1909 / 78 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 01 Apr 1909 18:00:01 GMT) scan diff

als ob er gen iede solhe Vereinbarung sei. Das Verhalten des Abg. Eickhoff von heute beweist das Gegenteil; er hat mit Feuereifer für internationale Schtedsgerihte plädtert, aber gestern mit der Mehrheit egen unseren Antrag estimmt. Die deutshe Sozialdemokratie hat gestern den englischen ozialisten im Sinne unseres Antrags ein Begrüßungstelegramm ge- \chickt, und die ebenfalls noh gestern abgegangene Antwort an uns beweist, daß wir bei der britischen Arbeitershast auf volles Ver- ständnis gestoßen sind. Der englishe Staatssekretär Sir Edward Grey hat in seiner jüngsten großen Rede alles, was unser Genosse Ledebour ausgeführt hat, unterstrißen und bestätigt. Die Ver- ständigung über die Flottenrüstung wird kommen, weil sie kommen muß, wenn nicht der Krieg ausbrehen soll. Ob es not- wendig war, daß der Kanzler soviel Zahlenmaterial anführte, um die Bedeutung Englands als Kunden Deutschlands darzutun, weiß ih nit, er ätte immerhin etwas mehr handelsstatistische Kenntnisse beim Hause voraussezen können. Steht es denn nun absolut fest, daß in dem Kriege Deutschland der Sieger sein wird ? Der Reichskanzler scheint ja nah zweitägiger Anwesenheit bereits wieder spurlos vershwunden zu sein ; vielleiht nimmt wenigstens der Staatssekretär Gelegenheit, zu erklären, daß nah der Erklärung Sir Edward Greys über die Bereitwilligkeit Englands, die Anschauung über das Prisenrecht zu ändern, unsere Regierung ihre gestrige Haltung zur Seeabrüstungsfrage sofort revidieren wird. Eigentümlich ist die jeßige allgemeine Befriedigung über das Marokko-Abkommen, wo man doch nah 4 Jahren „Krummpolitik“ glücklich beim Auégangspunkt wieder angelangt ist. Uebrigens hat die Marokko-Affäre noch ein wunderbares Nachspiel gehabt, indem bei dem deutschen Botschafter in Paris, Fürsten Radolin, der Vertreter des „Matin“, ein Herr Sauer- wein, ershien und ihm Abschriften von Depeschen aus Berlin über- reichen konnte, die der Fürst Radolin empfangen und im tiefsten Hintergrund seines siebenfah vershlofenen Tresors verborgen hatte. Jedenfalls muß dieser „Matin“ garz vorzüglich aus Berlin bedient werden; das haben wir ja auch gesehen an den Artikeln, die in den Novembertagen im „Matin“ erschienen sind. Was die Reorganisation des auswärtigen Dienstes betrifft, so war im November alles, auch der Reichskanzler, darüber einig, daß es in diesem Ressort anders werden müsse; aber es ist nichts anders geworden und wird nihts anders werden; nur die Geheimniskrämerei is noch größer ge- worden. Wir brauchen eine genaue Machtbegrenzurg bezw. Macht- versh!ebung zwishen Krone und Parlament; und zwar einem Par- lament, das kein Zerrbild der Stimmung des Volkes ist, sondern in dem die Meinung des Volkes unzweideutig zum Ausdruck kommt. Die Stärke Deutschlands hängt niht ab von zwei oder drei Dreadnoughts mehr, sondern von der Freiheit und dem Selbst- bestimmungsreht seiner Bevölkerung. Abg. Speck (Zentr.): ‘Der Staaissekretär hat auch auf die

Differenzen angespielt, die zurzeit zwishen dem Reih und der.

Schweiz wegen der Mehlausfuhr bestehen. Ob diese Differenz dur ein Schiedsgeriht aus der Welt ges{haft werden kanv, halte ich doch für sehr zweifelhaft. Eine Möglichkeit des Einareifens auf diesem Wege ist hier nicht gegeben, wo es sich um den Vollzug des deutschen Zolltarifgeseßes handelt; wir können nur auf dem Wege direkter Ver- handlungen weiter kommen. Ich wollte die Aufmerksamkeit des Staatssekretärs auf die Erregung lenken, die in den Kreisen der deutschen , zumal der süddeutshen Hopfenbauern über die angebliche Absicht besteht, die Einfuhr deutschen Hopfens nach England dort durch gewisse Deklarationsvorfschriften zu belästigen, ge- wissermaßen ein neues „made in Germany“ für Hopfen einzuführen. Durch diese neuen Vorschriften würden besonders die bayerischen Hopfenbauern fehr benachteiligt werden, zumal die Preise für Hopfen ohnehin gegen früher fehr gesunken sind. Das Auswärtige Amt sollte sich, bevor weitere Schritte erfolgen, bei den Interessenten erkundigen und die Bedenken der deutshen Landwirtschaft den Engländern zur Kenntnis bringen.

Direktor im Auswärtigen Amt, Wirklicher Geheimer Rat Dr. von Koerner: Meine Herren, es ist rihtig, daß dem englishen Parlament ein Gesezentvurf in bezug auf den Verkehr mit Hopfen vorgelegt ge-

wesen ist, und daß er ungefähr die Bestimmungen enthalten hat, die der Vorredner wiedergegeben gek Diefer Entwurf hat aber in Eng-

Tand selbst starken Widerspru erfahren und ist infolzedessen von der Regierung wieder zurückgezogen worden. Neuerd!ngs isi ex allerdings von einem Mitglied des Unterhauses als Antrag wieder aufgenommen worden, und es steht dahin, was aus diesem Entwurf wird. Wir

nd über die Wünsche des deutschen Hcpsenbaues dur eine Reihe von Singaben, die an uns gekommen sind, und dur Erörterungen voll- ständig orientiert. Wir werden abex selbstverständlich jede weitere Mitteilung, die uns in dieser Nichtung zukommt, mit Dank begrüßen und werden sie au, soweit mögli, zu verwenden suhen. Welchen Erfolg man mit solchen Schritten dann hat, das ist ja eine andere Frage. Ih möchte darauf hinweisen, daß wir jz auch nicht allzusehr zugänglich bei folhen Vorstellungen find; ich erinnere an das Weingeseß. Der Vorredner hat ferner den sogenannten Schweizer Mehl- konflikt zur Sprache gebraht. Jn der Kommission sind sowohl von dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, wie von mir ein- gehende Mitteilungen über Ursprung, Verlauf und Stand dieses Kon- fliftes gemaht worden. Jh möchte hier nur den Wunsch aussprechen, daß uns eine Lösung dieser unerfreulichen Meinungéverschiedenheit ¿wischen uns und der shweizerischen Regierung, mit der wir ja sonst ausgezeichnete Beziehungen haben, möglichst bald gelingen möge. Wir werden unsererseits alles tun, um diesen Konflikt beizulegen. Richtig ist, daß, wie der Vorredner angeführt hat, zunächst in Aussicht genommen ist, diese Beilegung auf dem Wege einer Verständigung zwischen den Schweizer und den deutshen Müllern zu erreichen. Sollte das nicht gelingen, so müßten andere Weg? gesuht werden, die es ja noch gibt. Jedenfalls möchte ih ganz besonders hervorheben, daß es uns sehr erwünscht is und von unserer Seite alles gesehen wird, was eine Lösung dieser Frage in einer Weise verspricht, die den be- rechtigten Interessen beider Teile gerecht wird.

