Met, 24. September. (W. T. B.) Der Goes und der Erbgroßherzog von Baden wohnten heute dem Corpsmanöver der 30. und 33. Division bei, welhes in dem Terrain zwischen der deutschen und französishen Nied stattfand. Die Rüdckreise des Großherzogs und des Erbgroß- gergogs nach Karlsruhe erfolgt morgen Mittag von der Station emilly aus. :
Oesterreich-Ungarn. Pest, 24. September. (W. T. B.) Jm 4. Bezirk wurde heute Baron FJvors Kaas (ge- mäßigte Opposition) mit einer Mehrheit von 66 Stimmen gegen den Kandidaten der Liberalen, Steiger, zum Ab- geordneten gewählt.!
Großbritannienund Jrland. London, 22. September. (A. C.) Die konsequente und energische Haltung der Re- gierung scheint in Jrland doh ihre Früchte zu tragen. Einer der Hauptpächter der O'Grady' schen 6 ; town, - welher nah Annahme des Feldzugsplans aus seiner Stelle ausgewiesen worden war, hat jeßt seine rückständigen Pachtzinsen bezahlt und seine frühere Farm wieder über- nommen. Die anderen Farmer sind so entrüstet, daß sie den Abtrünnigen boycotten wollen. :
Jn Portsmouth lief am 20. d. M. der neugebaut!e Kreuzer zweiter Klasse „Melpomene“ vom Stapel. Das Schiff hat eine Doppelschraube, ist 265 Fuß lang, 42 Fuß breit und besigt eine Deplacement von 2950 t.
Aus Si ikkim liegt folgendes Telegramm vor:
Gnatong, 21. September. Unter dem Befehl des Maiors Keith wurde bcute cine Recognoscirung in Masse gemaht. Die Abtheilung batte 2 Kanonen rnd vertrieb die Thibetaner vom Eingang des Aeclapa -Passes. Der Feind hatte 12 Kanonen. Die Thibetarer verloren eiwa 20 Mann, während die Engländer keine Verluste hatten.
Frankreihch. Paris, 24. September. (W. T. B.) Der Berichterstatter der Budgetkommission für das Kriegsbudget, Mérillon, konferirte heute mit dem Kriegs-Minister de Freycinet und sprah demselben gegenüber die Hoffnung aus, daß er im Einvernehmen mit dem Minister die neuen Ersparnisse beim Kriegsbudget werde verwirklichen können. Dem Vernehmen nach wäre de Freycinet indeß entschlossen, in keinerlei neue Reduktion des Kriegs- budgets zu willigen.
Nußf;land und Polen. St. Petersburg, 24. September. (W. T. B.) Nach einer Meldung aus Kasan hat das Kriegsgeriht 17 zum Tchuwaschenstamme gehörige Bauern, die sih bei dem Streit zweier Nachbardörfer um das Eigenthum an einem Grundstückskomplex der Polizei widerseßt hatten, wegen Widerstands gegen die Polizeigewalt h eden Tödtung von 3 Polizeibeamten zum Tode ver- urtheilt. i
Niederlande. Luxemburg, 24. September. (W. T. B.) Das Demissions8gesuh des Präsidenten ver Regierung, Staats-Ministers Thilges, ist argenommen und an seiner Statt der bisherige General-Direktor der Justiz, P. Eyschen, zum Präsidenten der Regierung ernannt worden.
Rumänien. Bukarest, 25. September. (W. T. B.) Das amilihe Blatt veröffentliht einen von sämmtlichen Ministern unterzeihneten Aufruf an die Wähler, in welchem das Programm der Regierung auseinandergeseßt wird. S Sa A Gr C IERG T T T T
Asien. Afghanistan. (A. C.) Jn Kalkutta sind vom 13. September datirte Schreiben des Emirs ein- gegangen, nah denen sich derselbe von dem Gichtanfall, an dem er kürzlih litt, erholt hat und ih guter Gesundheit erfreut.
Afrika. Egypten. Aus Alexandria telegraphirt
der Korrespondent der „Morning Post“ unterm 20. d. M:.: Der niedrige Stand des Nil erregt fortgeseßt die
“ernstesten Befürhtungen. Heute früh präsidirte der Khedive
einem Ministerrath, der längere Zeit über die dur den A bes Flusses geschaffene finanzielle und soziale Lage erieth.
Aus Kairo liegen folgende Telegramme des „Reuter- schen Bureaus“ über die Lage in Suakim vor:
Kairo, 22, September. In Suakim haken die Dinge cinen ziemlich bedrohlicen Ckbaraktcr angerommen. Die Rebellen unter- halten nit nur ein Fcuer auf die Forts und die Stadt, sondern haben auc) Laufgräben gezogen, welche die Straße von der Stadt nah dem Brunnen beher:s{cn. Mehrere Soldaten und Eingeborene wurden beim Wasserholen von den Rebellen, welde zwei Kanonen besitzen, getödtet und verwundet. Der Admiral ift ersucht worden, ein zweites Kanorenboot zu senden. Es ist dieses allerdings schr nöthig. Ein egyptishes Batailleon wird wahrscheinlich alébald nach Suakim abrücken. Die Menge des durch Kontensation erhaltenen Wassers genügt kaum dem Bedürfniß.
Kairo, 23. September. Die Lage wird ernster, Die Rebellen, welche sich seit drei Tagen in einer Entfernung von 900 Yards von den Wasserforts verschanzt haben, verstärken ihre Stellung immer mehr, troß des starken Feuers, weldes von der Schaluppe „Gannet“ und den Forts gegen sie unterhalten wurde. Gestern warfen die Re- bellen zwei Granaten in die Stadt. Zum Glück explodirten dieselben aber niht, Während der leßten Nacht traf eine andere Granate ten Raketen-Apparat cincs der Wasserforts. Die Gefabr der Lage Suakims besteht darin, daß die Rebellen die besten und größten Brunnen be- berrschen. Das Wasser von den im Innern der Stadt gelegenen Brunnen i} ungenicßbar, und das dur Kondensation gewonnene genügt nur für die Truppen. Der Verlust der Engländer beträgt bis jeßt 6 Verwundete. Der Verlust des Feindes ist unbekannt, wahrscheinli aber bedeutend. Unter den Europäern in der Stadt herrscht be- deutende Besorgniß, die Militärbehörden glauben jedoch niht an Ge- fahr. Ein Ueberläufer sagte aus, daß die Rebellen die Garnison erst durch Wassermangel s{wächen und sie dann angreifen wollen. Nach seinem Bericht stehen ror Suakim §00 Mann Infanterie und 200 Mann Kavallerie. In Handub liegt die gleie Zahl. Diese An- gaben werden durch Rekognoszirungen bestätigt. Ein britisches Kanonenboot und ein egyptishes Bataillon werden binnen Kurzem hier erwartet. Wahrscheinlich wird au ein Schiff mit Konden- fationéapparaten hier eintreffen. Außerdem is ein italienisches Kanonenboot von Massovah abgesegelt, um der Garnison in Suakim zu Hülfe zu kommen.
