Dentscher Reichstag. 266. Sikung vom 21. Juni 1909, Nachmittags 2 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)
Die zweite Beratung des Gesegentwurfs, betreffend Aenderungen im Finanzwesen, wird in der Beratung der von der Finanzkommisfion vorgeshlagenen Besteuerung der Wertpapiere (Kotierungssteuer) fortgeseßt.
Den Verhandlungen wohnen der Staatssekretär des nnern Dr. von Bethmann Hollweg, dèr Minister Jur andel und Gewerbe Delbrück, der Staatssekretär des eihsschaßamts Sydow und der Staatssekretär des Aus-
wärtigen Amts Freiherr von Schoen bei.
Abg. Dr. Noesidcke (tkonf.): Die Erbschaftssteuer ist der einzige Steuervorshlag der Regierung, den wir vollständig ablehnen, während von der Linken die Negierung einen Korb nach dem anderen bekommen hat, eine groze Kiste vol. Wir erbliicken in der Erbschaftssteuer eine ungerechte Verschiebung der Lasten. Wir sind bei dieser Steuerceform niht negatiy gewesen, was rielmehr allein die Linke für \si{ch in Anspruch nehmen kann, sondern wir haben positiv mitzuarbeiten gesucht, während die Linke sich der positiven Arbeit entzogen hat. Wenn wir damit einverstanden sind, daß ein Teil des Bedarfs durch Besißsteuern aufgebracht wird, fo ist das ein wesentlihes Zugeständnis, denn das Neich ist eigentlich auf indirekte Steuern angewiesen. Wir sird aber den Wünschen der Regierung und des Hauses in weitem Maße entgegengekommen. Die F-age ift nur, was Besißsteuern sind. Es muß mit der großen Ueberlastung des Immobils und mit der Bevorzugung des Mobile gebrochen werden. An den Ausgaben für die Flotte, die soziale Fürsorge, die Kolonien is gerade das Kapital befonders interessiert, das sih im Börsenverkehr betätigt. Wenn die überseecishen Schiffsgesellshaften im Auslande die ofene Tür finden, so ist das wesentlih zu verdanken den Unternehmungen des Deutschen Reiches, welhes Handelsbeziehungen ermögliht hat. Die Schaffung und Erhaltung der offenen Tür in den über- feeishen Ländern if bedingt durch die Erhaltung einer großen
lotte, die es dem Deutshen Re!che ermözliht, seinem Einflusse tahdruck zu vershaffen. Kommen alle diese Einrichtungen dem Großkapital zugute, so muß dieses Kapital auch der Träger an- gemwefsener Steuern sein. Man hat eingewendet, daß die Kotierungs- steuer unausführbar sei. Wie urrihtig das ist, beweist {on der Umstand, daß schon 1893 der Minister von Miquel diesem Gedanken nähergetreten iff. Wenn jahrelang diese Steuer in einem großea Staate wie Frankreich günstig gewirkt hat, so kann sie nicht fo \{chlecht sein, wie der Abg. Ret «T meinte, ter von der Arbeit der Kommission als von einer Sextanerarbeit sprach. Um der Börse entgegenzukommen, haben wir die Steuer differenziert. Die Papiere, die niht zur Börse zugelassen sind, die die Zulassung nicht wollen und nicht erhalten haben, sollen einen höheren Stempel bezahlen. Wir haben au differenziert zwishen den festverzinslichen und den nicht festverzinslihen Papieren. Daß wir die Paptere, die zum Terminhandel zugelafsen sind, höher besteuern wollen, ist nur billig, ebenso daß die Staats- und Neichépapiere von der Steuer be- freit fein sollen. Der gewerbliche Mittelstand wird im allgemeinen durch diese Steuer in keiner Weise getroffen. Wenn er den lebhaften Wunsch auf Einführung der Erbschaftssteuer gehabt hat, so verstehe ih das niht. Gerate dieje hätte ihn do erfaßt. Dagegen ist die Be- steuerung tes unpersönlihen Kapitals der großen Kapitalassoziationen ein gesunder sozialer Gedanke, den besonders der Mittelstand be- grüßen sollte. Das Großkapital ist es, das ihm das Leben {wer mat, und deswegen müßte auch der Staat in allererster Linie mit der Kotierungsfteuer einverstanden sein. Fretherr von Rheinbaben hat 1906 ausdrüdlich erklärt, die verbündeten Regterungen würden niemals in eine Ausdehnung der Erbschaft: steuer u Deszendenten und EGhe- gatten willigen — niemals. Noch vor aht Wochen war uns nur eine Belastung der Deszendenten und Ehegatten mit 2 bis 3 v. H. vorgeschlagen. “Jeßt, nah aht Wochen, liegt bereits wieder ein neues Projekt vor, das die Besteuerung auf 4% erhöht. Es ist gesagt, daß dies nit die leßte Finanzreform sei. Wohin die Reise geht, zeigte uns \chon der Antrag der Freisinnigen, der die Besteuerung der Erb- schaften bis auf 62,5 v. H. ausdehnen wollte. Auch diese Etappe würde noch nicht die legte sein; deshalb sollen wir uns hüten, den zweiten Schritt zu tun, nahdem leider 1906 der erste Schritt getan ist. Gerade die Sorçe um die Kleinen ist es, die uns zur Gegnerschaft gegen die Erbschaftssteuer veranlaßt. Das Verhalten dex National- liberalen und Freisinnigen in der Erbschastsktesteuerung wird nicht durch den Begriff Liberal gekennzeichnet, sondern durch den Begriff Demokratish. Aus unserer konservativen Grundanshauung heraus aber werden wir jeder finanziellen Gestaltung Widerstand entgegen- seßen, die demokratishe Tendenzen trägt. Auh der Abg. Müller- Vteir.ingen, der uns 1906 in der Erbschaftssteuerfrage unte: stützt und fo nette Artikel geshrieben hat, hat jeßt seine Ansint geändent und metat, die Erbschaftésteuer sei doch sehr er- träglih. Um auf die Kotierungsfteuer zurückzukommen, so we-den in Frankreih 25 Centimes nach dem Kurswert erhoben, wir wollen nur 10 und 20 S erbeben. Die Rechnung, die der Fretherr von Rheinbab-n über die Belastung der Aktiengesellshaften auf- gemacht hat, trifft nicht zu. Er berechnete die gesamte steuerlihe Belastung auf 14,5 v. H. der Rente, in Preußen ¿bie wird gar nit die volle Rente versteuert, sondern 37 v. H. Dividende sind s\teuer- frei. Rechnen wir in Deutschland ein Aktienkapital von 14 Milliarden, fo entfällt bei 5090 Aktiengesellshaften avf jede ein Kapital von durchs{nittlich 3 Millionen ; eine mittlere Dividende von 6 v. H. machte 180 000 (& aus. Unter Berücksichtigung des Reservefonds und der Steuerfreiheit von 3F v. H. bleiben 85 000 4, also bet einem Steuersay von 6 9% 5100 4 Steuer. Das sind 2°/6 v. H. der Rente. Der Aktionär kann nur das als Einkommen ansehen, mas er netto von der Aktiengefellshaft ausgezahlt erhält. Die Steuer sol auch vom Kurswert erhoben werden, und der Kurs ist doch niedrig, wenn das Papter gering rentlert. Man fagt, die Kotierungésteuer \chädige die Börse und treibe das Ge- \chäâft ins Ausland.
