1909 / 123 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 27 May 1909 18:00:01 GMT) scan diff

dauernder Unruhe des Hauses weiter; er {ließt mit dem Saye, daß durch die Anträge der Konservativen der altpreußishe Grundsaß nSuum cuique“ verleßt werde.

Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Daß sogar das oberste Prinzip Preußens, das euum cuique, bei einer Fahrradsteuer von 50 4 herangezogen werden würde (Heiterkeit rets), das habe ich wirklich nicht vermutet. (Sehr ridtig! rechts.) Wie steht denn die Sache? Die Kommission und das hohe Haus haben beschlossen, für die Mehrauswendungen, die für die Gehälter der Beamten, GeistliGßen und Lehrer erwücsen, nach Msglihkeit volle Deckung zu schaffen. Nun blieb von dem Mehr- aufwand für die Lehrer etwa noch 1 Million Mark durch die Stempel- teuer zu decken, während bekanntli die restierenden 2 Millionen Mark teils aus dem Lehrerbesoldungsgeseg selber entnommen, teils durh die Kürzung der Beiträge der großen Städte ge- deckt werden sollten. Für das hier in Nede stehende Kapital sind also noch ruxd 1 Million dur die Stempelsteuer zu decken. Nun ist noch niht einmal die volle Deckung dieser 1 Million Mark er- reiht, da bekannilih der ursprünglihe Saß von 16 Millionen Mark, der an sich notwendig war, nur um 750 000 46 überschritten ift, sodaß wir noch nit die volle DeXckung für die Lehrer haben. Wo sind denn nun die Ausfälle in hervorragendem Maße in der Stempelsteuer- kommission eingetreten? Ich sehe von den Jagdpachtverträgen ab (aha! links), für die Deckung geschaffen worden is dur die Erhöhung der Testamentsgebühren (sehr rihtig! rechts), durch die Erhöhung des Aktienstempels und durch Stempelerhöhungen auf anderen Gebieten. (Aha! links.) Bitte, lassen Sie mich aus\prechen. Die Ermäßigungen, um die es sich hier handelt, find doch vorwiegend gerade im Interesse des kleineren Mannes, im Interesse der minderbemittelten Kreise unserer Bevölkerung eingeführt worden. (Sehr richtig! rechts.) Wir haben die Herren haben es beantragt, und die Negterung hat nahzegeben den Mietsstempel für die gewerblihen Näume bis auf 90 %/0 ermäßigt, eine Ermäßigung, die einen sehr erheblihen Ausfall mit \ich bringt und gerade im Interesse der werktätigen Bevölkerung, im Interesse der kleineren Gewerbetreibenden liegt. Wir haben also den Mietsslempel für die gewecrblihen Räume wesentlich niedriger bemessen als für die anderen Räume. Vor allem möthte ih aber eins hervorheben: gerade im Interesse der minderbemittelten Kreise ist beschlossen worden, den Mieisstempel für die gewöhnlichen Wohnungen nicht {on bei 300, sondern erst bei 400 6 beginnen zu lassen. Diese Ermäßigung liegt ganz überwiegend im Interesse der minderbemittelten Kreise (sehr rihtig! rechts), und bringt einen Ausfall von nicht weniger als 500 000 (46 jährli. (Hört, hört! rechts.)

Nun hat die Kommission, wie ich meine, in überaus dankens- werter Weise sich bemüht, dafür einen Ersaß zu \chaffen, und zwar dort, wo die Sache in der Tat niht drückend ist. Dieser Ersatz follte einmal bei den Automaten und sodann bei den Nadfahrkarten gefunden werden.

Was nun die Nadfahrkarten anbetrifft, so würde ih meinerseits einer Regelung nicht zugestimmt haben, die in der Tat als eine un- gerechtfertigte Belastung der Arbeiter und der minderbemittelten Klassen betrahtet werden kann. Aber den bisherigen Saß von 50 4 und die jeßt vorgeschlagene Regelung, auf die ih noch zurücklommen werde, kann man in der Tat als eine drückende Belastung nicht bezeichnen. (Sehr richtig! rechts.) Wie ift es denn in Hessen, in einem Lande, das wirkli liberal verwaltet wird? Dort werden jährli 5 6 er- Hoben (hört, hört! rechts), und es sind nur Arbeiter und dergleichen aufgenommen. Dagegen haben sie nur dann eine Befreiung von den 5 #4, wenn sie das Naxd zur Autübung ihres Berufs und Ge- werbes benugen und thr Einkommen den Betrag von 1500 46 nicht erreiht. Also jemand, dessen Einkommen den Betrag von 1500 46 übersteigt, muß selbst dann die 5 4 jährlih bezahlen, wenn er das Nad überwiegend zur Ausübung seines Berufs oder Gewerbes benutt. Und wie weit bleiben wir nun hinter den hessishen Vorgängen zurüdck, die doch nicht zum Untergang des hessishen Staats geführt haben! (Sehr gut! reck{ts. Zurufe links) indem wir den Saß von 50 Z erheben.

Nun, meine Herren, ist jeßt ein neuer Antrag eingebracht worden,

den ih, um diesen sozialen Nücksichten voll zu entspre@en, in der Tat für etne Verbesserung erahte. In diesem neuen Antrage ist ja nun ausdrücklich bestimmt worden, daß, wenn das Nad gewerblichen oder beruflihen Zwedcken oder der Benußung für Schüler dient, eine Er- mäßigung auf 50 H eintritt, und daß im übrigen 1,50 4 gezahlt werden. Ich glaube, die Erfahrungen in Hessen könnten uns doch wohl darüber beruhigen, daß es sch hier um eine Maßnahme rein praftisher Erwägung handelt, bei der, wie ih meine, alle politischen Grwägungen vollständig aus\scheiden könnten. (Sehr gut! rechts.) Wir haben uns einfa zu fragen: kann dieser Say von 1,50 4 pro Jahr im allgemeinen und 50 & 4 von den Arbeitern vom Nad ge- tragen werden? und ich glaube, meine Herren, man kann nicht be- haupten, daß darin ein urnzulässiger, sozial bedenkliher Druck für die minderbemittelten Kreise läge. Es liegt auch, glaube ih, in der Nich- tung der Instruktion, die das hohe Haus selber der Kommission ge- geben hat, und die es doch in diesem Moment nit verle:gnen wird, Deckung für den Ausfall zu schaffen, der anderweit entstanden ist durch die Maßnahmen, die ih erwähnt habe, namentlih durch die Ermäßt- gung des Mietsstempels für die Objekte zwishen 309 und 400 4. (Sehr richtig! rets.)

