Pfad in bie gewünschte Nihtung zu öffnen. Immer hieß die Antwort „boa!“, „ist niht vorhanden"; und immer wieder „boa, boa !“, „gibt es nicht!" Durch persönliche Rekognoszierung überzeugte ih mi, daß die Pfade in der Richtung nah dem Înnern allerdings bald hinter dem Dorf Puluga aufhörten. Das Flußbett des Pale, an dem das Palisadendorf liegt, hätte mich auch nicht nah Osten, sondern offenbar nah Südwesten geführt. Das Innere dieser Gegend bon Neu-Pommern scheint unbewohnt zu sein, die Bainings dieser Gegend haben keinerlei Verkehr nah Osten über die Berge; ihr ge- ringer Verkehr geht nur zur westli®en Küste.

_Ich hatte nur die Wahl, mir einen Weg zu bahnen oder zur Küste zurückzukehren. Infolge meiner begrenzten Zeit und anderer Umstände war ersteres nicht mehr möglih. Durch die unvorhergesehen lange Bootfahrt war mehr Proviant verbrauht worden, als ih ge- rehnet hatte; unterwegs in Massawa gekauster Taro erwies \ich zur Hälfte als unbrauhbar. Die Gouvernementsträger, Polizcifsolvaten ohne Gewehr, waren anspruchsvoll und minderwertig, Jch mußte damit rechnen, mir 4 bis 5 Tage lang einen Pfad zu eröffnen, um dann am Henry NRetid-Fluß auf eine menschenleere Küste zu treffen. Alle diese Erwägungen bestimmten mich, auf einem anderen Wege zur Küste zurückzukehren. Ich besuhte die Nakanat-Pläte Nessai und Tongan, um mih dann auf dem zur Vorsicht noh ¡wei Tage an der Küste festgehaltenen „Baltic* wieder einzuschiffen. Wieder hatte ih vier Nähte und dreieinhalb Tage im Regen und im Sonnenschein auf d,m Deck dieses Segelbootes zuzubringen, ehe

Herbertshöhe erreite.

Wenn ih somit meinen Hauplplan nicht habe durchführen können, jo war doch diese Expedition geographi!ch nicht ohne Wert und ethnologisch hochinteressant. Die yon mir dur{streifte Gegend ift aufgenommen worden; auch sonst konnten einige kleine Beiträge zum rihtigen Kartenbild der Gzzellehalbinsel geliefert werden.

Die drei yon mir besuhten Nakanai-Dörfer Vatu, Nessai und Tongan sind die einzigen, die in dieser ganzen Gegend noch bestehen. Die Bainings im Pad sind so wenig von der europäischen

ultur berührt, daß sie zum maßlosen Erstaunen meiner Leute nicht einmal das „Kleingeld“ der Kolonie, Tabak, kannten. Als ih dem Häuptling einer im Walde überraschten Bande zur Begrüßung und Veruhigung eine Stange Tabak hinreihte, wih er entfeßt zurüdck, als reichte ich ihm einen vergifteten Dolh. Einige blaue Glasperlen N W mgen europäischen Kulturgüter, die bisher zu diesen Leuten

elan nd.

Áls das Palisadendorf Puluga in Sicht kam, trat die gleiche Erscheinung ein, die ih auch beim Zusammentreffen mit der eben ge- naunten Bainingbande und auch früher bei anderen Gelegenheiten beobachten konnte: die auf dem engen Pfade vor mir befindlichen Führer (Dolmetscher und Soldaten zu threr Bewachung) wichen unter einem Vorwande zurück und ließen mi an der Spitze. Diesmal hatte ih noch meinen braven Ragettamann Don den einigen Menschen,

der neben meinem Diener Gallas von Anfang an alles mitgemacht hat mit dem Taubengewehr vor mir. Aber das Tor des Palisaden- dorfes war so niedrig und s{chmal, daß er erst seinen Rucksack ablegen mußte, um passieren zu können. Inzwischen schlüpfte ih hinein. Erst als ih drin war, bemerkte ih, daß eine Art Bastion über mir dicht mit bewaffneten Männern beseßt war. Sie führten 3 m lange Lanzen und Schleudern und hatten oben 200 bis 300 Schleudersteine sowie etwas Proviant und Feuerholz angesammelt. Jch ließ sie freundlichst ersuchen, herunter zu kommen, was sie auch ohne weiteres taten.

