1868 / 76 p. 12 (Königlich Preußischer Staats-Anzeiger) scan diff

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Die großen Flüsse.

Wenn wir nun einen Blick auf die Lage jener großen walsser- reichen Niederungen im Osten und im Westen werfen, so ist offenbar, daß dieselbe mit der Richtung und dem Laufe der

roßen Ströme zusammenhängt. Da dle norddeutsche Ebene fn allgemeinen sih von Südosten nach Nordwesten senkt, da eben dies die Streicbungs8linie der mitteldeutschen Gebirge und der beiden Bodenanschwellungen des Tieflandes ist, da alle Spuren festeren Gesteins in der Ebene dieselbe Richtung zeigen, beispielshalber liegen die drei größten Bildungen von tuschel- falk: bei Rüdersdorf, bei Lüneburg und die Insel Helgoland in einer solchen Linie von Südost nah Nordwest so sollte man annehmen, daß auch die großen Ströme von der Weichsel bis zur Cms in dieser Richtung fließen müßten. Und in der That folgen sie dieser Senkung der Ebene in dem größeren Theile ihres Laufes, nur auf kurze Strecken weichen fie davon ab; in ihrem unteren Laufe aber wenden sie alle plößlich nah Norden, die östlichen sobald sie in die Seenplatte eintreten; die Elbe, welche nach dem Einflusse der Havel ihre frühere Richtung wieder annimmt, wo sie den uralisch-karpathishen Höhenzug, die Weser, wo sie die Weserketten durchbricht. Da, wo diese Flüsse von ihrer Hauptrichtung abweichen , seßt ein anderer Fluß dieselbe nach Westen fort. So fließt westlih von Bromberg die Netze in der bisherigen Richtung der Weichsel, westlich von Frankfurt die Spree mit der Havel, westlich von der Elbe die Aller, wesilih von der Weser Else und Haase. Alle diese Flüsse fallen durch die Breite ihres Bettes auf , das zu ihrer Wasser- menge in keinem Verhältniß steht. An eben diesen Flüssen und an den Hauptströmen liegen jene wasserreichen Niederungen, deren Entstehung aus dem gegenwärtigen Lauf der Flüsse fast nirgend erklärt werden kann. Aus allen diesen Gründen ist {on vor längerer Zeit die Ansicht aufgestellt und begründet worden, daß die genannten Nebenflüsse mit ihren breiten Bet- ten den ehemaligen Lauf der großen Ströme darstellen, die früber auch in ihrem unteren Lauf der allgemeinen Richtung des Tieflandes folgten und in alter Zeit vielleicht alle zur Nordsee ibren Abfluß nahmen, bis große Hochwasser über die Seen- platte, durch den Fläming und die Weserketten hindur ihnen den kürzeren Weg zum Meere bahnten. Für Weichsel und Oder ist dies schon längst erwiesen *) und allgemein anerkannt, in Bezug auf Elbe und Weser hat Guthe aus genauer Terrain- kenntniß den alten Gründen neue und treffende hinzugefügt, so daß diese Thatsache kaum noch cinem Zweifel unterliegen kann. Die Leichtigkeit, mit der hier die Flüsse ihre alten Richtungen aufgegeben und sih nordwärts gewendet haben, is ein deutliches Zeichen, daß in der norddeutschen Ebene und ebenso in der russish-polniscen Ebene die Wasserläufe nicht scharf von einander geschieden sind; sie hat es auch der menscblichen Kunst leiht gemacht, die spät entstandenen Wasserscheiden mit Kanälen zu überschreiten. Im Osten Norddeutschlands und in Rußland hat man es denn auch verstanden, diesen Vortheil auszunugen, und man kann von Hamburg wie von Stettin auf Flüssen und Kanälen nah Danzig und Memel , ja bis zur Küste des \hwarzen Meeres gelangen. Eben diesen Verbindungen verdankt Berlin einen großen Theil seiner Bedeutung. Jn der Mitte des norddeutschen Landes gelegen , gleich weit entfernt von der Küste wie von dem GebirgLsaum, von den östlichen wie von den westlichen Grenzen , ist es durch je zwei Wasserstraßen mit Elbe und Oder, den beiden Hauptflüssen des mittleren Norddeutscland, durch die leßtere und ihre Verbindungen mit allen Flüssen des Ostens verbunden. Freilich ist ihm seine centrale Stellung auch für den Landverkehr zu Statten gekom- men, es ist dadurch der Mittelpunkt des norddeutschen Eisenbahn- netes geworden. Jm Westen Norddeutschlands is die Verbin- dung der großen Flüsse bis jeßt noch nicht hergestellt und erst neuerdings die Herstellung eines Rhein-Wescr-Elbe-Kanals in Ausficht genommen. Dieser Kanal würde für den Westen dic- selbe Bedeutung erlangen können, die der Müllroser Und Bromberger Kanal noch heute für den Osten haben.