Also ih möchte glauben, meine Herren, daß man die Sache mit äußerst kaltem Blute auffassen soll, und aus den dargelegten praktischen Erwägungen, und weil wir innerhalb des Rahmens der bisherigen Beschlüsse des hohen Hauses bleiben, sollte man dem Antrage, wie er jeßt auf Nr. 720 vorliegt, die Zustimmung erteilen, und darum bitte ih. (Lebhaftes Bravo! rets.)

Inzwischen haben die Abgg. G yßling (fr. Volksp.) und Genossen noch den Antrag eingebracht, im Falle der Annahme des Fahrradstempels auch Reitsteuerkarten mit jährlich 30 M4 für jedes RNeitpferd einzuführen.

Abyz. Leinert (Soz): Wir haben in der Provinz Hannover eine ganze Menge von Jauden, die 1ein öffentlih verpachtet werden, und für die der Pachtzins von 300 4 in den leyten Jahren auf 3000 bis 4000 4 gestiegen ist. Bei di:rartig hohen Let1iägen spielt ein Jagdstempel von 10 %%% gar keice Nolle für die reihen Jagd- liebhaber aus den aroßen Städten. Bet d n Fabrrätern kann nur in den allerseltensten Fällen von etner Liebhabere! d e Rede setn. W nn die Nadfahrst'u:r einmal einceführt ist, wi d sie auch e'höht werden ; dasselbe haben Sie ja auh gegen die Nuchlaßst uer ins Feld geführt. Wir müssen uns sehr dagegen wehren, daß man in derartigen Fragen

j auf andere Bundesftaaten zurückgreift ; die Nadfahrer in Hessen werden

jedenfalls die dort erbobene Nadfahrsteuer als etne außerordentli drüdckende cnipfinden. Die Arbeiter kaufen ih entweder für einen ganz geringen Preis alte, minderwertige Näder, oder sie erstehen solche auf Abzahlung, und nun soll ihnen noch eine Steuer von 1,50 46 jährlih aufgebürdet werden. (Zuruf: Von 50 4.) Sie wissen ganz genau, daß die Steuerbehörde die Verwendung eines Rades nicht als gewerbliche anerkennen wid, wenn der Arbeiter das Nad benußt, um zu seiner Arbeitostätte zu gelangen, und dadur oft eine Stunde und mehr an Arbeitszeit gewinnt. Warum belasten Ste sih nicht mit etner Abgabe, indem Ste nit bloß die Jagdpachtveriräge, sondern auch Ihre etgenen Jaçden belasten? Da können Sie zeigen, wie auf- opferungsfreudig Ste für den preußishen Staat scin können, in dem Sie unetngeshränkt die Herr\haft ausüben. Dur Automobile und Gquipagen wird das Publikum viel mehr belästigt als durch die Radfahrer. Wenn diese Steuer durchdringt, dann verlangen wir, daß das allgemeine, gleihe und geheime Wahlreht eingeführt wird.

Wirklicher Geheimer Oberfinanzrat Hummel: Jeder, der ein Nad besigt, hat eine jährlihe Ersparnis von 50 bis 60 4, da er keine Verkehrss mittel zu benußen brauht., Gegenüber diesen großen Vorteilen kommt die geringe Steuer gar nit in Betracht. Es ist das überhaupt eigentlich keine Steuer, sondern nur eine Gebühr für die viele Arbeit, die den Behörden durxh die Radfahrer erwächst. Die Ortspoltzeibehörden können nun für die Ausstellung dec Nadfahrkarten bereits eine Gebühr von 50 4 erheben, und der Herr Minister des Junnern hat sich damit einverstanden erklärt, daß in Zukunft die Gebühren in maximo nur 60 S betcagen sollen, wenn die Benußung des Rades gewerblichen Zwecken dient; das würde also nur eine Steuer von 10 „,Z bedeuten. fi Steuerbehörde wird die Kontrolle in der loyalften Weise aus- ühren.

Abg. Freiherr von Nichthofen-Mertschütß (konf.): Jch will nicht in die Erregung der Abgg. Waldstein und Leinert verfallen. Die Länge von des leßteren Ausführungen stand im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Bedeutung. Ich glaube nit, daß er damit hier viel Anklang gefunden hat. Ich könnte sagen, er habe etne Nede zum Fenster hinaus gehalten. Er konstruiert sich selbst Gebilde nah dem Muster eines panischen Ritters, gegen die er dann ankämpft. Der Abg. Wald- stein hat vielleicht {on erfahren: Wie man in den Wald ruft, \hallt es heraus, Er fagte zu uns: Halten Sie niht mehr Ihre \chüßende Land über die agrarishe Konteibande. In Hessen besteht eine viel höhere Fahrradsteuer ; er sprach ferner von unserem Schuld- fonto. Man hat den Eindruck, als sollte die ganze Sache von der Linken agitatoiisch ausgenußt werden. Wie ist denn die Sache ent- standen? In der Kommission haben wir die Grenze von dem Beginn des Mietöstempels von 300 auf 400 X herauf- geseßt, und um diesen Ausfall auszugleihen, hat die Kom- mission den Nadflempel von 50 H in die Vorlage eingefügt. Den Jagdstempel gegen uns auszuspielen, i vollkommen ungrrecht. Die Linke sagt, wir wollten den Jagdstempel für die großen Latifundtenbesißer ermäßigen. (Zwischenruf des Abg. Leinert.) Herr Abg. Leinert, Sie scheinen Jhren Genossen Hoffmann nahahmen zu wollen, der fehlt Ihnen wohi? Wir haben bei dem JIagdstempel nur die kleinen rustikalen Jagden erleichtern wollen. Gegen die Fahrradsteuer war auch in meiner Fraktion Widerspruh; wenn Sie eine Neiisteuer einführen, so treffen Sie mich damit nit, aber vielleiht den Genossen Heimann. Die Arbeiter sollen nach unsecem Antrage ja nur den Nadstempel von 50 bezahlen. In meiner Wirishaft und in vielen anderen wird es au so sein wird den Beamten und Atbeitern eine Beihilfe für das Nad gegeben, und ich würde gern auch den Stempel bezahlen. Ich hake mir sagen lassen, daß in vielen sozialdemokratishen Uuter- nehmungen ein großfkapitalifüisher Geist herrscht; vielleiht über- nimmt die fozialdemokratishe Parteikasse den Stempel oder setzt die Arbeiterbeitcäge herab. Wir halten durhaus den Arbeiter ho und treten für ihn ein. Ich biite Sie, unseren Antrag mit möglichst großer Mehrheit anzunehmen.

Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Von verschiedenen Herren Nednern ist die Frage gestreist worden, ob die Arbeiter untér die Ausnahmebestimmung fallen und nur 50 -S§ zu entrihten haben. Der Herr Sprecher der \fozialdemoktratishen Partei hat das bezweifelt. Ih erkläre hiermit ausdrücklich, daß, wenn ein Arbeiter sein Nad benußt, um von feiner Wohnung sich zu seiner Arbeitsstätte zu begeben, oder umgekehrt, er selbstverständlih unter die Grmäßigungsvorschrift des zweiten Absatzes fällt, da ja das Nad beruflichen oder gewerblihen Zwecken dient. Ich gehe weiter davon aus, daß nicht so \trift zu interpretieren ist, daß, wenn derselbe Arbeiter des Sonntags mal das Rad niht zu gewerb- lihen, sondern zu Vergnügunszwecken benußt, er dann nicht zur erhöhten Steuer herangezogen werden soll, sondern das Kriterium ist, daß das Nad zu gleich gewerblihen Zwecken dient. Ist das der Fall, darn unterliegt es dem niedrizen Steuersaß auch dann, wenn es zu anderen, also zu Vergnügungszwecken benußt wird. (Sehr richtig und Bravo rets.)

Abg. Wißmann (nl.): In der Regierungsvorlage war die Nadfteuer niht durhschlagend. In der Kommission ging der Antrag vom Zentrum aus, und die Negierung hat \ttll\chweigend zu- gestimmt. Das Experiment, dadurch für den Ausfall an Mietsteuer Ersaß zu schaffen ist bedenklich. Der Bundesrat hat früher im Reichstage erklären lassen, daß das Nad als Transportmittel des kleinen Mannes von Steuern und Verxationen freibleiben müsse. Erst gab die Polizei für die Näder jährliche Legitimationskarten aus, dann ei seßte sie dieselben durh

C

dauernde Kaiten, nun will man wieder Jahreskarten einführen und eine Steuer darauf legen. Es werden fortgeseßt S:euerhinter- ziehungen vorkommen. Cs kann auch sein, daß man in einem Jahre mehrere Näder kauft, dann muß man für jedes eine Steuer zahlen. Wir lehnen diese Steuer einstimmig ab.

Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat bezug genommen auf die Vorschriften, die der Bundesrat hinsihtlich des Nadverkehrs erlassen hat. EGr hat daraus gefolgert, daß ich mich wegen dieser Vorschriften gegen die Bestempelung der Räder hätte aussprechen müssen. Dem ¡egenüber konstatiere ih, daß es naturgemäß garnicht Aufgabe des Bundesrats3 sein kann, ‘über diese Frage eines internen preußishen Stempels Bestimmungen zu treffen, sondern daß der Bundesrat nur die polizeilißhe Seite der ganzen Angelegenheit hat regzln wollen, niht die steuerlihe. Außerdem steht în Nr. 3 der Verfügung der Minister des Jnnern und ter öffentlihen Angelegen- heiten vom 5. Mai 1908:

Die landesrehtlihen Bestimmungen, welhe zu steuerlichen Zwecken die Mitführung von Quittungen über Fahbrradsteuern oder die Führung von Nummerschildern an den Fahriädern vorschreiben, bleiben unberührt.

Es wird also ausdrücklich darauf hingewiesen, daß etne solhe Quittung über die Lösung einer Fahrkarte vorgesch'i ben werden kann. Ich glaube, daß die Bezugnahme auf diese Vorschrift des Bundesrats mithin nit ganz zutreffend gewesen ist.

Im übrigen kaun ih meinerseits nochmals betonen, die Sache füc eine Frage einer nüchternen und zw: ckamäßigen Neg-lung ansehe, und daß wir jede: falls, wenn, wie wir hoff:n, die Beschluß-

fassung im Sinne des Antrags erfolgt, Vorsorge treffen werden, daß | nicht die Belästigunzen eintreten, von denen der Herr Vorredner ; spra. Es ift unsere selbslyerständlihe Pflicht, dahin zu wirken, daß '

daß ih | res nachdem der

wegen eines verbältaismäßig geringen Stempels das Publikug nicht in unzulässiger Welse behzlligt wird, und wic werden nah Kräften in dieser Richtung tätig sein. (Bravo rechts.)

Darauf wird die allgemeine Besprehung geschlossen.

Jn der Spezialberatung wird die Tarifstelle für die Automaten- und Musikwerke nah dem Antrage König an- genommen.

Zur Tarifstelle 32 wird der Antrag der Freisinnigen auf E für die Kommissionsnoten angenommen, nachdem

Finanzminister Freiherr von Rheinbaben erklärt hat:

Meine Herren! Wir find mit dem Antrage, den der Herr Abg. Waldstein soeben begründet hat, einverstanden.

Bei der Tarifstelle 48, Pat- wendet sich i :

Abg. Graf von Spee (Zentr.) gegen die Ausführungen des Abg. Neinbacher, die dieser bei der zweiten Lesung über den Jagdstempel gemacht hat.

Die Tarifstelle 48 wird angenommen.

Bei der Tarifstelle 55, Nadfahrkarten, bemerkt

Abg. Thurm (fr. Volkep.): Gewiß gibt es ungezogene Nadfahrer, die ihre Mitmenschen umfahren, aber es gibt auch andere ungezogene Menschen, und man soll nicht so verärgert sein, um deswegen eine Steuer einzuführen. Pekuntär fällt die Steuer ja niht ins Gewicht, aber es sind damit viel Umstände verbunden.