Lie Bainings waren an diesem Tage in drei Banden geteilt : die eine unter dem alten Biupting traf ih, wie erwähnt, im Walde ind brachte sie nun zum Teil mit. Eine weite bewahte das

alisadendorf mit den Weibern und Kindern. Die dritte unter dem

uptling Kambule selbst kam am Nachmittag von einem Streifzug

zurück. Meine Leute bemerkten ihren Anmarsh erft, als fie {on dicht vor dem Tor waren, und auch die anrückenden Bainings ent- deckten erst jeßt, daß ihre Festun von Fremden beseßt war. Einen Augenblick herrschte allgemeine Aufregung. Der Ruf „Kambule! Kambule!* ersholl, die innerhalb um ein Feuer hockenden Bainings sprangen auf ihre e daß es nur so klatshte, die Bainings außer- halb rissen aus, verfolgt von einigen meiner Leute. Nur Kambule E und einer seiner Leute waren nicht gen onen, Mit einem halb ängsllihen, halb stolzen Zug im Gesicht und mit zwei riesigen Lanzen, jede zweimal so lang als er selbst, auf der Schulter, zog der kleine Mann in die Festung ein. Ich habe 91 Bainings anifiropoloai@ gemefsen, Kambule ist der kleinste von allen; er ist nur 14415 mm hoch. Er sieht aus wie ein Kind.

Diese Leute sind somatish und ihrem Kulturbesiß nah zweifellos Bainings und werden au von Nakanai und Kanakern der Gazelle- halbinsel so genannt. Ihre Sprache aber unterscheidet sich, or ih wahrnehmen konnte, wesentlich von den anderen beiden mir bekannten Bainingdialekten.

Auf Neu-Pommern zu forschen, müßte ein Vergnügen sein; der Unterschied zwishen thm und Neu-Mecklen burg erscheint dem Ethnologen wie Tag und Naht. Dank der Tätigkeit eines fähigen und energischen Mannes, Boluminski, marshiert man dur ganz Neu-Mecklenburg, besonders im nördlichen, mit größerer Sicherheit, {läft dort ohne Wache und bei offenen Türen mit größerem Ver- trauen, als im Berliner Tiergarten. In Neu-Pommern aber ift anderthalb Tagemärsche von Herbertshöhe entfernt alles unbekannt, alles Wildnis. Dabei halte ih es gar nicht für E, in Neu- Pommern zu forschen. Man muß nur ein ganz klein wenig militä- N organisieren, Eingeborene und Untergebene ein wenig behandeln

nnen. _ Die Fahrt durch acht Näthte und sieben Tage auf einem kleinen Seegelboot, zusammen mit 25 Schwarzen, unter freiem Himmel, bet Regen und bei Sonnenschein, war wenig erfreulih. Aber ih bin daran gewöhnt und habe mir die durch das enge Zusammenwohnen mit den Eingeborenen gebotene gute Gelegenheit zum Beobahten nicht entgehen lassen.“

Einem gleichzeitigen Privatbrief zufolge wird Dr. Friederici im März wieder in Deutschland eintreffen.

VBautwwvesen.

Im Architektenverein in Berlin sprach in der ersten Februar- sibung der Professor Dr. Eberstadt, Dozent an der Königlichen Friedri} Wilhelm - Universität, über „neuzeitlihe Anfor- derungen an Bebauungsplan und Bauordnung“. Der Nedner verwies zunähft auf die Bodenparzellierung und die Bau- formen in England. Die englischen Wohnverhältnifse sind, wie Eber- stadt einleitend hervorhebt, aufge zum Teil bis zur Uebersättigung, ge\childert worden. Aber diese Schilderungen beziehen stch auf die äußere Erscheinung des Wohnungéwesens; es gilt demgegen- über die inneren Ursahen zu betrachten, die für die Entwicklung der Wohnverhältnisse bestimmenb sind. Der Ausgangs- punkt ist für beide Völker, Deutshland und England, in der Gegenwart der gleiche gewesen; wenn trogdem die tatsächlihe Ge- staltung völlig verschieden geworden ist, so liegt dies daran, daß auf den grundlegenden Gebteten des Bebauungsplans, der Bauordnung und des Realkredits England Einrichtungen ge|chaffen hat, die denen Deutschlands vollständig entgegengeseßt find. Für die neuzeitliche Stadtanlage sind als wesenilihe Grundzüge im Gegensaß zu dem älteren Städtebau zu bezeihnen: 1) entsheidende Bedeutung der Außenbezirke; 2) Notwendigkeit der Schaffung reiner Wohnstadtteile ; 3) überwiegende Bedeutung der Kleinwohnung, Nah der

