1888 / 305 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 03 Dec 1888 18:00:01 GMT) scan diff

Der heutigen Nummer des „Reihs- und chtaats- Anzeigers“ ist eine „Besondere Beilage“ (Nr. 5), enthaltend Entscheidungen des Reichsgerichte, nebst Titel und JInhaltsverzeihniß 1888, beigefügt.

__ Görlig, 1. Dezember. Jn der gestrigen dritten Plenar- sibung des Oberlausißzer Kommunal - Landtages wurde die Uebernahme des auf die Oberlausiy entfallen- den Antheils zu den Kosten der von dem schlesischen Provinzial-Landtage beschlossenen Erweiterung der s{hlefischen Provinzial - Jrrenanstalt-en auf ständishe Fonds geneh- migt und damit den Steuerpflichtigen der preußischen Oberlausiß eine sonst erforderlich gewordene Erhöhung der Fie ges abgenommen. Der Etat des Oberlausiger Schulfonds wurde festgestellt. Jm Uebrigen gelangte eine Anzahl von Anträgen auf Bewilligungen zu verschiedenen gemeinnüßigen und wohlthätigen Zwecken zur Verhandlung, welche theils durch Bewilligung, theils dur Ablehnung L E E Diana war die für le dur aher Beschädigten in dem zur Oberlausiz gehörigen Theile des Laubaner Kreises. y dder:

. Sachsen. Dresden, 1. Dezember. (Dr. J.) Der König ist gestern Abend vom Jagdshloß Wermsdorf in der Königlichen Villa zu Strehlen wieder eingetroffen.

Vaden. Karlsruhe, 1. Dezember. (Karlsr. Ztg. Heute Abend treffen der Erbgroßherzog und die Ep großherzogin aus Freiburg in Baden-Baden ein, um über den Geburtstag der Großherzogin, welcher in aller Stille und Zurückgezogenheit begangen wird, bei der Großherzoglihen Familie zu verweilen.

Hessen. Darmstadt, 1. Dezember. (Gew.-Bl. f. D. Großh. Hessen.) Der Großherzog hat den Präsidenten der Centralstelle für die Gewerbe und den Landesgewerbverein, Geheimen Rath Franz Fink, auf sein Nachsuchen, unter Anerkennung seiner auêgezeihneten Verdienste um die Ent: widckelung des Gewerbewesens, von dieser Stelle enthoben.

Reuß ä. L. Greiz, 30. November. (Leipz. Ztg.) Der 8. ordentliche Landtag des Fürstenthums in Do) Vor- mittag 11 Uhr eröffnet worden. Jn der Eröffnungsrede wird der günstigen Finanzlage des Fürstenthums gedacht und dabei erwähnt, daß in Aussicht genommen sei, unter den*im Etat angegebenen Vorausseßungen für die kommende Finanzperiode einen Einkommensteuertermin und 2/7 Grundsteuertermine weniger als seither erheben zu lassen. Hauptsählih wird si der Landtag zu beschäftigen haben mit den Voranshlägen des Staatshaushalts für 1889 bis 1891 und mit der Prüfung der Landeskassenrehnungen aus den Jahren 1885 bis 1887,

Oesterreih-Ungarn. Wien, 1. D&ember. (W. T. B.) Das Abgeordnetenhaus genehmigte mit 164 gegen 132 Stimmen den 8. 16 des Höferechtsgesetzes, betreffend die Beschränkung der Freitheilbarkeit dur die Landesgeseßgebung, in der Fassung des Ausschusses, nachdem der Präsident er- klärt hatte, daß zur L AEU R hierüber die einfache Majorität genügend sei. Präsident Smolka gedachte in der heutigen Sißung des morgen stattsifidenden vierzigjährigen Regierungs-Jubiläums des Kaisers. Unter Hinweis auf den Wunsch des Kaisers, daß dieser Tag nur dur Akte der Wohlthätigkeit begangen werden solle, hielt er es troß- dem für angezeigt, daß gerade die freigewählte Volks- vertretung der hohen Bedeutung des Tages Ausdruck gebe. Bewegten Herzens gedachte der Präsident des 3. Dezembers 1848, wo er selbst an der Spitze der Deputation des ersten österreichischen Reichstages dem Kaiser Glückwünsche zu seiner Thronbesteigung darbrahte. Smolka schilderte die segens- reiche e des Kaisers, das innige Verhältniß unwandelbarer iebe zwischen dem Kaiser und seinen Völkern. „Mit Stolz und Freude“ {loß Smolka „kann der Kaiser auf seine vierzigjährige Regierung zurücblicken an der Spie eines Neichs, das achtunggebietender dasteht als je, als

Bundesgenosse gesucht, als starker treuer Verbündeter geschäßt, und getragen von der unbegrenzten Liebe seiner Völker“. Das Haus brate hierauf ein dreimaliges begeistertes Hoch aus. Jm Herrenhause hielt Präsident Graf Ferd. Traut- mannsdorff gleihfalls anläßlih des Jahrestages der Thron: besteigung des Kaisers eine patriotishe Ansprache, worin er sagte, dem Kaiser sei die Liebe seiner Unterthanen und. der Dank seiner Völker für alles Gute, das sie seiner D Führung verdanken, im vollsten Maße zu Theil ge- 2. Dezember. (W. T. B.) Die hiesigen sowie die Provinzialblätter Oesterreih-:Ungarns veröffentlichen anläßlid des Jubiläums des Kaisers s{hwungyvolle, patriotische Festartikel, in welchen sie die hervorragenden Eigen- schaften des Kaisers und dessen außerordentliche Verdienste um die Monarchie feiern. Von überall treffen Berichte über feier- lihe und firhlihe Veranstaltungen des heutigen Tages ein.