Abg. Dr. Stresemann (nl.): Das jetzige Handelsprovisorium mit der nordamerikanischen Union wird baldigst einem neuen Landels- vertrage mit der Union zu weihen haben; mit einer Kündigung des Provisoriums werden wir demnächst zu rechnen haben. Jn die interne Gesetzgebung der Union einzugreifen, das zu verlangen, liegt mir fern; protestieren muß ich aber gegen die Art, wie manche amerikanische Schußzzöllner operieren mit Angaben über die deutsche Produktion, den Schutz, den sie genießt, und die Arbeiterverhältnisse, die dabet in Betracht kommen. Die Zölle auf die Wirkwaren sollen um 23 9% erhöht werden; dabei wird drüben davon ausgegangen, daß die Löhne der amerikanishen Arbeiter dieser Branche stark gestiegen seien, während sie bei uns gefallen wären. Das ist fals; diese Löhne sind bei uns ebenfalls erheblich gestiegen. Es ist auch nicht richtig, daß die deutshe Regierung, wte drüben behauptet wird, bei der Ausfuhr den Eingangszoll auf deutshe Garne wieder vergütet. Gegenüber diesen ganz einseitigen und unzutreffenden Darstellungen über deutshe Löhne und Fabrikationsmethoden muß diesex Protest eingelegt werden. Unser Auswärtiges Amt hat öfter Gelegenheit, für deutshe Ausfuhr- interessen einzutreten. In der deutshen Presse wurde jüngst ein Fall besprochen, wo ein solches Eintreten unterblieb, und ein großer Äuf- trag für die deutsche Industrie durch Dazwischentreten des Aus- wärtigen Amts hintertrieben worden sein f\oll. Die Firma Loewe soll sich um eine öôsterreihische Patronenlieferung be- worben haben; das Auswärtige Amt habe aber erklärt, man habe ein Interesse, mit Oesterrei gut zu steben; man möchte also den Oesterreihern die Lieferung überlassen. Ein folches. Entgegenkommen gegenüber einer ausländishen Macht könnte man doch fast als Liebedienerei bezeihnen. Die Frage der Reorganisation des Auswärtigen Amts, die Frage der

orbildung der Diplomatie usw, ist wiederum berührt worden. Wir ôren, die Tüchtigkeit sei der einzige Maßstab, den man anlege, es omme keinerlei Bevorzugung einer einzelnen Gesellshaftsklasse vor. Tatsächlih aber sieht man wie im Heere unten das bürgerliche Glement im Vordergrunde \teht, bis plöplich das Avancement desselben aufhört, und der Adel an die Stelle tritt, je weiter man an die hôheren Chargen kommt. Der Staatssekretär unter-

chied ja in der Kommission zwischen Uradel, altem und jüngerem

riefadel; aber selbst wenn ih diese beiden leßteren Kategorien dem Bürgertum zurehne, komme ich noch auf ein Verhältnis von 60:57; das s{chlimme ist, daß man von einem bestimmten unkte an die Nobilitierung für nötig erachtet, wenn der

ürgerliße eine bestimmte Fung einnehmen foll. Hier wird also dem Gedanken der Repräsentation . ein sehr weit- gehender Einfluß eingeräumt. Die Repräsentation ist ja eine ansheinend niht auf das Deutsche Reich beschränkte Volkskrankheit ; also nur solhe Persönlihkeiten können diese Nangstellung einnehmen, die ein großes Privatvermögen mit in die Wagschale zu werfen haben; es kommt also darauf hinaus, daß neben der Adels- die Geld- aristokratie das Monopol für den diplomatishen Dieast hat. Das ift ein falshes System Wenn wix jeßt ganze Arbeit in der Finanzreform maden müssen, dann muß auch bewilligt werden, was auf diesem Gebiet notwendig ist; da kann es au hier niht auf eine Million ankommen, wenn es gilt, diejenigen Personen an die rihtige Stelle zu seßen, die darauf rah Intelligenz und Energie, kurz nah der Tüchtigkeit den ersten Anspruch haben. Unsere Diplomaten sind heute nicht mehr bloß mit politishen Fragen, sondern auch mit geschäftlichen befaßt. Ist es ohne weiteres gesagt, daß der Angehörige des Hochadels be! Konzessionsfragen, bei der Frage der Vergebung von Lieferungen usw. nah seiner Kinderstube und Ausbildung der vorzugsweise zuständige Mann sein wird ? Jn Frankreich ist dieser Uradel längst einflußlos geworden. Unsere Konsulate sollen keine Handelsagenturen sein, wird uns gefagt. Jn der Beziehung wünsche ih, daß unsere Konsular- vertretungen im Auslande sich ein Vorbild nehmen möchten an der Rührigkeit und smartnoss der amerikanishen Konsuln in Deutschland; von diesem kaufmännishen Geiste sollten auch unsere deutshen Konsuln im Auslande {ih durchdringen lassen. Was jeßt in der Türkei und Kleinasien in der Presse gegen Deutschland geheßt wird, hat auch den wirtschaft- lichen Zweck, den Export deutsher Güter dorthin zu unterbinden, die Antipathie gegen Deutschland in eine Antipathie gegen deutsche Waren zu erweitern. Hler müssen Kaufleute und Journalisten zusammen- wirken, um dieser systematischen Brunnenvergiftung entgegenzuarbeiten. Ich bitte Sie s{ließlich, dem Antrage Bassermann zuzustimmen, der den Kommifsionsbeschluß, am Fonds für landwirtschaftliche und Handelsattah6és künftig je 100 000 46 abzusezen, wieder auf- heben will. Mit diesem Beschluß hat si die Kommission mit allen fahmännishen Anschauungen und mit den Ecfahrungen aller übrigen Länder in Gegenfaßz gestellt. Diesen wihtigen Beamten follte für ihre spätere Lebenszeit au eine gewisse Bürgschaft über das doch nur wenige Jahre währende Kommissariat hinaus gegeben werden. Daß der Verein Hamburger Exporteure eine abweihende Stellung ein- nimmt, kann niht verwundern.