inkommenstatistik für Preußen von 1907 verlangen nit weniger als 921/; 0%/, sämtliher städtishen Ginwohner die Kleinwohnung oder die kleine Mittelwohnung in Preislagen von 150—300 und 400—500 #. Eberstadt behandelte demgemäß besonders ausführlih die Anlage von Wohnstraßen, für die verschiedene, zum Teil sehr reizvolle Lösungen vorgeführt wurden. Im Anschluß hieran wurden die verschiedenen Hausformen von der Mietskaserne bis zum Einfamilienhaus besprohen. Die Ursache für die heutigen Zustände erblickt Eberstadt in den entscheidenden Ver- waltungseinrichtungen auf dem Gebtete des Städtebaues. Er verwirft die Jagd nah fremden Vorbildern. Unsere Aufgabe gehe vielmehr dahin, die Einrichtungen des Bauwesens und des Realkredits, die in den 70er Jahren geschaffen wurden, den Anforderungen der Gegenwart gemäß zu reformieren.

Land- und Forftwirtschaft.

XXXVI]I. Plenarversammlung des Deutschen Lands wirtschaftsrats.

Im Gebäude des Brandenburgischen Provinziallandtags trat gestern der Deutsche Landwirtschaftsrat zu seiner 37. Hauptversammlung zusammen. Der Präsident, Graf von Shwerin-Löwtt, begrüßte die zur Teilnahme an den Verhandlungen erschienenen zahlreichen Ver- tretecder Reichsregierung und der Regierungen der deutschen Einzelstaaten, worauf der Staatssekretär des Innern, Vizepräsident tes preußischen Staatsministeriums Dr. von Bethmann Hollweg im Namen des Retchskanzlers den Landwirtsckaftsrat begrüßte und versicherte, daß die Neichsregterung den sachverständigen Arbeiten des Deutschen Land- wirtshaftsrats mit lebhafter Aufmerksamkeit folge und seinen Bes ratungen einen gedeihlihen Verlauf zum Besten der deutschen Land- wirts{chaft wünsche.

Nah Erledigung geschäftliter Angelegenheiten erstattete der Landrat von Groote - Nheinbah ein Referat über den Entwurf eines Weingesezes. Auf seinen Antrag faßte der Landwirtschaftsrat nach kurzer Diskussion folgenden Beschluß :

„Der Deutsche Landwirtschaftsrat empfiehlt den baldigen Erlaß eines Weingeseßes in der von der Kommission des Reichstags be- \{lossenen Fassung. Er befürwortet ferner die Annahme der von der Kommission PorgeiGLagenen Resolutionen: Der Reichstag wolle be- \chließen, die verbündeten Regierungen zu ersuchen, 1) bei Au bung der Grundsäge für den Vollzug des neuen Weingeseßzes zur besseren Kontrolle bestimmte Einfuhrstationen für Weine, Trauben und Traubenmaishe zu benennen und die Vorlage amtliher Bescheint- gungen über Herkunft und Reinheit der Weine p verlangen; 2) a. bei neu abzus{hließenden Handelsverträgen sowie bet Ablauf der jeßt bestehenden S e die Vergünstigung für ausländische RNotweine zum Zwecke -des Verschnitts niht mehr zu gewähren, b. tunlihst bald den Entwurf eines Neichsgesezes vorzulegen, welhes den Vershnitt von Weißwein mit Rotwein zum Zwecke der Her- stellung von Notwein und den Vertrieb dieses Weines verbietet. * Alsdann berihtete der Domänenrat Rettih-Nostok über die Tätigkeit des Ausschuffes für Le, insbesondere über die Feststellung der Gebräuche im Futtermittelhandel. Es wurde der nachstehende von ihm gestellte Antrag einstimmig ange- nommen :

„Die 37. Plenarversammlung des Deutschen Landwirtschaftsrats erklärt ihr Einverständnis mit der Feststellung der Bedingungen hr den Verkehr mit Handelsfuttermitteln durch den Aus- Guß für Handelsgebräuche in seiner Sißung am 17. und 18. De- zember 1908 und beschließt, die Bedingungen allen landwirtschaftlihen Körperschaften mit der Bitte zu überrreihen, durch den Abdruck der- selben in den landwirtshaftlihen Blättern alle Landwirte und land- wirtschaftlichen Vereinigungen auf dieselben hinzuwelsen,*“

Ein Bericht von Professor Dr. von M LAALL anien betraf die Mißstände im Düngemtttelhandel (Kalisalze, Sal- peter, Superphosphate). Auf dessen Antrag wurde folgender Beschluß gefaßt :