Großbritannien und Jrland. Lo ndon, 1. Dezember (W. T. B.) Bei der Erörterung des Ausgabe Clais für

den diplomatishen Dienst wies in der heutigen Sißzung |

des Unterhauses der Unter-Staatssekretär des Auswär- ligen, Fergusson, die Angriffe Morley's hinsichtlih der Verstärkung Suakims zurück und erklärte: es gebe in Bezug auf Suakim zwei Alternativen : entweder sih gänz- lih in der Defensive zu halten oder durch Operationen in großem Maßstabe die feindlihen Stämme weit in das Znnere zu treiben; die legtere Politik sei aufgegeben und daher die Politik der Defensive allein möglih; von dieser gedenke England nicht abzuweichen. Morley's Jdee, Suakim der Gnade der Araber zu überlassen, würde das Haus ohne Zögern weren; mithin müßten die Angreifer vertrieben werden. : {M vermeintlihe Gefahr für Suakim sei weit übertrieben, E 1 wenn die Angreifer niht vertrieben würden. Dié

innahme Suakims sei unmöglih. Die Behauptung Suakims ZUC „Feneren Unterdrückung des Sklavenhandels sei noth- wendig. Die Armee Egyptens werde um 2 Bataillone S ane: und eine Shwadron Kavallerie vermehrt werden. E Zas erwachsenden jährlihen Mehrkosten betrügen g C s fra Sterl., aber Egyptens Finanzen seien S gu -. daß deshalb feine neue Steuer erforderlich sei. Der

tedrige Nilstand sei Angesichts des Jrrigations-Systems

kultivirt geblieben, aber die Einkünfte würden dadurch nur um

Belgien aufgefordert, eine Konferenz der Mächte betreffs der Vorschlä e Lavigerie's zur Unterdrückung bes Sklavenhandels zu berufen; zu gleihem Zweck habe sich England mit Deutschland bei Zanzibar vereint und die -Handelsgesellshaften ermuthigt, den Sklavenhandel durch Ver- breitung des legitimen Handels zu beseitigen. Morley er- klärte fih von der Erklärung Fergusson's unbefriedigt, be- antragte aber die Reduktion des zur Berathung stehenden Postens um 500 Pfund. Der Antrag wurde jedoch mit 136 gegen 101 Stimmen verworfen. 5

Frankreih. Paris, 30. November. (Fr. C. Senat wurde gestern das Departement bex C durch das Loos bezeihnet, um den Nachfolger des kürzlich verstorbenen unabsegbaren Senators Ramport zu wählen. Dann erledigte das Haus cine Reihe laufender Geschäfte, darunter die Bewilligung cines Nachtragskredits von zwei Millionen für die Pensionen in der Marine, bei welcher Gelegenheit der Berichterstatter Boulanger miß- billigend auf das willkürlihe Vorgehen des ehemaligen Ma- rine-Ministers Aube zurückam, welcher die Altersgrenze für die Pensionirung wider den Willen des Parlaments herab- gesegt und so die Staatsfinanzen mit mindestens 500 000 Fr.

elastet C L

_— 1. Dezenbe& (W. T. B.) n dem heutigen Ministerrath theilte der Rricas Vánif® de L I mit, es sei mit der Budgetkommission bezüglich des außer- ordentlihen Heeresbudgets ein Einvernehmen ge- troffen, wonach das Gesammterforderniß auf 500 Millionen festgesest wird; von denselben sollen 400 Millionen sofort der Kammer zur Genehmigung unter- breitet werden. Der Betrag der für 1889 erforderlichen Kredite sei auf 180 Millionen festgeseßt. Der Bericht soll am Montag in der Kammer vorgelegt werden und wird voraus- sihtlich am Donnerstag zur Berathung kommen. _ Patenôtre, früher Gesandter in Peking, ist zum franzö- sischen Minister-Residenten in Tanger ernannt worden. Die Deputirtenkammer genehmigte das Budget des Unterrihts-Ministeriums ohne Zwischenfall. Die Bud getkommission bewilligte mit 12 gegen 8 Stimmen die für das außerordentlihe Budget des Kriegs-Ministeriums für 1889 geforderten Kredit- erböhungen, sprach aber gleichzeitig ihre Mißbilligung über das von dem Finanz-Minister behufs Deckung dieses Budgets beobachtete System aus. Da kein Mitglied der Kommission die Berichterstattung in der Kammer übernehmen wollte, wird die Kommission am Montag aufs Neue zusammentreten.

2. Dezember. (W. T. B.) Die Kundgebung am Denkmal Baudin's verlief ohne Zwischenfall. Um 3 Uhr langte der Zug vor dem Denkmal an. Der Präsident des Munizipalraths, Darlot, hielt eine Rede, in welcher er er- klärte, die Theilnehmer an dem Zuge hätten die unershrockene Vertheidigung des republikanischen Rechts verherrlihen wollen ; sie hätten alle geähteten Opfer des Staatsstreihs feiern wollen. Der Redner machte sodann eine Anspielung auf den Boulangismus, welchen er heftig angriff, und hob hervor, die Demokratie stähle si an dem Beispiel des ruhmvollen Todten. Er komme an dás Grab Baudin's, niht nur um ihm Ehrfurcht zu beugen, sondern auch um Beweise gegen den Cäsarismus zu sammeln, welcher die Stirn zu erheben wage. Der Redner \{ioß: Gestärkt und gekrästigt dur die edlen Erinnerungen, wollen wir uns vertrauensvoll einigen in dem Nufe: Es lebe die Republik! Um 31/2 Uhr begann der Vor- beimarsh vor dem Denkmal, welcher bis 41/,4 Uhr währte. Die Theilnehmer kehrten in die Stadt zurück, welche bald ihr gewöhnliches ruhiges Aussehen wieder annahm.

__ Boulanger traf heute um 3 Uhr Nachmittags in Nevers ein. Bei seiner Ankunft wurden einige Rufe: Es lebe Boulanger! gehört, die von anderer Seite mit Pfeifen be- antwortet wurden. Die Behörden hatten strenge Vorsichts- maßregeln getroffen und alle Straßen, die nah dem Hotel, in dem Boulanger abgestiegen war, führten, abgesperrt. Der Deputirte Laporte hatte den Präfekten ersucht, den Freunden Boulanger's zu gestatten, denselben zu begrüßen; allein der Präfekt s{hlug die Bitte ab. Nur denjenigen Personen, die eine Karte zur Theilnahme an dem Banket aufweisen konnten, wurde das ungehinderte Passiren der Straßen gestattet. 3. Dezember. (W. T. B.) Das Banket zu Ehren Boulanger's in Nevers, an welchem etwa 500 Personen theilnahmen, begann um 5 Uhr. Bei seinem Erscheinen wurde Boulanger lebhaft begrüßt. Derselbe hielt eine Rede, in welcher er ausführte, die gegenwärtige Lage sei eine ähnliche, wie am 2. Dezember 1851; aber kein Mensch sei so thöricht, ein autoritäres Regime von damals wiederherstellen zu wollen; man dürfe nit auf 1851, sondern auf 1789 zurügreifen; es lägen dieselben Bedürfnisse im Jnnern, dieselbe Nothwendigkeit vor, die nationale Vertheidigung zu organisiren. Zu diesem Zweck sei eine Revision der Verfassung das Mittel, um eine Republik herzustellen, deren Verfassung ein niht nach ministeriellem Belieben, sondern ein von der Nation ausgearbeiteter und angenommener Gesellschaftsvertrag seia würde, ein solcher würde in Wahrheit die nationale Republik darstellen. In einigen Monaten würden 8 Millionen ihre Stimme für eine solche Republik abgeben. Jm Theater in Nevers fand gestern Abend eine Anti- boulangisten-Versammlung unter Vorsiß der Deputirten Basly und Brianon (Beide Intransigenten) statt. Es wurden mehrere Reden gehalten und eine Resolution angenommen, in der gegen die câsaristishen Umtriebe protestirt und Boulanger für einen Verräther des Vaterlandes und Plagiator Bona- parte's Dal ee