P i des Auswärtigen Amts Freiherr von oen:

Meine Herren, ich möchte mich darauf beschränken, auf einzelne Punkte, welche der Herr Abg. Dr. Stresemann zur Sprache gebra(t hat, ganz kurz zu antworten.

Er hat darauf hingewiesen, daß bei der Aufstellung eines neuen Zolltarifentwurfs für die Vereinigten Staaten eine Reihe von Ers- höhungen vorgesehen sind, welche den deutschen Import nah Amerika in ziemli bedeutender Weise schädigen würden, und er hat darauf hingewiesen, daß die Begründung, welche diesen Vorlagen in Amerika beigegeben ist, Darstellungen enthält über deutsche Arbeiterverhältnisse, über deutshe Handels- und Industrieverhältnisse, die niht in allem rihtig, sondern in vielen Punkten vollständig irutümlich find. Wir haben urser Augenmerk auf diese Frage gerichtet und haben s\ofort das Erforderliche getan, um diese Frrtümer aufzuklären und richtig zu stellen. Ganz abgeschlossen ist diese Tätigkeit noch nicht. Wir sind sofort an alle deutshen Handelskammern herangetreten und hahen fie gebeten, das Material zu liefern, um diesen Irrtümern éntgegénzutreten.

Wenn jene Darstellungen sich teilweise auch auf die Beobachtung und die Berichterstattung amerikanisGer Konsuln slüßen sollten, so erscheint mir do fraglih, ‘ob das Lob, das der Herr Abgeordnete denselben soeben gespendet hat, nit einzushränken wäre.

Der Herr Abg. Dr, Siresemann hat ferner einen Fall vor- gebracht der hiesigen Firma Loewe, welcher bei der Lieferung von Munition niht die nötige Unterstüßung seitens des Auswärtigen Amts zu teil geworden wäre. Jch würde Herrn Abg. Dr. Strese- mann dankbar gewesen sein, wenn er mi vorher gütigst benachrichtigt haben würde, daß er diejen Fall zur Sprache bringen wollte, damit ih mih genau darüber hätte informieren können. Es ist doch nit mögli, daß ih all die Hunderte von Fällen im Kopfe habe. Mir ist nur in Erinnerung, daß vor einigen Wochen eine Notiz ähnlichen Inhalts dur die Zeitungen gegangen ist, wir hätten der Firma Lcew? bet einer Lieferung niht die nötige Untersiüßung zu teil werden lassen. Der Vectreter der Firma Loewe geht ziemli viel im Aus- wärtigen Amte aus und ein. Wir haben ihn gelegentlih auf diefe Zeitungsnotiz aufmerksam gemaht, und da hat er seinerzeit erklärt. genau das Gegenteil von dem, was in den Zeitungen stünde, set wahr, und es ist auch nah einigen Ta gen eine Richtigstellung erfolgt. Ob das derselbe Fall ist, den der Herr Abgeo rdnete meint, kann ih niht feststellen. Wenn der Herr Abg. Stresemann die Güte bätte, mir sein Material zur Verfügung zu stellen, werde ih versuchen, noch am heutigen Tage die Sache aufzuklären.

Abg. Dr. Heckscher (fr. Vgz.): Ih würde doch sehr wünschen, daß der Deutsche Reichstag sih häufiger und genauer mit auswärtiger Politik beschäftigt, und in diesem Zusammenhang komme ih auf die Angelegenheit der kurzen Anfragen an die Regierung zurück, Das Auswärtige Amt sollte dem Reichstage öfter Weißbücher über wichtige Fragen zukommen lassen, und zwar rechtzeitig. Die Friedens- kundgebungen der englishen und deutschen Arbeiterschaft sind an si Aan erfreulich; aber die Gefahr besteht doch, daß die Kund- gebung der deutschen Arbeiter in England den Cindruck erweckt, als ob lediglih der deutsche Arbeiter ein Freund des Friedens sei. Wir alle find genau fo friedensfreundlich wie der deutshe Arbeiter. Ein Hauptfehler der englishen Agitation liegt darin, daß man h einseitig mit der Frage der deutsh-englischen Abrüstung befaßt, nicht mit der internationalen Lösung dieser Frage. Auch wie sich England zu der Beuterechtsfrage verhalten wird, hat der Staatssekretär Grey nicht durhblicken lassen. In der ganzen Frage spielt das parteipolitische Moment in England eine große Rolle; im Hintergrunde aber steht das praktische Interesse, steht die große wirtshaftlihe Frage des Made in Germany. Mit dem Hinweis auf den , Matin“ wollte der Abg. Scheidemann vielleiht andeuten, als hätte der deutshe Bot- schafter in Paris gegen den Reichskanzler konspiriert. Das ist nicht der Fall gewesen und würde auch nicht angebraht gewesen fein. Was den auswärtigen Dienst betrifft, fo üntecs@reibe ih alles, was die Abgg. Bassermann und Müller-Meiningen über die Adelsfrage gesagt haben. „E is jest Brau, Goethe zu zitieren; ich steuere meinerseits folgendes Zitat

: „Wäre ih ein Fürst, so würde ih zu meinen ersten Stellen nit Leute nehmen, die bloß durch Geburt ‘und Anciennität nah und nah heraufgekommen sind." Etne gewisse Kunst des Be- nehmens muß ja wohl dem Diplomaten eigen sein; er soll nicht Tabak kauen und sich niht im fremden Hause die Nase hinter der Gardine pugen ; aber das rein Aeußerlihe kann doch \{ließ-

- Tih nicht enisheidead sein,

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Ein Haupterfordernis ift, daß eiw Diplomat ein Gentleman ist. Es muß mit der Uebung A werden, daß als Diplomaten nur Männer taugen, die dur irgend welche Examina geeiht sind. Der Diplomat muß natürli Frañ- M prechen können, und zwar wirklihes Französish; das rein

eußerlihe der Sprachkenntnisse entsheidet auch nit. Von dem en Diplomaten müssen wir zurück und dem nachahmenswerten Beispiel anderer moderner Völker folgen.