Abg. Schmedding (Zentr.): Die Annahme ist irrig, daß das Zentrum die Fahrradsteuer beantragt habe, wenn auch die Majorität meiner Frakiion jeßt dafür eintreten wird. Die Form des jeß'gen Antrages kommt den Bedenken entgegen, daß Räder für gewerblihe Zwecke berücksihtigt werden sollen. Selbstverständlih soll #ch die Ermäßigung auf 50 -Z nicht bloß auf Schüler beziehen, sondern au auf Schülerinnen.

Abg. von Tilly (konsf.) empfiehlt nochmals den Antrag auf Be- steuerung der Fahrräder, während

Abg. B otsly (nl.) darauf aufmerksam macht, daß die Form, in der der Fahrradstempel erhoben werden solle, eine Kette von Verwick- lungen und tollsten Prozessen zur Folge haben werde.

Abg. Brust (Zentr.): Auch wenn die Fahrräder für gewerbliche Zwecke, also z. B. für Bergarbeiter, die zu ibrer Arbeitsstätte fahren, ganz freigelassen würden von dem Stempel, würde ih für einen Stempel auf -Fahrräder, die dem Luxus dienen, dann erst stimmen, wenn gleichzeitig die L'xuswagen bestcue:t würden.

Darauf wird in namentlicher Abstimmung der Antrag Schmedding, Kries, Lüdicke (1,50 /6 für jedes Rad, 50.5 für Räder zu gewerblichen oder beruflihen Zwecken oder für Schüler) mit 126 gegen 107 Stimmen angenommen. Das Resultat wird von der Rechten mit Beifall begrüßt.

Der Antrag von Kries wegen der jährlihen Erneuerung des Radstempels wird angenommen.

Zu dem Antrage der Freisinnigen auf Erhebung eines Stempels von 30 1 für Reitsteuerkarten bemerkt

Abg. von Tilly (kons.): Was heißt dieser Antrag eigen!lich? Es müßten doch auch mindeflens, wie bei den Fahzrräderr, die Pferde aus- genommen werden, die irgend welchen Betriebszwecken dienen, Der Antrag ist von dem Antragsteller selbst nicht hinreihend gep:üft worden. So können wir thn unmögli annehmen.

Abg. Waldstein (fr. Vgg.): Ih will nit bestreiten, daß der Antrag niht genügerd durchgearbeitet i. WViellziht nimmt sich das Herrenhaus dieser Aufgabe an. Sie (ncch rechts) werden fh doch aber der Verpflichtung nit entziehen können, diesen Antrag im Prinzip anzunehmen, nachdem Sie die Fahrräder bestcueit haben. Eigentlih hätten Sie doch den Antrag selbit stellen müssen.

Abg. Dr. Friedberg (nl.): Wenngleich wir an sih gegen jede Besteuerung des Verkehrs sind und auch den Stempel auf Reitsteuers- karten fonst ablehnen würden, werden wir den Antrag arnehmen, nachdem einmal der Stempel auf Fahrräder angenommen worden ift. Gewiß, es ist Gelegenheitsgeseßmacherei, aber wenn Ihre (nah rechts) Freunde im Reichstage bei der Wertzuwachtsteuer §80 Millionen aus dem Handgelenk s{chütteln, ohne ein sol4es Geseß irgendwie gründ- lih vorbereitet zu haben, so dürfen Ste sih niht mehr über uns be- klagen. Ich habe auch größeres Vertrauen zum Herrenhause, als das Herrenhaus zu uns es nah den Worten des Herrn von Buch, dieser Zierde des Herrenhauses, zu haben scheint; das Herrenhaus wird geroiß eine korrekte Form für den Antrag finden.

Abg. Dr. Arendt (freikons.): Ih will dem Vorredner nit in das Gebtet der hohen Poliik folgen. Daß der Lntrag nicht ernst zu nehmen ist, hat der Antragsteller selbst zugegeben. Man kann d’'e Durhführbarkeit eines Antrages niht einem anderen Hause überlassen, wie hier dem Herrenhause. Ih habe gegen die Nadfahrsteuer gestimmt und werde deshalb auch für diesen Antrag nicht stimmen, aber ih weise es niht von der Hand, die Pferde und Wagen zur Luxussteuer heranzuziehen. Es muß jedoch in etner brauchbaren Form geschehen. Hier einen Scherz zu machen, indem man solhen Antrag stellt, entspricht nicht der Würde des Hauses. Dieser Antrag hat niht einmal cinen agitatorishen Charakter. Warum haben die Herren diesen Antrag niht {hon bi der Be- \sprehung der Radfahrsteuer in der Kommission gestellt? Wir können feinen Anttag annehmen, der rur demonstrativen Charakter hat.

Abg. Waldstein (fr. Vgg.): Wir entnehmen aus den Aus- führungen des Abz. Arendt nur, daß ihm und vielleiht auch anderen der Antrag außerordentlich unangenehm ist. (Widerspruch rech!s.) Auch bei Ihrer Fassung der Fahrradsteuer bestehen Sckwierigkeiten in der Ausjührung, z. B. bei der Ausnahme für Schüler, Ich beantrage, die ganze Vorlage an die Kommission zurückzuverwei}en, damit der Antrag verbessert werden kann.

Der Antrag auf Zurückverweisung an die Kommission wird abgelehnt. Darauf wird auch der Antrag Gyßling abgelehnt.

Die übrigen Teile des Stempeltarifs werden unverändert nach den Beschlüssen zweiter Lesung angenommen.

Das Stempelgeseß selbst wird mit dem oben mitgeteilten Antrag Grunenberg zur Besteuerung der gemeinnüßigen Bau- gesellshaften ebenfalls angenommen. :

Bei der Gesamtabstimmung wird die Vorlage im ganzen gegen die Stimmen der Freisinnigen angenommen.

Jn dritter Beratung werden der Geseßentwurf, be- treffend die Bewilligung - weiterer Skdaatsmittel (16 Millionen Mark) zur Verbesserung der Wohnungs- verhältnisse von Arbeitern, die in staatlihen Be- trieben beschäftigt sind, und von gering besoldeten Staatsbeamten, sowie der Geseßentwurf, betreffend den Anschluß der Lehrèr und Lehrerinnen an den öffentlihen nihtstaatlihen mittleren Schulen an die Alterszulagekasse der Volksschullehrer, ohne De- batte angenommen.