le boulangistishen Deputirten ließen in Nevers einen Protest gegen die Haltung da Prä- fekten anshlagen, welcher die Empfänge bei Boulanger ver- hinderte. Jn dem Protest heißt es, es sei dies die Hand- lungsweise einer bethörten Regierung, die nur dem Namen nach eine republikanische sei. Wenn die Stunde gekommen, werde man wissen, in legaler Weise seinen Unwillen über derartige Genmaltthätigkeiten kund zu geben. Das legte Wort werde den Boulangisten gehören. Der Protest {loß mit den Worten: „Es lebe die Republik, es lebe die Revision, es lebe Frankreich!“ y ;

Jtalien. Rom, 1. Dezember. (W. T. B. n der Deputirtenkammer brachte der Rricgs- Minis heute in seinem und im Namen des Marine-Ministers, sowie in Uebereinstimmung mit dem Finanz-Minister die Vorlage der in den Budgets von 1888/89 und 1889/90 vorgesehenen

,

Extraordinarien für die Vertheidigung des Lan-

200 000 Pfd. vermindert. Die englishe Regierung habe

109 Millionen, von denen 90 auf das Budget für 1888/89 und 19 Millionen auf das Rechnungsjahr 1889/90 fommen. Von den 109 Millionen kommen 53 Millionen auf Kredite, die bereits durch frühere Gesetze bewilligt find, während 56 Millionen für neue Ausgaben ge- fordert werden. Für die Marine werden 36 850 000 gefordert, welche auf das Budget von 1880 kommen; hiervon kommen wiederum 17 250 000 auf Krediie, welche bereits durch früher angenommene Gefege bewilligt sind, und 19 600 000 auf neue Ausgaben. Der Kriegs-Minister verlangte, daß die Dring- lihkeit für die Berathung des Entwurfs des Extraordina- riums erklärt und dasselbe der allgemeinen Budgetkommission überwiesen werde. Bonfadini und Bertolla bekämpften die Ueberweisung an die allgemeine Budgetkommission und beantragten dagegen, daß der Entwurf dem Bureau der Kammer überwiesen werde. Der Kriegs-Minister hielt jedo die Ueberweisung an die Budgetkommission aufrecht. Die Kammer genehmigte alsdann die Dringlichkeit, überwies aber den Entwurf an die Bureaux der Kammer. Der Finanz-Minister brachte einen Geseßzentwurf, be- treffend finanzielle Maßnahmen, ein, die in einer Erhöhung der ordentlihen Einnahmen dur Wieder her- stellung von zwei Zehnteln des Kriegszuschlages auf die Grundsteuer und in einer gewissen Erhöhung des Salzpreises bestehen. Der Minister verlangte die Dringlichkeit und Ueberweisung des Entwurfs an die Bureaux der Kammer. Dem Antrage wurde stattgegeben.

2. Dezember. (W. T. B.) Anläßlich des Jubiläums des Kaisers Franz Joseph übersandten der König sowie die gesammte Königliche Familie demselben herzliche Glückwünsche. In der Nationalkirhe Santa Maria dell’ Anima fand ein feierlihes Hochamt statt, welchem die Mitglieder der österreichish-ungarishen Botschaft sowie die österreichish-ungarische Kolonie, der preußishe Gesandte beim Vatikan, von Schlözer, und in Vertretung des Papstes Mígr. Macchi beiwohnten. Vor dem Beginn der fkirhlihen Feter wurde die österreihishe Hymne gesungen.

Zeitungsftimmen.

ja „E „Landes-Zeitung für Elsaß-Lothringen“ gt:

Der Geseßentwurf, betreffend die Alters- und Invalidenversice- rung der Arbeiter, ist dem Reichstage zugegangen, eine ebenso mi same als umfangreiche Arbeit, welche das Herz jedes Lebentversiche- rungéstatislifers erfreuen, im Neicbstage selbst aber faum einer größeren Sacfkunde begegnen wird. In Reicétagskreisen gebt die Ansitt im Allgemeinen dabin, das Geseg thunlihst in dieser Session zum Abschluß zu bringen und die Klippe, daß das Bessere des Guten Seind ift, zu vermeiden, spätere Verbesserungen aber dem Einfluß der prafkiisden Erfahrung vorzubebalten. Das Gleiche gilt nach der „Begrürdung* des Gesetzes selbst von der Wittwen- und Waisenversorgung der Arbeiter, welbe Frage gleibfalls ter To'ung durch die Gescgebung nvoch vorbebalten bleibt. Sie gleiWzeitig mit der Alterê- und Invalidenversiherurng in Angriff zu nebmen, erwies si als nur s{chwer durchführbar. Erstlih lassen sih fo großartige Organisationen, wie sie dur die Sozialgesetz- gebung geschaffen werden, nit gleihzeitig nebeneinander, sondern nur mch und nah ins Leben rufen, zumal es in der Gesetzgebung sowohl Deutschlands wie des Auslandes an jedem Anbaltspunkt und Vorbild für diefen Zweck fehlt, diz deutsche G:cfetgebung in Folge der Bedingungen der bundesstaatlihen Ver- bâltnisse auch ftets eine andere und eigenartigere sein wird, als wie Ergland und Frankreich sie si zu geben vermöhten. Sodann fommt die Frage der Beitragsleistung in Betraht. Würden alle anderen größeren Industriestaaten gleiczeitig eine ähnlihe Gesetz- gebung cinfübren, fo würde die Belastung der Industrien der rer- \hiedenen Länder eine gleihmäßige sein. So aber werden dur die deutsche Arbeiter - Versicberungsgeseßgebung der deutschen Industrie sehr erheblihe Lastea auferlegt, von welchen die auêwärtige Kon- kurrenz, wie es scheint, noch_ lange befreit bleiben wird, und diesem Umstande muß bei der Sozialreform Rehnung getragen werden, wenn man anders die Henne, welche die goldenen Eier legt, s{honen wil, Die Lage der Wittwen und Waisen ist gewiß eine derjenigen Quellen von Noth und Elend, die am dringendsten der Abhülfe be- dü: fen, und daß man der Frage regierungsseitig in ernstester Absiht nadzegetreten ift, beweisen die darüber veröffentlihten Ziffern. Bei nur 60 M jâbrliher Rente für jede Wittwe und nur 30 M4 sür jedes Kind würde sich eine Belastung von jährli nur 16 A auf den Kopf des männlichen Arbeiters ergeben, also bei etwa 7# Millionen männliher Arbeiter ein Bedarf von 120 Millionen Mark. Bevor diese neue Belastung an die Industrie bherantritt, wird allerdings zweckmäßig zunä&st die zifermäßige Wirkung des In- validengeseßes abgewartet und die Wittwen- und Waisenversorgung der nächsten Legislaturperiode vorbehalten bleiben müssen. Die Er- faßrung wird sch namentlich auch auf die Bemessung der Rente zu erstrecken haben. Eine Rente von 60 # 3. B. kann eine sehr willfommene Beihülfe für Personen sein, welhe in der Lage sind, sih ihre Existenz wenigstens zum guten Theil dur Arbeit zu fiwern, aber es ist natürli zu wenig für franke und \{chwähliche Personen. So unerwünsht der Aufshub gerade dieser Fürsorge an si au ist, fo darf do nit übersehen werden, daß die Alters- und Invalidenverficherung sich auch auf weibliche Perfonen erstreckt, soweit dieselben den versiherungépflihtigen Betrieben angebören, hierzu treten dann noh die Bestimmungen des Unfallversicherungsgeseßes und endlich die Leistungen der gerade in dieser Richtung so zahlreichen Woöltbätigkeitéanstalten, welhe überdem durch die bisherige Arbeiter- Versicherungsgesepgebung „Und durch die Alters- und Invaliden- versiGerung nit unerheblih entlastet werden, also ihre Fürsorge um so mehr den Wittwen und Waiien zuwenden können, Fit die AÄlters- und Invalidenversicherung erst ia Wirksamkeit, so wird sib um so klarer übersehen lasen, was für die Wittwen ‘und Waisen zu geschehen hat und wie diese Fürsorge am besten zu organisiren ist.