Unter dem 24. d. wird dem „R. B.“ aus Kairo gemeldet, daß das englishe Kanonenboot „Racer“ mit einem andern Schiff unverzüglih nah Suakim absegeln werde. Ein egyptisches Bataillon werde sih ebenfalls dorthin begeben, um die Garnison zu verstärken.
üter bei Herberts- |
HZeitungsstimmen.
Hi der Reise Sr. Majestät des Kaisers nah Süd- deutshland und an die verbündeten Höfe von Wien und Rom schreibt die „Leipziger Zeitung“:
Bercits \teht ganz Europa unter dem Eindruck dieses Ereig-
4 nisses, vor dessen Bedeutung alle anderen aktuellen Fragen weit in
den ner ues treten. E
aß der Kaiser in Süddeutschland des wärmsten Empfangs icher sein kann, darüber besteht wohl nirgends ein Zweifel. Zwar ist in leßter Zeit Manches geschehen, was sich nur aus der Absicht er- klären läßt, das Vertrauen unseres Volks auf die Festigkeit unserer nationalen Institutionen zu ershüttern. Aber einen nahhaltig schäd- lihen Einfluß fürhten wir davon niht. Die Tage liegen uns noh zu nahe, in denen die Nation die beruhigende Gewißheit erhalten hat, daß seine Geschicke unter dem Schuß von Kaiser und Reich, wie er sich in streng geshichtliher Entwickelung aus Blut und Krieg heraus gebildet hat, gut aufgehoben sind, als daß es sie gelüsten sollte, dur neue gewagte Experimente das Errungene in Frage zu stellen.
Daß Kaiser Wilhelm das Vertrauen der verbündeten deutschen A besißt, tas hat \ich bei Eelegenheit der leßten feierlihen
eibstagseröffnung in erhebender Weise bekundet. Und er ist gewiß der Leßte, der den Antheil untershäßen möchte, welchen der so glück- lihe Wurf mit einer Verfassung, die Jedem, den einzelnen Gliedern wie dem Ganzen giebt, was er zu seinem Gedeihen bedarf, daran ge- habt hat. Nur böser Wille oder Unkenntniß kann ibn in Zusammen- hang mit den Vorgängen bringen, welche durhaus ben Schein er- wecken sollen, als wenn das Reich zu seiner Stüge neuer fundamentaler Aenderungen bedürfe. ;
Für den Fremden mögen unsere Bundeseinribtungen manches Wunderlihe haben. Im Einzelnen, so was die Organisation der verschiedenen Behörden betrifft, mag ja auch im Laufe der Zeiten Dieses und Jenes geändert werden, Im Großen und Ganzen ist jedoch die Neigung, an dem Bestehenden zu rühren, eire außerordent- lih geringe, und wenn wir uns nit irren, so wird gerade der Umstand, daß neuerdings der Schleier, welcher bisher über der Entstehungs- geshihte des neuen Deutschen Reiches lagerte. ctwas gelüftet ist, cc- heblich dazu beitragen, in allen aufrihtigen Freunden des Reiches die Scheu vor prinzipiellen Neuerungen noch zu vermehren.
Es geht dabei nie ohne Verleßung zahlreiher Gefühle und Ge- wohnheiten ab, und anstatt die Ecinnerung daran wahzurufen und uns darüber aufzuhalten, wie in dem einen oder anderen Fall Dieses oder Jenes noch besser hätte gemaht werden können, sollten wir unsere ganze Kraft auf die Ausnußzung des Gegebenen zum Besten der Nation verlegen. Viel ist in der Richtung ja bereits geschehen, aber viel bleibt noch zu thun übrig ; und was man immer der Reichs- verfassung vorwerfen will, daß sie tem Schaffensdrange der Nation allzu wenig Spielraum gewähre, werden auch ihre unversöbnlihsten Gegner nicht zu behaupten wagen.
Es war, wie gesagt. kein guter Gedanke, derartige Fragen gerade jeßt am Vorabend der Reise Kaiser Wilhelm's nah Süddeutschland unter das Volk zu werfen. Da es einmal geschehen ist, soll aber auch konstatirt werden, daß, abgesehen von einigen beruf8mäßigen Hezcrn. unser Volk keinerlei O zeigt, sih in dem Vertrauen zu seinen Leitern und zu der Dauerhaftigkeit seiner nationalen Ein- richtungen durch theoretische Bedenken und geshihtlihe Rückblicke beirren zu lassen.
__ Der Begeisterung, mit welcher Shwaben und Bayern sih zum würdigen Empfang Kaiser Wilhelms rüsten, wird es keinen Eintrag thun, daß gewisse Berliner Blätter sich über die längst abgethane Frage der Einseßung eines kollegialishen Reichs-Ministeriums wieder einmal die Köpfe zerbrechen.
g O denselben Gegenstand äußert die „Kölnische eitung“:
Das alte deutsche Kaiserthum ist nie dazu gekommen, eine ruhig strahlende Wärme übex die deutschen „Lande auszubreiten, sondern es hat in inneren und äußeren Kämpfen seine Kraft nußlos verzehrt und ist {ließlich an Entkräftung jämmerlih zu Grunde gegangen. Zwei Krankheitserreger sind es insbesondere, welche in dieser langen Leidensgeshihte \charf und bestimmend hervortreten, Innetrlich bedrohte und \{chwähte der Freiheitsbegriff, wie ihn das Mittel- alter verstand, fort und fort die Herrschergewalt des Kaiserthums und nach außen \{weifte diess selbe schwachfundirte Kaiserthum phantastisch ins Weite und rang in endlosen Anstrengungen dem unerreid;baren Ideal der ristlihen Weltmonarchie, der weltlichen Statibalterschaft Christi auf Erden nah. Jeder weltlihe und geiîst- lihe Fürst, jede städtishe Gemeinde suchte bei jeder Gelegenheit Sonderre{te und - Sonderf1eiheiten für \ih herauszuschlagen und nit selten diente die Vertheidigung der angeblih bedrohten Religion und Kirche als Decckmantel für selbstsüchtige Bestrebungen. Die Kaiser aber seßten ihre ganze Manneskraft und Begabung an die Eroberung und Behauptung Italiens und immer wiedec stiegen deutsche Heerhaufen über die Alpen in die {hon so oft mit deutschem Herzblut gedüngten Tiefebenen hinab. So blühte denn die mittel- aiterlihe Freiheit gar herrlich und üppig empor, jeder Duodez- fürst wußte einen Feßen von dem Kaiserlihen Purpurmantel an sich zu reißen, Deutschland aber wurde in langen Jahrhunderten der Schmach dos Schlachtfeld der Nationen und verkümmerte geistig wie politis und wirthschaftlich. Noch einmal aber hat eine ungeahnte Gunst des Schicksals dem dcutshen Volk die Gelegenheit geboten, scine politishe Befäbigung oder Unfähigkeit zu beweisen, und diesmal scheint das deutshe Volk die Probe besser bestehen zu wollen, Wohl giebt es auch im neuen deutschen Reich gesallene Engel und verkommene JIdealisten, welche so lange nah „Freiheit“ schreien werden, bis das Deutsche Reich an eitel Freiheit gestorben ist, wohl iebt es auch jeßt wieder kluge Männer, welche von der bedrohten eligion predigen und den Welfenthron in Hannover meinen, aber im Uebrigen zeigt doch das deutsche Kaiserthum innerlih und äußerlich eine gesundere Struklur. Es braucht nicht erst in endlosem auf- reibenden Kampf mit troßzigen Vasallen cinen haltbaren und dauer- verheißenden Ausgleih zwishen Reichsgewalt und Fürstenmacht her- zustellen und es fühlt andererseits nit den Beruf in sid, den Schul- meister der Welt zu spielen. Die große Europafahrt, zu welcher Kaiser Wilhelm rüstet, ist trefflih geeignet, diese doppelseitige A für die Vermeidung alter deutscher Fehler ins hellste Licht zu seten.