Qur Münzkunde des preußischen Staats.

So eben ist im Verlage von J. A. Stargardt hierselbst das Verzeichniß einer brandenburg-preußischen Münzsammlung erschienen, welche vom 27. April an zur Versteigerung gelang. Dasselbe ist von dem Frhrn. v. Saurma-Jeltsh verfaßt, welcher diese Sammlung seit mehreren Jahren angelegt, und nachdem sie zu einem hohen Grade von VcUständigkeit gelangt ist, sich entschlossen hat, seine Wirksamkeit für Sammlung vaterlän- discher Denkmäler nunmehr seiner heimathlihen Provinz Schle- fien zuzuwenden.

Es enthält diese Sammlung höchst seltene und werthvolle

T) S.

darüber namentli: Girard, die norddeutsde Ebene. Berlin 1855. |

Stücke, von den größten bis zu den kleinsten und vom Anfange des Münzens in unserem Lande an bis zur Gegenwart herab, in Gold, Silber und Kupfer. Es würde zU weit führen, einzelne Seltenheiten und bisher unbekannt gewesene Stücke hervorzuheben, und deshalb kann hier nur im Allge: meinen eine Aufzählung erfolgen.

Querst erscheinen die Münzen der Wenden. Da ibnen die Kenntniß des Schreibens und Lesens abging, ahmten sie die Münzen der deutschen Kaiser, der Erzbischöfe von Magdeburg und anderer Münzstände in roher Weise nah; dann folgen die Münzen der Markgrafen von Brandenburg bis zu den Kurfürsten aus dem Kaüle Hohenzollern, von wel: chen an das Münzwesen einen großen Fortschritt erfuhr.

Vom Kurfürsten Friedrich 1, der nur in Franken Münzen schlagen ließ, ist ein Goldgulden, vom Kurfürsten Griedrich 11, der das Münzwesen sich vornehmlich E M sein licß, sind 60 Silbermünzen, von Kurf. Albrecht Achille82Goldgulden und der einzige von ihm geschlagene Groschen, von Kurf. Johann Cicero, der zuerst auf Münzen die Jahreszabl anbringen licß, 20 Groschen, die so seltenen halben Groschen und einige leine Münzen, vom Kurfürsten Joachim 1. 2 Goldgulden, 2 Thaler, ein Stendaler viertel Thaler und eine große Reihe Groschen, die seltenen halben Groschen desselben, sowie kleine Münzen , vom Kurfürsten Joachim 11. ein Goldgulden, 1 Dufkat, 1 Doppel- und 3 ein- fache Thaler, sowie die vielen kleinen Münzen , vom Kur: fürsten Johann Sigismund 1 Goldgulden, 1 Doppel- und 3 einfache Thaler 2c., vom Kurfürsten Georg Wilhelm 10 Gold stücke und eine lange Reihe Doppel- und einfacher Thaler, seine Kipperungen und die derartigen Münzen der Städte Beeskow, Berlin, Brandenburg, Cöln a. d. Spree u. st. w.; vom großen Kurfürsten und von seinen Nachfolgern fast alle Münzen, und die als Deuten und Thaler geprägten Schaustüke auf Ge: burten , Vermählungen und Todesfälle im Herrscherhause, so wie auf Huldigungen, Siege und Erwerbungen vor banden. Sodann folgen die Münzen der Provinz Preußen; hiernächst die Münzen für Südpreußen , Posen, Neuenburg,

ohenzollern, Anspach-Baireuth, Geldern, die Grafschaft Mark,

leve , Hervord , Ravensberg, Minden und Ostfriesland. G liegen sonach in dieser Sammlung die metallenen Urkunden zur Geschichte des Vaterlandes von über 1000 Jahren vor.