Abg. Gans Edler Herr zu O ß QEoRA : Der Abg. von Hert-- ling hat vorgestern mit Ret ge agt, daß die Angriffe gegen den Adel hinfichtlih der Diplomatenlaufbahn veraltet sind. Man spinne hier immer noch den alten Faden. Fn Preußen und Deutschland sind in Len Verwaltung und Diplomatie tüchtige Leute seit den leßten

ahrzenten dort genommen worden, wo man sie findet. Jch wünsche, daß das Auswärtige Amt das auch künftig tut. Man kann aber nit die zum Adel renen, die vor 2 Jahren geadelt sind. Diese Tatsache beweist eben, daß die Leute nah ihrer Tüchtigkeit ausgewählt werden. Von den deutshen Diplomaten sind etwa ‘/7 Preußen und ?/7 nicht Preußen. Unser alter Adel der Provinzen Pommern, Brandenburg und Preußen h:t darunter nur 12 Ver- treter, Rheinland dagegen 13. Ih möchte \charf hervorheben, daß wir in allen ‘diesen Dingen weit günstiger daran sind, wie in anderen Ländern, wo vielfa eine Bevorzugung einzelner Parteien statt- findet, was weit \{chlimmer is. Meine Frektionsgenossen kommen: bei der Verteilung der Diplomaten am \{hlechtesten weg. Jedenfalls herrsht bei uns niht der Nepotismus wie in anderen Ländern. Wir haben unter den Diplomaten niht wenige Berliner und Hamburger. Ich glaube, daß wir mit dem, was der Abg. Helkscher gesagt, nicht weiterklommen. Der Fehler scheint nicht nur an verkehrter Auwahl zu liegen, sondern daran, daß wir in Deutschland noch eine verhältnismäßig kurze Geschäftskenntnis in der Diplomatie haben. Auch im Neichstage ist es mit der staatsmännischen Bildung nicht so- glänzend bestellt, wie man es erwarten sollte. Fch bin in dieser Be- ziehung bei meinem Eintritt in den Reichstag enttäusht worden, ab- gesehen von einigen Kategorien. Darum ist eine Auswahl aus anderen Berufskreisen für den diplomatischen Beruf recht s{chwer. Eine gewisse Erziehung für den diplomatischen Dienst halte ih für erforderlih. Aber das Monokel ist in dec deutshen Diplomatie niht vertreten. Mit den äußeren Hilfsmittelnn kommt man nicht weiter. Man muß si von Grund aus mit den staatsmännischen Dingen beschäftigen und staatsmännischen Geist pflegen. Jh erkenne an, daß in wirtschaftlihen Dingen vielfa unsere Diplomaten nit so ausgebildet find, wie wir es wünschen müssen. Wenn die Industriekreise dazu koumen, ih auch staatsmännishe Männer zu bilden, dann können wir auch die Kräfte aus ihren Kreisen bekommen. Der Hochadel ist aber in unserer Diplomatie sehr gering vertreten. Unser Staatssekretär ist ja ein Beisptel dafür.

Staatssekretär des Auswärtigen Amts Freiherr von Schoen:

Meine Herren, es war niht meine Absicht, noch einmal in der Frage der Reform des auswärtigen Dienstes das Wort zu ergreifen. Nachdem aber in der vorgestrigen Verhandlung und auch heute mehrere Redner auf diese Frage zurückgekommin sind, nachdem immer noch gewisse Zweifel zu bestehen sheinen, möhte ih doh noch einmal ganz kurz meine Auffassurg zu der Sache darlegen.

Durch alle diese Betrachtungen, die wir in der leßten Zeit, so- wohl in diesem hohen Hause, wie außerhalb desselben gehört und ge- lesen haben, ging immer der Wunsh nah Aenderungen und Ver- besserungen im auswärtigen Dienste in erster Linie bei dem Ersay der Diplomaten. Der Wunsh nah Besserem ist, wie überall, so au hier gewiß gerechtfertigt; aber mit den Sc{hwiertgkeiten des diplomatischen Ersaßes hat man au früher, hat auch Fürst Bismarck zu kämpfen gehabt. Und das kann auch kaum anders sein, wo der Mechznismus des amtlihen Betriebes verhältnismäßtg wentg, die persönlichen Eigenschaften der an den wihtizen Stellen stehenden Beamten fast alles bedeuten. Es gibt kein System ih habe au keins in den vielen Vorschlägen in der legten Zeit entdecken können, auch nicht in der fonst sehr interessanten Darlegung des Herrn Abg. Hekscher es gibt kein System, welches mit unbedingter Sicherheit die auserlesensten Geister und die gewandtesten Vertreter in die hohen diplomatishen Stellen brächte.

Meine Herren, die Frage der Neform des auswärtigen Dienstes hat au im vortgen Jahre das hohe Haus beschäftigt, und ih habe damals zum ersten Male Gelegenheit gehabt, meine Meinung über diese Frage darzulegen. Jh habe ausgeführt, daß an Wissen und Können der Anwärter zum diplomatishen Dienst hößere Anforderungen gestellt, daß die Probezeit ausgedehnt, daß die wirtschaftlichßen Kennt- nisse mehr betont, daß die Gesihtepunkte bei der Auewahl erweitert werden sollen; ich habe nahdrücklich gesagt, daß die Bewerbungen rein sahlich und unbefangen und ohne jeglihes Standesvorurteil ge- prüft werden sollen. Die Grundsäße, zu denen ih mich damals be- kannt habe, sind inzwischen amtlich festgelegt worden und mit gutem Erfolge zur Anwendung gekommen.

Eingehender is die Frage des diplomatischen Dienstes in der Budgetkommission erörtert worden, und ih komme um so lieber darauf zurüdck, als noch manches, was. ich damals die Ehre hatte, vor- zutragen, nur in unvollständiger, zum Teil sinnentstellender Kürze in weiteren Kreisen bekannt geworden ift.

Die Bemängelungen, die gegen unsere Diplomatie geltend ge- macht worden sind, bewegen \ich in der Hauptsachße nah zwet Nichtungen, erstens gegen das politishe und wirtshaftliße Ergebnis threr Tätigkeit. Dieser Vorwurf geht wohl hauptsählih von solchen Kritikern aus, die überhaupt der Meinung sind oder, wie ih hoffe, der Meinung waren, daß Deutschland in der leßten Zeit {lechte politische Geschäfte gemaht habe. Richtig ist ja, daß die Führung der politishen Geshäfte dur schlecht unterrihtete und ungeschickte Vertreter im Auslande irregeleitet und gelähmt werden kann. Ander- seits aber darf -niht übersehen werden, daß die diplomatischen Vers treter im Auslande, wie der Herr Abgeorddete Dr. Freiherr von Hertling sehr richtig gesagt hat, im wesentlihen ausführende Organe sind. Sie werden durch ihre Erfahrungen, durch ihre Berichts erstattung ja die Entschlüsse der Zentralleitung mehr oder weniger beeinflussen ; aber die Verantwortung liegt bei der Zentralstelle, nicht bei den Vertretern im Auslande. An die Adresse der Zentralstelle wird sich daher die Kritik zu rihten haben und weniger an die Adresse der diplomatishen Vertreter, es sei denn, daß diese sih be- stimmte Fehler und Versäumnisse haben zuschulden kommen lassen.