Sa einer Stunde edelsten nationalen Aufshwungs wurde die neue deutsche Kaise:krone aus dem Staub und Pulverdampf fran- zösisher Schlachtfelder emporgehoben, und in der Brust der deutschen Sürsten blieb von jener Stunde keine verbitternde Erinnerung an irgendwelwe Gewaltmittel zurück. Die Reichsgewalt hat Maqcht- mittel genug, um das junge nationale Leben gegen irnere und äußere Stürme zu shirmen, die Fürsten aber haben von ihrer Selbständigkeit niht mehr als nöthig auf dem Altar des Vater- landes geopfert. Dennoch war in jenen trüben Tagen, als der Todesengel seine dunkelen Fittihe um das Haupt des ersten Deutschen Kaisers ausbreitete, im Auslande vielfah der Irrglaube verbreitet, die deutshen Fürsten würden dem nafolgenden Kaiser minder willig Heerfolge leisten, und in Frankreih zumal suchte man das verglim- mende Revanchefeuer mit diesem Wahne zu nähren. Aber obschon au ein zweiter Deutscher Kaiser, auf dessen herrliche und liebens- würdige Persönlichkeit das deutshe Volk die \{chönsten Hoffnungen geseßt hatte, ins Grab sank, ehe er sich noch recht vom Kronprinzen geistig in den Kaiser hatte verwandeln können, erwiesen sich diese Träume als Schäume. Es war eine imposante Kundgebung, als die deutschen Fürsten nach der Thronbesteigung des neuen jugend- lihen Kaisers nach_ Verlin eilten Das deutshe Volk hat diese That seinen Fürsten boch angerehnet, und wer etwa im Auélande erwartet hatte, was eine Stunde nationalen Hoch- gefühls geboren habe, das werde schließlich in dem alltäglichen Widerstreit der Interessen zu Grunde gehen, der wurde eines Besseren belehrt. Kaiser Friedri, der, wie kaum je ein Fürst, eine \symvathische Mitempfindung für das Leben und Weben, für den Flügelschlag der deutschen Volksseele besaß, hat Recht behalten, wenn er kühn den
Wogen dcs deutschen Volksgefühls das Shicksal der noch halb ge- taltlofen deutshen Kaiserkrone anvertrauen wollte. Kaiser Wilhelm rüstet sih jeßt, den Besu der deutschen Fürsten zu erwidern; die Begeisterung des Volks, welche ihn umjubcln wird, der gastliche Empfang, welchen die Monarchen uud ihre Hauptstädte ihm bereiten, sie werden dem deutshen Volk und der Welt beweisen, daß in dem deutschen Sonnensystem die verschiedenen Sternkörper einträhtig und friedlih ihre geordnete und festbestimmte Sternenbahn ziehen.
— Unter dem Titel „Deutsch-freisinnige Wahlagitation“ \chreibt die „National-Zeitung“: :
Als die Hoffnungslosigkeit des Zustandes Kaiser Friedrih's längst — und nicht am wenigsten für die deutsch-freisinnigen Führer, welhe Beziehungen zu dem damaligen Hofe hatten — fest stand, wurde von dieser Seite dennoch der Versuh fort- geseßt, das Publikum an eine längere Dauer des Lebens Kaiser Pri s glauben zu machen. Wer die wirklihe Salage annte, vermochte dieses Verhalten nur durch die Hoffnung der Deutsch - Freisinnigen zu erklären, das Leben des unglüdcklichen Herrschers werde noch über die Landtagswahlen zu erhalten sein, und durch den Wunsch, auf diese mit der Fiktion, daß der Kaiser ein Gesinnungsgenosse der Deutsh-Freisinnigen sei, zu wirken. Der 15, Juni zerstörte diesen Plan; aber es scheint, daß aus dem Zufammenbruch desfelben gerettet werden soll, was zu retten ist: da man den Kaiser niht mehr für \ich ins Feld führen kann, soll wenigstens sein Gedächtniß \o verwendet werden. Vie allem Herkommen, allen gebotenen Rücksichten — man denke z. B. an die für einen verdienten Staatsmann, wie den Minister Delbrück, persönlich {wer verleßende Stelle der Publikation! — widersprehende Art der Veröffentlihung des Tagebuch-Fragmentes erweckt mit Nothwendigkeit den Verdacht, taß man es mit einem Wahlpuff im deutschfreisinnigen Interesse zu thun hat. Diese Ver- muthung wird verstärkt, wenn man sieht, daß in dem Hereinzerren des Scattens Kaiser Friedrichs in die Wahlagitation System ist.
Herr Richter hat am Sonnabend in einer Breslauer Wähler-
versammlung seiner Partei seine übliche Agitationsrede gehalten, die nagerade Jedermann kennt. Am Scluß aber sagte er: __ Es kommt jeßt viel über Kaiser Friedrih in die Oeffentlichkeit, ih sehe nicht ein, warum wir noch lange zurückhal!en sollen. Als wir uns aus der Fortschrittepartei und“ liberalen Vereinigung in: Jahre 1824 zu dcr deutscfreisinnigen Partei zusammens{hlos}sen, da war Kaiser Friedri, der tamalige Kronprinz, der Erste von den außerhalb unserer Partei Stehenden, der unsere neue deutschfreisinnige Partci beglückwünschte, am Morgen, nachdem die Fusion vollzogen.
Uns war am Tage nach der Fusion eine Mittÿeilung zugegangen, der zufolce — sie ist tamals andeutungêweise von uns veröffentlicht worten — der Kronprinz in der Vereinigung zweier kleinen Fraktionen zu einer großen cinen Fortschritt der parlamentarischen Verhältnisse sah. Ob er dieser Auffassung den von Hrn. Richter behaupteten Ausdruck gab, daß er zu der Fusion „Glück wünste“, ist uns nicht bekannt. Sollte es der Fall gewesen sein, so hâäiten die Herren Nihter und Genossen doh keinen Anlaß, jeßt damit zu prablen. Mehr noch, als auf irgend einem anderen Gebiet, ist in der Politik jeder seines Glückes S@&mied. Die Deutsch - Freisinnigen haben nicht verstanden, durch ihre Politik die Erwartungen zu erfüllen, welche der Kronprinz auf die Fusion seßte. Der Werth der legteren bestand in seinen Augen vornehmlih in der Aussfiht auf eine große Partei an Stelle kleiner Gruppen. Die Deutsch-Freisinnigen aber machten eine Politik, durch welche sie ein Jahr nah der Fusion, 1884, ein Drittel, und 1887 ein zweites Drittel ihrer Reichstags- mandate verloren, sodaß die fusionirte Partei heut \{wächer ist, als jede der beiden dur die Fusion vereinigten Fraktionen vor derselben war. Sie waren nicht die Leute, den „Glückwunsh“ des Kronprinzen T falls ihnen wirklih einer zu Theil geworden — zur Erfüllung zu ringen. :
Kunft, Wissenschaft und Literatur.