Der Gesezentwurf, betreffend das Höferecht in der Provinz Hannover, wird auf Antrag des Abg. Meyer- Diepholz (nl.) nach den Beschlüssen der Kommission sowohl in zweiter als auch in dritter Lesung en bloc angenommen,

und Mietsverträge,

Justizminister Dr. Beseler erklärt hat:

Namens der Staatsregierung kann ich erklären, daß wir mit dem Antrag des Herrn Vorredners einverstanden sind und die An- nahme des Gesetzentwurfs befürworten.

Die zweite Beratung des von dem Abg. von Böhlen- dorff-Kölpin (kons.) eingebrahten Geseyentwurfs wegen Abänderung der Kreisordnung für die älteren Pro- vinzen wird von der Tagesordnung abgeseßt mit Nüksicht darauf, daß der Kommissionsberiht erst gestern abend er- Aeg sei und noch niht habe genügend geprüft werden

Ffönnen.

Es folgt die zweite Beratung des Geseßentwurfs, be- treffend die Umzugskosten der Geistlihen der evan- gelishen Landeskirche der älteren Provinzen.

Abg. Dippe (nl.): Dieselben Bedenken, die ih bei der ersten Beratung des Geseßeatwufes erhoben hatte, sind auch im Herren- hause geltend gemacht worden. Nach unserer Meinung überwiegen aber di? Vorzüge unscre Bedenken, und wir werden deshalb für das Geseh stimmen, in der Erwa:tung, daß die Kirchenbehörden die Härten, wo „s folhe fühlbar machen sollten, auszugleihen bestrebt sein werden. : :

Die Vorlage wird in zweiter und sogleih auch in dritter

Beratung angenommen.

Bei der zweiten Beratung des Geseßentwurfs, be- treffend die Aufhebung der Generalkommission für die Provinzen Westpreußen und Posen in Brom- herg, referiert

Berichte statter Abg. Mert i n- Oels (frkons.), daß die Kommission zwar mit der Aufhebung der Generalkommission in Bromberg und der Uebertragung der Geschäfte derselben bis zur anderroeiten gefetz- lihen Regelung auf die Generalkommission in Breslau einverstanden gewesen set, daß sie aber die Bestimmung gestrihen habe, daß der Uebergang der Geschäfte auf die Behörden der allgemeinen Landesverwaltung und auf die ordentlihen Gerihte durch besonderes Geseß geregelt werden solle, sowie auch die Bestimmung ab- gelehnt habe, daß die Mitglieder der aufgehotenen Genecalkommission eventuell auch zur allgemeinen Landesverwaltung überzugehen ver- pflihtet seien.

Die Abgg. von Bockelberg (kons.) und Freiherr von Zedliß und, Neukirch (freikons.) beantragen die Wieder- herstellung der Regierungsfassung.

Abg. Freiherr von Zedliß und Neukirch (frkons.) begründet seinen Antrag; der Negterung solle eine Nichtlinie gegeben werden für die Fra;e der Reorganisation der allgemeinen Landesyerwaitung, sie müsse wissen, ob sie auch für ihr ferneres Vorgehen in dieser Frage in diesem Hause eine Mehh.it h'nter sih habe.

Abg. von Bockelberg (kons.) spricht fich in gleihem Sinne aus ; der größte Til seiner Freunde sehe in der Fassung der Kommisfion keine Verbesserung des Gesetßentwurfes, er bitte, dem Antrage zuzu- stimmen.

Abg. Glaßgel (nl.): Es könnte beinahe \o sccheinen, als ob die BVorrèdner die Metnung des Hauses vertreten, das is aber keines- wes der Fall. Eine grundfäßlihe Stellungnahme zu dieser Frage lehnen wir hevte ab und werden dem Gesetzentwurf rur in der Fassung der Kommission zustimmen. Ich gebe dem Abg. von Z-dlitz zu, daß die Frage der Reform ter allgemeinen Landesverwaltung für die Re- gierung in der Tat s{chwierig ist, wenn wir jeßt den Antrag Bockel- berg ablebnen. Man bätte uns die Vo:lage erheblich früher zugehen lassen müssen. Vielleicht läßt sich auf dem Wege eines Initiativ- antrages noch eine zuverlässige Grundlage für das fernere Verhalten der Regierung finden. Mit der Streichung beabsihtigen wir nicht, gegen die Auffassung des Abg. Freiherrn von Zedlig Stellung zu nehmen, wir wollen nur sahlich vorgehen

Abg. Klocke (Zentr.) tritt dem Vorredner bei, seine Freunde wollten fich weder nah der einen noch nach der anderen Seite binden.

Abg. Weisfsermel (konf.) erklärt namens der Minderzahl seiner Partei, an den Beschlüssen der Kommission festhalten zu wollen.

Minister für Landwirtschaft 2c. von Arnim:

Die Fassung des § 1, der in der Kommission gestrihen worden ist, enthält eine Frage an das hohe Haus, wie das {on von den Herren Vorrednern ausgeführt worden ift, die Frage nämli, ob das hohe Haus mit der Nichtungslinie, die ih in meiner Erklärung vom 9, Februar in der Budgetkommission abgegeben habe, eiaverstanden ift. Wir brauchen eine Antwort, wie das von den Herren Vorrednern hon ausgeführt ist, deshalb, um zu wissen, ob wir auf dem Wege, den ih hier angedeutet habe, in der Neform der inneren Verwaltung vorgehen können, mit der Ausficht darauf, die Zustimmung des hohen Hauses hinter uns zu haben. Eine Festlegung nach irgend einer Nichtung hin findet durch Annahme des § 1 in der Fassung der Negierung3vorlage ja nicht statt. Sie wollen si nur im Prinzip dafür erklären, ob da, wo die Generalkommissionen ihre Aufgaben, für die fie gegründet worden sind, in der Hauptsache aufgearbeitet haben, die Generalkommissionen da noch bestehen bleiben, oder ob der geringe Nest, der von diesen Aufgaben übrig bleibt, an die Verwaltungsbehörden resp. Gerichte überwiesen werden soll, Ih möchte dabei bemerken, daß die ganze Frage das betone ih wiederholt hier fich nur auf die Generalkommissionen bezieht, die thre alten Aufgaben der Hauptsache nah aufgearbeitet haben, nicht auf die Generalkommissionen, die noch auf läagere Zeit mit Arbeit reihlich versehen sind. Es sind das, wie ich in der Kommission {hon erklärt habe, vor allen Dingen die westlihen Generalkommifsionen, die mit der Zusammenlegung beschäftigt sind und hier noch auf lange Jahre ein reiches Feld der Arbeit haben. Wie Sie wissen werden, bestand ursprünglih die Absicht, eine große Neformgeseßgebung für di: Generalkommissioren vorzulegen. Diese Absicht hat ih insofern modifiziert, als nah Auftreten des großen Planes für eine Reorgani- sation der Inneren Verwaltung darin gebe ih dem Herrn Abg, Glatel recht neuerdings nun die Köntglihe Staatsregierung zu dem Entschlusse gekommen ist, die Aufgaben der absterbenden General- tommissionen den Verwaltungsbehörden resp. Gerichten zu über- weisen. Insofern hat sich ja, wie gesagt, dieser Plan etwas geändert, aber es ist immer noch übrig geblieben, die Absicht der Königlichen Staatsregierung, die bestehen bleibenden Generalkommissionen zu re- organisieren, und in dieser Reorganisation würde ein Punkt, der hier vorgesehen ist, auch mit Aufnahme finden. Das ist die Ueber- weisung der rein privatrechtlihen Streitigkeiten an die ordentlichen Gerichte.