Zu dem sozialdemokratischen Wahlaufruf bemerkt die

„Magdeburgische Zeitung“:

m willkommensten ist die Meldung, daß die nächsten Rei tagswahlen viellei@t shon in dem iten Def weden e halten werden, offenbar der fozialdemokratishea Partei gewesen. Ob jene Nachricht sich bewabrheitet oder niht. diese Partei hat sich mit einem Cifer, der sehr bezeihnend ift, jcßt {on daran ge» macht, die Wablagitation aufzunehmen und einen Wahl- aufruf veröffentlit, dessen wesentliher Inhalt bereits mit- getheilt ist. Genauer auf denselben einzugehen, verlohnt sich kaum. Am Mittwoch führte Hr. von Bennigsen aus, daß die arbeitende Be- völkerung si aur dann werde ents{ließen können, den aufregenden MOA der sozialistishen Agitatoren Gehör zu s{enken, wenn ihre age eine so verzweifelte geworden, daß sie aus Fanatiésmus und Er- bitterung glaubt, das furchtbare Wagniß, zu welchem sie aufgereizt wird, unternehmen zu sollen, gewissermaßen als das einzige Rettungs- Le A Uns vg S noch verbleibt,

, LVamik jt die Lage richtig gezeihnet. Die Hauptkra sozialistischen Propaganda ift seit Jahr und Ta ai N i in unseren Arbeitern die Ueberzeugung zu we en, als ob sie sih in einem Zustand vollster Hoffnungslosigkeit befänden, in einem Zustand, aus dem allein die sozialistishe Lehre die Brücke zu einer besseren

des ein; nämlih zunähst für militärishe Zwecke

Zukunft hinübershlagen könne. Nach diesem Rezept i auch jeßt wieder verfahren. Man beahte nur DA beteites

Ton, den das Séthrifistuck am Sch{luß anschlägt: „Die arbeitenden Massen fühlen jeden Tag - mehr, daß die Dinge auf die Dauer so nicht weiter gehen können, daß gründliche soziale Umgestaltungen nöthig sind, um die Noth der Zeit und das menshliche Elend zu beilen, nit kläglihes Flickwerk und Stückwerk, wie es bisher unter dem Titel der Sozialreform ibnen geboten wurde. Und wie der Arbeiter, so leiden au der Bauer und der Kleinbürger. Ale führen mit ihren leßten Kräften den verzweifelten Kampf um das Dasein gegen die Kapitalmaht und fuchen nah Hülfe und Rettung vor dem Untergange. Sorgt also für ihre Aufklärung.“

Es ist ia diesen Tagen viel und laut über Beeinträhtigung der freien Meinungsäußerung und der Wahlfreiheit der Arbeiterklasse Klage gefühct worden, und wir sind weit entfernt, dorauf abzielenden Maßregeln unsere Billigung zu ertheilen. Es würde indessen auch von Interesse sein, mit diesen Klagen die aufreizende Sprache, welche dieser Aufruf führt, sowie die Thatsahe zusammenzuhalten, daß auf ein bloßes Gerüct bin der ganze Het- und Agitationsapparat mobil gemacht wird. Jeder anderen Partei würde es unmögli sein, eine auf ein Jahr oder darüber hinaus noch andauernde Agitation zu unter- halten, denn sie kann ihre Wählerschaft nit mit bloßen Schlag- worten bearbeiten. : e

Ganz anders die sozialistische Partei. Je länger die Zeit der Wakhlagitation, um so besser für sie. Sie hat keine positiven Auf- gaben aufzustellen, für welche sie die Wähler zu gewinnen hat. Ihre einzige Aufgabe ift und bleibt, die Saat des Hasses und der Ver- zweiflung in die Gemüther auszustreuen und durch dunkle An- spielungen den Glauben zu erwedcken, als ob sie wirkflich im Stande sei, ihren Anhängern mehr zu bieten als prablerishe Versprechungen. Für cine solde Arbeit kann die Zeit niht lang genug bemessen wer- den. Die Sozialdemokratie hat auch kein Hebl daraus gemacht, daß, wenn es nach ihr ginge, alljährlich der Reichstag sh zu erneuern bâtte, damit das Land aus der Wakhlagitation überhaupt nicht mehr herauskommt. Das sind Erscheinungen, die unseres Erachtens der ernsteften Erwägung bedürfen, von Seiten der Regierungen sowobl als der Parteien.