_ Paris, 23. September. Der Maler Gustav Boulanger ist gestern im 64. Lebensjahre gestorben. Er zählte zu den vornehmsten Geschihtsmalern des gegenwärtigen Frankreih. Seine Stoffe waren meist der altrômishen Welt, zum Theil auch dem algerishen Boden entnommen.
— Der Cicerone ia den großen Kunstsammlungen Europas. Herausgegeben von Georg Hirth und Richard Muther. München und Leipzig, G. Hirth's Kunstverlag. T. Band: Die Königliche ältere Pinakothek zu München. Dritie Auflage. 320 Seiten kl, 89 mit 190 Illustrationen. Preis bros. 3 M, geb. à la Baedcker 3 M 50 Z. — Nachdem die ersten beiden Auflagen des seiner Zeit an dieser Stelle besprochenen, illustrirtén Führers dur die alte Pinakotkek in München ras vergriffen worden, haben sich die Verfasser und die Verlagshandlung, mehrfachen bezüglihen Aufforderungen nachkommend, entshlossen, das praftishe Unternehmen unter dem obigen Titel nah und nah auf alle größeren Museen, insbesondere Gemälde: Galerien, auszudehnen. Wenn die weiter folgenden Bändchen ebenso gediegen behandelt werden, wie der erste, dann dürften alle Kunstfreunde si gern diesem willlommenen Cicerone anvertrauen, der ihnen in so anziehender Form kunstgeshicht- liche Belehrung und Einführung in die zum Verständniß und Genuß der âlteren Malerei so nöthige Kenntniß ihrer Technik und Stil- Eigenthümlichkeiten vermittelt, wobei die zahlrei eingedruckten kleinen Heliogravüren der Hauptbilder der Galerien die Erläuterung in der angenehmsten Weise unterstüzen.
— „Die christliche Cthik,“ dargestellt von Dr. H. Mar- tensen, Bisd'of von Seeland. Spezieller Theil : I. Die individuelle Ethik. Deutsche vom Verfasser veranstaltete Ausgabe. Vierte durch- gesehene Auflage. Mit dem Bildniß des Verfassers. Spezieller Theil 11. Die soziale Ethik. Berlin, H. Reuther's Veclagsbuch- handlung 1888, — Die individuelle Ethik, welche es mit der sittliden Entwickelung des Individuums zu thun hat, gliedert Maritensen geistvoll na Röm. 7, 9 in das Leben ohne Gesetz, unter dem Gesetz, unter der Sünde und in der Nachfolge Christi. Jede dieser Ueberschriften {ließt eine Reihe fkosttarer, sie er- \{öpfenter Detailbetrachtungen ein, wie wir sie in dieser geistvollen und toch so lichten und dabei eingehenden Weise wohl in keinem anderen ähnlihen Werke finden. Die innerlich überführende Wakrheitskraft der Gedanken wird dabei noch erhöht durch den edlen Reiz geistvoller Bemerkungen, die wie prächtige Schlagschatten in eine reiche Landschaft da und dort in die Fülle der Darlegungen eindringen. Hier ist niht nur für den praktishen Geistlihen, sondern au für den Gebildeten eine wahre Fundgrube geboten, und namentlich der N wird dieses Buch nit lesen können, ohne wenigstens von der ethishen Seite des Christenthums die ernstesten und tiefsten Wahrheits- eindrücke zu erhalten und sich zuglei von der ihm bisher geläufigen untergeordneten moralishen oder ästhetishen Lebensbetrahtung mit innerer Nothwendigkeit auf einen höheren sittlihen Stand- punkt gehoben zu seben. Fast noch sympathisher als die erste liest sih die zweite Abtheilung, infofern hier, in der sozialen Ethik, alle die Vorzüge der Martensen'shen Darstellung zu Gunsten der großen Zeitfragen zur Verwendung kommen, welche heut:utage vor- wiegend das allgemeine Interesse an sich ziehen. In diesem Theil wird von Familie, Staat, den idealen Kulturaufgaben, Kirche und Vollendung des Reiches Gottes gehandelt, und es kommen daktei die brennendsten kirhlih- und politish-sozialen Zeitfragen in eingehender Weise zu einer Behandlung, die den edlen christlich-:konservativen, einen vernünftigen Fortschritt niht aus\{ließenden Standpunkt des Verfassers in glänzender Weise kennzeichnen.
___ — Die Verlagshandlung von W. Spemann (Stuttgart) erläßt eine literarishe Anzeige, die manchen Leser interessiren dürfte. Sie erklärt sich bereit, jede alte Auflage irgend cines anderen Konversations- Lexikons (etwa einen alten Pierer, Meyer, Brockzaus, Spamer u. st. w.) zu erwerben und“ dafür die neueste Auflage (7.) ihres Pierer' schen Konversations-Lexikons mit Universal-Sprachen-
Lexikon nach Joseph Kürshner's System unter folgenden Bedin- ungen zu liefern: ) Das umzutaushende Exemplar muß anko eingesandt werden. 2) Die Verlagshandlung liefert die 7. Auflage
Des Pierer'shen Konversations-Lexikons in solidem eleganten Halb-
fran:einbande sofort nach Erscheinen der einzelnen Bände. 3) Die
Rachzahlung für jeden Band beträgt alsdann (statt 8,50 46) nur
6.50 MÆ 4) Das ganze Werk (12 Bände) kostet demnach nur eine
allmählihe Nachzahlung von 78 4, während andere Lerika jedes zum
mindesten 100 4 kosten. Dur die vortrefflihe Einrichtung des
„Universal-Spracben-Lexikons* erhält man bei diesem Umtausch außer
dem vollständigen großen Konverfations-Lexikon, welches an Artikel-
reihthum Je andere Lexikon übertrifft, noch den Inhalt von zwölf
Sprachen-Lexicis gratis.
— Unter dem Titel: „Bei guter Laune*, erschienen im Verlage von Hermann Brieger (Berlin) cinige Humoresken von R obert Engern. Der Verfasser selbst nennt zwar einige derselben Essays, jedoch versteht man für gewöhnlich unter Efsay etwas Anderes, als etwa die in dieser Sammlung enthaltenen: Nüchternen Veränderungsvorschläge für musifkwüthende Städte u. dergl. Mit dem Namen Essay wird hier offenbar Mißbrauch getrieben. Was die Humoresken anbelangt, fo muß ein sahlihes Urtheil über dieselben do® nur sehr ungünstig ausfallen, echter Humor dürfte in ihnen vergeblih gesuht werden. Der Verfasser sollte do ja reiflich mit sich zu Rathe gehen, ehe er mit aa Produkten das Urtheil literarisch gebildeter Leute heraus- Fordert.