laîte, aber die Anzahl dieser Leute ift dech verschwindend. In den exst n Bankk1eifen Frankreicks i man überzeugt, deß die Steuer in ketner Weise der Börse geschadet hat. Mir ist sogar gesagt worden, daß es aar keine bessere Steuer gebe, tenn man empfinde sie gar nicht. Man sollte sich auf eine Finanzautorität wie Nouvier berufen, aber nicht auf den Minister Caillaux. Die Einkommen- steucr ist von der franzöfishen Kammer nur angenommen worden, um der Regierung keine Schwierigkeiten zu machen, aber nicht, weil man mit der Vorlage einverstanden war, und man erwartet fogar, daß der Senat die Einkommensteuer nit annehmen wird. Ein Oberhaus kann manchen Fehblec, der aus der Kammer hberaut- kommt, forrigieren, aber bedenken Sie, daß es bei uns in Deutschland ein folhes Oberhaus nicht gibt. wünscht. Für die Behauptung, daß das Kapital aus Frankreich dur die Steuer hinau®getrieben sei, i kein \{chlüssiger bracht und üterhaupt niht angetreten worden. Für die wanderung des Kapitals aus Frankrci
\chärfer fassen will; ein fernerer Grund war die ige fozialistishe Periode, die die Kapitalisten für ihre Best
daß fie sie ins Ausland brahten, und als dritter Grund ift onzusehen, day dte Kongregationen ihre mobilen Kapitalien fortgeshaffft haben. Das deutsche Kapital wird es si sehr überleger, nur vm der Kotierungsstcuer zu entcehen, seine Geschäfte ins Ausland zu verlegen, dern an der Lordoner Börse sind die Unkosten erheblich Höger. Wir e:kennen die ernste Lage der Finanzreform in jeder Le- ziehung an Wir führen aber nit einen Kampf um politiste Macht. Fürst Bülow sagte, daß er nicht Geschäftsführer
j Allerdings gibt es auc in Frankrei Leute, die | die Aufbebung der Kotierunçssteuer wünschen, weil sie die Börse be- |
Ÿ a î Linken folgen und aus dem Darlacient E E, E die Linke | Dann ist der Herr der Ueberzeugung, doß er nicht einer vorgefaßten ; ¡ Meinung begegnet ist, und die Sache ist vorläufig erledigt.“ Genau eweis er- ! Aus- | sind andere Gründe men ;
gebend gewesen, in erster Linie die Erbschafts\steuer, und es hat große |
ände fürhten ließ, so- |
der konsertativen Partei sein könne. Selbstverständliß haben wir dleselbe Auffassung. Aber kann er es verantworten, der Förderer einseitiger liberaler Anschauungen zu sein, die sich heute als demokratisch charakterisieren ? Wir finden, daß die Regierung den liberalen Anschauungen und Tendenzen weit entgegengekommen ist, wir kÉöanen aber eine Politik uiht mitmachen, die zu demokratischen Regterungsformen übergeht. Wir sehen in der Einführung einer er- weiterten Erbschaftssteuer eine eminent nationale Gefahr. Für die Linke sind Zweckmäßtgkeitsgründe maßgebend, für uns aber nationale Gründe. Vie Lirke follte den B zur Quo mit uns suchen. Das nationale Ziel ist die Regelung der Finanzen des Reichs, aber niht etwa die Einführung einer erweiterten Erbschafts- sieuer. Der Freiherr von Rheinbaben richtete einen Appell an uns, aber die Nechte hat in nationalen Fragen noch nie versagt. Die Er- bitterung des Hansabundes ist erst in dem Moment gekommen, wo das mobile Kopital angegriffen wurde. Jn dem Moment, wo Sie uns vorwerfen, daß wir defraudieren, kann man auch sagen, daß der Hansabund nichts anderes bedeute, als die Zurückweisung der Be- lastung des mobilen Kapitals. Jh halte es für traurig, eine grundsälich begründete Auffassung dadurch widerlegen zu wollen, daß man ihr niedrige Gesinnung untershiebt. Die Geschichte der konservativen Fraktion in Deutschland und in Preußen hat bewiesen, daß sie stets bereit ist, Opfer zu bringen. Es ist noch nicht so lange her, daß Sie (links) Jhr nationales Herz entdeckt haben, wenn es fich darum handelt, das Ansehen des Reichs zu stüßen und seine Macht zu erweitern. Die Bedeutung der Flotte haben Ste erst erkannt, als- Sie sahen, welhe Vorteile der Handel davon hat. Wir haben das {hon früber erkannt. Der Freiherr von Rheinbaben appelliert an die nationale Gesinnung, aber die Regierung wird doh den Anschauungen der Mojorität des Reichstags Rechnung tragen müssen. Deshalb gebe ih die Hoffnung nicht auf, daß die Regierung mit uns zusammenkommt; ih hoffe, d wir gemeinsam das Ziel erreihèn werden. Dann hätte ein Reichs- kanzler niemals einen größeren Erfolg erzielt, als darin liegt, daß eine große Mehrheit bereitwillig 500 Millionen neue Steuern ibt. An den indirekten Steuern tragen wir ebenso gut mit. lauben Sie denn, daß der deutsche Bauer, der auf unserer Seite steht, niht raucht und keinen Sck{naps trinkt ? Wer liefert denn die Gerste und würde darunter leiden, wenn der Bier- konfum eingeshränkt würde? Etwa nur die Sozialdemokraten ? Doch wohl in erstec Linie diejenigen, die das Rohprodukt liefern. Glauben Sie wirkli, daß die Branntweinsteuer uns unberührt läßt ? Das Branntweingewerbe ‘ist das einzige, das unweigerlih die Steuer auf \sich genommen hat. Ih will wünshen, daß recht bald der Tag komme, wo wir zurüdblicken auf die heutige schwere Zeit und dann sagen können : mit Ernst und Fleiß ist Großes für das Deutsche Reich geschaffen worten.