Besonders verdient noch bemerkt zu werden, daß die Silber: münzen vom- Kurfürsten Friedrich 1. bis Joachim ll. ein \chließliÞ und einige Münzen des großen Kurfürsten in, in Holz geschnittenen getreuen Abbildungen und auf 2 Tafeln die durch Photographie ausgeführten Abbildungen von 12 seltenen Thalern vom Kurfürsten Joachim 1. an, vorliegen.

Der Handel von Cöln während der Jahre 1815 bis 186.

L Unter den rheinischen Handelspläßen hat Cöln schon seit Jahr- hunderten eine Stelle von hervorragender Bedeutung cingenommen. Seine Lage unmittelbar an der verkehrsreichsten deutschen Wasserstraße, nahe am Grenzgebiete Deutschlands, Frankreichs und der Niederlande, unfern dem Meere, inmitten eines an allen Naturprodukten reichen

| Landes, so wie die darauf basirten historischen Verhältnisse, welche

diese Stadt zum Mittelpunkte des Erzbisthums gleichen Namens (t hoben hatten, und sie, als fklerikalen Besiß, mehr wie andere deutsche Emporien während der unsicheren Zeiten des Mittelalters vor Fehde bewahrten, sind als die vornehmlichsten Ursachen jener früh gewonne nen und wenn au mit Ünterbrehung bis in die Neuzeit be haupteten Handelsblüthe Côölns anzusehen. |

Die »übersichtlihe Darstellung des Handels von Cöln« in den leßten fünfzig Jahren (1815—1865) vom Regierungs - Assessor Rott- lacnder. Cóln, 1867, welcher wir Nachstehendes entnehmen führt in anschauliber Weise den historishen Verlauf der Côl- ner Handels - Verhältnisse vor und unterscheidet in der Handels geschichte der Stadt Cöln während der Jahre 1815 186% drei deutlich dur die Zeitereignisse abgegrenzte Perioden. Die rit umfaßt die Zeit vom Beginne der preußischen Herrschaft bis zur Auf hebung des Kölner Umschlagsrechts, oder die Jahre von 1815 bis 1831; die zweite die Zeit von der Aufhebung des Kölner Umschlags bis zw Eisenbahnzeit, oder die Jabre von 1831 bis 1842; die dritte die 2 der Eisenbahnen, oder die Jahre von 1842 bis 1865. j

Der Eigenhandel von Köln war schon vor Beginn der preußische! Herrschaft sehr zurückgegangen, der noch bestehende Umschlag ddr gegen bildete nah wie vor eine ergiebige Quelle für den Spt ditions- und Kommissionshandel und leßterer is ed demnos welcher wenigstens im Anfange dieser Zeit die Cölner HaS, thätigfkeit charakterisirt. Borzüglich waren Kolonialwaaren, R häute, amerikanischer Tabak, Baumwolle für die Schweizerfabr! i j Materialwoaaren, Rohzucker und Thran die Handelsartikel; welche L : den holländischen Häfen zugesührt, von Cöln aus nach der eau Frankreich, Bayern, Baden, Württemberg und den höher gera Häfen am Rhein und Main entweder im Qwischenhandel weiter

kauft, oder nur \pedirt wurden. Der Handelszug ging von Rotterd)

Amsterdam, namentlich aber von Antwerpen aus, und umfaßte

qus Öi y / il ganze Rhein-Gebiet. Den gesammten rheinischen andelsverhältniss stand jedoch damals in nit ferner Zeit ein ltiger Umschwun?

bevor. Cólns Speditions- und Kommissionshandel hatte sein Funda- ment ledigli in der bisherigen Mangelhaftigkeit des Transportwesens und dem durcþ allerlei Abgaben ershwerten Verkehr. Kein Wunder, daß mit der Aenderung dieser Lun ande Côlns Handel wollte er nit ganz verkümmern neue Bahnen einschlagen mußte, und dazu drängten ihn in der That gewaltsam zwei handelspolitische Ereignisse von sebr bedeutender Tragweite, welche beide in das Ende dieser E fallen : die Einführung der Dampfschifffahrt auf dem Rhein-

trom (1826), und die- Gründung des deutschen Zollvereins. Nach- dem unter dem 11. Juli 1826 den Statuten der neugebildeten »preußish- rheinischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft« die Allerhöchste Genehmigung u Theil geworden war, wurde bald durch Separat-Ubkommen mit der niederländischen Und der Mainzer Gesellschaft eine vollständige Korrespondenz der Fahrten längs des Rhein-Stromes von Mainz bis Rotterdam hergestellt, und dadurch der alte Waarenzug von Kolonial- produkten na den höher gelegenen Uferstaaten und der Schweiz in weit umfangreicherer Weise als er dereinst stattgefunden, auf die Rhein- straße zurücgezogen. A