Straßburg, 15. September. (Allg. Ztg.) Dem großen Unternehmen der Herausgabe eires „Straßburger Urkundenbuches“, welches seiner Vollendung naht, wird ih bald ein ¿weites anschließen, die Herausgabe eines Urkundenbuches für die Herrschaft und nacbmalige Grafschaft Rappoltstein. Der ver- \storbene Ober-Präsident v. Möller hatte leßterem Unternehmen, welhem sich der Obcrlehrer Dr. Albrecht v. Colmar seit vierzehn Jahren mit großer Aufopferung widmete, seine besondere Aufmerksamkeit zugewendet und die Studien dieses Forschers gefördert, der den Stoff zu seiner Sammlung aus einer großen Anzahl von Archiven in Deutschland, Oesterrei, Frankrei, Belgien, Luxemburg, der Schweiz u. f. w. zw!\ammenzutragen genöthigt war, was ihm durch die weitere Förderung des Unternehmens Seitens des Ministeriums gelungen ist. Es liegt nunmehr eine Sammlung von etwa 4300 Urkunden und Regesten zur Geschichte dieses Dynastengesblechts vor — bis zum Jahre 1500 reihend — das durch seine Töchter den meisten euro- päischen Regentenhäusern Ahnen geliefert hat, insbesondere dem bayerischen und dem preußishen Königshause. In bereitwilligster Weise haben der Landesaus\{chuß für Elsaß-Lothringen und der Bezirkstag des Ober - Elsaß Zuschüsse zur Drucklegung des Urkundenbues bewilligt, wofür 19 500 „6 in Jahresraten zur Ver- fügung ftehen. Das Ministerium bat zu diesem Zwecke eine aus dem Ministerial-Rath Freiherrn du Prel, dem Präsidenten des Landes- aus\chufses Staatsrath Dr. Schlumberger und dem Arcivdirektor Dr. Pfannenshmidt gebildete Kommission ernannt, deren Aufgabe die Leitung und Förderung dieses Unternehmens ist, das auf die Ver- öffentlichung ron fünf Bänden berechnet ist, teren Fertigstellung eine Reihe von Jahren in Anspruch nehmen dürste. Diese Kommission ist dieser Tage in Kolmar zu einer ersten Sißung zusammengetreten.
— Das Antiquariat von Ad. Mampe in Berlin W., Wilhelm- straße 91, hat soeben seinen XIV. antiguarischen Katalog ver- sandt. Derselbe umfaßt hauptsächlich Werke der klassischen Periode unferer Nationalliteratur, davon einen großen Theil in Original- Ausgaben.
Gewerbe und Handel.
Berlin, 23, September. (Wochenbericht fürStärke,Stärke- fabrikate und Hülsenfrüchte von Max Sabersky.) Ia. Kar- toffel stärke 20}—21} H, Ia. Kartoffelmehl 205—21# 4, Ila. Kar- toffelstärïe u. Mehl 163—194 4, feuchte Kartoffelstärke 10,75, loco Pa- ritätBerlin 10,75, gelberSyrup 213—22}Æ, Capill.-Erport243—2514, do. Syrup 23}—24{ 4, Kartoffelzucker-Capill. 24—25 M, do. gelber 222—23} MÆ, Rum-Couleur 33—40 , Bier-Couleur 33—40 ÆÆ, Dextrin, gelb und weiß, Ia. 28—29 4, Dextrin, sekunda 233—265 M, Weizenst ärke (kleinst.) 37—39 4, Weizenstärke (großstück.) 42—44 M, Hallesche und Schlesische —, Schabe-Stärke 32—36 4, Mais-Stärke 34—36 c, Reiss\tärke (Strahlen) 44—46 Æ, do. (Stücken) 42—43 4 Victoria-Erbsen 17—20 4, Kocherbsen 17—20 #4, grüne Erbsen 17—20 M, Suttererbsen 15—164 4, Leinsaat 21—23 K, Mais loco 14—15 M, Linsen, große 44—d4 M, do. mittel 32—44 Æ, do. kleine 24—30 M, gelber Senf 18—26 #Æ, Kümmel 48—54 M, Buchweizen 15—16 #, inländishe weiße Bohnen 22—23 4M, breite Flahbohnen — #, ungarishe Bohnen 22—23 #, galiziscke und rusfishe Bohnen 20—21 4, Hanfkörner 19—20 A, Linkuchen 16—17 4, Mohn weißer 42—46 M, do. blauer 40—42 4, Raps- kuchen 153—16 A, Weizenschale 10,50 4, Roggenkleie 11,00 4, Hirse, weiße 18—22 #& Alles per 100 kg ab Bahn bei Partien von mindestens 10 000 kg. E
— Der Einlösungscours für die hier zahlbaren Oecster- reichischen Silber-Coupons ift auf 168 #4 für 100 Fl. osterreihisch Silber erhöht worden.
— In der außerordentlichen Generalversammlung der Pom- merschen Eisengießerei und Mas chinenbau-Afktien- Gesellschaft wurde einstimmig beschlossen, das Grundkapital um 600 600 M zu erhöhen. Durch diesen Beschluß war der Antrag auf Ausgabe von 1 090 000 4 Partial - Obligationen hinsällig geworden.
erner genchmigte die Versammlung einstimmig den Erwerb des
abrif - Etablissements von Vaaß & Littmann zu Halle a. S. und nahm die hierdurch bedingten Statuten-Aenderungen an. Da der Zweck des Unternebmens eine Aenderung erfährt, so wird, entsprechend dem §. 38 des Statuts, im Laufe des nächsten Monats eine neue außerordentliche Generalversammlung einberufen werden.
— Der Aufsichtérath der Hagener Gußstahlwerke hat die Bilanz für das Geschäftsjahr 1887/88 mit einem Rohertrag von 96 527 M (im Vorjahr 67778 X) und mit Abschreibungen in Höhe von 40 815 M festgestellt. Von dem Ueberschuß, der somit 55711 #4 beträgt, entfallen, nah 5906 M statutarishen und fkontraftlichen Tantièmen, 10 000 #4 für den Reservefonds, 37 500 4 als 49/0 ige Dividende, 1000 A le Unterstüßungsfonds und übrige 1304 als Vortrag auf neue Rechnung.