Ueber die Erfolge des Ansiedelungswerkes in der Provinz Posen wird der „Kölnischen Zeitung“ geschrieben :

Da von freisinniger Seite wiederholt bis in die letzte Zeit Ver- sube gema@t worden sind, das Ansicdelungêwerk in unserer Provinz in der ôöffentliben Meinung herabzuseten, so wird es willkommen sein, ein Urtheil aus dem Lager dèr neuen Freunde der Frei- sinnigen, nämlich einen Artikel des polnischen Blattes „Kuryer Poznansfki* kennen zu lernen. Es werden darin beute die Fort- ichritte, welhe die Ansiedelung im Gnesener Kreise gemacht hat, eingchend besprowen. Während im nordwesiliben Theil des Kreises die Ansiedelungsarbeiten, Bauten u. #\. w. im besten Gange seien, wäre im südwestlihen Theil bereits die Sculeinrihtung abgeschlofsen. Das Gnresener Kreisblatt habe {hon die Mitglieder der evangelisen Schulvorstände zu Lubowo-Lubowko und für Komo- rowo bekannt gemat, und eincn gleiwen Fortschritt werde gewiß die Ansiedelung im künftigen Jahre aud in Soko!nik, Swiniary und Swiniarki machen. Dies seien die ersten Frückte des polnischen Leichtsinns und des Mangels an Ueberlegung u. f. w. Die hier gegebene Darstellung ift richtig, die Ansiedelungen machen in der That Uberraschende Fortschritte, und jeder Voikswirth wird mit lebhafter Antheilnahme dieses in nationaler wie sozialer Hinsicht gleih bedeu- tungévolle Unternehmen verfolgen. Im nätbften Jahre soüen nun im Südoften der Provinz in der Gegend von Iarotschin {wäbische Bauern angesiedelt werden, und auch sonst sind so umfangreiche An- meldungen aus allen Gegenden Deutschlands eingelaufen und die Geschäfte sind so angeschwollen, daß in diesem Sommer das Personal der Anfiedelungskommission erbeblih hat vergrößert werden müssen. Wir bemerken, daß für Unbemiitelte bier kein Glück zu maten ift, daß dagegen für jüngere Bauernssbne, die cinige Tausend Thaler Vermögen haben und sih-gern selbständig machen wollen, hier ein gutes, wenn auch keineswegs glänzendes Unterkommen fich bietet und fie jedenfalls besser thun, das sichere Loos in der Heimath zu wählen, als nah einem unsiheren im Auslande zu jagen,

Kunft, Wissenschaft und Literatur.

Der Ornamentenschatz, ein Musterzuch stilvoler Orna- mente aus allen Kunstepohen. 85, meist farbige Foliotafeln mit erläuterndem Text, von H. Dolmetsch. Verlag von Jul. Hoff- mann in Stuttgart. Die zweite Auflage dieses populâren Pracht- werfs, über welches wir unsern Lesern hon öfter berichtet baben, liegt nun vollständig vor, und wir sind nun im Stande, dessen große Reichhaltigkeit und künstlerishe Ausftattung zu übersehen und rüh- mend anzuerkennen. In der That *bietet dieses Werk allen Zweigen des Kunstgewerbes einen reihen Schaß lehrreihen Materials, eine bistorisch aeordnete Sammlung der wichtigsten, zum größten Theil farbigen Ornamente aller Kulturvölker. Die hervorragende Be- rücksihtigung, welhe den edlen Formen der Renaissance zu Tbeil geworden, erhöht den praktischcen Werth, die Verwendbarkeit des Werkes, sofern ja zahlreiche Motive aus jener Zeit unserer heutigen Kunstindustrie als \{äßbare Vorbilder zu dienen in hohem Grade ge- eignet sind. Keine andere Nation besißt ein so gediegenes farbiggs Prachtwerk über Ornamentik, welhes vermöge seiner erstaunlichen Billigkeit so dazu angethan wäre, in alle Schihten der Gewerbe: thâtigkeit einzudringen und dadurch auf die Förderung des guten Ge- schmacks befruhtend einzuwirken, Der stattlihe Prachtband (Preis 25 M) kommt zu rechter Zeit, um als gediegenes Festgeshenk für Gewerbéleute, Kunstfreunde und namentlih für die strebsame, dem Kunstgewerbe zugewandte Jugend warm empfohlen zu werden.

Gewerbe und Handel.

Bei den Abrehnungsstellen der Reichsbank sind im November 1888 abgerechnet 1 230 357 200 S gegen 1 649 434 500 A6 im Oktober d. J. und 1 204 613 600 4 im November 1887. _

__ Berlin, 1. Dezember. (Wochenbericht für Stärke, Stärke- fabrikate und Hülsenfrüchte von Max Sabersky.) Ia. Kar- tofelmehl 28—29 4, Ia. Kartoffelstärke 275—28} 4, Ila. Kar- toffelstärke und Mebl 26—27 4, feuchtte Kartoffelstärke loco und Parität Berlin einzelne Waggons je nah Lage der Abgangs8- station hsker bezahlt, 13,70 M, gelber Syrup 28—28} Æ, Capillair

Export 30— 31 , do. Syrup 2923 —30 M, _Kar- toffelzucker Capillair 29—30 G, do. gelber 27—275 H, Rum - Couleur 36— 40 #Æ#, Bier-Couleur 36 40 K,

Dextrin, gelb und weiß, Ia. 37—38 Æ, do, sekunda 31—32 Æ, Weizenstärke (kleinst.) 37—39 H, Weizenstärke (großstück.) 43—44 K, Hallesche und S(lesishe 43—44 #4, Schabe-Stärke 31—34 46, Mais- Stärke 34—36 H, Reisstärke (Strahlen) 45—47 K, do. (Stücken) 42 —44 4, Victoria-Erbsen 20—22 #4, Kocherbsen 18—21 Æ, grüne Erbsen 19—21 M, Futtererbsen 15—16 4, Leinsaat 21¿3—23 A, Mais loco 14—14} Æ, Linsen, große 44—5s M, do. mittel 32—44 A, do. kleine 24—30 M, gelber Senf 16—22 Æ, Kümmel 46—52 , Buchweizen 144—15 #4, inländishe weiße Bohnen 21i—22è 4, breite Flahbohnen A, ungarishe Bohnen 214—22F ä, galizische und russishe Bohnen 19—20 4, Hanfkörner 17}—19 4, Leinkuchen 16—18 Æ, Mobn, weißer 40—44 , do. blauer 37—40 M, Raps- kuden 16—16} 4, Weizenschale 10,20 4, Roggenkleie 11,00 4, Hirse, weiße 18—22 A Alles per 100 kg ab Bahn bei „Partien von mindestens 10 000 kg. :

In der Generalversammlung des Süddeutschen Verlags- Instituts zu Stuttgart vom 30. November d. I. wurden sämmtli&e Anträge des Aufsichtsraths einstimmig genehmigt. In den Aufsichtsrath wurden die Herren Fabrikant Dr. R Müller, Moenwangen, und ge Dr. Baur, Stuttgart, gewählt.