Das zweite, für Cöln's Handel bedeutende Ereigniß , war die Gründung des deutschen Zollvereins. Wenn auch in einem anderen Vorgange, in der Aufhebung des Cölner Umschlags, die unmittelbare äußere Veranlassung zu der jeßt beginnenden Entwickelung des Cölner Eigenhandels gelegen haben mag, so war es doch der s{hüßende und fördernde Einfluß des Zollvereinstarifs, der den veränderten Handels- verhältnissen Côln's Wesen und Gestalt verlieh, und für das Ver- lorene einen reichen Ersaß finden ließ.

Die Aufhebung des Cölner Un1schlagsrechts, welches so lange Zeit auf den Charakter der Côlner Handelsverhältnisse von bestimmendem Einflusse gewesen, war keine plößlich und unvorbereitet eingetretene Begebenheit, der Verlust des Umschlags war vielmehr eine natürliche Holge der durch die Einführung der Dampfschifffahrt geänderten Ver- chrôverhältnisse, ein nothwendiges Opfer der freieren Bewegung und einer ungebundeneren Konkurrenz. War schon früher der Cóôlnex Un- chiag als ein lästiges Verkchrshinderniß \{wer empfunden worden, o daß die Stadt Cöln, um die Aus- und Einladungen vieler Schiffe oberhalb und unterhalb ihres Gebietes zu verhindern , sih im Jahre 1817 genöthigt sah, zu Gunsten einer freieren Schifffahrt die umschlag®- freie Vorbeifahrt mehrerer inländischen Produfte nachzugeben , #o mußte jenes Hinderniß um so drückender , und das Verlangen nach seiner Beseitigung um so lebhafter werden, je unmittelbarer seit Ein- führung der Dampfschifffahrt die Verkehrsverbindungen, je Üüberflüssiger alle Zwischenthätigkeit geworden, und je mehr in Folge dessen manche Einrichtungen, welche wegen der früheren Schwerfälligkeit des Verkehrs sich für den Handel als förderlich erwiesen hatten, jeßt grade in das Gegentheil auszuarten drohten. Was aber den stören- den Einfluß des Cölner Umschlags noch empfindlich fteigerte, war außer der Höhe der städtishen Krahn -, Wage- und Werftgebühren (höher als die von Mainz und Mannheim) die mangelhafte Beschaffenheit der Cölner Hafeneinrichtungen und Lagerhäuser. Solche Zustände trugen nur dazu bei, das Cölner Spe- ditionsgeschäft seinem Abschlusse näher zu bringen, und den Eintritt einer Wendung zu beschleunigen , welche durch die umgestalteten Ver- kehröverhältnisse nothwendig bedingt , au bei der größten Vortrefflich- keit der Hafen-Anstalten zwar nicht hätte aufgehalten werden können, indessen auch als ein ohne alle Schuld der Cölner herbeigeführtes Er- eigniß nicht wohl betrachtet werden kann. Schon im Jahre 1829 ver- lautete von cinem Projekte zu einem definitiven Rheinschiff- fahrts - Reglement dex Central - Kommission in Mainz, welches durch den niederländischer. Kommissarius vorgelegt sei und auf dem Grundsatze einer ganz freien Konkurrenz, sowohl unter den Schiffern, als den Rheinuferstaaten basiren sollte. Unter dem Sr 1831 wurde in der That von den 7 Uferstaaten des Rheins zu Mainz ein Rheinschifffahrts - Vertrag abgeschlossen , welcher das bis dahin bestandene Umschlagsrecht der Städte Cöln und?! Mainz aufhob, indem er die Schifffahrt auf dem Rheinstrome, von dem Punkte, wo er shiffbar wird, zu Berg und zu Thal bis in das Meer freigab ohne daß man verpflichtet wäre, die Ladung aus eincm Fahr- zeuge in ein anderes zu bringen. Für den Verlust des Umschlags ward dur des Königs Gnade der Stadtkasse zu Cöln auf 2 Jahre eine jährlihe Rente von 50,000 Thlrn. unter der Bedingung bewilligt, daß dem Freihafen eine bessere Einrichtung gegeben würde. S pâäter- hin folgten jener Rente noh mehrere Zahlungen aus der Staatskasse, so daß Seitens des Staates der Kommunalkasse für den Verlust des Umschlags von 1831—1838 successive 232,000 Thlr. zuflossen.