Bo imnund, 23. September. (Köln. Volksztg.) Ler Kohlen- markt hat in der abgelaufenen Woche eine bemerkenswerthe Belebung erfahren ; dieselbe ist vornehmlich dem begonnenen Herbstgeschäft zuzu- schreiben. Bedeutende Herbstabshlüsse sind in größerer Zahl zu Stande gekommen, wobei sich die harakteristishe Thatsache ergeben hat, daß die von den Zechen wesentlih erhöhten Preise von den Käufern {chlank be- willigt wurden. Offenbar herrscht demna unter den Konsumenten und Händlern die Ansicht vor, daß im heranrückenden Winter die steigende Tendenz der Kohlenpreise andauern wird. Um sich nun hierbei shadlos zu halten, haben die Händler ihre Verkaufspreise ebenfalls bedeutend erhöht. Nachdem die Kippvorrichtungen in den Rhein-Kohlenhäfen vermehrt worden sind, nimmt der Versandt nach denselben, 5 der erfolgten Steigerung, ungestörten Verlauf. Auch der Eisen ahn- verkehr hat sich weiter erhöht, so daß, troß Anmiethung fremder Eisenbahnwaggons, im westlichen Theil des Kohlenreviers wieder Wagenmangel herrscht. Die Zehe Monopol bei Kamen, welche bis- ber mit finanziellen Schwierigkeiten kämpfte, jedoch einen großen Kohlenreihthum birgt, soll nunmehr s{chwunghaft betrieben werden, zu welhem Zweck man bereits mit dem Bau einer größeren Arbeiterkolonie begonnen hat. Die Gewerkschaft Königsborn bei Unna, welche eine vorzügliche Flammkohle liefert, wird ihren zweiten Schacht demnächst in Betrieb seßen.“ Auch die Konsolidirung_ der kleineren Grubenfelder des Sprockhöveler Reviers nimmt ihren Fort- gang, wodur der Verkehr der Strecke Wichlinghausen—Hattingen sich zu einem äußerst regen gestalten wird. Von Industriekohlen sind Kokskohlen und Koks noch immer am meisten begehrt.
London, 24. September. (W. T. B.) An der Küste 3 Weize n- ladungen angeboten. — Wollauktion. Lebhafte Betheiligung, Preise fst, behauptet, Combiny Merino theuerer.
Glasgow, 24. September. (W. T. B.) Die Ver schiffungen von Roheisen betrugen in der vorigen Woche 9000 gegen 8500 Tons in derselben Woche des vorigen Jahres. /
Bradford, 24. September. (W. T. B.) Wolle ruhig, aber stetig, Botany-Wolle anziehend, bei feinerer Botany-Wolle Käufer zurückhaltend, in Alpacca gutes Geschäft; Garne und Sto ffe unverändert. e
New-York, 24. September. (W. T. B.) Visible Supply an Weizen 31011 000 Bushel, do. an Mais 9961 000 Busbel.
Verkehrs - Anstalten.
Die Post von dem aus Sydney am 15. August abgegangenen Reichs-Postdampfer „Salier“ ist in Brindisi eingetroffen und wird für Berlin voraussihtli*ch am 27. September früh zur Ausgabe gelangen. :
London, 24. September. (W. T. B.) Der Union-Dampfer „Tartar“ ist heute von Lissabon auf der Ausreise abgegangen.
Theater und Musik.
Königliches Opernhaus. Der Kammersänger Hr Nie- mann hat vorgestern der General-Intendantur die Erklärung ab- gegeben, daß er sih außer Stande fühle, die Partie des „Siegfried“ in den bevorstehenden „Götterdämmerungs“-Aufführungen zu singen. Er sei nervös angegriffen und die Zeit zu kurz bemessen, um die Partie, ohne die bei den amerikanischen Aufführungen des Werkes ge- machten Striche zu lernen. Bekanntlich geht die „Götterdämmerung“ im Königlichen Opernhause, den Intentionen des Meisters von Bay- reuth gemäß, völlig ungekürzt in Scene. Vorforgliher Weise hat indessen Hr. Heinrih Ernst den „Siegfried“ studirt und vielfache Proben des Werkes mitgemacht, sodaß durch das Zurücktreten des Hrn. Niemann die erstmalige Aufführung am nächsten Donnerstag keinen Aufschub erleidet. 2 : E
— Die gestrige Aufführung der „Räuber“ im Deutsen Theater verdiente in zweifacer Beziehung besondere Aufmerksamkeit. Erstens nämli hatte die Rolle des „Karl“ eine neue Beseßung erfahren und zweitens war dem Drama ein anderes historisches Ge- wand angelegt worden, als es bisher zu tragen pflegte. Schiller hat den geshichtlihen Zeitpunkt, in welhem seine „Räuber“ spielen sollen, in dem Werke selbs genau bezeichnet; in dem gefälshten Bericht Hermann's über den Tod Karl’'s von Moor wird ausdrüdcklich erwähnt, daß Karl in dem Krieae zwischen Preußen und Oesterreich Friedrih's siegreiher Trommel nach Böhmen folgte. Der Dichter verlegte damit die Handlung in die Zeit der \chlesiscen Kriege, in die Zeit, in welcher er selbst lebte. Diese Kriegs- epoche liegt zwar beim Erscheinen seiner „Räuber" {on einige Jahr- zehnte hinter ihm, aber die gährende Bewegung, welche shon damals im Völkerleben ihren Anfang nabm, gelangte zu einer immer wachsenden Be- deutung und fand einen übershwängliden Ausdruck auch in dem Jugendwerke des einundzwanzigjährigen Dichters. Schon bei der ersten Aufführung in Mannheim war die Zeit der Handlung um zwei Jahrhunderte zurück verlegt worden, und im Allgemeinen blieb es Gebrau, die Zeitangabe des Dichtirs zu ignoriren. Das Deutsche Theater, welcbes mit liebevoller Treue auf alle In- tentionen unserer großen Dichter einzugehen pflegt, hat nun gestern die „Räuber“ ‘in dem eigentlich zeitgemäßen Gewande zur Aufführung gebraht, Demgemäß waren die Kostüme und, soweit die Ausstattung der Zimmer in Betracht kommt, auch diese im Rococostil gehalten, Amalia erschien mit ho(chfrisirtem, gepudertem Haar und glattem Ge- wande. Die Männer trugen das lose herunterhängende Haar hinten dur eine Bandschleife zusammengchalten, den Dreimaster auf dem Haupt; nur Franz erscheint einmal im Galaanzug mit gepudertem Zopf; die Kostüme entspraten im Uebrigen den Bildern aus der Zeit Friedrih's des Großen. — Die Wirkung des Trauerspiels wurde durch die Kostümveränderung niht berührt. Die Darstellung erfüllte alle Erwartungen ; nur Josef Kainz, der hier ¿um ersten Mal als Karl von Moor auftrat, befand sich nit völlig auf der Höhe sonstiger Leistungen. Auf seiner nordischen Reise in diesem Sommer hat der Künstler die Rolle unter begeisterter Zu- stimmung gespielt. Gestern schien aber seine Kraft, vielleicht wegen einer körperlichen Indispcsition, niht überall auszureihen. Hr. Kainz gebietet über die Kunst, ein feuriges Naturell und verzehrende Leidenschaft mit überrashender Wahrheit wiederzugeben. Diese Gabe kam ihm auch hier zu statten; die glücklihe Erwartung, die darauf folgende wilde Ver- zweiflung brachte er treflich zur Geltung; in den späteren Scenen blieb zwar das Mienenspiel auf gleicher Höhe, aber die Stimme war den Anstrengungen nicht mehr gewachsen; der Ton wurde rauh und ließ die Biegsamkeit und Yusdruéfähigkeit, welche ihr sonst in hohem Grade cigen ist, vermissen — Mit besonderer Anerkennung ist von Neuem die Leistung des Hrn. Pohl als „Franz“ hervorzuheben; man liest dem Künstler die sich wild jagenden Empfindungen und Ge- wissensqualen vom Gesicht ab, ebe er denselben Worte leiht, Das Publikum wurde daher auch nidt müde, seiner Leistung Beifall zu spenden. Frl. Geßner war cine lieblihe Amalia, welche ihren Em- pfindungen so natürli, wie es die Rolle gestattet, Ausdru verlieh. Die a ae us Wm Ensemble wieder ein glänzendes
eugniß für die Theaterleitung ab. | j y Berlin er Theater. Die Aufführungen des Stiller-Laube'- hen „Demetrius“ üben auf das Publikum eine gesteigerte An- ziehungékraft aus. Die Vorstellungen am Sonnabend und Sonntag farden vor total ausverkauftem Hause statt, die leßtere, um dem An- drange genügen zu können, vor geräuwmtem Orchester, in welchem in der Naht zum Sonntag Sitze eingerihtet worden waren. Der „Demetrius* wird in dieser Woche dreimal wiederholt. — Die An- meldungen für das Freitags-Abonnement werden für diese Saison definitiv am Donnerstag, den 27. September, Vormittags 11 Uhr, geschlossen, Pläße im Parquet können bereits seit längerer Zeit nit mehr abgegeben werden, da für das niht abonnirende Publikum eine gewisse Anzahl Parquetpläße auh Freitags reservirt bleiben muß.