Was nun die wirtschaftlihe Tätigkeit betrifft, die ja auch bei: unseren diplomatischen Vertretern als nit ausreihend befunden worden ist, so ist zunächst zu betonen, daß die neuen Grundsäze über die Vor- bildung der Beamten des auswärtigen Dienstes die wirtschaftliche Seite mehr hervorkehren. Sodann ist niht zu übersehen, daß an allen wichtigen Posten unseren Diplomaten die Generalkonsuln und die Handelssachverständigen mit ihrem tehnischen Rate zur Seite stehen. Auf sie werden die diplomatishen Vertreter mehr oder weniger an- gewiesen sein; denn das Prinzip der Arbeitsteilung, ein Charaktee- ristikum der fortschreitenden Kultur, gilt auch hier. Es wird immex

S O E C S B 2e io ri Ei ider ad Hte A A

s{wieriger und seltener sein, Personén zu finden, die #ch in gleicher Weise zur Lösung der politishen und wirtshaftlichen Probleme eignen.

Der zweite Punkt, gegen welchen \ich die Bemängelungen unserer diplomatishen Persönlichkeiten rihten, ist die allzu zahlreiche An- nahme von Personen adligen Namens. Auch in dieser Beziehung habe ich mich in der Budgetkommission eingehend ausgesprochen, namentlich über das Verhältnis zwishen Adel und Bürger- tum. Ih “kann nur ganz kurz wiederholen, daß, wenn der Adel in der Diplomatie zu überwiegen scheint, niht zu vergessen ist, daß ungefähr 4009/0 unseres diplomatischen Personals Familien angehören, welche noch vor wenigen Jahren bürgerlihen Namens waren. Ein Privileg des alten Adels besteht also tatsählich nit, wie der Herr Abg. von Putliy {hon sehr rihtig gesagt und nach- gewiesen hat.

Aber auh den rein bürgerlihen Namen sind die Pforten zur Diplomatie niemals verschlossen gewesen, und sie sollen ihnen au ferner ofen stehen, weit ofen stehen. So lange ih die Ehre haber an der Spihe des Auswärtigen Amts zu stehen, werde ih zwischen Adel und Bürgertum keinen Unterschied machen. (Bravo! bei den Nationalliberalen.) Ih betrachte es nicht als meines Amtes, diesem oder jenem Stand zuliebe oder zuleide zu han- deln, fonden ich sehe meine Aufgabe darin, Männer zu finden nicht Monokel- oder Salonhelden —, Männer, die nah Persönlichkeit, nah Charakter, nah Begabung und Kennt- nissen eine Gewähr dafür bieten, daß sie dem Vaterlande nüßliche Dienste leisten. Wie sie heißen, ob es Prinzen, Grafen, Edelleute oder Bürgerleute sind, das gilt mir gleich. (Bravo! links.) Melden sich in Zukunft mehr Leute aus dem Bürgerstande, welhe die all- gemeinen und die persönlihen Vorbedingungen erfüllen, so {ind sie willlommen; die Auswahl im einzelnen muß selbsiverständliß dem Herrn Reichskanzler vorbehalten bleiben.

Nun noh ein kurzes Wort über die finanziellen Erfordernisse, Gs ist doch ganz selbstverständliß, daß namentliß in den ersten“ Jahren unfere jungen Diplomaten im Auslande in meist schr teueren Hauptstädten eines gewissen Zuschusses be- dürfen, wenn sie niht ganz zur Seite stehen und auf die so notwendigen persönlihen Beziehungen {verzihten wollen. Aber auch später in selbständigen Stellungen is es bei der Bemessung unserer Gehälter kaum oder nur selten mögli, ohne Zushüfse aus eigenen Mitteln auszukommen. (Sehr richtig! rechts.) Wir stellen in dieser Beziehung das möchte ih besonders betonen in keinem Falle eine Bedingung. Aber es läßt sich häufig nicht umgehen bet der Besetzung manther Posten, daß wir auf die rein materielle Be- fähigung sonst durchaus geeigneter Persönlichkeiten einige Nückfiht nehmen müssen. Das ist, wie ih durhaus anerkenne, ein durchaus unerwünschter, ja sogar bedenklicher Zustand, und wenn Sie zur Be- seitigung die Hand bieten wollen, so kann ih das nur dankbar an- nehmen. (Heiterkeit. )

Meine Herren, Sie werden es natürli finden, daß die qe- planten Aenderungen namentlich in den höheren Stellen si{ch mit der Zeit fühlbar machen, shon aus dem Grunde, weil wir auf ein vor- handenes Personal doch Rücksiht nehmen müssen, ein Personal, das gerade in seinen jüngeren, jeßt in leitende Stellungen heranrückenden Elementen ganz besonders tüchtige, talentvolle und zukunftsreihe Kräfte besißt. Dieser Umstand hat uns {hon kürzli bei der Be- seßung der zuleßt frei gewordenen Botschafterposten geleitet und wird uns au künftighin leiten. Durch ängstlihe Anctennitätsrücksichten werden wir unsere Wahl hierbei -niht beengen lassen; aber das vor- handene Personal durch allzu zahlreihe Einshübe von Personen ohne diplomatische Schulung und Erfahrungen und Kenntnisse zu ent- mutigen, hieße es demoralisieren. (Sehr richtig! rechts.) Denn ein jeder, der in treuer Pflichterfüllung eine Reihe von Dienstjahren hinter si hat und seine Befähigung zu Höherem nathgewiesen hat, muß als moralischen Ansporn die Aussicht auf Weiterkommen haben. Das gilt in Deutshland nicht allein vom auswärtigen Dienst, sondern in allen Beamtenkategorien. Daß da, wo besondere und namentlich wirtshazftlihe Janteressen wahrzunehmen sind, auch Ausnahmen gemacht werden, zeigt die erst kürzlih erfolgte Beseßung zweier bedeutender diplomatischer Posten in Amerika mit Herren des Konfulardienstes, der überhaupt niht dur eine unüber- steltgbare Scheidewand vom diplomatishen Dienst getrennt werden soll und tatsählich auch niemals getrennt worden ist.