Meine Herren, ih sagte, eine Festlegung seitens der Parteien finde ja eigen!lih nicht statt. Ste sollen sich nur dazu erklären, ob Sie prinzipiell unter allen Umständen an der Aufreßterhaltung der Generalfommissionen festhalten wollen oder nicht. Finden nachher die Vorschläge, die die Köni„lihe Staatsregierung Ihnen machen wird bezüglih der Uebertragung der Geschäfte an die Verwaltungsbehörden

und bezüglih der Organisation der Verwaltungsbehörden, niht Ihre

Billigung, dann bleibt es Ihnen natürlich unbenommen, die Vor- shläge der Königlichea Staatsregierurg abzulehnen, Aber Sie würden das ganze Reformweik, welches jeyt in Arbeit ist und welches, das brauhe ih Ihnen nicht exst zu sagen, ganz außerordentlihe Schwier?g-

M eiten bereitet es sind ungeheuer viel verschiedene Ansichten und

Friktionen zu überwinden —, w'sentlich erleichtern, wenn Ste nah dieser Richtung hin einen gewissen Fingerzeig geben. Deshalb bitte h Sie, den Antrag Bockelberg-Zedlip-Mertia anzunehmen.

Untersiaatssekretär im Ministerium des Innern Holt tritt der Ansicht entgegen, daß man sich mit der Wiederherstellung der Ne- gierunzsvorlage festlege; es handele fich hier nur um einen praktischen Ausweg in einem einzigen Fall.

Darauf wird, nahdem sich noch der Abg. Gyßling (fr. Volksp.) für die Kommissionsfassung ausgesprochen hat, die Vorlage in der zweiten und sogleih in der dritten Lesung in dieser Fassung angenommen. : j

Jn zweiter und dritter Beratung wird ferner der Geseß- entwurf, betreffend die Erweiterung des Landes- polizeibezirks Berlin (Hinzutritt der Landgemeinde Stralau), ohne Debatte entsprehend dem Antrage der Ge- meindekommission angenommen.

Es folgt die Jnterpellation der Abgg. Dr. Porsch (Zentr.) und Genossen: „Jst der Königlichen Staatsregierung bekannt, daß bei der Probeabnahme der Talsperre an der Wölfel im Kreise Habelshwerdt am 4. Mai 1909 durch die aus der Sperre abgelassenen Wassermassen eine Uebershwemmung flußabwärts stattgefunden hat, welche den Uferanwohnern einen enormen Schaden zugefügt hat? Sind die Beunruhigungen, welche für die zukünftige Sicherheit der Anlieger bestehen, berechtigt, und was gedenkt die Königliche Staatsregierung zu tun?“

Minister für Landwirtschaft 2c. von Arnim:

Ich bin bereit, fie sofort zu beantworten.

Abg. Geisler (Zentr.): Am 4. Mai hat eine Probeabnahme der Talsperre stattgefunden, um die zweämäßigste Form herauszufinden, wie das Wasser abgelassen werden kann. Dadurch entstand gerade eine Ueberschwemmung, die größer war, als die frühere zu der Zeit, wo die Talsperre noch niht gebaut war. Dabei fiel fogar eine Brücke, die bisher allen Hohwassern standgehalten hatte, der Hochflut zum Opfer. Angesichts der großen Schäden ist die Aufregung der Bewohner niht gering. Bei der Abnahme waren Sachverständige aus dem Ministerium und aus der Provinzialverwaltung zu- gegen. Es besteht vie Möglichkeit, daß die Sperrmauer nicht wasserdickt ist, und daß die Hue&wassergefahr nux noch ver- mehrt is. Wir wollen dur die Interpellation Aufklärung schaffen, damit wieder Beruhigung unter den Bewohnern eintiitt. Ich frage deshalb die Regierung, 1) ob die Mauer so wasserdiht ist, daß keine Gefahr für die Zukunft besteht, 2) ob wirk- li, wie es heißt, eine zweite Mauer gebaut werden muß, 3) ob die Geschädigten aus Staatsmitteln Entschädigungen erhalten werden, und 4) ob weitere Gefahren für die Zukunft entstehen können. Leider besteht noch niht das Gese über die Haftpflicht des Staates für seine Beamten, sonst müßten die Bewohner vollen Schaden- ersat erhalten. Bet Verhandlungen tn Schlesien fiel von amtlicher Stelle die Aeußerung, daß die Abgeordneten im Parlament solche Beschwerden niht vorbringen follten. Der eine solche Aeußerung tat, ist Mitglied des Herrenhauses und sollte deshalb wissen, daß es Pflicht der Abgeordneten ist, die Beshwerden ihrer Wähler vor- zubringen. Diese Angelegenheit hier hat niht nur lokalen Charakter, denn es bestehen auch anderswo Talsperren, bei denen vielleiht cine Gefahr vorliegen kann.