Stettin, 1, Dezember. (W. T. B.) Bei dem anläßlich des beutigen Stapellaufs des neuen Schnelldampfers „Victoria Augusta folgenden Festessen verkündigte der Vize-Präsident der Hamburg-

Amerikanischen Packetfahrt-Aktiengesellschaft, Tietgens, daß, Senator Carl Schurz die Vertretung der Gesellschaft in Nord-Amerika übernommen habe. Diese Nachriht wurde von! der Versammlung mit Jubel begrüßt. E Kassel, 1. Dezember. (W. T. B.) Serienziebung der Kur - bessishen 40-Thlr.-Loose: 20 27 117 244 383 587 617 795 798 832 895 945 1007 1037 1120 1167 1218 1258 1270 1278 1419 1436 1454 1467 1599 1594 1597 1720 1789 1834 1862 2261 2269 2298 2310 2373 2450 2473 2511 2531 2672 2745 2790 2842 2932 3049 3080 3121 3123 3125 3133 3165 3173 3200 3326 3348 3383 3432 3534 3536 3578 3709 3744 3952 4014 4027 4031 4042 4057 4189 4205 4260 4346 4395 4537 4553 4631 4664 4691 4846 4914 5049 5134 5135 5157 5204 5205 5212 5220 5233 5266 5351 5398 5424 5586 5648 5693 5769 5789 5791 5792 5822 5910 5939 5979 6585 6111 6143 6153 6197 6232 6272 6378 6401 6443 6459 6462 6561 6631 6720. ; : Meiningen, 1. Dezember. (W. T. B.) Serienziehung der 4proz. Meininger Prämien- Pfandbriefe. 32 178 247 363 397 584 638 648 693 723 739 892 837 909 952 1041 1210 1274 1287 1382 1439 1500 1723 1928 1946 1959 2094 2025 2176 2295 2352 2394 2503 2605 2611 2761 2820 2827 2876 2986 2021 3054 3275 3279 3335 3658 3768 3849 3851. y Wien, 1. Dezember. (W. T. B.) Gewinnziehurng der österreihishen 1864er Loose. 159000 Fl. auf Nr. 64 Ser. 1553, 20 000 FI. Nr. 38 Ser. 2731, 10 000 Fl. Nr. 78 Ser. 3193, je 5000 Fl. Nr. 39 Ser. 1728, Nr. 7 Ser. 2667. Weitere gezogene Serien 87 323 408 533 544 742 923 936 1058 1235 1361 1708 1799 1960 2184 2282 2382 2760 2884 2992 3820, Wien, 3. Dezember (W. T. B.) Ausweis der Karl- Ludwigsbabn (gesammtes Nez) vom 21. bis 30, November 254 775 Fl., Mebreinnahme 25 989 Fl., die Einnabmen des alten A Sgen in derselben Zeit 191983 Fl., Mehbreinnahme 7 544 Fl, London, 1. Dezember. (W. T. B.) An der Küste 5 Weizen- ladungen angeboten. : i: 3. Dezember. (W. T. B.) Die Getreidezufuhbren betrugen in der Wote vom 24. bis 30. Novemker: Englischer Weizen 4975, fremder 55 123, engliswe Gerste 3134, fremde 35 257, englische Malizgerste 11 888, fremde 73, englisher Hafer 945, fremder 26 087 Qrts. Englisbes Mebl 19 382, fremdes 17 485 Sa.

Glasgow, 1. Dezember. (W. T. B.) Die Vorräthe von Robeisen in den Stores belaufen fich auf 1029 818 Tons gegen 938 365 Tons im vorigen Jahre. Die Zahl der im Betrieb befindli®en Hochöfen betrug 71 gegen 84 im vorigen Jahre.

Paris, 1. Dezember. (W. T. B.) Ein Schreiben Lesseps' | an die Aktionäre des Panaimakanals theilt mit, daß er dem- nächst die Obligatiouen eæittiren werde, wenn die Subskription beendet sei. Man könne unkbesorgt binsihtlich der Vollendung des Panamakanals sein. Die Subskription würde nur ges{lofsen werden, wenn das Maximum von 400 090 Obligationen untergebracht sei. Lessers ribtet sich \&ließlich an alle Franzosen und an alle seine Verbündeten, die fi in ihrem Vermögen bedroht glauben; er habe sein ganzes Leben zwei großen Werken geweiht, die als un- möglich bezeichnet worden waren: der Erbauung des Suezkanals sowie der des Panamakanals, Der Suezkanal fei vollendet und habe Franf- s bereichert, nun möge man au zur Vollendung des Panamakanals

eitragen.

Submissionen im Auslande.

Rußland. : : 13. Januar 1889, St. Petersburg. Rusfsis®e Polytechnisce Gesellshaft (St. Petersburg, Pantelemuskaja 2). Wettbewerb um Hersteüung der beiten Lampen für \{chweres Naphtha. Zwei Preise von 2500 und 1000 Rubeln. Näheres an Ort und Stelle.

Verkehrs - Anstalten.

Bei Briefen nach Port au Prince und anderen Orten der Republik Haiti wird die Lage des Bestimmungs8ortes häufig durhch den Zusaß „Haiti* näher bezeichnet, welher indeß ungenau ift, da er die ganze Insel Haiti mit Einsbluß der Republik San Domingo umfaßt. Es empfiehlt \ch daber, bei vorgedachten Briefen den genaueren Zusatz „Republik Haiti“ anzuwenden. -

Hamburg, 3. Dezember. (W. T. B.) Die Postdampfer „Rugia“ und „Bohemia* der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt- Aktiengesellschaft sind, von Hamkurg kommend, ersterer 7 Uhr Morgens, leßterer 4 Uhr Nachmittags in New-York eingetroffen und der Postdampfer „Sa ronia* von derselben Gesell- lhaft bat, von Westindien kommend, gestern Lizard passirt. :

London, 1. Dezember. (W. T. B) Der Union-Dampfer „Trojan* ist heute von Lissabon auf der Ausreise abgegangen.

Theater und Musik.