Die hundertjährige Jubelfeier von Lessings »Minna von Barnhbelm« im Aen Schauspielhause zu erlin.

Die Hofbühne beging Sonnabend, den 21. März, den hun- dertsten Ja restag der ersten Berliner Aufführung von Lessings klassischem Lustspiel dur eine festlih arrangirte Vorstellung. Is es doch ein heute noch bedeutsames Zusammentreffen , daß dieses Meisterwerk des deutschen Lustspiel-Repertoixs ein preußi- {es Soldatenstük ist, ein poetisher Nachklang der sieben Kriegs- jahre Königs Friedrich 11. Goethe s{hrieb in Bezug darauf: »Der erste wahre und höhere eigentliche Lebensgehalt kam dur Friedrich den Großen und die Thaten des sieben- ährigen Krieges in die deutsche Poesie. Jede National- dichtung muß schal sein oder schal werden, die niht auf dem Menschlichsten ruht, auf den Ereignissen der Völker und ihrer Hirten, wenn, Beide für Einen Mann stehen. Eines Werkes

aber, der wahrsten Ausgeburt des siebenjährigen Krieges, von volifommenem norddeutshen Nationalgehalt muß ich hier vor Allem ehrenvoll erwähnen: es ist die erste, aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduction von specifisch- temporärem Gehalt, die deswegen auch eine nie zu berechnende Wirkung that Minna von Barnhelm.« So Goethe im zweiten Theil sciner Wahrheit und Dichtung. Es sei nur noh hinzugefügt, daß Lessing (von 1760 bis 1765 Gouvernements- Secretair beim General von Tauenzien in Breslau) selbst ausgesprochen hat: »Wäre der König so unglücklih geworden, seine Armee unter einem Baume versammeln zu können, Ge- neral Tauenzien hätte gewiß unter diesem Baume gestanden. « In Breslau, im Frühling des Hubertsburger Friedens- jahres, s\kizzirte Lessing sein frisch aus der Zeit geschöpftes Lust- spiel : »Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück«. Aber erst zwei Jahre nachher (1765) legte er die leßte Hand daran, und erst zu Ostern 1767 erschien es im Druck. Jn dem Cha- rakter des »verabschiedeten Majors von Tellheim« wollten Frie- drich Nicolai und Andere damals den »lebendigen Charakter des seligen Kleist« , des 1759 heldenmüthig bei Kuner®Sdorf ge- fallenen Sängers des Frühlings, erkennen. Jn neuerer Zeit hat man die dem Lustspiel eingewebte Contributions- und Wechselgeschichte auf den Major von Marschall oder den Dra- goner-Major Meier gedeutet.

Die erste Aufführung in Deutschland erlebte das klassische Lustspiel in Hamburg, zur Zeit, als Lessing dort Dramaturg war, am 28. September 176/. Die erste Darstellung in Ber- lin folgte den 21. März 1768. Ueber diese und die Wieder- holungen des Lustspiels innerhalb des Zeitraums von hundert Jahren berichtet eine bühnengeschichtlihe QZusammenstellung, welche auf Anordnung des General-Jntendanten von Hülsen an die Zuschauer der Säkular-Vorstellung im Schauspielhause vertheilt wurde. Da diese historisch-statistische Uebersicht zugleich Berichtigungen für die Theater- und Literatur-Ge- \chichte enthält, so theilen wir sie hier vollständig mit:

»Minna von Barnhelm von allen deutschen Bühnenwer- ken, die sich bis zur Gegenwart thatsächlich auf dem Repertoir erhal- ten haben, das älteste, gelangte am 21. Márz 1768 unter dem Schauspiel-Direktor Döbbelin, welcher das Schuh sche Komödienhaus in der Behrenstraße gemiethet hatte und dort vom 10. Dezember 1767 bis 23. April 1768 Vorstellungen gab, zum ersten Male in Berlin zur Darstellung. Die heutige Aufführung (am 21. März 1868) zur 100jährigen Jubelfeier is die 168. des Lustspiels. Jn der Zeit vom 21. März bis 23. April 1768 also in 34 Tagen kam »Minna von Barnheim« 19 Mal zur Darstellung. Vom 21. bis 30. März erschien das Lustspiel in 10 aufeinander folgenden Vorstellungen, alsdann in Wie- derholungen am 5. 6.1 9.1 12., 16, 19., 20., 22. und 23. April. (Am 31. März wurde eine Posse: »Der Bocksbeutel«, am 10. April: »Ro- meo und Julie«, am 14. April: »Der poetische Dorfjunker« gegeben, und an den übrigen zwischeninneliegenden Tagen war die Bühne ge- {hlossen. Demnach is die Mittheilung Plümeke's in seinem »Ent- wurf einer Theatergeschichte in Berlin«: »Minna von Barnhelm« habe in 22 Tagen 19 ununterbrochene Vorstellungen erlebt, unrichtig.)

Mit »Minna von Barnhelm« {loß Döbbelin im Jahre 1768 am 23. April seine Vorstellungen in Berlin, bei welcher Gelegenheit Mad. Döbbelin nah der Aufführung eine Abschiedsrede hielt. Bei- nahe ein Jahr ruhten die Aufführungen des Stückes; denn die Schuch- he Gesellschaft, welche nah Döbbelin's Abreise vom 16. August bis 8. September 1768 und vom 28. Februar bis 11. März 1769 hier auftrat, brachte das Lustspiel niht auf ihr Repertoir. Erst wieder unter Döbbelin , der nach Berlin am 21. März zurükehrte und bis zum 15. Juli 1769 hier sih aufhielt, wurde »Minna von Barnhelm« am 28. März, 18. Mai und 10. Juni dem Publikum vorgeführt; jedoch bei der abermaligen Anwesenheit des genannten Theater-Unter- nehmers vom 27. November 1770 bis 2. März 1771 nicht zur Darstellung gebracht. /

Im Jahre 1771 wurde »Minna von Barnhelm« 2 Mal gegeben, und zwar unter dem Schauspiel-Direftor Koch, welcher von Friedrich dem Großen die Konzession zu einem stehenden Theater erhielt , das Komödienhaus in der Behrenstraße, im Jahre 1771 von den Shuch- hen Erben käuflich erwarb und am 10. Juni mit Lessing's »Miß Sara Sampson« eröffnete.

1772 ershien »Minna von Barnhelm« 2 Mal auf der hiesigen Bühne; 1773 ebenfalls 2 Mal; 1774 3 Mal; 1775 2 Mal, wiederum unter Döbbelin, welcher in diesem Jahre von der Wittwe Koch's das Theater in der Behrenstraße durch Kauf an sich brachte und am 17. April mit dem Trauerspiel »Perseus und Demetrius« eröffnete. Auch 1776 und 1777 wurde das Lustspiel je 7 Male gegeben und bei öfteren Wiederholungen auch in den nächstfolgenden Jahren, mit Aus- nahme von 1782, 1783, 1785 und 1786, dem leßten ahre der Direc- tionsführung Döbbelins, welcher von da ab die Stelle eines Re- gisseurs, bis zu seiner Pensionirung 1789 übernahm und 1793 starb.

1787 erschien »Minna von Barnhelm« 3 Mal im »Neuen Na- tional-Theater, « dem ehemaligen französischen Theatergebäude, auf dem Gensd'armen-Markte, nachdem dasselbe am 5. Dezember 1786 eröffnet worden war, und am 3. Dezember 1786 die leßte Vor- stellung im alten Theater, in der Behrenstraße, stattgefunden hatte. Nachdem »Minna von Barnhelm« 1788 1 Mal gegeben worden,

traten in den Aufführungen des Stückes vielfa j wi brechungen ein. 5 fache und längere Unter