Minister für Landwirtschaft 2c. von Arnim:

Es handelt sh um eine Talsperre, die auf Grund des Hoch- wassershußzgeseßes für die Provinz Schlesien errichtet worden ist, und zwar: handelt es sich um eine kleinere Anlage. Bei diesen kleineren Anlagen, die mit einer Auênußung der Kraftquelle niht verbunden sint, hatte man urfp: ünglih die Absicht, eine Bedienung möglihst unnötig zu machen, weil man nicht ganz sicher ist, ob bei diesen kleinen Sperren jederzeit die bedienende Persönlichkeit zugegen if, wenn einmal wirklich Gebirgöhochwasser eintritt. Zu diesem Zweck hatte man anfangs unten auf der Sohle der Sperre Oeffnungen von bestimmter Größe angelegt, die so vel Wasser dur(iaässen follten, daß unterhalb kein Hochwasser entstände, aber do ein genügender Abfluß vorhanden wäre, sodaß ein Ueberlaufen der Sperre vermieden würde. Spätere Grfahrungen haben gezeigt, daß, um Sicherheit gegen ein Ueberlaufen der Talsperre zu gewinnen, diefe Oeffnung so groß angelegt werden mußte, daß sie wieder zu viel Wifser nah unten brachte, sodaß man deshalb eine Bedienung nit entbehren konnte. Infolgedessen ift man dazu übergegangen, die D-ffnungen auf der Sohle der Talsperre erheblich kleiner zu machen, dafür aber eine zweite Sicher- heitsöfnung anzu*?egen, die höher liegt als die Soble, etwa auf der halben Höhe oder je nachdem etwas höher. Diese zweite Deffnung soll dazu dienen, bei sehr ak andringer dem Hochwasser das überflutende Wasser abzuführen, sodaß kein Ueber fluten der Krone der Sperrmauer eintritt. Eine solhe Anlage i} an dieser Talsperre gemacht worden.

Nun handelte es fich darum, festzustellen, welhe3 die geeignetste Form des Ueberfallbettes, des Wasserpolders, set, das zum Abfangen des aus der oberen Oeffnung mit großer Gewalt nach unten stcömenden Wassers dienen sollte. Das konnte nur in Gestalt von Versuchen geschehen. Es handelte sich ferner darum, festzustellen, ob man nit

besser täte, das dur diese zweite Oeffnung abfließende Wasser nicht |

im Bogen auf das Wasserpolder fallen zu lassen, sondern es an der Sperrmauer auf einer rauhen Oberfläche herunterzuführen nd so sukzessive die Macht des Sturzes zu brehen. Es handelte sich endlich darum, festzustellen, ob die Größe der Ueberfallöfnung die rihtige war. Es gibt ja gewisse Negln über die Durchlaß- fähigkeit von Röhren bezw. Oeffaungen für Wasser unter bestimmtem Druck. Diese Negeln oder Tabellen, die man in jedem Ingenteur- handbuch findet, erstrecken sch nach den bishertgen Erfahrungen auf kleine Querschnitte, und man war sehr im Zweifel, ob sie auß für arößere Querschnitte anwendbar waren.

Nun besteht hier eine behördlihe Versuhsanstalt für Wafser- bauten und Tiefbauten, die vom Ministerium der öffentlichen Arbeiten und vom Landwirtsaftsministerium refsortiert. Diese Fachbehörde hat gemeinsam mit dem Bauherrn, der Provinz, einen Versu gemaht. Dabei hat sih herausgestellt, daß einmal das Wasserpolder einer Abänderurg bedurfte, daß es zweitens vorteilhafter wäre, das Wasser in dieser gebrohenen Weise an der Sperrmauer herunter- zuführen, und daß drittens und da komme ich auf die Haupt- sahe die Oeffnung zu groß war. Der Versuh is Anfang Mai, also gleich nach der Schneeshmelje, vorgenommen worden, wo noch das nôtige Wasser zur Verfügung stand, und wo andereiseits die Vegetation noch nicht so entwickelt war, sodaß man einen etwa ein- tretendea Schaden möglichst gering gestalten konnte.

Der Versuch hat nun ergeben, daß die Oeffnung viel zu groß ist, und daß tatsählich dur die Ocffnung erheblich mehr Wasser abfließt als nah der Berehnung vorautkgesehen war. Dadurch ift eine große Ueberschwemmuna entstanden. Nach den vorläufigen Berichten, die mir vorliegen, soll der Landwiitschaft ein Schaden voa 4000 bis 5000 A6 zugefügt sein. Außerdem soll aber ein erhebliher Schaden bei den Regulierungsbauten, die die Provinz am Fluß vorgenommen hat, eingetreten sein.

Nun hat der Herr Vorredner vier ganz präzise Fragen an mich gerihtet. Er hat zunächst gefragt: ist die Mauer nit genügend wasserdiht, sodaß eine Gefahr für die Haltbarkeit besteht? Meine Herren, diese Frage kann ich aufs beslimmteste verneinen, Die Mauer ist durhaus Yaltbar und durchaus genügend wasserdiht, sodafi irgend- welche Gefahr, wenigstens nach der Ansicht sämtlicher Tehniker, nicht besteht. Sie hat dieselbe Haltbarkeit und bietet dieselbe Sicherheit wie die Mauern der übrigen Talsperren, die schon seit langem be- stehen und sich bewährt haben. Allerdings \sickert an einzelnen Stellen etwas Feuchtigkeit dur®, eine Beobachtung, die wir übrigens auh an anderen Talsperremauern gemacht haben. Ich habe persönlich folche Talsperremauern besihtigt und habe in den Gängen, die man innerhalb der Mauern hat, gefunden, daß auch dort an verschiedenen Stellen der Mauer Wasser durh- sickert. Das findet au hter statt. Man muß versuchen, allmählich kleine febhlerhafte Stellen noch zu dichten; eine Gefahr besteht aber, wie gesagt, in keiner Weife.

Dann hat er die zweite Frage gestelit: .Sind Lehmsäcke ecin- gelassen worden, und soll ein Einbau einer neuen Mauer stattfinden ? Was mit den Lehmsäcken gemeint ist, weiß ich niht recht; mir ift jedenfalls von der Sahe nichts bekannt. Aber ein Einbau einer neuen Mauer ist nach dem, was ich eben ausgeführt habe, absolut überflüssig und ist auch in keiner Weise beabsichtigt.

