1909 / 122 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 26 May 1909 18:00:01 GMT) scan diff

/ Frankreich.

Der Minister Briand teilte dem Ministerrat gestern,

„W. T. B.“ zufolge, mit, daß die Marineuntersuhungskom- mission gegen den Direktor der Marinegenie)chule Dupont

eine Klage wegen Reder Zurückhaltung amtlicher

Schriftstücke eingereicht habe. upont soll, als er Direktor im Ministerium Thomson war, einen Bericht beseitigt haben, der von dem Versuh eines Beamten einer metallurgischen par an der Loire, einen Marinekontrolleur zu bejtechen,

andelte. Der Marineminister Picard erklärte sich bereit, die notwendigen Maßnahmen bezüglih Duponts zu treffen.

Die Deputiertenkammer hat gestern den Artikel 4 des Entwurfs über die Neform der Kriegs gerichte, be- O die Aufstellung von Lijten, nah denen die Militär- rihter gewählt werden sollen, und ferner eine Bestimmung angenommen, wonach diese Richter französische Staatsange- hörigkeit haben sollen. Diese Bestimmung ist mit Rücksicht auf die Fremdenlegion getroffen.

Der Hauptausshuß zur Verteidigung der Syndikats- rehte der Staatsbediensteten dae gestern, obiger Quelle zufolge, beschlossen, beim Parlament behufs baldiger Wiederanstell un g der anläßlich des leßten Streiks entlassenen Postbeamten Schritte zu unternehmen. Der sozialistishe Deputierte Coutant q dem Ministerpräsidenten und dem Minister der öffentlichen

rbeiten bereits angezeigt, daß er übermorgen einen Antrag auf Amnestierung und Wiedereinstellung der gemaßregelten Postbeamten in der Kammer einbringen werde.

__ Die Staatsanwaltschaft hat die bei der Seine-Präfektur hinterlegten Statuten des Post- und Telegraphen- bedienstetensyndikats für durchaus geseßwidrig er- klärt. Das Syndikat wird infolgedessen aufgelöst werden.

Rußland.

Die.-Reichsduma verhandelte gestern über einen Geseßz- entwurf, betreffend die Regelung einiger Fragen der Glaubensfreiheit, speziell über die Gewährung des Rechts der Propagandafreiheit und der Versammlungsfreiheit an die Sekte der Altgläubigen, über das Recht der altgläubigen Priester, sih Geistliche zu nennen sowie übec das Recht zur Bildung alt- gläubiger Gemeinden lediglich auf Grund der Meldepflicht, also ohne besondere Genehmigung. Die Regierung und die Parteien der Rechten waren laut Bericht des „W. T. B.“ gegen die Gewährung dieser Rechte, die Mehrheit des Zentrums und die Linke dafür. Die Debatten waren äußerst lebhaft, 87 Redner hatten sich zum Wort gemeldet. Die Abstimmung wird ver- mutlich heute erfolgen.

Neununddreißig oppositionelle Dumaabgeordnete haben in der Reichsduma eine Anfrage an die Minister der Justiz und des Innern eingebraht, worin sie von einem finnischen Gericht ermittelte Tatsachen anführen und betonen, daß diese Tatsachen von einer Tätigkeit des Verb andes des russishen Volkes und von Beziehungen zur Polizei zeugten, die in einem geordneten Staate unzulässig seien.

Die genannten Abgeordneten beantragen, die Dvma môge ans- fragen, ob tem Justizmir ister und dem Minister des Innern bekannt sei, daß der Generalrat des Verbandes des russischen Volkes mit Wissen der Sicherheits» und der politischen Polizei Kampfgenofsen- schaften organisiert babe, ktie sih nxit Revolvern und Bomben ver- sehen hätten, und zwar unter Mitwirkung von Polizei- beamten; daß ferner eine ganze Reihe von Mitgliedern des Verbandes gleichzeitig als Agenten der politischen Poltzet fungierte, und daß schließlich diese Persönlichkeiten an der Ermordung des früheren Deyutierten Herzen|stein und Follos und der Vorbereitung eines Attentats gegen den Grafen Witte und Miljukow teilgenommen hätten unter Mitwhiikung d-8 Generalrats des Verbandes und dessen Vorsitzenden Dubrowin. Falls solch{es den Masiero I n. s if wäre I L zu erfahren,

e aßregzin tT9rer]e ergrissen worden eten, um o brecherischen Biiblingen ein Ende zu machen. M A Die obige Jnterpellation wurde in der gestrigen Abend- sizung nach stürmischen Debatten unter befiändigem Cärm und gegenseitigen groben Ausfällen seitens der extremen Rechten und der Linken angenommen und einer Kommission über- wiesen, der eine dreitägige Frist zur Begutachtung und Wieder- einbringung in die Plenarsitzung gegeben ist.

Türkei.

Der bulgarische Handelsminister Liaptschew hat j Pforte eine Note R die, W. Len E besagt, daß er gezwungen sei, abzureisen, da es der Pforte niht gelungen sei, das Verhältnis der bulgarishen Regierung zur Orientbahn zu regeln. Bulgarien behalte sih denjenigen Entschluß vor, den es zur Wahrung seiner Interessen für gut finden werde. Die Pforte werde darüber von Sofia aus ver- ständigt glerven,

Das der Kammer vorliegende au erordentlihe Budget verzeichnet nah einer Meldung s „W. T D an außerordentlihen Einnahmen 5 655 000 Pfund, davon 21/9 Millionen als Entschädigungssumme von seiten Oester- |! reis, 1,6 Millionen an Geld und Wertpapieren, die im ! Yildiz E iden, und 650 000 als Nest der auf- genommenen nieen; an außerordentlihen Ausgaben 6 700 000 Pfund, davon 3 963 027 für Kriegsministeriun und Ce es, namentlich für den Ankauf von Munition und sonstigem Kriegsmaterial, und ungefähr 94 000 Pfund für die Marine.

Der Konflikt zwishen Kammer und Senat wegen der Reduzierung der Gehälter für April hat si zugespißt, da die Kammer einstimmig eine Resolution der Budgetkommission an- genommen hat, die die Einwürfe des Senats zurückweist. Die auf der Jnsel Prinkipo gefangen gehaltenen

graue Neer

Bernt sen sind minister Brun, der Handelsminister Hansen dur

J. C. Christensen 24 Mandate, Linkengruppe

Neergard 19 Mandate, Rechte Linkenpartei 15 und Wilde 11M

der Nadikalen Linken an. zweiten Stadtkreise in Brand dadur vérzögert wurde, Wahl erst heute vorliegen.

wie das „W. T. B.“ enommen, dur ihm zur Feststellun Material über die

wird dem Senat die amtliche

a ard, der Ackerbauminister Nielsen, der

inister der öffentlihen Arbeiten Jens en-Sönderup, der Kultusminister Sörensen und der Minister des Jnnern wiedergewählt worden, während der Finanz- gon Ner Högsbro und der

“Das neue Folkething sett zusammen: Nen gruppe des früheren Ministerpräsidenten 4 Mandate, Sozialdemokraten ebenfalls

sih voraussichtlich 6 Christensen, Da in Odense ein Wahllokal im

wird das Ergebnis der dortigen

Amerika.