— In Kroll'’s Theater wird am Sonnabend, den 13, Oktober und jedem folgenden Abend die Anglo-American Musical Comedy Com- pany unter der Direktion von Mr. I. André Tressi und Mr. Emily Kennion das musikalische Lustspiel in 3 Akten „Uy 8weetheart !“: (Mein Mi Ke welches in England, Amerika und Australien während der leßten 6 Jahre mit großem Erfolg aufgeführt wurde, gastspiels- weise vorführen. E j E
Belle-Alliance-Theater. Die Direktion wird au während der Wintersaison an jedem Mittwoch eine Ge zu ermäßigten Kassenpreisen veranstalten (Parquet 1 #4 50 S, Erster Rang Balkon 1 #Æ# 2x. 2x.). An diesen „Volksabenden“ wird das jeweilige Repertoirestück unterbroßen Und eine ältere gute Posse oder ein Volksück zur Aufführung gebraht werden. Für die nächste Zeit sind „Drei Paar Schuhe“, „'s Nullerl“, „Kyrig-Pyriß“ und „Der Meineidbauer“ in Aussicht genommen. Morgen wird die Gesangsposse „Drei Paar Schuhe“ mit der trefflihen Soubrette Frl. Lina Bendel sowie den Hrrn. Adolf Link und Carl Swobceda in den Hauptrollen gegeben.
— Die Eröffnung des Concerthauses in der Leipzigerstraße ge- staltet sich bei Anbruch der Wintersaison jedesmal zu einem erfreulichen Ereigniß für die Musikfreunde der Residenz, Der bewährte Ruf dieses künstlerishen Instituts ist ihm dur lange Jahre hindurch treu geblieben und die Direktion sieht sih für ihre Bemühungen, für die Pflege guter Musik Sorge zu tragen, belohnt dur die Beliebtheit, deren sih die in den stattlihen Räumen veranstalteten Concerte zu erfreuen haben. Der neue Leiter des Instituts, Hr. Kapellmeister Meyder, hat es verstanden, sih die Gunst des Publikums zu erringen und auh in diesem Winter, dem dritten seiner Thätigkeit im Concerthause, \sih zu einem willklommenen Gast zu machen. Die Umsicht und das fünstlerishe Verständniß, mit welchem er seine Concerte leitet, haben verdiente „Anerkennung gefunden und garantiren auch in dieser Saison eine treff- lihe künstlerische I der Aufführungen. leih der Er- öffnungsabend am Donnerstag der vergangenen Woche legte Zeugniß davon ab, daß die 1m concerthause heimishe Kapelle von einem
ernsten künstlerisckden Streben erfüllt ist und mit frischen, gut ge- \chulten Kräften ihr s{chwieriges Werk übernommen hat. Die Leistungen des Hrn. Concertmeisters Wolff lassen diesen von früher her bereits vortheilhaft bekannten Künstler aufs Neue als ein s{häßenswerthes Mitglied des Orchesters erkennen; lobend erwähnt sei auch Hr. Lublin, er zeihnete sich durch solide Behandlung des Instruments aus. Gestern hatte Hr. Kapellmeister Méeyder den ersten Beethoven-Abend veranstaltet, und die andähtiae Schaar der Zuhörer bewies ihm, daß diese aus\ch{ließlih einem berühmten Meister gewidmeten Abende \i nah wie vor der Gunst des Publikums zu erfreuen haben.
— Philharmonie (Bernburgerstraße 22a/23). Am Sonntag, den 7. Oktober findet das Eröffnungs-Concert des Phil- harmonisdben Orchesters im neuerbauten Saale statt. :
— Montags- Concerte im Saale der Sing-Akademie, am 22. Oktober, 12, November, 3. Dezember, 14. Januar, 11. Februar und 11. März. Mitwirkende: Frau Professor Schulen von Asten, B Amalie Joacbim, Frau Halir-Zerbst, Frl. Helene Oberbeck, die
erren: Franz Schwarz aus Weimar, Eugen Gura aus München, Kammervirtuos Grüßmacher aus Dresden, Königlicher Kammermusiker A. Geny und C. Pbilipsen; Berliner Liedertafel (Dir. Hr. A. Zander). Der Umtausch der Billets findet bis zum 30. Sevtember bei Hrn. Schwidersky in der Sing-Akademie statt. Dr. Hans Bischoff. W. Hellmih. j
— Neue Abonnements-Concerte, Direktor Arthur Nikis\ ch. Solisten, Damen: A. Essipoff, G. Gulyas, G. Krüger, Th. Malten, S. Menter, H. Müller-Ronneburger ; Herren: A. Brodsky, S. Bürger, L. Mierzwinski, T. Natéz, G. Schumann, Prof. A. Wilhelmj. Daten: 10. Oftober, 7. November, 19, November, 5. Dezember 1888, 16, Januar, 13. Februar, 13. und 25. März 1889, Billets für 8 Concerte I. Parquet 24 4, Ti. Parquet 16 #, I. Rarg 32 4, Loge 40 (A (auch halbe Akonnements) erh. bei Raabe u. Plothow, Potédamerstr. 7 a.
Mannigfaltiges.