Staatssekretär des Reichsshaßamts Sydow:
Meine Herren! I habe nit die Absicht, hier eingehend über die Stellung der verbündeten Regierungen zur Kotierungssteuer mich zu äußern, da ih bereits die Ehre gehabt habe, dies zu tun und weitere Ausführungen seitens des preußischen Herrn Finanzministers und seitens des preußischen Herrn Handelsministers hier gemacht worden sind. Ich möchte nur ein paar Worte aus der Rede des Herrn Vorredners berühren.
Es ist von ihnen ebenso wie neulich von dem Herrn Grafen von Westarp und ein anderes Mal auh von dem Herrn Abg. Dr. Spahn darauf hingewiesen worden, daß nah ihrer Meinung die verbündeten Regierungen im Jahre 1893 selber eine Kotierungssteuer befürwortet haben. Wenn das länger unwidersprohen bleibt, so wird das als eine bewiesene Tatsache im Lande verbreitet, und deshalb möchte ih dazu hier eine Bemerkang machen.
Als im Jahre 1893 der Entwurf einer Stempelnovelle vorgelegt wurde, wurde au die Fragè erörtert, ob neben dem Effektenstempel, der damals bestand, eine Emissionssteuer, die alle Papiere treffe, oder eine Kotierungssteuer, die bloß gewisse zur Börse zugelassene Papiere treffe, eingeführt werden solle. Gegen die Emissionésteuer wurde in der Begründung geltend gemaht, daß man damit die aus- ländischen Paptere gar vit fassen könne, daß darin also eine Be- günstigung der ausländischen auf Kosten der inländishen Papiere liege, und dann heißt es von der Kotterungssteuer :
Sie würde die Nachteile der Emissiorssteuer — gemeint ist die Begünstigung der ausländishen Papiere — unzweifelhaft niht haben und in dem Vorteil, welher aus der Zu- lassung zur Börsernotiz für die betreffenden Papiere erwächst, ihre sahliche Begründung finden. Gleihwobl wird auf eine solche Steuer so lange verzihtet werden müssen, als Deutschland ein- heitlicher fester Börsenordnungen auf gcseßliher Grundlage entbehrt. Meine Herren, die einheitlihe Börsenordnurng auf fester Grundlage hat Deutschland jeßt hon über 10 Jahre. Trotzdem ist man niemals bis jeßt auf die Sache zurückgekommen. Wenn man jene hypothe- tishe Bemerkung richtig würdigen will, so, glaube ih, bezeihnet man fie am besten als eine Verbeugung vor der damals herrshenden Rich- tung, die ja dann zu den Einschränkungen des Börsengeseßes von 1896 führte. (Sehr rihtig! und Heiterkeit links.) Meine Herren, sind Sie nicht schon selber als Abgeordnete in der Lage gewesen, daß, wenn jemand an Sie herantrat und an Sie als parlamentarishe Ver- treter cinen Wunsch rihtete, Sie thm fagten : gewiß, die Sache bat sehr viel für ih; aber augenblicklich ist die Geschäftslage so, daß ich dem Reichstage niht recht damit kommen kann. (Große Heiterkeit.) Ich erinnere mih eines hervorragenden Ministers, dessen Name in diesem hohen Hause noch immer mit hoher Achtung genannt wird; der hatte die Gewohnheit, wenn Beamte als vortragende Räte in fein Ministerium neu eintraten, ihnen folgende Lehre mit auf den Weg zu geben: „Wenn Ihnen von Abgeordneten ein Vorschlag gemaht wird, den Sie auf den ersten Blick als nicht durchführbar erkennen, fo lehnen Sie das nit gleich ab, fondern sagen: gewtß! was Sie sagen, hat viel für sch; außerdem spricht für Ihren Vorshlag noch das und das, und ich werde mir die Sache reiflich überlegen. (Heiterkeit.) Dann haben Sie zunächst mal Zeit, und wenn der Herc wtkederlommt, dann sagen Ste ihm: ih habe es mir übeclegt; abec augenblicklich geht die Sahe nit.
so ist es mit dieser Bemerkung, man hat über die Sache hinweggehen wollen. Daraus, daß man 13 Jahre lang nlcht darauf zurück-
gekommen ist, können Sie ersehen, daß es ih nicht um ein von den !
Aufregung hervorgerufen, baß Caillaux die Erbschaflssteuer noch | verbündeten Regierungen bereits anerkanntcs Bedürfnis gehandelt hat.
(Heiterkeit links, — Zuruf in der Mitte: Sehr offenherzig !)
Eine kleine Bemerkung möchte ih noch daran knüpfen. Neuli ! hat Herr Dr. Spahn gemeint, ih hätte bei Beurteilung der |
Komrmissiontbeschlüsse außer aht gelassen, daß die dividendenlosen
ih nicht getan; ich habe im gedruckten Stenogramm, das si in diesem Punkte wörtlich mit dem ungedruckten deckr, ausdrücklih darauf hin-
¿ gewiesen und gesagt:
/ werke des
Papiere zur Kotierungésteuer nit herangezogen würden. Das habe | fâtigen, im Deutschen Reihe wohnenden Deutschen gehören ihnen an.
Die Nichterhebung der Dividenbensteuer für das folgente Jahr
- hilft den Gesellschaften niht über das Jahr, in dem sie Not ges litten haben.
Ich habe dann auf den Norddeutschen Lloyd exemplifiziert; ich mögte noh darauf hinweisen, daß die Aktionäre zu dem Zeitpunkt, wo die Dividendensteuer erhoben wird, die Papiere oft gar nicht mehr besißen oder daß solhe Gesellschaften im . folgenden Jahre auch Feine Dividenden' zahlen. \
Dann hat Herr Abg. Dr. Roesicke gesagt: daß in Frankrei, wie ih behauptete, das Kapital ausgewandert sei, läge nit an der Kotierungssteuer, sondern an der Erbschaftssteuer, und hät auf daz au mir bekannte Abkommen zwischen Frankreich und England und anderen Nachbarstaaten über die Erfassung der Nachlässe zum Beweise dafür hingewiesen. Da ‘ hat er zwei Dinge zusämmengeworfen, die niht zusammengehören. Bei meiner Behauptung handelt es sidh darum, daß ih sage: das Kapital würde seine Anlage in ausländis{en Unternehmen suchen, die nicht der eigenen Jndustrie zugute kommen, Dagegen handelt es sih bei den Abkommen datum, daß Vermögens: bestandteile der Inländer im Auslande aufbewahrt werden. Daz follte verhütet werden, und das is in Frankreih durch die Ah, kommen zu verhüten versucht worden; aber auch daz hat in der Erbschaftssteuer niht seinen Grund, denn die Eh, schaftésteuer besteht in Frankreich schon fehr lange, diese Erscheinung aber is neu und hat eine Reihe von anderen Ursachen, auf die ja auch der Hexr Vorredner hingewiesen hat, Als neueste Ursache kann man hinzufügen: die Furt vor der Er, höhung der Einkommensteuer, der man bekanntli in Frankrei mit einer uns nicht ganz verständlichen Abneigung gegenübersteht.