Sie sehen, meine Herren, es besteht nirgends ein Vorurteil und noch weniger das Bestreben, ein Privileg zu Gunsten irgend einer Gesellschaftsklasse zu hafen. Jch. kann nit anders, als diese meine Grundsäße ofen und ershöpfend darzulegen unddie Hoffnung aus- zusprehen, daß Sie das Vertrauen zu mir haben werden, daß ih diese Grundsäße auch fernerhin hohhalten und durchführen werde. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Aber eine Bitte möchte ih noch aussprechen, meine Herren: nit jedem in irgend einem Organ der Presse auftauchenden Artikel, nit

j jeder Anklage gegen unsere Diplomatie im allgemeinen oder gegen

einzelne Vertreter ohne weiteres Glauben zu schenken. Diese

} Anklagen sind meift so allgemeiner Natur, sie beruhen meist auf

so shwacher, auf so s{chiefer, auf so unrichtiger Unterlage, daß

, sie bei näherem Zusehen in \sich selb \ich auflösen und nit

greifbar werden. Bedenken Ste, bitte, wie oft Unkenntnis der Ver-

5 hältnisse, wie oft persönlihe Animosität, persönlihe Empfindlichkeit Y sei es bei Mitgliedern der deutschen Kolonien im Auslande, sei es

bei Fremden, mit im Spiele ist. Der Diplomat lebt an exponierter Stelle, und das Wunder, es jedem recht zu tun, kann auch er nit

4 vollbringen.

Nun, meine Herren, ein ganz kurzes Wort noch über das Aus- wärtige Amt. Hter ist der Rahmen zu eng geworden darüber kann kein Zweifel mehr bestehen. Vermehrung der Arbeitskräfte, Er-

Y weiterung der Formen if unumgänglich. Vor allen Dingen muß auf

Entlaflung der oberen leitenden Stellen durch weitere Arbeitsteilung Bedacht genommen werden. Der Staatssekretär ist durch die Leitung, durh die Vertretung des Ganzen, durch den lebhaften Verkehr mit

Ÿ den Botschaftern und Gesandten, durch vielfahe äußere Ver-

Ÿ besteht dann die Gefahr,

anlassungen übermäßig in Anspru genommen, der Unterstaatssekretär durch die Leitung und Ueberwachung des inneren Dienstes in er- drückender Weise belastet. Diese Anforderungen bringen es mit si, daß gerade dem wichtigsten Teil der Aufgaben, den eigentlichen politischen Geschäften zu viel Zeit und Kraft entzogen wird, und es daß die eine Seite der Tätigkeit

F auf Kosten der anderen leidet. Wir haben uns bisher dur zeit- F weilige Einberufung älterer Gesandten zu helsen gesuht. Aber diese

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Ausnahmsmaßtregel ist und bleibt ein[Notbehelf, der manche Uebelstände mit sih bringt, vor allen Dingen den, daß er an anderen Stellen Lücken erzeugt. Es müssen dauernde und feste Verhältnisse geshaffen werden, und zu diesem Zweck ist es nicht zu umgehen, eine neue Stelle zu schaffen, die Stelle eines Direktors der politishen Abteilung, oder zum mindesten einen der vortragenden Räte mit den Befugnissen eines Direktors auszustatten.

Aber auch in den übrigen Abteilungen des Auswärtigen Amts, namentli in der Presseabteilung, hat sich das Bedürfnis nah Kräfte- vermehrung längst fühlbar gemacht. JIch habe dem auch vor etwa einem Jahre Ausdruck gegeben. Wenn Sie nicht, wie das in Aussicht genommen war, bereits im diesjährigen Etat eine entsprechende Forderung finden, fo erklärt sich das schr einfah daraus, daß i, sehr zu meinem Bedauern, {weren Herzens, ledigliß mit Nücksiht auf die Finanzlage, zurzeit diese Forderung noch einmal zurückstellen mußte.

Im übrigen sind wir eifrig bestrebt, dur praktishere Einteilung des Geschäftsganges, durch Vereinfahung der Geschäftsformen und des ganzen Betriebes, durch reihlihe Heranziehung aller modernen Hilfsmittel der Technik einen Ausgleih zu finden zwischen den vor- handenen Arbeitskräften und der stets wachsenden Arbeitslast. Es liegt auf der Hand, daß die Umformung eines im ganzen bewährten, aber so umfangreichen und damit unübersichtlihen und vielleicht au in einzelnen Teilen etwas \{chwerfällig gewordenen Behördenapparats in eine praktishere, einfahere Organisation keine ganz leite Sache ist, Sie erfordert behutsames Vorgehen, denn mit ungestümem Be- seitigen des Alten läuft man Gefahr, auch manches Gute in die Brüche gehen zu lassen, und vor allen Dingen entsteht die Gefahr, daß es auf Kosten des Grundsayzes der Genauigkeit und der Gründ- lichkeit geschieht, deren Befolgung stets eine Zierde deutscher Behörden gewesen ist und bleiben soll.

Nun weiß ich wohl, meine Herren, ich gebe mir darüber vollständig Rechenschaft —, daß es mit Vermehrung der Arbeitskräfte, mit Erweiterung der Formen im Autwärtigen Amt so wenig getan ift wie mit neuen Vorschriften über Bildungsgang und Prüfung der Diplomaten. Nicht mit der Schablone sind Dinge und Menschen zu gestalten und zu bemessen, nihcht auf die Zahl der Räder und die Zu- sammenseßung des Mechanismus kommt es an, fo wichtig sie ift, sondern auf die lebendige Kraft, auf den \haffenden Geist, der das Getriebe bewegt. Ih bin mir der ernsten und {weren Pflicht, diesen Geist zu erfassen und in ihm zu wirken, wohl bewußt. JF{ch bin aber auch der verständnisvollen Hilfe meiner Mitarbeiter und Untergebenen gewiß und ih hege die Zuversicht, daß das Auswärtige Amt das kostbare Vermächtnis einer ruhmvollen Zeit und das teure Grbe des größten deutschen Staatsmannes zu wahren wissen wird. (Lebhaftes Bravo! rets.)