Der amerikanische Senat hat in der gestrigen Sißung, meldet, einen Beschlußantrag an- den das Staatsdepartement ersuht wird, F S, in den

rbeitslöhne in gewissen Jndustrien Deutschlands zu « unterbreiten. A

gefallen sind. sih folgendermaßen

des jeßigen Ministerpräsidenten gleihfall3 19 Mandate, radikale andate. Von den Wilden {ließen 3 Neergard und 2 der Partei

geriet und die Stimmenzählung

roduktionskosten

Das Staatsdepartement

deutsche Lohnstatistik übersenden.

Ersten und Zweiten Beilage.

In der Abgeordneten, welcher der Rheinbaben beiwohnte,

das Etatsjahr 1907 auf A Berichterstatter Abg. Brütt, erteilt, worauf die erste Beratu

in den Provinzen Sachs einiger Amtsgerichtsbezir bezirke Königsberg, folgte.

Abg. von Pappenheim

weite vom Hause noch nit hier wenigstens eine Begründung müßten seine Freunde es abhängig eine Kommi; sion beantragen Geheimer Oberregierungsrat v N EEN im Herrenhause Veberklick über deren Inhalt.

davon Abstand näh nicht die Interessenten unter einer Gesetzes leiden zu lassen, daß fie in Zukunft solhe Vorlagen frühzei

angenommen.

entwürfe, betreffe Me bezirke KreuzhU2g (O.7S.:} eines Amtsgerichts in Amtsgerichts in Weißwas Amtsgerichtsbezirke Mus angenommen.

Es folgt dann die dritte Stempelsteuergeseß.

: Hierzu liegen außer einem er

entrihtung von Stempelhb nüßigen Baugesellschafte1 Charakter verlieren, noch di anträge vor:

Zur Tarifstelle 11 a

für Aut ein Kompromißantrag der

Abgg.

im übrigen foll es beim Beshluß

Folge spätestens im Laufe des Mo gegen Zablung des Abgabebetrages

Bag.) und Gyßling (fr. Volksp. unterzeihneten Urne p.)

Handelsverkehr über genannte Kommission3noten). Nad und jedes Jabr oder einen

finnigen Parteien, der Uebec den Antrag soll namentliche

des Zentrums (Abga. Lüdi cke) will diesen Siempel auf

Minister und Würdenträger des alten Regimes sind vorgestern nacht nah Stambul gebracht und ins Kriegs- | ministerium übergeführt worden.

Depeschen des armenishen Patriarchats

| i ; zufolge sind | in Chisan und Alexandrette wieder A zoben Ati brochen. :

Griechenland.

Die Tagung der Kammer is nah einer Meld des „W. T. B.“ geschlossen worden. 9 A

Dänemark.

Bei den gestrigen Wahlen zum Folkething hat die von dem ehemaligen Ministerpräsidenten J, C, Christensen | geleitete Gruppe der Linken nah einer Meldung des „W. T. Bu | 3 Mandate verloren : die Nadikalen haben 6, die Rechte 9 Sitze | ewonnen, Die dem jegigen Ministerpräsidenten Neergard | olgende Gruppe der Linken hat 3 Mandate eingebüßt. Die Stellung der Sozialdemokraten ist unverändert. Der Minister- !

mäßigung auf 50 4 eintreten lassen beruflichen Zwecken oder der Benutz Nah einem Antrag des Abg.

Stempel innerhalb eines Monats nach der Ingebrauchnahme des

Rades und für die Folge spätestens

jahres gelöst werden ; auf Verlangen kann die

mehrere Jahre erfolgen; die Abgab bei der Behörde. solgen; die Abgabe

Jn der allgemein en Bespre a e N e ais einziger großer fahrstempel übrtzg. Wir Eer ben stet, die Steuer auf 1,50 46 zu und beruflihe Zwecke und für Schü eintreten zu lassen. JIch erkläre,

an der Fahrradfteuer festhalten werden.

Steuer sei antifozial, Wir E den Ausfall beim Mietesstempel,

steuerung von 300 auf 409 46 hina kleiner Mieter wird dadurch außerord Mehrausgabe von 50 „§ für das Fah

Parlamentarische Nachrichten. p n Ban Sl E, gelirige auses un er ußberiht “über die gestrige Si des Hauses der Abgeordneten ene Dung heutigen (96.) Sißung des Hauses der

wurde zunächst betreffs der Ne ch- nungen der Kasse der N angs ammer i

treffend die Veränderung der Grenzen einiger Kreise

) (kons.) bemerkt, daß dieser Entw erst gestern abend vom Herrenhause eingegangen P rig aal zu übersehen fei.

würden.

Abg. von Pappenheim erklärt darauf, men, eine Kommissionsberatung zu beantragen, um

Darauf wird der Gesezentwurf sofort in zweiter Lesung

In dritter Beratung verden ohne Debatte die Ge eß-

Wetter, die Errichtung eines

Abgg. Dr. Grun enberg und Genossen, betreffend

Dr. König - Crefeld tr.), ; von Krties (kons.), Lüdicke (\rkonf.) und L De erste Ertragsstufe, für die der Stempel 1 erstreckcn (bet der zweiten Lesung war die Grenze von

der Stempel auf 3 M, 5 M, 7,50 4, 10 4 und 20 Robertrag bs 50 46, 100 46, 250 M, 500

stetgt. Die Jahreokarte soll spätestens innerbalb eines Monats der Inbetriebsezung des Automaten oder des Musikwerks und für i

Zur Tarisstelle 32 will ein Antrag der Abgg. Waldstein (fr. einen Zusaß madhen, Stempelpfliht ausgenommen sein die auferhalb d:r Geschäftsstelle des aufgegebenen Bestellungen gemacht und entgegengenommen werden (\fo- Die Tarifstelle 55 (Radfahrsleuerkarten 50 A für jedes

Abg. Gyßling (fr. Volksp.) mit Nationalliberalen und der Polen zu streihen.