Ueber die vom Geheimen Regierungs-Rath Professor J, C. Ras ch- dorff ausgearbeiteten Entwürfe zu einem Dombau in Berlin {reibt die „N. A. Ztg. “: Um gestrigen Tage erschien im Verlage von E. Waëmuth hier: E S —
„Ein Entwurf Sr. Majestät des Kaisers und Königs Friedrich III. zum Umbau des Domes und zur Vollendung des Königlichen Schlosses in Berlin. Mit Allerbö& ster Genehmigung herausgegeben von J. C. Raschdorf.“ Dem Text find 9 Blätter mit erläuternden Zeichnungen: Aufrissen und Ansitkten, beigefügt; Blatt 1 der allgemeine Be- bauungéplan, Blatt 2 und 3 Aufriß der ODst- und Westseite, Blatt 4 Aufriß des Larkettsaalbaues, entworfen 1866, Blatt 5 und 6 Aufriß des Kaiser Wilhelm-Thurmes, entworfen 1866, Blatt 7 Ansicht des Domes in veränderter Auffassung, Blatt 8 und 9 Grundriß und Aufriß des Domes als Nationaldenkmal zur Darstellung einer weciter- gehenden Allerhöchsten Bauidee, entworfen 1888,
Der Text beginnt mit folgenden Sägen:
„Man fan cs als historishe Ueberlieferung erachten, d die Könige von Preußen auf baukünstlerishem Gebiet sih gerne mit drei Aufgaben beschäftigt haben: dem Neubau eines Domes in Berlin, der zeitgemäßen Ausgestaltung des Könizlichen Schlosses, endli der Errichtung eines Standbildes für den Vorgänger auf dem Königs8- thron. Diese drei Fragen haben gegenwärtig in Folge der Neu- gestaltung des Deutschen Reichs durch Kaiser Wilhelm eine so hervor- ragende Bedeutung erhalten wie nie zuvor. Es ist erklärlich, daß Ihre Kaiserli@en und Königlihen Majestäten diese Idee näher er- wogen haben, als Aufgaben, welche sofort nach deren Thronbesteigung aufzunehmen sein würden : E
Das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm als äußerer Ausdruck der tiefen Dankbarkeit und Verehrung, welche die deutshe Nation dem großen Kaiser Wilhelm schuldet.
Der Berliner nationale Dom als cine Aufgabe, deren würdige Lösung alle preußischen Könige geplant, deren endliche Lösung Ihre Majestäten ernstlih erstreben. :
Eine dem zeitgemäßen dringlichen Bedürfniß entsprehende Raum- erweiterung des Königliwen Schlosses.“ G
Ein geschihtliher Ueberblick über die bis ins 15. Jahrhundert tatirende Domfrage folgt; besonders eingehend werden hier natur- gemäß die künstlerishen Gedanken Sr. Majestät des Königs Friedrich Wilhelm IV. behandelt. Aus dem seiner Zeit von Hallmann ge- schriebenen Erläutcrungsberiht werden einige wichtige Sätze citirt ; die Entwürfe von Stier und Hallmann, sowie derjenige von Stüler werden in ihren Grundgedanken klargelegt. Es folgt die von Sr. Majestät König Wilhelm I. ausgeschriebene Konkurrenz vom Jahre 1867. ‘ Der bekannten Entscheidung des Preisgerichts, der Prämiirung von zehn hervorragenden Arbeiten folgen die Jahre, in welchen zur Verwirklihung des Dombaugedankens nichts geschieht.
„Es fam das Jahr 1870, und aus gewaltigem, siegreihem Kampfe gestaltete sich das cinige große Deutschland, begründet, ins Leben ge- rufen, durch den großen Kaiser und König Wilhelm. Es folgten 18 Jahre Friedens, gewappneten Friedens, und andauernder wohl- erwogener Thätigkeit, zur Befestigung, zur Sicherung, zur Ent- wickelung des Deutschen Reihs durch den großen Kaiser. Da kam der 9. März 1888, der große Trauertag, Kaiser Wilhelm ist nicht mehr, aber die Verehrung für ihn, die Erinnerung an seine Thaten, an scine Tugenden wird in unseren deutschen, preußischen Herzen unvergänglih fortleben. Zum Zeugniß dessen der Befehl des Kaisers und Königs Friedrich, die Frage des Dombaues, der Er- weiterung desselben, wieder aufzunehmen; der einstimmige Beschluß des Deutschen Reichstages, dem Vater des Deutschen Reichs, dem Kaiser und König Wilhelm ein National-Denkmal zu errihten. Wenn Kaiser Friedri eine Erweiterung des jeßigen Domes plante, fo will uns bedünken, daß die Frage sih auf die Predigtkirhe der Dom- gemeinde nicht allein bezieht, sondern ebenso auf die Gruftkirhe des edlen Hauses der Hohenzollern und auf die Festkirhe der geeinigten deutschen Nation.“ |
Die Broschüre citirt dann, was für Bedenken gegen dieses Pro- gramm, welches sih angedeutet in Nr. 147 der „Nordd. Allg. Ztg.“ am 26. März 1888 findet, von Seiten der Presse laut wurden. Die für das Königlihe Schloß. die jeßige Kaiserlihe Hofburg, projektirten _Erweiterungsbauten werden in ihren Grundzügen erflärt, die Nothwendigkeit eines würdigen, im Geiste Schlüter's gedachten Schloßthurmes, als Bindeglied zwishen Schloß und Dom, betont. An alle diese eingehenden Augteinander- seßzungen, welche sowohl die projektirten Raumverbältnisse, als auch den in Aussicht genommenen Baustil erörtern, knüpft der Autor den Sélußsaß: „Dem Unterzeichneten wurde das hohe Glück zu Theil, an den Erörterungen über die in Vorstehendem entwickelten Bauideen theilnehmen zu dürfen und dieselben baukünstlerisch auszugestalten. " Soweit der Inhalt der betreffenden Publikation.
Das Wek wird nicht nur wegen seines Inhalts, sondern au wegen des von Allerhöchster Hand gegebenen Titels die verdiente Aufmerk- samkeit erregen. Wir fügen für den jeßigen Stand der Dombau? frage unseren Mittheilungen vom 23. September Nr. 450 ergänzend hinzu, daß Geheimer Rath Rashdorff Anfang dieses Monats vom Kultus-Ministerium den Auftrag erhielt, den Versuh zu machen, seinen Entwurf nah bestimmter, ihm gegebener Norm umzuarbeiten. Ehe nicht eine Kritik dieses umgearbeiteten Entwurfs von Sr. Majestät dem Kaiser gegeben wird, s{heinen uns alle Muthmaßungen über aus- zuschreibende Konkurrenzen 2c. verfrüht. /
Der Kaiserlihe Ober - Postdirektor, Geheime Ober - Postrath Schiffmann feierte heute das 50 jährige Dienstjubiläum.
Der gestrige (zweite) Tag des Herbst-Meetings des Union- Flubs hatte folgende Resultate: :
I. Ermunterungs-Rennen. Staatspreis 2000 4 Gewits- bestimmungen. Distanz 1000m. Dem zweiten Pferde die Hälfte der Einsäge und Reugelder. — Des Grafen A. Henckel 2 jähr. dkr. H. »Musjaphir“ siegte sicher mit anderthalb Längen gegen des Königl. Hauptgestüts Gradiß 2 jähr. br. H. „Winkelried*.; Zwei Längen