Abg. Stadthagen (Soz.) begründet den Antrag seiner Fraktion: Systematisch werden Tausende und Hunderttausende von Arbeitern dur ministerielle Anordnungen geschädigt, insofern als unter Ver- legung der vom Reiche ges{lofsenen Staatsverträge von ausländischen Arbeitern die Beschaffung entgeltliher Legitimationskarten verlangt und ausländischen Arbeitern die Ausweisung angedroht wird, falls sie solche Legitimationskarten niht besißen. Die ursprünglich nur auf die aus dem Osten kommenden Arbeiter angewendete Maßregel sei inzwishen auf alle ausländischen Arbeiter ausgedehnt worden ; fie müßten 2 bis 5 H für eine Legitimationskarte entrihten. Die Androhung mit der Ausweisung sei ein direkter Bruch der ab- geschlossenen Staatsverträge. ‘Eiazelne Staaten seien dagegen vorstellig geworden, z. B. Jtalien und die Schweiz, die auf ihren Nieder- lassungsvertrag hingewiesen haben. Die ministeriellen Anordnungen dürfen bestehende Staats- oder Handelsverträge nit ohne weiteres außer Kraft segen, sie mißhandeln. Dabei sei es erforderlich, daß der Reichskanzler darauf dringe, daß eine solhe widerrecht- liche Anordnung beseitigt wird. Den Vorteil davon haben lediglich Private, Menschenhändlerinftitute, die Feldarbeiterzentrale, der die 9 H zufallen, im ganzen 24 Millionen jähr- lih, durch diesen widerrechtliGen Federstrich des preußischen Ministers des Innern. Die Erhebung solher Gebühren stehe im Widerspruch mit dem deutschen Paßgeseß und dem Sinne der Neicks- verfassung, die Gleichheit vor dem Gese garantiere für Arbeiter und Arbeitgeber. Wie kommt der preußishe Minister dazu, die Fremdenpolizei, die Reichs\sache sei, sich anzumaßen ? Auch die Aus- weisungen widecsprehen dem Reichsgeseß, das die Ausweisung von einem gerihtlihen Urteil abhängig mat. Auch die Staatsverträge verbieten ausdrüdlich folhe Ausweisungen, die betreffenden Staaten haben das Reht der Meistbegünstigung und das Recht, zu verlangen, daß ihre Angehörigen, wenn sie nicht egen die Reichsgeseße verstoßen, nicht ausgewiesen werden. as Jesuitergeseß habe ausdrücklich das Net der Ausweisung für den Geltungsbereih dieses Gesetzes festgestellt, was niht not- wendig gewesen wäre, wenn das Recht der Ausweisung dem Staate ohne weiteres zugestanden hätte. Die Anordnung des preußishen Miniflers sei eine Anreizung zum Kontraktbhruch infolge der Verträge, die die Arbeitgeber mit den ausländischen Arbeitern schließen. Diese Rechtsverlezung müsse dahin führeo, daß die Deutshen im Auslande ebenfalls |[chlecht behandelt werden. Der preußishe Minister verfolge den Zweckl, Streikbreher und Lohndrücker für Landwirtschaft und Industrie ins Land zu bringen. Der preußische Arbeitsminister habe ausdrücklih angeordnet, daß für öffentlihe Bauten in erster Linie ausländische Arbeiter be- nußt werden. Diese Verdrängung deutsher Arbeiter dur aus- ländishe Arbeiter habe auch in Hohenfinow stattgefunden, wo Leute, die 20 Jahre lang gedient haben, durch eine Anzahl Russen erseßt wurden. Man möge es nit dahin kommen lassen, daß man an- nehme, daß die Staatsverträge lediglich den Ausbeutern dienen.

Direktor im Auswärtigen Amt, Wüklißer Geheimer Nat Dr. von Franßytus führt aus, daß der Hinweis auf die Handels- verträge in diesem Falle nit stihhaltig sei, weil in diesen ausdrück- lih hinsihtlih der Fremdenpolizet den vertragshließenden Ländern Selbständigkeit gewährt werde.

Abg. Dr. Arning (nl.): Jn be¡ug auf den Verglei unserer Konsularbeamten mit Nen Konsuln hat der Staatssekretär meinen Freund Stresemann mißverstanden. Der Abg. Gans Edler

Herr zu Putliß hat in seiner Erwiderung auf die Bemerkung des

Abg. Stresemann bezügli des Adels in der diplomatishen Karriere die Bemerkung ganz übersehen, daß eine Menge Nobilitierungen er- 24 sind, durch die doch wenigstens der Anschein erweckt wurde, als ei der bürgerlihe Name dem weiteren Avancement der Bürgerlichen hinderlih. Der Redner erörtert dann die Frage der Beschränkung der Handelsfreiheit auf dem Congo und mit dem Congostaat dur die Jnanspruchnahme der Congomündung seitens Portugals. Auf dem Congo müßte absolute Handels- und Schiffahrtsfreiheit gesichert werden. Bet der Vergebung seiner Monopole habe der Congostaat auch sonst den Selidiite „Gleiches Recht für alle“ niht gewahrt. Gewifsen Landgefellshaften fei ein fehr harter Betriebszwang auf- erlegt worden.

Abg. Graf von Kani § (dkonf.): Es unterliegt leider keinem Zweifel, daß der granzsise Zolltarif, obwohl er in seinen meisten Positionen {hon höher ist als der deutsche, ganz beträhtlich erhöht werden wird, bis zu 150 % der jeßigen Säße. Die Erhöhung trifft hauptswh- lich folhe Artikel, die für die deutsche Tposudr von Bedeutung sind. Ich will nur kurz erwähnen, daß es sich in der Haup!saHße um Textilwaren, chemishe Fabrikate und Maschinen handelt. Wir sind

Srates gegenüber in elner sehr üblen Lage. Andere änder haben bereits Gegenmaßregeln in Aussicht gestellt, Belgien eine Erhöbung des Weizenzolles; eine ähnliche Drohung soll von England ausgegangen sein. Wir sind nit in der Lage, von folhen Maßnahmen Gebrauch zu machen, da wir unsere wichtigsten Zollsäße für eine ganze Reihe von Jahren gebunden baben und nach dem Frankfurter Frieden verpflichtet sind zur Gewährun der Meistbegünstigung an Frankreich. Dies hat {hon bis jet dadur gute Geschäfte gemacht. Jh will nur an die Herabsetzung unserer deutschen Weinzölle erinnern. Die Regierung muß deshalb dahin wirken, daß fich die französischen Zollerhöhungen in mäßigen Grenzen halten; ob man französisherseits darauf eingehen wird, steht allerdings dahin. Ih habe seinerzeit \chon darauf aufmerksam gemacht, in eine wie üble Lage wir Frankreich gegenüber durch die Bindung unserer Zölle geraten können. Das Handelsprovisorium mit Amerika von 1907 is gewiß eine dankenswerte Errungenschaft unserer Regierung. Es soll die amerikanischen Wertzöle in vernünftigen Grenzen halten. Die Amerikaner sind nach diesem Abkommen verpflichtet, die Tax:n der deutshen Handelskammer# über ben Wert der von Deutschland auegeführten Waren als tauglihes Beweismaterial gelten zu laffen. Damit sind aber die amerikanishen Industriellen in keiner Weise zu- frieden, sie behaupteten von vornherein, das ganze Handelsprovisorium sei ungültig, weil es ohne Anhörung des Kongresses beschlossen set. Man verlangte die Aufhebung, und jeßt soll in dem revidierten amerikanischen Zolltarif eine Bestimmung enthalten sein, die das Provisorium niht dem Wortlaut na, aber tatsählich aufhebt. Es sollen nämlich die Vereinigten Staaten für die Abschäßzung des Wertes der Waren maßgebend sein. Uebrigens kann das Provisorium au sonst leiht beseitigt werden, da es mit sechsmonatiger Frist zum 1. Jul oder zum 1. Januar gekündigt werden kann. Daß die Abschaffung dieses Handelsprovisoriums der eigentlihe Zweck der Tarifrevision mit ihrer scheinbaren Tarifermäßigung ist, wird auch von der amerika- nischen Presse zugegeben. Nun befinden wir uns leider au) Amerika gegenüber in. sehr übler Lage, denn wir haben ihm unseren ganzen Vertragstarif eingeräumt durch das Abkommen von 1907. Wird leßteres von amerikanisher Seite gekündigt, so können wir den Amerikanern au unserscits die Vergünstigung entziehen, aber welche Folgen das haben wird, brauhe ih nicht auseinanderzuseßen. Jch fasse die Sachlage so auf, daß wir den bevorstehenden amerikanischen Zollerhöhungen ziemlich wehrlos gegenüberstehen. Sollte der Staats- sekretär in der Lage sein, über den Weg, den er einzushlagen gedenkt, sih auszusprehen, so würden wir thm sehr dankbar sein.