Ein Kompromißantrag ter beiden konservativen Parteien und Schmedding, Dr.

von Kries (konf):

ei dem man die Grenze der Be-

Sißung des Herren- befinden sich in der

Finanzminister Freiherr von

Úr ntrag der Rehnungskommission, nach kurzer Debatte Entlastung ng des Geseßentwurfs, be-

en und Ostpreußen und ke im Oberlandesgerichts-

Die Regterung müsse der Vorlage gelten, und davon machen, ob fie die Ueberweisung an

on Fal kenhayn verweist auf die über die Vorlage und gibt einen

daß seine Freunde

Verspätung der Verabschiedung des aber die Negterung bitten müßten, tiger einzubringen.

du, ung der Amtsgericht s- und Kupp, dié Errichtung

ser und die Aenderung der fau und Triebel, endgültig Beratung der Novelle zum lediglich redaktionellen Antrag ( Nach- eträgen durch die gemein- 1, sobald sie den gemeinnüßigen e folgenden Abänderun gs-

omaten und Musikwerke will

Dr. Lohmann (nl.) die 1 betragen foll, bis zu 30 46 20 4 gezogen); bleiben, sodaß 4 für etnen 6 und über 500 4

der zweiten Lesung

nats Januar jeden Kalenderjahres gelöst werden.

bei dem Stempel für die einseitig i, wonach von der sollen Aufzeihnungen, bie im Veräußerers

Bruchteil des

Jahres) beantragt Unterstützung i

der beiden fret- Abstimmung stattfinden.

von Kries und 1,50 M festseßen, jedo eine Er- , wenn das Nad gewerblichen oder ung für Schüler dient.

Dr. von Kri es (kons.) soll der

im Monat Januar jedes Kalender- Vorausverstcuerung für pflicht erlischt mit der Abmeldung

chung bemerkt Für die Streitpunkt noh hierzu jeßt den Antrag ge- erhöhen und nur für gewerbliche ler eine Ermäßigung auf 50 daß meine Freunde geschlossen Man hat gesagt, diese en bekanntli Ersaß schaffen für

dritte Lesung der MNad-

ufgesezt hat. Eine große M entli entlastet, sodaß A fle

Man kat ferner eingerwoendet, die Steuer roerde veratori ;

Ich verweise dazu auf die Erkläruagen der Megieruna in Derrife mission. Dana follen die Polizeibehörden, die die NRadfahrkat ausgeben , etwa vierteljährliÞß den Steuerbehörden Listen an reihen, worauf Stihproben gemackt werden. Es ist nit beabsiti,t die Radfahrer auf dec Straße zu kfontrollteren, sie brauchen also d Steuerkarte nicht eiamal bei si zu führen. Ich empfehle den Antrag meiner Freunde, der etne Erhöhung d:s Stempels für Fahrräder » 1,50 G vorsieht (Zuruf: noch \ch{limmer!); denn wir wollen und müssen eine volle Deckung für die durch die Besoldungen erwadsene Ausgaben schaffen. Wic halten daran unter allen Umständen i und werden uns davon auch dur kein agitatoris%es Mittel. der Antrag auf namentliche Abstimmung über diese Steuer ist A en, i

g. Waldstein (fr. Vgg.) beginnt unter großer

des Hauses zu sprechen; er führt aus, daß ¿is Mes ntul schwere Belastung des kleinen Mannes auf das Schuldt. der Konservativen zu setzen sei. (Abg. von Pappenheim Unerhört!) Der Redner erklärt : Namens der Freisinnigey teile i mit, daß die Beschlüsse zweiter Lesung es uns unmdöz[, machen, diesem Geseße zuzustimmen. Die Regierung hatte fj den Jagdpachtstempel allgemein 10 2% vorgeshlagen, weil sie meinte daß es kaum irgendwie leistungsfähigere Schultern gebe, als di Jagdpächter. Durch die Beschlüsse der Mehrheit ist dieser

Stempels heruntergeseßt. Dieselbe Haltuyg der Konseryativ

fich beim Fideikommißstempe!. Der Nedner spricht Unten N

A O E P eiter: er {ließt mit dem Saße daß e Antrâge der Konservativen d nd

nSuum cuique“ verleßt werde. E it

(Schluß des Blattes.)

S

Die Entwicklung der chemischen Induftrie in Deutschlaud.*) Von G. Müller.

„In Deutschland war die chemische Gewerbétätigkeit von alters zu Hause. Die vielen Solquellen, die es besißt und deren Sri Ln dag erste lend n. Chr. n? dasur ab, daß man frühzeitig verstanden bat, die Natur: durch die Gewinnung von Salz nußtbar zu machen. In den Wes stätten der Alchimisten herrshte im Mittelalter eine lebhafte Tätic- keit auf @emishem Gebiete, die besonders in Deutschland cepflegt wurde. Bei der Gewinnung von Alaun und Vitriol, bei Vex, arbeitung der besonders in Thüringen in großer Menge angebauten Farb, pflanzen, wie Waid, Wau u. a., bei Abscheidung ätherisher Oele aus einheimischen und auéländishen Pflanzen haben wir es mit einer chemishen Erwerbstätigkeit zu tun. In den Apotheken wurde die Herstellung medizinischer Präparate und Arzneimittel aus den mannigfaltigsten Pflanzen, die zu diesem Zwecke angebaut wurden, gepflegt. Indessen bei all dieser, gewiß recht beträchhtli§en chemishen Betätigung bandelte es ih niht um eine chemische Industrie im heutigen Sinne. Hierzu fehlte die chemishe Theorie, deren Eatwicklurg zur Lehrerin der dchemishen Gewerbstätigkeit erst in das Ende des achtzehnten und den Bezinn dez aeunzehnten Jahrhunderts fällt. Troßdem die neuere Chemie zu ihrer Entfaltung in Deutschland einen sehr gut vorbereiteten Nährboden angetroffen, hat sie sich, besonders auf industriellem Gebiet, zunächst langsamer entwickelt als bei. unseren westlihen Nachbarn, namentlih in England. Der Grund liegt in den wirtschaftlichen Ver- hältnissen der damaligen Zeit, in dem politisch zerspal’enen und zer- klüfteten Deutshland. Es kommt hinzu, daß man in einzelnen Staaten der Aufnahme der gewerblichen Tätigkeit niht \ympathish gegenüber- stand und Neuerungen auf diesem Gebiete wenig zugänglich war. e Lite ten A dal der rigen Industrien, die utsGland mit aus demselben Grunde lan ä