Die dritte Frage ist die: Wird den Geshädigten voller SHadens- ersay aus Staais- und Provinzialmitteln gewährt werden? Die Frage kann ih bejahen; selbstverftändlich muß der Schaden, der etwa angerihtet worden ift, erseßt werden, und zwar von den dazu Ver- pflichteten.

Die vierte Frage war: Wie konnte bei der Probe ein immerhin bedeutender Schaden entstehen? Ja, meine Herren, diese Frage ist eigentlich schon erledigt durch die Erklärungen, die ich bezüglich der zu großen Durchlaßfähigkeit der oberen Oíffaung gegeben habe. Es hat sich tatsählich herausgestellt, daß anstatt 39 cbm pro Stkunde etw3 52 cbm abgeflossen find, daß also die bisherigen Formeln für diese Frage nicht zureihend waren. Es wird natürlich beabsihtigt, auf Grund dieser Erfahrungen nun eine Ver- kleinerung dieser Deffnung vorzunehmen. Notwendig war diese Probe sowohl nach Ansicht der bauenden Provinz, wie nach Ansi§ht der hiesigen Techniker, damit man auf sicherer Grundlage bei dem Bau der weiteren Talsperren vorgehen konnte, und insofern kann man wohl sagen, ist das Geld, was bier verbraucht wird, der Schaden, der an- gerichtet ist, nicht umsonst gewesen.

Abg. Graf von Praschma (Zentr.) erklärt, daß seine Freunde mit Rücksicht auf die Geschäftslage des Hauses und nah der Er- klärung dcs Ministers auf die Besprehung der Interpellation ver- zichteten.

Es folgen Berichte der Wahlprüfungskommission.

Die Wahlen der Abgg. Shwarߧ-Reichenau (fr. kons.), Wolff- Lissa (fr. Vgg.) und Reinecke-Gußwig (kons.) im Wahlkreise Fraustadt-Lissa werden für ungültig erklärt, jedoch auf Antrag der Kommission das Ersuchen an die Regierung gerichtet, die Protestbehauptungen, daß eine Wahlversammlung zu Unrecht aufgelöst sei, und daß Beamte unzulässige Wahl- beeinflussungen vorgenommen hätten, auf ihre Richtigkeit zu prüfen und eventuell der Wiederholung ähnliher Vorkommnisse vorzubeugen.

Die Wahl des Abg. Nissen (Däne) im Wahlkreise Apenrade-Sonderburg wird beanstandet und Beweiserhebung über verschiedene Protestpunkte beschlossen. |

Schluß 41/4 Uhr. Nächste Sizung Donnerstag 11 Uhr. (Kleinere Vorlagen, Eisenbahnvorlage, Anträge aus dem Hause.)

Handel und Gewerbe.

(Aus den im Reichsamt des Innern zusammengestellten Nachrichten für Handel und Industrie *.)

Großbritanniens Ein- und Ausfuhr von Papier und Papierbereitungsstoffen im ersten Vierteljahre 1909.

In den Monaten Januar bis Ende März 1909 (1908) wurden nach Großbritannien an unbedrucktem Papier „auf Rollen“ 401 878 (378 740) cwts. im Werte von 226 436 (226 333) Pfd. Sterl. und an solchem „nicht auf Rollen“ 418946 (492 058) cwts im Werte von 347 853 (415 689) Pfd. Sterl. eingeführt. Die Einfuhr von bedrucktem Papier, einchließlich des überzogenen Papiers und der Papiertapeten, belief sich auf 55 226 (58 180) cwts. und stellte einen Wert von 135 657 (150 856) Pfd. Sterl. dar.

Aus Deutschland gelangten in dem genannten Vierteljahr an unbedrucktem Papier auf Rollen 31 802 (38 397) cwts. im Werte von 18 943 (24 792) Pfd. Sterl., an sonstigem unbedruckten Papier 103 689 (134 408) cwts. im Werte von 98 758 (126 578) Pfd. Sterl. und an bedrucktem Papter 28953 (29 626) cwts. im Werte von 64 662 (67 969) Pfd. Sterl. zur Einfuhr.

Für den Einfuhrhandel kamen ferner in Betracht: Papier zum Packen und Einwickeln mit 555 183 (660 045) cwts. im Werte von 377 435 (452 965) Pfd. Sterl. sowie Stroh-, Buchbinder- nebst Holzpapve, zusammen mit 803 615 (832521) cewts. im Werte von 269 628 (281 720) Pfd. Sterl.

Die Gesamteinfubr an Papier und Pappe stellte i{ch biernach auf 2234 848 (2 421 544) cwts. und bewertete sich auf 1357 009 (1527 563) Pfd. Sterl. :

Zur Papierbereitung wurden im erften Viertel 1909 (1908) 4216 (3958) t Leinene und baumwollene Lumpen im Werte von 40 155 (41 366) Pfd. Sterl., 55 370 (49 816) t Esparto und andere Pflanzensorten im Werte von 204595 (191 762) Pfd. Sterl. und 119 179 (145 136) t chemish oder mehanisch bereiteter Holzstoff im Werte von 567 056 (678 856) Pfd. Sterl. eingeführt.

Die Ausfuhr von in Großbritannien und Irland hbergeftelltem S(hreib- und Druckpapier sowie von Briefuw schlägen belief fich in der Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1999 (1908) auf 345 723 (337 008) cwts. im Werte von 377 489 (385 992) Pfd. Sterl. An sonstigem Papier und an Papterwaren, mit Ausnahme von Tapeten und Paptiermachéartikeln, wurden 14383 (27 037) cwts. im Werte von 32069 (47 672) Pfd. Sterl. auszeführt. Außerdem gelangten noch Luwpen (mit Ausnahme von wollenen) und andere Papter- erzeugungsftoffe mit 34978 (24787) t im Werte vcn 156748 (129 173) Pfd. Sterl. zur Ausfuhr. (Theo Paper Makers’ Monthly Journal.)

St. Vincent.

Zollzuschlag. Laut Verordnung der Zollverwaltung (Customs Duties Ordinance 1908 Nr. 11 vom Jahre 1908) foll der Zu- {lag von 10 v. H., der auf alle nah den Zolltarifverordnungen Nr. 2 und 11 vom Jahre 1895 und Nr. 4 vom Jahre 1902 bei der Einfuhr nach St. Vincent zu erhebenden ZöUe gelegt ift, auch im Jahre 1909 in Krast bleiben. (The Board of Trade Journal,)