In Belle-Alliance-Theater gelangte am Sonnabend das dreiaktige Drama: „Narrheit oder Heiligkeit“ des spanishen Dichters José Echegarav zur Aufführung und fand bei dem Publikum eine sehr getheilte Aufnabme, wenn nit gar Ab- lehnung. Die Su@t, möglichst originell zu sein, noch nicht Dagewesenes zu bieten, der Wunsch, unsere „moderne“ Gesellshaft möglichst natürlich zu schildern, verleitet die Bührnenschriftsteller der Gegenwart zu oft wunderbaren literarishen Versuchen, denen wir eine Reibe der eigenartigsten dramatishen Erzeuanisse _ verdanken. Zu denjenigen, welhe es in dieser naturalistishen Schreibweise mit Außeracht- laffung der berkêmmlihen Regeln der Kunst zu einer gewissen Virtuosität La und Schule zu machen begonnen haben, gehört der Norweger Ibsen, dessen Werke gegenwärtig in das Repertoire der deutschen Bühnen aufgenonmmen sind und ebenso heftige Gegner wie begeisterte Bewunderer finden. Kaum sollte man_es für möglich halten, daß dieser dur und tur realistisbe Schriftsteller noch übertroffen werden könnte, und doch sch{heint dies Echegaray in seinem Drama „Narrheit oder Heiligkeit* gelungen zu sein, Was uns bier geboten wird, is nicht mehr und nit minder als die Swilderung des allmählich zum Ausbruch gelangenden Wabn- sinns bei einem in seinem Nervensystem erschütterten Gelehrten.

ürwahr, ein wirksames Thema: die Psychiatrik auf der Bühne.

kizziren wir des besseren Verständnifses balber kurz den Inhalt des Dramas. Don Alvendano ist im Begriff, feine Tohter Ines an den jungen Herzog Edoardo von Almonte zu verheirathen, als er erfährt, daß seine alte Amme Juana, welche wegen eines angebli beim Tode seiner Mutter begangenen Diebstahls lange Zeit im Gefängniß gesessen hat und dann verschollen ist, in seiner Näße lebt. Er hat nie an ihre Schuld geglaubt und beeilt \sich, der s{windsüchtigen, dem Sterben nahen Alten eine leßte Zuflucht in seinem Hause zu bieten. Juana wünscht ihm vor ihrem Tode ein Geheimniß zu enthüllen and fie eröffnet dem Erschreckten Folgendes: Don Alvendano's Eltern waren kinderlos ; um ater der Donna Alvendano, sobald sie Wittwe geworden, das reihe Vermögen zu erhalten, das sonst an Verwandte gefallen wäre, gaben sie ein Kind der Amme Juana für ihren Sohn aus. Als Dorna Alvendano stirbt, läßt sie ein Schreiben zurück, in welchem sie dem untergeshobenen Sohn Alles eingesteht. Dies Schreiben sol ihm aber erst nach Jahren eingehändigt werden; den Ort, wo es aufbewahrt ist, hat die Sterbende auf einem kleinen, in einem Medaillon einge\chlofsenen Zettel ange- geben. Die Amme Juana, welhe dem von ihr geborenen unter- geshobenen Knaben die Erbschaft retten will, nimmt das verhängniß- volle Medaillon an si, und läßt si lieber des Diebftahl beschuldigen und deswegen verurtheilen, als daß sie es herausgegeben und durch den in ibm enthaltenen Zettel die Wahrheit an den Tag gebracht bätte. Nun ift sie dem Sterben nahe, aber sie begt den Wunsch{, von Don Alvendano, der, reich an Vermögen und Ansehen,

sie getrost sterben. Ibr Geständniß übt eine furchtbare Wirkung auf Don Alvendano aus. Er ift der Ansicht, daß Alles, was er in utem Glauben als ihm gehörig betrahtet, Reibthum und Name, ge - tohblen ist, daß er die rechtmäßigen Erben um ibr Vermögen betrogen, die ganze Welt unwissentlih hintergangen hat. Dem Konflikt, der nun in seinem obnehin zu Exaltationen geneigien Gemüth ausëbriht, erliegt er. Mit einer wahren Wolluft giebt er sich selbstquälerischen Gedanken bin, grübelt und tüftelt, wie er das von ibm do unbewußt begangene Unrecht wieder gut mawen fönnte, und kommt endlih zu dem Entschluß, vor der Welt ein offenes' Geständniß abzulegen, durch das Geriht die Befriedigung der rechtmäßigen Ecben zu bewirken, auf Besiß, Namen und Arsehen zu verzihten und wie ein Bettler davonzugeben. Die Vorstellungen, die Bitten seiner Angebörigen vermögen nichts über ibn, es ift bei ibm zur firen Idee aeworden, daß er ein Betrüger, ein ehrloser Mensch sei, für den keine Buße zu {wer ift, und so werden wir von dem Dichter zu Zeugen des ausbrechenden Wahnsinns gemacht. Juana ift an Don Alvendano's Brust gestorben, das Gerücht erzählt, er habe sie in einem Anfall von Wahn- sinn in feinen Armen erdrückt; das erfährt er dur die Ungeschicklihkeit zweier Krarkenwärter, welche ibm cin zur Beobabtung hberbeigerufener Irrenarzt zur Bewachung beigegeben bat; die Symptome des Verfol- gungswahnsinns mehren fickb, er glaubt fich von seinen eigenen An- gehörigen verrathen. Die Zuschauer sind verurtheilt, diesen peinlichen Borgängen der Selbstzerstörung einer Seele mit beizuwohnen, eine starke Zumutbuyrg von Seiten des Dichters; man ift darauf gefaßt, cine Tobsu(btsscene auf der Bühne mitanschen zu sollen, denn die Krankenwärter steben bereit, zuzugreifen, fobald der arme Geisteskranke einen Angriff auf seine Umgebung mat. Doc genug des Grausigen, man siebt, der Dichter \{chreckt vor den krafsesten Dingen nit zurück, um den qualvol'en Eindruck feiner psvchciatrisben Studie zu verstärken. Daß die gan:e Handlung an großer Unwabrscheinlibkeit leidet, muß ibm selbît wobl flar gewesen sein, aber er begeht wifentlih einen derartigen Febler in der Komposition, nm den für die Entwickelung erforderliben Konflikt zu ermöalichen. Warum kommt Iuana in das Haus Don Alvendano's, warum \chweigt sie nit? fragt der in das größte Mißdvehagen versetzte Zuschauer. Der Grund: sie wolle vor ihrem Tode von ibrem Sobn das süße Wort „Mutter* vernebmen, ift doch ¿u wenig stihbaltig. Um ihr Benebmen zu erklären, läßt der Dichter sie von dem „Egoismus der Sterbenden“ sprechen. Liegt es denn wirkli in der mens{lihen Natur, daß sie in dem Augenblick, wo sie sih in Nichts auflöft, noch einmal ibre letzte Handlung von der bäßlihstenEigenschaft der menschlihenSeele, dem Egoismus bestimmen läßt? Ist es [nit natürliher, daß fie, selbst versöbnt mit der Welt, mit versöhnlihen Gedanken aus dieser \Weidet und, soweit sie es vermag, noch segnend und Gutes ftiftend wirkt? Aber Echegaray stellt das Theorem von dem „Egoismus der Sterbenden“ auf, nur um die widerwärtige Handlung einer Närrin zu motiviren, welhe, einer Lune folgend, das Glück ibres angebeteten Kindes zerstört. Als ße aber erkennt, was fie angerihtet, vernihtet sie selbst den wverhängnißvollen Brief und lâugnet Alles, richtet dadurch aber nur noch größeres Unkbeil an, denn Alvendano be’&uldigt, als er sväter statt des Briefes ein von Juana selbst untergeshobenes leeres Blatt findet, seine An- gebörigen, daß diese dies wichtige Beweismaterial vernichtet bä!ten. Wir wollen nicht läugnen, daß der Dichter den aus vorbandenem Keim si entwickelnden Wabnsinn an dem unglücklihen Opfer mit feiner Beobahtung s\childert, doGh muß dem sachverstäns digen Psythiater überlassen bleiben, zu enticheiden, ob Etegarav bier di:selbe Meistershaft bekundet, wie Shakespeare in der Zeihnung des wahnsinnig werdenden Lear. Glüdcklicher- weise werden wir mit dem Anblick einer Katastropbe ver- \{ont; zwar springen die Krankenwärter einmal zu und reißen die Tochter aus den Armen des gefährlichen Patienten, aber es bleibt uns erspart, die Zwangsjake angewendet zu sehen, mitbin eine Scene zu erleben, wie ße in den Irrenbäusern ja täglih vorkommt, auf unsern Theatern bis jeßt aber noch zu den Seltenheiten gebört, obglei wir bier hart daran vorbcikommen. Unbefriedigend wie die meisten dieser modernsten, spitfindig ausgeklü- gelten Schauspiele {ließt aub das Echegaray's. en Titel seines Werks versiebt cr selbst mit einem Fragez:eichen, indem derselbe lautet : „Narrheit oder Heiligkeit?“ Er läßt es dahingestellt, ob Von Alvendano wie ein Narr oder ein Heiliger handelt, ob er selbst ein Mann von Übertriebener Ebrenbaftigkeit oder ob seine Umgebung, wel(e ihm mit kfluger Verehrung räth, die Entdeckung seiner angeblih verbrecerischen Herkunft zu unterlassen, schurkisch ift. Was gilt bier mebr, die Ebrenbaftigkeit oder die Klugheit ? Der geneigte Zuschauer wolle gefälligst selber entscheiden, und unter dem Eindruck dieses ver- fängliben Fragezeihens und der abstoßenden, überaus peinlihen Handlung verläßt er das Haus, obne sich dem Dichter für die gebotene Unterbalturg zu irgend welchem Danke verpflibtet zu fühlen. Die Darstellung des Don Alvendano war keine lci@te und Hr. Wiene vom Hof-Theater in Stuttgart mußte feine ganze künstlerische Kraft daransetzen , um diese Figur einigermaßen glaubhaft zu machen. Dies gelang ibm im Allgemeiren recht gut und wenn seine Leistung nit überall auf gleiher Höbe stand, so mag dies mit der außer- ordentlichen S{wieriakeit der ibm zugefallenen Aufgabe entschuldigt werden. Die Mitglieder des Belle-Alliance-Theaters thaten gleih- falls, was in ibren Kräften stand, um ihren mehr oder weniger dank- baren Rollen gerecht zu werden.