ae ¿een an dertearys. ier Knd. spter

n Gngland war zu Cnde des 18. Jahrhunderts an der Hand der Crfindung des französishen Chemikers Nicolaus dar vand Fabrikation ins Leben gerufen worden, bei welher Soda als End- erzeucnis aus Schwefelsäure und Kochsalz unter Ausscheidung von Sulfat und Salifäure, leßtere als Nebenerzeugnis, gewonnen wird. Da bei der Sodagewinnung nach dem Leblancschen Prozeß die Gewinnung der Nebenerzeugnisse nicht eine willkürlihe ift, fondern zu der hergestellten Sodamenge in einem von vorn- herein bedingten Verhältnisse steht, so zieht eine große Sodafabrikation eine große Salzfäu:eproduktion notwendigerweise nach si. Diese Säure muß wiederum anderweit verarbeitet werden, da ihr Entweichen oder Fortschütten ihrer äßenden Eigen- haften wegen ohne Schaden für Tiere und Pflanzen niht angängig ist, So hat die Sodafabrikaticn die Gewinnung des Chlors, Chlor- falks und anderer chlorhalttgen Produkte zur naturgemäßen Folge, und zwar, wenn au nicht notwendigerweise in räumlicher Verbindung mit der Sodagewinnung, so doch in rit allzu- weiter Entfernung davon, weil die Salzsäure einen weiten Trant- port nicht verträgt. Auf diese Weise hat \sih mit der Sodaindustrie in England zugleich aus die Industrie der Säuren und Alkalien

zur Großindustrie entwickelt. Während der ersten Hälfte des 19. Jahr- hunderts ist die deutsh- chemishe Industrie auf den Ba s Säauren und Alkalien (Soda, Pottasche, Chlorkalk u. a.) vornehmlich auf England angewiesen gewesen. Erst von der Mitte des Jahr- hunterts ab nimmt die deutsche Industrie die Deckung des Bedarfs mehr und mehr felbst in die Hand. Daß die wirtschaftlihe Einigung Deutschlands in dem 1833 begründeten deutshen Zollverein in ganz hervorragentem Maße zu dem Aufshwung der deutschen Fabrikation beigetragen hat, bedarf feiner näberen Ausführungen. Die Ent- metung der deutshen chemischen Industrie veranshaulichen folgende

Die Einfuhr an Shwefel, die im Jahre 1832 29 921 Ztr. be- tragen bat, ist bis zum Fahr 1843 auf 140 662 Ztr. gestiegen, während die Ausfuhr in demselben Zeitraum von 1230 Ztr. auf 140 Ztr. zurüdck- gegangen ist. Die Zunahme der Einfuhr und das andauernde Sinken der Ausfuhr beweist eine starke Entwicklung aller chwefelverbrauhenden Industrien, insbesondere der Schwefelsäureindustrie. Diese wurde be- vers in der Mark, am Rhein und in Bayern betrieben. An Scchwefel- dure stand im Jahre 1832 auf dem deutschen Markt so viel zur freien Verfügung, daß 1558 Ztr. mehr an das Ausland abgeseßt wurden, als von dort bezogen worden sind; s{on 10 Jahre später reichte die ein- heimische Produktion zur Deckung des eigenen Bedarfs lange nit mehr hin. Die Statistik verzeichnet im Jahre 1842 eine Vehreinfuhr von 8698 Ztr., gleihfalls ein Zeichen günstiger Entwicklung der deutschen Industrie. Der Bezug ausländisher Soda hat ih innerhalb eines Jahrzehnts verneunfacht, er ift von 12 328 Ztr. (1836) auf 106 905 Ztr. (1847) gestiegen. Im Jahre 1857 hatte die Einfuhr auétländisher Soda ihren Höhepunkt erreiht (145 475 Ztr.), fie sinkt nunmehr bet gleih- zeitigem Steigen der Ausfuhr von Salzsäure und Zurüdckgehen der Ein- fuhr der leßteren. Die Sodafabrikation hat im Julande selbst festeren Fuß gefaßt und sfich mächtig entwickelt. So war auch in Deutschland allmählich eine Iadustrie der Säuren und Alkalien eine chemishe Großindustrte herangewahsen, und dadurch der Grundstein für den Aufbau weiterer chemischer Industriezweige geschaffen worden. Die Sodatndustrie war im Zollverein eine der wichtigsten Industrien ge- worden. Die Ercschließung der Steinsalzlager bei Staßfurt ermög- lihte einen billigeren Bezug an Steinsalz, die Ermäßigung der Kohlenfrahten auf den Flüssen und Bahnen und ein Schutzoll von

*) Obige Ausführungen entnehmen wir mit Erlaubnis der Verlagsbuchhandlurg B, G. Teubner in Leipzig im Auszuge dem Werke: Chemische Industrie. Von Geh. Oberregierungsrat G. Müller, vortragender Rat im Reichsamt des Innern, unter Mitwirkung von Dr. Fr. Bennigson bei den Königlich technischen

rrad nit ins Gewicht fallen kann.

Instituten der Artillerie, Geh. 11,20 6, in Leinwand geb. 12 H.

n ff

feft M wie ¿M

dabon F

Betrag sür die große Mehrzahl der Jagdpächter auf 1/29 bis 1/,, des |

zurüdgeht, legen Zeug, |

3 #6 für den Zentner Soda haben zu einer gedeiglihen Fortentwick- lung des heimi\|chen Gewerbes beigetragen.

Dem Belgier Ernst Solvay war es gelungen, die bereits seit 1838 bekannte Gewinnung von Soda im Ammoniakverfahren im großen zu betreiben, nahdem sich vor thm viele vergeblich um das Problem bemüht hatten. Dieses Verfahren, welches auf einer Umseßung von Kochsalz in saures kohlensaures Natron mittels Ammoniak und Kohlen- säure beruht, ist gegenüber dem Leblancsodaprozeß bedeutend ein- facer und billiger. Man braucht keine Schwefelsäure, und es erübrigt sih die Verarbeitung der Salzsäure auf versandfähige Salze. Die Ent- wicklung der Gasinduslrie und das bei der Destillation der Steinkohle in großen Mengen nebenbei freiwerdende Ammoniak kam dem neuen Verfahren zustatten. Im Jahre 1863 wurde die Gesellschaft Solyay u. Cie. gegründet und 1864 in Couillet die erste Sodafabrik nah dem Ammoniakyerfahren in Betrieb geseßt. In den nächsten Fahren folgte die Errihtung weiterer Fabrikanlagen. In Deutschland hatte die Solvay- Gesellschaft in Bernburg Fabriken errichtet. Von hier aus entbrannte der eingesessenen Leblancsodafabrikation ein ernstlicher Konkurrenzkampf, welher ein volles Jahrzehnt hindurch mancher kräftig entwidelien Sodafabrik ernste Sorgen um ihre Existenz be- reitete. Wenn die Leblancsodaindustrie im Kampfe gegen die kapital- kräftige und hinfihtlich ihrer Nohmaterialten äußerft günstig gelegene Ammoniaksodatindustrie niht völlig unterlegen i\t, so ist dies nur