Dann noch eins! Es i} wiederholt gesagt worden, die Umsay, gebühren an der Londoner Börse seien ganz erheblich höher als an der Berliner Börse. Das mag für manche Geschäfte richtig sein, Aber welche mächtige Stellung hat auch der Londoner Markt in der ganzen Welt. Ja, hätten wir eine so kräftige Stellung in der Welt- wirtschaft, dann könnten wir au daran gehen, die Gebühren zu er- höhen. Es ist in einem Falle vorgerehnet worden, ih kann das nit kontrollieren, es mag rihtig sein, daß das Neunfahhe erhoben wird im Verkehr an der Londoner Börse. Wenn der Londoner Mazkt dieg tragen kann und dabei höhere Umsätze hat als wir, so is das der
der Fall troy der hohen Steuer, ist eine Folge der wirts{haftlichen
Uebermacht des ganzen Londoner Marktes.
Abg. Kaempf (fr. Volksp.): Tatsächlih haben wir bis jetzt zu 90 über die Erbschaftsfteuer und nur zu 1/16 über die Kotierungs- steuer gesproŒen. Dabei ist heute zum ersten Male die Ab- lehnung der Erbschaftssteuer als eine nationale Tat bezeicnet worden! Damit werden auch zahlreiche konservativz Kreise, so die kon- servative Partei Sachsens und auch eine Reihe preußischer Konservativer getroffen. Die Erbschaftssteuer trifft doch gerade auch das mobile Kapital schärfer und gründlicher als irgend eine andere Steuer. Hat denn ferner von Heer und Flotte niht auch das immobile, in der Landwirtschaft angelegte Kapital denselben Nußen wi: das mobile? In der bisherigen Erörterung ist erfreulich die Bestimmtheit, mit der sich die verbündeten Regterungen für die Erbstafts- steuer und gegen die Kotierungssteuer ausge|prohen haben; ih boffe und erwarte, daß sie bei threr Haltung bleiben werden, Der Appell gegen die Börfe findet in der Bevölkerung, tn welcher die Aufklärung über die tatfächlihen Verhältnisse in dieser Richtung große Fortschritte gemacht hat, nicht mehr den früheren Boden : das bat auch die großartige Verhandlung vom 12. Juni bewiesen. Der Abg, Dr. Roesicke stellt sih als den eigentlihen und einzigen Freund der Börse hin ; die Börse wird ihm mit dem Satze antworten : Gott be- hüte mih vor meinem Freunde, vor meinem Feinde werde ih mih hon felbst zu |{chüßen wifsen. Wie hoh der Besiy des deutschen Volkes an Wertpapieren ift, darüber gehen die Shätzungen weit aus- einander, fie variteren zwishen 70 und 100 Milliarten Mark. Alle Bank- und Börcsengeschäfte treibenden Personen zusammen stellen davon noch niht 5 9% dar; also würde mit 9509/9 die Gesamtheit aller derer getroffen, die ihre Ecsparnisse in mobilen Werten angelegt haben. Darin besteht die Kurzsichtiakeit des Gesetzes, darin becult aber auch die Stärke unserer Opposition. Schon jeßt haben wir einen Effektenftempel, dem die Wertpapiere unterliegen, wenn sie ge- boren werden, er {wankt zwischen 1 für d. T. und 3 für d. H. ; diese Die follen nah der neuesten Regierungsvorlage ncch erhöht werden, Diese Säye find aber einmalige. Daneben soll nun eine jährli sh wiederholende Steuer eingeführt werden. Frei bleiben nur. inländishe Staatspapiere. Welche Verwirrung würde Plaß greifen, wenn der Berliner Kurszettel die Pfandbriefe, die Stadtobligationen nicht mehr notieren würde! Sie (rechts) würden die ersten sein, die auf die Wiedereinführung der Notiz drängen müßten; Sie können ja ohne diese Notierungen gar nicht auskommen. Wir haben wirklich nicht nötig, uns so ängstlich an das fran- zósishe Beispiel zu halten. Wollen wir {on von dort etwas übernehmen, so wolle doch der Abg. Noeside dafür sorgen, daß wir die franzöfishe Erb|chaftssteuer mit ihren hohen Sätzen ein- führen, dann brauhten wir die ganze Kotierungssteuer nicht. Vergebens sucht der Abg. Roeside unsere Behavptung zu widerlegen, 2k diese Steuer in Frankreichß Fiasko gema hat. Die maßgebenden Instanzen und Personen betonen mit aller Deutlichkeit die Verwerflihkeit dieser Abonnementésteuer. Dieselbe Rechte, die sonst so sehr über den hohen Zinsfuß auf dem deutshen Markt klagt, sie ist es, die hier alles dran seßt, das aué- [ländische Kapital aus Deutschland zu vertreiben, statt uns die großen aus[ändischen Guthaben im Lande zu erhalten. Kein besseres Mittel {bt es, die finanzielle Kriec8bereitshaft aufrecht zu erhalten, als einen fatken Besiy an ausländishen Wertpapieren, die ofort in die Bresche treten können. Man kam ja au diesmal wieder mit der Be- QaUPO die Börse könne in einem Kriegsfalle versagen, wte sie im Kriegéfalle von 1870 versagt habe. Man foll doch beachten, daß im Falle -des Ausbruchs eines Kriegs Banken und Bankiers alle Hände voll zu tun haben, um den Ansprüchen avs dem Publikum zu genügen, da können sie, wenn ihnen die Kundschaft den Kopf warm macht, für Kriegsanleihen nur wenig Geld ecübrigen. Das ist kein Mangel an nationalem Gefühl, sondern die Wirkung ganz natürlicher Ursachen, Wie kommt der Mann, der fein ganzes Leben lang gespart und viel- leiht 20 000 46 zusammengebracht hat, dazu, wenn er damit vielleicht 800 (6 aus Wertpapieren das Jahr erzielt, sich vom Neich 20 46 ab- ziehen zu lassen, während derjenige, der vielleichßt 50 000 6 Nerte hat, nichts zu zahlen braucht ? Da ift der Name Besißzsteuer doh nur eine Maske. Der Abg. Graf Westarp hat eine ganz neue Theorie ausgedaht. Er hat eine direkte Steuer ohne Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit entdeckt. Wohin das in der Praxis führt, zeigt das eben angeführte Beisptel. Die Aktiengesellschaften haben gar kein Einkommen, sondern nur die Aktionäre. Jn Preußen is die Gesellshaftsbesteuerung. Gott sei Dank ab- gelehnt, sie hätte den Kapitalmarkt {wer ershüttert. Das mag
| nicht die Absicht gewesen seia, aber es wird anerkannt werden
müssen, daß lediglich durch die Kapitalsafssoziationen für unseren Handel und Induftrie die großen Erfolge erzielt worden sizd. Handel, Industrie und Gewerbe sind im politishen wie wirtschafb| lihen Leben gleihberehtigte Faktoren, auch sie sind feste Boll
Staates, éPensa wie die Landwirtschaft, sie sind t gewesen, find es noch und werden es |\tets bleiben. 60 9/% der erwerbt-
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
Zweite Beilage
zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußishen Staatsanzeiger.