Belle-Alliance- Theater. Am Mittwech Nacbmittag findet wiederum eine der fo {nell beliebt gewordenen Kinder- vorstellungen des „Rattenfänger von Hameln“, zu bedeutend ermäßigten Preisen, statt. Wie wir hören, sind nur noch wenige solcher Nacbmittags- Vorstellungen vor Weihnawten in Ausficht genommen. Um Hrn. Karl Wiene, dem Gast des Belle-Alliance-Theaters, Gelegenheit zu geben, sich dem Publikum in verschiedenen Rollen vorzuitellen, geht am Mittwoch „Der Meineidbauecr" von Anzenaruber, mit Hrn. Wiene in der Titel- rolle, in Scene. Es findet mithin morgen die vorläufig letzte Auf- führung des Echegaray’s{en Dramas „Narrbeit oder Heiligkeit“ statt.

Im Concerthausfe fand vorgestern unter Hrn. Carl Meyder's Leitung der siebente Opern-Abend ftatt, der uns zwei Akte aus der selten gehörten Oper „Jesonda®“ von Spohr vor- führte. Die Haupipartie batte Fr. Waibel aus München über- nommen, deren vortrefflihe kfünfstlerishe Leistungen von der Over in Elbing und einem hiesigen Theater ber bereits bekannt sind. In der Arie: „Die ihr Fühlende betrübt“, wie in dem folgenden Finale des crsten Aktes trat die Klangfülle der woblgeshulten Sopranftimme und die edle Aus8drucksweise sehr wirksam bervor. Hr. Lebrecht (Na- dori) besißt eine sehr woblklingende und umfangreihe Tenorstimme, der nur etwas mehr Wärme des Ausdrucks zu wünschen wäre; doch wurde seine Leistung in dem berühmten Duett mit Amazili: „S{öônes Mädchen, wirst mich hafsen“, mit lebhaftem und woblverdientem Beifall aufgenommen. Frl. Monte (als Amazili) und der Bassift Hr. Bartiesky (als Dandau) trugen na besten Kräften ¿zum Gelingen des Ganzen bei. Ganz besonders lobende Anerkennung verdient aber der Baritonift Hr. Dinger, der die Partie des „Tristan d'Acunnha“ ausführíe. Aus der bewährten Schule des Gesanglehrers Edwin Schulz bervorge- gangen, hat sich derselbe erst seit Kurzem dem dramatishen Gesange zugewandt und bewies bei vorzügliber Tonbildung und musterhafter Deutlichkeit der Aussprache zugleih eine böchs| empfindung8volle Vortrag8weise, die in der großen Arie des ersten Akts trefflih zur Geltung fam. Die Kapelle des Hauses führte Spohr's herrliche Ouverture sowie mehrere andere Orchesterkompositionen unter Hen. Mayder’'s umsichtiger Leitung mit gewohnter Präzision aus. Sämmt- liche Vorträge des Abends wurden von dem ungemein zahlreich er- schienenen Publikum mit sehr lebhaftem, oft stürmishem Beifall aufgenommen.

Mannigfaltiges.

Morgen, Dienstag, den 4. d. M., findet jn aide Parforce: Jagd statt. Rendezvous Mittags 123/4 Ühr zu

selbst son eine heranwahsende Tochter, Ines, hat, wenn auch nur

für wenige Augenblicke als Mutter anerkannt zu werden, dann will

agd\hloß Grunewald, 11/4 Uhr an der Saubucht.

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