. darauf zurückzuführen, daß erstere für thre Salzsäure, welche die

Ammoniaksodaindustrie niht liefern kann, Nachfrage gefunden hat. Die bisherigen Nebenprodukte des Leblancprozesses werden nunmehr zu Dien dieses Betriebes, das bisherige Hauptprodukt, die Soda, muß zu Preisen abgeseßt werden, welhe die Ammoniak- sodaindustrie ihrer älteren Schwester vorschreibt. Der Kampf der beiden Sodaverfahren ist niht auf Deutschland beschränkt geblieben, er hat, uno zwar in noch stärkerem Maße, die englische Leblancindustrie ergriffen, der es an einem günstigen Absatz für ihre Zwisckhen- und Nebenprodukte fehlte, den die deutshe Industrie in der aufstrebenden Farbenindustrie gefunden hatte. Welche Entwicklung die Sodaindustrie genommen hat, geht daraus hervor, daß die Herstellung dieses Salzes jeßt jährlich 1,5 Millionen Tonnen beträgt, wovon allein auf Deutschland 330 000 t entfallen. Noch im. Jahre 1873 wurden in Deutschland nur 52 000 t Soda hergestellt. 1883 erzeugte Deutschland 115000 t Soda, darunter die Hälfte Ammontakfoda. 10 Jahre später stehen einein Gesamterzeugnis von 250 000 t nur noch 40 000 t Leblancsoda gegenüber. Im lettiver- flossenen Jahrzehnt hat sich das Verhältnis zugunsten des Ammoniaks prozesses noch weiter vershoben. Während Deutshland im Jahre 1879 noch rund 24000 t Soda zur Deckung setnes Bedarfs vom Ausland beziehen mußte, konnte es von 1884 ab in fortgeseßt steigenden Mengen Soda an das Ausland abgeben. Die Mehrausfuhr beziffert si im Jahre 1904 bei einer Einfuhr von nur 308 t auf 51414 t. Diese A beweisen deutlih die kräftige Entwicklung dieses wichtigen

ndustriezweiges. Im Kampfe mit der mächtigeren SHwester, der Ammoniaksodaindustrie, kann si die Leblarcsodafabrikation nur lebens3- fähig erhalten, wenn sie einen günstigen Absaz für die bet ihr fret- werdende Salzsäure und für Sulfat findet.

G8 ist wohl nicht zufällig, sondern mit eine Folge des Kampfes der beiden Sodaprozesse, daß in Deutschland die Industrie der künstlihen Farben während dieses Kawpfes festen Fuß gefaßt hat. In dem Streben nah Verwertung ihrer Nebenerzeugnifse hat die Leblancindustrie für die Aufnahme und die günstige Fortent- widcklung der Farbenindustrie in Deutschland, die in England bereits festen Boden gewonren hatte, das Ihbrige beigetragen. Dur Aufnahme der im Leblancfodaverfahren freigewordenen Salzsäure hat die Farben- industrie der Leblancindustrie ta ihren s{chwersten Zeiten kräftig unter die Arme gegriffen. Anfangs langsam und zögernd si entwickelnd, hat fih im Laufe der Jahre die deutsche Industrie der künstlichen organischen Farbstoffe eine Weltstellung erobert. Jhre Fabrikation hat einen Um- fang erreiht, wie sie anderwärts in der chemischen Industrie nicht wieder gefunden wird. Mächtige Fabrikanlagen, in denen vtele tausend Arbeiter beschäftigt werden, zeugen von der Bedeutung dieses Industriezweiges. Deutsche Teerfarben beherrshen heute alle Märkte der Welt. Im Jahre 1905 hat Deutschland an Alizarin für 15,5, an Anilinsl und Anilinsalzen für 23,9, an Anilin- und anderen Teerfarbstoffen für 100,6 Millionen Mark nach dem Aus- lande ausgeführt. Dieser Ausfuhrmenge im Gefamtwerte von über 140 Millionen Mark fteht eine Einfuhr von 6,4 Millionen gegenüber. Im Jahre 1897 ist die Ausfuhr nur mit 90 Millionen bewertet. Auch der Farbenindustrie sind harte Kämpfe niht erspart gewesen; sie hat sie flegreih überwunden und ist gefiählt aus ihnen hervorgegangen. Eine zu Anfang der acht¡iger Jahre des vorigen Jahrhunderts von Gngland ausgehende Umgestaltung in der Gasindustrie, die in besserer Ausnutzung des bei der Leuhtgasbenußzung abfallenden Teers bestand, hatte das Angebot von den für die Farbenindustrie besonders wichtigen Benzolkohlenwasserstoffen, welhe bisher in Menge zur Verfügung ge- standen hatten, zeitweilig stark vermindert. Dieser Mangel würde bei der ftets zunehmenden Nachfrage zu ciner verhängnisvollen Krise für die deutshe Farbenindustrie geworden sein, wenn es niht dem deutschen Forshung®geiste gelungen wäre, in anderen Bestandteilen des Teers, besonders dem Naphthalin, ein das teure Benzol erseßendes und in reihlihen Quellen vorhandenes Rohmaterial zu entdecken. Die durch die Verteuerung des Benzols geschaffenen Verbältnisse haben das Ihre dazu beigetragen, der Frage näher zu treten, in welGer Weise die bei der Kokerei auftretenten Destillationsprodukte der Steinkohle in für die Falrbeninduftrie gewinnbringender Weise sch wverwerten lassen. Die Lösung der Frage ist deutschen Chemikern ge- lungen. Nunmehr war îin Deutschland selbst eine reiche Quelle von Steinkohlenteer ers(lossen, wel&e die Farben- industrie vom Auslande arne machte. Die Destillation s8- kokerei konnte sich als fel ftändige Industrie in Deutsch- land entwickeln, und sie liefert in immer weitergehender Fein- heit den Teerfarbenfabriken den von ihnen verlangten Au?gangsstoff für die Herstellung der synthetishen Farbstoffe. An Stelle der alten Meilerverkohlung (Holzverkohlung) im Walde, wie wir sie heute teils weise noch im Spefsart, Odenwald und im Schwarzwald finden, bei welcher Haupterzeugnis die Gewinnung vo1 Holzkohle ist, ist die Verkohlung in geschlossenen eisernen Retorten (Retortenverkohlung) getreten, die eine bessere Ausnußung der bei der Verkohlung ent- itehenden Nebenerzeugnisse ermöglicht. Ste liefert Holzteer, Holzgeist, weiterhin Methylalkohol, Azeton und Efsigsäure, alles wichtige und unentbehrliche Hilfs- und Zwischenprodukte auf dem ganzen wetten Gebiete der chemishen und sonstigen Gewerbe.