M 144.
Berlin, Dienstag, den 22. Juni
1909.
Ea
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(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Mir verlangen keinerlei Bevorzugung, aber es dürfen diesen Erwerbt- ständen niht ihre Grundlagen entzogen werden, auf denen fie fich entwideln können. Nur bet freier Verkehrsenlwicklung wird ihnen das möglich sein, es müssen ihnen die Wege geebnet werden, damit sie für diz künftigen großen Aufgaben und Auegaben im Reich sleuer- äftig find.
e Äo, Müller - Fulda (Z-ntr.): Wir wollen mit dieser Steuer nicht ein Ausnahmegesez gegen die Börse machen, sondern das mobile Kapital in sciner Leistungsfähigkeit erfassen. Wenn das umlaufende mobile Kapital auf 70 bis 100 Milliarden zu \{äßen ist, so können wir daraus entnehmen, wie groß das nationale Vermögen ist, um das es sich handelt. Wenn gesagt wird, daß viele Aktiengesellschaften ihre Kursnotiz streichen lassen würden, um der Slteuer zu ent- gehen, so glaube ich doch, daß für die Aktiengesellschaften die Börsennotiz eiwas mehr Wert hat als der Wegfall der Steuer. Wenn man einen Vergleich zieht zwischen der armen Witwe, die 90 000 6 in Pfandbriefen hat und ter Kotierungssteuer unterworfen ist, und dem Besißer von Staatspapieren, so braucht doch die arme Witwe nur ihre Pfandbriefe zu verkaufen und dafür 49%/ Staats- papiere zu kaufen ; dann ist sie die Belastung los. Der Abg. Weber meinte am Scnnabend gegenüber dem Abg. Raab, daß über diefe Frage eigentlich nur Sachverständige aus Bankkreisen urteilen könnten, es gibt doch aber au viele andere Leute, die dafür Versländnis haben, die an Aktiengesellschaften beteiligt sind und jahrzehntelange Erfahrungen haben. Bei den , anderen Materien haben ja auch Barkiers mitgeredet. Die Kotierungösteuer fol nicht das Kapital und die Börse unterdrücken, sondern einen gerechten Ausgleich schaffen, in dem sie neben dem in Landwirtschaft, Gewerbe, Industrie und Handel arbeitenden Kapital au das mübelos Zinsen tragende Kapital heran- zieht ; es soll also gerade die treffen, die bisher noch zu wenig bedacht sind. Als eine bloße Verbeugung vor der damals herrsch?:nden Richtung kann man es nicht ansehen, wenn die Regierung 1893 sich für die Kotierungssteuer ausgesprochen hat, denn der Finanzminister von Miquel mar auch noch später nah dem Erlaß des Bbisengeseßes von 1896 ein Freund dieser Steuer. Anfang Januar 1883 hat hier etner der bedeutendsten Finanzmänner, der Geheime Finanzrat Büsing, sich für die Kotierungésteuer ausgesprochen, und zwar in Ablehnung eines Antrages von Wedel-Malchow. Wenn ein so ausgezeichneter liberaler Abgeordneter, dem man doch eine hohe Sa@(kenntnis gewiß niht absprechen fann, sih für diese Steuer ausgesprochen hat, so können Sie uns doh keinen Vorwurf machen, wenn wir diefen Vorschlag wiederholen. Der große Vorteil der Kotierungsabgabe ist der, daß fie niht wie der Effekten- oder Umsaßstempel \chwankend ist, sondern eine regel- rehte fihere Einnahme bildet. Wenn in Frankrei die Abschaffung der Kotierungssteuer angeregt worden ist, so steht das in Zusammen- hang mit dem Plan der Einführung einer allgemeinen Einkommensteuer. Die steht aber noch in sechc weitem Felde. Frankreich wird die Steuer nicht absckaffen, die ihm im laufenden Jahre 110 Millionen eingetragen hat. Der Graf Posadowsky sagte als Reichéshaßsekretär im Jahre 1893, wenn man den Protesten und Zuschriften, die man be- komme, Glauben {enken sollte, dann würde die ganze Börse dur die damals vorgeshlagene Börsensteuer ruiniert. Frankreich hatte {hon damals zehnmal soviel Börsensteuern wie wir. Wenn damals unserer Börse 1 sür Tausend nihts geschadet hat, so wird ihr der doppelte Betrag auch noch erträglih sein. Ich habe eine ganie Rethe t eutsher Industrieller, Kaufleute und Bankiers gesprochen, die auf einem garz anderen Standpunke stehen, wie der Hansabund. Auch nit einer von ihnen wac gegen die Kotierungssteuer. Die Leute, die anderer Ansicht sind, werden sih hüten, in den Hansabund zu gehen. Wenn man einen Mann wte Kirdorff niht hat ausreden lassen, was soll tann erst anderen weniger berühmten Leuten passieren! Kirdorff ist mein polilisher Gegner, aber ich muß doch fagen, die Art und Weise, wie man ihn dort behandelt hat, hat mich entrüstet. Man soll die Leute besteuern, solange sie leben, und die Steuer nicht auf- schieben, bis sie gestorben sind. Die Mittelstandsvereinigungen des Königreichs Sachsen haben sih berelts gegen den Anshiuß an den Hansabund erklärt. D:r Redner wendet ih sodann gegen einzelne Behauptungen, die auf der Versammlung des Hansabundes, namentlich von dem Geheimrat vcn Mendelssohn, gegen die Beschlüsse der Finanzkommission gemacht worden sind, und die er auf falschen Vor- ausfezungen und Informationea aufgebaut bezeibuet. Auch die hier in Berlin versammelten Minister der Einzelsflaaten seien niht richtig informiert gewesen. (Zuruf des Abg. Mommsen: Die Beschlüsse der zweiten Lesung waren gar nit gedruckt!) Der Nedner fährt dann fort: Solche Irrtümer müssen zur größten Ver- wirrung führen, ich glaube deshalb, die Regierungen werden, nah- dem fie sich besser informiert haben, von ihrer ablehnenden Haltung abgehen können. Das Großkapital darf sich doch nicht aus- \chließen; wer wind nicht in Mitleidenschaft gezogen, wenn 500 Millionen neuer Steuern aufgelegt werden? Jh peisönlih werde auh mit betroffen durch die Kotierungssteuer, aber ih maHe mir nidts daraus. Die Kotierungssteuern nach den Beschlüssen der Kom- mission sind nicht unerträglich; sie sind niht unerhört, sie bilden einen gerechten Ausgleich, fie sind ausführbar und unshädlih für Handel und Industrie. VDhne Heranziehung der leistungsfähigen Be- fißenden, des mobilen Kapitals ist eine Finanzreform ganz unmöglich. Was würden wohl die Arbeiter, Handwerker und kleinen Land- wirte denken, wenn wir hier Hunderte von Millionen auf Tabak und Branntwein usw. legen (Lebhafte Zurufe links: Erbschaften !) Nein, die Lebenden sollen bezahlen . . . , während wir an dem mobilen Kapital mit den großen Gewinnen vorübergehen, Täten wir dies, dann könnte man mit Recht sagen, wir matten eine Berbeugung vor dem Eroßkapital. Stimmen Sie für diese Kotie- rungssteuer, sie ist die gerehteste der ganzen Finanzreform.