„Der Deutsche Landwirtschaftsrat erachtet die Beseitigung der im Bericht besprochenen Mißstände im Handel mit Düngemitteln für

geboten und ersucht die landwirtshaftlichßen Vertretungen, im Sinne der dort gegebenen Anregungen zu wirken und ih insbesondere auch die Mitwirkung der Sen alies und Einkaufsoereinigungen zu sichern, mit denen sie in Beziehung stehen.“

Darauf trat der Landwirt shastsrat in eine Erörterung des Ge- seßentwurfs über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen ein, über den der Oberlandesgerihtsrat Schneider - Stettin referierte. Nachstehender von thm gestellter Antrag wurde einstimmig angenommen : „Der Deutsche Landwirtschaftsrat beschließt zu dem Gesezentwurfe, betreffend den Verkehr mit Kraftfahrzeugen: 1) Es ist mindestens zu [arder daß bei den nicht auf eine bestimmte Geschwindigkeit be- chränkten Kraftfahrzeugen G 2 Nr. 2) die Gefahr der zufälligen Schadensstiftung von dem Halter des Kraftfahrzeuges getragen und daß dabei auch der Fay des Shadens nicht, wie nah § 6, begrenzt wird. 2) Es ift, wie früher schon vom Deutschen Land- wirtschaftsrat, die Bildung einer Zwangsgenossenschaft (unter Ginbeziehung ausländischer Fahrer durch Sicherheitshinterlegung bet Erteiluny der „Fahrerlaubnis“ à 14 ff.) als dringend wünshens- wert zu erahten, und zwar mindestens für die unter 1 bezeichneten Kraftfahrzeuge.“

Nach einem Berit von Professor Dr. Kellner-Möckern übex die Ergebnisse dey vom Reichsamt des Innern unter- stüßten Fütterungsversuhe mit Trockenkartoffeln be- gründete der ODberlandetgerihtsrat Schneider-Stettin zum Ent- wurf eines Ge seßes gegen den unlauteren Wettbewerb A Antrag, der einstimmig angenommen wurde und, wie folgt, autet:

«Der Deutsche Landwirtschaftsrat beschließt: Die Neuerungen, die in der Novelle zum a Ee gegen den unlauteren Wettbewerb vorgeshlagen werden, nd au im Interesse der Landwirtschaft willkommen zu heißen. Eine Klar- stellung oder Erweiterung würde zu § 1 Abs. 1, §5 Abs. 2, § 10 Abs. 1 und § 13 Abs. 1 wünschenswert sein: a. zu 8&1 die Einfügung der Worte „au landwirtschaftliher* in der Worktfolge „von Verbänden zur Förderung gewerbliher Interessen“, also wie im §4 Abs. 3; b. zu § 5 die Einfügung der Worte „oder den Bestand einer Konkursmasse ausmachen" hinter den Worten „noch zum Bestande einer Konkursmasse gehören“; c. zu §8 1 die Einfügung der Worte „(insbesondere ihrer Bestandteile)® als Zusaß zu dem Worte „Beschaffenheit“; 4. zu § 13 eine Fassung: zu finden, dur die au die niht unmittelbar im gewerblichen Leben stehenden Unternehmungen, wie die „öffentlihen Sparkassen“, ewirt\shaftlihe Frauenshulen auf dem Lande" usw., mit- gelchögt werden.“

en lezten Gegenstand der Tagesordnung für die gestrige Sißung bildete die Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf, betreffend Aenderungen des Gerichtsverfassungsgeseßes, der Zivil- prozeßordnung, des Gerihtskostengesezes und der Ges bührenordnung für Nehtsanwälte, über den gleihfalls Ober- landesgeri{htsrat Schneider refecierte. Auf seinen Antrag wurde folgender Beschluß gefaßt:

«Der Deutsche Landwirtschaftsrat erklärt, in allen Punkten an seinem Beschlusse von 1908 festzuhalten, glaubt aber die Aufmerksam- reit der leitenden Stellen noch besonders auf die Uebelstände lenken zu sollen, die das Armenrehtswesen für die Beteiligten, die Gerichte und die Anwaltschaft mit sich bringt.“ Der aufre§terhaltene Beschluß der Plenarversammlung von 1908 lautet, wie folgt:

„Der Deutsche Landwirtschaftsrat beschließt: Der vom Reich3- juftizamt ausgearbeitete Entwurf einer Novelle zur Zivilprozeßordnung wird in setnen Grundzügen gebilligt. YJedoch erscheint es dringend wünshentwert, daß eine besondere Amts- gerichtsordnung ausgearbeitet werde, und daß außerdem bei der Umgestaltung des Zivilprozeßgeseßes die in früheren Ver- handlungen des Deutschen Landwirtshaftsrats und seines Auss{hufses geäußerten Vorschläge, betreffend Beseitigung der Eides- zushiebung und deren Grsaß dur eidlihe Parteivernehmung, eine fakultative Mündli keit wie im preußishen Verwaltungsgerichts- verfahren, die Teilnahme von Laienrichtern än der Zivil- gerichtsbarkeit allgemein in gewissen Streitsaen oder auch in diesen nur auf besonderen Parteiantrag —, endlih eine freiere Stellung der Gerihie bei der Beweiserhaltung, etwa nah dem Vorbilde des § 12 im Reichsgeseye über die freiwillige Gerichtobarkeii, eine genügende Berücksichtigung finden.“

Getreidehandel in Genua während der Monate November und Dezember 1908.

Weichwetzen: Anfang November beunruhigten Nachrichten über starke Frôöste in Argentinien den Weltmarkt. Die Lieferanten von neuem Plataweizen ¡ogen \ich al Delen gänzlich vom Markte zurück, bis sih die Berichte über die Frostshäden als übertrieben herausftellten. Gleihwohl versuhten die Verkäufer von Weich- weizen aller Art höhere Preise zu erlangzn, stießen aber bei den Abnehmern allgemein auf Widerstand, da diese ih weigerten, für Plataweizen 21,50 und für Donau- weizen 21,75—22 Fr. zu zahlen. Die Preise gingen dann auh langsam zurück und hielten sich bis Ende Dezember auf der im Oktober erreihten Höhe. ie einheimishen Weihweizen gingen im Preise zurück. Die Umsäße waren jedoch gering, da man abwarten wollte, welche Stellung die italienische Regierung den Anträgen auf Herab- seßung des Weizenzolls gegenüber einnehmen würde. Als sie dann Anfang Dezember in der Abgeordnetenkammer ihre ablehnende Haltung zu erkennen gab, gingen die Preise merklich in die Höhe und werden voraussihtlich noch weiter steigen. Dies hatte eine Belebung des Geschäfts in ausländishen Weich- weizen zur Folge. Im Vordergrunde stand die argentinishe Ware, jedoch fanden auch Weizen aus den Donauländern und Südrußland namentlich nah Oberitalien lebhaften Absay. Süditalien, das jeßt seinen Bedarf aus den früher gekauften Weihweizen der nord- amerikanishen Pacificküste deckt, bezog sowobl im November als auch im Dezember auch Weizen deutshen Ursprungs zum Preise von 20,50—21,25 Fr. cif Neapel.

Hartweizen: Mit Schluß der Azowschiffahrt, die verhältnis- mäßig früher eintrat, rehnete man auf eine FeUe der Preise, Diese trat jedoch nicht ein, da man namentlich in Süditalien noch hinreihend mit Hartweizen versehen war, und überall starke Ankünfte von nordamerikanisher Ware zu verzeichnen war.

Mais sowohl im November als auch Dezember, namentli bet nahen Verladungen behauptet.

f aide war troy der billigen Preise der Auslandware fast um- aßlos. |

Gnde Dezember 1908 bis Anfang Januar 1909 stellten sich die Preise für 100 kg cif Genua, wie olgt:

Ghirca Ulka Nicolaiew 21/,—21,50 Fr., Plataweihweizen 20,50—205/, Fr., Donauweichweizen 21*/z—21,50 Fr., Ulka Taganrog 213/;—21,50 Fr., italtenisher Weihweizen lombardisher Mittel- qualität 29——29,25 Lire franko Mailand, Noworossisk Hartwetzen 22,25 Fr., Makkaroni Durum I 21/; Fr., Mais (Donau) 14,25 bis 15,75 Fr, Mais (Plata) 13,50—14,25 Fr., Mais (Inlandware) 17,50—20,75 Lire franko Mailand, Hafer 12,75 Fr., Hafer (Inland« ware) 18—19,50 Lire franko Mailand.

An Getreide waren in Genua vorhanden:

am 31. X.08 830. XI. 08 31. XII. 08

Weichweizen . 5 000 19 000 20 000 ds riweizen . , 16000 13 000 6000 , E. e O 24 000 14 000 Hafer . 24 000 25 000 18000 „.

Na Savona wurden eingeführt im November 441,3 & und im Dezember 155,6 t Hafer, wovon Ende Dezember 100 t auf Lager blieben. Der Preis stellte sich auf 18—19,50 Lire. (Bericht des Kaiserlihen Generalkonsulats in Genua.)

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