Dem legten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts blieb es vorbekalten, uns Verwertung der elektrishen Energie ein neues, in seiner wirtschaftlihen Bedeutung noch unüberfehbares Problem nußbar in die Technik der chemischen Industrie einzuführen.

Die chemishe Betätigung is so weitschichtig, daß wir uns an diefer Stelle auf die hauptsächlihsten Vertreter beshränken müssen. Wir können das Bild aber nicht abschließen, ohne noch einiger Zweige kurze Erwähnung zu tun, welhe auf die Entwicklung der zuvor ge- \hilderten Tätigkeit niht ohne Sinflus geblieben sind, in mancher Hinsicht die Voraussezung für die Größe der ersteren bilden.

Seit Entdeckung der mächtigen Steinsalzlager bet Staßfurt Mitte des vorigen Jahrhunderts ist Deutschland das an Salzen reiste Land der Erde geworden. Die Produktion an Mineralsalzen im Deutschen Reih und Luxemburg wird für 1905 auf 6 209872 t im Werte von 66 Millionen Mark angegeben, darunter Steinsalz 1165495 t im Werte von 5,5 Millionen Mark. Wenige Jahre auf die Entdeckung der Steinsalzlager folgte die Entdeckung der Kali uts: rasch entwickelte sich die Grkenntnis des wirt- s{aftlihen Wertes dieser Salze für die Industrie und die Land- wirtshaft. Noch heute besißt Deutschland in diesen Salzen ein natürlihes Monopol. Sieht man von kleineren und bis jeßt nicht abgebauten Lagern in Galizien ab, so i Deutschland zurzeit das einzige Land, in dem Kalisalze gewonnen werden. Jedenfalls ist bis heute kein Lager entdeckt worden, welches sich mit den deutshen an Ausdehnung und bequemer Abbaugelegenheit messen könnte. An Kali- salzen (Kainit und andere Kalisalze, Kieserit, Borazit usw.) wurden in

Deutschland im Jahre 1995 5 044 377 im Werte von 60,5 Millionen

Mark gefördert. i

Auf Liebtgs agrikulturhemishen Forshungen fußend, hat \ich seit

der Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland die Industrie der

künstlihen Düngemittel zu mähtiger Blüte entfaltet und einen

erneuten Aufschwung genommen, seitdem der deutshe Landwirt zur

intensiveren Feldwirtschaft übergegangen ist. Der Gesamiwert der in

Deutschland zurzeit verbrauchten Düngemittel wird auf mehr als

100 Millionen Mark angegeben.

Das Apothekergewerbe stand in Deutschland von jeher in Blüte.

Frühzeitig ist die Weiterverarbeitung einheimisher und fremdländischer

Drogen in Deutschland heimish geworden und hat sich immer weiter

entwoickeli. Aus dem Kleinbetrieb sind längst wichtige Großbetriebe

die Industrien der pharmazeutisGen Präparate und

der künstlien Rie stoffe geworden. Diese Industrien hoben

dem Apotheker die Bereitung vieler Medikamente abgenommen und

stellen sie im großen her, sie haben es verstanden, dem Heliotrop, dem

Flieder, dem Waldmeister, dem Veilchen, der Nose und vielen anderen

Duftpflanzen ihre zarten Wohlgerüche auszukundshaften und sie auf

Ste em Wege in derselben Güte, Feinheit und Reinheit her-

zustellen.

Wenn ia neuerer Zeit da und dort ausgesproGen worden ift, daß

\ih in Zukunft die deutshe chemishe Industrie nicht in dem Maße weiter entwideln werde wie in der Vergangenheit und wenn ver- einzelt düstere Betrachtungen für die kommende Zeit angestellt worden sind, so liegt unseres Dafürhaltens ein Grund hierzu nit vor. Wenn auf dem Gebiete der Erfindungen, was ihre Zahl an- langt, ein gewisser Nückgang eintritt, so darf demgegenüber nicht vergessen werden, daß im lehten BVierteljahrhundert die Zahl wichtiger Erfindungen gerade auf chemishem Gebiete sehr häufig war und daß ein Rückgang nur die naturgemäße Folge der Holhkonjunktur auf diesem Gebiete ist. Andererseits kommt in Betra§t, daß es der Wissenschaft ers neuerdings geglüdt ist, eine Reihe neuer Probleme ihrer praktishen Verwirklihung näher zu bringen. Es set hier nur an die Entwicklung der Herstellung künst- liher Seide, die vielleiht einen ähnlihen Gang hinsihtlih der Ver- drängung des Naturproduktes zu nehmen berufen ist, wie dies bezüglich des Alizarins für Krapp, des synthetischen für den natürlihen Indigo bereits der Fall ist, ferner an die Darstellung von Kautschuk auf synthe- tisGem Wege, an die Gewinnung von Salpetersäure aus dem Stickstoff der Luft und an die synthetishe Darstellung von Kampfer erinnert. Diese und ähnrlihe Probleme zu lösen liegt in der Zukunft der chemischen Industrie und der nie rastenden chemischen Wissenschaft. Wir haben keinen Grund, bezüglih der Erfolge auf diesen Gebieten weniger hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Die stets zunehmende Einfuhr von Rohstoffen und ihre Umwandlung in höherwertige Fertig- erzeugnisse, wie sie in der chemishen Industrie in besonders hohem Maße ftattfindet, wird im Zusammenhang mit dem hochentwickelten Stande der deutshen chemischen Wissenshaft und der Praxis auf tehnishem und kaufmännishem Gebiet der chemischen Jndustrie auch in Zukunft den hervorragenden Plaß fichern, welchen sie innerhalb der einheimishen Volkswirtschaft zurzeit behauptet.

Statiftik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

In der am 24. d. M. in Essen abgehaltenen Jahreshaupt- versammlung des Arbeitgeberbundes für das Bau- gewerbe in den rheinisch-westfälischen Industriegebieten wurde, der «„Nh.-Westf. Ztg.“ zufolge, beschlossen, die von den vereinigten Arbeit- gebern im Schreinergewerbe getroffenen Maßnahmen nunmehr im ganzen Bundesgebiet mit aller Strenge durchzuführen.

- Der Ausstand der Eisenbeton- und Zementarbeiter in Leipzig (vgl. Nr. 121 d. Bl.) ist, wie die „Voss. Ztg.“ erfährt, durch Bewilligung der geforderten Löhne beendet worden.

In Marseille dauert, wie ,W. T. B.“ meldet, der Ausstand der eingeschriebenen Seeleute an, ohne daß Zwischenfälle vor- gekommen wären. Etwa zwanzig Verkehrsdampser und mehrere Fischerboote sind zurzeit ohne Bemannung.

Kunst und Wissenschaft.