Staatssekretär des Neichsshaßamts Sydow:
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat die Meinung auk- gesprochen, daß die deutshen Finanzminister, als fie nah Pfingsten hier zu einer Besprehung der Beschlüsse der Finanzkommission zu- fammentraten, niht hinreichend oder nicht rihlig über die Beschlüsse der Kotierungbösteuer informiert gewesen scien. Ih kann ihm darin nit recht geben, ih muß ihm widersprechen. Ih habe mir felbst erlaubt, damals den Vortrag zu halten. JIch hatte den Sihungen der Finanzkommission aufmerksam beigewohnt, und es war mir, ob- wohl ihre Beschlüsse noch niht gedruckt vorlagen, volllommen be- kannt, daß die Steuer in zweiter Lesung wieder auf die zur Börse zugelassenen Papiere eingeshränkt worden ist, und das habe ih den Herren au mitgeteilt. Es muß also ter Information, die der Herr Vorredner bekommen hat, wohl ein Mißverständnis zugrunde liegen (Widerspruch in der Mitte), — oder dann bei dem Herrn, der ihm diese Information gegeben hat. (Erneuter Widerspruch in ter Mitte.
Siefi der Herr Vorredner gemeint hat, wir hätten doch in den grünen Büchern das Material über die Gesehgebung in den aus- wärtigen Staaten zur Nahahmung mitgeteilt, so kann ich das nicht
unbedingt anerkennen. (Große Heiterkeit.) Wir haben das statistische Material gegeben, teils zur Nachahmung, teils auß nit, haupt- \äGlih zum Vergleich mit dem, was in anderen Ländern gilt. Wenn er aber der Meinung ist, daß man das Material, was da gegeben ist, im Sinne der Nahfolge und Nahahmung verwerten folle, so kann ih das in bezug auf die Erbschaftssteuer gern anerkennen. (Bravo!
links.)
_Relichsbankpiäsident Ha venstein: Jh will einige Ausführungen zur Kotierungésteuer machen, wenngleich ih nit viel Neues sagen kann. Der Gedanke einer folchen Steuer an sich hat etwas Sympathishes und Bestehendes. Es ift richtig, daß die erhöhte Verwertbarkeit eines Papiers infolge der Zulassung zur Börse ein be- fonterer Vorzug ist. Wenn der Abg. Müller-Fulda eine Rethe von führenden Männern genannt hat, die diesem Gedanken ebenfalls sympathisch gegenüberstanden, fo war damals gar niht Gelegenheit und Anlaß, ihm bis in setne leßten Konsequenzen nachzugehen. Die Börse würde allerdings schwer getroffen werden. Dieses wichtige Instrument im volkswirtschastlihen Leben, das für unsere künftige Entwicklung in ernsten Zeiten {arf sein muß, würde \ltumpf und brühig werden. Die Börse i nur ¿cr Markt, Besißer des Kapitals ist das ganze deutshe Volk, sind die großen wie die kleinen Besitzer. Wenn man erwägi, daß in den Bundesstaaten Einkommen und Vermögen îm ganzen bis zu 15 v. H. belastet sind, daß alle Leistungsfähigen dabei \{chon erfaßt sind, so wird man zugeben müssen, daß wir nicht unter Berufung auf das französishe Beispiel noch eine Steuer er- heben können, die als Zuschlag zur Einkommensieuer wirkt, J halte es auch für ganz ausgeschlossen, daß sich die ausländischen Staaten dieser deutshen Kotierungssteuer für ihre Anleihen unter- werfen werden. Die Schäden, bie sih daraus ergeben können, liegen auf der Hand, sie werden niemals das Ausland treffen, sondern ftlets nur den deutschen Besißer. Die Streichung der Börsennotiz aber kann im Gefolge haben, daß ein Papier unverkäuflih oder nur unter {weren Opfern verkäuflich wird. Bei neuen Emissionen wird die Kotierungétsteuer die Kapitalbeshaffung erschweren und den Zinsfuß verteuern. Es ift gar nicht anders denkbar, als daß parallel damit ein Sinken der Kurse geht. Die Dice des Abg. Grafen Westary, daß ein solches vermieden und die Papiere sih allmählih mit der Steuer abfinden würden, wäre nur'dann berechtigt, wenn man erwarten könnte, daß diese allgemeine Belastung auch den Zinsfuß ermäßigen würde. Das ‘ gerade Gegenteil ist der Fall. Der Zinsfuß muß verteuert werden, und der Kursverlust is etn definitiver, der niht wieder ein- gebrat werden kann. Das is ein |chwerer S({lag namentli für die Kleinbesiger. Die Besißer der 200 Millionen Aktien der Deutschen Bank würden durch diesen Kursverlust cinen Ausfall von nit weniger als 28 bis 29 Millionen erleiden, die Anteilseigner der Reichsbank einen folchen von 30 Millioxen. Bei den 15 Milliarden industrieller Werte wäre der Kursverlust 810 Milliohen. Die gesamte Vermögenss{hädigung würde, ungerehnet der nit notierten Werte, über 2 Milliarden betragen. Mit einer folhen all- gemeinen volkswirtschaftlihen Schädigung wäre das finanzielle Er- gebnis zu teuer erkauft. Das ausländische Kapital würde zurück- gehalten werden, das gute deutsche Geld ins Ausland fließen, wo es mit offenen Armen aufgenommen wird. Die Börsensteuer ist, wie ih dem Abg. Dr. NRoesicke gegenüber bemerke, in London doch sehr viel niedriger als bei uns. Für Inhaberpapiere, die doch für das deutsche Kapital nur in Betracht kämen, hat London nur einen Stempel, der zum Teil gleih, zum Teil niedriger ist als ter deutshe. Der Schlußnotenstempel fehlt ganz. Die Gläubigereigenschaft des deutschen Volkes, die