Staatssekretär des Auswärtigen Amts Freiherr von Schoen:

Meine Herren! Jh möchte nur kurz zur Kongofrage einige Woite sogen. Unsere Rechte und Ansprüche gegenüber dem ehemaligen Kongostaat find auch nach dessen Uebergang an Belgien gegenüber dem neuen Besizer vollkommen gewahrt. Als uns die belgische Regierung von dem Uebergang der souveränen Gewalt des Kongo- staates an Belgien Mitteilung machte, haben wir mit einer Note geantwortet, mittels derer wir Kenntnis genommen haben von der uns mitgeteilten Tatsache.

Wir haben in der. Antwort ferner zum Ausdruck gebracht, daß wir die Zustände im bisherigen Kongostaat nicht in allen Punkten hätten billigen können, daß wir jedoch das Vertrauen zu Belgien hätten, es werde für eine Abstellung dieser Mißstände forgen.

Im übrigen beruht die Fortdauer unserer Nehte auch auf den allgemeinen völkerre@tlißen Grundsäßen. Es lag fein Grund für uns vor, zu bezweifeln, daß der neue Besitzer, Belgien, die bestehenden Verträge niht genau innehalten werde. Wir brauchten also nicht Belgien gegenüber Mißtrauen dadur zu bekunden, daß wir eine ausdrüdcklihe Erklärung von thm verlangten, es werde die Verträge beobachten. Das hindert natürlih nicht, daß wir der Beobachtung der Verträge dur den neuen Besitzer unsere Aufmerksamkeit zuwenden und daß wir gegebenenfalls gegen eine Ver- lezung derselben Maßregeln ergreifen können. Der Herr Abg. Dr. Arning hat son daran erinnert, daß ich in der Kommission gesagt habe, es wäre billig, Belgien noch etwas Zeit zu lassea, damit es {ih mit den neue Verhältnissen zunähst einmal vertraut machen und in denselben zurecht finden kann. Ich glaube, daß das auch beute noch richtig ift, und wir noch einige Zeit dahin gehen lassen müssen, une zu sehen, ob Belgien, das zweifellos den guten Willen hat, mit Reformen in seinem neuen Besiß einzuseßen, au dazu gelangt, die- Felben durchzuführen. Sollte das nicht der Fall sein, was an- zunehmen wir aber durhaus keinea Grund haben, so werden wir sehen, was zu machen ist.

Abg. von Derßten (Rp.) tritt den Ausführungen des Abg. Stadte hagen entgegen. Dieser habe si, wie überhaupt, auch bezüglih der ländlichen Arbeitgeber in Superlativen ergangen. Was die Freiheit der Einwanderung betrifft, so gehe in der Beschränkung derfelben das frete Land Amerika viel weiter als Preußen. Der Mangel an Ar- beitern habe die Arbeitgeber gezwungen, ausländische Arbeiter heran- zuziehen, denen das Reisegeld zur Verfügung gestellt würde. Die Leute bätton vielfa das Reisegeld genommen, wären dann aber aus3 dein Dienst gelaufen und hätten überall anderswo bei dem großen Arbeitermangel leiht Aufnahme gefunden. Es nüße nichts, die Polizei

dagegen in Anspruch zu nehmen. ‘Da habe ein gewisser Shußz geshaffen werden müssen. Da inländische Arbeiter nicht zu finden seten (Zurufe

! Links), au nit in Berlin, denn von da kämen sie entweder nicht, oder ' fle seten äußerlih und Törperlichß nicht imstande, Landarbeit zu ver- rihten, litten auch ehr als gut an Durst, nähmen die Arbeitgeber

die Vermittlung der Feldarbeiterzentrale in Anspru. Die Sojial- demokraten hätten ja keine Kenntnis von den wirkliche uständen auf dem Lande. So hábe neulich der Abg. Zubeil eine V ordsgeschichte von den Gütern des früheren Ministers von Podbielski erzählt, die als durchaus entstellt und unrichtig erwiesen worden fei. Die betreffenden Galizier seien unter Kontraktbruch nah Berlin gegangen. Auf Vorstel=« Iung des öôsterreihischen Konsuls seien sie na Dalmin zurückgekehrt, und Podbielski habe von den 19 Mann 16 wieder angenommen, nur die drei Rädelsführer nicht. Auch der Abg. Stadthagen werde offenbax in ven meisten Fällen getäusht, so ihm fole Geschichten über Arbeitgeber hinterbraht würden; er sollte doch folche Hepreden niht halten, das Verhältnis zwischen Arbeits gebern und Arbeitern werde dadurch nicht gebessert. Das Gros der Arbeitgeber sei bemüht, mit den Arbeitern in gutem Ver- hältnis zu stehen, und sei froh, für guten Lobn gute Arbeiter zu be- A. Capt lident A é s L E den Ausdruck „Het- rede” als nicht parlamentarisch. laube, die Herren ba das Wort nicht übel genommen. G Y Aron e Abg. Dr. Dahlem (Zentr.) fragt, ob der Wortlaut des portu- giesischen MENIGEEr0ges bald publiziert werden wird; für die: deutschen Winzer sei das von großer Wichtigkeit.

Staatssekretär des Auswärtigen Amts Freiherr von Schoen:

Ich beeile mich, auf die Frage des Herrn Abgeordneten zu ants- worten, daß der Handelsvertrag mit Portugal in der Tat abges{lossen ist (hört! hôrt!), daß er zurzeit dem Bundesrat vorliegt, welcher die Absicht hat, ihn so rasch wie möglich zu erledigen. Ich glaube ader kaum, daß es vor den Osterferien noch mögli sein wird (Heiterkeit),

nehme jedoch an, daß er, sobald er die Zustimmung des Bundesrats erhalten, dem Reichstage vorgelegt werden wird.

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