In Neustadta. d. H,, wo er seit dem Ausscheiden aus dem Amt lebte, ist, ,W. T. B.“ zufolge, in der Naht zum Dienstag der Wirk- liche Geheime Nat, Professor Dr. Georg von Neumayer, der Be- gründer und langjährige Leiter der Deutschen Seewarte, der Schöpfer der nautisGen Wissenschaft in Deutschland, gestorben. Am 21. Juni 1826 in Kirchheimbolanden geboren, \tudierte Neumayer in München und ging dann zur See. Im Jahre 1856 wurde er von dem König Maximilian Il. von Bayern zur Ausführung physikalisher, besonders magnetisher Arbeiten nah Australien gesandt, wo er in Melbourne ein Observatorium für die Physik der Erde gründete, das von der Kolonialregierung übernommen und von Neumayer bis 1864 geleitet wurde. Dann kehrte Neumayer nach Guropa zurück; 1872 trat er als Hydrograph und Admiralitäts- rat in das neugegründete Hydrographishe Bureau in Berlin; 1876 wurde er zum Direktor der nach setnen Plänen ins Leben ge- rufenen deutschen Seewarte ernannt; 1881 erfolgte seine Er- nennung zum Geheimen Admiralitätérat, 1894 zum Wirklichen Geheimen Admiralitätsrat. Neben der Leitung und dem Ausbau der Seewarte nahm der Verstorbene lebhaften Anteil an der Erforshung des australisden Kontinents und an der internationalen Polarforshung Ziele, für die er auch \chriftstelleris{ tätig war. Mit anderen gab Neumayer au@ „Anleitungen zu wissenshaftlihen Beobachtungen auf Reisen“ heraus, die vor wenigen Jahren in 3. Auflage erschienen. Als er im Jahre 1903 aus dem Dienste s{hied, ernannte ihn Seine Majestät der Kaiser und König zum Kaiserlihen Wirklichen Geheimen Rat mit dem Prädikat Exzellenz.

Ausgrabung eines germanishen Tempels in Jsland.

Zu verschiedenen Zeiten und von mancherlei Seiten ist die Frage aufgeworfen worden, ob nicht das Christentum, als es in die nordi- {hen Länder der Germanen gebraht ward, auh hier die altheiligen Stätten der Ss aufgesucht habe, um an denselben Stellen oder gar unter Benuzgung der vorgefundenen Gebäude seine eigenen Kultusstätten zu weihen. In unserer Zeit hat si Fr. Seefselberg eingehend mit der ÆFrage beschäftigt und hat sie entschieden bejaht. In einem Teile seines Werkes erörtert er sogar eine Ableitung christliher Kirchenformen aus den germanischen oder ihren Anschluß an diese. Albrecht Haupt, in dem Werke über die Baukunst der germanishen Völker, fnüpft daran an und gibt eine Darstellung der Vorgang8weise. Danach ist anzunehmen, daß die Grundrißbildung der Len Kirchen dur die überlieferte Form der germanishen Tempel beeinflußt sei. Die Frage nach der Anlage und Gestalt dieser alten Stätten der Gottesverehryng ift dadurch nun in engeren Zusammenhang mit der Geschichte unserer Baukunst gebracht, und in diesem Lichte betrachtet, gewinnen diese Stätten eine neue und weitere Bedeutung. Der ol auf den man bei jener Ableitung bauen konnte, war über Erwarten beshetden. Bet Sophus Müller, in der Altertums- kunde der nordishen Völker, sucht man umsonst; er hat von der Gestaltung threr Tempel in Skandinavien gar nihts mitzuteilen. Reste, die uns belehren könnten, sind nirgends zu S Man mußte nach Island blicken, um dort, wo sich das Heidentum in einer Na(hblüte sehr lange erhalten hat, die Spuren aufzusuchen. Vor einiger Zeit hat die Leitung der E Karlsbergstiftung für etne nah Jésland gerihtete mehrjährige Untersuhungsreise Mittel hergegeben. Jn der Versammlung der Königlichen Altertumsgesellshaft in Kopenhagen

vom 9. Januar d. J.haben die Herren Kapitän Daniel Bru un und Profeffor

Finnur Jonsson über die von thnen auf dieser Reise gewonnenen Grgebnifse berihtct, und es hat sich daran ein wertvoller Austaush der Ansichten geknüpft. N. Haupt teilt in der lezten Nummer der „Denkmalpflege“ darüber folger des mit: Der Name der Heiligtümer is We, Hörg und Hof. We heißt so viel als Heiligtum (von Weihen), Hörg (Bezirk) bedeutet besonders einen heiligen Hain. Hof is, von Gebäuden gebraucht, der allge- meinere Ausdruck und gilt besonders von größeren Tempeln, Hörg aber scheint vorzugsweise BezeiHnung von Heiligtümern weib s i Gottheiten zu sein. Die Edda redet von den „hochgezimmerten Höfen und Hörgen". Daß sich erkennbare Reste alter Tempel bis jeßt nur auf Island gefunden haben, hängt zum Teil mit der Beschaffenheit der dortigen Gebäude zusammen. Denn die aus Holz gezimmerten Bauwerke wurden abgetragen, aber die isländischen, mit ihren nur aus Erde ge- bildeten Wänden, die keinen Wert und keine Verwendbarkeit hatten, mochten dem eigenen Verfall überlassen werden, / wenn man erft die Ausstattung daraus entfernt hatte. Die weltliße Gewalt und die Gottesverehrung haben auf Island in der innigsten Verbindung ge- standen. Als im 10. Jahrhundert die Freistaaten eingerihtet wurden, ward das Land tin dreizehn Gerichte geteilt, deren drei Tempelvorsteherbezirke (Godorde) in sch \{chlossen. Jeder ,Gode“ stand einem Hof und der Gottesverehrung vor; er hatte zugleih Geseg und Recht zu üben, die Abgaben zu erheben und auf den großen Eidesring, dessen Aufbewahrungss\telle der Altar des Hofes war, die Eide abzunehmen. Die Stetigkeit der isländishen Ueberlieferung kennzeihnet sich dadurh, daß man für 33 der 39 Hôfe aus den heutigen Benennungen der Pläße noch die Stellen nahweisen kann, wo fie lagen. Einige kennt man auch noch in den Resten, und bei diesen ist beahtenswert, daß sie in ihrer Anlage keine bestimmte Himmelsrihtung einhalten. Hauptquelle unserer Kenntnis über die Heiligtümer is Snorre Sturlesons eingehende Beschreibung, wo er von Hakons des Guten Verhältnis zum Christen- und Heidentum spriht: Zum Blutfeste zichen alle Märker zu Hofe und halten im Tempel Gelag. Geopfert werden Haustiere, insbesondere Rofse; das Blut, in Kesseln ge- sammelt, wird mit dem Quast über Menschen und Geräte gesprengt und gestrichen. Ueber dem in der Halle langhin brennenden Feuer hängen Kessel und Gefäße. Das in ihnen gekohte Fleisch und die Brühe werden verzehrt. Zum Trunke werden die Becher, von den Oberen geweiht, über das Langfeuer hinüber- ereicht. Man trinkt Gedächtnisbecher für Odin, Njord und Fre. König Hakon saß auf dem Ehrenplaye, dem „Hoh“. In der Eyabyggia Saga hôren wir von einem Edeln, der, ehe er nah Island in die Ferne zog, seinen Hof abbrach und das Zimmer- werk mitnahm; er nahm auch von dem Erdboden mit, auf dem das Heiligste gestanden hatte, vielleiht gar den Altar felbst, und an der neuen Stelle, bezeihnet durch das Auswerfen der Hohsitz- pfeiler, errihtete er den neuen Tempel, im Rechteck; der Eingang war in einer der Längswände, nahe dem Ende. Um oberen Ende war ein Ausbau, der den Altar enthielt. Auf diesem lag der aus einem Stück ohne Fuge bestehende Eidesring, rings um den Altar waren die Götterbilder gestellt. Der Hof war gefriedet; niemand durfte ihn mit Waffen betreten. Die vollständigsten Nachrichten sind in einer Saga des anfangenden 14. Jahrhunderts enthalten, die jedo eine Art von gelehrter Zusammenpflückung zu sein s{heint und nicht recht zuverlässig is; unter anderen ist Adam von Bremen benußt, Da ist die Rede vom ewigen Feuer auf dem Altare und vom Vlutbronnen, in dem Menschenopfer gebra@t werden. Bei einem Tempel, der im Jahre nur dreimal besucht wird, ist ein ewiges Feuer nicht denkbar.