foriwährend:- wächst, solite kraftvoll unterstüßt werden. Wenn in {weren Zeiten das Ausland plöglich jein Guthaben zurückfordert, und das deutsche Volk sein eigenes Vermögen flüssig machen muß, würde jedenfalls bei Einführung der Kotierungésteuer die Zeit kritisch werten. Die Machtstelung der Börse in London ist hervorgerufen und gefördert durch die s{onende Behandlung, die ihr die englishe Gesegebung zu teil werden ließ. Bei uns dagegen hat das Börsengeseß von 1896 die Börse geschädigt, wenn auch diese Schädigung vielfah übertrieben worden ist. Wir dürfen keine Maßnabme treffen, die unsere deutshe Börse von ihrer Eigenschaft als Vermittler auf dem Weltmarkt zu einer leistungs- unfähßigen Institution herabdrückt. Aus allen diesen Gründen bitte ih das Haus, der Kotierungssteuer seine Zustimmung zu versagen.
Abg. Dr Frank - Mannheim (Soz.): Der Staatssekretär hat vorhin einige niedlihe Handwerksgeheimnisse verraten. Er spra von Negierungserklärungen, die lediglih Verbeugungen gegen irgend eine Richtung und Meinung, aber sonst niht ernst gemeint seten. War etwa die Erklärung des Reichskanzlers für die Reform des preußischen Wahlrechts auch nur eine solhe Verbeugung ? Bezüglich der Kotierungs- steuer sind wir zurzeit derselben Ansicht, wie die verbündeten Regierungen. Wir wissen ja allerdings nah den Geschäftsordnungsdebatten von letzthin, daß die Mehrheit alles machen kann; aber dennoch wird man uns nit plausibel machen können, daß es sih hier um eine Besißsteuer handelt. Dann wäre ja au der Getreidezoll eine Besißsteuer, denn er wird zunächst von den reihen Getreideiwporteuren erhoben. Es ist sehr interefsant, daß gerade die Herren Agrarier behaupten ein Teil des Besiges entziehe sich der Besteuerung, und deshalb müsse man auf diejem Wege vorgehen. Sie klagen über die Steuer- hinterziehungen, die die anderen mahen — die Taktik des Tintenfisches, der seine Umgebung dunkel macht, um selbst der Verfolgung zu entgehen. Es ist eine nackte Tatsache, daß der Großgrundbesißer bei der Be- steuerung besonders geschont wird. Nicht, vas man Se begeht, nein, man tellt in {orenter. Weise den Ertrag der großen Güter fest. Da wid denn eingewentet, es handele sich um Selbstver- waltungsbehörden, gegen welche die Macht der Behörden nichts aus- rihten könne — und das in demselben Preußen, dessen Hauptstadt ohne Genehmigung des Ministers nicht ein Gittertor schen, nicht eine Turnhalle vergeben kann! Ob die Herren im Zirkus Busch oder im Zirkus Schumann weniger gern Steuern zahlen, will ih niht entscheiden. Durch die Belastung der Hypothekenpfand- briefe wird die Bautäligkeit erschwert und verteuert werden, und chon seit einigen Jahren liegt dieses Gewerbe {wer danteder.
ch kenne Maurerfamilten, wo der Hausvater {hon das zweite Jahr auf Beschäftigung wartet; jeßt, wo sich eine leichte Belebung zeigt, sollte man sich hüten, diesem neu beginnenden Aufschwung Steine in den Weg zu werfen Im Interesse der allgemeinen Entwicklung ist die vorliegende Steuer abzu- lehnen, denn Deutschland is längst ein Industriestaat ge- worden. Ein Drittel der Bevölkerung beherrscht auf Grund rückständiger Einrichtungen die übrige Bevölkerung. Sie (nah rechts) haben es bisher verstanden, die veraltete Wabhlkreis- einteilung aufrecht zu erhalten, Das ist der morshe Ast, auf dem Ste sigen, hoffentlih niht für ewige Zeit. Hochmut kommt vor dem Fall, und fo ift zu hoffen, daß es mit der Agrarierherrs{haft bald zu Ende geht.
Hierauf wird um 6 Uhr die weitere Beratung auf Dienstag 2 Uhr vertagt; vorher: Ergänzungsetat und kleinere
Vorlagen.
I N
Statistik und Volkswirtschaft.
Gemeinnützige Vermögensanlagen der Träger der Invalidenversiherung im Deutsßen Reiche.
Ueber die von den Lanteétversiherungsanstalten und den auf Grund des Invalidenversicherungsgesees zugelassenen Kasseneinrich- tungen für gemeinnüßige Zwedcke bis zum Schlusse des Jahres 1908 ausgeliehenen oder forst aufgaewendeten Beträge enthält das ¿weite Heft vom Jahrgarg 1909 der „Amtlichen Nachrichten des Neichs- versiherungöam18*“ die neueste Uebersicht, die auszugsweise im „Neichs- arbeitsblalt“ wiedergegeben ist. Während im Jahre 1906 etwa 64,5 Mill. Mark für diese Zwecke hergegebên wurden, betrugen die Aufwendungen im Jahre 1£07 nahezu 86,6 und im Jahre 1908 104,2 Mill. Mark. Die Aufwendungen für Gan! Zwecke sind demna bisher fortgeseßt im Steigen begriffen. Aus der nach- stehenden Zusammenstellung ist ersichtlich, wie diese Kapitalsanlägen in den legten sechs Jahren zugenommen haken, und wclhe Summen E 4E Zeitraum an die Versicherungéträger wicder zurück- gelangt find. i
betrugen Am die
Schlusse Gesfamt- anlagen für des gemeinnüßige
Zroedtke Jahres Millionen 46
Auf j das Hundert | Tatsächlicher der Bestand t Sa der Anlagen
anlagen sind zurüdgezahlt | Millionen 46
Zurüdkgezahlt waren Millionen 46
1903 1904 1905 1906 1907 1908
365,9 29,5 336,4 418,0 38,9 ‘ 379,5 473,7 48,9 c 424,8 938,2 98,4 479,8 624,8 68,8 996,0 729,0 85,7 643,3.