Der bedeutsamste bei den neuesten Untersuchungen gemahte Fund war der eines Hofes bei der Bauernfstelle Hofstadir. Der Wohnplat liegt bei Myroatn im Thingösyssel. Es ist da eine etwas geneigte Terrasse; gegen Osten hebt fie sh zum Berge, gegen Westen senkt fie ich gegen das Lachsbahtal. An drei Stellen bemerkte man die Spuren alter Gebäude, die in einer Reihe von Süden na Norden geordnet sind: zunächst die Reste eines Baues, den man für einen alten Stall bält, wo die Angekommenen die Pferde unterbringen konnten. Dann folgt ein niederer kreisförmiger Wall, gegen 7 m im Dur@hmefser, eine manrstiefe Grube in sich \chließend, die voll Knochen und Steine lag. Schließlich der Hof oder Tempel selbft. Der Hof ist ein langes Nechteck, mit chwach gerundeten Seiten, von Süden nah Norden gestreckt, im Innern gut 8 m breit, etwa fünf- mal so larg. Der südlihe Abschluß fehlt, ‘vermutlich weil er aus Holz war. Die anderen Seiten sind aus NRasenstücken aufgebaut ge- wesen. Ein Eingang zum Innern war in der Nähe des nördlichen Gndes, von Osten her, und alte Neitwege, die dahin führen, sind noch erkennbar. Das Innere bot für etwa anderthalb hundert Menschen Raum, wobei aber das Nordende leer blieb. Sehr breite Grd- bänke an den beiden Längswänden entlang konnten zum Siten dienen. Jn der Mitte zog sich ein flacher Graben hin, in dem das lange Feuer brannte. Auf beiden Seiten dieser Erube zeigte sich je eine Reihe Steine, unzweifelhaft beftimmt, Pfosten zu tragen, die, in einem Abftande von 27 m voneinander stehend, das Dach der Ee zu stüßen hatten. Hier also fanden die Gelage und Bluîtfefte statt. Man fand ztiemlich viele Knochen, namentlich auf den Erdbänken an den Wönden entlang, besonders von Rindern, auch von Schafen,

tegen, Nossen, Schweinen, sowie au Fishgräten. Einige Gruben im Boden, augenscheinlih Feuerstellen, werden dahin gedeutet, daß man in ihnen zwishen glühenden Steinen verpackte Fleishstücke briet. Nördlih war die Wand nur niedrig, und das Gildegelag konnte darü*er in den Naum etnes anstoßenden Baues blicken, der sich im Halbrund anschloß. Hier muß das eigentliche Heiligtum gewesen sein, und die Gölterbilder, um den Altar gestellt, waren von der Gilde- halle her sichtbar. Der Zugang zum heiligen Naume war auf der Westseite. Die Untersuhung war hier s{hwierig, und die Ergebnisse unsicher dadurch, daß gerade dieses Gebäude nach der Zeit augen- \cheinlich als Pferdestall gedient haite. Die Gesamtlänge des Tempels wird auf 45 m angegeben.

R. Haupt {ließt scine Mitteilungen mit folgenden Sätzen : „Db und wie weit die eingangs erwähnte Ableitungstbeorie bier eine Stütze gefunden hat, mag der Leser selbs prüfen. Eine unmittelbare Benutzung eines Bauwe1ks wie dieses für christlihen Gottesdienft is ausge|chlossen, da das christlihe Gotteshaus durhaus von Osten nach Westen zu liegen hat. Die Frage nah der Orientierung hat jedoch für den Ausgangsgedanken dieser Erwägungen nur untergeordnete Bedeutung. Für die \kandinavischen Länder ist es kaum zweifelhaft, daß hier die Häuser der Götter ebenso gut, wie es allgemein bei denen der Menschen der

all gewesen ift, die Oftwestrihtung eingehalten baben. Hier baben [limatishe Verhältnisse bestimmend gewirkt. Religiöse Rücksichten hatten daran kein Teil. Auf Island, wo das Klima anders ift, mochte die Richtung des Gebäudes nach freiem Ermessen bestimmt: werden." ;

Handel und Gewerbe.

In der heutigen Sißung des Zentralausschusses der Reichsbank führte der Vorsißzende, Präsident des Reichs- bankdirektoriums Havenstein aus, daß si aus den

iffern der zum Vortrag gebrahten Wochenübersiht vom

22. d. M. und aus den war a eingetretenen Verände- rungen ein Grund zur Aenderung des Diskontsaßes nicht ergebe. Der Zentralausshuß war mit diesen Ausführungen einverstanden und genehmigte demnächst die Zahlung einer Abschlagdividende von 1% Prozent auf die Erträge dieses Jahres für die Reichsbankanteilseigner. Schließlih wurden noch einige Gattungen von Schuldverschreibungen zur Beleihung im Lombardverkehr zugelassen.

(Weitere Nachrichten über „Handel und Gewerbe“ \. i. d.

Zweiten Beilage.)