Wie ih das Verhältnis der Gesamtheit der gemeinnützigen An- lagen zu dem Gesamtvermögen der Versicherungsträger stellt, ergibt die folgende Uebersicht. Dabei ist das Jahr 1908 außer Betracht gelassen, weil die Höhe des Gesamtvermögens der Versiherungsträger am Schlusse des Jahres 1908 erst im Laufe des Fahres 1909 dem NReichsversicherungsamt bekannt wird. Es ist deshalb der fünfjährige Zeitraum von 1903 bis eins{ließlich 1907 zum Vergleich herangezogen.
etru: Davon entfielen An E auf die gemein-
Schlusse das nüßigen Anlagen des Gesamtvermögen nah Abzug
id Jahres Millionen 4 der Ea Eingen
Auf das Hundert des
Gesamtyermögens betrugen die gemeinnützigen Anlagen rund
336,4 31,0 379,5 32,7 424,8 34,3 1906 1318,5 479,8 36,4 1907 1404,1 996,0 39,6.
Zurzeit sind also etwa ‘/14 des Vermögens der Träger der Invaliden- versicherung für gemeinnüßige Zwecke nußbar gemackt.
Die Gesamtaufwendungen für gemeinnützige Zwecke werden in der vom Reichsversiherungëamt veröffentlihten Ueberfiht üblicher- weise in vier Gruppen geschieden. Die erften drei Gruppen umfassen die Auslethungen, während die vierte Gruppe von den Aufwendungen der Versicherungsträger für eigene Veranstaltungen R rt gebildet wird. Bis zum Schlufse des Jahres 1908 waren insgesamt etwa 675,3 Millionen Mark ausgeliehen. Die Gruppe 1, die bisher die Ueberschrift trug: „Für den Bau von Arbeiter wohnungen“, umfaßt in der neuesten Uebersißt auch die Auf- wendungen für Ledigenheime, Hospize, Herbergen zur Heimat, Gesellenhäuser usw, die früher in der Gruppe 3 mitenthalten waren. Inéegesamt sind für diese Zwecke bisher 239,4 Millionen Mark aufgewendet worden. Sieben Versicherungsträger \ind bei den Ausleihungen in dieser Gruppe mit Beträgen von mehr als 10 Mill. Mark beteiligt, und zwar in auffsteigender Reihenfolge die Landesve:rsiherungsanstalt Hefsen- Nassau mit 11,5, die Landesversicherungsanstalt Württemberg mit 14,0, die Landesversicherungsanftalt Baden mit 17,4, die L.-V.-A. Königreih Sachsen mit 17,5, die L.-V.-A. Wesifalen mit 22,4, die
„V.-A. Hannover mit 28,6 und die L.-V.-A. Rheinprovinz mit 44,8 Mill. Mark. Die Aufwendungen innerhalb der ersten Gruppe sind in zwei für das Jahr 1908 zum erften Male aufgestellten Ueber- sihten nah drei Gesichtspunkten autgeshieden. Erstens sind dar- gestellt die Darlehen zur Förderung des Familienwohnungs- baues einerseits und diejenigen zuz Erbauung von Ledigen- heimen, Hospizen usw. andererseits. Dabei hat \sich ergeben, daß bis zum Schlusse des Jahres 1908 225,6 Mill. Mark für den ersteren und 13,8 Mill. Mark für den leßteren Zweck ausgegeben worden sind. Der s des Wohbnungsbedürfnisses der ledigen Arbeiter haben bisher besonders die Versicherungs8anstalten Rhein- provinz, Württemberg und Westfalen Interesse entgegengebraht. — Sodann geben die Uebersiten eine Darstellung der Darlehens- \{chuldner in drei Gruppen: 1) Vereine und Genossenschaften; 2) Kommunalverbände, Sparkaffen, Kirhengemeinden und fonstige Verbände des öffentlihen Rechts; 3) Private. Weitaus die meisten Darlehen (151,9 Mill. Mark) find an Vereine und Genossenschaften gegeben; es folgen dann die privaten Geld- nehmer mit 57,4 Mill. Mark, während auf Kommunalverbände usw. nur 30,1 Mill. Mark entfallen. Endlich if festgestellt worden, daß von den 239,4 Mill. Mark, die zu Zwecken der Wohnungsfür- sorge ausgeliehen worden sind, 183,8 Mill. Mark gegen Beleihung von Grundeigentum und 6,8 Mill. Mark gegen Beleibun von Grbbaurechten hingegeben sind, Die übrigen 48,8 Mill. M entbehren der grundbuhmäßigen Sicherheit. Hierher zählen vor allem die 30 Mill. Mark, deren Schuldner Kommunalverbände sind. Von den 6,8 Mill. Mark, die gegen Beleihung von Erbbaurehten hin- gegeben worden sind, entfallen rund 3,3 Mill. Mark auf die Landes- versiherungsanstalt Königreich Sochsen und 1,6 Mill. Mark auf die Landesversicherungsanstalt Hessen, Nafsau. Der Reft verteilt sh auf die Landesversicherungéanstalten Ostpreußen D Branden- burg, Schleswig - Holstein, Hannover, Rheinprovinz, berbayern, Württemberg, Baden und Thüringen. j
Die ¡weite Hauptgruppe der En Agen Anlagen — Bes friedigung des laubwirts@altliden reditbedürfn isses — umfaßt Hypotheken, Darlehen für Kleinbahnen, Land- und verbefserungen, Hebung der Viehzucht, Linderung der Futternot u Diese Gruppe weist bis zum Ende des Jahres 1908 ean in fir d von etwa 95,8 Mill. Mark auf. Seit dem Jahre 1 lind Ü ern
1084,3 1160,4 1237,59
1903 1904 1905
r diese Zwecke etwa 40 Mill. Mark von den Ver ngstr ereit ifie t worden. Hauptsächlih beteiligt find hier die Landes- versi ng8anstalten le8wig-Holstein mit Bran mit 7,4, Hessen-Nafsau mit 11,5,
Sathsen-Anhalt mit 143 Mill. M
6,9 denburg Ftmmen mit 13,1 und Provinz